1. Umriss des Konzepts zur alltagsbezogenen Begleitung und Betreuung
Alltagsbegleitung ist wichtig für junge Erwachsene und Jugendliche, die einerseits mit ihrem eigenen Unvermögen bzw. Unvermögen der Umgebung und andererseits mit den gestellten Erwartungen an sie nicht zurecht kommen; die in der Gefahr stehen, in eine sich schnell ausweitende Lebenskrise zu geraten.
"Alltagsbegleitung ist ein präventives, auf langfristige Zusammenarbeit angelegtes, komplexes Unterstützungsangebot. Ziel ist, mit den jungen Menschen (und deren Umfeld) angemessene und aufeinander abgestimmte Entwürfe für die verschiedenen Bereiche ihres Lebens zu entwickeln und zu erproben, ohne daß sie dabei unnötig behindert, beeinträchtigt oder geschädigt werden." (Schröder / Storz 1994, 12)
Alltagsbegleitung geschieht personenzentriert:
Hierbei geht es zunächst einmal darum, den Jugendlichen in seinem vollen Lebensumfang wahr zu nehmen und zu verstehen, besonders seine derzeitige Lebenslage zu begreifen. Jugendliche sollen dabei befähigt werden, routinierte Abläufe des Alltags selbst zu vollziehen, jedoch nur sichtbar notwendige sind dabei von Bedeutung. Die betreuten Jugendlichen sollen dabei ganz bewusst zunächst ihre eigene Lebensgeschichte erzählen, damit diese dann aufgearbeitet werden kann. Dieser Punkt stellt eine wichtige Voraussetzung zur Alltagsbegleitung dar. Ergänzend können dabei Statements oder Dokumente anderer betreffender Personen hilfreich sein und zur Unterstützung heran gezogen werden. Ebenso wichtig und notwendig ist für den Alltagsbegleiter eine genaue Kenntnis der schulischen bzw. die Ausbildung betreffenden Situation des Jugendlichen, sowie „...soziales Netz, Finanzen, Wohnung, Legalität, Papiere und Gesundheit...“ (Schröder / Storz 1994, 12). Dieses umfassende Wissen über den Klienten soll helfen, „...Potentiale zu entdecken und zu fördern." (Schröder / Storz 1994, 12).
Alltagsbegleitung geschieht kontextorientiert:
Mittelfristig betrachtet geht es hierbei nicht um ein Erziehungs- oder Trainigsprogramm, sondern vielmehr um die Überschaubarkeit und die selbstständige Lösung von alltäglichen Problemen. Umsetzung erfolgt zunächst darin, dass sich Betreuer und Begleiter gemeinsamen Problemlagen stellen und versuchen, diese zu bewältigen. Dabei sollen Ich-Stärkungen und Schulung psychischer bzw. sozialer Kompetenzen nicht maßgeblich im Vordergrund stehen.
Dem Betreuer sollte sehr daran gelegen sein, dass der Klient eigene Muster zur Lösung von Alltagsproblemen entwickelt. Anschliessende Aufgabe besteht darin, diese dem Klienten bewusst zu machen und zu stärken.
"Betreute sind nicht die Missionsobjekte ihrer Betreuer." (Schröder / Storz 1994, 14)
Alltagsbegleitung geschieht vorsätzlich und verlangt Ausdauer:
Als Betreuer muss man sich in den meisten Fällen auf einen länger andauernden Zeitraum der Betreuungsverhältnisses einrichten. Ebenso nimmt man gewisse Rückschläge usw. in Kauf, "...wird jedoch immer wieder von sich aus initiativ ("nachgehend")..." (Schröder / Storz 1994, 14), allerdings nur wenn es ersichtlich ist, dass der Klient noch immer die aktive Hilfe des Betreuers zur Lösung seiner alltäglichen Probleme hat. Jedes Betreuungsverhältnis impliziert aber auch von dem Betroffenen ein gewisses Eingeständnis, mit alltäglichen Problemen nicht fertig zu werden. Es ist dabei jedoch zu beachten, dass der Betreute genau zwischen Einmischung bzw. Bevormundung und aktiver Hilfe zu unterscheiden weiss, gegen das erst genannte wird er sich dann auch erfolgreich zur Wehr setzen.
Alltagsbegleitung zielt auf Erfahrungsproduktion:
Es ist nicht alleiniges Ziel der Alltagsbegleitung praktische Lebensprobleme erfolgreich zu lösen, sondern auch zu erkennen und zu verstehen, wie sie entstehen und verlaufen. Dieser Reflektionsprozess wird ganz anschaulich für beide Seiten, Betreuer und Betreuter, sichtbar gemacht, so dass sich ein "...Bewußtseinsbildungsprozeß in Gang..." (Schröder / Storz 1994, 14) setzen kann.
Zur mittelfristig angelegten Kooperation ist es unbedingt nötig, gewissenhaft die Lebensgeschichte des Betreuten zu reflektieren und aus zu werten, ebenso wie aktuelle konkrete Schritte der Alltagsbegleitung.
2. Aufgaben für Alltagsbegleiter
Zunächst einmal ist es für den Betreuer wichtig, zu dem Jugendlichen Kontakt auf zu nehmen, um mit ihm ein vernünftiges Verhältnis zu erreichen. Dabei sollen Erwachsene aus dem Umfeld des Jugendlichen mit einbezogen werden. Ganz praktisch betrachtet erhält man oft den Zugang über die Schule bzw. Ausbildungseinrichtung, wenn man sich dort mit einbringt und mit seinem eigenen Sachverstand bei der Bewältigung kleinerer Aufgaben mit hilft. Es ist nötig, beim Jugendlichen der alltäglichen Welt entsprechende Denkansätze bzw. Verhaltensmuster zu initiieren, immer in Verbindung mit konkreten Vorhaben. Für eine erfolgreiche Alltagsbegleitung ist die Authentizität des Betreuers wichtig, man meint damit, dass die "Sache" des zu Betreuenden zur "Sache" des Betreuers werden soll, mit allen anstehenden Schwierigkeiten. Dazu sollen z.B. gehören, dass der Jugendliche ermutigt wird, materiell und ideell unterstützt wird und in allen Situationen weiss, dass der Betreuer ein offenes Ohr für ihn hat. Schröder / Storz beschreiben dies als "praktische Solidarität". "Da werden wichtige Kontakte gestiftet und vermittelt, da werden Türen geöffnet, Wege geebnet, Techniken vermittelt und Ressourcen zur Verfügung gestellt." (Schröder / Storz 1994, 15)
Vermittlung und Absicherung des Betreuten sind ebenfalls zwei wichtige Schlagwörter eines Alltagsbegleiters. Damit meint man, dass bei allen eigenen Anstrengungen des Betreuten nicht zum Erfolg führt oder nicht machbar ist, wird mit Hilfe des Begleiters geregelt. In der Praxis müssen Alltagsbegleiter oft in Versicherungs- und Finanzangelegenheiten und in rechtlichen Dingen fit sein, zumindest Kontakte zu professionellen Leuten herstellen können.
Alltagsbegleitung ist in vielen Fällen auch mit Konfliktmomenten verbunden, hier besteht die Aufgabe des Betreuers darin, "...die Situation für den Betreffenden zumindest erträglicher..." (Schröder / Storz 1994, 15) für ihn zu gestalten.
Im Allgemeinen betrachtet, ist der Job eines Alltagsbegleiters mit dem eines Managers vergleichbar, denn auch er muss ständig den Betreuten an festgesetzte Termine erinnern oder für die Einhaltung von bestimmten Fristen sorgen.
Bei älteren Jugendlichen kann es Vorkommen, dass Alltagsbegleiter oft bei der Versorgung von Wohnraum, Kleidung, Nahrung usw. als eine Art menschliche Grundversorgung mit helfen müssen. Hinzu kommen Ämtergänge, Briefwechsel mit Behörden "... in der Wahrnehmung von Anwalts-, Fürsprecher- und Vermittlungsfunktionen." (Schröder / Storz 1994, 15)
3. Wirksamkeit von Alltagsbegleitung
"Alltagsbegleitung hat nicht zuletzt die Funktion, an solch konkreten Beispielen den gesellschaftlich maßgeblichen Kräften immer wieder vorzuführen, was man Jugendlichen antut, die man kaltschnäuzig als Modernisierungsverlierer stigmatisiert." (Hiller 1997, 265).
Gotthilf Gerhard Hiller, Professor an der pädagogischen Hochschule von Ludwigsburg, beschreibt ein ganz konkretes Beispiel von Alltagsbegleitung. Ich möchte nachfolgend nicht noch einmal die ganze Geschichte von Tarik erzählen, sondern nur noch einmal Hiller's Beobachtungen zur Methodologie der Alltagsbegleitung an diesem Beispiel auswerten.
Er beschreibt zunächst einmal die mögliche Kontaktaufnahme (s.o.), um also mit den Jugendlichen in ein weiterführendes produktives Verhältnis zu kommen. Am Beispiel Tarik's geschieht das also über die Schule, Hiller tritt als Gast im Unterricht auf. Er meint, dass es nützlich ist, wenn die zuständigen Lehrer oder Erzieher schon im Vorhinein signalisieren, wer für Alltagsbegleitung in Frage kommen könnte. Tarik baut zunächst über Hiller's Interesse an einem seiner Hobbies eine zunächst scheinbar "harmlose" Beziehung zu ihm auf. Der Betreuer, hier in diesem Fall noch nicht für den zu Betreuenden erkenntlich, verknüpft also Interessen des Jugendlichen mit seinem eigentlichen Anliegen, einer wirksamen Alltagsbegleitung und praktischer Lebenshilfe. Sozialpädagogen sprechen beim folgenden Schritt vom "Aufbau einer guten Beziehung". Hierbei kann man sich gewisse Objekte zum Nutzen machen, die vom Betreuer zum Jugendlichen gelangen, im Beispiel hier Photos. Man schafft für den Jugendlichen über diese Dinge Verbindlichkeiten.
Weiterhin sollten Einladungen ausgehend vom Begleiter zu gemeinsamen Unternehmungen, die dann photografisch dokumentiert werden, erfolgen. Dadurch schafft es auch der Begleiter, sich innerhalb der Familie und des sozialen Umfeldes des Jugendlichen zu einem positiven Gesprächsstoff zu entwickeln, was für eine erfolgreiche Alltagsbegleitung unabdingbar ist.
Es gehört ebenfalls zu diesem gesamten Prozess, nachdem ein Vertrauensverhältnis aufgebaut worden ist dazu, konkret Alltagsbegleitung anzubieten und mit dem Jugendlichen beiderseitige Möglichkeiten zu besprechen. Damit verbunden muss man auch oft als Betreuer Enttäuschungen und Mißachtungen hinnehmen können und aus diesen Gründen nicht kampflos aufgeben dürfen.
Wie im vorhergehenden Abschnitt schon beschrieben, kommt dem Betreuer in den meisten Fällen eine Funktion als Vermittler bzw. Mittler zu. Im Beispiel Tariks erkennt man das daran, dass Hiller also Kontakt zur Berufsberatung oder zum Filialleiter des Supermarktes hergestellt hat. Hierbei geht man mit dem Jugendlichen gemeinsam, d.h. für ihn spürbar, oft auch lange Wege von negativen Begleiterscheinungen, Ablehnungen oder Mißerfolgen. Es sollte dem Jugendlichen klar werden, dass es keinen Sinn ergibt, solche Wege verkürzen zu wollen, sondern dass es oft genug noch im weiteren Leben nötig sein wird, solche Prozeduren durchstehen zu müssen.
Hiller schreibt, dass während der Zeit seiner Begleitung von Tarik, sein Telefon immer für ihn da war bzw. sein Anrufbeantworter. Er half ihm unkompliziert mit seinen eigenen technischen Voraussetzung, z.B. sein Computer beim Schreiben von Bewerbungen. Dem Betreuer sollte von vornherein klar sein, dass eine erfolgreiche Alltagsbegleitung eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen wird und das man warten können muss. Der Jugendliche sollte nie das Gefühl haben, vom Betreuer irgendwie bedrängt zu werden oder zu irgendwas gezwungen zu werden. Am Beispiel Tariks vergingen also sieben Monate, ehe es zu einem ausführlichen Gespräch über konkrete Alltagsbegleitung kam und er dann schließlich problemlos die Hilfe einer jungen Lehrerin annahm, die ihn bei der Verbesserung bestimmter Noten für sein Abschlußzeugnis helfen sollte. "Alltagsbegleiter müssen mit ihren Schützlingen ganz konkret ausarbeiten, wie sie ihnen in den Kram passen. Da muß es zu praktikablen Kompromissen auf Zeit kommen, und dann zu verläßlichen Absprachen, die geradewegs vertraulichen Charakter haben." (Hiller 1997, 264)
4. Persönliches Nachwort
Mich ganz persönlich hat dieses sicher noch nicht ganz ausgereifte Konzept von Alltagsbegleitung bei der Ausarbeitung des Referates bzw. der Nacharbeit sichtlich begeistert und bewegt, da ich es sehr nötig und fortschrittlich finde in Zeiten heutiger Lebensverhältnisse. Leider verschliessen sich zuständige Behörden und Ämter bzw. Politiker immer wieder diesen politisch scheinbar unattraktiven Themen, jedoch finde ich genau diese Haltung eher verwerflich und zum Teil verantwortungslos. Auch den Sonderschulpädagogen in der Schule für Lernbehinderte wird soziale Ungerechtigkeit und Armut von Kindern und Jugendlichen zukünftig noch stärker tangieren als bisher. Deshalb finde ich es notwendig und wichtig, auch sozialpädagogische Konzepte kennenlernen zu dürfen und hoffe, auch auf diesem Gebiet hilfreich sein zu können.
LITERATUR:
HILLER, G.G.: Tarik- oder wer profitiert von wem? Ein Versuch zu Methoden und Theorie der Alltagsbegleitung als einer pädagogischen Praxis. In: HEIMLICH, U. (Hrsg.): Zwischen Aussonderung und Integration. Berlin u.a.: Luchterhand, 1997. S. 248-267
SCHRÖDER, J. / STORZ, M. (Hrsg.): Einmischungen. Alltagsbegleitung junger Menschen in riskanten Lebenslagen. Langenau-Ulm: Vaas, 1994
- Quote paper
- Tobias Schmidt (Author), 1999, Konzept und Praxis der Alltagsbegleitung (Belegarbeit zum Seminarreferat), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95818
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