Die Arbeit setzt sich mit Angela Merkels Asylpolitik auseinander. Im Fokus steht dabei ihre Solidaritätsbekundung, die es durch die Definition von Solidarität durch diese Arbeit zu analysieren gilt. Denn der Begriff der Solidarität führt unweigerlich zu Irritationen und wird in vielerlei Kontexten verwendet, unterlegt durch eine Vielzahl unterschiedlichster Prinzipien. Daher ist eine genauere Betrachtung des Begriffs Solidarität unerlässlich, um den besonderen Gehalt der Solidaritätsbekundung Merkels freizulegen und zu verstehen, warum sie trotz massiver Vorwürfe mehr europäische Solidarität fordert.
Merkels Asylpolitik - Ein Lichtblick wahrer Solidarität?
„Horizont des menschenrechtlichen Ethos ist letztlich die Solidarität mit der ganzen Menschheit.“
Alois Baumgartner
Wir schaffen das. Drei kurze, prägnante Worte und doch eine Solidaritätsbekundung der etwas anderen Art, welche innerhalb der EU jedoch als unsolidarisch empfunden wird, was Angela Merkel wiederum dazu veranlasst, mehr europäische Solidarität zu fordern. Klingt paradox, wird der gegenwärtig inflationären Verwendung des Solidaritätsbegriffes jedoch nur gerecht. Drei Worte, die sowohl national als auch international für erheblichen Wirbel und Unmut sorgen. Beunruhigung, Ratlosigkeit, aber auch Hoffnung und Zuversicht sind nur ein kleiner Ausschnitt der Reaktionen, die Angela Merkel angesichts der Flüchtlingskrise mit diesen drei Worten ausgelöst hat. Kein Thema polarisiert derzeit mehr als die größte Fluchtbewegung seit Ende des zweiten Weltkriegs, egal ob Durchschnittsbürger oder europäischer Spitzenpolitiker. Skeptiker sprechen angesichts der drei Wörter von Kontrollverlust oder gar Staatsversagen, verweisen auf die hohe, in Zukunft nicht absehbare Anzahl von Flüchtlingen und prophezeien Deutschland eine düstere Zukunft. Befürworter hingegen vertrauen in den Kurs der Kanzlerin, betonen die Stärke Deutschlands und erinnern an die Fluchtbewegungen vergangener Tage, die Deutschland bereits hinter sich gelassen hat. Und immer wieder wird an die Solidarität erinnert, appelliert und verwiesen, sodass sich der Begriff letztlich vor allem durch Konturlosigkeit auszeichnet. Merkel fordert mehr europäische Solidarität, Wladimir Putin verhält sich dem syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad gegenüber solidarisch. Die Europäische Union gilt als Solidargemeinschaft und dann wäre da noch der durchschnittliche Facebook Nutzer, der sein Profilbild mit den Farben der Tricolore unterlegt und damit seine Solidarität gegenüber Frankreich und den Opfern der Pariser Anschläge bekundet.
Der Begriff der Solidarität führt unweigerlich zu Irritationen und wird in vielerlei Kontexten verwendet, unterlegt durch eine Vielzahl unterschiedlichster Prinzipien. Daher ist eine genauere Betrachtung des Begriffs Solidarität unerlässlich, um den besonderen Gehalt der Solidaritätsbekundung Merkels freizulegen und zu verstehen, warum sie trotz massiver Vorwürfe mehr europäische Solidarität fordert.
Der Syrienkonflikt und die Ambivalenz von Solidarität
Die polarisierende Wirkung der Flüchtlingskrise entfaltet sich vor allem aufgrund der unmittelbaren Involvierung Europas. Dabei äußert sich die Involvierung nicht in einer direkten militärischen Intervention1, sondern beruht einzig und allein auf der Attraktivität Europas. Dies ist zurückzuführen auf einen Bestand, der von den meisten unter uns als selbstverständlich erachtet und oftmals unterschätzt wird. Friede, ein fragiles Gebilde, das in Europa erst seit circa 80 Jahren Bestand hat und doch Einzigartiges darstellt. Darauf aufbauend konnte sich in Europa ein Klima der Sicherheit und des Wohlstands etablieren, das in vielen Teilen der Welt derzeit als unerreichbar gilt. Der ungemeine Wert dieser Tatsache wurde uns spätestens seit der Zuspitzung der Flüchtlingskrise bewusst. Das Mittelmeer wurde zum Grab Tausender Flüchtlinge, die sich nach Europa aufmachten, in der Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben. Obwohl aus verschiedenen Ländern, sind die Fluchtursachen meist dieselben. Not, Elend, Gewalt und Bürgerkrieg sind die häufigsten Beweggründe dafür, dass Menschen beschließen ihrer Heimat den Rücken zu kehren und den weiten und gefährlichen Weg nach Europa auf sich zu nehmen.
Das derzeit wohl virulenteste Beispiel ist Syrien, ein Land in dem seit fast fünf Jahren Krieg herrscht und Millionen Menschen zu Flüchtlingen gemacht hat und weiterhin macht. Doch Syrien erschöpft sich nicht nur als beispiellos tragische Illustration möglicher Fluchtursachen, sondern offenbart auch die Vielschichtigkeit des Solidaritätsbegriffes. Wie kaum ein anderes Beispiel, zeigt der Syrienkonflikt das Versagen internationaler Akteure oder Gemeinschaften, angesichts humanitärer Katastrophen angemessen einzuschreiten. Dabei zeichnen sich die Akteure nicht durch Untätigkeit aus, sondern sind meistens direkt militärisch involviert. Syrien ist zu einem internationalen Kriegsschauplatz geworden, wie er verworrener kaum sein könnte.
Vor Ausbruch des Krieges war Syrien ein autokratisch regiertes Land unter der Herrschaft des Assad - Clans mit klassisch defizitären Strukturen, wie sie im Nahen und Mittleren Osten keine Ausnahme darstellen. Somit war es kaum verwunderlich, dass der sogenannte arabische Frühling auch Syrien erfasste und die Bürger des Landes auf die Straße trieb, um mehr Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenwürde einzufordern. Den vorherrschenden Regierungspraktiken Assads entsprechend, entsendete er kurzerhand die syrische Armee, um sie gegen das eigene Volk einzusetzen. Trauriger Höhepunkt war der Giftgaseinsatz aus dem Jahr 2012, ein grauenvoller Menschrechtsverstoß, der eigentlich eine militärische Intervention Amerikas2 zur Folge haben sollte. Dieser blieb jedoch aus und das syrische Volk sah sich weiter andauernden Menschenrechtsverletzungen schutzlos ausgeliefert. Dabei wäre es ein starkes Zeichen der Solidarität Amerikas gewesen, horrenden Menschenrechtsverletzungen entgegenzutreten, für Menschlichkeit und Menschenrechte einzutreten und das Verbrecherregime Assads endgültig zu stürzen. Stattdessen hat Amerika, „ die zaudernde Weltmacht“3 gekniffen und lediglich dem Vorschlag Russlands, das syrische Chemiewaffenarsenal unter internationaler Aufsicht abzubauen, zugestimmt.
Dennoch solidarisiert sich die USA mit der syrischen Opposition, um Präsident Assad zu stürzen und stellt Mittel zu deren militärischer Ausbildung bereit. Wie bereits erwähnt, ist Russland ein weiterer beteiligter Akteur. Der Kreml hingegen verhält sich Assad und der syrischen Regierung gegenüber solidarisch und intervenierte militärisch um seinen syrischen Verbündeten im Amt zu halten. Wer jetzt allerdings der Versuchung erliegt, ein Revival des Kalten Krieges heraufzubeschwören liegt falsch. Blockdenken ist angesichts der Lage unangemessen. Nichts mit, der Russe unterstützt den syrischen Verbrecher auf der einen Seite und das wohlwollende Amerika und dessen Bestrebung das Licht der Demokratie selbst in die entlegensten Winkel der Welt zu tragen, auf der Gegenseite. Wenn dem so wäre, würde eine direkte Konfrontation zwischen Russland und den USA vorliegen. Doch überraschenderweise versichern sie sich selbst ihrer gegenseitigen Solidarität, im Kampfe vereint gegen den transnationalen Terrorismus, ausgehend vom sogenannten Islamischen Staat (IS). Auch Syriens Präsident Assad hat den Islamischen Staat zum Feind erklärt, somit findet sich in Syrien ein weiterer Verbündeter an der Seite Amerikas im Kampf gegen den IS, nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Auch die Türkei nimmt eine interessante Rolle im Syrienkonflikt ein. Ankara hatte anfangs den Islamischen Staates noch unterstützt und Dschihadisten ungehindert die Grenze zwischen der Türkei und Syrien passieren lassen. Doch das Blatt wendete sich, Ankara kämpft mittlerweile an der Seite Russlands, USA und Syriens gegen den IS, solidarisch vereint im Kampf gegen Terrorismus. Dass die Türkei dabei vor allem kurdische Rebellen bekämpfen, die im vergangenen Herbst noch von den USA unterstützt wurden, zeigt ein weiteres Mal die Pervertierung von Solidarität im Syrienkonflikt.
Dabei liegen den eben angeführten Solidaritäten viele verschiedene Motivationen zugrunde. Putins Solidaritätsbekundung an Assad war kein Akt der Mitleidsbekundung aufgrund der fragilen Lage des Präsidenten. Vielmehr hat Putin Assad ein Geschäft vorgeschlagen, dass er nicht ablehnen konnte. Russland unterstützt Assad militärisch, hält diesen damit an der Macht und im Gegenzug wahrt der Kreml seinen Einflussbereich im Nahen Osten. Syrien ist ein enger Verbündeter Russlands in der arabischen Welt, beispielsweise unterhält Moskau in Syrien seinen einzigen Marinestützpunkt außerhalb des postsowjetischen Raumes. Putins Solidarität beruht damit vor allem auf der Macht- und Interessenskalkulation, seinen geopolitischen Einfluss in der Region nicht zu verlieren. Das allerdings versucht er zu verbergen, indem er die Kooperation mit den Gegnern des Islamischen Staats sucht, eine Ost-West-Anti-Terror Koalition forciert und somit einen Rahmen wechselseitiger Verpflichtungen schaffen möchte. Koalition, wechselseitige Verpflichtungen und einen gemeinsamen Feind, gegen den es sich abzugrenzen gilt. Alles konstitutive Merkmale von Solidarität. Dass er dabei im vermeintlichen Kampf gegen den Islamischen Staat sein Image aufpoliert, während eigentlich seine dem Machterhalt dienende Solidarität mit Assad im Vordergrund steht, ist nur schwerlich zu ertragen.
Das kriegsmüde Amerika ist gespalten, einerseits soll der Einflussbereich im arabischen Raum bewahrt werden, andererseits schreckt man vor ernsthaften militärischen Auseinandersetzungen zurück. Eine explosive Mischung, nach dem Truppenabzug versinkt der Irak wieder Chaos, gegen den Islamischen Staat konnte man bisher auch keine nennenswerten Erfolge verbuchen und in Syrien hat Amerika auf ganzer Linie versagt. Dabei könnte man meinen, dass hinter dem amerikanischen Solidaritätsverständnis mehr steckt, als dies bei Russland der Fall ist. Obama unterstützt in Syrien die moderate Opposition mit dem Ziel, in absehbarer Zeit Assad vom Thron zu stoßen. Gewissermaßen heißt das, Amerika und die moderate Opposition stellen ein Bündnis dar, das den menschenverachtenden Praktiken Assads entgegentritt. Das wiederum impliziert eine ähnliche Einstellung, was Werte und Normen angeht und grenzt sich damit zu Russland ab. Damit ist den USA eine moderat vorhandene normative Fundierung ihrer praktizierten Solidarität nicht abzusprechen. Angesichts des bereits angesprochenen Giftgasangriffs jedoch, wäre es Amerikas Pflicht gewesen militärisch zu intervenieren und damit den normativen Anspruch ihres Solidaritätsverständnisses zu bekräftigen. Bedauerlicherweise ist dies ausgeblieben und Amerika somit am eigenen Anspruch gescheitert. Im Sommer 2014 wurden dennoch erste amerikanische Luftangriffe in Syrien gemeldet, allerdings nur aufgrund des IS, der in Teilen Syriens ein Islamisches Kalifat ausgerufen hat. Ernsthafte Bemühungen um den Bürgerkrieg in Syrien zu beenden und Assad zu stürzen sind damit nicht vorhanden. Amerikas Solidaritätsverständnis liegen also vor allem Präferenzen zugrunde, die abhängig von den Interessen der USA geordnet werden. Dass normative Präferenzen dabei eine untergeordnete Position einnehmen ist nur schwer zu begreifen und ein Schlag ins Gesicht des syrischen Volks.
Die Türkei spielt in Syrien ein besonders makabres Spiel. Solange der IS das syrische Regime, ein erklärter Feind Ankaras, bekämpft hat und die Türkei dabei weitgehend in Ruhe ließ, hat Ankara den IS gewähren lassen. Dabei ist das „gewähren lassen“ eine Form der passiven Solidarität4. Ankara hat den IS zwar nicht aktiv unterstützt, jedoch auch nichts unternommen, als IS Kämpfer die syrisch türkische Grenze beliebig überquerten. Mittlerweile beteiligt sich die Türkei jedoch an internationalen Koalition gegen den Islamischen Staat, nach etlichen verheerenden Anschlägen in der Türkei. Doch auch ähnlich wie Russland, spielt die Türkei dabei ein doppeltes Spiel. Legitimiert, als Mitglied einer solidarischen Anti-Terror-Koalition, nimmt Ankara vor allem auch kurdische Rebellen unter Beschuss, vor den Augen der USA, die die Kurden sogar zeitweise unterstützten. Verkehrte Welt in Syrien.
Die mannigfaltigen Formen von Solidarität sind wie eben gezeigt nur schwer zu durchschauen und nachzuvollziehen, unterliegen sie je nach Akteur doch verschiedensten Grundlagen. Hieraus resultiert die inflationäre Verwendung und Pervertierung des Solidaritätsbegriffs. Auffallend an dem gewählten Beispiel des Syrienkonflikts, ist die Betonung und Fokussierung von Interessen, zumeist machtpolitischer Art. Und so wurde während meiner vorangegangenen Ausführungen eine unfreiwillig involvierte Akteursgruppe weitgehend außer Acht gelassen; das syrische Volk.
Seit dem Aufkommen der Proteste sind gut fünf Jahre vergangen und auf dem Schlachtfeld Syriens wurde zwischen zahlreichen Fronten, Großmachtbestrebungen und Wahrung des Einflussbereichs das syrische Volk terrorisiert, aufgerieben und marginalisiert. Der Krieg hat bisher knapp 300.000 Menschen das Leben gekostet, unter anderem durch Giftgas und Fassbomben der syrischen Armee. Ein Großteil des Landes ist völlig zerstört, dementsprechend beeindruckend lesen sich auch die Zahlen der Syrer, die ihrer Heimat den Rücken kehren, auf der Suche nach einem besseren Leben. Sage und schreibe 8 Millionen Syrer befinden sich auf der Flucht, 8 Millionen Menschen, die das Elend nicht mehr ertragen. Und an diesem Punkt kommt Europa wieder ins Spiel.
Angela Merkel und die Europäische Union oder wo Solidarität ansetzen sollte
Ausgehend vom syrischen Bürgerkrieg und weiteren zahlreichen Konflikten in der Region bekommt Europa die Folgen der chaotischen Zustände im Mittleren und Nahen Osten unmittelbar zu spüren, insbesondere seit Mitte des vergangenen Jahres. Damit ist Europa, obwohl nicht direkt am Kriegsgeschehen beteiligt, unmittelbar betroffen und Tausende Flüchtlinge bitten täglich vor den Toren Europas um Einlass.
Zu Beginn der Flüchtlingskrise wurde dem Thema keine allzu große Bedeutung anerkannt, zu gering waren die Flüchtlingszahlen und es gab drängendere Probleme, die es zu lösen galt. Erst angesichts überbordender und in ferner Zukunft nicht absehbarer Flüchtlingszahlen sah sich die Europäische Union gezwungen zu handeln, trotz zahlreicher vorangegangener Warnungen vonseiten Griechenlands und Italiens. Dabei hatten die beiden Problemkinder der Europäischen Union schlicht das geografische Pech direkt an das Mittelmeer anzugrenzen, sodass ihnen gar nichts anderes übrigblieb, als die ankommenden Flüchtlinge aufzunehmen. Da hat Deutschland natürlich eine weitaus komfortablere Situation, denn in geografischer Hinsicht ist Deutschland weit entfernt vom Mittelmeer. Und da wäre natürlich noch das Dublin-Abkommen zu nennen, dass Deutschland in der Flüchtlingsfrage lange Ruhe verschafft hat. Dem Dublin-Abkommen nach, müssten Asylsuchende theoretisch über Deutschland vom Himmel fallen um die Berechtigung zu erlangen, ihren Asylantrag in Deutschland stellen zu können. Und doch hat Deutschland, innerhalb Europas, einen Großteil der Flüchtlinge aus dem Jahr 2015 aufgenommen. Eine rationale oder wenigstens ansatzweise logische Erklärung gibt es dafür nicht, sondern ist vielmehr auf „Wir schaffen das“ zurückzuführen.
[...]
1 Lediglich Frankreich stellt hier eine Ausnahme dar und ist direkt militärisch involviert.
2 Barack Obama hatte in der Vergangenheit den Einsatz chemischer Waffen der syrischen Regierung gegen die Bevölkerung als „rote Linie“ bezeichnet, deren Überschreitung zu einer militärischen Intervention der USA führen wird.
3 Cohen, R.: Die zaudernde Weltmacht, 2014, S.121
4 vgl. Engler, M.: Zur Entstehung europäischer Solidarität, S.44f.
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- Samuel Kohnle (Autor), 2018, Solidarität bei Angela Merkel. Das Beispiel ihrer Asylpolitik, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/958980
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