29.November des Jahres 1095:
Heute in der früh, so wollte es mir scheinen, war unser Gesinde seltsam unruhig obwohl ich mir beim besten Willen nicht erklären konnte aus welchem Grunde das wohl der Fall war. Schliesslich liess mich meine Neugierde alles geziemte vergessen und ich fragte meinen Kammerdiener was das einfache Gemüt denn so beschäftige. Daraufhin antwortete er mir in seiner, gewiss nicht an diejenige des Adels heranreichende doch für einen Leibeigenen doch sehr gehobenen Sprache: „Ja wisst Ihr es denn noch nicht Herr? Papst Urban hat dazu aufgerufen die heiligen Stätten zu befreien!“ Dies war es also was das Volk so sehr beschäftigte. Dieses war wirklich eine bemerkenswerte Angelegenheit. Doch was soll ich jetzt unternehmen? Kein Mensch wird wohl leichten Herzens in die Schlacht ziehen, obwohl es auch verlockend ist, da man da gewiss recht gute Beute machen könnte; eventuell könnte man sogar ein kleines Reich bilden. Ein wahrlich schwerer Entscheid!
5. Dezember des Jahres 1095:
An diesem Tage konnte ich mich eines Entscheides nicht mehr länger erwehren. Ich vernahm in letzter Zeit immer öfter den Ruf nach dem Schwerte und oft wurde ich von anderen Mannen, hohen und - zu meinem grossen Erstaunen über die ungeziemtheit jener Leute - niedrigen Standes gefragt, was ich denn zu unternehmen gedenke. Jetzt endlich habe ich mich, nach langen und gründlichen Überlegungen, dazu durchgerungen mich auch den Wallfahrern anzuschliessen. Ich konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen möglicherweise im heiligen Land ein kleines Königreich zu bilden. Denn ich bin mir sicher dass ich mein Reich innerhalb kürzester Zeit ausweiten werde, da die dort ansässigen, gottlosen und primitiven Völker sich wohl kaum gegen ein Heer abendländischer Stärke zu wehren vermögen werden.
Übrigens habe ich heute, zu meiner grossen Freude, die Nachricht erhalten, dass Tante Eugenie sich aus den Fängen ihrer Krankheit entwinden konnte und mich bald besuchen wird.
15.März des Jahres 1096 :
So stehe ich nun hier in Toulouse, Isoard von Gap, ein Adliger mittleren Standes, der bisher ein recht ereignisloses Leben geführt hat, vor diesem, wohl grössten Abenteuer das einem Menschen widerfahren kann. Nun ist mir klar, dass ich nicht nur des Landes willen hierher gekommen bin, nein ich glaube sogar, dass mich ein weit höheres Verlangen hierher geführt hat und zwar ist dies die Lust auf ein richtiges Abenteuer.
Es mag vielleicht seltsam anmuten, dass wir schon so früh im Jahre aufbrechen, doch dies geschieht in gründlicher Überlegung, denn nach unseren Berechnungen sollte es uns dadurch möglich sein, ohne frieren zu müssen die heiligen Stätten zu befreien, womit ich sagen will dass wir vor Wintereinbruch in südlicheren Gefilden zu weilen hoffen.
Raimund von Toulouse ist der Anführer unseres Heeres und da er, wie mir zu Ohren gekommen ist, schon einmal die heiligen Stätten besucht hat, glaube ich, dass er dazu befähigt ist uns sicher in den Sieg zu führen.
Mitte Dezember des Jahres 1098:
Endlich sind wir in Thessaloniki, eines unserer Zwischenziele, angelangt. Doch auf welche Weise ist dies geschehen? Und wie viele Opfer hat es gekostet? Ich weiss es nicht und ich möchte es auch nicht wissen. Nachdem wir von Brindisi mit dem Schiff nach dem Balkan gefahren waren kam der Winter. Zuerst waren wir nicht allzu besorgt da wir annahmen er könne uns so weit südlich nichts anhaben. Doch dann kamen wir in die Berge. Als erstes kam die Kälte, was noch nicht so schlimm war da wir doch einige Decken und winterfeste Kleider mit uns führten. Doch dann wurden die Aufstiege immer steiler und die Pfade immer schmaler bis eines Tages das erste Maultier in einen tiefen Abgrund stürzte. Von da an passierte dies immer öfter zum Schluss wurden einige auch noch von den stürzenden Tieren mit in den Tod gerissen. Natürlich war es schrecklich, dass wir all diese Männer und Tiere verloren. Doch das noch fast grössere Übel war, dass wir dadurch einen Grossteil unserer Ausrüstung verloren, wir mussten so beinahe ohne Proviant und Decken über das Gebirge ziehen. Manch einer starb in dieser Zeit an Hunger oder Kälte. Diese Überquerung war das Schrecklichste, das ich in meinem bisherigen Leben durchgemacht hatte ich kann und will jetzt nicht all die Leiden die ich erlebt habe hier niederschreiben. Ich bete inbrünstig zu Gott, dass er uns den Rest der Reise etwas einfacher gestalten wird.
Mai des Jahres 1098:
Der Rest der Reise hat sich zu unserem grossen Glück etwas einfacher gestaltet da wir nicht mehr so hohe Berge zu überwinden hatten auch plagte uns der Hunger nicht mehr nachdem wir uns in Thessaloniki wieder mit Lasttieren und Essen versorgt hatten. Jetzt sind wir also vor den Toren von Byzanz. Zu meinem Ärgernis ist es uns verboten in die Stadt zu gehen. Wahrscheinlich fürchtet der Stadtamman das die Pilger irgendwelchen Schaden in seiner prunkvollen Stadt anrichten würden. Nur die Führer der Heere durften die Stadt betreten. Ich habe gehört diese hätten dort einen Eid schwören müssen dass sie die, von den Seldschuken eroberten Ländereien an Byzanz zurückgeben würden.
Jedenfalls bin ich jetzt tatsächlich hier unter Tausenden von anderen Rittern und warte ungeduldig darauf endlich losschlagen zu können. Es ist wirklich unglaublich wie viele Männer sich entschlossen haben an diesem Feldzug der Gerechtigkeit teilzunehmen.
7. Juni des Jahres 1099:
Endlich haben die Strapazen ein Ende. Die Reise von Byzanz nach Jerusalem war wieder voller Hunger, Durst, Krankheit und jetzt zum ersten Mal, auch Kämpfen von dehnen ich schon vorher berichtet habe. Doch endlich ist dies vorbei. Heute haben wir die heilige Stadt das erste Mal von einer Erhebung aus gesehen. Ein Jubel ging durch die Masse. Wir nannten den Berg „Montjoie“, Berg der Freude.
8. Juni des Jahres 1099:
Wir sind jetzt vor den Toren der Stadt angekommen. Wie wir sehen scheinen die Unterdrücker der Stadt, womit ich die Moslems meine, von unserem Kommen unterrichtet zu sein. Jedenfalls sind alle Brunnen und Zisternen unbrauchbar gemacht worden. Man hofft in der Stadt wohl, uns damit eine Belagerung unmöglich zu machen, da wir dann wegen Wassermangels in feuchtere Gebiete ziehen müssten. Ich jedoch bin mir sicher, dass uns auch diesmal etwas einfallen wird, schliesslich ist es nicht das erste Mal, dass wir unsere Phantasie benutzen müssen, auf dieser langen und beschwerlichen Reise.
10. Juni des Jahres 1099:
Wir konnten jetzt schon bis zu Stadtmauern vordringen wo wir uns jetzt schon gut eingerichtet haben und ich glaube wir können trotz Wassermangels eine Belagerung aufrecht erhalten. Zum Glück wurde doch noch eine Quelle gefunden. Sie wird den Grossteil des Wasserbedarfs decken. Für das übrige Wasser haben wir Tierhäute zusammengebunden und können damit das Wasser von weit her holen. Wir haben jetzt auch angefangen Belagerungstürme und andere Geräte die man für eine Belagerung braucht zu bauen.
Wie ich gehört habe soll Raimund von Toulouse auch schon angefangen haben Angriffspläne zu schmieden. Ich hoffe nur dass er sich auch gut überlegt was er tut. Ich jedenfalls möchte nicht in seiner Haut stecken, denn falls er einen Fehlentscheid trifft ist es gut möglich dass Tausende von Männern aufgrund dieses Entscheides sterben. Er muss wahrlich Höllenqualen durchmachen.
16. Juni des Jahres 1099:
Nachdem es anfänglich recht gut ausgesehen hat gibt es nun doch einige Probleme. Wir haben trotz der Quelle und den Tierhäuten zuwenig Wasser, auch an essen mangelt es und wenn man noch jemanden findet der etwas hat, verkauft dieser es zu so hohen Preisen dass es nur die Reichsten kaufen können. Doch ich bin froh zu sehen dass der Kampfgeist die allermeisten noch nicht verlassen hat und ich glaube immer noch dass wir die Stadt befreien können.
14. Juli des Jahres 1099:
Heute veranstaltete unsere Führer einen Bittgang rings um die Wälle der Stadt.
Danach verkündeten sie dass wir morgen die Stadt stürmen werden. Die meisten von uns waren erleichtert dass das Warten endlich ein Ende hat. Auch ich war irgendwie erleichtert obwohl es den Tod bedeuten konnte doch ich war des Wartens leid. Diese Nacht werde ich wohl kaum schlafen können.
15. Juli des Jahres 1099:
Heute in der früh stürmten wir die Stadt. Nachdem die Verteidiger die Stadtwälle verliessen und in die Stadt hinein flüchteten folgten wir ihnen sofort. Wir holten sie ziemlich schnell auf und dann muss unser ganzes leid was wir während dieser ganzen reise erfahren hatten in uns heraufgebrochen sein. Anders kann ich mir sonst nicht erklären warum so viele ,zum Teil sehr freundliche Männer etwas derartiges anstellen konnten.
Wir holten sie also auf und sobald der erste in Reichweite war wurde er von unseren Schwertern niedergemetzelt. Und so ging es weiter, ich rannte nur noch mit den anderen mit und schlug mit dem Schwert immer wieder und wieder zu. Wie im Rausch tötete ich, nur noch von der Mordlust getrieben und ich muss zugeben dass ich nicht einmal sicher bin ob ich nicht auch einen der Unsrigen getötet hätte wäre er mir vor die Klinge gekommen. Mir läuft jetzt noch ein kalter Schauer über den Rücken wenn ich daran denke wie der gutmütigste zu einem mordenden Monstrum wurde. Dann liefen wir durch die Stadt um uns dessen zu bemächtigen wovon die Bewohner Jerusalems sowieso zu viel hatten und zwar des Goldes und des Essens. Später gingen wir zum Grabe Jesu um dort Busse zu tun.
Juli des Jahres 1100:
Heute, ziemlich genau ein Jahr nach der, genau so grausamen wie glorreichen Eroberung, wurde in einem feierlichen Akt Gottfried von Bouillon zum ersten König von Jerusalem gekrönt. Allerdings lässt er sich jetzt nicht mehr so nennen sondern hat sich den, wie mir scheint, sehr passenden Namen „Beschützer des Heiligen Grabes“ zu eigen gemacht. Ich glaube er ist der rechte Mann für jene, sicher sehr anspruchsvolle Aufgabe das heilige Land zu beschützen.
26. August des Jahres 1100:
Endlich bin ich wieder in meinem trauten Heim. Zum Glück war die Rückreise nicht so anstrengend wie die Hinreise und ich kam auch schneller vorwärts als ich es nach der Hinreise erwartet hatte dies war zweifellos deshalb der Fall weil wir - ich bin in einer kleinen Gruppe von Rittern die auch wieder ins Abendland zurück wollten mitgeritten - jetzt nur noch gegen die natürlichen Gewalten zu Kämpfen hatten und nicht auch noch gegen die Ungläubigen.
Zu Anfang war ja mein Plan gewesen ein kleines Reich zu gründen, doch dann konnte ich nach all den Greueltaten die ich und das ganze Heer dort verübt hatten einfach nicht mehr in diesem Land des Blutes, welches es für mich immer bleiben wird, verweilen und bin so auf dem schnellsten weg zurück nach Hause geritten. Abschliessend muss ich sagen dass ich nicht weiss ob es wirklich das richtige war diese bewaffnete Pilgerfahrt, noch dazu im Namen Gottes zu unternehmen denn wenn ich mich zurückerinnere was auf dieser Fahrt alles schreckliches und grausames geschehen ist glaube ich nicht dass Gott dies gebilligt hätte.
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- Urs Hegi (Autor), 1999, Erlebnisse eines Ritters während der Kreuzzüge, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95122