Im Fokus dieser Arbeit stehen die Identifizierung und die Betrachtung der verschiedenen Motive von Menschen, ihr Beileid öffentlich im Internet zu bekunden. Vorrangig werden die Daten von Nutzerinnen und Nutzern der Trauerplattform Trauerhilfe gewonnen. Nach Freigabe der Angehörigen werden vom jeweiligen Bestattungsunternehmen alle Traueranzeigen von Verstorbenen auf dieser Seite veröffentlicht. Diese Trauerplattform weist daher einen hohen Bekanntheitsgrad auf.
Warum sehen sich Menschen dazu veranlasst, ihre Betroffenheit und Anteilnahme bei einem Trauerfall öffentlich zu bekunden? Was bewegt sie dazu, schriftliche Einträge im virtuellen Kondolenzbuch zu verfassen oder eine virtuelle Gedenkkerze für Verwandte, gute Freundinnen und Freunde oder auch für Fremde zu entzünden?
Demnach ergibt sich folgende forschungsleitende Fragestellung: Welche Motive bewegen Menschen, virtuell zu kondolieren?
Als Hypothese wird angenommen, dass die eigene unverarbeitete Trauer eine Rolle spielt, weshalb Menschen sich regelmäßig über Trauerfälle informieren, virtuelle Kondolenzeinträge verfassen oder virtuelle Gedenkkerzen entzünden.
Der Umgang mit Tod und Trauer findet immer mehr in der virtuellen Welt statt und geht somit mit dem gesellschaftlichen Wandel einher. Virtuelle Gedenkorte, Trauerforen und Trauerplattformen sind für betroffene Angehörige eine wertvolle Unterstützung in der Trauerarbeit.
Der Tod eines geliebten Menschen in der Familie oder im Bekanntenkreis macht betroffen. Jeder von uns empfindet Mitgefühl für die betroffenen Angehörigen. Doch wie soll man dies in Worten ausdrücken? Die Angst, etwas Falsches zu sagen, ist groß. Die virtuelle Beileidsbezeugung ist daher oft das Mittel der Wahl. Das Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit liegt auf den Motiven der virtuellen Beileidsbezeugungen. Diese Motive werden sowohl auf Basis der Theorie als auch anhand von Interviews mit zehn Nutzerinnen und Nutzern der Trauerplattform Trauerhilfe erforscht.
Die Corona-Krise im Jahr 2020 beschleunigte die Entwicklung hin in die virtuelle Welt. Begräbnisse fanden in aller Stille und nur im engsten Familienkreis statt. Die betroffenen Angehörigen mussten mit ihrem Verlust allein umgehen, da keine persönlichen Umarmungen und kein Händeschütteln möglich waren. Die virtuellen Beileidsbezeugungen wurden zur Selbstverständlichkeit und spendeten Trost und Halt in dieser schwierigen Zeit.
Inhaltsverzeichnis
Kurzfassung/Abstract
1 Einleitung
1.1 Relevanz des Themas
1.2 Zielsetzung und Vorgehensweise
1.3 Abgrenzung der Arbeit
2 Theoretischer Teil
2.1 Grundbegriffe
2.1.1 Trauer
2.1.2 Motiv
2.1.3 Kondolenz
2.2 Grundlagen der Trauer
2.2.1 Trauerprozess
2.2.2 Trauerrituale
2.2.3 Trauerkultur im Wandel
2.3 Mediatisierung der Trauer
2.3.1 Virtuelle Friedhöfe und Gedenkseiten
2.3.2 Trauerplattformen
2.3.3 Conclusion
2.4 Grundlagen der Motiv- und Mediennutzungsforschung
2.4.1 Motiv- und Bedürfnistheorien
2.4.2 Mediennutzungstheorien
2.4.3 Conclusion
3 Empirischer Teil
3.1 Auswahl der Erhebungsmethode
3.2 Forschungsdesign
3.3 Gütekriterien
3.4 Auswertungsmethodik der qualitativen, narrativen Interviews
3.5 Übersicht der Ergebnisse
3.5.1 Durchführung der narrativen Interviews
3.5.2 Übersicht der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner
3.6 Zusammenfassende qualitative Inhaltsanalyse
3.6.1 Kategorien
3.6.2 Auswertung und Interpretation der Motive
3.6.3 Beobachtungen im Feld
4 Diskussion der Ergebnisse
4.1 Reflexion der Vorgehensweise
4.2 Reflexion der Gütekriterien
4.3 Interpretation der Ergebnisse
4.3.1 Beantwortung der Forschungsfrage
4.3.2 Reflexion der Ergebnisse
5 Fazit und kritischer Ausblick
6 Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Anhang
1. Kategoriensystem
2. Paraphrasen und Kategorien
Kurzfassung/Abstract
Der Umgang mit Tod und Trauer findet immer mehr in der virtuellen Welt statt und geht somit mit dem gesellschaftlichen Wandel einher. Virtuelle Gedenkorte, Trauerforen und Trauerplattformen sind für betroffene Angehörige eine wertvolle Unterstützung in der Trauerarbeit.
Der Tod eines geliebten Menschen in der Familie oder im Bekanntenkreis macht betroffen. Jeder von uns empfindet Mitgefühl für die betroffenen Angehörigen. Doch wie soll man dies in Worten ausdrücken? Die Angst, etwas Falsches zu sagen, ist groß. Die virtuelle Beileidsbezeugung ist daher oft das Mittel der Wahl. Das Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit liegt auf den Motiven der virtuellen Beileidsbezeugungen. Diese Motive werden sowohl auf Basis der Theorie als auch anhand von Interviews mit zehn Nutzerinnen und Nutzern der Trauerplattform Trauerhilfe erforscht.
Die Corona-Krise im Jahr 2020 beschleunigte die Entwicklung hin in die virtuelle Welt. Begräbnisse fanden in aller Stille und nur im engsten Familienkreis statt. Die betroffenen Angehörigen mussten mit ihrem Verlust alleine umgehen, da keine persönlichen Umarmungen und kein Händeschütteln möglich waren. Die virtuellen Beileidsbezeugungen wurden zur Selbstverständlichkeit und spendeten Trost und Halt in dieser schwierigen Zeit.
„Falls der Tod aber gleichsam ein Auswandern ist von hier an einen anderen Ort, und wenn es wahr ist, was man sagt, dass alle, die gestorben sind, sich dort befinden, welch ein größeres Glück gäbe es wohl als dieses?“
Sokrates
1 Einleitung
Die Information über den Tod eines Menschen macht betroffen, vor allem, wenn es sich dabei um nahe Angehörige, eine liebe Freundin oder einen lieben Freund handelt. Plötzlich muss man sich mit dem Thema Tod auseinandersetzen und man bekommt es mit der Angst zu tun. Vor allem Angst, mit den trauernden Angehörigen zu sprechen, Angst, etwas Falsches zu sagen, Angst vor den Tränen und Gefühlsausbrüchen und auch Angst, selbst damit konfrontiert zu werden.
Der Satz „Von Beileidsbezeugungen bitten wir Abstand zu nehmen“ auf Traueranzeigen ist häufig zu lesen und hält demzufolge Menschen auf Distanz, die ihr Mitgefühl und die Anteilnahme am Tod eines nahen Angehörigen ausdrücken möchten. Zunehmend wird die virtuelle Möglichkeit der Beileidsbezeugung genutzt und auf Trauerplattformen werden für den verstorbenen Menschen virtuelle Gedenkkerzen entzündet, im Kondolenzbuch wird den trauernden Angehörigen das Mitgefühl bekundet oder man verabschiedet sich virtuell mit berührenden Worten über gemeinsame Erlebnisse vom verstorbenen Menschen. Im Tiroler Unterland wird dafür vorwiegend die Trauerplattform Trauerhilfe genutzt. Doch was fasziniert Menschen, sich regelmäßig zu informieren, wer verstorben ist, bzw. öffentlich ihr Beileid auszudrücken?
Primär werden in der vorliegenden Arbeit die Daten dieser regionalen Trauerplattform betrachtet und es wird erforscht, welche Motivation bzw. Motive hinter den virtuellen Beileidsbezeugungen stecken.
1.1 Relevanz des Themas
In der heutigen Gesellschaft ist das Internet mit seinem vielfältigen Angebot an Nutzungsmöglichkeiten zur Selbstverständlichkeit geworden. Laut Internet World Stats nutzten 2019 in Österreich rund 7,7 Millionen Menschen das Internet. Das bedeutet, dass neun von zehn österreichische Haushalte mit einem Internetzugang ausgestattet sind. Die Österreicherinnen und Österreicher verbringen rund 118 Minuten an einem Wochentag im Internet (Schultz, 2019).
Das Internet hat sich zum gemeinschaftlichen Medium entwickelt, so auch für Menschen, die trauern wollen – denn das Internet ermöglicht neben der öffentlichen Auseinandersetzung auch eine sehr subjektive und kreative Form des Trauerns.
Allgemein lebt die Form der Anteilnahme von kollektiven Gefühlsausdrücken. Digitale Medien bieten eine einfache und schnelle Plattform, um die eigene Betroffenheit öffentlich zu bekunden – zum Beispiel über Trauerforen, Social Media oder durch das Entzünden einer virtuellen Gedenkkerze auf Trauerplattformen. Dieser Trend führt dazu, dass kaum jemand mehr eine „klassische“ Trauerkarte schreibt.
Zu Beginn des Jahres 2020 veränderte sich das Leben vieler Menschen durch das Corona-Virus drastisch. In dieser Zeit gewann die Nutzung digitaler Medien noch mehr an Bedeutung. Einer Umfrage zufolge nahm seit Ausbruch der Corona-Krise im März 2020 in Österreich die Nutzung digitaler Medien um rund 34 Prozent zu. Neben der verstärkten Nutzung stieg auch die Zeit, die für digitale Medien verwendet wurde, da die Menschen viel Zeit zu Hause verbrachten. Vor allem die sozialen Netzwerke ermöglichten es, mit der Familie sowie Freundinnen und Freunden trotz Einschränkungen in Kontakt zu bleiben (Schultz, 2020).
Durch die weitreichenden Einschränkungen als Folge der Corona-Krise konnten Trauerfeiern und Bestattungen nur mehr im kleinen Rahmen durchgeführt werden. Das Gebot des Social Distancing wirkte sich massiv auf trauernde Menschen aus, da das gewohnte Trostspenden mit körperlichen Umarmungen und persönliche Beileidsbezeugungen bei Besuchen und Bestattungen zu dieser Zeit nicht möglich waren. In dieser Situation konnten das Internet mit seinen virtuellen Möglichkeiten für trauernde Menschen und die Trauerplattformen für die virtuellen Beileidsbezeugungen einen positiven Beitrag leisten.
1.2 Zielsetzung und Vorgehensweise
Im Fokus dieser Masterthesis stehen die Identifizierung und die Betrachtung der verschiedenen Motive von Menschen, ihr Beileid öffentlich im Internet zu bekunden. Vorrangig werden die Daten von Nutzerinnen und Nutzern der Trauerplattform Trauerhilfe gewonnen. Nach Freigabe der Angehörigen werden vom jeweiligen Bestattungsunternehmen alle Traueranzeigen von Verstorbenen auf dieser Seite veröffentlicht. Diese Trauerplattform weist daher einen hohen Bekanntheitsgrad auf.
Warum sehen sich Menschen dazu veranlasst, ihre Betroffenheit und Anteilnahme bei einem Trauerfall öffentlich zu bekunden? Was bewegt sie dazu, schriftliche Einträge im virtuellen Kondolenzbuch zu verfassen oder eine virtuelle Gedenkkerze für Verwandte, gute Freundinnen und Freunde oder auch für Fremde zu entzünden?
Demnach ergibt sich folgende forschungsleitende Fragestellung: Welche Motive bewegen Menschen, virtuell zu kondolieren?
Als Hypothese wird angenommen, dass die eigene unverarbeitete Trauer eine Rolle spielt, weshalb Menschen sich regelmäßig über Trauerfälle informieren, virtuelle Kondolenzeinträge verfassen oder virtuelle Gedenkkerzen entzünden.
Im ersten Abschnitt werden die wichtigsten Begriffe, die für das Verständnis der weiteren Arbeit von Bedeutung sind, genannt und erklärt. Ferner beschäftigt sich dieser Teil mit den theoretischen Grundlagen der Trauer, mit dem Wandel und der Mediatisierung der Trauer sowie mit der Entwicklung virtueller Formen des Gedenkens an Verstorbene.
Darüber hinaus wird im Zusammenhang damit die interdisziplinäre Motiv- und Mediennutzungsforschung diskutiert. Dieser Teil der Arbeit versucht Antworten auf die Forschungsfrage sowie auf die abgeleitete Hypothese zu finden.
Im empirischen Teil werden narrative Interviews mit Nutzerinnen und Nutzern der Trauerplattform Trauerhilfe geführt. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse werden gemäß der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet und anschließend die Ergebnisse zusammengefasst und visualisiert.
1.3 Abgrenzung der Arbeit
Im Rahmen dieser Arbeit wird nur ein Teilaspekt der Trauer und des Wandels der Trauerkultur hin zur Entwicklung virtueller Formen des Gedenkens betrachtet. Die erörterten Inhalte der Motiv- und Mediennutzungsforschung beziehen sich vorwiegend auf die Nutzung der Trauerplattform Trauerhilfe für virtuelle Beileidsbezeugungen. Themen der Verhaltens- und Trendforschung oder psychologische Aspekte werden nicht näher erläutert.
2 Theoretischer Teil
Im theoretischen Abschnitt werden die Grundbegriffe sowie die Grundlagen zu den Themen Trauer, Trauerprozess, Trauerrituale und Trauerkultur im Wandel erörtert, zudem wird die Entwicklung der Mediatisierung der Trauer mit den verschiedenen Formen des virtuellen Gedenkens vorgestellt. In Bezug auf die Motive für die Nutzung der Trauerplattform Trauerhilfe werden Theorien der Motiv- und Mediennutzungsforschung beschrieben.
2.1 Grundbegriffe
Nachfolgend werden die Begrifflichkeiten, die zum Verständnis der Arbeit beitragen, definiert.
2.1.1 Trauer
Laut Erklärung aus dem etymologischen Wörterbuch des Dudens stammt der Begriff „Trauer“ sprachgeschichtlich aus dem althochdeutschen Wort „truren“ und bedeutet „den Kopf sinken lassen“ und „die Augen niederschlagen“. Diese Gestik bzw. Körperhaltung ist eng mit der Traurigkeit verbunden (Freund, 2017).
Die durch die Reaktion auf einen Verlust, vor allem durch den Tod eines Menschen, verursachte Gemütsstimmung und deren Bekundung nach außen wird in der deutschen Sprache als Trauer bezeichnet (Sörries, 2012, S. 11).
Im englischen Sprachgebrauch erfolgt die Unterscheidung präziser zwischen „mourning“ und „grief“. Der soziale und kulturelle Aspekt der Trauer, vor allem die gesellschaftlich festgelegten Trauernormen, wird als „mourning“ bezeichnet.
Mit „grief“ sind hingegen der emotionale Aspekt, die Gefühle und die psychischen Bewältigungsstrategien gemeint. Beide Formen können je nach emotionaler Bindung zur verstorbenen Person gemeinsam oder unabhängig voneinander auftreten (Sörries, 2012, S. 11).
2.1.2 Motiv
Aus dem lateinischen „movere“ oder „motus“ stammt der Begriff „Motiv“, der „bewegen, antreiben“ oder „Bewegung“ bedeutet. „Motif“ ist die französische Bezeichnung für „Beweggrund“ oder „Antrieb“. Bildungssprachlich meint der Begriff „Überlegung, Gefühlsregung, Umstand, durch den sich jemand bewogen fühlt, etwas Bestimmtes zu tun“ (duden.de, 2020).
Im Alltag wird der Begriff „Motiv“ häufig mit der Antwort auf die Frage, warum jemand eine Handlung ausführt, gleichgesetzt. Motive sind stabile Persönlichkeitsmerkmale, die zur Teilhabe an bevorzugten Aktivitäten führen. Sie sind nicht direkt erkennbar, sondern eher ein hypothetisches Konstrukt, das zur Begründung von Aktivitäten herangezogen wird (Alfermann & Stoll, 2017, S. 107).
2.1.3 Kondolenz
Der Begriff „Kondolenz“ bedeutet „Mitgefühl, Mitleid haben“ und das Verb „kondolieren“ „mittrauern“. Diese Begriffe leiten sich von dem lateinischen Verb „condolere“ sowie vom Substantiv „dolor“ ab, die im Deutschen als „Schmerz und Leid“ bezeichnet werden (duden.de, 2020).
Beim Kondolieren, das persönlich, schriftlich in Form einer Beileidskarte oder virtuell erfolgen kann, wird den trauernden Angehörigen vermittelt, dass man mit ihnen mitfühlt und ihren Schmerz teilt. Für die Trauerbewältigung ist dieses Beileidbekunden sehr wichtig, da es den trauernden Menschen Rückhalt gibt. Die Hemmschwelle bei einer virtuellen Kondolenzbezeugung ist niedriger, was zu einer höheren Resonanz führt und von Hinterbliebenen als wertvolle Unterstützung und Trost empfunden wird (Walkling, 2020).
2.2 Grundlagen der Trauer
Jeder Mensch ist irgendwann einmal mit dem Thema Sterben und Tod konfrontiert und trotzdem fällt es vielen schwer, sich damit auseinanderzusetzen. Der Tod eines geliebten Menschen ist oftmals ein sehr schmerzhafter Verlust für die Angehörigen und viele sind darauf nicht vorbereitet. Die Formen und die Bewältigung der Trauer sind je nach Persönlichkeit des betroffenen Menschen individuell unterschiedlich und durch gesellschaftliche und kulturelle Normen beeinflusst (Offerhaus, 2016, S. 37).
2.2.1 Trauerprozess
Sigmund Freud erforschte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Psychologie der Trauer wissenschaftlich. Der Begründer der Psychoanalyse schrieb in seinem Werk „Trauer und Melancholie“ (1917), dass Betroffene aktiv an sich selbst arbeiten müssten, indem sie intensiv an die verstorbene Person sowie die gemeinsame Beziehung denken. Sie sollten, so riet Freud, den Schmerz bewusst suchen und durchleben (Sörries, 2012, S. 13).
„In Trauer und Melancholie setzt Sigmund Freud zwei bemerkenswerte Syndrome, Melancholie und Manie, mit zwei ‚normalen‘, für jedermann verständlichen Erfahrungen in Beziehung: Er schreibt die Melancholie in die Phänomenologie der Trauer ein und verknüpft die manische Erregung mit der Erfahrung des Feierns (‚Freude, Jubel, Triumph‘). Unter Trauer versteht er unsere dysphorische Reaktion auf den Verlust von etwas, das für uns von Wert ist: Gesundheit, Geld, Erfolg, Jugend, das Heimatland, eine Geliebte, einen Freund und so weiter. Für Freud ist Trauer eine psychische Arbeit und bringt, wie jede Arbeit, etwas hervor: ihr eigenes Ende. Der Schmerz der Trauer bringt uns dazu, uns Schritt für Schritt vom verlorenen Objekt abzulösen: Es ist eines der erbarmungslosen Gesetze des Lebens, dass im Laufe der Zeit selbst unsere liebsten Verstorbenen oft vergessen werden. Melancholie ist ihrerseits die Arbeit, ein verlorenes Objekt zu eliminieren, die zu ihrem Gegenteil führen kann: zur Manie“ (Freud, GW, Band X, S. 441 zit. in Benvenuto, 2011).
Wie Lehner erläutert, hatte Sigmund Freud seine Gedanken mit großer Vorsicht vorgetragen und wollte sich weniger über Trauer als vielmehr über Melancholie äußern, trotzdem hatten sie weitreichende Konsequenzen und formten das prägende Modell der „Trauerarbeit“. Nach diesem Modell besteht ein positiver Trauerprozess darin, dass Hinterbliebene die Realität annehmen, sich mit den Erinnerungen, Gedanken und Gefühlen, die in Verbindung mit dem Verlust stehen, konfrontieren, sie durcharbeiten, und sich so von der verstorbenen Person ablösen. Das beinahe allgegenwärtige Bild vom „Loslassen“ hat sich im Bewusstsein vieler Menschen tief verwurzelt (Lehner, 2016, S. 77).
Trauer ist ein Prozess, der für jeden Menschen anders verläuft. Die Dauer und die Intensität des Trauerweges sind so unterschiedlich wie die Menschen. Durch diese unterschiedlichen Trauerreaktionen haben sich in der Trauerforschung verschiedene theoretische Modelle, die psychologisch und medizinisch geprägt sind, entwickelt.
Durch die Forschungen von Emile Durkheim (1947) wurde bewusst, dass Trauer zwar eine individuelle Angelegenheit ist, aber auch eine soziale Pflicht darstellt. Die Trauer wird im Allgemeinen als emotionale Befindlichkeit mit phasenhaftem Verlauf betrachtet. Die Erkenntnisse der modernen Trauerforschung stellen diesen Verlauf in Phasen als Modell dar, da der Trauerverlauf, wie oben erwähnt, individuell verschieden und oft unberechenbar ist. Die verschiedenen Phasenmodelle unterscheiden sich nur geringfügig oder nur in der Wortwahl und dienen im Allgemeinen dazu, trauernde Menschen besser zu verstehen. Wenn sich trauernde Menschen anders, als in den Phasen beschrieben, verhalten, besteht die Gefahr, dass die Trauer als pathologisch eingestuft wird. Das Wiederholen oder ein Überspringen einzelner Phasen ist jedoch durchaus „normal“ (Sörries, 2012, S. 108–109).
Diese Beobachtungen des phasenhaften Verlaufes der Trauer in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelten als große Errungenschaft der Trauerforschung und wurden analog zu den von Elisabeth Kübler-Ross entworfenen Sterbephasen entwickelt. Sowohl der Sterbeprozess als auch der Trauerprozess beginnt mit einem Nichtwahrhabenwollen und endet in einer Phase der Adaption und Zustimmung. Die dazwischenliegenden Reaktionen sind mit Zorn, Verhandeln und Depression vergleichbar (Sörries, 2012, S. 109).
Trauer ist ein komplexes und zutiefst individuelles Geschehen. In den unterschiedlichen Trauerprozessen lassen sich dennoch gemeinsame Elemente beobachten (Müller et al., 2013, S. 21 zit. in Lehner, 2016, S. 79). Der Versuch, den Trauerprozess in nacheinander ablaufenden Phasen zu gliedern, wird aber der Komplexität der subjektiven Erfahrung nicht gerecht (Hall, 2014, S. 8 zit. in Lehner, 2016, S. 79).
Die Formen des Ausdruckes der Trauer sind vielfältig, wobei es zu intensiven Gefühlen kommen kann. Neben dem Leitgefühl Trauer können Angst, Wut und Schuld auftreten. Trauernde Menschen können emotionale Leere, Kälte oder auch Zustände der Erleichterung und der Einsamkeit erleben. Ein sozialer Rückzug sowie oft gegensätzliche Zustände und Verhaltensweisen können ebenfalls Trauer zum Ausdruck bringen (Lehner, 2016, S. 76).
Unter antizipatorischer Trauer wird eine vorweggenommene Trauer über einen noch nicht eingetretenen, aber zu erwartenden Verlust verstanden. Sie betrifft einerseits den sterbenden Menschen, der sich mit seinem bevorstehenden Tod auseinandersetzen muss, andererseits die Angehörigen, die sich ihrerseits darauf vorbereiten. Solche vorweggenommene Trauer tritt häufig bei einer bösartigen Diagnose ein und die Trauerreaktionen verlaufen ähnlich wie jener Trauerprozess, der nach dem Tod eintritt. Diese Form der Trauer ermöglicht es den Angehörigen, sich auf den nahenden Tod einzustellen (Sörries, 2012, S. 168).
Um einen Einblick in den Trauerprozess zu bekommen, wird nachfolgend das Modell der Traueraufgaben des US-Amerikaners James William Worden vorgestellt.
Modell der Traueraufgaben von James William Worden
Der 1932 geborene US-amerikanische Psychologe und Trauerforscher James William Worden beschreibt 1982 in seinem Trauermodell Aufgaben, mit denen sich trauernde Menschen nach dem Verlust und der veränderten Lebenssituation auseinandersetzen müssen. Diese Aufgaben ermöglichen eine aktive Auseinandersetzung mit der Trauer, was dem trauernden Menschen hilft, eigenaktiv seine Trauer zu bewältigen.
Worden zufolge müssen trauernde Menschen vier wesentliche Aufgaben bewältigen, bis sie in ihr alltägliches Leben zurückfinden, wieder Freude erleben und wieder bewusst an ihrer Arbeit und ihren sozialen Aktivitäten teilhaben können. Diese Traueraufgaben verleihen dem Trauerprozess Ausdruck und helfen, mit dem Verlust leben zu lernen. Sie müssen nicht in einer feststehenden, aufeinanderfolgenden Reihenfolge ablaufen und können immer wieder einmal auftreten (Jungbauer, 2013, S. 59).
Diese vier Traueraufgaben sind:
1. Den Verlust als Realität akzeptieren
Hinterbliebene müssen zuerst die Tatsache akzeptieren, dass die verstorbene Person wirklich tot ist und dass sie etwas sehr Wertvolles verloren haben. Hilfreich ist eine bewusste Verabschiedung von der verstorbenen Person; wenn möglich sollte sie nochmals gesehen oder berührt werden.
Laut Worden kann ein trauernder Mensch den Verlust und seine Endgültigkeit nicht akzeptieren, wenn diese erste Traueraufgabe nicht bewältigt ist (Jungbauer, 2013, S. 59–60).
2. Den Schmerz verarbeiten
Hinterbliebene müssen die Trauer zulassen und diese schmerzhaften Gefühle akzeptieren. Es ist wichtig, den Schmerz zuzulassen, damit sich im Laufe der Zeit eine Besserung einstellen kann.
Wenn diese zweite Traueraufgabe nicht bewältigt wird, fliehen Hinterbliebene vor ihren Gefühlen. Sie vermeiden z. B. Gedanken an die verstorbene Person, leugnen ihre Trauer, versuchen sich abzulenken oder suchen Schuldige (Jungbauer, 2013, S. 60).
3. Sich an eine Welt ohne die verstorbene Person anpassen
Es braucht Zeit, um sich der Leere, die die verstorbene Person hinterlässt, bewusstzuwerden.
Diese dritte Traueraufgabe unterscheidet drei Aspekte:
- Externe Anpassung: den Alltag neu organisieren sowie neue Aufgaben und Rollen ohne die verstorbene Person finden
- Interne Anpassung: sich persönlich wieder selber finden
- Spirituelle Anpassung: neuen Lebenssinn und neue Lebensziele finden
Wird diese dritte Traueraufgabe nicht bewältigt, sträuben sich Hinterbliebene gegen notwendige Veränderungen und weigern sich, sich neu zu orientieren und das Leben neu zu lernen (Jungbauer, 2013, S. 60).
4. Eine dauerhafte Verbindung zu der verstorbenen Person inmitten des Aufbruchs in ein neues Leben finden
Diese vierte Aufgabe wurde 1991 von Worden zu den ursprünglichen drei Aufgaben hinzugefügt. Die vierte Aufgabe ist die Neuverortung der verstorbenen Person, um einerseits dauerhaft mit ihr in Verbindung zu bleiben und andererseits, um sich einem neuen Leben zuzuwenden. Die verstorbene Person erhält einen Platz in den Erinnerungen der Hinterbliebenen. Es werden Rituale gepflegt, z. B. das Anzünden von Kerzen bei besonderen Anlässen wie dem Geburtstag oder Todestag. Die verstorbene Person wird zur inneren Begleiterin bzw. zum inneren Begleiter und zur stärkenden Erinnerung.
Hinterbliebene, die diese vierte Traueraufgabe nicht bewältigen, bleiben im Stillstand. Sie halten unverrückbar an der Bindung zur verstorbenen Person fest, ohne neue Beziehungen eingehen zu können (Jungbauer, 2013, S. 60).
Worden beschrieb bereits 1982 einen modernen Trauerprozess, der auch für den typischen Ablauf von virtuellem Trauerverhalten eine Erklärung bietet. Vor allem das aktive Verhalten, das wesentlich für eine gute Trauerverarbeitung ist, ist im virtuellen Raum notwendig.
Durch das Veröffentlichen im Internet wird der Verlust zur Realität und schließlich akzeptiert. Die schmerzhaften Gefühle über den Verlust können beschrieben und öffentlich genannt und somit mit anderen Nutzerinnen und Nutzern von Plattformen geteilt werden. Hinterbliebene realisieren dabei, dass die verstorbene Person nicht mehr am Leben ist und suchen nach einer Lösung. Das Erstellen einer virtuellen Erinnerungsseite ermöglicht ein aktives Erinnern (Jöbstl, 2012, S. 71).
Das Aufgabenmodell von Worden erfasst die Komplexität des Trauergeschehens, indem es vier Kernherausforderungen benennt und betont dadurch die Aktivität im Trauern. Trauernde Menschen können selbst etwas tun, um ihre Situation zu bewältigen (Worden, 2011, S. 44 zit. in Lehner, 2016, S. 79).
2.2.2 Trauerrituale
In der modernen Gesellschaft können trauernde Menschen oft nur auf wenig geeignete Rituale zurückgreifen. Im Umgang mit Sterben und Tod herrschen nach wie vor große Unsicherheiten und trauernde Menschen werden oft allein gelassen. Rituale können eine große Unterstützung beim Ausdruck der Trauer sein, da sie Trost spenden und ein Gefühl der Sicherheit geben. Durch die kreativen Gestaltungsmöglichkeiten von Ritualen ist eine individuelle Trauer möglich. Vor allem gemeinsam erlebte Trauerrituale können dem Gefühl der Kälte und des Alleinseins entgegenwirken (Schäfer, 2011, S. 89).
Laut Schäfer (2011) haben Trauerrituale die Aufgabe, ein sinngebender Orientierungspunkt angesichts des Todes zu sein. Sie strukturieren die individuelle Trauer und bieten einen Rahmen und ein Ausdrucksfeld. Durch die gesellschaftliche Verdrängung des Todes sind jedoch hilfreiche Rituale häufig abhandengekommen (Schäfer, 2011, S. 12).
Der Verlust eines geliebten Menschen kann viele Gefühle auslösen, z. B. Unbegreiflichkeit, Traurigkeit, Wut über das Zurückgelassenwerden, Unsicherheit und möglicherweise auch Erleichterung über das Ende einer großen Belastung. Rituale sind dabei eine wertvolle Kraftquelle und müssen für den trauernden Menschen eine Bedeutsamkeit haben. Allein das Entzünden einer Kerze kann schon von großer Bedeutung sein und Kraft geben. Laut Anselm Grün sind Rituale Quellen, die Kraft geben, Wunden heilen, befähigen, das Leben selber zu gestalten, sowie Gesundheit und Freude am Leben fördern (Kern, 2014, S. 53–54).
„Rituale sind Unterbrechungen. Sie wirken als Unterbrechungen, indem sie anfangen und aufhören. Sie unterbrechen den normalen Ablauf eines Tages, die üblichen Formen der Begegnung und Kommunikation, die gewohnten Regeln und Ordnungen des sozialen Lebens (Macho, 2006 zit. in Schäfer, 2011, S. 90).
Im normalen Alltag können Rituale Sicherheit, Struktur und Entlastung vermitteln. Sie begleiten bei Übergängen von einschneidenden Lebensereignissen, bieten Hilfestellungen an und erfordern ein Innehalten. Rituale verfolgen kein Ziel, sondern haben eine symbolische Bedeutung und können Unbegreifliches fassbar machen. Beim Tod eines geliebten Menschen schaffen sie eine Überbrückung und Überwindung von einer Grenzsituation (Schäfer, 2011, S. 90–91).
Das Bestattungsritual hat für trauernde Menschen die Funktion, mit der Realität des Todes konfrontiert zu werden. Um den Tod zu begreifen, ist es wichtig, die Wirklichkeit zu sehen. Die Präsenz des Sarges oder der Urne vermittelt bei der Trauerfeier die Unumkehrbarkeit des Todes. Dieses Ritual bietet einen Weg der allmählichen Ablösung vom verstorbenen Menschen. Die kleinen Schritte des Einbettens in den Sarg, des Schließens des Sarges, des Versenken des Sarges in der Erde oder das Kremieren im Krematorium lassen in der Regel eine langsame Trennung zu (Spiegel, 1973, S. 112 zit. in Schäfer, 2011, S. 98).
Der Situation des Todes wird durch Trauerrituale ein symbolischer Sinn gegeben. Diese Rituale reduzieren somit Angst und Unsicherheit, spenden trauernden Menschen Trost und begleiten sie in ihrem Trauerprozess (Schäfer, 2011, S. 100).
2.2.3 Trauerkultur im Wandel
Sörries (2012) zufolge ist Trauer einem steten Wandel unterworfen und ein kulturell erlernter Prozess, der von den gesellschaftlichen und technischen Rahmenbedingungen und Einflüssen gesteuert und mitgestaltet wird. Die Erfindung des Buchdrucks erlaubte den Druck der Leichenpredigt, die sich seit dem 16. Jahrhundert zu einem weitverbreiteten Trauermedium entwickelte. Das gedruckte Totenlob wurde zu einem wesentlichen Bestandteil der Memorial- und Trauerkultur. Nach der Erfindung der regelmäßig erscheinenden Zeitung im 17. Jahrhundert tauchten sehr rasch die ersten gedruckten Todesanzeigen auf und verdrängten den Leichenbitter, der die Todesnachricht mündlich verbreitet hatte. Die Erfindung der Fotografie führte zur Verbreitung der Totenporträts, die schließlich als Porzellanbilder die Grabmale zierten. Die sichtbaren Phänomene des Trauerns folgen somit immer dem technischen Fortschritt und werden durch diesen geprägt (Sörries, 2012, S. 8).
Trauer ist ein Kulturphänomen. Sie wird erlernt und ist abhängig von der Kultur und dem sozialen Umfeld, in dem die Trauernden leben. Abgesehen davon, wie sich der trauernde Mensch gefühlt hatte, war Trauer eine öffentliche Pflichtaufgabe. Die durch den Tod entstandene Lücke im Gemeinwesen musste wieder geschlossen werden. Trauer hatte daher die Aufgabe, die Ordnung des Zusammenlebens wiederherzustellen, während sie in modernen Zeiten die weitere Lebensfähigkeit des betroffenen Menschen gewährleisten soll. Dieser Prozess der Veränderung reicht mindestens bis in das 19. Jahrhundert zurück, in dem eine Emotionalisierung der Trauer erkennbar wurde (Sörries, 2012, S. 10).
Anhand der Entwicklung des Internets zeigt sich, wie schnell sich der Umgang mit Sterben, Tod und Trauer an ein neues Medium anpasst: Es entstanden virtuelle Gedenkorte, Bestattungsrituale verwandelten sich und es kam zu einem Auseinanderdriften von Bestattungsort und Erinnerungsort (Fischer, 2011).
Der Umgang mit dem Tod ist immer auch ein Spiegel der kulturellen Kommunikationen innerhalb der Gesellschaft der noch (Über-)Lebenden (Macho & Marek, 2007 zit. in Nord & Klie, 2016, S. 9).
2.3 Mediatisierung der Trauer
Mit dem Ansatz der Mediatisierung wird die öffentliche Sichtbarkeit von Tod und Trauer konzeptionell fassbar. Mediatisierung wird in der Kommunikations- und Medienwissenschaft als sogenannter Metaprozess bezeichnet, „als Prozess sozialen und kulturellen Wandels, der dadurch zustande kommt, dass immer mehr Menschen immer häufiger und differenzierter ihr soziales und kommunikatives Handeln auf immer mehr ausdifferenzierten Medien beziehen“ (Krotz, 2008, S. 53 zit. in Offerhaus, 2016, S. 38).
Die Entwicklung des Internets hat in vielen Lebensbereichen zu großen Veränderungen geführt – vor allem zu einem grundlegenden Wandel des Kommunikationsverhaltens. Die Digitalisierung wirkt sich auf die Grenze zwischen Leben und Tod aus und verändert dadurch den Umgang mit dem Tod. Es entwickeln sich neue Ausdrucksformen in Bezug auf Tod und Trauer, virtuelle Todesanzeigen oder diverse Trauerportale können auf unkomplizierte Weise vielen Menschen zugänglich gemacht werden (Stötter, 2019, S. 185–186).
Bei geografischer Distanz von Familienmitgliedern, Verlust von religiösen Ritualen und unterschiedlichem Trauerverhalten innerhalb der Familie ermöglicht das Internet, die Erinnerung an verstorbene Menschen in Form von virtuellen Friedhöfen oder Gedenkseiten kontinuierlich aufrechtzuerhalten (Walter, 1996 zit. in Jakoby, 2014, S. 190–191). Durch multimediale und technische Möglichkeiten hat sich eine religiös-spirituelle Individualität und Kreativität bei der Gestaltung von virtuellen Friedhöfen entwickelt. Es werden bewusst oder unbewusst traditionelle und universelle religiöse Symbole und Rituale verwendet und miteinander kombiniert. Obwohl die Trauerarbeit im Internet beinahe frei von klassischen religiös-kirchlichen Botschaften ist, wird von betroffenen Angehörigen berichtet, dass ihr virtueller Trauerprozess von verschiedenen religiös-spirituellen Elementen beeinflusst wird (Offerhaus, 2016, S. 56).
Die Themen Sterben, Tod und Trauer werden in der Gesellschaft verdrängt und tabuisiert, jedoch erfolgt im Internet eine zunehmende Sichtbarkeit dieser Bereiche. Der Tod und die damit verbundene Trauer werden zum Gegenstand virtueller Kommunikation und Öffentlichkeit. Auf tausenden Internetseiten wird öffentlich um verstorbene Menschen, Angehörige, Freundinnen und Freunde oder Prominente auf virtuellen Friedhöfen, Trauerforen oder in sozialen Netzwerken mit virtuellen Gedenkkerzen oder Einträgen auf digitalen Kondolenzbüchern getrauert. Ebenso bieten diese Plattformen und sozialen Netzwerke für trauernde Angehörige neue Ausdrucksmöglichkeiten (Offerhaus, 2016, S. 37).
2.3.1 Virtuelle Friedhöfe und Gedenkseiten
Die virtuellen Friedhöfe galten zu Beginn noch als Kuriosität oder Nischenphänomen. Der Soziologe Hans Geser wie auch die Volkskundlerinnen Gudrun Schwibbe und Ira Spieker wiesen jedoch bereits im Jahr 1999 darauf hin, dass die virtuellen Friedhöfe als soziokulturelles Phänomen einer sich wandelnden Trauer- und Erinnerungskultur ernst genommen werden müssen (Offerhaus, 2016, S. 39–40).
Virtuelle Friedhöfe haben den Vorteil, dass sie unabhängig von Ort und Zeit sind und immer wieder aktualisiert und angepasst werden können – je nach Bedürfnis der trauernden Menschen (Meitzler, 2013, S. 293 zit. in Stötter, 2019, S. 187).
Ursprünglich umfasste die Zielgruppe virtueller Friedhöfe Angehörige, die für ihre Verstorbenen virtuelle Erinnerungsseiten einrichten konnten. Doch zunehmend werden virtuelle Friedhöfe und Gedenkseiten noch zu Lebzeiten von Menschen errichtet, um ihr digitales Vermächtnis für ihre Hinterbliebenen anzulegen (Offerhaus et al., 2013, S. 279).
Virtuelle Gedenkseiten sind ähnlich wie virtuelle Friedhöfe aufgebaut, so können Weblinks, Bilder, Profile, soziale Online-Netzwerke, Texte, Videos und Musik eingefügt werden. Virtuelle Gedenkseiten sind daher auch eine Plattform für die Kommunikation (Stötter, 2019, S. 187).
Geser (2004) schreibt zu diesem Thema Folgendes:
„Virtuelle Gedenkseiten im Internet gewinnen ihre Bedeutung vor allem daraus, dass sie zwischen der Vergänglichkeit der Trauerfeier und der unveränderbaren Dauerhaftigkeit physischer Grabmäler eine neue Ausdrucksebene bilden. Als einziges technisches Medium eignen sie sich für den Ausdruck von Gefühlen und Erinnerungen, die erst im Zuge längerfristiger Trauerarbeit akut werden und mit denen die Hinterbliebenen sich bisher – auch im informellen Bekanntenkreise – meist allein gelassen fühlen“ (Geser, 2004, S. 138 zit. in Schäfer, 2011, S. 170).
Wie eine Studie von Gebert (2009, S. 238) belegt, ist das zentrale Motiv für die Erstellung einer Gedenkseite, im virtuellen Raum einen Erinnerungsort für die verstorbene Person zu schaffen, was für die Bewältigung der Trauer von Bedeutung ist. Trauernde Menschen wollen einerseits eine potenzielle Öffentlichkeit im Internet ansprechen, andererseits auch Unterstützung durch Rückmeldung, Austausch und eine gewisse Gemeinschaftsbildung erfahren.
Auf Internet-Gedenkseiten können Erinnerungen verewigt werden, daher sind diese Seiten vielen verstorbenen Menschen ohne Grabstätte gewidmet. Dieser virtuelle Gedenkort bietet einen Raum für Erinnerungen und kann einen Ausdruck für die Trauer schaffen (Geser, 2004, S. 137 zit. in Schäfer, 2011, S. 171).
Der Ausdruck von Trauer und Verlust ist laut Gebert (2009) ein weiteres Leitmotiv für die Hinterbliebenen, die Möglichkeiten des Internets zu nutzen. Gemeinsame Erlebnisse werden auf vielfältige Weise beschrieben und betonen die besondere persönliche Verbindung zur verstorbenen Person. Besonders bei dramatischen Todesfällen versuchen Angehörige, auf diesem Weg mit dem schweren Verlust und den persönlichen Schuldgefühlen umzugehen. Unfälle, Suizid oder Mord spiegeln sich in den Gedenkseiten wider. Diese Gedenkseiten werden oft besonders ergreifend gestaltet bei fehlender Unterstützung und mangelndem Verständnis des Umfeldes und sind als Bewältigungsversuch zu deuten. In vielen Fällen werden von den Betroffenen Trauertagebücher veröffentlicht, in denen die Fort- oder Rückschritte des Trauerprozesses festgehalten werden (Gebert, 2009, S. 248–249).
Manchmal wird erst viele Jahre nach dem Tod eine virtuelle Gedenkseite für eine verstorbene Person erstellt. Schwibbe und Spieker (1999) zufolge sollen dadurch oft Versäumnisse aufgearbeitet, der Abschied nachgeholt oder ungesagte Dinge ausgesprochen werden (Gebert, 2009, S. 249).
2.3.2 Trauerplattformen
Das Angebot an Plattformen rund um das Thema Tod, Trauer und Erinnerung ist vielfältig. Trauer- und Erinnerungsportale bieten durch ihre verschiedenen Funktionen eine Vielfalt an Leistungen an – wie z. B. redaktionelle Beiträge und Ratschläge, was im Todesfall zu tun ist, das Erstellen von Gedenkseiten, den Austausch in Trauerforen oder die Nutzung von Suchmaschinen zu weiteren in der Region angesiedelten Dienstleistern wie Bestattungsunternehmen, Floristinnen und Floristen sowie Grabpflegerinnen und Grabpflegern (Offerhaus, 2016, S. 45).
In der Folge werden Plattformen, die vor allem im Tiroler Unterland genutzt werden und somit auch in den im Rahmen der empirischen Studie durchgeführten Interviews am häufigsten genannt wurden, vorgestellt: die Onlineplattformen Trauerhilfe und Aspetos, die Traueranzeigen in der Tiroler Tageszeitung sowie das soziale Netzwerk Facebook.
Trauerhilfe
Das Hauptaugenmerk dieser Arbeit liegt auf der Trauerplattform Trauerhilfe, da diese bei den durchgeführten Interviews vorrangig genannt wurde und im Tiroler Unterland einen großen Bekanntheitsgrad besitzt. Im empirischen Teil dieser Arbeit werden vor allem die Motive der Personen erforscht, die die Funktionen Kondolenzbuch und Gedenkkerze nutzen. Durch diese Funktionen werden der Familie, Freundinnen und Freunden oder Bekannten ermöglicht, im Kondolenzbuch ihre Gedanken und Gefühle sowie ihren Trost und ihr Beileid auszusprechen. Mit eigenen Worten oder mit einem passenden Spruch können sie beschreiben, was der verstorbene Mensch für sie bedeutet hat, dabei können sie sich auch von fremden Einträgen inspirieren lassen. Zudem kann eine virtuelle Gedenkkerze für den verstorbenen Menschen oder auch in Erinnerung an ihn entzündet werden.
Die Trauerplattform Trauerhilfe wird von Bestattungsunternehmen, die sich zur „Trauerhilfe-BestattungsGesmbH“ zusammengeschlossen haben, betrieben. Auf dieser Trauerplattform werden vom zuständigen Bestattungsunternehmen der jeweiligen Region die Traueranzeigen bzw. Parten veröffentlicht.
Im virtuellen Kondolenzbuch gibt es die Möglichkeit, schriftliche Beileidsbekundungen einzutragen, ebenso können virtuelle Gedenkkerzen entzündet und mit einem kurzen Text versehen werden. Um Missbrauch und Spameinträge zu vermeiden, ist der Zugang zu diesem Portal nur über eine Registrierung möglich und die Einträge werden vom jeweiligen Bestattungsunternehmen freigeschaltet. Über statistische Daten wird unter Hinweis des Datenschutzes keine Auskunft erteilt.
Traueranzeigen in der Tiroler Tageszeitung
Regionale Zeitungen haben den virtuellen Trend erkannt und veröffentlichen die Traueranzeigen auf ihren Websites. Hierbei sind häufig ein virtuelles Kondolenzbuch sowie virtuelle Gedenkkerzen integriert – auf diesem Weg wird eine öffentliche Trauer- und Beileidsbekundung zugelassen (Stötter, 2019, S. 187).
Auch die Tiroler Tageszeitung veröffentlicht die Todesanzeigen in der Printausgabe und auf ihrer Website. Im virtuellen Kondolenzbuch können Einträge verfasst und virtuelle Gedenkkerzen entzündet werden, zudem kann zur Erinnerung am Jahrestag ein sogenannter Button aktiviert werden.
Aspetos
Die Plattform Aspetos bietet zusätzlich zur Übersicht von Traueranzeigen ein Trauerforum an. Daher ist auf dieser Plattform ein Austausch zwischen Hinterbliebenen und das gemeinsame Betrauern der jeweiligen Todesfälle zu beobachten. Diese Kommunikation kann eine schnellere Anschlussfähigkeit der Betroffenen an jene soziale Welt ermöglichen, der sie durch den Schock der Trauer zumindest teilweise entkommen sind.
Trauernde Menschen können sich auf Trauerforen durch Textbeiträge und Antworten untereinander austauschen und ihre Gedanken und Erfahrungen teilen. Trauerforen stellen daher eine Plattform für den Erfahrungsaustausch dar und betroffene Angehörige fühlen sich durch den Besuch auf solchen Plattformen mit ihrem Verlust und ihrer Trauer nicht mehr so alleine (Offerhaus, Keithan, & Kimmer, 2013, S. 281).
Wie Offerhaus (2016) beschreibt, wird auf Trauerforen Unterstützung in Form eines Erfahrungsaustausches gesucht. Die Trauergemeinschaft ist als Schicksalsgemeinschaft jederzeit verfügbar und ansprechbar. Die erlebte Trauer wird öffentlich kommuniziert, wobei die Beiträge sehr persönliche Erfahrungen und Schicksale thematisieren. Wenn die Kommunikation in Bewegung kommt, sind die Kommentare oft umfangreich und werden mit dem realen Namen unterschrieben. Es entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen privater und öffentlicher Kommunikation, zwischen individueller Anonymität und virtueller Gemeinschaft und somit zwischen sichtbarer und unsichtbarer Trauer. Die Nutzerinnen und Nutzer verschaffen sich bewusst oder unbewusst Glaubwürdigkeit, indem sie die Anonymität oft nicht in Anspruch nehmen. Ungeachtet dessen scheint die Anonymität ein wesentliches Fundament für die gemeinschaftliche Trauerkommunikation zu sein (Offerhaus, 2016, S. 57).
Im Schutz der Anonymität umgehen trauernde Menschen eine direkte Konfrontation mit ihrem Umfeld und minimieren dadurch mögliche Ängste vor unpassenden Reaktionen. Aufgrund der Anonymität ist es auch leichter, Emotionen und Schwellenängste öffentlich zu äußern. Der virtuelle Austausch unter Betroffenen ist zudem unverbindlicher als das Aufsuchen einer Trauergruppe und kann daher als Teil einer modernen Selbsthilfeorganisation bezeichnet werden (Schäfer, 2011, S. 170–171).
Soziales Netzwerk Facebook
Facebook ist nach wie vor das größte soziale Netzwerk und bietet viele Möglichkeiten; durch seine Flexibilität und verschiedenen Funktionen findet Facebook auch im Kontext der Trauer und Erinnerung Anwendung. Facebook überlässt seinen Nutzerinnen und Nutzern die Entscheidung darüber, ob ihr Account nach dem Tod als Gedenkseite weiter existieren oder gelöscht werden soll. Wird die Möglichkeit der Gedenkseite gewählt, muss ein Kontaktname genannt werden, der die Seite im Todesfall verwalten darf.
Werden darüber keine Angaben gemacht, besteht für die Angehörigen die Möglichkeit, einen Antrag auf Löschung des Profils oder auf Umwandlung in eine Gedenkseite zu stellen (Stötter, 2019, S. 185–186).
Die Bekanntgabe von Trauerfällen wird häufig auf Facebook gepostet. Da ein „Like“ als Kommentar nicht passend wäre, wird als Zeichen der Anteilnahme mit einem traurigen Emoji oder mit einfühlsamen Worten kondoliert.
Facebook bietet für trauernde Menschen eine Plattform der Selbsthilfe im Umgang mit Trauer, Trost und Abschied in Form von Gruppen, die von Nutzerinnen und Nutzern gegründet werden.
2.3.3 Conclusion
Dieser erste theoretische Teil gibt einen Einblick in die Trauer und wie diese in Prozessen verarbeitet werden kann. Die Trauer entsteht immer in Verbindung mit einem Verlust, wobei das Verhalten im Trauerprozess von Mensch zu Mensch individuell und auch abhängig von den Umständen des Todes ist. Trauerrituale sind daher für trauernde Menschen eine wertvolle Ressource und große Unterstützung im Trauerprozess.
James William Worden beschreibt die Entwicklung des Trauerprozesses anhand von Traueraufgaben, die aktiv von den trauernden Menschen bewältigt werden müssen. Dieser psychische Prozess der Trauerarbeit beginnt im Unbewusstsein. Die Verdrängung von Tod und Trauer in der heutigen Gesellschaft ist für trauernde Menschen demnach eine große Belastung. Durch den gesellschaftlichen und kulturellen Wandel sowie die technische Entwicklung sind jedoch neue Formen des Gedenkens an verstorbene Menschen entstanden. Vor allem im Internet haben sich viele Formen der virtuellen Trauer- und Erinnerungskultur entwickelt. Durch die Gestaltung von virtuellen Friedhöfen und Gedenkseiten können Erinnerungen unabhängig von Zeit und Ort aufrechterhalten werden. Auf Trauerforen können sich trauernde Menschen mit anderen Betroffenen austauschen und damit ihre Trauer leichter verarbeiten. Um sich über Todesfälle zu informieren, virtuell eine Gedenkkerze zu entzünden oder das Mitgefühl den betroffenen Angehörigen auszusprechen, bieten sich Trauerplattformen an. Die Motive für die Nutzung dieser Trauerplattformen können verschiedene Ursachen haben. Der zweite theoretische Teil dieser Arbeit befasst sich daher mit der Motiv- und Mediennutzungsforschung.
2.4 Grundlagen der Motiv- und Mediennutzungsforschung
Die Motivforschung hat das Ziel, die Beweggründe für Verhaltensweisen zu analysieren. In der Folge werden Motiv- und Bedürfnistheorien sowie Mediennutzungstheorien, die trotz Veränderungen in der Medienwelt noch gültig sind, näher betrachtet, wobei vor allem die Motive, warum Menschen virtuell kondolieren und die Trauerplattform Trauerhilfe nutzen, in diesem Abschnitt diskutiert werden.
Es gibt eine Vielzahl von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich mit der Motivforschung beschäftigten bzw. noch immer damit beschäftigen. Die Begriffe Motiv, Motivation, Bedürfnis, Gratifikation und Nutzen werden in den Studien meist synonym verwendet. In der Nutzungsforschung wird hingegen zwischen Bedürfnissen und ihren Ursachen unterschieden. Es gibt eine Vielzahl an Bedürfniskatalogen, die beschreiben, warum Rezipientinnen und Rezipienten bestimmte Medien bzw. Angebote nutzen (Schweiger, 2007, S. 74–75).
In der Kommunikationswissenschaft ist mit dem Begriff „Rezipientin“ bzw. „Rezipient“ die Empfängerin bzw. der Empfänger einer Botschaft in einem medialen Kommunikationsprozess gemeint. Rezipientinnen und Rezipienten sind demnach diejenigen Personen, die sich informieren wollen (uni-protokolle.de, 2020).
Durch die Vielfalt der Medien haben sich in der Mediennutzungsforschung verschiedene Theorieansätze mit unterschiedlichen Schwerpunkten entwickelt. Das Nutzungsverhalten und die Nutzung von Medien sind immer abhängig von jeder bzw. jedem Einzelnen und somit ergibt sich je nach Nutzerin und Nutzer ein anderes Ziel bzw. ein anderer Nutzen (Utermöhlen, 2015, S. 19).
Schweiger (2007, S. 20–21) beschreibt drei grundlegende Perspektiven der Mediennutzungsforschung: die funktionale, prozessuale und strukturelle Perspektive. Aufgrund des Forschungsinteresses wird in der vorliegenden Arbeit die funktionale Sichtweise der Mediennutzung hervorgehoben, da sie sich mit den Ursachen der individuellen Mediennutzung befasst. Diese Perspektive wird vom Uses-and-Gratifications-Ansatz dominiert.
2.4.1 Motiv- und Bedürfnistheorien
Die Motiv- und Bedürfnistheorien von Abraham Maslow und Denis McQuail beschäftigen sich damit, welche Bedürfnisse als Motiv für ein bestimmtes Handeln verantwortlich sind. Diese Theorien tragen dazu bei, ein besseres Verständnis hinsichtlich dessen zu erhalten, welche Bedürfnisse die Menschen antreiben, virtuell zu kondolieren.
Der Beweggrund für ein Verhalten ist das Motiv, das den Denkprozess und das anschließende Handeln in Gang setzt. Dabei ist das Motiv der richtungsgebende und leitende Bestimmungsgrad des Handelns (Siedau, 2008, S. 5 zit. in Heißenstein, 2013, S. 5).
Es wird zwischen extrinsischer und intrinsischer Motivation unterschieden:
- Extrinsisch ist eine Motivation, die durch äußere Reize geleitet wird. Sie ist zielorientiert und trachtet danach, einen Vorteil zu erhalten oder einen Nachteil zu vermeiden. Sie orientiert sich am Leistungsprinzip.
- Bei der intrinsischen Motivation steht das Bestreben, etwas um seiner selbst willen zu tun, im Vordergrund. Etwas wird getan, weil es eine Herausforderung darstellt oder ein Interesse befriedigt. Die Orientierung ist eine Idealvorstellung, die Leistung ist nicht relevant (Myers, 2004, S. 330-331 zit. in Heißenstein, 2013, S. 5).
Ein innerer Zustand, der ein Ergebnis erstrebenswert erscheinen lässt, wird als Bedürfnis bezeichnet. Ein unbefriedigtes Bedürfnis baut bei ausreichender Intensität eine Spannung auf, die sich in einen Trieb umwandelt und dadurch eine Handlung anregt (Siedau, 2008, S. 5 zit. in Heißenstein, 2013, S. 5–6).
Meyen (2004) beschreibt die Bedürfnisse und Motive als Mangelzustände und grenzt beide Begriffe über ihre Rang- und Reihenfolge voneinander ab. Zuerst muss ein Bedürfnis als grundsätzliches Mangelgefühl, wie z. B. Hunger oder Durst, vorhanden sein, damit es zu einer Handlung kommt. Das Motiv ist ein gezieltes Mangelgefühl, das auf einen bestimmten Zustand gerichtet ist. Gratifikationen (Belohnungen) können als befriedigte Bedürfnisse beschrieben werden, wogegen Motive als gesuchte Gratifikationen erklärt werden können (Meyen, 2004, S. 18 zit. in Theuermann, 2018, S. 51).
Im Rahmen dieser Arbeit wird in Bezug auf die Motivtheorien speziell auf den Aspekt der Mediennutzung eingegangen. Die Relevanz von älteren Theorien verändert sich allerdings bei der Anwendung von neuen Medien – manche Ansätze bleiben erhalten und manche Teile der Theorie verlieren ihre Gültigkeit (Heißenstein, 2013, S. 16).
Motivtheorie nach Denis McQuail
Der Brite Denis McQuail (1935–2017) unterteilte 1983 die Bedürfnisse und Faktoren der Kommunikation in vier Kategorien:
Bedürfnis nach Information Bedürfnis nach Unterhaltung Bedürfnis nach Interaktion und sozialer Integration Bedürfnis nach persönlicher Identität (McQuail, 1983, S. 82–83 zit. in Heißenstein, 2013, S. 16).
Die Funktion und die Rolle der Medien ändern sich mit der Zeit, daher relativierte und erweiterte McQuail in einer späteren Ausgabe seines Werkes „Mass Communication Theory“ seinen Ansatz. Manche Motive wurden wichtiger und andere unwichtiger (McQuail, 2010, S. 89 zit. in Heißenstein, 2013, S. 16).
Die Mediennutzung wird meist von mehreren Motiven im Bündel beeinflusst. Ebenso gibt es viele zufällige und nicht berechenbare Einflüsse auf die Motive. McQuail erweiterte daher den Ansatz um die Angebotsseite und die Charakteristiken des Mediums (McQuail, 2010, S. 420–426 zit. in Heißenstein, 2013, S. 16).
In nachfolgender Abbildung sind die Motivdimensionen jeder Bedürfniskategorie dargestellt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Motivdimensionen nach Denis McQuail
Quelle: (Eigene Darstellung nach McQuail, 1983)
Die einzelnen Bedürfnisse werden nachstehend erläutert:
Bedürfnis nach Information
Menschen möchten über wesentliche Ereignisse in ihrem Umfeld, der Gesellschaft und der Welt informiert sein. Medien dienen der Befriedigung von Neugier und allgemeinen Interessen sowie dem Lernen und der Weiterbildung und bieten Sicherheit durch Wissen. Sie helfen bei Orientierungs- und Entscheidungsfragen und des Weiteren bei alltäglichen Fragen (Mülleneisen, 2007, S. 7–8 zit. in Riedel, 2010, S. 10).
Bedürfnis nach Unterhaltung
Medien werden zur Entspannung und Ablenkung genutzt und darüber hinaus, um Entlastung von Alltagsproblemen und der Wirklichkeit zu finden. Sie füllen leere Zeiträume und bieten kulturelle oder ästhetische Erbauung. Ebenso dienen Medien der emotionalen Entlastung und sexuellen Stimulation (Mülleneisen, 2007, S. 7–8 zit. in Riedel, 2010, S. 10).
Bedürfnis nach persönlicher Identität
Medien helfen bei der Suche nach Verhaltensmodellen und Identifikationsmöglichkeiten mit anderen Menschen. Sie dienen der Bestätigung der persönlichen Werterhaltung und helfen bei der Selbstfindung (Mülleneisen, 2007, S. 7–8 zit. in Riedel, 2010, S. 10).
Bedürfnis nach Interaktion und sozialer Integration
Medieninhalte bieten eine Grundlage für Gespräche und ermöglichen dadurch soziale Interaktion und ein sich Hineinversetzen in die Lebensumstände anderer. Sie vermitteln ein Gefühl der Zugehörigkeit, bieten Identifikationsmöglichkeiten und fördern soziale Kontakte und Geselligkeit (Mülleneisen, 2007, S. 7–8 zit. in Riedel, 2010, S. 10).
Die Bedürfnisse nach McQuail werden in jüngeren Forschungen durch neuere Begriffe ersetzt. Der Sinngehalt geht dabei nicht verloren, jedoch kann durch die neuen Begriffe ein größerer Rahmen der Nutzungsmotive erfasst werden (Riedel, 2010, S. 11).
Wie Riedel (2010) darlegt, lauten diese neuen Begriffe:
- Bedürfnis nach Information => kognitive Bedürfnisse
- Bedürfnis nach Unterhaltung => affektive Bedürfnisse
- Bedürfnis nach persönlicher Identität => integrativ-habituelle Bedürfnisse
- Bedürfnis nach Interaktion und sozialer Integration => sozial-interaktive Bedürfnisse
Bedürfnistheorie nach Abraham Maslow
Die Theorie des US-Amerikaners Abraham Maslow (1908–1970) ist eine klassische sozialpsychologische Theorie und stammt aus dem Werk „A theory of human motivation“ aus dem Jahr 1943 (Heißenstein, 2013, S. 17). Die Bedürfnisordnung nach Maslow ist keine strenge Rangliste, manche Motive haben aber eine höhere oder eine niedrigere Priorität als andere. Je tiefer ein Bedürfnis in der Pyramide angesiedelt ist, desto höher ist seine Priorität.
Maslow integriert in diesem Modell das gesamte Spektrum menschlicher Motivationen, vom angeborenen Instinkt bzw. Primärtrieb bis zu Sekundärtrieben, die durch Konditionierung erlernt werden. Gemeinsam ist den Motiven, dass sie menschliches Handeln in Gang setzen bzw. steuern (Schweiger, 2007, S. 76).
Die biologischen und physiologischen Bedürfnisse wie Essen, Trinken, Schlaf, Sexualität … sind die stärksten Bedürfnisse und dominieren alle anderen. Die Mediennutzung der Rezipientinnen und Rezipienten erfolgt zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse, wie z. B. der Ernährungsbereich, Pornografie …, wobei Entspannung und Spannung wesentliche Nutzungsmotive für die Auswahl bestimmter Medien sind (Schweiger, 2007, S. 76).
Die zweite Gruppe sind die Sozial- und Sicherheitsbedürfnisse wie soziale und persönliche Sicherheit, Stabilität, Angstfreiheit, Geborgenheit, Ordnung und Struktur. Diese Bedürfnisse lassen sich am wenigsten mithilfe der Medien befriedigen. Jedoch kann beispielsweise das Lesen der Behaglichkeit und Ruhe dienen (Schweiger, 2007, S. 76).
Das Zugehörigkeits- und Liebesbedürfnis beschreibt das Bedürfnis nach Zuneigung, sozialer Anerkennung, sozialen Kontakten sowie danach, selbst zu lieben und geliebt zu werden. Zu diesen sozialen Bindungsbedürfnissen gehören auch das Bedürfnis nach Gesellschaft und das Sprechen über die Mediennutzung, was als Anschlusskommunikation bezeichnet wird (Schweiger, 2007, S. 76).
Die Bedürfnisse nach Leistung, Stärke, Anerkennung, Respekt, Ansehen und Würde werden als Individual- und Wertschätzungsbedürfnisse bezeichnet und beziehen sich u. a. auf das menschliche Bedürfnis, sich mit anderen zu vergleichen (Schweiger, 2007, S. 76).
Ein Teilaspekt der Individualbedürfnisse sind die kognitiven Bedürfnisse wie das Bedürfnis nach Wissen, Bedeutung und Selbstwahrnehmung; diese Bedürfnisse werden als eigene Stufe behandelt. Die Nutzung der Medien dient hauptsächlich dem Informationsbedürfnis mit der Triebfeder Neugier (Schweiger, 2007, S. 76).
Die ästhetischen Bedürfnisse nach Schönheit, Balance und Kreativität können durch die Medien befriedigt werden, wie z. B. durch die Übertragung von Veranstaltungen, durch ansprechend gestaltete Bilder und Literatur (Schweiger, 2007, S. 77).
Das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung beschreibt, dass der Mensch versucht, sein Potenzial zu erkennen und danach zu streben (Maslow, 1943 zit. in Heißenstein, 2013, S. 18).
Diese ursprüngliche Pyramide mit fünf Stufen wurde von Maslow in späteren Werken erweitert. Transzendenz – die höchste Stufe, die Maslow erst kurz vor seinem Tod 1970 hinzufügte – ist die Suche nach Gott, nach dem Sinn des Lebens und der Spiritualität (Maslow, 1970 zit. in Heißenstein, 2013, S. 19).
Diese erweitere Bedürfnispyramide nach Maslow wird in der nachfolgenden Abbildung dargestellt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Erweiterte Bedürfnispyramide nach Maslow
Quelle: (Eigene Darstellung nach Maslow, 1970)
Diese Hierarchie umfasst die menschlichen Bedürfnisse aus den unterschiedlichsten Bereichen und ist theoretisch integrierbar und anschlussfähig. Maslow benennt aber kein eigenständiges Bedürfnis nach Unterhaltung, wobei dieses jedoch mindestens drei Stufen zugeordnet werden kann, wie den biologischen und physiologischen Bedürfnissen, den Sozial- und Sicherheitsbedürfnissen und ästhetischen Bedürfnissen (Schweiger, 2007, S. 77).
Die höchste Stufe, das Bedürfnis nach Transzendenz, umfasst das Bedürfnis nach Spiritualität, nach Religiosität, den Glauben an Gott und ein Weiterleben nach dem Tod. Dieses Bedürfnis hat demzufolge bei der Nutzung von Trauerplattformen und dem Verfassen von virtuellen Kondolenzeinträgen einen hohen Stellenwert.
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- Quote paper
- Brigitte Staffner (Author), 2020, Beileidsbekundungen im Internet. Welche Motive bewegen Menschen, virtuell zu kondolieren?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/956209
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