Proseminar: Entwicklungsverläufe in Längsschnitten
Dr. Rosemarie Gauger
WS 97/ 98
Referat: Entwicklung nach Piaget
Referent: Matthias Werner
Jena, d. 11.12. 1997
Piaget (9.8.1896-16.9.1980)
Problem: Piaget ist, obwohl aus der Verhaltensbiologie kommend, zunächst erst einmal Epistemologe. Kinder- und Jugendpsychologie sind "nur" Aufhänger für erkenntnistheoretisches Interesse.
Starke Orientierung an Kant; Erkenntnis im Vollzug von Urteilen. Was für Klassen von Urteilen gibt es?
-analytische Urteile a priori:
Attribut ist im Objekt impliziert, bloße Explikation.
-synthetische Urteile a posteriori:
Attribut ist nicht im Objekt impliziert. Zuordnung auf Grund von sinnlich vermittelter Erfahrung.
-synthetische Urteile a priorie:
Grenze menschlichen Erkenntnisvermögens. Sinnliche Erkenntnis der absoluten/ methaphysischen Grundlagen.
Fällt Erkenntnisvermögen vom Himmel, oder gibt es Entwicklungsprozeße? Wie sehen sie aus?
Biologisch-strukturalistischer Ansatz
- exogenetische Grundannahmen
- Mensch als Gestalter seiner Entwicklung
- postuliert Ontogenese von Bewußtseinsstrukturen
- organismische Theorie
- Entwicklung als Konstruktionsschrittfolge
-Selbstorganisation in Richtung auf Effizienz und Widerspruchsfreiheit der Systeme
- neurophysiologische Reifung
- Beschreibung struktureller und formaler Merkmale
- HIRARCHIE; SYSTEM; SELBSTORGANISATION
Ein Kontinuum von grundlegendsten bis zu höchsten Erkenntnisvermögen wird angenommen!
Funktionale Invarianten des Kontinuums
Äußerer Aspekt
- Kräftemodell, Adaption:
- Akkomodation (Umwelt, Schema. Vergleichbar mit "Bottom up"* - Proze ß.)
- Assimilation (Schema, Umwelt. Vergleichbar mit "Top down"* - Prozez.)
*Verläuft immer gleichzeitig und gegensinnig.
- Mensch: Spontane und konstruktive Aktivität; im GS zu inneren (Psychoanalyse) und äußeren Kräften (Behaviorismus).
-Reife Adaption setzt optimale Balance zwischen Assimilations- und Akkomodationsaspekten voraus.
Innere Aspekte
+Organisation
+ Ganzheitlichkeit
+ Transformation
+ Selbstregulation
= Strukturcharakteristika
Instrumentelle Strukturen des Kontinuums
-sind variabel zwischen Entwicklungsstufen
-sind invariant innerhalb von speziellen Entwicklungsstufen
Inhalte des Kontinuums
-kulturelle/ individuelle Variablen innerhalb derselben Enteicklungsstufen
Entwicklung nach Piaget
Beschreibung als Perioden der kognitiven Ontogenese des Menschen:
(1) Periode der sensomotorischen Intelligenz; bis ca. 4 Jahre.
- erste kognitive Orientierung (cognoscere = erkennen)
- Umgang mit den konkreten Dingen im äußeren realen Anschauungs- und Wirkraum
- sensomotorische Schemata ( im Vollzug stetig wiederholter Realisierung /reproduktive Assimilation)
Reflexe oder Instinktkoordinationen »liberalisieren« sich, werden zu anwendbaren sensomotorischen Erkenntnisorganen
Koordination von Sinnes- und motorischen Aktivitäten zu immer umfassenderen und komplexer organisierten Gesamteinheiten (reziproke Assimilation)
- Vorform der später immer allgemeineren Organisations- und Korrdinationsformen
6 Unterstadien der sensomotorischen Entwicklungsperiode:
1 - angeborene Reflexe (0.- 1. Monat)
2 - Bildung erster Gewohnheiten/ primäre Zirkulärreaktionen(1 )/ erste Koordination sensomotorischer Schemata (ca. 1.-4. Monat)
3 - sekundäre Zirkulärreaktionen. (Stabilisierung nach Baldrin, 1925.); verstärkte Hinwendung zur Außenwelt; Vorstufen intentionalen Verhaltens (ca. 4- 8 Monate)
4 - Intentionales (Zielgerichtetes) Verhalten; Anwendung von Schemata (ca. 8-12 Monate)
5 - tertiäre(2 )Zirkulärreakrionen; experimentelles Vorgehen; Suche und Entdeckung neuer Mittel- Schemata
6 - Übergangsstadium: Beginnende Interiorisation und Entwicklung der Symbolfunktion; Objektpermanenz (ca. 18-24 Monate)
(2) Periode des voroperationalen Denkens: ca. 2 -7 Jahre, mit den beiden Unterperioden
I.- Entwicklung der Symbolfunktion, der Sprache, des vorbegrifflichen und transduktiven(3 )Denkens (ca. 2-4 Jahre)
- Fähigkeit mit Repräsentationen zu arbeiten; Reversibilität der Anschauung
- Unterscheidung von Zeichen und Bezeichnetem
- Nachahmungs-und Symbolspiele
zunehmend komplexere Sachverhalte, die räumlich/ zeitlich außer "Reichweite" sind, können repräsentiert werden
VERDOPPLUNG DER KINDLICHEN WELT (Dichotomie verläuft im Wesentlichen analog zu Descartes "res cogitans" und "res extensae".)
- Symbolfunktionen eröffnen neuen Kommunikationshorizont
- ausgeprägte Konkretheit des voroperationalen Denkens
II.- anschauliches (noch stark der Wahrnehmung verhaftetes) irreversibles Denken (ca. 4- 7 Jahre)
- spontane Zuordnung von Gegenständen
- optischer Eindruck bestimmt Glauben an Äquivalenz
- keine Kompensation von Wahrnehmungsaspekten (Ümschüttversuche; "Mogelpackungseffekt")
(3) Periode der konkreten Operationen: Reversibilität, Gruppierungen, aber noch stark der konkret-anschaulichen Realität verhaftet (ca. 7- 11 Jahre)
Erkennen als Tätigkeit, zunehmende Systematisierung, Dezentrierung (Erkennen von Invarianzen möglich (Umschüttversuch))
- Strukturmodell der Gruppierung A+B=C;
- Assoziativität 2+(3+4)=(2+3)+4
- Klassifikation
- infralogische Operationen (räumlich/ zeitliche Ordnung von Ereignissen)
- Hirarchisierung moralischer Werte
(4) Periode der formalen Operationen: formales, abstraktes hypothetisches Denken (ab ca. 11 Jahre)
- Überwindung des konkret-operatorischen Denkens ab 11 J.
- Wechsel vom Konkret-Wirklichen zum Hypothetisch-Möglichen
- zunehmende Abstraktion
- Systematisierung und Integration zu immer umfassenderen Gesamtstrukturen
- Identifizierung des Wirklichen als Sonderfall des Möglichen (Wenn ..., dann ... - Sätze)/ Kalkulation stochastischer Prinzipien
- Kombinatorik, Kausalanalyse
- formal-operatorische Schemata: Proportionalität, Wahrscheinlichkeit und Korrelation
- Egozentrismus
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Fußnoten
[...]
(1 ) Stabilisierung nach Baldwin, 1925. Vergleichbar mit Lernen nach Thorndike: operantes Konditionieren, "trail and error". Aber im Gegensatz zu verhaltensbiologischen Ansätzen sind generalisierte Schemata universell anwendbar.
(2 ) tertiär: 3-er Schritt zur Erfindung neuer Mittel.
1. -bekanntes Mittel versuchen
2. -Variationen bekannter Mittel
3. -Transformation eines alten zu einem neuen Schema
(3 ) transduktiv: Analogieschluß von Einzelfall zu Einzelfall.
- Citation du texte
- Matthias Werner (Auteur), 1997, Entwicklung nach Piaget, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95893
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