Die vorliegende Arbeit wird sich mit einem ganz entscheidenden Themenkomplex innerhalb der Soziolinguistik beschäftigen, nämlich dem des schichtenspezifischen Sprechens, oder genauer gesagt mit der Frage nach dem Zusammenhang sozialer und linguistischer Unterschiede. Dies wird geschehen vor allem vor dem Hintergrund der Kode-Theorie (vielfach auch als Defizit-Hypothese bezeichnet, vgl. hierzu Absatz III.) von Bernstein und der Differenzkonzeption von Labov. Nach einer kurzen ‚historischen‘ Einordnung derselben in den sprachwissenschaftlichen Gesamtzusammenhang, soll im Hauptteil der Arbeit versucht werden, einen möglichst strukturierten Überblick über den Inhalt der sehr komplexen Theorie Bernsteins und die kritische Stellungnahme Labovs dazu zu geben. Abschließend werden die beiden Konzeptionen auf ihre kulturraumspezifische Relevanz für Italien hin untersucht werden, sowohl aus historischer Sicht als auch hinsichtlich ihrer aktuellen Bedeutung.
Vorab sei jedoch noch angemerkt, daß Bernstein zwischen 1958 und 1972 etwa 30 Aufsätze veröffentlicht hat, die den Grundgedanken seiner Theorie wiedergeben. Eine Darstellung derselben wird jedoch dadurch erheblich erschwert, daß er von Publikation zu Publikation stets definitorische und konzeptionelle Modifizierungen vornimmt, ohne jedoch explizit aufzuzeigen, welchen Stellenwert diese im Vergleich zu früheren Formulierungen haben. Darüber hinaus wurden Bernsteins Arbeiten so viel diskutiert, fehlanalysiert und mißinterpretiert, „so [that] it is not always easy to determine whether he actually said what he is said to have said.“1 Aus diesem Grund ist es eigentlich unmöglich, von einer einheitlichen Theorie zu sprechen;2 Literatur zu diesem Thema greift meist nur eine der vielfältigen – zum Teil widersprüchlichen – Facetten heraus und liefert somit oftmals relativ einseitige Interpretationsansätze. Auch die vorliegende Arbeit erhebt keineswegs den Anspruch, die Komplexität der Konzeption in ihrer Gänze erfassen zu können. Ich werde im folgenden dennoch versuchen, die wichtigsten Aspekte zumindest anzusprechen und auch die gängigen (Fehl-)Interpretationen mit in die Diskussion einzubeziehen. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einführende Bemerkungen zum Thema der Arbeit — Von De Saussure zu den Anfängen der Soziolinguistik
- Bernsteins Kode-Theorie
- Die Anfänge: Von Sapir-Whorf zu Bernstein
- Die Kodes
- Der abstrakte Kode-Begriff
- Restringierter und elaborierter Kode
- Identifikationsmerkmale der Kodes
- Die schichtenspezifische Bedeutung der Kodes
- Die Bedeutung des Sozialisierungsprozesses
- Kritik an dem Begriff „Defizithypothese" und dessen Implikationen
- Inhaltliche und formale Kritik an der Defizit-Hypothese
- Inhaltliche Dimension: Die funktionelle Relevanz
- Formale Dimension:
- Labovs Differenz-Konzeption
- Defizit-Hypothese und Differenzkonzeption im Vergleich
- Rezeption in Italien
- Bibliographie
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Seminararbeit befasst sich mit der Frage nach dem Zusammenhang sozialer und linguistischer Unterschiede, insbesondere vor dem Hintergrund der Kode-Theorie von Bernstein und der Differenzkonzeption von Labov. Die Arbeit bietet einen strukturierten Überblick über Bernsteins Theorie und Labovs Kritik daran. Abschließend wird die kulturraumspezifische Relevanz der beiden Konzeptionen für Italien untersucht.
- Die Interdependenz von Sprache und Gesellschaft
- Schichtenspezifische Sprechweisen
- Bernsteins Kode-Theorie und die „Defizithypothese"
- Labovs Differenzkonzeption und die Kritik an der „Defizithypothese"
- Die Rezeption der Theorien in Italien
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer historischen Einordnung der Kode-Theorie und der Differenzkonzeption in den sprachwissenschaftlichen Gesamtzusammenhang. Es wird auf die Entwicklung der Soziolinguistik als Forschungsrichtung eingegangen, die sich mit der sozialen Bedeutung von Sprachvarietäten befasst. Bernstein gehört zu den ersten Soziolinguisten, die die Interdependenz von Sprache und Gesellschaft in den Mittelpunkt ihrer Forschung stellten.
Im zweiten Kapitel wird Bernsteins Kode-Theorie im Detail behandelt. Bernstein unterscheidet zwischen restringiertem und elaboriertem Kode, die durch unterschiedliche grammatische Strukturen und sprachliche Merkmale gekennzeichnet sind. Die Arbeit beleuchtet die Entwicklung von Bernsteins Theorie und die Kritik an seiner Annahme, dass der restringierte Kode mit der Sprechweise der Arbeiterschicht und der elaborierte Kode mit der der Mittelschicht verbunden ist. Es wird auch auf die Rolle des Sozialisierungsprozesses bei der Ausprägung der Kodes eingegangen.
Das dritte Kapitel widmet sich der Kritik an der „Defizithypothese", die Bernsteins Theorie häufig zugeschrieben wird. Es wird deutlich, dass Bernstein selbst sich in seinen späteren Werken von der Defizitinterpretation abgrenzt. Die „Defizithypothese" impliziert, dass die Sprache der Unterschicht defizitär ist und dass es notwendig ist, Kinder der Unterschicht den elaborierten Kode beizubringen, um ihnen den Zugang zu Bildung und sozialem Aufstieg zu ermöglichen.
Labovs Differenzkonzeption wird als Gegenentwurf zur „Defizithypothese" vorgestellt. Labov argumentiert, dass alle Sprachvarietäten gleichwertig sind und dass die soziale Benachteiligung bestimmter Schichten nicht auf ein sprachliches Defizit zurückzuführen ist, sondern auf die Tatsache, dass die Sprache der dominanten Schicht als Norm erhoben wird.
Im letzten Kapitel wird die Rezeption der Theorien in Italien untersucht. Es wird deutlich, dass die Thematik der sprachlichen Ungleichheit in Italien von besonderer Bedeutung ist, da es dialektal sehr stark fragmentiert ist. Die Arbeit zeigt, wie Bernsteins Theorie in Italien rezipiert wurde und wie die Dialekte als Sprachbarrieren interpretiert wurden. Es wird auch auf De Mauros Kritik an der traditionellen Sprachpädagogik und seine Forderung nach einer Wertschätzung der sprachlichen Vielfalt eingegangen.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Kode-Theorie von Bernstein, die Defizithypothese, die Differenzkonzeption von Labov, die soziale und linguistische Ungleichheit, die Sprachbarriere, den Sozialisierungsprozess, die Sprachvarietäten, die funktionelle Relevanz von Sprache, die Rezeption der Theorien in Italien, die Dialekte und den Plurilinguismus.
- Citar trabajo
- Katja Linnartz (Autor), 2002, Die Defizithypothese nach Bernstein und die Differenzkonzeption nach Labov, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/9511
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