GLIEDERUNG
1. Einleitung
2. Bürokratisierung als Schicksal
1.1 Die ‘universelle Bürokratisierung’
1.2 Vom Begriff des ‘Schicksals’ zur Apologetik des Bestehenden
3. Webers Kulturkritik
3.1 Der ‘menschliche Typus’
3.2 Die Kritik des ‘Fachmenschen’
3.3 Das Umschlagen der Geschichte
3.4 ‘Gegen den Strom’
3.5 Nietzsches ‘unmöglicher Stand’
3.6 Zwischen Kulturpessimismus und individuellem Widerstand
4. Das sich selbst entwerfende Individuum
4.1 Die ‘Entzauberung’
4.2 Webers Persönlichkeitsbegriff
4.3 Das ‘Pathos der Distanz’
5. Kulturkritik und politisches Denken
5.1 ‘Persönlichkeit’ und politisches Führertum
5.2 Webers ‘Evangelium des Kampfes’
5.3 Politik als Kampf um Macht
5.4 Webers aristokratisches Politikverständnis
5.5 Die ‘Persönlichkeit’ als geschichtsmächtiges Individuum
6. Schluß
Verzeichnis der verwendeten Schriften Webers Auswahlbibliographie
Anmerkungen
1. EINLEITUNG
Mit einer Reihe von Zeitungsartikeln, Reden und Schriften setzte sich Max Weber im Rahmen des, seit Frühjahr 1917 ausgetragenen innenpolitischen Konfliktes um eine Wahlrechtsreform für die umge- hende Demokratisierung und Parlamentarisierung des Deutschen Reiches ein.[1] Wenn Weber die in diesem Zusammenhang entstandenen Beiträge auch als ‘politische Kampfschriften’ verstand, so läßt sich zwischen ihnen und seinen wissenschaftstheoretischen, herrschafts- und religionssoziologischen Arbeiten wohl kaum eine klare Trennlinie ziehen. Deutlich wird eine solche Verbindung zwischen ta- gespolitischem Engagement und ‘wissenschaftlicher’ Arbeit in Webers Kritik an der ‘unkontrollierten Beamtenherrschaft’ des Kaiserreiches und der Forderung nach der großen Führerpersönlichkeit. Gleichwohl Weber nach eigener Aussage in der Behandlung seiner Reformvorschlägen alle „großen inhaltlichen Kulturprobleme“ ausgeschaltet sehen will, stehen diese, in seinen Neuordnungsvorschlägen zentrale Elemente doch vor dem Horizont einer aus universalhistorischer Perspektive betriebenen Kul- turkritik. Kern dieser, in verschie denen, über sein Werk verstreuten Passagen entwickelten, kulturkriti- schen Auseinandersetzung mit der eigenen Gegenwart ist die Sorge um Individualität, Freiheit und Au- tonomie angesichts zunehmender Bürokratisierung, Rationalisierung und Intellektualisierung des moder- nen Lebens. Die Dichotomie zwischen angepaßtem ‘Fachmensch’ und sich selbst beherrschender ‘Persönlichkeit’, von der diese Kritik am Gegenwartsmenschen ausgeht, findet sich in Webers politi- schen Texten als idealtypischer Gegensatz von Beamten und Politiker wieder.
Wenn diese Verbindung zwischen kulturkritischem und politischem Denken im folgenden aufgezeigt werden kann, dann erscheinen Webers politische Arbeiten nicht mehr nur als Einsatz in der unmittelba- ren politischen Auseinandersetzungen, sondern darüber hinaus als Antwort auf das nach Webers Mei- nung entscheidende ‘Kulturproblem’; wie in Anbetracht der mit zunehmender Rationalisierung drohen- den ‘Versteinerung’ der Gesellschaft individuelle Freiheit und Selbstbestimmung aufrechtzuerhalten sind. Aus dieser Perspektive problematisiert Weber mit der Frage der ‘Führerauslese’ gleichzeitig die Möglichkeit, wie der politischen ‘Persönlichkeit’ angesichts der tendenziellen Hegemonie von utilitaristi- schen ‘Fachmenschen’, ein Höchstmaß an gesellschaftlichen Handlungsspielraum eröffnet werden kann, damit diese ihren subjektiven Wertvorstellungen gesellschaftliche Geltung verschaffen können. Es geht Weber - anders ausgedrückt - darum, als Gegengewicht gegen das für moderne Gesellschaften charakteristische Übergreifen eines formal-rationalen Wirtschafts- und Verwaltungshandelns auf die Lebenswelt und die verschiedenen gesellschaftlichen Subsysteme, politisches Handeln zu bewahren, unter dem er den Kampf von Persönlichkeiten um Macht zur Realisierung ihrer individuellen Ideale versteht. Aus dieser Problemstellung entwickelt Weber sein Konzept der ‘plebiszitären Führerdemokratie’. Im Folgenden soll versucht werden, den Faden offenzulegen, der, das kulturkritische und das politische Denken Webers verknüpfend, das Webers Persönlichkeitsideal mit politische Denken Webers verknüpfend, das Webers Persönlichkeitsideal mit seiner Apotheose des charismatischen Führers verbindet.
2. DIE BÜROKRATIE
Webers politische Neuordnungsvorschläge entwickeln sich auf zwei unterschiedlichen Ebenen. Lehnt Weber vor dem Hintergrund seines unbedingten Eintretens für eine deutsche Weltmachtpolitik die „unkontrollierte Beamtenherrschaft“ des Wilhelminismus radikal ab, [2] dann findet sich diese Kritik eingebunden in die Frage nach dem Schicksal der abendländischen Kultur unter den Bedingungen fortschreitender Rationalisierung. Insbesondere durch die zunehmende Herrschaft bürokratischer Verwaltungsapparat glaubt Weber sein Ideal eines freien ‘Menschentums’ bedroht zu sehen. Die geschichtlichen Entwicklungstendenzen der Rationalisierung in die Zukunft projizierend, befürchtet er das Einmünden der abendländischen Geschichte in ein ‘Gehäuse der Hörigkeit’, d. h. in eine durch totale Heteronomie charakterisierte Gesellschaftsordnung, in der der Mensch zum passiven Objekt einer zweckrational operierenden Verwaltungsmaschinerie reduziert wird.
2.1 DER PROZESS DER ‘UNIVERSELLEN BÜROKRATISIERUNG’
Der „nüchterne Tatbestand“,[3] daß die wirkliche Herrschaft in einem modernen Massenstaat „not- wendig und unvermeidlich in den Händen desBeamtentums“ liegt,[4] bildet den Ausgangspunkt der poli- tischen Reformvorschläge Webers. Dieser Zustand ist nach Weber Ergebnis eines dynamischen Mo- dernisierungsprozesses, in dessen Verlauf traditionale Formen der Herrschaftsausübung durch rationa- le, arbeitsteilige, fachmäßige und hierarchische bürokratische Organisationen ersetzt wurden,[5] und der nach Webers Auffassung im Begriff ist, sich der gesamten Welt zu bemächtigen.[6] Wesentlich gekenn- zeichnet ist diese ‘universelle Bürokratisierung’ für Weber durch die Tendenz, sich auf alle Lebensbe- reiche auszudehnen.[7] Die Bürokratisierung erscheint Weber damit in zweifacher Hinsicht als ‘univer- sell’; durch ihr Ausgreifen über Länder und Systemgrenzen hinweg und durch das immer tiefere Ein- dringen in den gesellschaftlichen Raum. Letztere Entwicklungstendenz ist dabei zentraler Gegenstand der Weberschen Kulturkritik, da er befürchtet, daß mit dem zunehmenden Einfluß von bürokratischen Herrschaftsapparaten auf den gesellschaftlichen Alltag sich der ‘Geist der Bürokratie’ den ihr unter- worfenen Menschen bemächtigt. Antrieb dieser, noch in die kleinsten Poren der Gesellschaft eindrin- genden Bewegung der modernen Bürokratie ist für Weber ihre technische Rationalität. Durch ihre „Berechenbarkeit“, d. h. ihre „Präzision, Stetigkeit, Disziplin, Straffheit und Verläßlichkeit“, sei sie die rationalste und damit überlegene Form der Herrschaftsausübung.[8] Entscheiden für Webers Denken ist aber, daß die Bürokratisierung aufgrund der ihr innewohnenden ‘Rationalität’ zu einem ‘unentrinnba- ren’ Prozeß und der aus ihr hervorgehende bürokratische Apparat durch seine Totalität und Spezialisie- rung zu einem nahezu unzerstörbarem Herrschaftsgebilde wird.[9] Im Gegensatz zu den zwar alleinherr- schenden, aber „noch höchst irrationalen Formen“ bürokratischer Herrschaft in der Spätantike, die selbst erst mit dem völligen Untergang der sie tragenden Kultur verschwunden wären, sei die moderne Bürokratie so eng mit der „modernen rationalen Lebensordnung“ verbunden, daß in Webers Vorstellung ihre „Unentrinnbarkeit ganz wesentlich endgültiger verankert“ ist.[10]
2.2 VOM BEGRIFF DES ‘SCHICKSALS’ ZUR APOLOGETIK DES BESTEHENDEN
Diese Analyse der Bürokratie ist Teil jenes universalgeschichtlichen Projekts Webers, in dem er aus der Perspektive gegenwärtiger ‘Kulturprobleme’ die Entstehung der westlichen Zivilisation zu rekon- struieren sucht. Zentrale Bedeutung für die Genese der Moderne hat in diesem Geschichtsmodell be- kanntlich der ‘okzidentale Rationalismus’, als dessen Träger vor allem die Bürokratie und der moderne Kapitalismus erscheinen. Entscheidend für Webers Positionierung zur abendländischen Moderne ist die Einschätzung, daß den ihre Genese bestimmenden Entwicklungen - Entstehung des modernen, markt- orientierten, arbeitsteiligen, industriellen Kapitalismus, Bürokratisierung und Intellektualisierung - das objektive Merkmal der „Unentrinnbarkeit“ zukommt. Diese drei Prozesse, deren Koinzidenz und Wechselwirkung nach Weber die Moderne zu dem gemacht hat, was sie ist, konzeptionalisiert er als dynamische, unvermeidliche und irreversible Bewegungen, die in ihrem Verlauf schicksalhafte Qualität gewonnen haben. In diesem Geschichtsbild entstehen aus dem kontingenten Zusammentreffen histo- risch einmaliger Umstände übermächtige Entwicklungsstrukturen; wird die Entzauberung zum „Schic k- sal der Kultur“, die Bürokratisierung zur „unentfliehbaren Macht“ und der Kapitalismus zur „schic k- salsvollsten Macht des modernen Lebens“.[11] Da das Schicksal per definitionem keine Handlungsalter- nativen eröffnet, der menschlichen Einwirkung also entzogen ist, kann es aus Webers Perspektive ‘sachlich’ nicht Gegenstand kritischer Bewertung sein. Vielmehr gelte es, aus „intellektueller Recht- schaffenheit“ diese übermächtigen Entwicklungen anzuerkennen, sie „männlich zu ertragen“: „Denn Schwäche ist es: dem Schicksal der Zeit nicht in sein ernstes Antlitz blicken zu können.“[12] In dem er in dieser Form den antiken Schicksalsbegriff in die Gegenwartsanalyse integriert, dichtet Weber die durch bürokratische Herrschaftsapparate und kapitalistische Erwerbswirtschaft bestimmten gesellschaftlichen Strukturen gegen jede nichtimmanente Kritik ab. Dieses Geschichtsmodell läßt sich dabei als direkte Antwort auf Marx verstehen. Hatte dieser im Achtzehnten Brumaire erklärt: „Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, son- dern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen“,[13] dann hält Weber dem entgegen, daß, wenn auch die Geschichte prinzipiell nicht der menschlichen Bearbeitung entzogen sein mag, die Realität der Moderne so beschaffen ist, daß in Form von Kapitalismus und Bürokratie die gesellschaftlichen Strukturen eine solche Dynamik und Gewalt angenommen haben, daß ihre Beein- flussung unmöglich ist. Deutlich wird diese Haltung, wenn Weber an die Feststellung, die moderne Ge- sellschaft folge auf „technisch verbesserter, rationalisierter also noch weit stärker mechanisierter Grundlage“ dem Beispiel des antiken Ägyptens, anschließt: „Die Frage, die uns beschäftigt, ist nun nicht: Wie kann man an dieser Entwicklung etwas ändern? - Denn das kann man nicht. Sondern: Was folgt aus ihr?“[14] Weber tritt hier nicht in der Rolle des Gesellschaftskritikers auf, um gegebene Struktu- ren im Namen möglicher besserer anzugreifen, sondern droht mit seinem Glauben an das Schicksal in eine Apologetik des Bestehenden zu verfallen, aus der heraus er, die vermeintliche Eindeutigkeit der ‘Realitäten des Lebens’ im Rücken, seine Denunziation derer vorantreibt, die Alternativen für möglich halten. Alle über eine immanente Kritik hinausgehenden Positionen verweist er bedenkenlos ins Reich der Literatur, indem er mit dem Konzept von sich zum Schicksal verdichtenden Entwicklungen glaubt, die Grenze des sachlich Sagbaren gezogen zu haben. Derjenige, der die zunehmende und irreversible Herrschaft bürokratischer Apparate unter den Bedingungen einer entfalteten kapitalistischen Industrie- gesellschaft nicht als unvermeidliche Tatsache anerkennen will, befindet sich für Weber nicht auf der Höhe der „spezifisch modernen Problemlage“.[15] Wer trotz der vermeintlichen Eindeutigkeit dieser ‘Le- benstatsachen’ eine Gesellschaft ohne Bürokratie oder gar ohne eine ‘Herrschaft des Menschen über den Menschen’ für möglich hält, der bekommt von ihm den Status eines realitätsfernen, weltflüchtigen, unsachlichen und unverantwortlichen Literaten zugewiesen. Dieser, aus der These von der „Unaufhalt- samkeit des Fortschritts der bureaukratischen Mechanisierung“[16] und der „Unzerstörbarkeit“ der ent- standenen bürokratischen Herrschaftsorganisationen unter den Bedingungen der modernen Gesell- schaft gewonnene Vorwurf der Unsachlichkeit richtet sich dabei nicht zuletzt gegen sich auf Marx und Engels berufende Positionen, die mit dem Untergang des Kapitalismus den Eintritt in das ‘Reich der Freiheit’ verbinden.[17] Aus der Perspektive Webers steht diese, wie jede andere, auf einschneidende Veränderung zielende Gesellschaftskritik, unterhalb des Niveaus der Geschichte.
3. WEBERS KULTURKRITIK
3.1 DER ‘MENSCHLICHE TYPUS’
Während die verschiedenen Rationalisierungsprozesse und die aus ihnen entstandenen gesellschaft- lichen Strukturen aus Webers Perspektive nicht Gegenstand sachlicher Kritik sein können, entwickelt er sein spezifisch kritischen Moment in der Auseinandersetzung mit der Frage nach den Konsequenzen der die Moderne bestimmenden Entwicklungen für den Menschen. Erst mit dieser Problematisierung der ‘Zukunft des Menschentums’ sieht Weber sich das „Gebiet der Wert- und Glaubensurteile“ betre- ten, auf dem der „denkende Forscher aufhört und der wollende Mensch anfängt zu sprechen.“[18] Hier wird Weber zum Kulturkritiker, dem aus anthropologischer Perspektive bestimmte charakterologische Züge der unter den analysierten gesellschaftlichen Bedingungen lebenden Menschen zum Gegenstand seiner Wertung werden. Ausgehend von der Bestimmung, daß das entscheidende Kriterium zur Be- wertung gesellschaftlicher Beziehungen der „menschliche Typus“ ist, dem die jeweilige Ordnung durch „Auslese“ die „optimalen Chancen gibt, zum Herrschenden zu werden“,[19] stellt sich das für Weber zentrale Problem der Gegenwart als Frage nach dem ‘Schicksal des Menschentums“ angesichts eines sich vollendenden Rationalisierungsprozesses. Die Bedeutung dieser, eine nahe Verwandtschaft mit Nietzsches Denken verratende Frage nach dem durch die gesellschaftlichen Strukturen geformten ‘Typus’ wird schon in Webers Freiburger Antrittsvorlesung deutlich, in der es unter anderem um das Problem der „Qualitätdes Menschen“ geht, die durch die „ökonomischen und sozialen Daseinsbedingungen herangezüchtet“ würde.[20]
3.2 DIE KRITIK DES ‘FACHMENSCHEN’
In seiner konkreten historischen Gegenwart fällt für Weber die Frage nach dem ‘Schicksal des Menschentums’ zusammen mit der nach dem ‘Typus Mensch’, der unter den Bedingungen einer Kul- tur, die geprägt ist von spezialisierter, routinisierter und disziplinierter Berufsarbeit und den rationalen und unpersönlichen Operationen bürokratischer Verwaltungsapparate, ‘ausgelesen’ wird. Es geht We- ber, konkretisiert man den Begriff des ‘Typus’, um die Ausprägung von ‘Lebensstil’, ‘Mentalität’ oder ‘Habitus’ angesichts fortschreitender Rationalisierung aller gesellschaftlichen Beziehungen.
Webers Diagnose folgend, haben die beiden auf „Rechenhaftigkeit“ beruhenden, „dem gegenwärtigen Zeitalter und der absehbaren Zukunft den Stempel“ aufdrückenden Organisationsformen kapitalisti- scher Betrieb und bürokratischer Verwaltungsapparat ein „stählernes Gehäuse“ geschaffen, daß „das geistige Antlitz des Menschengeschlechts fast bis zur Unkenntlichkeit verändert hat und weiter verän- dern wird“.[21] Diese Entwicklungstendenzen fortschreibend, glaubt Weber im „undurchdringlichen Ne- bel der Zukunft der Menschengeschichte“ eine Gesellschaft „mechanisierter Versteinerung“ ‘herauf- dämmern’ zu sehen, die hinsichtlich der von den ihr unterworfenen Menschen erzwungenen ‘Gefügig- keit’ der ‘orientalisch-ägyptischen Gesellschaftsgliederung’ gleiche, im Gegensatz zu dieser aber „so streng rational wie eine Maschine“ sei. [22] Die zunehmend auch den Alltag beherrschende „rationale Disziplin“[23] von kapitalistischer Fabrik und bürokratischer Verwaltung sind nach Webers Befürchtung bereits „an der Arbeit, das Gehäuse jener Hörigkeit der Zukunft herzustellen, in welche dereinst die Menschen sich, wie die Fellachen im altägyptischen Staat, ohnmächtig zu fügen gezwungen sein wer- den“.[24] Dieses Bild totaler Heteronomie verwendet Weber keineswegs als rhetorische Zuspitzung von Gegenwartsproblemen, sondern für ihn liegt dieser Zustand unleugbar als reale „Möglichkeitim Scho- ße der Zukunft“.[25] Entsprechend der Frage nach dem Typus, besteht für Weber das sich aus dieser Entwicklung stellende entscheidende ‘Kulturproblem’ in dem „Geist, der in diesem Gehäuse heute lebt“.[26] Seiner Diagnose zufolge, ist dieser ‘Geist’ durch die Anpassung an den disziplinierten und routi- nisierten Alltag durch ein zunehmend utilitaristisches Weltverhältnis charakterisiert. Der durch Rechen- haftigkeit’ und ‘rationales Kalkül’ bestimmte instrumentelle Charakter von Bürokratie und Kapitalismus begünstigt nach Webers Einschätzung eine Form der ‘Lebensführung’, die sich dadurch auszeichnet, daß nicht nur jeder „zu einem Rädchen in dieser Maschine“ würde, sondern darüber hinaus „innerlich zunehmend darauf abgestimmt“ sei, „sich als ein solches zu fühlen“.[27] Eine der zentralen Befürchtun- gen Webers für die Zukunft ist der Zustand einer Welt, die „mit nichts als jenen Rädchen, also mit la u- ter Menschen angefüllt sein soll, die an einem Pöstchen kleben und nach einem etwas größeren Pöstchen streben“.[28] Das zur drohenden Hegemonie dieses „Ordnungsmenschen“ zugespitzte Zukunftsbild und die aus seiner Sicht affirmative Haltung seiner Zeitgenossen zu diesem Prozeß bilden zwei wesentliche Momente der Weberschen Gegenwartskritik.
„Es ist“, so seine resignierte Zustandsbeschreibung, „als ob wir mit Wissen und Willen Menschen werden sollten, die Ordnung brauchen und nichts als Ordnung, die nervös und feige werden, wenn diese Ordnung einen Augenblick wankt, und hilflos, wenn sie aus ihrer ausschließlichen Angepaßtheit an diese Ordnung herausgerissen werden.“[29]
In der Dominanz ‘bürokratischer Lebensideale’, in der Kolonisierung der Welt durch „Ordnungsmen- schen“ und „Fachmenschen ohne Geist“, d. h. durch opportunistische und disziplinierte „Berufsmen- schen“, die sich affirmativ in die Maschinerie einer bürokratisch-kapitalistischen Gesellschaft einfügen und ihr Handeln ausschließlich an zweckrationalen Gesichtspunkten orientieren, identifiziert Weber nicht nur die möglichen, sondern die zunehmend wahrscheinlichen Konsequenzen der ‘rationalen Ver- gesellschaftung’. Weber kritisiert also, um mit Habermas zu reden - eine Erweiterung der Subsysteme zweckrationalen Handelns auf Kosten aller übrigen Formen des Handelns. In einer Kultur in der die Maschine zum Modell gesellschaftlicher Organisation, in der Zweckrationalität zur einzig handlungsle i- tenden Orientierung wird, droht das Individuum zum funktionalen Instrument innerhalb dieses Getriebes reduziert zu werden und nicht mehr in der Lage zu sein, die unmittelbar vorgefundenen Lebensbedin- gungen zu transzendieren und nach ‘Höherem’ zu streben.
3.3 DAS UMSCHLAGEN DER GESCHICHTE
Aus universalhistorischer Perspektive begreift Weber die zunehmende Dominanz einer utilitaristi- schen Lebensführung als Verdrängungsprozeß im „Kampf des ‘Fachmenschen’-Typus gegen das alte ‘Kulturmenschentum’“.[30] In einer von Rationalisierung und Spezialisierung geprägten Moderne geht seiner Meinung nach die „faustische Allseitigkeit des Menschen“ verloren und es hieße „entsagenden Abschied“ zu nehmen, „von einer Zeit vollen und schönen Menschentums“.[31] In dem er in dieser Form die Geschichte des Abendlandes als Aufstieg des ‘Berufsmenschen’ bei gleichzeitiger Verdrängung des ‘Kulturmenschen’ konstruiert, findet sich bei Weber der Gedanke eines dialektisch umschlagenden Geschichtsprozesses. Stand nach Weber am Anfang des modernen Kapitalismus und damit der gesam- ten modernen Kultur die christliche Askese und die aus ihr hervorgehende rationale Lebensführung auf Grundlage der Berufsidee, so richteten sich in der folge die durch den Puritanismus ausgelösten Ent- wicklungen gegen diesen selbst und drohen ihn schließlich zum Verschwinden zu bringen. „Der Purita- ner wollte Berufsmensch sein, - wir müssen es sein.“ Aus dem einst „dünnen Mantel“ der Askese sei durch „Verhängnis“ ein „stahlhartes Gehäuse“ geworden:
Sie half „jenen mächtigen Kosmos der modernen [...] Wirtschaftsordnung erbauen, der heute den Lebensstil aller einzelnen, die in dies Triebwerk hineingeboren werden [...] mit überwälti- gendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird , bis der letzte Zentner fossilen Brenn- stoffs verglüht ist.“ Durch das Auswirken der Askese in der Welt „gewannen die äußeren Gü- ter dieser Welt zunehmende und schließlich unentrinnbare Macht über die Menschen, wie nie- mals zuvor in der Geschichte. Heute ist ihr Geist [...] aus diesem Gehäuse entwichen. Der sieg- reiche Kapitalismus bedarf, seit er auf mechanischer Grundlage ruht, dieser Stütze nicht mehr.“[32]
Weber befürchtet, daß am Ende dieser „ungeheuren Entwicklung“ die Gesellschaft in „mechanisierter Versteinerung“ erstarrt und - Nietzsches Vorrede desZarathustraaufgreifend - ausschließlich von jenen „letzten Menschen“, die „das Glück erfunden haben“ und die Sehnsucht nicht kennen bewohnt wird. Seine Zukunftsvision hinsichtlich der europäischen Kulturentwicklung mündet schließlich in dem Bild von den „Fachmenschen ohne Geist“ und den „Genußmenschen ohne Herz“, deren Weltverhältnis durch den „reinen Utilitarismus“ bestimmt seien.[33]
3.4 ‘GEGEN DEN STROM’
Weil Weber die Bürokratisierung nicht als Ausbreitung einer bestimmten Herrschaftsform, sondern nur in dem beschränkten Sinne einer Ausweitung ‘bürokratischer Lebensideale’ kritisiert, muß die Hal- tung seiner Zeitgenossen für ihn von zentraler Bedeutung sein. So wird seiner Meinung nach jenes ‘Gehäuse der Hörigkeit’ dann zum „unentrinnbaren Schicksal“ werden, wenn den gegenwärtigen Men- schen „eine rein technisch gute und das heißt: eine rationale Beamtenverwaltung und -versorgung der letzte und einzige Wert ist, der über die Art der Leitung ihrer Angelegenheiten entscheiden soll“.[34] A- ber eben diese „Leidenschaft für die Bürokratisierung“ scheint Weber für seine Zeitgenossen charakte- ristisch zu sein.[35] Während er selbst in einem rein instrumentellen Weltverhältnisses eine substantielle Bedrohung der Freiheit diagnostiziert, glaubt er sich einem Zeitgeist gegenüberzustehen, der diese Ge- fahr als Fortschritt begrüßt. Gegenüber diesem sich in einer „kritiklosen Verherrlichung der Bürokrati- sierung“ und in „Beifallssalven für das Maschinenwesen auf dem Gebiet der Verwaltung und Politik“ äußernden Fortschrittsglauben zählt sich Weber zu der „verschwindend geringen Zahl“ der „anders Denkenden“, die nach anderen als solchen rein technischen Maßstäben“ riefen.[36] Für ihn ist diese Apo- logetik des Fortschritts gleichbedeutend mit einem weiteren Schritt in Richtung auf das ‘Gehäuse der Hörigkeit’. Im Gegensatz zum Fortschrittsglauben erkennt Weber keine „Wahlverwandtschaft“ der Rationalisierung mit Demokratie, Freiheit und Individualismus, sondern vielmehr mit zunehmender ‘Verknechtung’. Für ihn sind es vor allem die „ökonomischen Wetterzeichen“, die „nach der Richtung zunehmender »Unfreiheit«“ weisen.[37] Nicht zunehmende Freiheit, sondern „Uniformierung des äuße- ren Lebensstils an der Hand der ‘standardization’ der Produktion“ sei, so Weber, die universelle Wir- kung der „rationalen Gestaltung des äußeren Lebens“.[38] Im Gegensatz zu einen hoffnungsvollen Gla u- ben an Fortschritt und Geschichte ist Weber der Überzeugung, daß prinzipiell keine „praktischen Wer- tungen“ aus noch so eindeutigen „Entwicklungstendenzen“ ableitbar sind.[39] Weil die ökonomischen und sozialen, durch Rationalisierung und Differenzierung gekennzeichneten Entwicklungstendenzen der modernen Gesellschaft seiner Befürchtung nach nicht die Befreiung des Menschen, sondern vielmehr seine zunehmende Disziplinierung wahrscheinlic h machen, wählt er die tragische Rolle deshomme révoltégegenüber den übermächtig erscheinenden Tendenzen der Geschichte und dem mit diesen sich im Einklang befindenden Zeitgeist: „»Wider den Strom« der materiellen Konstellationen sind wir »Indi- vidualisten« und Parteigänger »demokratischer« Institutionen“, die sich nicht wie eine „Schafherde“ regieren lassen wollen. Wer dagegen „Wetterfahne einer »Entwicklungstendenz« sein will“, der müsse die „altmodischen Ideale“ von Freiheit und Individualismus schnellstmöglich aufgeben.[40]
3.5 NIETZSCHES ‘UNMÖGLICHER STAND’
Indem Weber in der Rationalisierung die Möglichkeit von Entindividualisierung und Verknechtung angelegt sieht, greift er einen Topos der Kritik an der Moderne auf, der sich auch bei Nietzsches findet. Ähnlich wie Weber hält auch dieser die Industrialisierung nicht für einen linearen Weg zu Freiheit und Wohlstand, sondern sieht sie vielmehr in eine „Fabrik-Sklaverei“ führen, in der der Einzelne zum aus- tauschbaren Instrument herabgestuft die „Schande“ ertragen müsse, „als Schraube einer Maschine und gleichsam als Lückenbüßer der menschlichen Erfindungskraftverbrauchtzu werden“. Wie Weber, so klagt auch Nietzsche die „unpersönliche Verknechtung“ an und fragt nach den „Summen inneren Wer- tes“, die „für ein solches äußerliches Ziel weggeworfen werden“. Angesichts der nivellierenden Ten- denzen der Moderne geht es Nietzsche - parallel zu dem noch zu behandelnden Persönlichkeitsbegriff Webers - darum, ‘Herr über sich selber zu werden’, statt sich funktional in die „unanständige Knecht- schaft“ des „maschinellen Getriebes“ einbinden zu lassen und einen Preis zu haben, „für den man nicht mehr Person bleibt, sondern Schraube wird“. Mit der Problematisierung des ‘Typus’ übernimmt Weber die aus dieser Dekadenzerzählung gewonnene Frage Nietzsches an den Gegenwartsmenschen: „Wo ist aber euer innerer Wert, wenn ihr nicht mehr wißt, was frei atmen heißt? Euch selber nicht einmal not- dürftig in der Gewalt habt?“ [41]
3.6 ZWISCHEN KULTURPESSIMISMUS UND INDIVIDUELLEM WIDERSTAND
Jenseits der Tatsachenerkenntnis, die für Weber die einzig legitime Form wissenschaftlicher Tätig- keit begrenzt, finden sich in seinen historischen, wissenschaftstheoretischen, soziologischen und politi- schen Arbeiten Fragmente einer Kulturkritik, in denen die Spekulation über die Zukunft des Menschen im Angesicht zunehmender Rationalisierung getragen wird von einem pessimistischen Grundton, der sich deutlich abhebt von der ‘Nüchternheit’ seiner wissenschaftlichen Texte. Die Rationalisierung wird hier als unabwendbarer schicksalhafter Prozeß konstruiert, der im ‘stählernen’ Gehäuse’ einer erstarr- ten Gesellschaft zu münden droht, wenn der Mensch der Gegenwart weiter wie bisher sein Handeln und Denken an den zweckrationalen Operationen der bürokratisch-kapitalistischen modernen Gesell- schaft orientiert und sich so der Möglichkeit einer individuellen, freien und leidenschaftlichen ‘Lebens- führung’ beraubt. Mit dieser Kulturkritik zeigt sich das ambivalente Verhältnis Webers zum Rationali- sierungsprozeß; war dieser auf der einen Seite Voraussetzung zur Herausbildung jenes ‘Kulturmen- schentums’, mit dem Weber sich rückhaltlos identifiziert, scheint mit fortschreitender Rationalisierung diese Form der Lebensführung durch den ‘Typus’ des ‘Fachmenschen’ verdrängt zu werden. Ohne die Errungenschaften der Rationalisierung leugnen zu wollen, geht es Weber darum, den Glauben an den Fortschritt oder an ein kommendes Eintreten in das ‘Reich der Freiheit’ zu erschüttern, indem er auf die möglichen Kosten im Sinne einer ‘Herabformung’ des Menschen hinweist. Aus seiner Perspektive sind Kapitalismus und Bürokratie - auf dem gegebenen zivilisatorischen Niveau - zwar unvermeidliche Bestandteile der modernen Kultur, aber gleichzeitig sieht er in ihnen auch jene Kräfte, die für die Zu- kunft das Bild einer erstarrten Gesellschaft prophezeien lassen.
Dabei findet sich in Webers Kulturkritik immer wieder der Widerspruch zwischen apokalytischen Schicksalsbewußtsein und dem Pathos individuellen Widerstandes. Avanciert Weber in einigen Passa- gen zum Kulturpessimisten, der über Pforte zur „unbekannten Zukunft des Menschengeschlechts“ die Worte derDivina Comedia- „lasciatne ogni speranza“ - zu sehen glaubt, [42] und der davon über- zeugt ist, daß nicht das „Blühen des Sommers“, sondern eine „Polarnacht von eisiger Finsternis und Härte“ vor ihm liegt,[43] so gewinnt für ihn in Anbetracht der zunehmenden Unmöglichkeit einer individu- ellen, freien und selbstbestimmten Lebensführung und der tendenziellen Hegemonie des ‘Ordnungs- menschen’ das Problem des Widerstandes gegen die uniformierenden und nivellierenden Tendenzen der Moderne entscheidende Bedeutung. Die „zentrale Frage“ seiner Gegenwart sei, so Weber, „was wir dieser Maschine entgegenzusetzen haben, um einen Rest des Menschentums freizuhalten von die- ser Parzellisierung der Seele, von dieser Alleinherrschaft bureaukratischer Lebensideale“.[44]
4. DIE ‘PERSÖNLICHKEIT’ ALS IDEALTYPUS
4.1 DIE ‘ENTZAUBERUNG’
Nicht nur zunehmende Rationalisierung, sonder auch die ‘Entzauberung der Welt’ machen für We- ber die Rückkehr zu seinem Ideal des ‘Kulturmenschentums’ unmöglich. Mit der Zerstörung jedes objektiv gültigen ethischen Bezugspunktes durch zunehmende „Intellektualisierung und Rationalisie- rung“ verliert ein solcher einheitlicher, kulturell geprägter Typus bei ihm seine Voraussetzung. Die Vor- herrschaft einer auf technische Beherrschung abzielenden Rationalität verdrängt nach Weber nicht nur die Religion ins „Reich des Irrationalen“, sondern führe auch zu einem Verschwinden geteilter Normen, der „letzten und sublimsten Werte“, aus der Sphäre der „Oeffentlichkeit“.[45] Die Entzauberungsthese liest sich dabei weitgehend analog zum Diktum vom ‘Tod Gottes’, geht aber in der Feststellung, man lebe in einer „gott- und prophetenlosen Zeit“ über Nietzsche hinaus.[46]
Träger des die Moderne charakterisierenden Intellektualisierungsprozesses ist für Weber die moderne Naturwissenschaft, die ihr zerstörerisches Potential weniger durch die Zunahme erfahrungswissen- schaftlicher Erkenntnis, als vielmehr durch den ihren Zugang zur Welt bestimmenden Anspruch, „alle Dinge [...] durch Berechnen beherrschen“ zu können, entfaltet.[47] Eine durch den Glauben an die Mög- lichkeit vollständiger Erkenntnis und Beherrschung des Lebens charakterisierte Wissenschaft wird bei Weber zur „spezifisch gottfremden Macht“,[48] die nicht nur jeden einheitlichen sinnstiftenden Bezugs- punkt untergräbt, sondern darüber hinaus auch den Zweck des eigenen Tuns nicht zu formulieren in der Lage ist. [49]
Die Konsequenz des Entzauberungsprozesses ist es, daß im Bereich der Wertordnungen keinerlei ver- bindliche Verständigung mehr möglich ist und die verschiedenen normativen Standpunkte auseinander und in einen „unlöslichen Kampf“ eintreten:[50] „Die alten vielen Götter [...] entsteigen ihren Gräbern, streben nach Gewalt über unser Leben und beginnen untereinander wieder ihren ewigen Kampf.“[51] Die Moderen ist danach nach Weber durch einen Zustand der „Sinnlosigkeit“ gekennzeichnet, indem weder Wissenschaft noch Religion als letzte Gewißheiten garantierende Instanzen auftreten können und statt dessen einander sich ausschließende Wertsystem auf den Plan treten. Zwischen diesen kann es nach Weber keinerlei rationale Verständigung geben, da die verschiedenen Wertmuster in einem prinzipiell „unlöslichem“ und „ewigen“ Kampf ständen.[52] Angesichts dieses ‘Grundsachverhaltes’ des „ewigen Kampfes jener Götter miteinander“, d. h. angesichts der „Unvereinbarkeit und also U- naustragbarkeit des Kampfes der letzten überhaupt möglichen Standpunkte zum Leben“ [53] ist das Indi- viduum aus Webers Sicht in die Situation versetzt, sich zwischen den verschiedenen Wertmustern zu entscheiden. In einer Zeit, in der nichts wahr und alles erlaubt ist, muß diese Entscheidung letztlich unbegründet bleiben: „die Geltung solcher Werte zu beurteilen, ist Sache des Glaubens “.[54] Ähnlich wie hinsichtlich der Bürokratisierung wird auch in der Konzeption des „Polytheismus“ dem Menschen der Einfluß auf die geschichtliche Entwicklung - hier auf die Konkurrenz der verschiedenen Wertopti- onen - entzogen, da „über„über diesen Göttern und in ihrem Kampf [...] das Schicksal“ walte.[55]
4.2 WEBERS PERSÖNLICHKEITSBEGRIFF
Während der Monotheismus und die mit ihm verbundene ethisch-methodische Lebensführung nach Weber in der Lage waren eine einheitliche „Weltanschauung“ und Ethik zu etablieren, wird in einer Zeit, in der die ‘Entzauberung’, d. h. die Zerstörung dieses metaphysisch verankerten einheitlichen Be- zugspunktes, das unvermeidlichen „Schicksal der Kultur“ [56] ist, die Frage nach der Möglichkeit einer sinnvollen Lebensführung zentral. Eine solche ist für ihn nur dann möglich, wenn der in der entzauber- ten Welt auf sich selbst zurückgeworfene einzelne sich zwischen den verschiedenen konkurrierenden Wertsystemen entscheidet: Die „Forderung des Tages“ sei es daher, daß „jeder den Dämon findet und ihm gehorcht, der seines Lebens Fäden hält“.[57] Die Fähigkeit, diese Entscheidung bewußt und ver- bindlich zu treffen macht bei Weber die ‘Persönlichkeit’ aus, die damit in seinem Denken zu derjenigen Instanz wird, die in der Lage ist, das durch den ‘Tod Gottes’ entstandene Vakuum in der Sinndeutung der Welt zu füllen.[58]
Dieser Begriff der Persönlichkeit fungiert dabei implizit als normative Fundierung der Weberschen Gegenwartskritik. Wenn - anders ausgedrückt - die Perspektive seiner Gesellschaftsdiagnose gebildet wird durch die Frage nach dem Typus Mensch, der durch die gesellschaftlichen ‘Ordnungen und Mächte’ geformt wird, dann muß Weber, um zu einer kritischen Position zu gelangen, wie sie in der Ablehnung der Fach- und Berufsmenschen angelegt ist, in der Lage sein, einen nicht nur positiv be- setzten, sondern auch unter den analysierten gesellschaftlichen Bedingungen realisierbaren Typus an- zugeben. Dieses Bewertungskriterium findet sich in Webers Konzeption des Individuum als ‘Persön- lichkeit’. Sie wird in Webers Denken zum Gegenmodell des Berufsmenschen und damit zu einer Option des Widerstehens gegen die beiden die moderne Kultur prägenden Entwicklungen - Bürokratisierung und Entzauberung - und ihren Konsequenzen - der Dominanz unpersönlicher Herrschaftsstrukturen, die die individuelle Freiheit gefährden und der Entzauberung, die die Formulierung allgemeinverbindlicher Werte unmöglich macht und so den Sinn des gesellschaftlichen Geschehens und des individuellen Han- delns problematisch werden läßt -. Die ‘Persönlichkeit’ ist sich der ‘tragischen’ Situation bewußt, in die es sich durch den „Polytheismus der Werte“ gestellt sieht. Im Bewußtsein der Auflösung verbindlicher religiöser Weltbilder, der Zerstö- rung der großen sinngebenden Konstruktionen von der christlichen Moral über den Vernunft- und Fort- schrittsglauben bis zur Revolutionsglauben des Sozialismus, also des Zerfalls einer metaphysischen Verankerung der Werte, sieht sie sich gezwungen, zwischen den in „unlöslichem Kampf“ verwickelten Idealen zu wählen, ohne über den Ausgang dieses Kampfes zu wissen oder entscheiden zu können.[59] Diese Wahl kann jenseits aller objektiven Gewißheiten nur aus ‘grundloser Überzeugung’ getroffen werden. Die einmal gewählten „höchsten und letzten Werturteile“ sind für Weber die „innersten Ele- mente“ der Persönlichkeit; sie würden das Handeln dieses selbstbestimmten Individuums leiten und seinem „Leben Sinn und Bedeutung“ verleihen.
Die Webersche ‘Persönlichkeit’ ist dabei nicht nur durch die Fähigkeit ausgezeichnet, diese Wahl be- wußt zu treffen, sondern ihr „Wesen“ liegt „in der Konstanz ihres inneren Verhältnisses“ zu den ge- wählten „letzten »Werten« und Lebens-»«Bedeutungen“[60]. Zwar hebt Weber den subjektiven und voluntaristischen Akt der Dezision hervor, beharrt aber gegenüber einem auf ‘Irrationalität’ setzenden ‘modischen Persönlichkeitskult’, auf einer reflexiven Rationalität der Persönlichkeit.[61] Die den moder- nen Bedingungen angemessene ethische Lebensführung ist bei Weber insofern als ‘rational’ gedacht, als sie der permanenten Anstrengung entspringt, sich der Bedeutung und praktischen Tragweite der eigenen Wertoption bewußt zu werden und das eigene Handeln widerspruchslos und dauerhaft an den persönlichen „letzten Werten“ zu orientieren.[62] Indem Weber diesen Rationalitätsbegriff korrelativ zu dem der Freiheit verwendet, wird deutlich, daß im Zentrum seines Persönlichkeitsmodells die Fähigkeit zu individueller Autonomie steht. Je rationaler, d. h. je eher man klar bewußte Zwecke mit angemesse- nen Mittel verfolgt, desto freier sei dieses Handeln.[63] Gegen eine „romantisch-naturalistische“ Ver- knüpfung von Freiheit und Irrationalität will Weber Willensfreiheit und Irrationalität als prinzipiell ge- gensätzliche Begriffe verstanden wissen. Nach ihm trägt jedes Handeln, das durch äußeren Zwang, Temperament oder Stimmung beeinflußt ist, das also irrational in dem Sinn ist, daß es nicht ausschlie ß- lich aufgrund „eigener Erwägung“ erfolgt, den „Charakter naturhaften Geschehens“. Das Spezifische der irrationalen Handlung sei nicht ihre vermeintliche Freiheit, sondern ihre ‘Unberechenbarkeit’, die sie mit derjenigen „blinder Naturgewalten“ teile und die für Weber allein das „Privileg des Verrückten“ ist.[64]
Die Nähe des Weberschen Persönlichkeitsbegriffs zu dem des Puritaners ist offensichtlich. Dieser dient ihm als historisches Beispiel für die Möglichkeit einer methodisch-rationalen, an allgemeinen Wer- ten orientierten Lebensführung. Ähnlich wie die Askese des Puritaners ein „Handeln als Werkzeug Gottes“[65] bedeutet, führt auch die ‘Persönlichkeit’, indem sie ihr Handeln bedingungslos ihrem ihren individuellen Idealen unterordnet. Im Gegensatz zum Puritaner und zu einer Zeit des Monotheismus sind diese ‘Götter’ und ‘Dämonen’ aber nicht mehr kulturell verbindlich, sondern stehen in einem per- manenten und unaufhebbaren Konkurrenzkampf. Nach dem unvermeidlichen Verschwinden des kultu- rell geprägten Typus des Puritaners, der aus einem einheitlichen Glauben heraus einen eindeutige ethi- sche Lebensführung entwickelte, tritt bei Weber die Einheit der Person an dessen Stelle. Nur diese ‘Persönlichkeit’ ist in der Lage, das Ideal des „Kulturmenschen“, der begabt ist mit der „Fähigkeit und dem Willen, bewußt zur Welt Stellung zu nehmen und ihr einen Sinn zu verleihen“, gegen die nivellie- renden Tendenzen der Moderne aufrechtzuerhalten.[66] Als Pate des Weberschen Persönlichkeitsbeg- riffs steht neben dem asketischen Puritaner und Nietzsches ‘Übermensch’ die Umdeutung des Subjekt durch die Romantik. Das Individuum der Romantik wollte nicht mehr an seinen Taten oder moralischen Qualitäten gemessen werden, sondern sein Wert hing davon ab, inwieweit es seinen ureigensten, als Ausdruck seiner inneren Natur verstandenen Zielen und Idealen treu zu bleiben imstande war.
4.3 DAS ‘PATHOS DER DISTANZ’
Erst mit der normativen Fundierung durch den Idealtypus der ‘Persönlichkeit’ werden die Umrisse der Weberschen Kritik an der Hegemonie der ‘Fach- und Ordnungsmenschen’ deutlich. Webers zent- rale Befürchtung war, daß das Individuum der Moderne in der „Menschenmaschine“ aus unpersönli- chen bürokratischen und kapitalistischen Herrschaftsstrukturen nicht nur zum Instrument reduziert würde, sondern unter den Bedingungen des routinisierten und disziplinierten Alltags auch zu einem ‘Ty- pus’ geformt, der sich diesen äußeren Bedingungen innerlich anpaßt. Diese Entwicklung zur Hegemo- nie des disziplinierten und opportunistischen Berufsmenschen und die mit ihr einhergehende Bedrohung von Individualität, Autonomie und Freiheit versteht Weber aber, im Gegensatz zur der sie auslösenden Rationalisierung selbst, nicht als schicksalhaften Prozeß. In Form der ‘Persönlichkeit’ glaubt er einen unter den konkreten gesellschaftlichen Bedingungen realisierbaren Typus gefunden zu haben, der trotz der freiheitsgefährdenden Tendenzen des routinisierten Alltags seine Individualität bewahrt. Das Krite- rium, welches die ‘Persönlichkeit’ zum idealtypischen Gegenmodell des Berufsmenschen macht ist dabei die Fähigkeit zur inneren Distanz.[67] Während Weber die Anpassung an die äußeren Lebensum- stände, die intellektuelle Einordnung als ‘Rädchen’ in die gesellschaftliche ‘Maschine’ und das daraus entstehende „einfache stumpfe Hinnehmen der Welt und des Berufes“[68] als Konsequenz eines Man- gels an Distanz deutet, wird für die ‘Persönlichkeit’ die Aufrechterhaltung dieser inneren Distanz zur Voraussetzung dafür, das eigene Handeln konsequent und dauerhaft an selbstgewählten Idealen orie n- tieren zu können, um sich so über die ‘rationale Disziplin’ des Alltags bzw. über den „ungeschiedenen vegetativen ‘Untergrund’ des persönlichen Lebens“[69] zu erheben und innerlich frei zu werden. Die „letzten Werturteile“ können dabei nach Weber nicht in der Anpassung, sondern nur im „Kampfe ge- gen die Widerstände des Lebens“ entwickelt werden.[70] Weber begründet so eine ‘Moral der Vor- nehmheit’, in der das Pathos der Distanz zur Bedingung der Möglichkeit von individueller Selbstherr- schaft und Freiheit in der Moderne wird. Da für Weber angesichts des Nihilismus eine naturrechtliche Begründung dieses Kampfes für Freiheit obsolet ist,[71] begründet er dieses Engagement mit dem Argu- ment, daß die mit den Menschenrechten verbundenen Errungenschaften so tief in die Kultur einge- drungen seien, daß ihm ein Leben ohne sie unmöglich scheint.[72]
5. KULTURKRITIK UND POLITISCHES DENKEN
5.1 PERSÖNLICHKEIT UND POLITISCHES FÜHRERTUM
Sucht man bei Weber nach möglichen Realisierung des Ideals der Persönlichkeit, dann findet man eine solche - in Übereinstimmung mit seinem eigenen Leben - nur in Form des Wissenschaftlers und des Politikers. Die von Weber an den Politiker gestellten Ansprüche entsprechen denen der ‘Persön- lichkeit’. Webers Idealtypus des Politikers findet sich in jenen „unabhängigen Persönlichkeiten“, die „fürdie Politik“ leben.[73] Wie die ‘Persönlichkeit’ eine ‘sinnvolle Lebensführung’ durch das an ‘höchs- ten Werten’ orientierte Handeln verwirklicht, so gilt auch für den Politiker, daß er sein „inneres Gleic h- gewicht und Selbstgefühl aus dem Bewußtsein“ erlangt, „durch Dienst an einer ‘Sache’ seinem Leben Sinn zu verleihen.“[74] Nur im ‘Dienst’ an dieser ‘Sache’ bzw. seinem persönlichen Ideal erstrebt und verwendet Webers Politiker Macht.[75] Neben dieser „leidenschaftliche Hingabe an eine »Sache«, an den Gott oder Dämon“, der der „Gebieter“ des Politikers ist, liegt die „Stärke einer politischen Persön- lichkeit“ in ersten Linie in der „Qualität“ des „Augenmaßes“, d. h. in „derDistanzzu den Dingen und Menschen“. Die für die ‘politische Persönlichkeit’ spezifische, im Vergleich zum Persönlichkeitsbegrif- fes stärker akzentuierte Eigenschaft ist die „Verantwortlich-keit“.[76] Sie dient in Webers Denken als Schranke gegen den Gebrauch der Macht als Selbstzweck. Während für ihn Macht zwar das unver- meidliche Mittel der Politik ist, sei die „Anbetung der Macht rein als solcher“ verantwortungslos und der „Machtpolitiker“ wirke ins „Leere und Sinnlose“, wenn sein „Machtstreben“ nicht „ausschließlich im Dienst der »Sache«“ stehe.[77]
Wenn in dieser Form Webers Politiker als politische ‘Persönlichkeit’ verstanden wird, dann erscheint Webers Konzeption des politischen Führers als Versuch, nicht nur eine konkret mögliche Realisierung seines Persönlichkeitsideal anzubieten, sondern diesem darüber hinaus über die Ressource ‘Macht’ gesellschaftliche und geschichtliche Wirksamkeit zu verschaffen. So muß der Webersche Politiker beispielsweise das Mittel der „Demagogie“ verwenden, um durch „Rede und Schrift zur Propaganda der eigenen Ideen oder der eigenen Persönlichkeit auf die Welt zu wirken“[78]
Deutlich wird die Verbindung von Kulturkritik und politischem Denken in Webers idealtypischen Ge- gensatz von Politiker und Beamten, dem Angelpunkt seiner politischen Reformvorschläge, die auf der gezeigten Dichotomie von ‘Fachmensch’ und ‘Persönlichkeit’ gründet. Die funktionale Einbindung des Fachmenschen in das gesellschaftliche Getriebe wiederholt sich in der Unterordnung des Beamten unter die bürokratische Hierarchie. Der idealtypische Beamte muß nach Weber im Rahmen des büro- kratischen Apparats weisungsgebunden, nach festen Kompetenzen und ohne Ansehen der Person ar- beiten, d. h. vor allen Dingen unter Hintansetzung seiner persönlichen Werturteile: „DerBeamtehat seine eigenen Überzeugungen seinerGehorsamspflicht zu opfern.“[79] Aufgrund dieser „sittlichen Dis- ziplin und Selbstverleugnung“, auf der der gesamte bürokratische Apparat beruhe, ist der Beamte in Webers Augen zu politischem Handeln völlig ungeeignet, [80] da für ihn Politik gerade darin besteht, sei- ne persönlichen Ziele konsequent zu verfolgen. Im Gegensatz zur selbstverleugnenden Unterordnung dieser „Techniker des Apparates“ ist das Charakteristikum des Weberschen Politikers der „Kampf um eigene Macht“ zur Verfolgung seiner „Sache“. Der Politiker soll „unabhängige Persönlichkeit“ sein, die nicht unparteiisch verwaltet, sondern ‘kämpft’: „Parteinahme, Kampf, Leidenschaft - ira et studium - sind das Element des Politikers.“[81] Diese Dichotomie zwischen der ausschließlich eigenverantwortli- chem politischen Persönlichkeit und dem befehlsgebundenem Beamten beruht auf Webers Begriff des Politischen. Für Weber ist politisches Handeln im wesentlichen gleichbedeutend mit dem Kampf eines Individuums um Macht zur Durchsetzung seiner persönlichen Ideale. Daneben zeigt sich Weber vom Glauben an den aristokratisch-elitären Charakter des politischen Handelns beseelt, wenn er diese Form des Handelns auf eine kleine, führungsbegabte Elite eingeschränkt sehen will.
5.2 WEBERS APOTHEOSE DES KAMPFES
Wie schon an dem unaustragbarem Konflikt der verschiedenen Wertordnungen deutlich wurde, nimmt die Kategorie des Kampfes in Webers Denken eine zentrale Rolle ein. Insbesondere in seinen von ‘Schlachtfeldern’, ‘Kampfplätzen’, ‘Kampfmitteln’, ‘Kampforganisationen’, ‘Feinden’ usw. bevöl- kerten politischen Texten erscheint der Krieg als Boden aller gesellschaftlichen Beziehungen.[82] In den Sphären von Politik und Wirtschaft scheint der Krieg mit anderen Mitteln fortgesetzt; ist das Donner- rollen der Schlacht nicht zu überhören. Mit der Kunst der Kriegführung muß daher aus Webers Per- spektive nicht mehr nur der Feldherr, sondern darüber hinaus der Politiker und der kapitalistische Un- ternehmer begabt sein.[83] In Form dieser beiden Typen, die in den Sphären von Politik und Wirtschaft im „Kampf um eigene Macht“ stehen und daher mit Willen und Durchsetzungsfähigkeit ausgestattet sein müssen, sieht Weber ein Gegenmodell zu den entindividualisierenden und standardisierenden Fol- gen der bürokratischen und kapitalistischen Großorganisationen, die den Einzelnen auf eine Funktion innerhalb ihres rational-mechanischen Getriebes reduzieren.[84]
Dieses mit Kategorien des Krieges arbeitenden Denken findet sich auch in Webers agonalem Ver- ständnis von Kultur, das starke Ähnlichkeit mit Nietzsches Vorstellung vom Leben als Wille zur Macht aufweist. Auch bei Weber wird der Kampf als invariables, überhistorisches Element aller menschlichen Beziehungen begriffen: „Denn nicht auszuscheiden ist aus allem Kulturleben der Kampf. Man kann seine Mittel, seinen Gegenstand, sogar seine Grundrichtung und seine Träger ändern, aber nicht ihn selbst beseitigen.“[85] Weil Feindschaft und gewaltsame Auseinandersetzung aus Webers Sicht konstitu- tive Elemente menschlicher Vergemeinschaftung darstellen, ist Frieden, verstanden als Abwesenheit des Kampfes, ein unmöglicher Zustand. Da der Begriff des Friedens lediglich eine „Verschiebung der Kampfformen oder der Kampfgegner oder schließlich der Auslesechancen und nichts anderes“ bedeu- te,[86] kann in Webers Denken jeder Friede nur ein scheinbarer sein. Vielmehr erblickt Weber überall wo er hinsieht einen nicht zu lösenden Kampf; zwischen Politikern, Weltanschauungen, Volkswirtschaften, Nationen, Unternehmen etc. Dabei benutzt er die These vom Kampf als zum Wesen der Kultur gehö- rendes Element als Argument nicht nur gegen pazifistische Einstellungen, sondern gegen jede Politik, die auf das Glück der Menschen zielt: „Es gibt keinen Frieden [...], nur wer den Schein des Friedens für Wahrheit nimmt, kann glauben, daß aus dem Schoß der Zukunft für unsere Nachfahren Frieden und Lebensgenuß entstehen werden“. Die Einsicht in die Notwendigkeit des Kampfes verbiete es ‘Eu- dämonist’ zu sein, d. h. „Frieden und Menschenglück im Schoße der Zukunft verborgen zu wähnen und zu glauben, daß anders als im harten Kampf des Menschen mit dem Menschen der Ellenbogenraum im irdischen Dasein werde gewonnen werden.“[87] Wie Nietzsche wendet sich Weber hier gegen die ‘Me- diatisierung’ im ‘Zeitalter der Massen’, in dem die materielle Versorgung und das ‘Glück der größten Zahl’ zu den alleinherrschenden Idealen geworden seien. Das Glück kann dagegen aus seiner Perspek- tive nur als verachtungswürdiger ethischer Maßstab, das Eintreten für ihn nur als Zeichen von „Erwei- chung“ verstanden werden.[88]
5.3 POLITIK ALS KAMPF UM MACHT
Besonderen Stellenwert besitzt Webers Apotheose des Kampfes in seinen politischen Texten. Nach Webers Grundbestimmung des Politischen ist das Wesen der Politik der Kampf.[89] In engem Zusam- menhang mit Webers Polytheismusthese, ist auch die Politik Schauplatz eines ‘unlöslichen’ Kampfes, bei dem es nicht um rationale Verständigung geht, sondern allein um die bedingungslose und ‘gewalt- same’ Verfolgung einer „Sache“. Wenn Weber im Zusammenhang mit der These vom unlösbaren Wertepluralismus die Wissenschaft als den Ort diskursiver ‘Klarheit’ über den normativen Hintergrund des eigenen Handelns betrachtet, dann mißt er der Politik vor dem selben Hintergrund besondere Be- deutung zu, weil sie seiner Meinung nach diejenige Sphäre ist, auf dem die Konkurrenz der sich aus- schließenden Wertesysteme offen ausgetragen wird. Die Politik gilt daher für ihn als „Kampfplatz der heutigen Gesellschaftsordnung“,[90] auf dem die Persönlichkeit um Macht kämpft, um seine individuellen Ideale zu realisieren.
Weil die Auseinandersetzung in Form des Kampfes essentiell für die Politik ist, ist es für Weber „ent- scheidend wichtig“, daß für die „politische Führerschaft jedenfalls nur Persönlichkeiten geschult sind, welche im politischen Kampfausgelesen sind“.[91] Hiervon ausgehend, beruht Webers Kritik an der „unkontrollierten Beamtenherrschaft“ des Kaiserreiches im wesentlichen auf der Feststellung, daß durch das Übergreifen des Verwaltungsapparates auf die politische Sphäre der Kampf um Macht durch das bürokratische ‘Avancement’ verdrängt wird und damit keine ‘Auslese’ von politischen Füh- rern mehr möglich ist. Da ein solches, von weisungsgebundenen Beamten und nicht von um Macht kämpfenden ‘Persönlichkeiten’ regiertes Gemeinwesen durch einen „Willen zur Ohnmacht“[92] gekenn- zeichnet sei, fordert Weber den Machtzuwachs des Parlaments, damit dieses zur „Arena“ oder „Pa- lästra“ wird, in der der Politiker die Bedingungen des Kampfes erlernen kann.[93]
InPolitik als Berufkonkretisiert Weber diesen Begriff des Politischen. Der ‘politische Kampf’ wird hier wesentlich verstanden als Konkurrenzkampf einzelner Individuen um Macht: „wer Politik treibt, erstrebt Macht: Macht entweder als Mittel im Dienste anderer Ziele (idealer oder egoistischer), - oder Macht »um ihrer selbst willen«“; wenn Weber auch letzteres ablehnt.[94] Politisches Handeln ist danach bei Weber als ein solches definiert, bei dem es um „Machtverteilungs-, Machterhaltungs- oder Macht- verschiebungsinteressen“[95] geht und das durch ein „unentrinnbares Gewaltsamkeitspragma“ charakte- risiert ist.[96] Weil Macht für Weber das spezifische und unvermeidliche Mittel der Politik darstellt, wird ihm der ‘Wille zur Macht’, der „Machtinstinkt“ zu einer konstitutiven Eigenschaft des Politikers.[97] „Wer politisch führen will“, heißt es an anderer Stelle, „muß auf dem modernen Instrument der Macht zu spielen wissen“.[98] Durch die gleichzeitige Reduktion des politischen Handelns auf den Staat, ist dieser Kampf um Macht in Webers Politikverständnis vor allem ein „Kampf um die Macht im Staate“.[99]
Entscheidende ‘Waffe’ auf dem ‘Schlachtfeld’ der Politik ist Webers Meinung nach das Wort; anders ausgedrückt: die Propaganda. Unter den Bedingungen der modernen ‘Massendemokratie’ hat das Wort den physischen Krieg abgelöst: „Heute ist nun einmal nicht das eigene Dreinschlagen mit dem Schwert, sondern sind ganz prosaische Schallwellen und Tintentropfen: geschriebene und gesprochene Worte, die physischen Träger des leitenden (politischen und: militärischen!) Handelns.“[100] Sprache dient danach zumindest in der politischen Sphäre nicht der rationalen Verständigung, sondern aus- schließlich des Erfolges durch Überzeugungskraft. Die hier gebrauchten Worte seien keine „Pflugscha- ren zur Lockerung des Erdreiches des kontemplativen Denkens, sondern Schwerter gegen die Gegner: Kampfmittel.“[101] Aus der Auffassung von der manipulativ angewendete Sprache als - zumindest unter den Bedingungen einer modernen ‘Massengesellschaft’ - entscheidendem Mittel politischen Handelns erklärt sich die Bedeutung des „Demagogen“ in Webers Politikkonzeption.[102]
5.3 WEBERS ARISTOKRATISCHES POLITIKVERSTÄNDNIS
Der mit Worten geführte politische Kampf kann Webers Ansicht nach nur Sache einer kleinen poli- tischen Elite sein. Unabhängig von der Staatsform - also auch in der Demokratie - seien es immer we- nige, die politisch handeln: „Stets beherrscht das Prinzip der kleinen Zahl, d. h. die überlegene politische Manövrierfähigkeitkleinerführender Gruppen, das politische Handeln. Dieser cäsaristische Einschlag ist (in Massenstaaten) unausrottbar“.[103] Nicht nur bedinge die geringe Zahl die Möglichkeit politischer Entscheidungen zu bestimmten Personen zuzuordnen und damit eine Eindeutigkeit der Verantwortung zu erzielen, sondern vor allem bedeute sie eine „gesteigerte Aktionsfähigkeit, präzisere, kühl rational und weniger emotional-demagogisch bedingte Entschlüsse, mit anderen Worten: größere Fähigkeit zur Macht.“[104] Daher muß für Weber der große Politiker „Führer“ sein, d. h. „unbeschränkte Vollmacht für wichtige Entschließungen haben“.[105] Deutlich wird dieses individualistisch-aristokratische Politik- verständnis Webers nicht nur, wenn er von den seltenen „geborenen Politiker“ und „geborenen Führer- naturen“ spricht,[106] sondern vor allem wenn er glaubt, daß es ein „unvermeidlicher Umstand“ ist, daß „große Entscheidungen der Politik“ ausschließlich von „Einzelnen“ gefällt werden, weshalb auch die „Massendemokratie ihre positiven Erfolge [...] durch starke Konzessionen an das cäsaristische Prinzip der Führerauslese“ erkaufen müsse.[107] Die Forderung nach einer führungsbegabten Elite richtet sich dabei zum Teil explizit gegen die „Masse“. In einer Tradition die von LeBon über Nietzsche bis Ortega y Gasset reicht, gebraucht Weber - wenn auch gemäßigt - den Topos der Masse im Sinne einer rein emotional agierenden Herde:[108] Die Masse als solche [...] »denkt nur bis übermorgen«, sie sei „stets der aktuellen rein emotionalen und irrationalen neben der Kenntnis der Verwaltungsvorgänge im we- sentlichen im „rückhaltlosen Vertrauen der Massen“ an und der ‘bedingungslosen Unterordnung’ unter den „politischen Führer“ besteht[109] Ist die politischen Mündigkeit der Staatsbürger verstanden als Auf- brechen des „gewohnten Gehäuses bürokratischer Bevormundung“, in dem das Volk sich „lediglich als Objekt, nicht aber Träger der eigenen Lebensordnung zu fühlen gewohnt ist“,[110] eine wichtige Forde- rung Webers, so bleibt sie doch in seinem politischen Denken dem Problem der ‘Führerauslese’ unter- geordnet. Weil Politik für Weber grundsätzlich eine Sache von kleinen Minderheiten ist, sind seine poli- tischen Neuordnungsvorschläge geleitet von der Frage nach den Strukturmerkmalen, die ein politisches System aufweisen muß, um einer qualifizierten politischen Elite den Zugang zur Macht zu ermöglichen. Qualifiziert ist der Politiker für Weber im wesentlichen dann, wenn er eine mit dem Willen zur Macht begabte ‘politische Persönlichkeit’ ist, d. h. ein Individuum mit der Fähigkeit, Worte zu Waffen zu schmieden und mit diesen sich auf dem Schlachtfeld von Parlament und Öffentlichkeit ‘Gefolgschaft’ und damit Macht zu erobern, um ihre subjektiven Ideale in der Welt zu verwirklichen. Weber betont daher den „voluntaristischer Charakter“ Politik:
„Der politische Betrieb istInteressentenbetrieb.“ Es gehe hier um die „politischen Interessenten, welche politische Macht und Verantwortung zum Zweck der Realisierung bestimmter politischer Gedanken erstreben. Allein eben dieser Interessentenbetrieb ist das wesentliche der Sache. Denn nicht die politisch passive »Masse« gebiert aus sich den Führer, sondern der politische Führer wirbt sich die Gefolgschaft und gewinnt durch »Demagogie« die Masse.“[111]
Diese Konzeption, in der der Politiker dem Modell des Feldherren folgt, versteht Weber als Gegenent- wurf zu einer in ‘rationaler Disziplin’ erstarrenden Gesellschaft. In einer Zeit der drohenden Dominanz von angepaßten ‘Ordnungsmenschen’ sieht er in der mit dem Willen zur Macht ausgestatteten Persön- lichkeit die Möglichkeit, individuelle Freiheit und Autonomie in einer gesellschaftlich relevanten Form aufrechtzuerhalten.
5.4 DIE PERSÖNLICHKEIT ALS GESCHICHTSMÄCHTIGES INDIVIDUUM
Auch wenn Weber in seinen politischen Texten nachdrücklich für die Stärkung des Parlaments ein- tritt, kann dies doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß er den demokratischen Institutionen keine be- sondere Dignität zuspricht. Mit der Ablehnung des Naturrechts verbunden, hat Webers Unterstützung der Demokratie rein funktionalen Charakter. Sie erscheint ihm als diejenige Staatsform, die unter den Bedingungen der ‘Massengesellschaft’ am ehesten dazu geeignet ist, die Vorbedingung jeder Herr- schaft, nämlich ein „Minimum von innerer Zustimmung [...] der Beherrschten“, [112] zu gewährleisten und vor allem sieht Weber in dem in ihr institutionalisierten Kampf in Parlament und Öffentlichkeit das effizienteste Mittel, um angesichts der fortschreitenden Bürokratisierung die ‘Auslese’ von ‘Führerper- sönlichkeiten’ zu gewährleisten. Die hier sichtbar werdende Frage nach den institutionellen Vorkehrun- gen, die die Herrschaft von ‘politischen Persönlichkeiten’ auch unter den Bedingungen moderner Ge- sellschaften ermöglichen, steht im Zentrum der Weberschen Reformvorschläge.[113] An ihr orientiert entwickelt Weber sein Konzept der ‘plebiszitären Führerdemokratie’, in dem durch die Institutionalisie- rung eines Kampfes um Macht die ‘Auslese’ der ‘geborenen Führernaturen’ trotz und gegen die büro- kratischen Verwaltungsapparate ermöglicht werden soll.[114] Kern dieses Modells ist der charismatische Führer, der sich im Kampf mit anderen Politikern mit demagogischen Mitteln Gefolgschaft in der ‘Mas- se’ verschafft, um seine persönlichen Ideale zu verwirklichen. Nur in der Form des plebiszitär gewähl- ten Führers glaubt Weber überhaupt politisches Handeln, verstanden als Machtkampf von politischen Persönlichkeiten, gegen die Tendenz der Bürokratie, sich auf die politische Sphäre auszuweiten und so das politische durch ein formal rationales Handeln zu ersetzen, aufrechtzuerhalten. Allerdings ist der große Politiker in Webers Denken niemals Selbstzweck. Auch als im Gegensatz zum bürokratischen Verwaltungsapparat stehender, selbstverantwortlicher Einzelkämpfer bleibt er wie die gesamte politi- sche Konzeption Webers einem einzigen Ziel untergeordnet: der deutscher „Weltpolitik“.In den „Machtinteressen der Nation“ findet sich damit der ‘Dämon’, der die Fäden der tagespolitischen Texte Webers in Händen hält. Der plebiszitäre Führer wie die gesamte demokratische Umgestaltung des politischen Systems finden ihre Begründung nicht in einer naturrechtlichen Axiomatik, sondern sind allein „Mittel zum Zweck“ der Formung eines „Herrenvolkes“ mit dem „Beruf, in die Speichen der Weltentwicklung einzugreifen“.[115] Webers ‘letzter Wert’ der Nation ist dabei subjektiv und grundlos. „Sinnstiftend“ wird der nationale Machtstaat aus der Perspektive der Beherrschten nur, wenn man in seinem Namen in den Schützengräben sterben darf.[116]
Die Herrschaft des plebiszitären Führers beruht bei Weber auf dem „Vertrauen und Glauben der Mas- sen“, die er „mit massendemagogischen Mitteln gewinnt“.[117] Weber nennt dies eine „cäsaristische Wendung der Führerauslese“, wobei er „Cäsarismus“ als „die Herrschaft des persönlichen Genies“ versteht, dessen spezifisches politisches Mittel das Plebiszit sei:[118] „Es ist keine gewöhnliche »Abstim- mung« oder »Wahl«, sondern die Bekennung eines »Glaubens« an den Führerberuf dessen, der für sich diese Akklamation in Anspruch nimmt.“[119] Der politische Führer ist dagegen ausschließlich eigenver- antwortlich und handelt in Übereinstimmung mit seinen persönlichen Überzeugungen. Die Gefolgschaft der Masse beruht nicht auf der Unterstützung dieser sachlichen Ziele des politischen Führers, sondern allein auf dem „Vertrauen“ und der „emotionalen Hingabe rein an die Person als solche“[120] bzw. auf den Glauben „an den ethischen Charakter seiner Persönlichkeit“.[121] Damit der politische Führer die von Weber für ihn als notwendig angesehene Handlungsmächtigkeit erhält, steht er einem straff disziplinie r- tem Parteiapparat vor. Die Leitung des ‘plebiszitären Führers’ bedinge, so Weber, die„»Entseelung« der Gefolgschaft, ihre geistige Proletarisierung“. „Um für den Führer als Apparat brauchbar zu sein, muß sie blind gehorchen, Maschine [...] sein“, nicht gestört durch „Prätentionen eigener Ansichten“.[122] Nur so könne es statt der ’führerlosen Demokratie ’, d. h. der Herrschaft der ‘Berufspolitiker’ ohne Beruf, ohne die inneren charismatischen Qualitäten, die eben zum Führer machen“, eine „Führerdemo- kratie mit ‘Maschine’“ geben. [123]
Die Legitimität des plebiszitären Führers, d. h. die Autorität, auf der die Fügsamkeit der Beherrschten beruht, ist die Autorität des Charismas, d. h. der „außeralltäglichen persönlichen Gnadengabe [...], die ganz persönliche Hingabe und das persönliche Vertrauen zu Offenbarungen, Heldentum oder anderen Führereigenschaften eines einzelnen“.[124] Seine Herrschaft gründe auf der „Hingabe der Gehorchenden an das rein persönliche »Charisma« des »Führers«“. Weber versteht die „plebiszitäre Demokratie“ als „antiautoritäre Umdeutung des Charismas“, da in ihr die charismatischen Autorität „gänzlich auf der durch ‘Bewäh-rung’ bedingten Anerkennung durch die Beherrschten“ ruhe. Die Anerkennung ge- genüber dem „charismatisch Qualifizierten“ ist bei Weber allerdings „pflichtmäßig“.[125] Während die Beherrschten sich dem charismatischen Führer ‘fügen’, „weil sie an ihn glauben“, „lebt [er] seiner Sa- che, »trachtet nach seinem Werk«“.[126] Dieser, „kraft der Anhänglichkeit und des Vertrauens seiner politischen Gefolgschaft zu seiner Person als solche“ herrschende charismatische Führer steht bei We- ber dem Typus der ‘führerlosen Demokratie’ gegenüber, welche „durch das Streben nach Minimie- rung der Herrschaft des Menschen über den Menschen charakterisiert“ sei.[127] Aus dem für die „Führerdemokratie“ eigentümlichen „naturgemäßen emotionalen Charakter der Hingabe und des Ver- trauens zum Führer“, entstehe, so Weber, „die Neigung, dem Außeralltäglichen, Meistversprechenden, am stärksten mit Reizmitteln Arbeitenden als Führer zu folgen, hervorzugehen pflegt.“[128]
Webers Politischer Führer entspricht letztlich einer mit dem Willen zur Macht und der Qualität des Charisma begabten Persönlichkeit, die durch die bedingungslose Unterordnung ihrer Gefolgschaft und ihres Parteiapparates ein Maximum an gesellschaftlicher Handlungsfähigkeit besitzt, um ihren persönli- chen Werturteilen gesellschaftliche Geltung zu verschaffen. Dabei ist sie nur gegenüber sich selbst, bzw. ihren Idealen verantwortlich, während die Beherrschten in Webers Konzeption keinerlei Einfluß auf die inhaltliche Gestaltung der Politik besitzen. Aus ihrer Perspektive wird in Weber ‘plebiszitärer Führerdemokratie’ die ‘Hörigkeit’ gegenüber dem bürokratischem ‘Gehäuse’ gegen eine neue Form der Heteronomie getauscht, die sich im ‘Glauben’ und in der intellektuellen Unterordnung unter den als charismatisch erkannten Führer manifestiert. Nur in Form dieses, auf eine handlungsmächtige Persön- lichkeit ausgerichtetem individualistisch-autoritärem politischen Systems ist es nach Webers Auffas- sung - angesichts der zunehmender Bürokratisierung und der mit ihr zusammenhängenden tendenziellen Hegemonie des ‘Ordnungsmenschen’ - „überhaupt noch möglich, irgendwelcheReste einer inir-gendeinem Sinn »individualistischen« Bewegungsfreiheit zu retten“.[129] In dem durch ‘Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß“ qualifizierten Individuum, d. h. in der ‘politi-schen Persönlic h- keit’ sieht Weber den Menschen, der „seine Hand in die Speichen des Rades der Geschichte legen“ darf.[130] Webers Begriff von Freiheit und Individualismus meint daher im wesentlichen die Freiheit und den Individualismus der großen, ausschließlich an den eigenen Idealen orientierten aber in ihrer Durch- setzung die gesellschaftlichen Realitäten in Rechnung stellenden Persönlichkeit. In einer modernen Gesellschaft sind die ‘altmodischen Ideale’ der Aufklärung aus Webers Perspektive nur für den Preis der Unterordnung der Beherrschten zu verwirklichen.
6. SCHLUSS
Verschiebt man die Perspektive auf die politischen Texte Webers und versteht seinen plebiszitären Führer nicht mehr nur als Einsatz in der unmittelbaren tagespolitischen Auseinandersetzung, als Ant- wort auf die vermeintliche Führungsschwäche und das politische Scheitern des Wilhelminischen Deutschlands, dann ändern sich die Konturen dieser großen ‘politischen Persönlichkeit’. Vor dem Ho- rizont der ‘großen inhaltlichen Kulturprobleme’ wird sie zum heroischen Einzelkämpfer, der entgegen den ‘Vermittelmäßigungstendenzen’ der modernen rationalen Gesellschaft ‘sich selber will’. Der politi- sche Führer wird so zur Widerstandsoption gegen die Uniformierungstendenzen der durch kapitalisti- sche Fabrik und bürokratischen Verwaltungsapparat bestimmten modernen Lebensordnung, in der Ein- zelne im maschinellen Getriebe der ‘rationalen Disziplin’ zu einem ‘Rädchen’ reduziert, d. h. seiner Individualität, Freiheit und Autonomie entkleidet zu werden droht. Im Gegensatz zu der im Fach- und Berufsmenschen verkörperten Ethik der Anpassung, zu der im mangelnden Pathos der Distanz begrün- deten unreflektierten Einordnung in das ‘stählerne Gehäuse’ der bürokratisch-kapitalistischen Gesell- schaft ist Webers Politiker schöpferische Persönlichkeit, die in einer Welt ohne letzte Gewißheiten, ohne religiösen Trost, ohne Fortschrittsoptimimus und große Prophetie in der Lage ist, ihr Handeln an ‘außeralltäglichen’ Werten zu orientieren und sich so ‘innerliche’ Freiheit gegenüber der gesellschaftli- chen Umwelt zu bewahren. Im Kampf dieser ‘politischen Persönlichkeit’ um Macht zur Verwirkli- chung ihrer subjektiven Wertvorstellungen sieht Weber angesichts des drohenden Eintritts in das ‘Ge- häuse der Hörigkeit’ die Möglichkeit, Freiheit und Individualität aufrechtzuerhalten und gegen die ‘Par- zellisierung der Seele’ und die ‘Alleinherrschaft bureaukratischer Lebensideale’ Widerstand zu leis- ten.[131] Die Figur des charismatischen Führers, der sich durch den Glauben seiner Gefolgschaft an ihn und durch die bedingungslose Unterordnung des bürokratischen Apparates gesellschaftliche Hand- lungsmächtigkeit erobert, um die ‘eigene Persönlichkeit auf die Welt wirken zu lassen’, wird in Webers Denken schließlich zum Ausweg vor der drohenden Versteinerung der Gesellschaft.
Mit der Integration des - gegen die Aufklärung, den Glauben an den Fortschritt, das Glück, die Perfek- tibilität des Menschen, das Naturrecht oder die Utopie gewendeten - Schicksalsbegriff in die Gegen- wartsdiagnose stilisiert Weber den Rationalisierungsprozesses zu einem jeder menschlichen Einwir- kungsmöglichkeit entzogenem Prozeß, der in einer versteinerten Gesellschaft zu enden droht. Diesem Schreckensszenario stellt er das Bild der Führerpersönlichkeit gegenüber, das zwischen der vergebli- chen Revolte des tragischen Helden angesichts der übermächtigen Entwicklungstendenzen und dem heroischen Krieger, der durch die Fähigkeit seine subjektiven Ideale umzusetzen Freiheit und Autono- mie bewahrt und gleichzeitig die Gesellschaft vor dem drohenden Erstickungstod bewahrt, oszilliert.
Dieses Bild Webers, in dem die große Persönlichkeit durch den Glauben der ‘Massen’ an sie in der Lage ist, trotz der Entzauberung zeitweise verbindliche Werte zu setzen und somit ‘Sinn’ zu stiften, ähnelt dem Gedanken Nietzsches, daß nur große Individuen, die den Willen sich selbst zu wollen und dadurch die Welt zu verändern besitzen, zu gesellschaftlichen und kulturellen Schöpfungen in der Lage sind. Versteht Nietzsche im Gegensatz zu Weber die Demokratie zwar als Nivellierungsprojekt, das „auf die Erzeugung eines zur Sklaverei im feinsten Sinne vorbereiteten Typus hinausläuft“, kommt er hinsichtlich der Möglichkeit zur ‘Führerauslese’ zu einem ähnlichen Ergebnis wie dieser, wenn er davon ausgeht, daß im „Einzel- oder Ausnahmefall“ der „starke Mensch“ in ihr wird „stärker und reicher ge- raten müssen, als er vielleicht jemals bisher geraten [...].“ „Die Demokratisierung Europas“ sei daher „zugleich eine unfreiwillige Veranstaltung zur Züchtung von Tyrannen - und das Wort in jedem Sinne verstanden, auch im geistigen.“[132] Die Vorbereitung der Bedingung zur Erzeugung dieser ‘Herren’, ‘Übermenschen’ oder ‘Führer’, ihre ‘Züchtung’, ist für Nietzsche wie für Weber das höchste Ziel. Verbunden mit dieser Sehnsucht nach der großen geschichtsmächtigen Persönlichkeit versteht Weber seinen charismatischen Führer als ‘Genie’ und ‘Helden’,[133] der der „bürokratischen Kultur“ - den „kal- ten Skeletthänden [der] rationalen Ordnung“, der „Stumpfheit des Alltags“ - ein „dionysisches Element“ einhauchen kann.[134] Mit der individualistisch-aristokratischen Konzeption von geschichtsmächtigen Persönlichkeiten, die nur sich selbst gegenüber verantwortlich sind, schließt Weber gleichzeitig an die Umdeutung der geschichtlichen Rolle des Subjekt durch die Romantik an, die insbesondere über die Forderung Fichtes, ungeachtet von äußeren Kriterien des Erfolgs oder der Moralität am vermeintlichen Eigenen unbedingt festzuhalten, in einen Kult des genialen Künstler-Helden, der durch den rücksichts- losen Willen, seinen eigenen Selbstentwurf zu realisieren, charakterisiert ist, mündete. Damit wird - bei aller Distanz - eine Nähe Webers zu dem zu seiner Zeit populären Geniegedanken deutlich, der sich etwa im Kult um Wagner, Nietzsche und George äußerte. Nach Webers eigenen Maßstäben muß man dieser Geniekult, der auch in seiner Apotheose des charismatischen Führers mitschwingt, als Form romantischer Weltflucht verstehen, die aber mit ihrem ausgeprägt chauvinistischem Charakter kaum als harmlos zu bezeichnen. In der Verknüpfung des autoritären, nur sich selbst verantwortlichen Führers, an den die ‘Masse’, zumindest solange wie er Erfolg hat - bedingungslos und ‘pflichtmäßig’ glaubt, mit der Forderung nach deutscher Großmachtpolitik spiegelt sich auch das Verlangen der ‘gedemütigten Nation’ (Löwith) wider, ihre Geltung in der Welt mit allen Mitteln zurückzuerobern.
VERZEICHNIS DER VERWENDETEN SCHRIFTEN WEBERS
Sigel
Gesammelte politische Schriften, herausgegeben von Johannes Winckelmann,
Tübingen5 1988. GPS
Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitik, herausgegeben von Mari- anne Weber, Tübingen2 1988. SSP
Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Band 1, Tübingen9 1988. RS I
Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Band 3, Tübingen7 1983. RS III
Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, herausgegeben von Jo- hannes Winckelmann, Tübingen7 1988. WL
Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, besorgt von
Johannes Winckelmann, 5., revidierte Auflage, Tübingen 1980. WuG
Zur Politik im Weltkrieg. Schriften und Reden 1914-1918, hrsg. von Wolfgang J. Mommsen, in: Max Weber Gesamtausgabe, hrsg. von
Horst Baier u. a. , Tübingen 1984, Abteilung 1, Band 15. MWG
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ANMERKUNGEN
[...]
[1] Zur Entstehung der Texte siehe den Editorischen Bericht in: MWG, Abt. 1, Bd. 15, S. 421-431.
[2] Charakteristisch für den Staat des Kaiserreiches ist nach Weber der starke Einfluß bürokratischer Verwaltungs- apparate auf das politische System bei einer gleichzeitig institutionellen Schwäche des Parlaments. Ergebnis die- ser Konstellation sei eine ‘unkontrollierte Beamtenherrschaft’, die strukturell „jede deutsche Politik“ unmöglich mache, da das „Gehäuse bürokratischer Bevormundung“ das Volk zur ‘politischen Unreife’ erziehe, während „nur ein politisches reifes Volk“, d. h. eines, das an der politischen Herrschaft beteiligt ist, ein „»Herrenvolk«“ sein könne; GPS, S. 441
[3] GPS, S. 330.
[4] GPS, S. 320.
[5] Die Herrschaft mittels bürokratischem Verwaltungsstab stellt in Webers Typologie der legitimen Herrschaft den reinsten Typus der legalen Herrschaft dar. Dieser Verwaltungsstab besteht dabei aus Beamten, welche „1. persön- lich frei nursachlichenAmtspflichten gehorchen, 2. in fester Amtshierarchie, 3. mit festen Amtskompetenzen, 4. kraft Kontrakts, also (prinzipiell) auf Grund freier Auslese nach 5.Fachqualifikation- im rationalsten Fall -ange-stellt(nicht. gewählt) sind, 6. entgolten sind mit festen Gehältern inGeld(...), 7. ihr Amt als einzigen oder Haupt-Berufbehandeln, 8. eine Laufbahn 8... 9 vor sich sehen, 9. in völliger Trennung von den Verwaltungsmitteln und ohne Appropriation der Amtsstelle arbeiten, 10. einer streng einheitlichen Amtsdisziplinund Kontrolle unterlie- gen“; WuG, S. 126 f. ‘Schrittmacher’ des universellen Bürokratisierungprozesses ist nach Weber der moderne Kapitalismus. Mit seiner „streng rationalen Organisation der Arbeit auf dem Boden rationaler Technik“ bedürfe er eines Verwaltungsappa- rates, dessen Funktionieren ebenso kalkuliebar ist wie die Leistung einer Maschine; GPS, S. 323. Fabrik und mo- derner Staat wiesen dabei beide das selbe „Herrschaftsverhältniß“ des ‘Betriebes’ auf. Dieses ist charakterisiert durch die hierarchische Abhängigkeit des Arbeiters bzw. Angestellten, die auf der Trennung von den sachlichen Betriebsmitteln beruht.
[6] GPS, S. 330.
[7] Am Ende dieses Bürokratisierungsprozesses seien alle gesellschaftlichen Institutionen bürokratisch organisiert und der angestellte Beamte würde „über alle Alltagsbedürfnisse und Alltagsbeschwerden“ der Menschen entscheiden. GPS, S. 320.
[8] WuG, S. 128.
[9] GPS, S. 331: Sobald der „moderne eingeschulte Fachbeamte einmal herrscht, ist seine Gewalt schlechthin unzer- brechlich, weil die ganze Organisation der elementaren Lebensversorgung dann auf seine Leistung zugeschnitten ist.“
[10] GPS, S. 330 f.
[11] WL, S. 605; GPS, S. 333; RS I, S. 4, vgl. S. 203. Die strikte Trennung zwischen Werturteil und Tatsachenerkenntnis in Rechnung stellend, die Weber immer wieder mit Nachdruck in seinen wissenschafttheoretischen Texten gefordert hatte, ist es wichtig festzustellen, das die „Unentrinnarkeit“ der universellen Bürokratisierung aus Webers Perspektive eine objektive Tatsache ist und nicht als nur rhetorische Dramatisierung verstanden werden kann.
[12] WL, S. 613, 612, 605.
[13] Karl Marx, Der Achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, Leipzig 1982, S. 15.
[14] SSP, S. 414.
[15] GPS, S. 263. In einer Ausführung desObjektivitätsaufsatzeswird deutlich, wie Weber die Anerkennung von solchen ‘Realitäten des Lebens’ verstanden wissen will. Hier heißt es hinsichtlich der Mitarbeiter des Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, daß sie „- welches immer ihre Ansicht über die Gestaltung der Gesellschaftsordnung in der fernen Zukunft sein mochte - für die Gegenwart die kapitalistische Entwicklung bejahten, nicht weil sie ihnen, gegenüber den älteren Formen gesellschaftlicher Gliederung, als die bessere, sonder weil sie ihnen als unvermeidlich (...) erschien“; WL, S. 159.
[16] SSP, S. 413.
[17] Vereinfachend kann man sagen, daß Weber sich hier gegen eine sozialistische, sich auf Marx und Engels beru- fende Vorstellung wendet, die staatliche und bürokratische Herrschaft als Überbauphänomen, d. h. als Ausdruck eines ökonomisch bedingten Klassengegensatzes begreift. Der hieraus abgeleiteten These, daß der unvermeidli- chen Untergang der kapitalistischen Gesellschaftsordnung auch das Ende jeder Herrschaft des Menschen über den Menschen bedeutet, hält Weber inDer Sozialismusentgegen: Die Diktatur des Beamten, nicht die des Arbei- ters, ist es, die [...] im Vormarsch begriffen ist“ (SSP, S. 508). Weber hielt die Abschaffung des Kapitalismus kei- nesfalls für unvermeidlich. Theoretisch sei eine immer weitergehende Ausschaltung des Privatkapitalismus zwar denkbar, dies würde seiner Meinung aber keinesfalls das „Zerbrechen des stählernen Gehäuses der modernen gewerblichen Arbeit“ bedeuten, sondern eine Alleinherrschaft der staatlichen Bürokratie. Dies aber sei, durch die Aufhebung der herrschenden Konkurrenz von privatwirtschaftlichen und staatlichen Bürokratien, mit zunehmen- der Unfreiheit verbunden (Vgl. GPS, S. 331 f.). Die für seine Gegenwart charakteristische Fabrikarbeit, „mit ihrer amtlichen Hierarchie ihrer Disziplin, ihrer Kettung der Arbeiter an die Maschinen, ihrer Zusammenhäufung und doch gleich [...] Isolierung der Arbeiter, ihrem ungeheuren, bis in den einfachsten Handgriff des Arbeiters hinab- reichenden Rechnungsapparat“, hält Weber für ein „Schicksal’, das unabhängig von der Wirtschaftsordnung notwendig bestehe; SSP, S. 59. In seinen politischen Texten richtet Weber immer wieder stark polemische Angriffe insbesondere gegen die sozialistische Bewegung. Das der bekennende ‘Bürger’ Weber in diesen Attacken nicht vom ‘Pathos der Distanz’, sondern von ungeschminktem Ressentiment gegenüber dem politischen Gegner beseelt ist, machen Äußerungen wie jene deutlich, in der Weber fordert: „Liebknecht gehört ins Irrenhaus und Rosa Luxemburg in den Zoologischen Garten“; MWG I/16, S. 441.
[18] RS I, S. 204; WL, S. 157.
[19] WL, S. 517.
[20] GPS, S. 13.
[21] GPS, S. 330 f., SSP, S. 60.
[22] GPS, S. 65; RS I, S. 204; GPS, S. 333. Die Zukunft der europäischen Zivilisation mit dem ‘Niedergang’ der Spätantike parallelisierend, übernimmt Weber einen Topos kulturpessimistischer Dekadenzkritik, der kurz darauf durch SpenglersUntergang des Abendlandespopulär werden sollte.
[23] Die „rationale Disziplin“ ist „inhaltlich nichts anderes als die konsequent rationalisierte, d. h. planvoll einge- schulte, präzise, alle eigene Kritik bedingungslos zurückstellende, Ausführung des empfangenen Befehls und die unablässige innere Eingestelltheit ausschließlich auf diesen Zweck“; WuG, S. 690.
[24] GPS S. 332; Vgl. S. 63.
[25] GPS, S. 333.
[26] SSP, S. 61.
[27] SSP, S. 413.
[28] SSP, S. 414.
[29] SSP, S. 413.
[30] WuG, S. 578.
[31] RS I, S. 203.
[32] RS I, S. 203 f.
[33] RS I, S. 204.
[34] GPS, S. 332; Im Original kursiv.
[35] SSP, S. 413.
[36] SSP, S, 415, 413.
[37] GPS, S. 63.
[38] GPS, S. 64.
[39] Vgl. WL, S. 512.
[40] GPS, S. 64. Die Distanz gegenüber dem Zeitgeist ist für Weber wissenschaftliche Pflicht: „ ... wenn irgend etwas, dann wohl dies eine berufsmäßigen »Denkern« besonders nahezulegende Obliegenheit ist: sich gegenüber den jeweiligen herrschenden Idealen, auch den majestätischsten, einen kühlen Kopf im Sinne der persönlichen Fähigkeiten zu bewahren, nötigenfalls gegen den Strom zu »schwimmen«.“ WL, S. 540. In Form der Selbststilisierung als einsamen Rebellen in aussichtslosem Kampf, dessen Warnungen im lärmenden Strom des Zeitgeistes ungehört verhallen, verbindet Weber das wissenschaftliche Gebot kritischer Distanz mit dem tragischen Gestus der Kassandra. Er als einziger vermag die List der Odysseus zu durchschauen: Nicht Frie- de und Freiheit, sondern Verknechtung und Unfreiheit sind im inneren der Rationalisierung angelegt. Doch seine Warnungen vermögen nichts auszurichten gegen die vermeintliche Siegesgewißheit der Zeitgenossen, die ohne es zu ahnen, ihrem eigenen Untergang den Weg bereiten. So haften auch Webers individualistischem Widerstand jene Merkmale an, die er für die Unheilsprophetie als typische beschrieben hat: Isolation und Einsamkeit; RS III, S. 118.
[41] Friedrich Nietzsche, Morgenröte, Aphorismus 206, in: Das Hauptwerk, Band 2, München 1990, S. 178-180.
[42] GPS, S. 12; hier bezüglich des ‘Traumes von Frieden und Menschenglück’.
[43] GPS, S. 559. Mit seinen im Zusammenhang mit der Rationalisierung gebrauchten Bildern des Todes durch Ve r- steinerung, des Erkaltens und Erstickens, entwickelt Weber dystopische Elemente, die ihn den Boden wissen- schaftlicher Analyse verlassen und das Terrain der Literatur betreten lassen, auf dem er insbesondere Ähnlichkeit mit dem George-Kreis aufweist, auch wenn mit der Ablehnung des Prophetentums und der Betonung des Schic k- sals eine deutliche Differenz bestehen bleibt. Ebenso kann man Parallelen zu Kafka ziehen, dessen K. den un- durchschaubaren Vorgängen im Schloß genauso hilflos gegenübersteht, wie Webers Individuum den Operatio- nen des bürokratischen Apparates. Ähnlich wie Weber beschreibt Kafka den Charakter der heraufziehenden Gesellschaft: „Der Kapitalismus ist ein System von Abhängigkeiten, die von außen nach innen, von oben nach unten gehen. Alles ist abhängig, alles ist gefesselt. Kapitalismus ist ein Zustand der Welt und der Seele.“ Auch Webers Bild des ‘Gehäuses’ findet in Shakespeares Hamlet ein literarisches Vorbild, wo es heißt, die Welt sei ein Gefängnis, ein „stattliches, worin es viele Verschläge, Löcher und Kerker gibt.“ Auf die Erwiderung seiner Beglei- ter, sie würden nicht so davon denken, fährt Hamlet fort: „ ... an sich ist nichts weder gut noch böse, das Denken macht es erst dazu. Für mich ist es ein Gefängnis;“ (Hamlet II, 2, in der Übers. von A. W. Schlegel).
[44] SSP, S. 414.
[45] RS I, S. 564; WL, S. 612: Diese ‘letzten Werte’ finden sich isoliert im „hinterweltlichen Bereich mystischen Lebens oder in die Brüderlichkeit unmittelbarer Beziehungen der Einzelnen zueinander.“ Wer die Entzauberung als „Schicksal der Zeit“ nicht männlich ertragen könne, der solle, so Weber, in die „weit und erbarmend geöffneten Arme der alten Kirche“ zurückkehren, müsse aber dabei das „Opfer des Intellekts“ erbringen.
[46] WL, S. 610.
[47] WL, S. 594.
[48] WL, S. 598.
[49] Weber lehnt jedes in der Wissenschaft liegendes Glücksversprechen ab. Wenn man die auf der neuzeitlichen Wissenschaft beruhende technische Beherrschung des Lebens auch einmal als Weg zum Glück des Menschen gefeiert habe, so sei dieser Wissenschaftsoptimismus mit Nietzsche obsolet geworden; vgl. WL, S. 598.
[50] WL, S. 603. Im ‘Objektivitätsaufsatz’ faßt Weber, die Konsequenz der Entzauberung für die Moderne wie folgt zusammen: „Das Schicksal einer Kulturepoche, die vom Baum der Erkenntnis gegessen hat, ist es, wissen zu müs- sen, daß wir den Sinn des Weltgeschehens nicht aus dem noch so vervollkommneten Ergebnis seiner Durchfor- schung ablesen können, sondern ihn selbst zu schaffen imstande sein müssen, das Weltanschauungen niemals Produkt fortschreitenden Erfahrungswissens sein können, und daß also die höchsten Ideale, die uns am mäch- tigsten bewegen, für alle Zeit nur im Kampf mit anderen Idealen sich auswirken, die anderen ebenso heilig sind, wie uns die unseren.“ WL, S. 154.
[51] WL, S. 605. Auch hier findet sich jene Dialektik der methodisch-rationalen Lebensführung wieder: „Der großartige Rationalismus der ethisch-methodischen Lebensführung, der aus jeder religiösen Prophetie quillt, hatte diese Vielgötterei entthront zugunsten des Einen, das not tut - und hatte dann angesichts der Realitäten des äußeren und inneren Lebens, sich zu jenen Kompromissen und Relativierungen genötigt gesehen, die wir alle aus der Geschichte des Christentums kennen. Heute aber ist er religiöser »Alltag«.“
[52] Zwischen den Werten herrsche ein „unüberbrückbarer tödlicher Kampf, so wie zwischen »Gott« und »Teufel«. Zwischen diesen gibt es keine Relativierungen und Kompromisse“; WL, S. 507.
[53] WL, S. 608.
[54] WL, S. 152.
[55] WL, S. 604.
[56] WL, S. 612, 605. Webers Verständnis des Kampfes der verschiedenen Wertordnungen als ‘Schicksal’ der M o- derne kann man auch Verstehen als Übertragung der eigenen zeitgeschichtlichen Erfahrung auf eine gesamte Kultur. Für Paul Valéry ist bekanntlich die Zeit des Weltkrieges geprägt durch eine ‘Krise des Geistes’, die einher geht mit dem Verlust bis dahin geltender Wahrheiten und dem Gefühl des drohenden Unterganges: „Der Glaube an eine europäische Kultur ist dahin; daß die Erkenntnis nichts, gar nichts zu retten vermag, ist erwiesen; die sittlichen Ansprüche der Wissenschaft sind tödlich getroffen, sie ist gleichsam entehrt durch die Grausamkeit ihrer praktischen Anwendung ... Kennzeichen des ‘modernenZeitalters’ sei das ‘Chaos des geistigen Europas, daß daraus entstand, daß „in allen gebildeten Köpfen die einander unähnlichsten Gedanken, die einander entge- gengesetztesten Lebens- und Erkenntnisprinzipien ungehindert nebeneinander leben“. „Und jetzt - auf einem ungeheuren Erdwall von Helsingör, der von Basel bis Köln reicht, der an die Dünen von Nieuwpoort, an die Sümpfe der Somme, an die Kreidefelsen der Champagne und den Granit des Elsaß grenzt, erschaut der europäi- sche Hamlet Millionen Gespenster.“ Paul Valéry, Die Krise des Geistes, in: Ralf Konersmann (Hg.), Kulturphiloso- phie, Leipzig 1996, S. 58-65. Auch Kurt Lenk hält das sich hier äußernde „tragische Bewußtsein“ für charakteristisch für die gesamte deutsche Soziologie dieser Zeit. Ein solches, mit kulturpessimistischen Elementen gepaartes Zeitbewußtsein habe es neben Weber unter anderem auch Troeltsch und Simmel gegeben. Lenk charakterisiert ihre spezifische zeitgeschichtliche Situation folgendermaßen: „In der mit dem Zusammenbruch der Monarchie und schon während des Krieges ein- tretenden Auflösung ehedem für absolut gehaltener Wertordnungen erblicken die Autoren eine ernste Gefahr für das soziale und kulturelle Leben überhaupt. Aus der Erfahrung der Ohnmacht des einzelnen gegenüber einer erbarmungslosen bürokratischen und technischen Maschinerie - nicht zuletzt auch motiviert durch die Erschütte- rung angesichts der Materialschlachten des Ersten Weltkrieges -, erwächst die Einsicht in die Fragwürdigkeit allenmenschlichen Wollens und Könnens. Die bürgerlichen Ideale des 18. und 19. Jahrhunderts, die liberalen Ideen des technisch-zivilisatorischen Fortschritts, verlieren weitgehend ihre Überzeugungskraft und verblassen zu bloßen Illusionen.“ Kurt Lenk, Das tragische Bewußtsein der deutschen Soziologie, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 16, S. 257-287; hier: S. 267 f.
[57] WL, S. 613. Diese Wendung scheint Weber von Baudelaire übernommen zu haben, bei dem es inLes Fleur du Malheißt: „Der Teufel hält die Fäden, die uns bewegen!“ und weiter: „Gedrängt und wimmelnd, gleich einer Un- zahl Eingeweidewürmer, schwelgt in unsern Hirnen ein Volk von Dämonen“; Charles Baudelaire, Die Blumen des Bösen, aus dem Französischen übertragen, herausgegeben und kommentiert von Friedhelm Kemp, München 1997. Baudelaire findet in Wissenschaft als Beruf schon zuvor Erwähnung, wenn Weber bezüglich des ‘Kampfes der Götter’ schreibt, „daß etwas schön sein kann nicht nur: obwohl, sondern: in dem, worin es nicht gut ist, das wissen wir seit Nietzsche wieder, und vorher finden Sie es gestaltet in den „Fleur du mal“; WL, S. 604.
[58] Insofern als das „Erlösungsbedürfnis“, d. h. der Anspruch, „daß der Weltverlauf [...] ein irgendwie s i n n v o l l e r Vorgang sei“, die nach Weber die Voraussetzung aller Religion ist (RS I, S. 567), kann man den Versuch, durch das Leben als ‘Persönlichkeit’ dem eigenen Handeln in einer ‘entzauberten Welt’ „Sinn“ zu verleihen, als säkulare Religion bezeichnen.
[59] Weber bestimmt den Weg zu diesen ‘letzten Werten’ nicht eindeutig. Er schwankt zwischen einem Nietzsche- anischen verstandenen schöpferischen Willensakt und der „Selbstbesinnung“ auf im ‘Inneren’ vorhandene Wertmuster. Verweisen Äußerungen wie diejenige, daß es das „Schicksal einer Kulturepoche, die vom Baum der Erkenntnis gegessen hat“ sei, „wissen zu müssen, daß wir den Sinn des Weltgeschehens nicht aus dem noch so sehr vervollkommneten Ergebnis seiner Durchforschung ablesen können, sondern ihn selbst zu schaffen imstan- de sein müssen“ (WL, S. 154) oder das es darauf ankommt, die Werte „aus der eigenen Brust [zu] holen“ (SSP, S. 420) auf Nietzsches Verabschiedung der objektiven Metaphysik und deren Ersetzung durch den subjektiven Wil- len, so verleiht Weber im Gegensatz hierzu den einzelnen Werten ontologischen Status und damit metaphysi- schen Charakter, wenn er von ‘Göttern’ und ‘Dämonen’ spricht. Am Ende vonWissenschaft als Berufheißt es zum Beispiel, daß man der „Forderung des Tages“ gerecht werden müsse, die aber sei „schlicht und einfach, wenn jeder den Dämon findet und ihm gehorcht, der seines Lebens Fäden hält“ (WL, S. 613). Nicht nur diese Meta- physik der Werte, sondern auch die Forderung nach Dauerhaftigkeit der Wertwahl widerspricht Nietzsches Ideal, sich ständig neu zu entwerfen.
[60] WL, S. 132.
[61] Vgl. WL, S. 132, 494.
[62] ‘Subjektiv rationales Sichverhalten’ sei dabei nicht mit „rational richtigem, d. h. objektiv, nach der wissenschaft- lichen Erkenntnis, richtigen Mitteln verwendendem, Handeln identisch“, sondern bedeute, „daß die subjektive Absicht auf eine planvolle Orientierung an für richtig gehaltenen Mitteln für einen gegebenen Zweck gehe“; WL, S. 525 f. Diese Orientierung zu unterstützen, könne nach Weber Aufgabe der Wissenschaft sein. Diese könne zwar keine Wertungen aus sich selbst heraus entwickeln und müsse daher - so die von Weber in seinen wissen- schaftstheoretischen Arbeiten immer wieder aufgestellte Forderung - die prinzipielle Trennung zwischen „Wertur- teil“ und „Erfahrungswissen“ aufrechterhalten (Vgl. u. a. WL, S. 160), sie könne aber eine rationale Lebensführung insofern unterstützen, als sie dem einzelnen zur „Rechenschaft über den letzten Sinn des eigenen Tuns“ (WL, S. 608) verhilft; „Eine empirische Wissenschaft vermag niemanden zu lehren, was er soll, sondern nur was er kann und - unter Umständen was er will.“ Sie muß sich darauf beschränken, dem einzelnen „zu dem Bewußtsein zu verhelfen, daß alles Handeln, und natürlich auch [...] das Nicht-Handeln in seinen Konsequenzen einer Parteinahme zugunsten bestimmter Werte bedeutet, und damit [...] regelmäßig gegen andere.“ Sie könne darüber hinaus lediglich die Ideale des einzelnen einer „formal-logischen Beurteilung“ an dem „Postulat der inneren Wider- spruchslosigkeit des Gewollten“ unterziehen. An dieser Stelle führt Weber implizit Konsequenz als Werturteil ein, wenn seiner Meinung nach die Wissenschaft dem ‘Wollenden’ zur „Selbstbesinnung auf diejenigen letzten Axiome“ verhelfen könne, die „dem Inhalt seines Wollens zugrunde liegen, auf die letzten Wertmaßstäbe, von denen er unbewußt ausgeht oder - um konsequent zu sein - ausgehen müßte“; WL, S. 150 f.
[63] Vgl. WL, S. 132 f., 226 f., 64, 138.
[64] WL, S. 226.
[65] RS I, S. 538.
[66] WL, S. 180.
[67] Zum Begriff der Distanz siehe GPS, S. 546; S. 285: „»Distanz« ist aber keineswegs, wie der Mißverstand der verschiedenen auf NIETZSCHE zurückgehenden Prophetien bei uns glaubt, nur auf dem Kothurn der »aristokratischen« Kontrastierung seiner selbst gegen die »Vielzuvielen« zu gewinnen.“
[68] GPS, S. 560.
[69] WL, S. 132.
[70] WL, S. 152.
[71] Weber hält Naturrechtslehre für einen Anachronismus, Vgl. WuG, S. 19.
[72] GPS, S. 333: Es sei „eine gröbliche Selbsttäuschung, zu glauben, ohne die Errungenschaften aus der Zeit der Menschenrechte vermöchten wir heute [...] überhaupt zu leben“; Vgl. S. 62: Die „alten individualistischen Grund- gedanken der ‘unveräußerlichen Menschenrechte’“, seien „uns Westeuropäern so ‘trivial’ geworden [...], wie Schwarzbrot es für den ist, der satt zu essen hat.“
[73] GPS, S. 364.
[74] GPS, S. 513.
[75] Vgl. GPS, S. 513.
[76] GPS, S. 545 f. Auf Webers bekannte Unterscheidung von Verantwortungs- und Gesinnungsethik soll in dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden. Es kann hier im Zusammenhang mit dem Persönlichkeitsideal nur darauf hingewiesen werden, daß entgegen der üblichen Lesart, wonach Weber die Verantwortungsethik für die einzig der Politik angemessene Ethik gehalten habe, er vielmehr eine Ergänzung beider Ethiken für sinnvoll hielt: „Insofern sind Gesinnungsethik und Verantwortungsethik nicht absolute Gegensätze, sondern Ergänzungen, die zusammen erst den echten Menschen ausmachen, den, der den »Beruf zur Politik« habenkann“, GPS, S. 559.
[77] GPS, S. 547.
[78] GPS, S. 338.
[79] GPS, S. 377.
[80] GPS, S. 524.
[81] Ebenda; Vgl. WL, S. 488: „Der Beamte wird sich gänzlich als Mandatar seines Herrn, hier also der Wähler, der Führer [sich] als ausschließlich eigenverantwortlich verhalten; dieser wird also solange er ihr Vertrauen mit Erfolg in Anspruch nimmt, durchaus nach eigenem Ermessen handeln (Führer-Demokratie) und nicht wie der Beamte, gemäß dem in einem »imperativen Mandat« ausgesprochenen oder vermuteten Willen der Wähler.“
[82] Die militärische Ordnung als Grundmotiv findet sich u. a. auch in Webers soziologischer Kategorienlehre, in der etwa Herrschaft als Befehl-Gehorsam-Verhältnis verstanden wird: als „Befehlsgewalt“ bzw. als Chance, für einen Befehl Gehorsam zu finden; siehe WuG, S. 124, 122.
[83]So spricht Weber beispielsweise, die verschiedenen Sphären in Eins setzend, von den „Machtkämpfen auf dem Markt, auf dem Wahlkampfplatz oder auf dem Schlachtfeld“; GPS, S. 329.
[84] Vgl. GPS, S. 335.
[85] WL, S. 517. Auf den ersten Blick scheint es eine gewisse Nähe zwischen Webers Auffassung vom Kampf als notwendiges Element zwischenmenschlicher Beziehung und Thomas Hobbes negativer Anthropologie (homo hominem lupus est) zu bestehen. Doch verläßt bei Hobbes der Mensch angetrieben durch sein Sicherheits- und Selbsterhaltungsbedürfnis den Naturzustand zugunsten des Gesellschaftszustandes, in dem die absolute Souve- ränität des Herrschers die Befriedung der zwischenmenschlichen Beziehungen garantiert, so hat Weber im Gegen- satz hierzu ein positives Verhältnis zum Kampf, insbesondere zum Kampf um Macht, da er in ihm ein prinzipiell dynamisches Prinzip erblickt.
[86] WL, S. 517.
[87] GPS, S. 12.
[88] Vgl. WL, S. 598; GPS, S. 24: „ [...] jene menschlich liebenswürdige und achtungswerte, dennoch aber unsäglich spießbürgerliche Erweichung des Gemütes, welche politische Ideale durch ‘ethische’ ersetzen zu können meint und diese wieder harmlos mit optimistischen Glückshoffnungen identifiziert“.
[89] GPS, S. 347, 392.
[90] GPS, S. 326.
[91] GPS, S. 392
[92] GPS, S. 361, 454.
[93] GPS, S. 338, 347.
[94] GPS, S. 507
[95] GPS, S. 506. Indem Weber Machterwerb und Machterhaltung ins Zentrum seiner politischen ‘Theorie’ stellt, rückt er in eine Traditionslinie des politischen Denkens, die ihren Anfang mit Machiavelli. Für ihn wie für Weber ist unumgänglich, daß, wer politisch handelt auch böses tun müsse. Zu fragen ist daher nicht nach dem morali- schen, sondern allein nach dem zweckmäßigen Gebrauch der Mittel. Ähnlich wie Machiavelli als Bedingung des Erfolgs neben dievirtusauch diefortunades Politikers stellt, so stellt Weber neben den Führer das Schicksal.
[96] RS I, S. 599.
[97] GPS, S. 350. Dieser Begriff des Politischen als ‘Streben nach Macht’ bleibt dabei gegenüber Webers Erklärung, daß er als Selbstzweck verantwortungslos ist, völlig unbeeindruckt. Vgl., GPS, S. 547: „Denn obwohl, oder viel- mehr: geradeweilMacht das unvermeidliche Mittel und Machtstreben daher eine der treibenden Kräfte aller Poli- tik ist, gibt es keine verderblichere Verzerrung der politischen Kraft, als das parvenümäßige Bramabasieren mit Macht und die eitle Selbstbespiegelung in dem Gefühl der Macht rein als solcher. Der bloße Machtpolitiker, wie ihn ein auch bei uns eifrig betriebener Kult zu verklären sucht, mag stark wirken, aber er wirkt in der Tat ins Leere und Sinnlose.“
[98] GPS, S. 339.
[99] GPS, S. 337.
[100] GPS, S. 354, vgl. S. 524.
[101] WL, S. 601.
[102] Vgl. GPS, S. 392 f, 508.
[103] GPS, S. 348.
[104] GPS, S. 464 f.
[105] GPS, S. 356.
[106] GPS, S. 338, 346. Weber selbst spricht von einer „Aristokratie im politischen Sinne“; GPS, S. 272. Diese ist bei ihm angelehnt an eine „echte Aristokratie“, die „ein ganzes Volk im Sinne und in Richtung ihres Vornehmheitsideals zu prägen“ vermöge. Sie hätte den Vorteil der „kleinen Zahl“ und des „durchschnittlichkühleren Kopf[es]“, der „das Produkt einer bewußt durchgeformten Lebensführung und durch die Erziehung auf »Contenance« eingestellten Haltung“ sei; GPS, S. 270.
[107] GPS, S. 395.
[108] Vgl. etwa José Ortega y Gasset, Der Aufstand der Massen, Stuttgart 1955: “Es gibt keine Helden mehr; es gibt nur noch Chor“; „Anderssein ist unanständig. Die Masse vernichtet alles, was anders, was ausgezeichnet, persönlich, eigenbegabt und erlesen ist“, S. 9 u. 13.
[109] GPS, S. 392 f., 395.
[110] GPS, S. 441. Die „politische Reife“ ist zusätzlich bei Weber der nationalen Großmachtstellung untergeordnet: „Nur ein politisch reifes Volk ist ein »Herrenvolk«. Und nur „Herrenvölker haben den Beruf, in die Speichen der Weltentwicklung einzugreifen.“
[111] GPS, S. 401.
[112] GPS, S. 339.
[113] Wenn auch sicherlich Webers politische Neuordnungsvorschläge sich nicht in der Frage nach effizientesten Führerauslese erschöpfen, sondern ein ganzes Bündel institutioneller Vorkehrung, insbesondere die Stärkung des Parlaments zur Kontrolle der Bürokratie vorsehen, so scheinen diese Forderungen in weiten Bereichen dem Problem der qualifizierten politischen Elite untergeordnet, das daher als Kern des Weberschen politischen Denkens verstanden werden kann.
[114] Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist hier, daß der „Wille zur Macht“ das entscheidende Motiv der Führe r- persönlichkeit ist. Entscheidend ist für Weber, daß die politische Ordnung dergestalt aussieht, daß sie für diesen Typus genügend Anreiz stiftet, um in der Sphäre der Politik aktiv zu sein: „Es kommt nur alles darauf an: daß diese überall menschlichen, oft allzu menschlichen Interessen sowirken, daß dadurch eineAusleseder mit Führerquali- täten begabten Männer wenigstens nicht geradezu verhindert wird.“ Das sei ausschließlich dann möglich, wenn den Parteiführern „im Falle des Erfolges dieMachtund: dieVerantwortungim Staate winkt.“ GPS, S. 350. Das zentrale Problem des Kaiserreiches ist daher für Weber die Tatsache, daß aufgrund der Machtlosigkeit des Parla- ments „ein Mann von starken Machtinstinkten“ ein Narr sein müsse, sich hier zu engagieren; GPS, S. 346.
[115]GPS, S. 310, S. 442. Wie in diesem Zusammenhang Webers Forderung nach Parlamentarisierung zu verstehen ist, macht eine Bemerkung hinsichtlich des englischen Parlaments deutlich. Dieses dient ihm als Vorbild, weil es die „Stätte der Auslese jener Politiker gewesen ist, welche es verstanden haben, ein Viertel der Menschheit zur Unterordnung unter die Herrschaft einer winzigen staatsklugen Minderheit zu bringen. Und zwar - die Hauptsa- che! - zu einem immerhin erheblichen Teil zurfreiwilligenUnterordnung.;“ GPS, S. 355.
[116] RS I, S. 548: „Der Krieg als die realisierte Gewaltandrohung schafft, gerade in den modernen politischen Ge- meinschaften, ein Pathos und ein Gemeinschaftsgefühl und löst dabei eine Hingabe und bedingungslose Opfer- bereitschaft der Kämpfenden und über dies eine Arbeit des Erbarmens und der alle Schranken der naturgegebe- nen Verbände sprengenden Liebe zum Bedürftigen als Massenerscheinung aus, welcher die Religionen im allge- meinen nur in Heroengemeinschaften der Brüderlichkeitsethik ähnliches zur Seite zu stellen haben. Und darüber hinaus leistet der Krieg dem Krieger selbst etwas, seiner konkreten Sinnhaftigkeit nach, Einzigartiges: in der Emp- findung eines Sinnes und einer Weihe des Todes, die nur ihm eigen ist. Die Gemeinschaft des im Felde stehenden Heeres fühlt sich [...] als eine Gemeinschaft bis zum Tode. Und von jenem Sterben, welches gemeines Menschen- los ist und gar nichts weiter [...] scheidet sich der Tod im Felde dadurch, daß hier [...] der Einzelne zu wissen glauben kann: daß er »für« etwas stirbt.“
[117] GPS, S. 393.
[118] Ebenda; WuG, S. 156, vgl. S. 554 f.
[119] GPS, S. 394.
[120] WuG, S. 176; Vgl. GPS, S. 508: „Seiner Person und ihren Qualitäten aber gilt die Hingabe seines Anhangs“.
[121] GPS, S. 535. Weber bezeichnet die plebiszitäre Führerdemokratie daher auch als „Diktatur beruhend auf der Ausnutzung der Emotionalität der Massen“; GPS, S. 537.
[122] GPS, S. 544.
[123] GPS, S. 544.
[124] GPS, S. 507; WuG, S. 666: „Das Charisma ruht in seiner Macht auf Offenbarungs- und Heroenglauben, auf der emotionalen Überzeugung von der Wichtigkeit und dem Wert einer Manifestation religiöser, ethischer, künstleri- scher, wissenschaftlicher, politischer oder welcher Art immer, auf Heldentum, sei es der Askese oder des Kriegers, der richterlichen Weisheit, der magischen Begnadung oder welcher Art sonst. Dieser Glaube revolutioniert ‘von innen heraus’ die Menschen und sucht Dinge und Ordnungen nach seinem revolutionären Wollen zu gestalten.“ WuG, S. 666. Das Charisma ist bei Weber als einziges in der Lage, angesichts der Entzauberung und des mit der Bürokratisierung einhergehenden Zerfalls der Legitimität der rationalen Herrschaft, diese Legitimität neu zu stiften.
[125] WuG, S. 156, vgl. GPS, S. 348
[126] GPS, S. 507.
[127] WuG, S. 156.
[128] WuG, S. 157.
[129] GPS, S. 333.
[130] GPS, S. 545.
[131] Siehe Anmerkung 45.
[132] Friedrich Nietzsche, Werke in drei Bänden, hrsg. von Karl Schlechta, München 1966, Bd. 2, S. 708.
[133] GPS, S. 545.
[134] RS I, S. 519, 561.
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- Marco Clausen (Autor:in), 1998, Ausbruch aus dem "stählernen Gehäuse"? Die Verbindung von kulturkritischem und politischem Denken in Max Webers Begriff des charismatischen Führers, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95871
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