Diese Facharbeit steht unter dem Motto „Goethe und die Deutschen – Aspekte der ideologischen Vereinnahmung eines Klassikers“. Das Thema bezeichnet zunächst allgemein das Verhältnis der Deutschen zu den Werken Goethes unter Berücksichtigung der unterschiedlichen politischen Strömungen, die sich auf eine ihrer Ideologie entsprechenden Art und Weise mit den deutschen Klassikern auseinandersetzten.
Da sich aber bis heute viele verschiedene politische Systeme (z. B. die Weimarer Republik, der Nationalsozialismus, die DDR) mit Goethe und seiner Zeit beschäftigten und ein allgemeiner, aber aussagekräftiger Überblick darüber den mir hier
vorgegebenen Rahmen sprengen würde, habe ich mich für die Betrachtung eines Abschnittes unseres Jahrhunderts entschieden, der sicherlich zu den dunkelsten der deutschen Vergangenheit gehört: das Dritte Reich. Ich war der Meinung, dass dieser Zeitabschnitt die krassesten Beispiele bieten würde, um die ideologische Vereinnahmung der Klassiker zu verdeutlichen. Hinzu kam eine umfangreiche Literaturlage über diese Epoche.
Jedoch stellte sich erstaunlicherweise heraus, dass Goethe und seine literarischen Werke für die Nationalsozialisten nur in geringem Maße brauchbar waren.1 Nach umfangreicher Sichtung von Sekundärliteratur war festzustellen, dass nur wenige Bezüge zwischen Goethe und dem Dritten Reich vorhanden zu sein schienen und so gut wie keine Primärliteratur existiert, die zur Verdeutlichung geeignet wäre. Auffällig oft wurde aber auf die Literatur Friedrich von Schillers und ihre Bezüge zur NS-Ideologie verwiesen, so dass ich nicht umhin kam, eine Betrachtung der Werke des berühmten Zeitgenossen und Freundes Goethes in meine Untersuchungen mit einzubeziehen. Da Schiller jedoch ein weitaus größeres Verwendungsspektrum im Dritten Reich aufwies, wird die Behandlung seiner ideologischen Vereinnahmung in meinen Ausführungen einen dementsprechend großen Stellenwert im Verhältnis zur nationalsozialistischen Goethe-Betrachtung einnehmen.
Inhaltsverzeichnis
A. GOETHE UND DIE DEUTSCHEN - ASPEKTE DER IDEOLOGISCHEN VEREINNAHMUNG EINES KLAS- SIKERS
I. Einleitung
II. Literaturrezeption im Dritten Reich
III. Die nationalsozialistische Vereinnah- mung der Klassiker
1.Schiller als Mittel der nationalsozi- alistischen Propaganda
2.Der Fall„Wilhelm Tell“
3.Goethe als nationalsozialistisches Identifikationsproblem
IV. Zusammenfassung und Komme ntar
V. Quellen und Anmerkungen
B. ANHANG
I. Literaturverzeichnis
II. Materialien
III. Schülererklärung
A. GOETHE UND DIE DEUTSCHEN - ASPEKTE DER IDEOLO- GISCHEN VEREINNAHMUNG EINES KLASSIKERS
I. Einleitung
Diese Facharbeit steht unter dem Motto „Goethe und die Deutschen - Aspekte der ideologischen Vereinnahmung eines Klassikers“. Das Thema bezeichnet zunächst allge- mein das Verhältnis der Deutschen zu den Werken Goethes unter Berücksichtigung der unterschiedlichen politischen Strömungen, die sich auf eine ihrer Ideologie entsprechen- den Art und Weise mit den deutschen Klassikern auseinan- dersetzten. Da sich aber bis heute viele verschiedene politi- sche Systeme (z. B. die Weimarer Republik, der National- sozialismus, die DDR) mit Goethe und seiner Zeit beschäf- tigten und ein allgemeiner, aber aussagekräftiger Überblick darüber den mir hier vorgegebenen Rahmen sprengen wür- de, habe ich mich für die Betrachtung eines Abschnittes unseres Jahrhunderts entschieden, der sicherlich zu den dunkelsten der deutschen Vergangenheit gehört: das Dritte Reich. Ich war der Meinung, dass dieser Zeitabschnitt die krassesten Beispiele bieten würde, um die ideologische Vereinnahmung der Klassiker zu verdeutlichen. Hinzu kam eine umfangreiche Literaturlage über diese Epoche.
Jedoch stellte sich erstaunlicherweise heraus, dass Goethe und seine literarischen Werke für die Nationalsozialisten nur in geringem Maße brauchbar waren.[1] Nach umfangrei- cher Sichtung von Sekundärliteratur war festzustellen, dass nur wenige Bezüge zwischen Goethe und dem Dritten Reich vorhanden zu sein schienen und so gut wie keine Primärliteratur existiert, die zur Verdeutlichung geeignet wäre. Auffällig oft wurde aber auf die Literatur Friedrich von Schillers und ihre Bezüge zur NS-Ideologie verwiesen, so dass ich nicht umhin kam, eine Betrachtung der Werke des berühmten Zeitgenossen und Freundes Goethes in mei- ne Untersuchungen mit einzubeziehen. Da Schiller jedoch ein weitaus größeres Verwendungsspektrum im Dritten Reich aufwies, wird die Behandlung seiner ideologischen Vereinnahmung in meinen Ausführungen einen dement- sprechend großen Stellenwert im Verhältnis zur nationalso- zialistischen Goethe-Betrachtung einnehmen.
Die verwendete Sekundärliteratur setzt sich vorwiegend aus literaturhistorischen Abhandlungen zusammen, jedoch werden auch biographische Aspekte und Aussagen Schil- lers mit eingebracht. Sie sollen zur Verdeutlichung von Schillers Intentionen bei der Interpretation von „Wilhelm Tell“ dienen und teilweise die Aussagen der Nationalsozia- listen über Schiller widerlegen.
Die folgende Ausarbeitung beginnt mit einem kurzen Ü- berblick über die Literaturrezeption im Dritten Reich, um einen allgemeinen Eindruck zu erhalten, wie verschiedene literarische Strömungen von den Nationalsozialisten be- handelt wurden. Hiernach schließen sich konkrete Ausfüh- rungen zur Verwendung der Werke Friedrich von Schillers im Dritten Reich an, später verdeutlicht am Beispiel des Nationaldramas „Wilhelm Tell“. Durch die Interpretation eines für die Faschisten interessanten Textausschnittes und die Darlegung seiner Verwendungsweise im Nationalsozia- lismus soll gezeigt werden, inwiefern klassische Literatur benutzt wurde und in welcher Hinsicht sich die faschisti- schen Auslegungen teilweise auch widersprechen. Danach wird ein Überblick über die Goethe-Rezeption im Dritten Reich gegeben, mit besonderem Augenmerk auf die Tatsa- che, dass Goethe als eine Art Gegenspieler Schillers darge- stellt wurde. Abschließend folgen eine Zusammenfassung mit persönlichem Kommentar, Quellenverweise, ein Litera- turverzeichnis, weitere Materialien und eine Schülererklä- rung.
II. Literaturrezeption im Dritten Reich
Bereits wenige Tage nach der Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933 wurden erste Verordnungen erlassen, durch welche die freie Meinungsäußerung, die Presse- und Versammlungsfreiheit entscheidend eingeschränkt wurden. Somit legte man den Grundstein für den Prozess der „Gleichschaltung“, d. h. der Angleichung des öffentli- chen Lebens an die Vorstellungen der Nationalsozialisten. Die Grundsätze der NS-Kulturpolitik sahen vor, vor allem die Maxime„Rasse ist Stil“[2] sowie das Blut- und Boden- Erbe[3], d. h. die Überlegenheit der arischen Rasse auf deutschem Boden zu fördern und jegliche Bedrohung dieser völkisch-nationalen Gesinnung aus dem kulturellen Leben zu entfernen. Die Literatur des späten 19. und frü- hen 20. Jahrhunderts wurde als „entartete Kunst“ angese- hen, da sie als der Ausdruck eines geistigen und biologi- schen Verfalls[4] galt und somit nicht den natio- nalsozialistischen Idealen entsprach. Autoren dieser Epo- che wurden in der Öffentlichkeit zu „Untermenschen“ deklariert. Die NS-Interpretationen galten als unfehlbar und waren gegen jede öffentliche Kritik, die als Ausdruck jüdischer Zersetzung galt und später verboten wurde, im- mun.[5]
Als ein Meilenstein in der nationalsozialistischen Litera- turpolitik kann die Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 bezeichnet werden. In feierlichen, fast schon ritualisierten Zeremonien wurden in ganz Deutschland u. a. Werke von Marx, Kästner, Freud und Tucholsky den Flammen über- geben. Kurz darauf wurden Listen von Büchern veröf- fentlicht, die aus den öffentlichen Bibliotheken zu entfer- nen waren. Die gesetzliche Grundlage für die literarische Bereinigung Deutschlands wurde später durch das Reichskulturkammergesetz vom 22.09.1933 geschaffen.
Alle Künstler wurden dazu verpflichtet, dem NS-Regime im Rahmen ihres Tätigkeitsbereiches zu dienen. Wer die- ser Aufforderung nicht nachkam oder keinen Ariernach- weis erbringen konnte, wurde in der Regel aus der für seinen Berufsstand zuständigen Kammer ausgeschlossen. Dr. Joseph Goebbels, Reichspropagandaminister, formu- lierte in einer Rede zur Eröffnung der neugegründeten Reichskulturkammer den Sinn des Reichskulturkammer- gesetzes:„Nicht einengen wollen wir die künstlerisch-kulturelle Entwicklung, sondern fördern. Der Staat will seine schützende Hand darüber halten.“[6]
1935 war der Gleichschaltungsprozess weitgehend voll- zogen. Bürgerliche Kunst und Kultur waren für die eige- nen Zwecke ausgeschlachtet worden, „andersdenkende Literatur“ hatte man aus dem öffentlichen Leben entfernt. Sämtliche Neuerscheinungen wurden nach einem stren- gen Muster und vorgeschriebenen Kriterien kontrolliert. Auch Buchbesprechungen im Feuilleton, die nur von staatlich autorisierten Rezensenten verfasst werden durf- ten, hatten nach einem bestimmten Schema abzulaufen; es war u. a. die„Prüfung der ideologischenÜbereinstim-mung des Buches mit den Weltanschauungsthesen“[7] durchzuführen. Schriftsteller, die nicht den NS-Vorstel- lungen entsprachen, mussten entweder fliehen oder sich zumindest nach außen der NS-Literaturpolitik anpassen.
Einen besonderen Status in der nationalsozialistischen Literaturbetrachtung hatten die Klassikautoren Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich von Schiller inne. Vor allem Letzterer wurde von den Gefolgsleuten Adolf Hitlers zu ideologischen Zwecken ausgenutzt, Goethe hingegen wurde eher distanziert betrachtet. Das folgende Kapitel soll anhand allgemeiner Ausführungen und eines konkreten Beispiels, Schillers „Wilhelm Tell“, die Ver- einnahmung der deutschen Klassiker zu NS-Zwecken darstellen.
III. Die nationalsozialistische Vereinnahmung der Klassiker
III.1. Schiller als Mittel der nationalsozialistischenPropaganda
Schon am Tage der Machtübernahme durch Adolf Hitler am 30. Januar 1933 begann die nationalsozialistische Pro- pagandamaschinerie zu arbeiten. Um ihre ideologischen Vorstellungen zu vermitteln, schreckten die Nationalso- zialisten auch vor der Einbeziehung anerkannter deut- scher Literatur nicht zurück. Im folgenden soll anhand des Beispiels von Friedrich von Schiller, dem neben Jo- hann Wolfgang von Goethe bedeutendsten Klassikautor, verdeutlicht werden, wie die Nationalsozialisten vorgin- gen, um mit Hilfe von (klassischer) Literatur ihre ideolo- gischen Grundsätze zu vermitteln.
Schon kurz nach der deutschen „Revolution“[8], wie die Machtergreifung im NS-Jargon bezeichnet wurde, führte man Schiller als Urahn der„nationalen Erhebung“an, da seine„Ideale und die deutsche Revolution“„in absoluter Übereinstimmung“seien.[9] Doch schon hier tritt die erste Widersprüchlichkeit in der faschistischen Literaturdeu- tung auf, denn von anderer Stelle wurde immer wieder betont, dass Schiller nicht immer ein Befürworter von Revolutionen war:„[...]so warnte er doch vor jeder plan- losen, gewaltsamen Revolution. [...]So stellt Schiller der blutigen Schreckensherrschaft der romanischen Re-volution von 1789 die unblutige Erhebung der germani- schen Schweizer[in „Wilhelm Tell“, Anm. d. Verf.]ge-genüber,[...]“[10] Und wirklich: Nachdem Schiller zu- nächst die französische Bewegung für Freiheit und Gleichheit begrüßt hatte, lehnte er die darauffolgenden blutigen Auseinandersetzungen der Revolution grundsätz- lich ab. Nach der Enthauptung Ludwigs XVI. distanzierte sich der Dichter vollends von den Vorgängen in Frankreich und erkannte die Illusion, die hinter der Vorstellung eines freien und guten Staates steckte. Die revolutionäre Seite Schillers wurde jedoch nur in den ersten Jahren nach der Machtergreifung betont, da danach die deutsche Revolution als abgeschlossen galt.
Großes Augenmerk wurde im Dritten Reich auf die Beto- nung des Nationalitätsgedankens in Schillers Werken gelegt. Als Paradebeispiel hierfür wurde neben der „Jung- frau von Orleans“ das Drama „Wilhelm Tell“, wie übri- gens in vielerlei Hinsicht, angeführt. Beachtenswert sind jedoch die Umdeutungen, die von den Hitleranhängern vorgenommen wurden. Auch wenn der Dramenstoff der
„Jungfrau“ und des „Tell“ nicht aus deutschen Landen stammte, habe er immer„die Geschichte jenes[...]ger- manischen[...]Adels dargestellt, der Europas Staaten geschaffen[...]“habe.[11] Auch das soldatische Kämpfer- tum wurde in der nationalsozialistischen Schillerdeutung hervorgehoben. Der Dichter und seine Werke hätten an- geblich sogar das Kriegsgeschehen im 19. und 20. Jahr- hundert beeinflusst - ohne Schiller hätte es keinen Sieg bei Leipzig während der Befreiungskriege gegen Napole- on 1813 gegeben, das aus kriegerischen Auseinanderset- zungen entstandene Deutsche Reich von 1871 sei seinem Wirken zu verdanken[12], und„mit Schillers Werken sei auch der tapfere einfache Soldat im ersten Weltkrieg in den Kampf gezogen“.[13]
In fast allen dramatischen Werken Schillers wurde den Helden die Repräsentation des nationalsozialistischen Führerbildes angedichtet, sogar Schiller selbst sei als dichterischer Führer dem politischen Führer von 1933 vorangegangen[14]. War keine Übereinstimmung mit den NS-Idealen zu finden, so versuchte man, eine andere Ver- bindung zum Nationalsozialismus zu ziehen. Hier war z. B. das Negativbeispiel verbreitet, d. h. Schiller habe zeigen wollen, wie sich eine Führernatur nichtverhalten sollte.[15] Um sogar die zwielichtige Gestalt des „Wallen- stein“ in Beziehung zum Nationalsozialismus setzen zu können, wählte man als Termine der Uraufführungen des zweiten und dritten Teils den 30. Januar bzw. den 20. April - zum einen der Termin der Machtergreifung Hit- lers, zum anderen den Geburtstag des Führers.
Nach Beginn des zweiten Weltkrieges veröffentlichte der geheime „Zeitschriften-Dienst“ am 07. Oktober 1939 Anweisungen, welche Teile aus Schillers Biographie und Werken für die NS-Propaganda noch verwertbar waren. Besondere Betonung sollte auf Schillers Nationalbe- wusstsein gelegt werden; vermeiden sollte man Hinweise auf Schillers Idealismus. Die Auflistung enthielt konkrete Hinweise, wie die angestrebten Ziele verwirklicht werden könnten. So sah man „Wilhelm Tell“ als Paradestück für Schillers nationalistische Ader, wohingegen z. B. die „Jungfrau von Orleans“ zur Diffamierung Englands oder der „Demetrius“ zur Darstellung Polens als Bedrohung Russlands genutzt werden sollte.
Das Nationaldrama „Wilhelm Tell“ soll im folgenden Abschnitt noch etwas genauer betrachtet werden, um seine Bedeutung besonders für die Nationalitätsbetonung der Machthaber herauszustellen.
III.2. Der Fall„Wilhelm Tell“
Inhaltsangabe:„Wilhelm Tell“(Friedrich von Schiller)[16]
Das Nationaldrama „Wilhelm Tell“, das von Friedrich von Schiller in den Jahren 1803 und 1804 verfasst wurde, handelt von dem Freiheitskampf der Schweizer in den Kantonen Uri, Schwyz und Unterwalden gegen die Ty- rannenherrschaft der Landvögte des Kaisers im 14. Jahr- hundert.
Die Idylle am Vierwaldstätter See wird durch den atemlos herbeilaufenden Konrad Baumgarten unterbrochen. Er hat einen Burgvogt des Kaisers erschlagen, da sich dieser an seiner Frau vergehen wollte, und wird nun von den Ge- folgsleuten des Landvogts verfolgt. Wilhelm Tell über- nimmt selbstlos die Rettung und setzt mit Baumgarten über den See. Er wird zu Werner Stauffacher gebracht, einem wohlhabenden und angesehenen Mann, der jedoch auch der Willkür der Vögte ausgesetzt ist. Nachdem Baumgarten in Sicherheit ist, beschließt Stauffacher, sich mit Walter Fürst, dem Schwiegervater Tells, und anderen zu beraten, um für die Freiheit der Schweizer zu kämpfen. Nach der Bekanntwerdung einer neuerlichen Greueltat des Vogts fällt die Entscheidung, der Tyrannei ein Ende zu bereiten.
Der von Stauffacher und Fürst gefasste Entschluss zum Kampf für die Freiheit hat inzwischen viele Anhänger gefunden. Es kommt zu einer nächtlichen Zusammen- kunft auf dem Rütli, wo Gesandte der drei Schweizer Völker über ihre Zukunft beraten. Sie berufen sich auf ihre Menschenrechte und erkennen den Kaiser als ihren höchsten Herrn an, beschließen jedoch, sich gegen die Gewaltherrschaft der Vögte aufzulehnen. Kurz vor dem Auseinandergehen besiegeln sie ihr Vorhaben in einem feierlichen Schwur.
Später findet eine Begegnung zwischen Ulrich von Ru- denz und dem Landfräulein Berta von Bruneck statt, im Rahmen welcher der Edelmann dem Fräulein seine Liebe gesteht. Unter dem Einfluss Bertas fasst der vorher kaisertreue Rudenz den Entschluss, sich dem Freiheitskampf anzuschließen. Er erhält kurz darauf sogar Gelegenheit, seine Volkstreue unter Beweis zu stellen. Wilhelm Tell zusammen mit seinem Sohn hat es nämlich versäumt, einen in Altdorf auf Geßlers Anordnung auf einer Stange aufgehängten Hut feierlich zu grüßen und ist daraufhin von den Knechten des Vogts gestellt worden. Als der Landvogt von dem Verstoß erfährt, verspricht er dem Übeltäter Gnade, sofern er in der Lage sei, seinem Sohn auf 80 Schritt Entfernung einen Apfel vom Kopf zu schießen. Tell vollzieht erfolgreich den Schuss, wird je- doch trotzdem von Geßler verhaftet, da dieser Tells Ra- che fürchtet. Auf dem Weg zum Kerker kann der Meister- schütze jedoch entkommen.
Im Sterbebett erfährt der alte Bannerherr Attinghausen von Tells Gefangennahme und dem Bund des Schweizer Volkes. Er ermahnt die Eidgenossen zur Einigkeit und scheidet dahin. Sein kurz danach eintreffender Neffe Ru- denz drängt auf einen raschen Beginn der Erhebung, zu- mal der Landvogt nun auch sein angebetetes Landfräulein Berta von Bruneck entführt hat.
Derweil lauert Tell dem Landvogt auf, um ihn zu töten, mit der Begründung, dass derjenige, der schon auf das eigene Kind ziele, auch den Feind töten könne. Als Geß- ler eintrifft und eine ihn anflehende Frau bedroht, trifft ihn Tells Pfeil. Niemand von den Umstehenden verfolgt den Schützen, noch wird dem Landvogt geholfen, so dass er letztendlich stirbt. Die Landleute fallen sich in die Ar- me und Jubeln über die neugewonnene Freiheit.
Der Tod gibt den Anstoß zu einer landesweiten Erhebung.
Dennoch fürchten sich die Schweizer vor der Rache ihres Kaisers. Jedoch kommt kurz darauf die Nachricht von der Ermordung desselben, durchgeführt von seinem eigenen Neffen Johannes. Dieser hofft, bei Tell Verständnis für die Tat zu finden, wird jedoch zurückgewiesen, da er nicht aus Notwehr, sondern aus Eigennutz gehandelt ha- be. Dennoch verrät der Schweizer Johannes nicht. Vor Tells Haus versammeln sich die Landleute, um ihn als Befreier der Schweiz zu feiern. Rudenz und Berta geben sich das Jawort, und der Neffe Attinghausens erklärt alle seine Knechte zu freien Bürgern.
Der„Rütli-Schwur“als Ausdruck der Vorstellung Schil-lers von einer gewaltlosen Revolution[17]
Der Rütli-Schwur (959 - 1465)[18] spielt in Schillers Dra- ma neben der Apfelschuss-Szene und der Ermordung des Landvogts eine gewichtige Rolle. In ihr werden zum ei- nen die Grundsteine für die weitere Handlungsentwick- lung gelegt; ihr kommt nach der Theorie des Klassischen Dramas der Part des erregenden Momentes zu, welches unweigerlich zur Peripetie und damit zum Umschwung der Handlung zur Katastrophe oder Lösung führt.[19] Des weiteren drückt Schiller durch die Schwurszene persönli- che Erfahrungen mit der Französischen Revolution aus.
Zunächst ist aber bemerkenswert, dass die Hauptfigur des Dramas, Wilhelm Tell, nicht in der wichtigen Rütli-Szene auftritt, sondern erst später von der Verschwörung erfährt und sie unterstützt. Tell erscheint im gesamten Drama eher als Einzelkämpfer, der sich der Gemeinschaft nur ungern einzufügen scheint. Im Gegensatz hierzu steht Werner Stauffacher als Anführer der Vereinigung allen Schweizern gleichermaßen aufgeschlossen gegenüber und ist an allen Teilen der Verschwörung beteiligt. Es zeigt
sich, dass Tell nicht als notwendiger Faktor für das Auf- bäumen der Schweizer agiert; vielmehr hilft er ihnen nur, durch den Tyrannenmord einen entscheidenden Schritt voranzukommen, wobei er aber eher aus persönlichen Motiven handelt als aus Sympathie zu den Landleuten (vgl. 2576f.).
Im Verlauf des Dramas wird die Bedeutung des Rütli- Treffens sichtbar: Da zwischen der Beschlussfassung im Hause Walter Fürsts und dem Schwur eine gewisse Zeit vergangen zu sein scheint, erfährt der Leser durch das aufeinanderfolgende Auftreten verschiedener Gruppen aus den Schweizer Landen die Geschehnisse der Zwi- schenzeit: Die Kunde von dem Bund der Schweizer gegen die Herrschaft der Vögte hat sich durch das ganze Land verbreitet, und die gesamte Bevölkerung stimmt mit ein. Letztendlich ermöglichen auch nur diese Anstrengungen überhaupt den Tyrannenmord, da durch das Eingreifen der Landsleute Tell weder festgenommen noch dem Landvogt geholfen wird.
Auch persönliche Erfahrungen mit Widerständen des Volkes gegen ein Regime hat Friedrich von Schiller im „Tell“ verarbeitet. Wie schon erwähnt, begrüßte Schiller zunächst die französische Revolutionsbewegung mit ih- rem Motto „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. Doch sehr schnell wandte er sich gegen die blutigen Eskalatio- nen im Jahre 1789 in Frankreich. Mit der Gefangennahme Ludwigs XVI. wendete sich das Blatt: Schiller war em- pört über das französische Verhalten und beschloss, als Ehrenbürger Frankreichs Protest einzulegen. Letztendlich kam er zu der Ansicht, dass„der Versuch des französi-schen Volks, sich in seine heiligen Menschenrechte einzu- setzen und eine politische Freiheit zu erringen“nur„das Unvermögen und die Unwürdigkeit desselben an den Tag gebracht[...]und einen beträchtlichen Teil Europas, und ein ganzes Jahrhundert, in Barbarei und Knechtschaft zurückgeschleudert“habe.[20] So wurde sich der Dramati- ker der utopischen Vorstellung der Revolutionäre be- wusst.
Es ist zu vermuten, dass Schiller mit seinem Spätwerk seine Wunschvorstellung einer „idealen“ Revolution ver- wirklichen wollte. Anstatt eines Aufstandes mit Gewalt und Terror wünschte sich der Dramatiker eine friedliche Umwälzung der Gesellschaft, wie sie das Schweizer Landvolk im „Tell“ plant und auch durchführt. Dieses Ideal lässt Schiller durch die Aussage Walter Fürsts:„Ab- treiben wollen wir verhaßten Zwang / Die alten Rechte, wie wir sie ererbt / Von unsern Vätern, wollen wir be-wahren, / Nicht ungezügelt nach dem Neuen greifen“
(1353ff.) zum Ausdruck bringen. Der Dichter entwickelt ein Modell, nach welchem die festgeschriebenen Rechte in geregelten Bahnen gefordert und erarbeitet werden sollen, ohne dass mit Gewalt erzwungene Umstürze not- wendig werden. So besonnen und überlegt, wie die Schweizer handeln, stellte sich Schiller den Idealtypus eines gesellschaftlichen Wandels vor.
Nationalsozialistische Auslegungen und Verwendungs-möglichkeiten
Nach der Machtübernahme Hitlers wurde „Wilhelm Tell“ als Nationaldrama hochgeschätzt. Es verkörperte nicht nur den NS-Nationalitätsgedanken, sondern auch die Vor- stellung einer Volksgemeinschaft sowie die ideale Füh- rernatur.
Die meistzitierte Textstelle des „Tell“ überhaupt war der Rütli-Schwur (2. Aufzug, 2. Szene). Er wurde als Mah- nung verstanden, um die politische und geistige Einheit Deutschlands zu stärken. Zahlreiche Massenveranstaltun- gen und politische Kundgebungen banden den Schwur in ihr Programm mit ein, so z. B. auch die „Sonderveranstal- tung des NSDAP“ am 20.04.1933 (Hitlers Geburtstag) im Braunschweiger Landestheater. Der Programmablauf endete mit der Abfolge„Horst-Wessel-Lied/ Rütli-Schwur / Deutschlandlied“[21]. Die Zitate„Ans Vaterland, ans teure, schließdich an“(Attinghausen, 922) und„Un- ser ist durch tausendjährigen Besitz / Der Boden[...]“ (Stauffacher, 1270f.) waren in fast allen Schulbüchern der Mittel- und Oberschule zu finden. Es wurden sogar For- derungen nach Denkmalsschutz für das Stück laut, damit seine Qualität nicht durch zu häufige Aufführungen ge- mindert würde.[22]
Wilhelm Tell wurde als das ideale Abbild eines Führers angesehen. Wies er Züge auf, die den NS-Ansprüchen nicht gerecht wurden, wie z. B. seine individualistische Handlungsweise, so galt dies als Anschauungshinweis Schillers, wie ein Führer nicht zu sein habe.[23] Neben Tell galt jedoch auch Stauffacher als Beispiel einer Führerna- tur:„Das bedrängte Volk soll sich seinen stammverwand- ten, artgeborenen Führern in straffer Selbstzucht unter-ordnen, wie die Schweizer dem bedächtigen, weitblicken- den Stauffacher[...].“[24]
Das besondere am „Fall ‚Wilhelm Tell‘“ war jedoch, dass sich schon seit der Machtübernahme immer wieder auch Stimmen gegen Schillers Werk erhoben. Häufigstes Ar- gument war die Tatsache, dass der Stoff nicht aus Deutschland, sondern aus der Schweiz stammte und Schiller das fremde Material sogar einer vorgeschlagenen Geschichte über Heinrich den Löwen vorgezogen haben soll. Zudem wurde bemängelt, dass sich die Schweiz und somit der Stoff vom Deutschen Reich, d. h. von der„ras- sischen Mitte“[25] gelöst habe; die Loslösung eines Reichs- teils wurde verherrlicht. Schiller wurde daraufhin als Ver- sager tituliert, weil er angeblich ein Stück geschaffen ha- be, das „den Verlust eines wertvollen Gebietes für das Deutsche Reich“beinhalte und somit für den„deutschen Gedanken ganz unfruchtbar“sei.[26] Auch an die Figur des Tell selbst wurde ein Vorwurf gerichtet: er handle zu in- dividualistisch, sei nicht in die Gemeinschaft integriert.[27] Am 03. Juni 1941 wurde eine Anordnung veröffentlicht, welche ab sofort die Aufführung des Schillerschen Spät- werkes, das bis 1938 das meistgespielte Stück auf deut- schen Bühnen war, untersagte. Gründe für das Verbot waren zunächst nicht bekannt. Vermutungen wiesen auf die Furcht der Reichsregierung vor den Auswirkungen der revolutionären Inhalte auf die damalige Zeit, zwei Jahre nach Beginn des zweiten Weltkrieges, hin. Zudem habe sich Hitler um seine persönliche Sicherheit gesorgt, zumal im „Tell“ der Tyrannenmord am dominanten Landvogt Geßler in nicht geringem Umfang verherrlicht wurde. Als Indiz hierfür kann sogar die Tatsache gelten, dass im Jahre 1938 mehrere Attentate auf den Führer ver- übt worden waren, und zwar alle von einemSchweizer Theologiestudenten, dessen Hinrichtungstermin in unmit- telbarer Nähe zur Verbotsanordnung lag. Da außerdem die außenpolitischen Beziehungen zur neutralen Schweiz keineswegs rosig aussahen und der „Tell“ dort als Sym- bolfigur für den Widerstand gegen das Deutsche Reich galt, lag anscheinend ein Verbot des Dramas ür die Nati- onalsozialisten nahe, um weiteren Schaden, der aus dem Inhalt hervorgehen könnte, vom Reich abzuwenden. Allgemein ist zu erkennen, dass Schillers Werk einen erschreckenden Einfluss auf die damalige deutsche Ge- sellschaft ausübte, zumal „Tell“ tief im Bewusstsein des Volkes verankert war und nun von einem Tag auf den anderen abgesetzt werden sollte. Des weiteren symboli- siert das Verhalten der Nationalsozialisten im „Fall ‚Wil- helm Tell‘“ die Zeitunabhängigkeit der Klassiker, da der „Tell“ auch 140 Jahre nach seiner Veröffentlichung noch politische Aktualität aufwies.
III.3. Goethe als nationalsozialistisches Identifikations-problem
Im Gegensatz zu Friedrich von Schiller, der von den Na- tionalsozialisten geradezu führergleich[28] behandelt wurde, bereitete Johann Wolfgang von Goethe dem NS- Gleichschaltungsprozess erhebliche Schwierigkeiten.
Schon 1930 hatte der Literaturwissenschaftler Alfred Ro- senberg erkannt, dass Goethe für die anstehenden„Zeiten erbitterter Kämpfe“ nicht brauchbar sei,„weil[...]er sowohl im Leben wie im Dichten keine Diktatur eines Gedankens anerkennen wollte, ohne welche jedoch ein Volk nie ein Volk bleibt und nie einen echten Staat schaf-fen wird“.[29] Die Berufung auf Goethe wurde vermieden, da sich seine Ansichten z. B. der „Gott-Natur“ oder der „Dämon-Lehre“ erst in den WerkenandererAutoren wie Hölderlin oder Kleist entwickelten.[30] Stattdessen zog man Schiller, dessen Aussagen und Ansichten klarer erschie- nen, vor.
Teilweise kam es sogar zu einer regelrechten Hetzkam- pagne gegen Goethe. Schon 1928 veröffentlichte Mathil- de Ludendorff, die Ehefrau des Generals Erich Luden- dorff, ihr Buch „Der ungesühnte Frevel“. Darin behaupte- te sie, Schiller, Luther, Lessing, Mozart und einige andere seien von geheimen, überstaatlichen Mächten, d. h. Juden und Freimaurern[31], ermordet worden.[32] Auslöser für diese Vermutungen war Schillers mysteriöser Tod am 09. Mai 1805, sein mitternächtliches Begräbnis und die Diskussi- on um die Echtheit des angeblichen Schillerschädels, der später in der Weimarer Bibliothek aufbewahrt wurde.[33] Das Motiv für den angeblich auf jüdisches Geheiß durch- geführten Mord wurde von Ludendorff nicht konkret an- gegeben;„jemand, der den jüdischen‚Listkampf‘nicht
durchschaut habe, sei allerdings kaum in der Lage, das Mordmotiv zu erkennen.“[34] Antisemitische Aussprüche soll Schiller jedenfalls nicht geäußert haben. Jedoch sei seine Wendung zum eigenen Volkstum (wie z. B. im „Tell“ zum Ausdruck kam) den Juden äußerst ungelegen gekommen, da sie hofften, Schiller für ihre Ziele ver- pflichten zu können, um zu verhindern, dass die Deut- schen - ihrem großen Dichter folgend - sich auch auf ihre Rasse besinnen würden und die„rassischen Fremdkörper im Volksorganismus hätten[...]ausscheiden können“.[35] Brisant wurde die Angelegenheit deshalb, weil Luden- dorff behauptete, Goethe habe als Logenbruder der Frei- maurer von Schillers Vergiftung gewusst, sei eventuell sogar selbst an der Tat beteiligt gewesen, da er seine Ge- horsamspflicht als Logenbruder nicht verletzen durfte. Ludendorff schrieb wörtlich:„Da die Juden[...] dem Deutschen Volke Goethe zum unantastbaren Heiligen gemacht hatten, hielt der ganze Lügenbauüber Schiller, Mozart und andere. Mit der klaren Erkenntnis des Cha-rakters des Hochgradbruders Goethe stürzten die Mauern ein[...].“[36]
Die Ludendorffschen Ausführungen wurden in der Presse kontrovers diskutiert, was die Goethe-Gesellschaft 1934 zu einer eigenständigen Prüfung sämtlicher Dokumente und Aussagen veranlasste. 1935 wurde eine Schrift veröf- fentlicht, die den „ungesühnten Frevel“ scharf zurück- wies. Die Auseinandersetzungen nahmen ein abruptes Ende: Am 27. November 1936 hob Reichspropagandami- nister Joseph Goebbels anlässlich seiner Rede zum allge- meinen Verbot der Kunstkritik besonders die Ludendorff- Schriften hervor, wodurch er eine Diffamierung und da- mit das Verschwinden ihrer Ausführungen aus dem öf- fentlichen Leben erreichte.
Auch wenn Goethe für die Nationalsozialisten wenig Eignung als Identifikationsperson aufwies, so mangelte es jedoch nicht an Versuchen, die Gestalt des klassischen Dichters für die faschistische Ideologie in Anspruch zu nehmen. Zu seinem 190. Geburtstag am 28. August 1939 gab der „Zeitschriften-Dienst“ Themenvorschläge und An- regungen zum Motto „Goethe in der Gegenwart“ für die kommenden Festveranstaltungen und die alltägliche Be- handlung Goethes heraus. Stichwortartig wurde das von den Nationalsozialisten gewünschte Goethe-Bild festgehalten: „[...]Goethes Stellung zur Problematik des Christentums. [...]- Goethes Bewertung der Gemeinschaftserziehung: ‚Männer sollten von Jugend auf Uniform tragen, weil sie sich gewöhnen müssen, sich unter ihresgleichen zu verlie- ren, in Masse zu gehorchen und ins Ganze zu arbeiten. [...]‘“[37]
In der Goetheforschung ging der Trend eindeutig zu einer textimmanenten Betrachtungsweise der Goethe-Werke, weg von historisch-soziologischen Interpretationsansätzen. Der völlige Verzicht auf eine vorhergehende theoretische Be- gründung der angewandten Methode und eine fast mechani- sche Sprachanalyse vom ersten bis zum letzten Auftritt kennzeichneten die Vorgehensweise[38], wodurch natürlich die persönliche Motivation Goethes und die Umstände sei- ner Zeit völlig außer acht gelassen wurden und Fehldeutun- gen entstanden. Auch Verfälschungen standen, sofern Goe- the überhaupt betrachtet wurde, auf dem Programm. So wurde z. B. das Zitat aus den „Wahlverwandtschaften“,
„Man erziehe die Knaben zu Dienern und die Mädchen zu Müttern, so wird esüberall wohlstehen“[39], die sich bei den Machthabern großer Beliebtheit erfreute, 1937 vom Reichs- jugendleiter Baldur von Schirach in einer Rede mit dem verfälschenden Zusatz„Diener am Staat“versehen.
Zum Abschluss dieser Ausführungen werden die wich- tigsten Ergebnisse im folgenden kurz resümiert und kom- mentiert.
IV. Zusammenfassung und Kommentar
Zusammenfassend lässt sich erkennen, dass in der Zeit von 1933 - 1945 die klassische Literatur einen ganz be- sonderen Stellenwert innehatte. Sie wurde nicht nur als Kulturgut und Dokumentation vergangener Zeiten gese- hen, sondern hatte auch einen politischen Auftrag zu er- füllen: die Verbreitung nationalsozialistischen Gedanken- guts in der Bevölkerung und teilweise auch die Rechtfer- tigung nationalsozialistischer Aktionen gegenüber der Öffentlichkeit. Die Methoden hierzu waren jedoch mehr als zweifelhaft, Umdeutungen, Auslassungen und zwei- deutige Interpretationen waren in der faschistischen Lite- raturwissenschaft nicht selten anzutreffen. Besonders die Werke Schillers waren von der ideologischen Verein- nahmung betroffen, Goethe hingegen wurde nur gering- fügig und mit Skepsis betrachtet.
Die Ausführungen zeigen, dass Adolf Hitler und seine Gefolgsleute auch vor kulturell hochgeschätzten Werken nicht zurückschreckten, um ihre Ideologie durchzusetzen, und auch nicht den Vergleich des nationalsozialistischen Programmes mit dem deutschen Klassizismus und die Gleichstellung Schillers mit Hitler selbst scheuten.[40] Die- ses Vorgehen zeigt auf erschreckende Weise, wie sich die Machthaber des Dritten Reiches durch die Vereinnah- mung des kulturellen Lebens an die Macht schlichen, um dann alles auszumerzen, was nicht ihrer Ideologie ent- sprach - eine Methode, die jederzeit wieder passieren könnte. Mit diesen Ausführungen soll ein Stück Aufklä- rungsarbeit geleistet werden, um möglicherweise eine unbewusste Indoktrination durch Literatur in der Zukunft erkennen und vermeiden zu können.
V. Quellen und Anmerkungen
B. ANHANG
I. Literaturverzeichnis
1. Friedrich von Schiller: Wilhelm Tell. Reclam Univer- sal-Bibliothek, Stuttgart 1993
2. Heinrich Biermann u. a.: Texte, Themen und Struktu- ren. Grundband Deutsch für die Oberstufe. Cornelsen, Düsseldorf 1990
3. Friedrich Burschell: Schiller. Rowohlt Verlag, Rein- beck 1968
4. Peter Uwe Hohendahl (Hrsg.): Geschichte der deut- schen Literaturkritik. J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 1985
5. Bodo Le>tion und Wirkung. Quelle & Meyer, Heidelberg 1981
6. Karl Robert Mandelkow: Goethe in Deutschland. Re- zeptionsgeschichte eines Klassikers. Band II: 1919 - 1982. C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, Mün- chen 1989
7. Prof. Dr. Herbert Michaelis u. a. (Hg.): Ursachen und Folgen. Vom deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945 bis zur staatlichen Neuordnung Deutschlands in der Gegenwart (Bd. 9). Dokumenten-Verlag, Berlin o. J.
8. Microsoft Encarta 98 Enzyklopädie. Microsoft Corpo- ration 1993-1997, o. O. (siehe auch Materialien im folgenden Abschnitt)
9. Georg Ruppelt: Schiller im nationalsozialistischen Deutschland. Der Versuch einer Gleichschaltung (Studienausgabe). J. B. Metzlersche Verlagsbuch- handlung, Stuttgart 1979
10. Heinz Tischer: Schillers „Wilhelm Tell“. Anmerkun- gen für eine kritische Behandlung im Unterricht. Beyer Verlag, Hollfeld/Ofr. 1973
11. Bernhard Zeller (Hrsg.): Klassiker in finsteren Zeiten 1933 - 1945. Band 1 und 2 (Ausstellungskatalog). Deutsche Schillergesellschaft e. V., Marbach 1983
II. Materialien von CD-ROM
Freimaurerei (von englisch freemansony), größter, weltweit verbreiteter Bruderorden mit einer auf Toleranz und Humanität basierenden Geisteshaltung. Vereinigun- gen der Freimaurer (so genannteLogen) entstanden aus den mittelalterlichen Vereinigungen der Steinschleifer- zunft in England: Dort ist der Begrifffreemansonseit den siebziger Jahren des 14. Jahrhunderts belegt. Während der Reformation wurden auch Mitglieder anderer Berufs- zweige, sofern sie reich und von angemessener Reputati- on waren, aufgenommen. Zunächst rein geschäftliche Versammlungen, entwickelten sich die Freimaurerlogen bald zu Männerbünden, die ihre Mitglieder in so genann- ten „Tempelarbeiten“ bilden wollten. Dabei spielten Ge- heimzeremonien und -accessoires (Abzeichen, Klei- dungsstücke etc.) eine immer größere Rolle. Mehrere Freimaurerlogen vereinigten sich am 24. Juni 1717 in London zu einer Großloge, nach deren Regeln sich seit 1725 weltweit gleiche Gruppierungen bildeten. In Frank- reich bereitete die antiklerikale Französische Revolution der Freimaurerei den Weg. Die erste deutsche Freimaurerloge entstand 1737 in Hamburg.
Nach 1738 wandten sich mehrere Päpste in insgesamt zwölf Stellungnahmen gegen die humanistischen Ideale der Freimaurer. Die letzte dieser Stellungnahmen erfolgte 1918. Freimaurer wurden aus der Kirche ausgeschlossen. Erst 1972 erklärte sich die Kirche zum Dialog bereit und nahm Exkommunizierungen zurück.
In Deutschland wurde die Freimaurerbewegung durch den Beitritt des späteren Königs Friedrichs des Großen voran- getrieben, der 1738 als preußischer Kronprinz in Braun- schweig Mitglied einer Loge wurde. 1933 wurde die Freimaurerei in Deutschland verboten, das Vermögen der Logen beschlagnahmt, ihre Mitglieder verfolgt. Nach dem
2. Weltkrieg entstanden neue Freimaurerbünde, die sich 1958 zu den Vereinigten Großlogen von Deutschland zusammenschlossen. Ihnen untersteht das Freimaureri-sche Hilfswerk,das von allen Freimaurerlogen der Bun- desrepublik finanziert wird. In Bayreuth existiert außer- dem ein Freimaurermuseum mit umfangreicher Biblio- thek. Heute gibt es etwa 20 500 deutsche Freimaurer. Weltweit übersteigt ihre Zahl die Sechs-Millionen- Grenze.
Unterweisung
Mitglieder von Freimaurerlogen werden einer stufenwei- sen Einführung in die Riten der Gruppe unterworfen. Gemeinsam unternommene „Tempelarbeiten“ dienen der Selbsterkenntnis und der moralischen Stärkung des Mit- glieds, das im Bewusstsein einer kosmischen Ordnung zu verantwortungsvollem Handeln als Mitglied der Gesell- schaft und des Staates erzogen werden soll. Am Ende des Weges vom Lehrling über den Gesellen steht der Meister, der den letzten Grad vollendeter Bildung erreicht hat. Am Sinnbild des Gebäudes wird dieser Aufstieg des Men- schen (und auch der Menschheit) symbolisiert - hiermit wird die Tradition der mittelalterlichen Bauhütten fortge- setzt. Die Grundlagen hierzu, die auch die Anerkennung des (göttlichen) „Großen Baumeisters aller Welten“ mi- teinschließt, wurden bereits im 18. Jahrhundert festgelegt und bisher nicht abgewandelt.
Organisation
Das System der Freimaurerei verfügt über keine interna- tionale Organisation, auch wenn sich die Zeremonien weltweit gleichen. Vielmehr sind die Logen eines Landes in einer oder mehreren nationalen Vereinigungen (Bün- den) zusammengeschlossen. Der einer Loge vorsitzende Meister vom Stuhl(oder Logenmeister) wird von den Mitgliedern gewählt. Auf dem so genanntenGroßlogen-tagwiederum wählen diese Logenmeister denGroßmeis-ter,der die Großloge führen soll. Die deutschen Großlo- gen sind - wie auch die Logen - zumeist eingetragene Vereine oder Körperschaften des öffentlichen Rechtes.
Berühmte Freimaurer
Berühmte Freimaurer waren Gebhard Leberecht von Blü- cher, Sir Winston Churchill, Giuseppe Garibaldi, Johann Wolfgang von Goethe, Gotthold Ephraim Lessing, Franz Liszt, Carl von Ossietzky, Franklin D. Roosevelt, George Washington, Gustav Stresemann und Kurt Tucholsky. Auch Wolfgang Amadeus Mozart, dessen OperDie Zau-berflöte das Freimaurerritual thematisiert, gehörte einer Loge an. In Lew Tolstojs RomanKrieg und Friedenspie- len die brüderlichen Ideale der Freimaurerei eine zentrale Rolle. Die Aufnahmerituale einer der Hauptfiguren des Romans werden hier ausführlich geschildert.
Durchgesehen von: General Grand Chapter of Royal Arch Masons
Quelle: „Freimaurerei",Microsoft®Encarta®98 Enzy- klopädie.© 1993-1997 Microsoft Corporation. Alle Rechte vorbehalten.
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[1] Vgl. Karl Robert Mandelkow: Goethe in Deutschland. Rezeptions- geschichte eines Klassikers. Band II: 1919-1982. C. H. Beck, Mün- chen 1989, S. 78
[2] Gustav Roethe: Goethe. Zum 28. August 1924. In: Jahrbuch d. Goethe-Gesellschaft 11 (1925). O. O., S. 1-29. In: Mandelkow 1989, a. a. O., S. 84
[3] Vgl. Bodo Le>Heidelberg 1980, S. 195
[4] Vgl. Peter Uwe Hohendahl (Hg.): Geschichte der deutschen Literaturkritik (1730-1980). Metzler, Stuttgart 1985, S. 277
[5] Ebd., S. 278
[6] Nach: Völkischer Beobachter (Berliner Ausgabe) Nr. 319 vom 15.11.1933. In: Prof. Dr. Herbert Michaelis u. a. (Hg.): Ursachen und Folgen. Vom deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945 bis zur staatlichen Neuordnung Deutschlands in der Gegenwart (Bd. 9). Dokumenten-Verlag, Berlin o. J., S. 502f.
[7] D. Strothmann: Nationalsozialistische Literaturpolitik. O. O. 1960, S. 270. In: Peter Uwe Hohendahl (Hg.) 1985, a. a. O., S. 283
[8] Vgl. Georg Ruppelt: Schiller im nationalsozialistischen Deutschland. Der Versuch einer Gleichschaltung. Metzler, Stuttgart 1979, S. 9
[9] Otto Sättele: Die Staatsidee Schillers verglichen mit der Staatsidee des Dritten Reiches. Marbach 1933, S. 2f. In: Ruppelt 1979, a. a. O., S. 10
[10] Schiller und die Gegenwart. In: Schillers Beerdigung. Georg Kummer’s Verlag, Leipzig 1936, S. 166f. In: Ruppelt 1979, a. a. O., S. 11
[11] Hermann Harder: Das germanische Erbe in der deutschen Dichtung. Potsdam 1939. In: Ruppelt 1979, a. a. O., S. 18
[12] Vgl. Lily Hohenstein: Schiller. Der Kämpfer - der Dichter. Berlin 1940. In: Ruppelt 1979, a. a. O., S. 25
[13] Ruppelt 1979, a. a. O., S. 25
[14] Vgl. Ebd., S. 27
[15] Ebd.
[16] Ruppelt 1979, a. a. O., S. 40ff.
[17] Anm.: Diese Ausführungen stützen sich teilweise auf: Heinz Ti- scher: Schillers „Wilhelm Tell“. Anmerkungen für eine kritische Behandlung im Unterricht. Beyer Ve rlag, Hollfeld/Ofr. 1973, S. 27ff.
[18] Anm.: Die Verszählung erfolgt nach: Friedrich Schiller: Wilhelm Tell. Universalbibliothek Nr. 12, Reclam, Stuttgart 1993
[19] Anm.: Zum pyramidalen Aufbau des Dramas nach Gustav Freytag vgl. Heinrich Biermann u. a.: Texte, Themen und Strukturen. Grund- band Deutsch für die Oberstufe. Cornelsen, Düsseldorf 1990, S. 129f.
[20] Friedrich Burschell: Schiller. Rowohlt Verlag, Reinbeck 1968, S. 315f.
[21] Hans Fabricius: Schiller als Kampfgenosse Hitlers. Nationalsozia- lismus in Schillers Dramen. Bayreuth 1932, S. 5. In: Ruppelt 1979, a. a. O., S. 41
[22] Vgl. Die Literatur. 40. O. O., 1938, S. 386f. In: Ruppelt 1979, a. a. O., S. 41
[23] Vgl. Ruppelt 1979, a. a. O., S. 27
[24] Schiller und die Gegenwart. In: Schillers Beerdigung. Georg Kummer’s Verlag, Leipzig 1936, S. 166f. In: Ruppelt 1979, a. a. O., S. 11
[25] Kurt Gerlach-Bernau: Drama und Nation. Breslau 1934, S. 86. In: Ruppelt 1979, a. a. O., S. 30
[26] Vgl. Hermann Schneider: Schiller. Werk und Erbe. Stuttgart/Berlin 1934. In: Ruppelt 1979, a. a. O., S. 41
[27] Vgl. Ruppelt 1979, a. a. O., S. 41
[28] Vgl. Kapitel III.1, S. 7
[29] Alfred Rosenberg: Der Mythus des 20. Jahrhunderts. München 1943. In: Mandelkow 1989, a. a. O., S. 78
[30] Vgl. Rudolf Ibel: Weltschau der Dichter. Goethe, Schiller, Hölderlin, Kleist. Jena 1943, S. 9. In: Mandelkow 1989, a. a. O., S. 79
[31] Anm.: Mit Freimaurerei bezeichnet man einen auf Toleranz und Humanität basierenden Bruderorden, der zunächst aus Vereinigungen der Steinschleiferzunft in England entstand. Später entwickelten sich aus zunächst geschäftlichen Versammlungen die sogenannten Logen zu Männerbünden mit Geheimzeremonien. Mitglieder der Freimaurer werden einer Einführung in die Riten der Loge unterzogen, danach dienen gemeinsame Arbeiten der Selbsterkenntnis und der morali- schen Stärkung des Mitglieds, das zu einem verantwortungsvoll han- delnden Mitglied der Gesellschaft erzogen werden soll. Nach: Freimaurerei. Microsoft Encarta 98 Enzyklopädie, Microsoft Corporation, o. O. 1993-1997
[32] Vgl. Mathilde Ludendorff: Der ungesühnte Frevel. Nürnberg 1928. In: Bernhard Zeller (Hg.): Klassiker in finsteren Zeiten 1933 - 1945. Band 1 und 2 (Ausstellungskatalog). Deutsche Schillergesellschaft e. V., Marbach 1983, S. 229
[33] Vgl. Zeller 1983, S. 228ff.
[34] Ruppelt 1979, a. a. O., S. 21
[35] Ebd.
[36] Ludendorff 1928, a. a. O. In: Zeller 1983, S.229
[37] Gustave Mathieu (Hg.): A Nazi Propaganda Directive on Goethe. In: Publications of the English Goethe-Society 22, o. O. 1953, S. 133f. In: Mandelkow 1989, a. a. O., S. 82
[38] Vgl. Mandelkow 1989, a. a. O., S. 102f.
[39] Erich Trunz (Hg.): Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Letzte Auflage: München 1981, S. 410
[40] Vgl. Kapitel III.1, S. 7
- Quote paper
- Helge Zembold (Author), 1999, Goethe und die Deutschen - Aspekte der ideologischen Vereinnahmung eines Klassikers, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95705
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