Thomas Luckmann und Peter L. Berger veröffentlichten ihr soziologisches Hauptwerk erstmals 1966 in den USA unter dem Namen „The Social Construction of Reality“.
1969 wurde es unter dem Titel „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ ins Deutsche übersetzt und gilt als eines der prägendsten Werke der Wissenssoziologie. Im Grunde genommen hat die Arbeit von Berger & Luckmann den Anspruch, eine paradigmatische Neuorientierung der Wissenssoziologie als Ganzes herbeizuführen. War es bis dato noch üblich das bereits bestehende, „normale“ Alltagswissen nicht zu hinterfragen und somit auch nicht zum Gegenstand soziologischer Untersuchung zu machen, ist genau dieser Aspekt – das Alltagswissen – das Hauptproblem der Wissenssoziologie von Berger & Luckmann (vgl. Berger & Luckmann 1969, S.16f). Ihr Anspruch ist es, ein theoretisches Modell zu konstruieren, welches sich systematisch mit der Erschließung des vortheoretischen Wissens bzw. der vortheoretischen Wirklichkeit beschäftigt.
Inhaltsverzeichnis
I. Inhalt & These
II. Einordnung in den Forschungsstand
III. Kritik & Fazit
IV. Quellen
Eine wissenschaftliche Rezension über:
Berger, Peter L. und Thomas Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, Frankfurt 1969.
Thomas Luckmann und Peter L. Berger veröffentlichten ihr soziologisches Hauptwerk erstmals 1966 in den USA unter dem Namen „The Social Construction of Reality“. 1969 wurde es unter dem Titel „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ ins Deutsche übersetzt und gilt als eines der prägendsten Werke der Wissenssoziologie.
Im Grunde genommen hat die Arbeit von Berger & Luckmann den Anspruch, eine paradigmatische Neuorientierung der Wissenssoziologie als Ganzes herbeizuführen. War es bis dato noch üblich das bereits bestehende, „normale“ Alltagswissen nicht zu hinterfragen und somit auch nicht zum Gegenstand soziologischer Untersuchung zu machen, ist genau dieser Aspekt – das Alltagswissen – das Hauptproblem der Wissenssoziologie von Berger & Luckmann (vgl. Berger & Luckmann 1969, S.16f).
Ihr Anspruch ist es, ein theoretisches Modell zu konstruieren, welches sich systematisch mit der Erschließung des vortheoretischen Wissens bzw. der vortheoretischen Wirklichkeit beschäftigt. Unter Wissen verstehen sie „(..) die Gewissheit, daß Phänomene wirklich sind und bestimmbare Eigenschaften haben“. Sie sind der Auffassung, dass es ausreicht den Begriff Wirklichkeit „(..) als Qualität von Phänomenen zu definieren, die ungeachtet unseres Wollens vorhanden sind.“ (ebd., 1969, S.1). Ein weiteres intendiertes Ziel war bzw. ist es, die Bedeutung der Wissenssoziologie insgesamt von der Peripherie ins Zentrum soziologischer Untersuchung zu rücken (vgl. Berger & Luckmann 1969, S.20).
I. Inhalt & These
Thomas Luckmann & Peter L. Berger geben mit diesem Werk eine Antwort auf die Frage was gesellschaftliche Ordnung ist und wie sie überhaupt erst zustande kommt & erhalten bleibt. Die Hauptaussage ihrer Arbeit liest sich in sozialkonstruktivistischer Tradition. Sie gehen davon aus, dass es sich bei der gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit um eine soziale Konstruktion handelt bei deren Konstruktion jedes Mitglied der Gesellschaft eine entscheidende Rolle spielt.
Soziale Ordnung lässt sich dabei als Ergebnis ständiger menschlicher Produktion (vgl. Berger & Luckmann 1969, S.55) darstellen. Gesellschaftliche Ordnung ist also das Ergebnis vorangehender individueller Akte und besteht demnach auch nur solange sie ständig von Menschen produziert wird. Dabei spielt der Begriff der Habitualisierungen eine maßgebliche Rolle. – Berger & Luckmann sind der Auffassung, dass Handlungen, die sich oft wiederholen zu Gewohnheiten werden. Diese wiederum verfestigen sich zu Strukturen und können in Zukunft unter Einsparung von Aufwand reproduziert werden. Diese Strukturen erschließen sich dem individuellen Akteur dabei als etwas von vornherein Gegebenes. Anzumerken ist, dass solche Strukturen bzw. Gegebenheiten kein Ergebnis planmäßig, systematischer Vorgehensweise sind. Den Autoren nach kann man diesem Prozess dennoch eine fast schon zwingend folgende Gesetzmäßigkeit unterstellen, da „alles menschliche Tun (..) dem Gesetz der Gewöhnung unterworfen“ ist (Berger & Luckmann 1969, S.55).
Im nächsten Schritt kommt es zur sog. Institutionalisierung, die dann stattfindet, wenn Habitualisierungen typisiert werden. Unter Typisierung ist hier der Prozess zu verstehen, in dem bestimmte Rollen nicht mehr von einzelnen Individuen abhängig sind und somit auch das Individuum überleben, wobei sie sich den folgenden Generationen als objektive Entität präsentieren.
Ausgehend von dieser Annahme sieht man sich auf wissenssoziologischer Ebene einer weiteren Frage, nämlich was die (objektive) Wirklichkeit ist und inwiefern es zu gesellschaftlicher Ordnung führt, konfrontiert. – Die Antwort darauf liefert das sogenannte „ Allerweltswissen (..), denn dieses Wissen bildet die Bedeutungs- und Sinnstruktur, ohne die es keine menschliche Gesellschaft gäbe“ (ebd., 1969, S.16). Zu ergänzen ist hierbei, dass sich uns dieses soziale Wissen (Wie verhalte ich mich innerhalb der Gesellschaft?) als normal und demnach „wirklich“ vorkommt, solange es nicht hinterfragt wird. Solange soziales bzw. gesellschaftlich konstituiertes Wissen –welches dynamisch ist und somit ständigem Wandel ausgesetzt ist – für richtig gehalten & angenommen wird, produziert es konstant soziale Ordnung.
Für die Vermittlung bzw. (Re-)produktion des Wissens dient die Sprache als maßgebliche Form der Objektivation. Sie ist jedoch nicht die einzige. –Unter Objektivation verstehen die Autoren generell jegliche Form der Manifestierung menschlicher Ausdrucksweisen. Darunter zählt man Zeichen, aber auch Symbole (ebd., 1969, S.24f).
Als Zwischenfazit ist festzuhalten, dass Berger und Luckmann sich der Begriffe Wirklichkeit und Wissen als Erklärung für das Bestehen sozialer Ordnung anführen. Es wird weiterhin erkenntlich, dass die Autoren in der Konzeption ihrer Theorie eine dualistische Haltung einer sowohl subjektiven als auch objektiven Wirklichkeit annehmen. –Objektiv in der Hinsicht, als dass sich das Individuum mit einer bereits bestehenden institutionalisierten Gesellschaftsordnung auseinandersetzen muss. Objektiv wirkende Gegebenheiten sind Habitualisierungen, die sich zu Strukturen verfestigt (Institutionalisierung) haben und im Alltagswissen ständig reproduziert werden. Subjektiv verfestigt und bestätigt sich die Wirklichkeit in jeder individuellen Handlung.
II. Einordnung in den Forschungsstand
Dieses Buch kann man in der wissenschaftlichen Tradition mehreren Vorläufern zuordnen. Eine große Rolle hat der Einfluss ihres Lehrers, Alfred Schütz, gespielt. Dieser hat in seinem Werk „Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt“ (vgl. Schütz 1933) bereits Mitte des 20. Jahrhunderts, mit seinen Erkenntnissen über die Bedeutung von Wissen & der alltäglichen Lebenswelt, ein theoretisches Fundament geschaffen, welches von Berger & Luckmann übernommen wurde (vgl. Berger & Luckmann S. 17f). Die Autoren weisen ausdrücklich darauf hin, dass sie sich auf seine phänomenologische Herangehensweise fokussieren und die „erkenntnistheoretischen und methodologischen Probleme ausschließen.“ (ebd., S. 15). Das ist insofern von Bedeutung, als dass sie damit das von Max Scheler geprägte, bisherige Schema der Wissenssoziologie überwerfen.
Auch Max Weber hat die beiden beeinflusst. Von ihm übernehmen sie die Idee des sogenannten „subjektiv gemeinten Sinnes“ und propagieren, dass dieser essenziell für die Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit ist. Die Theorie des symbolischen Interaktionismus von George H. Mead wird in Teilen übernommen und in die eigene Theorie integriert. – Mead fokussiert in seinem Werk den intersubjektiven Kommunikationsprozess, mithilfe dessen die handelnden Individuen andauernd Ordnung schaffen (vgl. Abels 2009, S.117). Diese diskursive Ordnung zeigt sich unter anderem im Objektivationsbegriff der Autoren. Zudem stützen sie sich auf Durkheims analytische Denkweise der Gesellschaft als Realität sui generis, die sie jedoch durch Webers‘ oben genannte Idee des subjektiv gemeinten Sinnes ergänzen. So ermöglichen sie eine integrative Perspektive, die mehrere Paradigmen miteinander verknüpft (vgl. Berger & Luckmann 1969, S.18ff).
Ihre Arbeit lässt sich thematisch, wie oben bereits angedeutet, als Theorie über die soziale Ordnung klassifizieren. Genauer gesagt unternehmen die beiden den Versuch, ein umfassendes Erklärungsmodell zur Grundfrage der Soziologie (Wie ist Gesellschaft überhaupt erst möglich?), zu eruieren. Dementsprechend gehen sie einer Frage nach, die schon seit Jahrhunderten im Raum steht und dessen Beantwortung sich viele namhafte Theoretiker zur Aufgabe gemacht haben. Hierbei zu nennen sind beispielsweise Thomas Hobbes (vgl. Hobbes 1966), Jacques Rousseau (vgl. Rousseau 2008) & der aktuellste Vertreter Parson mit dem Struktur- bzw. Systemfunktionalismus (vgl. Parsons 1951).
III. Kritik & Fazit
Das Buch an sich ist plausibel aufgebaut und liest sich – zumindest als Soziologe – auch recht verständlich. Generell lässt sich festhalten, dass es sich um ein gelungenes Modell zur Beschreibung der gesellschaftlichen Wirklichkeit handelt. Die im ersten Abschnitt eingeführte Kernthese ist durch die einzelnen Begriffe schlüssig hergeleitet und ermöglicht die – zumindest aus phänomenologischer Sicht – Beantwortung der Frage nach der Funktionsweise sozialer Ordnung. Meines Erachtens zeigt dieser paradigmatische Fokus jedoch auch einen großen Nachteil in ihrer Theorie auf. – Berger und Luckmann lassen erkenntnistheoretische und methodologische Überlegungen außer Acht. Dadurch werden sie ihrem Anspruch, einer „Gesellschaftstheorie, die (..) an einem einheitlichen Ganzen von theoretischer und systematischer Schlüssigkeit“ (Berger & Luckmann, 1969, S.19) interessiert ist, trotz der Integration verschiedener Aspekte aus anderen Theorien, nicht vollends gerecht. Die Analyse der Lebenswelten dient zwar als passendes Instrument zur Untersuchung des Alltagswissen und damit einhergehend dem inneren Bewusstseinsprozessen. Fraglich bleibt dennoch, wieso empirisch zugängliche Verhaltensweisen und Handlungen, die als eigentliche Analyseeinheiten soziologischer Untersuchungen dienen, nicht einer intensiveren Untersuchung unterzogen worden sind. – Eine mögliche Antwort ist im letzten Abschnitt des Buches zu finden. Man könnte meinen, dass sie sich mit ihrem Versuch, eine Neuorientierung in der Wissenssoziologie herbeizuführen, gegen eine auf dem Positivismus begrenzte Wissenschaftsdisziplin positionieren. So sind sie der Auffassung, dass „das gegenwärtige Interesse der Soziologen an Theorien, die aus der Psychoanalyse abgeleitet sind, alsbald eine ganz andere Färbung bekommen [würde], wenn diese Theorien nicht – positiv oder negativ – als Dogmen einer Wissenschaft in Geltung ständen, sondern sich auf dem Wege der Analyse als Legitimation einer höchst eigenartigen und wahrscheinlich bezeichnenden Konstruktion der Wirklichkeit in der modernen Gesellschaft zu erkennen gäben. Eine derartige Analyse sollte natürlich die Frage der wissenschaftlichen Tragfähigkeit dieser Theorien ausklammern und sie lediglich als Gegebenheiten für ein Verständnis jener subjektiven und objektiven Wirklichkeit behandeln, aus der sie kommen und auf die sie zurückwirken.“ (ebd., 1969, S.200). Das erklärt auch wieso sie in ihrem Werk phänomenologisch vorgehen, dessen wissenschaftlicher Anspruch es unter anderem ist a priori zu fungieren.
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- A. Siddiqui (Author), 2020, "Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit" von Berger & Luckmann. Eine Rezension, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/950808
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