Die Arbeit vergleicht das deutsche Drama "Frühlings Erwachen" (1891) von Frank Wedekind mit dem gleichnamigen englischen Musical "Spring Awakening" (2009). Dabei werden einerseits die Handlung der beiden Werke und andererseits die Songs des Musicals betrachtet. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf dem Text, nicht auf der Inszenierung oder der Musik. Die Analyse versucht herauszufinden, was die Musicaladaption von Wedekinds Vorlage übernommen hat, was sie ausklammert und was neu dazukommt, um anschließend eine Begründung für diese Vorgänge zu finden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Handlung
2.1. Formaler Aufbau
2.2. Die Erwachsenen
2.3. Die Schlussszene
3. Songanalyse
3.1. Die Funktion der Songs
3.2. „Guilty Ones“
3.3. „Don’t Do Sadness/Blue Wind“
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
2006 ist das erfolgreiche Musical Spring Awakening uraufgeführt worden, welches auf Frank Wedekinds Drama Frühlings Erwachen basiert. Zwischen den Erscheinungen der beiden Versionen liegen 115 Jahre, wobei die Frage nahe liegt; Wie relevant ist das Drama von damals heute noch? Aus diesem Grund soll in der folgenden Analyse geklärt werden, inwieweit die musikalische Version sich von ihrer Vorlage unterscheidet. Was wurde übernommen, was geändert und vor allem zu welchem Zweck? Der Schwerpunkt liegt hierbei auf der Textanalyse, deshalb sollen Inszenierungspraktiken nur am Rande berücksichtigt werden.
Steve Sater, der Schreiber des Textes und der Lyrics, hat ein Vorwort zu dem Libretto von Spring Awakening verfasst, in dem er einen Großteil der Änderungen, die an der Vorlage vorgenommen wurden, begründet. Diese Begründungen sollen im Folgenden berücksichtigt werden, allerdings sollen sie ebenfalls kritisch bewerten werden.
Zunächst soll ein Überblick über den formalen Aufbau geschaffen werden, anschließend werden zwei schwerwiegende Handlungsänderungen betrachtet und schlussendlich soll genauer auf die Songs des Musicals und ihren Bezug zu Wedekinds Drama eingegangen werden.
2. Die Handlung
2.1. Der formale Aufbau
Bevor der Text im Detail betrachtet werden kann, ist es sinnvoll zuerst eine Übersicht über den Aufbau beider Versionen herauszuarbeiten. Die Handlung des Dramas wurde im Musical zum größten Teil übernommen; abgesehen von dem Schluss – welcher später genauer betrachtet werden soll – gibt es wenige Abweichungen, trotzdem wurden viele Szenen verschoben, gekürzt, verlängert oder fusioniert.
Das Drama ist klassisch in drei Akten aufgebaut, wohingegen das Musical eine typische Aufteilung in zwei Akte vorzeigt. Allein schon deswegen kann die Reihenfolge der Szenen nicht bestehen bleiben, da zum Beispiel der erste Akt mit einer bedeutenden Szene schließen soll.
Die Schreiber von Spring Awakening haben sich bewusst dazu entschlossen, die Szene, in der Wendla ihre Mutter auf die Fortpflanzung anspricht, ganz an den Anfang zu setzen, um sofort am Anfang einen „political point“ zu etablieren: „the seeds of the entire "children's tragedy" are sown by this one willful act of silence - a parent failing to talk honestly to her child about sex.”1
Der Rahmen des 19. Jahrhunderts wurde beibehalten, somit verändert sich die Sprache nur wenig. Brantley betont, dass die Handlung in der heutigen Zeit nicht hätte funktionieren können, obwohl die Themen immer noch relevant sind.2
2.2. Die Erwachsenen
Die meistens Szenen, die im Musical gekürzt wurden, enthalten in Wedekinds Version etliche Erwachsene. Von dem Lehrpersonal, das bei Wedekind aus sieben Individuen besteht, sind im Musical nur noch drei übrig, die von nur 2 Darstellern gespielt werden. Überhaupt stellen diese zwei alle erwachsenen Figuren dar wodurch dem Zuschauer alle Erwachsenen gleich vorkommen. Eine Szene, in der die Lehrer sehr ausführlich darüber diskutieren, ob nun ein Fenster geöffnet werden soll oder nicht, anstatt Melchior Zukunft zu bereden, wurde im Musical ganz gestrichen. Die Überspitzung der erwachsenen Figuren ist bei Wedekind deutlich feiner herausgearbeitet, im Gegensatz zu den lächerlichen, sich ständig wiederholenden Lehrern im Musical. Über den Song “Totally Fucked” merkt Zazzali an: “this catchy song is interesting yet fails to illuminate the text, or capture the nuance, absurdity, and dramaturgical function of the scenic event.”3 Außerdem betont er, dass durch die zwei Darsteller der Erwachsenen, das Ungleichgewicht zu den komplexen jugendlichen Figuren sehr stark sei, welches „an unbalanced narrative that dissipates the tension underscoring the original”, erzeugt.4 Verstärkt wird dies dadurch, dass die Erwachsenen fast nie singen.5
Einen entscheidenden Unterschied macht die Reaktion von Herrn Stiefel auf den Tod seines Sohnes. „Der Junge war nicht von mir!“6, betont Moritz Vater am Grabe seines Sohnes immer wieder im Drama. Im Libretto dagegen wird ein ganzer Song den Gedanken des Vaters gewidmet: “Melchior is revealed in song light. He begins to sing, giving voice to Herr Stiefel's inner thoughts.”7 Somit zeigt die Verison von Sater und Sheiks einen mildern Vater, der sich vielleicht sogar für den Tod seines Sohnes verantwortlich fühlt.
2.3. Die Schlusszene
Die größte Änderung wurde am Schluss des Musicals vorgenommen, so wurde der „vermummte Mann“ aus dem Drama komplett gestrichen. Seine Funktion übernehmen allerdings die Geister von Moritz und Wendla. Moritz Geist will in Wedekinds Text zunächst das genau Gegenteil von dem erreichen, was seine Figur im Musical bewirkt, nämlich Melchior zum Tod verleiten. Hierzu äußert sich Sater ebenfalls:
But we finally realized that within our piece the music already performs the role of the Masked Man, for it gives our adolescent characters a voice to celebrate, to decry, to embrace the darker longings within them as part of them, rather than as something to run from or repress.8
Sater und Sheik wollten eine andere Botschaft senden: Die Liebe für die verloren Menschen soll uns vorantreiben.9 Eine schöne Botschaft, die aber sehr schnell ins klischeehafte abrutscht und nicht dem komplexen Ende des Dramas gerecht werden kann.
Das Auftauchen des vermummten Mannes im Drama hat mehrere Funktionen, die an dieser Stelle nicht alle herausgearbeitet werden können. Darum sei nur angemerkt, dass durch die Entfernung dieser Figur, dem Musical ein reflektives Moment fehlt, welches, ausgelöst durch eine erwachsene Figur, Melchior und auch Moritz eine ganz neue Perspektive eröffnet und dies zudem noch auf humorvolle Art und Weise tut.
3. Songanalyse
3.1. Die Funktion der Songs
Der Hauptunterschied zwischen Drama und Musical besteht in der Musik; Interessanterweise haben die Songs in Spring Awakening keine narrative, sondern eine kommentierende Funktion. Betont wird dies durch den Einsatz von Mikrofonen, die nur während dem Singen gebraucht werden, dabei drehen die Sänger sich, wie in einem Rockkonzert, nach vorne zum Publikum. Bei den gesungenen Songs handelt es sich um die inneren Monologe der Figuren: „For, what we sing is what is unspoken, what is hidden. The "real story."“10 Es erscheint sinnvoll, dass die gesprochene Sprache zwar verändert, gekürzt oder vereinfacht wurden, der Bezug zur Vorlage dennoch gut erkennbar bleibt, während die Songs sich schwer vom Dramentext ableiten lassen. Die Sprache wird modern, die Ausdrücke vulgär – Wörter wie „Fuck“ oder „Bitch“ gehören zum Grundvokabular - und es entsteht sogar eine eigene Symbolik, die sich durch die verschiedenen Songs zieht. In dem Song „Totally Fucked“ singen die Jugendlichen für längere Zeit nur „Bla Bla Bla“, womit die Unsinnigkeit der Erwachsenen dargestellt werden soll, denen die Jugendlichen gar nicht mehr zuhören. Ein Beispiel für eine fast wortwörtliche Übernahme des Dramentextes zeigt der Song „And Then There Were None“ auf, hier treffen gesprochener und gesungener Text aufeinander.11 Während der gesprochene Text wie üblich die Handlung vorantreibt, kommentiert der Songtext in Form von Moritz innerem Monolog den gesprochenen Text. Im Folgenden sollen zwei Songs hinsichtlich ihrer Lyrics aber auch ihrer Einbettung in die Handlung kurz genauer betrachtet werden.
3.2. “Guilty Ones”
Die Schreiber des Musicals wollten deutlich mehr Aufmerksamkeit auf den Geschlechtsakt zwischen Wendla und Melchior legen, als es im Drama der Fall ist.12 Nicht nur die Szene, die zum Akt an sich führt, fällt im Dramentext sehr kurz aus, auch danach wird dieser nur wenig thematisiert, nur die Folgen – Wendlas Schwangerschaft – scheinen für die Handlung von Bedeutung. Die musikalische Adaptation hingegen zeigt eine Szene, in der Melchior und Wendla nach dem Geschlechtsakt noch beisammen sind und über das Geschehene nachdenken. Auch hier wird die Musik wieder zum Ausdruckmittel der Gefühle der Figuren; Der Song „Guilty Ones“ zeugt von der Schönheit und der Sündhaftigkeit der Sexualität der Jugendlichen. Umschrieben werden diese Themen mit Ausdrücken wie; „sweet and unknown“, „dreams“, „wake me“, „bodies“, „touch“. (Sater, S. 74)
Vergleichbar damit ist nur eine kurze Szene im Drama, in der Wendla auf dem Weg nach Hause ist. Ein ähnlich träumendes und schwebendes Gefühl wird hier durch den Text erreicht; „meine Füße berühren den Boden nicht“, aber auch die Sündhaftigkeit wird betont; „Bußgewand“. (Wedekind, S. 43)
Sater und Sheik modifizierten die Handlung etwas und versuchten aus Wendla eine selbstbestimmte junge Frau zu machen, die anerkennt, was sie getan hat und auch dazu steht.13 Aus diesem Grund versuchten sie die Vergewaltigung in einen einvernehmlichen Akt umzugestalten.
3.3. „Don’t do Sadness/Blue Wind”
Moritz Monolog aus dem Drama wird mit dem Song „Don’t Do Sadness“ gleichgestellt. Der Wortlaut wird ein ganz anderer und sogar die Aussage wird leicht verändert: Moritz Satz, „Ich will heute nicht wieder weinen.“ (Wedekind, S. 45), wird zum Beispiel durch die Zeilen „I don’t do sadness“ ersetzt. (Sater S. 66.) Entscheidend ist jedoch, dass Moritz in beiden Versionen klagt: „Mensch gewesen zu sein, ohne das menschlichste kennengelernt zu haben.“ (Wedekind, S. 45) Hiermit ist gemeint, dass er seine Sexualität nicht ausleben konnte. Im Song wird die Unbedeutendheit seines Daseins durch die folgenden Zeilen dargestellt:
Awful sweet to be a little butterfly.
Just wingin' over things, and nothin' deep inside.
Nothin' goin; goin' wild in you -you know- (Sater S. 66)
Passend dazu wird die Metapher des „Falters“ aus dem Drama, im Musicaltext durch den Begriff „butterfly“ aufgegriffen.
[...]
1 Sater 2007, S. 12.
2 Brantley 2012, S. 342.
3 Zazzali 2007, S. 139.
4 Ebd. S. 139.
5 Vgl. Sherrell 2016, S. 180.
6 Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Eine Kindertragödie. [erschienen: 1891] S. 57.
7 Sater, Steven [Book and lyrics]; Sheik Ducan [Music]: Spring Awakening. New York 2007. S. 10.
8 Sater 2007, S. 11.
9 Ebd. S. 11.
10 Sater 2007, S. 8.
11 Ebd. S. 181.
12 Zazzali 2007, S. 138.
13 Sater 2007, S. 14.
- Citar trabajo
- Anónimo,, 2018, Das deutsche Drama "Frühlings Erwachen" von Frank Wedekind und Musical "Spring Awakening". Die Musicaladaptation eines deutschen Dramas, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/954084
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