Pjotr Iljitsch Tschaikowsky
Tschaikowsky war ein äusserst sensibler und neurotischer Mensch. Sein Leben war oft schmerzlich und manchmal sogar qualvoll. Auf geniale Weise verstand er es jedoch, diese Erfahrungen in einige der schönsten romantischen Melodien zu verwandeln.
Am 7. Mai 1840 wurde Tschaikowsky als Sohn einer wohlhabenden Familie der Mittelschicht in Wotkinsk geboren. Sein Vater hiess Ilja Petrowitsch Tschaikowsky und war Hüttendirektor. Seine um 20 Jahre jüngere Frau war seine zweite Gattin, die Französin Alexandra Assière. Tschaikowsky war zwar ein frühreifes Kind, das mit sechs Jahren Deutsch und Französisch lesen und mit sieben französische Verse schreiben konnte, aber keine aussergewöhnliche musikalische Begabung zeigte. Er war sehr sensibel, und seine Gouvernante sagte, er sei ein ,,Porzellankind". Bei intensivem Unterricht hätte er durchaus ein Wunderkind werden können, denn er war für Musik überaus empfänglich, und er hatte ein sehr feines Gehör. Hörte er Musik -er bekam mit sieben Jahren Klavierunterricht-, liess sie ihn lange Zeit nicht mehr los. ,,Diese Musik! Diese Musik! Schafft sie weg! Sie ist hier in meinem Kopf und lässt mich nicht schlafen!"
Die Familie zog 1848 nach St. Petersburg um, wo er in die Rechtsschule eintrat. Er war nie ein besonders guter Schüler. Im Jahre 1854 starb seine über alles geliebte Mutter an Cholera, worüber er untröstlich war.
Obwohl er nur wenig Musikunterricht genossen hatte, begann er mit vierzehn Jahren zu komponieren. Doch in der Schule konnte er sich nicht weiterbilden, da dieses Fach nicht unterrichtet wurde. Nach seinem Juraexamen im Jahre 1859 erhielt er eine Anstellung im Justizministerium als Sekretär erster Klasse. 1861 ging er ausser Landes und gab viel mehr Geld aus, als er es sich leisten konnte. Zu dieser Zeit verfügte die Familie über wenig Mittel; sein Vater hatte bei einer Reihe von Fehlinvestitionen nahezu alles verloren. ,,Wenn ich je zu einem gewaltigen Stück Narrheit angesetzt habe", schrieb er seiner Schwester, ,,so war es diese Reise... Du weißt, ich habe eine Schwäche. Sobald ich irgendwelches Geld in die Hände bekomme, verschwende ich es für Vergnügungen. Es ist vulgär und dumm, aber es scheint ein Teil meines Wesens zu sein." Tschaikowsky war nie fähig, sein Geld zusammenzuhalten. Er verdiente in seinem Leben beträchtliche Summen, verschenkte jedoch einen Grossteil und gab den Rest aus. Als er 1891 für seine Reise in die Vereinigten Staaten aus New York einen Vorschuss erhielt, schickte er seinen Gläubigern und Freunden eine Nachricht: ,,Gerade habe ich gutes Geld erhalten. Kommt und holt euch, solange es reicht."
Erst im Alter von 21 Jahren begann er ernstlich Musik zu studieren. Er wurde Schüler von Nikolaj Zaremba, bis 1862 das St. Petersburger Konservatorium eröffnet wurde und er sich mit seinem Lehrer dort einschrieb. Er machte sich lustig über sein Studium, hoffte aber insgeheim, ein neuer Glinka zu werden. 1863 schied er aus dem Staatsdienst aus, um sich ganz der Musik zu widmen und wurde auch Schüler von Anton Rubinstein, dem Gründer des Konservatoriums. Rubinstein nahm sich seiner an, weil er ihn für besonders begabt hielt. In einem Kurs wurde Tschaikowsky speziell für das Dirigieren ausgebildet. Er war immer sehr ängstlich, wenn er vor einem Orchester stand, und es blieb sein Leben lang. Die düstere Vorstellung, dass sein Kopf im Begriff sei, ihm von den Schultern hinabzufallen, bedrückte ihn und er stützte tatsächlich das Kinn mit seiner linken Hand, um ihn festzuhalten. Deshalb wundert man sich auch nicht, dass es ihm als Dirigent nie so recht gelang, seine Orchestermitglieder mitzureissen. Tschaikowsky war aber einer der besten Studenten des Konservatoriums, und 1866 empfahl Anton Rubinstein ihn seinem Bruder Nikolaj, der nach einer Lehrkraft für das Fach Harmonielehre am Moskauer Konservatorium Ausschau hielt. Trotz des niedrigen Gehalts zog Tschaikowsky nach Moskau um und lebte sechs Jahre lang bei Nikolaj Rubinstein, der sich rührend um den unglücklichen, an Heimweh leidenden jungen Mann kümmerte.
Tschaikowsky führte ein ruhiges Leben. Er unterrichtete, komponierte und schloss Freundschaften. Nach drei Jahren hatte er eine Sinfonie in g-Moll (Winterträume 1866), einige andere Orchesterstücke und das Melodram ,,Der Wojewode" (1868) abgeschlossen. Als er 1968 nach St. Petersburg reiste, verbrachte einige Zeit mit den Mitgliedern des ,,mächtigen Häufleins", die an seiner Sinfonie, die er ihnen vom Manuskript vorspielte, Gefallen fanden. Sie enthielt genug nationale Komponenten, um ihr Interesse zu wecken. Wie Rimskij-Korsakow schrieb: ,,Unsere frühere Meinung von ihm hat sich im günstigen Sinne verändert, obwohl seine Konservatoriumsausbildung noch immer eine beträchtliche Schranke zwischen ihm und uns aufrichtet."
Als Tschaikowsky wieder nach Moskau zurückkehrte, hatte er eine flüchtige Liebesaffäre mit der belgischen Sopranistin Desirée Artôt, die jedoch einen spanischen Bariton heiratete. Dennoch blieben sie gute Freunde, und Tschaikowsky suchte sie immer auf, wenn er auf Reisen in ihre Nähe kam.
Allmählich machte sich Tschaikowsky einen Namen im Musikleben Russlands, traf mit dem Kritiker Stassow zusammen.
Tschaikowsky komponierte eifrig weiter. Die Jahre 1869-1875 brachten eine Reihe von erfolgreichen Werken, in denen er in immer stärkerem Masse seinen eigenen Stil ausprägte. Es entstanden in dieser Zeit die Ouvertüre Romeo und Julia (die der Komponist an Balakirew schickte, der sich die Hände rieb und dann das Werk zerriss), die 2. Sinfonie (die Polnische in D-Dur op.29) und das b-Moll Klavierkonzert. Tschaikowsky wollte das Konzert Nikolaj Rubinstein widmen, aber dieser kritisierte es auf so verheerende Weise, dass er es dann Hans Bülow widmete (dem er nie begegnet war), und Bülow spielte es auch an der Welturaufführung in Boston am 25. Oktober 1875. John Dwight, Bostons führender Musikkritiker, war, wie vorherzusehen, entsetzt: Er konnte dieses ,,äusserst schwierige fremdartige, wilde, ultra-russische Konzert" einfach nicht verstehen. Zwar räumte er ein, dass es brillant und aufregend sei, aber seine Rezension endete mit einer rhetorischen Frage: ,,Können wir je lernen, solche Musik zu lieben?" Dwight lernte nie, andere hingegen wohl, und Tschaikowskys Ansehen wuchs von da an stetig.
In den Jahren 1875-76 Komponierte Tschaikowsky Schwanensee, ein weiteres Ballett.
In diese Zeit fällt auch seine Beziehung zu Nadeschda Filaretowna von Meck und seine Heirat mit Antonina Iwanowna Miljukowa (1877) die er am Moskauer Konservatorium kennengelernt hatte. Während Antonina sich hoffnungslos in Tschaikowsky verliebt hatte, heiratete sie der 37 jährige Komponist aus Berechnung in der Hoffnung auf einen gesellschaftlichen Aufstieg. Alsbald erwies sich Antonia als dumm und nymphoman- als die ungeeignetste Lebenspartnerin für einen sensiblen, ängstlichen Mann mit homosexuellen Neigungen. Nach wenigen Wochen trennte sich Tschaikowsky von ihr. ,,Noch einige Tage, und ich wäre verrückt geworden." Er unternahm sogar einen Selbstmordversuch und stürzte sich in einen Fluss, um sich willentlich eine Lungenentzün- dung zuzuziehen. Aber es kam nur zu einer schweren Erkältung. Sein Bruder Modest rettete ihn, und die beiden flohen nach St. Petersburg, wo Tschaikowsky kurz darauf einen Nervenzusammenbruch hatte. Die Ehe mit Antonina Milijukowa hatte nur neun Wochen gewährt. Diese liess sich darauf mit zahllosen Liebhabern ein. Sie wurde 1986 schliesslich in eine Irrenanstalt eingewiesen, wo sie 1917 starb.
Als Nadeschda von Meck ihren Briefwechsel mit Tschaikowsky begann, war sie eine begüterte, 46 jährige Witwe mit 11 Kindern, die Tschaikowskys Werke bewunderte. Sie erbot sich, ihn durch eine jährliche Pension zu unterstützen, unter der Bedingung, dass sie sich niemals persönlich begegneten. Daraufhin bezog Tschaikowsky 14 Jahre lang ein grosszügiges Gehalt. Sie führten einen ausgedehnten Briefwechsel, und während der ganzen 14 Jahre gingen sie einander aus dem Weg, obwohl sie gelegentlich die gleichen Konzerte besuchten, und einander verstohlen musterten.
Der Komponist konnte den eigenen Wünschen nachkommen und, als sich zusätzliche Einkünfte aus Aufträgen und Aufführungen einstellten, 1878 seine Lehrtätigkeit am Konservatorium einstellen und ein Landhaus in Maidanowo kaufen. Doch trotz der finanziellen Sicherheit blieb er psychisch angeschlagen. Er klagte über ständige Kopfschmerzen, brach leicht in Tränen aus, hegte ständige Zweifel an sich und seiner Musik und trank übermässig, um der Wirklichkeit zu entfliehen. Ebenso war er dem Kartenspiel verfallen. Ohne seine abendliche Whist- Partie konnte er nicht leben. Blieb sie ihm versagt, legte er Patiencen.
In Briefen und in seinem Tagebuch äusserte er sich über seine musikalischen Interessen. Wagner langweilte ihn, und er verabscheute Brahms, dessen Musik er nicht als Genialität, sondern als überhebliche Mittelmässigkeit bezeichnete. Für Barockmusik hatte er nichts übrig. Händel hatte für ihn bestenfalls viertrangige Bedeutung. Über Gluck und Haydn äusserte er sich folgendermassen: ,,Gluck ist trotz relativer Armut seiner Schöpfungen für mich anziehend. Ebenso liebe ich manche Sachen von Haydn."
Als Kenner der Werke Mozarts und der vorklassischen Komponisten und als schöpferischer Musiker war Tschaikowsky im Gegensatz zu dem ,,mächtigen Häuflein" um Form bemüht. Doch seine ersten frühen Sinfonien sind die Durchführungsteile reines Flickwerk voll einfallslosem Füllmaterial. Erst in seiner vierten Sinfonie entwickelte sich eine Art Form, die sich dem stürmischen, tänzerischen, hauptsächlich spontanen und lyrischen Wesen seiner Musik fügte.
Bei den Opern gilt Eugen Onegin als sein Meisterwerk. Manche halten Pique Dame für bedeutender, die steht aber der Melodik von Eugen Onegin um einiges nach.
Tschaikowskys Einstellung zur Oper gleicht der eines Viktorianers zur Sexualität. Er liebte sie, hatte aber gleichzeitig Schuldgefühle, weil er glaubte, sich zu versündigen. Er nannte die Oper ,,eine falsche Art von Kunst" und räumte im gleichen Atemzug ein, ihre Form ziehe alle Komponisten an.
Als Tschaikowskys Musik in ganz Europa Fuss zu fassen begann, unternahm der Komponist immer häufiger Reisen. Als Nadeschda von Meck im Jahre 1890 seine Jahresrente einstellte, war er sehr betroffen. Seine Gönnerin befürchtete einen Bankrott, was in Wirklichkeit aber nicht der Fall war. Sie brach die Vereinbarung jedoch abrupt und weigerte sich, Tschaikowskys Briefe zu beantworten. Er fühlte sich entehrt, von einer kapriziösen Frau, der viele Jahre grosser Vertrautheit plötzlich nichts mehr bedeuteten, als Spielzeug behandelt. ,,Meine ganze Sicht der Menschheit, mein Glaube an das Beste in ihr sind auf den Kopf gestellt worden." Später schrieb sein Bruder Modest: ,,Weder der Triumph von Pique Dame noch der tiefe Kummer, den ihm im April 1891 der Tod seiner geliebten Schwester bereitete, noch sein amerikanischer Triumph waren in der Lage, den Schlag zu lindern, den sie ihm versetzt hatte." Tschaikowsky wusste jedoch nicht, dass Nadeschda gerade eine schwere Krise durchlitt und alle ihre Beziehungen einer Prüfung unterzog. Einige vertreten die Auffassung, sie habe die Verbindung zu Tschaikowsky abgebrochen, weil sie von seinen sexuellen Neigungen erfahren hatte. Diese Vermutung entbehrt jedoch einer berechtigten Grundlage. Tschaikowsky floh in den Westen. 1891 wurde er nach New York eingeladen, um an der Einweihung der Music Hall (die Jahre später in Carnegie Hall umbenannt wurde) teilzunehmen. Das Honorar, 25000 Dollar für vier Konzerte war grosszügig bemessen. Der Komponist war von der Offenheit und Freizügigkeit beeindruckt.
Er bewunderte die Wolkenkratzer, obwohl er nicht verstehen konnte, wie jemand in solch schwindelerregender Höhe wie dem 13. Stockwerk eines Gebäudes wohnen könne. Ihm zu Ehren wurde von Morris Reno ein Abendessen gegeben. Ihn beeindruckte, dass vor jeder Tischdame sein Porträt in einem zierlichen Rahmen stand; und zur Mitte des Diners, das dreieinhalb Stunden dauerte, wurde Eis in kleinen Bechern hereingetragen, an denen ebenso kleine Täfelchen mit einem Bleistift hingen, auf denen Ausschnitte aus seinen Werken geschrieben standen. Später am Abend musste er auf diese Täfelchen noch seine Unterschrift setzen. Tschaikowsky besichtigte die Niagara- Fälle und Washington und, abgesehen von seinen vier Konzerten in der Music- Hall leitete er Konzerte in Philadelphia und Washington. Im Jahre 1893, dem letzten seines Lebens, erfreute Tschaikowsky sich einer Beliebtheit und Verehrung, wie sie selten einem Komponisten entgegengebracht wurde.
Tschaikowskys letztes grosses Werk war die Sinfonie Nr. 6 in h- moll, die Pathétique. Er machte daraus geradezu ein Geheimnis, ausserdem war er sehr glücklich darüber, dass ihn seine Inspiration noch nicht verlassen hatte. Er behauptete, er habe seine Seele in das Werk gelegt, das am 28. Oktober 1893 in St. Petersburg zur Aufführung kam. Er erzielte jedoch nicht den erhofften Publikumserfolg, und Tschaikowsky verzichtete darauf, sein Werk eine Programmsinfonie zu nennen.
Sein Bruder schlug Tragique, und dann Pathétique vor, und Tschaikowsky entschied sich schliesslich für den letzteren Namen. Sie ist die ungewöhnlichste und pessimistischste Sinfonie, die der Komponist jemals schrieb. Weniger als eine Woche später starb er nach einigen Tagen schweren Leidens am 6. November 1893.
Sein ständiger Alptraum vom Bekanntwerden seiner homosexuellen Veranlagung hatte sich zu seinem Leidwesen doch noch erfüllt -durch einen russichen Adeligen, mit dessen Neffen Tschaikowsky in Beziehung getreten war. Ein ,,Ehrengericht", dem auch verschiedene Mitschüler aus seiner Studienzeit an der Akademie angehörten, legte ihm nahe Selbstmord zu verüben, wenn er einen Skandal vermeiden wollte. Fest steht, dass er an Cholera gestorben ist, die er sich zuzog, weil er unbehandeltes Wasser aus der Nowa getrunken hatte -wobei man nicht weiss, ob er dieses Schicksal absichtlich heraufbeschwor. Er wurde in St. Petersburg auf dem Friedhof des Alexander-Newskij-Klosters begraben. Hier seht ihr noch ein Foto, das kurz vor seinem Tod gemacht wurde. eine Seite der Original-Partitur des Klavierkonzerts Nr.1, an dem Tschaikowsky 1874 zu arbeiten begann.
- Citation du texte
- Fallen Angel (Auteur), 2000, Pjotr Ilijtsch Tschaikowsky, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95781
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