Rechtsextremismus
0 Einleitung
Das dieser Ausarbeitung vorausgegangene Referat soll die Widersprüche zwischen den im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (GG) vom 23.5.1949 festge- legten verfassungstheoretischen Grundlagen von Partei- und Organisationsverboten versus deren Praxis anhand einer Gegenüberstellung des Prozeßverlaufs gegen die Sozialistische Reichspartei (SRP) und die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) herausarbeiten. Dies betrifft besonders die Auslegung der im Grundgesetz ga- rantierten Grundrechte der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG), der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG) und deren Einschränkungen aufgrund Art. 9 Abs. 2 GG und Art. 21 Abs. 2 GG mit dem Ziel des Schutzes der jungen Demokratie durch Verbote demo- kratiefeindlicher Parteien und Organisationen.
Im Mittelpunkt steht die Fragestellung, ob Partei- und Organisationsverbote eine langfristige Lösung im Umgang mit extremistischen, demokratie-feindlichen Tenden- zen bieten, oder ob sie nur Zeichen eines ‘hilflosen’ Antifaschismus’ sind, der an die Stelle notwendiger politischer Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit staatliche Re- pression setzt.
1. Hintergründe des Parteienartikels Art. 21 Abs. 2 GG
In starkem Maße ausschlaggebend für die allgemeine politische Lage im frühen Nachkriegsdeutschland war der fortschreitende Verfall der Anti-Hitler-Koalition der Siegermächte und die damit einhergehende Konfrontation der Hegemonialmächte USA und UdSSR (vgl. H. Meier 1993, S. 141). So war die Schaffung eines neuen, kommunistischen Feindbildes im Osten Europas, gekoppelt mit der Angst der westli- chen alliierten Mächte vor einer Renaissance des organisierten Faschismus in Deutschland, maßgeblich daran beteiligt, daß auf der Londoner Sechs-Mächte- Konferenz am 7.6.1948 beschlossen wurde, die Ministerpräsidenten der Länder zu ermächtigen, ²eine verfassunggebende Versammlung zur Ausarbeitung einer Verfas- sung einzuberufen, die von den Ländern zu genehmigen sein wird² (J. LAYMEIER. In: H. MEIER 1993 S. 140).
Der mit den ‘Richtlinien für ein Grundgesetz’ beauftragte Sachverständigenauss- chuß für Verfassungsfragen - nach dem Tagungsort der Herrenchiemsee-Konvent genannt - tagte vom 10. - 23.8.1948 und legte daraufhin einen Bericht vor, der ne- ben einem Kommentar einen unverbindlichen Entwurf des Grundgesetzes enthielt, dessen Vorgaben dennoch die Entscheidungen des Parlamentarischen Rates ent- scheidend beeinflußten.
Diese neue, provisorische Verfassung der Bundesrepublik sollte nicht nur die in- nerdeutsche Teilung besiegeln, sondern auch - im Rahmen des sich drastisch ver- schärfenden Ost-West-Konflikt, der 1949 in der Berlin-Blockade der UdSSR einen vorläufigen Höhepunkt fand - die Einbindung Westdeutschlands auf der Seite der westlichen demokratischen Industriestaaten in das System der kapitalistischen Marktwirtschaft gewährleisten.
Jedoch war eine gesetzliche Regelung zur Verhinderung systemfeindlicher, anti- demokratischer Parteien bzw. Vereinigungen keine Neuheit, sondern stützte sich die- se auf eine Klausel in der Weimarer Verfassung von 1923: Das Reichschutzgesetz. An dieses Gesetz, sowie an die von den Alliierten von 1945 bis 1949 ausgeübte Li- zenzierungsgewalt, mit dem Ziel der Unterdrückung nationalsozialistischer Tendenzen, schloß nun Art. 21 Abs. 2 GG an, womit die Entscheidungsbefugnis wieder der deutschen Justiz, genauer dem in der Entstehung befindlichen Bundesverfassungsgericht (BVG) zugesprochen wurde.
Kern der dem GG zugrundeliegenden Verfassungstheorie ist der Gedanke, daß die Demokratie sich gegen ihre Gegner verteidigen müsse, um selbst als Staats- und Gesellschaftsform zu überleben, der sich in der Rechtsprechung im SRP- und KPDUrteil manifestiert. (Vgl. JASCHKE 1991, S. 23)
2. Verfassungstheoretische Grundlagen für Partei- und Organisationsverbo- te
Die verfassungstheoretische Grundlage für Verbote von Parteien bzw. Organisatio- nen bilden in erster Linie Art. 21 Abs. 2 GG und Art. 9 Abs. 2 GG, ferner Art. 18 GG (Verwirkung der Grundrechte) und Art. 138 GG (Weitergeltung der Entnazifizie- rungsvorschriften).
Im Gegensatz zu einem Verbotsantrag einer rechtswidrigen Organisation oder Vereinigung nach Art. 9 Abs. 2 GG, über den das Bundesinnenministerium verfügt, schreibt der Gesetzgeber bei einem Untersuchungsantrag auf die Verfassungswidrigkeit einer Partei die Bearbeitung durch das BVG vor (vgl. GG 1994, S. 22). Von Art. 18 GG und Art 138 GG wurde im Zusammenhang mit dem Präzedenzfall SRP und dem KPD-Urteil kein Gebrauch gemacht.
Die Anwendung von Art. 9 Abs. 2 GG auf Vereinigungen, die sich nachweislich ²ge- gen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten² (GG 1994, S. 22) war aus zwei Gründen weniger problematisch als jene von Art. 21 Abs. 2 GG:
1. Die ersten Verbotsanträge gegen extremistische Vereinigungen traten erst einige Zeit nach den ersten Anwendungen von Art. 21 Abs. 2 GG auf, was die Rechts- lage anhand der im SRP-Urteil eindeutigen Verfahrensweise gegen rechtsextremistische Vereinigungen deutlich erleichterte.
2. Der Begriff ‘Zwecke oder Tätigkeiten’ ist, ähnlich wie das Kriterium ‘gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung’, sehr viel dehnbarer, zumal es sich hier nicht um einen Präzedenzfall handelte.
Infolge der beiden kurz aufeinander folgenden Anträge auf Verfassungswidrigkeit der SRP und der KPD bedurfte es demgegenüber einer eingehenden Prüfung bzw. Deu- tung der im Art. 21 Abs. 2 GG angeführten Kriterien seitens des kurz zuvor konstitu- ierten BVG: ‘Ziele’, ‘Verhalten der Anhänger’, ‘darauf ausgehen ... zu beeinträchti- gen oder zu beseitigen’ und vor allem ‘die freiheitliche demokratische Grundordnung’ (FDGO).
Das Tatbestandselement der ‘FDGO’ war juristisch nicht konkretisierbar und wurde daher vom BVG scheinkonkretisiert; demzufolge setzt sich die FDGO aus neun Aspekten zusammen, deren fehlende Konturen sie zu einer Kompetenznorm machten:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Anwendung und Durchführung eines Parteiverbotes setzt also ein Normeninstrumentarium voraus, das unter rechtsstaatlichen und gleichwohl demokratischen Gesichtspunkten problematisch ist, da der Begriff ‘Extremismus’ im GG nicht enthalten und somit der Interpretation des Gerichtes unterworfen ist.
3. Praxis der Partei- und Organisationsverbote
Da die Anwendung der theoretisch formulierten juristischen Kriterien für die Legali- tätsgrenze einer Partei in der politischen Realität aufgrund oben angeführter Defizite schwierig war und da die beiden einzigen verhängten Parteiverbote im Nachkriegsdeutschland sich in Struktur, Argumentation und Beweislage stark unterschieden, wird in der folgenden Gegenüberstellung u.a. aufgezeigt werden, daß der Präzedenzfall (SRP-Urteil) im Prozeß gegen die KPD nicht als Maßstab angelegt wurde, wie es zu erwarten gewesen wäre.
Der strukturelle Unterschied der Verfahrensweisen in diesen beiden Fällen zeigt auch den ²permanenten Rechtfertigungs- und Handlungsdruck [der Institutionen], sobald Ereignisketten mit rechtsextremen Hintergrund² auftraten, (DU- DEK/JASCHKE 1984, S. 484) wobei zu beachten ist, daß der abschreckende Charakter, vor allem von Art. 21 Abs. 2, noch weit über die beiden einzigen ver- hängten Parteiverbote hinausreicht und die politische Verfahrensweise mit solchen Fällen signalisiert.
3.1 Das SRP-Urteil
Das SRP-Urteil ist insofern historisch wichtig, als daß es das erste Parteiverbot nach dem ca. 2 Jahre zuvor in Kraft getretenen Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland war, d.h. einen Präzedenzfall zum Umgang mit demokratie-feindlichen Parteien bildet. Das Urteil war insofern erfolgreich, als daß die SRP in der Geschichte der Bundesrepublik bis heute der erste und letzte Versuch blieb, die Ziele und Wertvorstellungen der NSDAP öffentlich in die Politik einzubringen.
Nach dem vom BVG verhängten Verbot der Partei verteilten sich die ehemaligen Anhänger auf die CDU und andere konservative Parteien, die dementsprechend ver- suchten, ihr Spektrum um weniger brisante Parteiziele der ehemaligen SRP in ihrem Parteiprogramm unauffällig zu erweitern, um das neue Wählerpotential anzuziehen.
3.1.1 Politische Hintergründe
Der Antrag auf Untersuchung der Verfassungswidrigkeit der SRP wurde von der Regierung Konrad Adenauer gemäß § 43 Abs. 1 BVerfG am 19.11.1951 auf Druck der Briten an einem Zeitpunkt gestellt, zu dem sich trotz einer klar geäußerten Ver- botsoption der Bundesregierung ein ²antimarxistisches Regierungsbündnis² (MEIER 1993, S. 23) zwischen DP/CDU und SRP in Niedersachsen anbahnte. Diesem wur- de der Antrag der Bundesregierung hinzugefügt, ²die [SRP] aufzulösen, die Bildung von Ersatzorganisationen zu verbieten sowie das Parteivermögen einzuziehen.² (MEIER 1993, S. 51) Nach Abschluß der zehntägigen mündlichen Verhandlung ge- gen die SRP erließ das BVG am 15.7.1952 ²eine einstweilige Anordnung [...], in der es der Partei jegliche öffentliche Propaganda verbot und [verkündete] schon am 23. Oktober des gleichen Jahres das Urteil.² (MEIER 1993, S. 116 f.)
Die SRP als Sammelbecken der alten nationalsozialistischen Funktionäre und der jungen Frontgeneration, die kurz nach dem zweiten Weltkrieg bei den Alliierten ver- geblich um eine Lizenzierung ersucht hatte, war in der deutschen Nachkriegsge- schichte ²der erste und zugleich der letzte Versuch [...], , die Ideologie des National- sozialismus unverblümt parteiförmig wiederzubeleben" (DUDEK/JASCHKE 1984, S. 67) und kann damit im wahrsten Sinne des Wortes als ‘neofaschistisch’ betitelt werden. Die Mitglieder rekrutierten sich aus allen Schichten der Gesellschaft, wie es auch der Wille der Partei war; gemein waren ihnen in erster Linie die aus der Entnazifizierung resultierenden sozialen Mißstände und politisch Verbitterung.
Die SRP nahm an einigen Landtagswahlen teil und erhielt in Niedersachsen bis zu 11 % der Stimmen, was sie in den Augen der Besatzungsmächte durchaus zu einer ernstzunehmenden Gefahr machte. (Vgl. DUDEK/JASCHKE 1984, S. 65 f.)
3.1.2 Argumentation und Beweislage
Als erstes ist hier anzumerken, daß im SRP-Urteil ²eine reflektierte Problematisie- rung der Tatbestandselemente ‘darauf ausgehen ... zu beeinträchtigen oder zu besei- tigen’ nicht zu finden“ ist (H. MEIER 1993, S. 46), womit eine normative Bestim- mung derjenigen Kriterien fehlt, an denen Verfassungswidrigkeit gemessen werden könnte.
Das BVG beschränkte sich im SRP-Prozeß im Wesentlichen darauf, das Tatbestandsmerkmal ‘Ziele’ aufgrund des Parteiprogrammes und der Zusammensetzung der führenden Parteifunktionäre aus ehemaligen aktiven Nationalsozialisten als offensichtlich antidemokratisch zu beurteilen. Ähnlich wurde mit dem Tatbestandsmerkmal ‘Verhalten der Anhänger’ verfahren, zu dem das Gericht das aggressive und strafbare Verhalten einzelner Mitglieder der Partei anführte.
Begründet wurde diese Vorgehensweise damit, daß im modernen Staat Versuche zum Umsturz ²in steigendem Maße mit den schleichenden Mitteln innerer Zerset- zung" unternommen würden und daß es ²vielmehr darauf an-[komme], die ‘wahren Ziele der Partei’, ihr ‘Wesen’ sowie den ‘hintergründi-gen Sinn’ des Programms zu erkennen." (MEIER 1993, S. 28 f.) Demzufolge sei erst durch eine ²Zusammen- schau² der Einzelaspekte die Intention der Partei erkannt worden, die FDGO erst zu beeinträchtigen und anschließend zu beseitigen. Dem wurde hinzugefügt, daß eine Partei, deren interne Strukturen in grundsätzlicher Abweichung von demokratischen Prinzipien organisiert sind, in der politischen Realität nicht demokratisch agieren kön- ne, also als verfassungswidrig einzustufen sei.
Während das Gericht also die "ganze Palette höchst unterschiedlich geprägter politischer Aktivitäten als Belastungsmaterial heranzog" und von ihrer internen Organisationsstruktur auf ihre (antidemokratischen) Ziele schloß, stellte es gelegentlich auf das Beseitigen der FDGO, vor allem aber auf deren Beeinträchtigung ab.
Das Gericht fühlte sich in gewisser Weise bestätigt, als am 9. Verhandlungstag die Vorstandsmitglieder nach Verweigerung der Zeugenaussage die Sitzung verließen.
Am 16.9.1952 wurde die SRP vom Vorstand aufgelöst, ca. Einen Monat vor der Urteilsverkündung des BVG am 23.10.1952.
Aus dieser Vorgehensweise sowie aus der oben erläuterten Konstituierung der SRP folgert, daß das Verbot der SRP ²eher [als] ein Akt der Zwangsintegration als des Antifaschismus² anzusehen ist. (STÖSS 1978, S. 36)
3.2 Das KPD-Urteil
Dem am 22.11.1951 von der Bundesregierung gestellten Antrag auf Überprüfung der Verfassungswidrigkeit der KPD stand das BVG trotz der antikommunistischen Grundstimmung in Deutschland mit einem ²gewissen Unbehagen² gegenüber. (MEI- ER 1993, S. 117)
Es ist bekannt, daß auf Beschluß des ersten Senates der neue Präsident des BVG und Vorsitzende des ersten Senates Wintrich in den Fußstapfen seines Vorgängers Höpker-Aschoff - ebenfalls ein erklärter Gegner des KPD-Prozesses - bei der Re- gierung vorstellig wurde, um diese dazu zu bewegen, den Antrag zurückzuziehen. Als keine Reaktion erfolgte, wurde die bis zu diesem Zeitpunkt lange verzögerte mündli- che Verhandlung noch im selben Monat, am 23.11.1954 eröffnet und zog sich über 51 Verhandlungstage hin. Auch Otto John, 1. Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz war ausgesprochen gegen das Verbot der KPD, da diese ungefährlich und öffentlich leichter zu kontrollieren sei.
Der auf das BVG ausgeübte Druck der Regierung Adenauer auf eine rasche Urteilsverkündung wird durch eine Maßnahme des Bundestages deutlich, der "im Juli 1956 die Zuständigkeit für Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG [dem 1. Senat entzog und] dem 2. Senat [des BVG] übertrug." (MEIER 1993, S. 118)
3.2.1 Politische Hintergründe
In der Phase des kalten Krieges und der Schaffung neuer Feindbilder im Osten Eu- ropas - was nicht weiter schwierig war, da hier nur an die von den Nationalsozialis- ten propagierte und in Deutschland ohnehin in Tendenzen vorhandene Einstellung ge- gen den ‘Bolschewismus’ angeknüpft werden mußte - war die linksextremistische KPD den konservativen Parteien, sowie den den Kapitalismus vorantreibenden wirt- schaftlichen Kräften in Deutschland ein Dorn im Auge. Demzufolge wurde der Vor- schlag Adenauers, die FDP, die gegen den Verbotsantrag gegen die SRP war, dadurch zu besänftigen, daß ebenfalls ein solcher Antrag gegen die KPD gestellt werden solle, von den Konservativen gerne angenommen und, wie das Datum belegt, relativ schnell in die Tat umgesetzt.
Der Verbotsantrag blieb nicht die einzige administrative Sanktion gegen die KPD; bereits am 24.4. 1951 hatte das Adenauer-Kabinett ²Verbotsmaßnahmen gegen die (maßgeblich von der KPD [...] organisierten) ‘Volksbefragungs-ausschüsse’ sowie die ‘Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes’ (VVN) und die ‘Freie Deutsche Jugend’ (FDJ) gemäß Art. 9 Abs. 2 eingeleitet" (MEIER 1993, S. 51) und die Mit- gliedschaft von Beamten in der KPD untersagt. Durch diese scharfen Notverord- nungsdekrete, unterlegt durch die vorzeitige Verhaftung einiger Vorstandsmitglieder, wurde die Partei bereits vor der Urteilsverkündung in die Illegalität gerückt.
3.2.2 Argumentation und Beweislage
Fällt das SRP-Urteil schon durch fehlende Präzisierung der Tatbestandsmerkmale auf, so ist in der über 300 Seiten umfassenden Begründung des Beschlusses des BVG noch eine Steigerung an juristischer Willkür zu verzeichnen.
Da die KPD bei grundsätzlichem Festhalten an ihrer revolutionären Zielsetzung den gewaltsamen Umsturz zugunsten von Frieden, deutscher Wiedervereinigung und Sicherheit für die Lohnabhängigen seit ca. 1924 aus ihrem Programm eliminiert hatte, wurden zu ihrer Belastung in 1. Linie ²eine stattliche Reihe von 26 Standardwerken der Autoren Marx, Engels, Lenin und Stalin² herangezogen. (MEIER 1993, S. 53)
Im Aufbau des Urteils findet sich die Erklärung, daß das Staats- und Gesellschafts- bildes der Diktatur des Proletariats mit der FDGO unvereinbar sei. Des weiteren wird der gesellschaftstheoretische Hintergrund der Partei dargestellt, als ‘Ziele’ im Sinne des Art. 21 Abs. 2 bewertet und als verfassungswidrig eingestuft. (Vgl. MEI- ER 1993, S. 55)
Schließlich wird unter der ‘aktuellen Zielsetzung der KPD’ das Programm der nati- onalen Wiedervereinigung beleuchtet; diese programmatische Aussage zur kommu- nistischen Deutschlandpolitik dürfte am Ausgang des Prozesses maßgeblich beteiligt gewesen sein.
Um dem entgegenzuwirken machte die KPD vier Verfahrenshindernisse geltend:
1. Art. 21 Abs. 2 sei vor der Verabschiedung eines Parteiengesetzes kein anwend- bares Recht; die Bundesregierung mißbrauche ihre Antragsbefugnis zur Ausschal- tung unliebsamer Oppositionen.
2. Der demokratische Charakter der KPD sei durch ihre Lizenzierung aufgrund des Potsdamer Abkommen formal und unwiderleglich bewiesen und unterfalle deshalb nicht dem Art. 21 Abs. 2.
3. Einem Verbot der KPD stehe das Wiedervereinigungsgebot des GG entgegen, da eine solche Maßnahme für die Geltungsdauer des GG wegen der Bindungswir- kung des § 31 Abs. 1 BVerfG nicht wieder aufgehoben werden könne.
4. Der Verbotsantrag wurde als unbegründet zurückgewiesen, da die marxistisch- leninistische Theorie der Wissenschaftsfreiheit unterfalle und das Bekenntnis dazu ebenfalls grundrechtlich geschützt sei.
Trotz dieser vier Verfahrenshindernisse, auf die im folgenden nicht weiter eingegangen wurde, beschloß der 1. Senat des BVG am 24.1.1952 gemäß § 45 BVerfG die Durchführung des Verfahrens.
3.3 Beide Verfahren im Vergleich
In der Gleichzeitigkeit der Anträge auf Überprüfung der Verfassungswidrigkeit von SRP und KPD erschöpfen sich auch schon die Gemeinsamkeiten dieser beiden historischen Verfahren.
Es springt dem Beobachter förmlich ins Auge, daß das Verbot der SRP auf Druck der Besatzungsmächte schnell verhängt werden mußte, da der zeitliche Ab- stand zwischen dem Antrag auf Überprüfung der Verfassungswidrigkeit am 19.11.1951 und dem vom BVG am 23.10.1952 verhängten Verbot im Gegensatz zu der Dauer des Prozesses gegen die KPD relativ kurz war, und dies zu einem Zeit- punkt, da die Regierung Adenauer deren politische Position im Nachkriegsdeutsch- land festigen wollte.
Des weiteren fällt auf, daß, wie oben bereits erwähnt, die belastenden Tatbestandsmerkmale nicht hinreichend konkretisiert wurden, sondern auf das Verhalten von Individuen und Auszüge des Parteiprogrammes zurückgeführt wurden, was aus juristischer Sicht jeglicher Grundlage entbehrt.
Allein die Tatsache, daß - im Gegensatz zum KPD-Urteil - die führenden Mitglieder der SRP Anschuldigungen und Urteil ohne jede Revision entgegennahmen, läßt darauf schließen, daß die Partei mit dieser Maßnahme gerechnet, sie vielleicht sogar in ihre Pläne einbezogen hat, um im folgenden, integriert in verschiedene legale Parteien, ihren Rechtsextremismus unbehindert ausleben zu können, wenn die Auswirkungen dessen auch nur Phasenweise an die Öffentlichkeit drangen, wie es die ‘Schmierwellenaktion’ 1962 zeigten (s. 4.1, S. 13).
In beiden Verfahren ist eine juristisch unpräzise Vorgehensweise festzustellen, die auf starkem Druck aufgrund von Angst vor einer Renaissance, bzw. Einflußnahme extrem rechter und extrem linker Parteien beruht. Der deutliche Unterschied besteht in erster Linie darin, daß die Angst vor einer neuen Machtposition der Nationalsozialisten von den westlichen Alliierten geäußert wurde, während die harten Maßnahmen gegen die nun systemfeindlichen Kommunisten von einer elementaren Angst aus den eigenen Reihen vor einer Eingliederung in den Ostblock zeugten.
Keines der beiden Urteile erweckt auch nur annähernd den Eindruck objektiver Beweisaufnahme und Beurteilung; vielmehr ist unschwer zu erkennen, daß beide Ur- teile zügig auf.
Der Erfolg der NPD Ende der 60er Jahre und der damit einhergehende Auftrieb des rechten Lagers demonstriert aber auch die Brüchigkeit des Projekts Demokratie, die schon zu Beginn der Bundesrepublik das Bedrohungspotential des organisierten Rechtsextremismus weit unterschätzt und sich einer Antizipation dieser Problematik entzogen hatte. (Vgl. DUDEK/JASCHKE 1984, S. 482)
4. Entwicklungsphasen des Rechtsextremismus nach dem SRP-Urteil
4.1 Folgen des Verbotes der SRP
Durch das Verbot der SRP 1952 durch das Bundesverfassungsgericht, wurden die Grundlage für eine wichtige und später häufig angewandte Möglichkeit des Umgangs mit offen rechtsextremen Bestrebungen gelegt. Zusätzlich signalisierte das Verbot die faktische Unmöglichkeit einer parteiförmigen Rekonstituierung des Nationalsozialis- mus.
Es wurde die Feststellung getroffen, daß die Anerkennung der FDGO als minima- le Voraussetzung die Bejahung bestimmter Prinzipien verlange (vgl. BVG, 1953, S.12 f.), gegen die die SRP verstoßen habe. Eine solche negative Abgrenzung macht rechtsextreme Tatbestände in strafrechtlicher Hinsicht relativ präzise, erlaubt aber keine präventive Bestimmung rechtsextremer Organisationen und Einstellungen (vgl. DUDEK/JASCHKE 1984, S. 23). In Anlehnung an dieses Urteil bestimmen die Verfassungsschutzberichte seit 1961 jährlich öffentlich, welche politischen Positionen als rechtsradikal oder rechtsextrem bezeichnet werden können.
Als Folge dieser Maßnahmen sind Versuche des rechten Spektrums offen und di- rekt neonazistische Parteien zu gründen, nach dem SRP-Verbot einerseits nahezu gänzlich verschwunden. Auf der anderen Seite eröffnete das SRP-Verbot für die Parteien des Bürgerblocks die Chance ‘unverdächtiger’ aktiver Integration der nicht- neonazistischen Rechtskräfte. Nach der Kriminalisierung des Neonazismus und der damit verbundenen Schwächung des rechten Lagers insgesamt, blieb für die Aktivis- ten somit nur noch der völlige Rückzug aus der Politik oder der Anschluß an die bürgerlichen und rechtskonservativen Parteien übrig.
Nach dem Verbot der SRP erzielten rechtsextreme Parteien, insbesondere die 1949 als Nachfolgeorganisation der Deutschen Konservativen Partei/Deutschen Rechtspartei (DKP-DRP) gegründete ‘Deutsche Reichspartei’ DRP, nur magere Wahlergebnisse:
Sie konnte bei der Bundestagswahl 1949 nur 1,8% der gültigen Stimmen auf sich vereinen und verschwand 1965. Mit der Einführung der 5%-Hürde 1952, hauptsächlich als Abwehr gegen kommunistische Parteien gedacht, zeigten sich aber ebenfalls Auswirkungen auf die rechtsextremen Parteien. In den folgenden Legislaturperioden zogen als Konsequenz keine Vertreter rechtsextremer Parteien mehr in den Bundestag ein. Die erste Phase des Rechtsextremismus bis Mitte der 60er Jahre verlief somit relativ erfolglos. Aus dieser Sicht kann man die Jahre 1953 bis 1964 diesbezüglich auch als ‘Jahrzehnt der Flaute’ bezeichnen.
Parallel zum Prozeß des Niedergangs der rechtsextremen Parteien bildete sich aber in den 50 er Jahren eine rechtsextremistische ‘Subkultur’ in Gestalt eines Netzwerkes von Organisationen und Gruppen unterschiedlichster ideologischer und strategischer Ausrichtung (Veteranenvereine, Jugendorganisationen und Verlage) mit rechtsextremistischer Tendenz.
1959 kam es u.a. zu antisemitischen Schmierereien (z.B. „Juden raus“); beide Tä- ter kamen aus dem Umfeld der DRP. Die darauf folgenden massiven Proteste des Auslandes und die intensive Berichterstattung der Medien zogen administrative und politische Reaktionen nach sich: Der NRW-Landesverband der DRP wurde aufge- löst und die Bundesregierung legte der Öffentlichkeit einen ausführlichen Bericht vor und publiziert seitdem alljährlich den Erkenntnisstand der Sicherheitsbehörden zum Rechts- und Linksextremismus, die sogenannten Verfassungsschutzberichte.
4.2 Aufstieg und Scheitern der NPD
Die zweite, erfolgreichere Phase des Rechtsextremismus begann mit der Gründung der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) 1964. Hintergrund ihres Aufstiegs war die ‘Großen Koalition’ aus CDU/SPD, die Ostverträge, die Studen- tenproteste der APO und die erste große Wirtschaftskrise in Deutschland. Die NPD versuchte sich hierbei als nationale Gegenkraft zu etablieren. Die NPD wurde zur Sammlungspartei der Rechten und verfügte bundesweit Ende der 60er Jahre über fast 30.000 Mitglieder. Bis 1969 gelang ihr bei sieben Landtagswahlen der Sprung über die 5%-Hürde. In Baden-Württemberg erreichte sie bis zu 9,8% der Wähler- stimmen. Diese Erfolge hatten starke Proteste seitens Parteien, Gewerkschaften und Kirchen zur Folge; Verbotsanträge wurden geäußert.
Bei der Bundestagswahl 1969 verpaßte die NPD dagegen (auch aufgrund der o.g. Proteste) mit 4,3% knapp den Einzug ins Parlament und markierte damit den Anfang eines Abstiegstrends. Auch bei den folgenden Bundestagswahlen sank der Wähleranteil der NPD auf unter 0,5%. Die Mitgliederzahl betrug 1985 nur noch ca. 6.100 Personen.
Neben der nationaldemokratischen Richtung entstand die seit 1971 durch die Deutsche Volksunion (DVU) repräsentierte ‘nationalfreiheitliche’ Strömung. Die DVU entwickelte sich zum Auffangbecken für die NPD, die sie 1985 mit 12.000 Mitgliedern übertraf. Mit wenigen Ausnahmen beteiligte sich die DVU zunächst nicht an Wahlen, sondern unterstützte nur die NPD.
4.3 Verbote rechtsextremistischer Gruppierungen
Als dritte Richtung bildete sich Ende der 70er Jahre eine konspirative, gewalttätige neo-nationalsozialistische Bewegung heraus. Als Reaktion auf das Scheitern der NPD im Bundestagswahlkampf 1969 reagierten die enttäuschten Teile des rechten Lagers mit dem Aufbau von legal und illegal operierenden Gruppen. Sie bekannten sich erstmals nach 1945 wieder offen zu den Traditionen der NS-Bewegung und forderten die Wiederzulassung der NSDAP in der BRD. Das heutige existierende Netzwerk nationalsozialistischer Bewegungen kann auf die langjährige parlamentari- sche Erfolglosigkeit der NPD zurückgeführt werden (vgl. DUDEL/JASCHKE 1984, S. 29).
In den frühen 80er Jahren erfolgte wieder eine Reihe von Organisationsverboten, was wiederum einen deutlichen Rückgang im politischen Organisationsgrad rechtsextremistischer Gruppierungen zur Folge hatte.
Im Gegensatz zu den Parteiverboten gestalteten sich die Verbote der rechtsextremistischen Organisationen erheblich einfacher und schneller. Die Entscheidungen unterlagen den zuständigen Landesgerichten, die die Verbote auf Grundlage von Verstößen gegen die Tatbestandsmerkmale "... deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen², ²...die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung [richten]" und "[die sich] gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten" aussprachen. (Art.9 Abs. 2 GG 1994, S.15).
Zu Beginn der 80er Jahre begingen militante Neonazis schwere Gewalttaten. Der Bombenanschlag eines Einzelgängers 1980 auf dem Münchener Oktoberfest forderte 12 Todesopfer. Die mit palästinensischen Terrorismuskreisen verstrickte ‘Wehrsportgruppe Hoffmann’ (WSG) übte den bewaffneten Kampf gegen den Staat aus und wurde am 30.01.1980 verboten. Nach Brand- und Sprengstoffanschlägen konnten die ‘Deutschen Aktionsgruppen’ enttarnt werden. Die sogenannte ‘Hepp/Kexel-Gruppe’ war verantwortlich für Banküberfälle und Sprengstoffanschlä- ge. Darauf folgte das Verbot der Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands/Partei der Arbeit VSBD/PdA am 27.01.1982, die von einer der tragenden Figuren der rechtsextremen Szene, Michael Kühnen, gegründet wurde.
Nach Erkenntnissen der Verfassungsschutzbehörden gab es 1997 108 rechtsext- remistische Organisationen und Personenzusammenschlüsse im vereinigten Deutsch- land. Ihnen gehören rund 45.300 Personen an, darunter ca. 6.400 gewaltbereite Rechtsextremisten, insbesondere rechtsextremistische Skinheads, sowie rund 2.700 Neonazis. An Stelle von Organisationen treten jedoch vermehrt lose strukturierte Personenzusammenschlüsse auf . Hierbei geht es um den Aufbau weitgefächerter, lo- cker gruppierter Aktionsbündnisse, Initiativen und Zellen, die unabhängig voneinan- der agieren. Die Nutzung moderner Kommunikationssysteme wie Infotelefone, Inter- netdienste und Mobiltelefone spielen heute in der rechtsextremistischen Szene eine herausragende Rolle und werden gezielt eingesetzt. Zielsetzung dieser informationel- len statt organisatorischen Vernetzung ist es unter anderem, schnell und flexibel Akti- vitäten zu entwickeln und umzusetzen, um sich damit rechtsstaatlichen Maßnahmen zu entziehen.
4.4 Aufstieg der neuen Rechtsparteien
Die Gefahr, die von den zahlenmäßig weitaus bedeutenderen und besser organisier- ten nicht-militanten Rechtsextremisten ausgeht, besteht vor allem in ihrer Agitation und Propaganda. Auch wenn sie selber vor direktem Aufruf zur Gewalt zurückschre- cken und unter der Maske von ‘Biedermännern’ Lippenbekenntnisse zur Verfassung abgeben, so helfen sie doch, den Nährboden für Militanz zu bereiten. Parolen wie „Ausländer raus", die Diskriminierung von Asylsuchenden und Flüchtlingen, kaum verschleierter Antisemitismus und Rassismus, Verharmlosung des Dritten Reichs, Verachtung der Demokratie bis zur Hetze gegen ihre Repräsentanten gehören zum typischen Auftreten dieser Organisationen - auch in öffentlichen Wahlkämpfen.
Zu nennen sind derzeit vor allem die ‘National-Freiheitlichen’ des Herausgebers rechtsextremistischer Publikationen Dr. Frey einschließlich der ‘Deutschen Volksuni- on’ (DVU) und die immer noch bestehende ‘Nationaldemokratische Partei Deutschlands’ (NPD). Für den Verfassungsschutz ergibt sich eindeutig eine gegen die FDGO gerichtete Zielsetzung.
Auch die als CSU-Ableger 1983 gegründete Partei ‘Die Republikaner’ bietet diesbezüglich nach wie vor Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen. Sie bemüht sich aber in letzter Zeit zunehmend um die Vermeidung derartiger An- griffsflächen. Während sich die Verfassungsschutzbehörden über den rechtsextremen Charakter der ‘Republikaner’ nicht einig sind, besteht darüber in der wissenschaftli- chen Literatur weitgehend Einvernehmen (vgl. DUDEK/JASCHKE 1984, S. 29). Durch den Parteivorsitzenden Franz Schönhuber verlagerte sich die vormals rechts- konservative Tendenz der Partei zum rechtsradikalen Lager. Große Aufmerksamkeit erzielte die Partei 1989 mit dem Einzug ins Berliner Abgeordnetenhaus mit 7,8% der gültigen Stimmen. Durch die Turbulenzen nach der Deutschen Wiedervereinigung verschwand das Hauptthema ‘Asylpolitik’ der Republikaner aus den Medien und damit fiel die Partei in ein Stimmungstief.
Die dritte Phase des Rechtextremismus setzte also bereits vor der deutschen Ver- einigung ein. NPD und DVU bzw. ihr zeitweiliges Wahlbündnis ‘DVU-Liste D’ er- zielten zwischen 1987 und 1992 bei einzelnen Landtagswahlen Erfolge und konnten sogar einige Mandate gewinnen. Während die Mitgliederentwicklung der NPD stag- nierte, wuchs die Zahl der DVU-Mitglieder 1989 auf 25.000 an. Zunächst führte der Zulauf aus den neuen Bundesländern zu einem weiteren Anstieg, doch dann mußten die DVU wie auch die NPD sinkende Mitgliederzahlen verzeichnen. 1995 zählten die DVU noch ca. 15.000 und die NPD ca. 4.000 Mitglieder. Letztlich konnten beide rechtsextremistischen Parteien nicht von der Vereinigung profitieren.
5. Schluß
Der unterschiedliche und in beiden Fällen juristisch unklare Verlauf der Verfahren gegen die SRP und die KPD läßt auf innenpolitische Uneinigkeiten schließen, die da- zu beigetragen haben, daß für das Verbot einer Partei das vom Gesetzgeber vorge- gebene juristische Instrumentarium offensichtlich nicht ausreichend war. Nach v. Krockow wäre eine langfristig effizientere Alternative gegen extremistischen Bestre- bungen eine ²durch radikale Offenheit des politischen Prozesses für Meiniungen, Verhaltensweisen und Zukunftsperspektiven² gekennzeichnete präventive Politik. (JASCHKE 1991, S. 27)
Das Verbot extremistischer Parteien hat zur Folge, daß bestimmten, von der poli- tischen Norm abweichenden Einstellungen das Diskussionsforum genommen wird, was weder die grundsätzliche Wirkung von Vorurteilen einschränken, noch die betreffenden Einstellungen ändern kann. Die langfristige Konsequenz daraus ist le- diglich, daß sich die Aktivisten kriminalisierter Parteien und Organisationen aus dem öffentlichen politischen Leben zurückziehen, Nachfolgeorganisationen ins Leben ru- fen, die - wenn auch offiziell in abgeschwächter Form - das gleiche Gedankengut vertreten und somit eine kaum überschaubare und noch weniger kontrollierbare Sub- kultur schaffen, die aus der übertriebenen juristischen Reaktion ihre Vorteile zieht und jenes Gedankengut konserviert.
Die Kommunistenverfolgung nach dem Verbot der KPD 1956, die legislative Absicherung und die Verhängung von Berufsverboten nach dem Beschluß der Ministerpräsidenten 1972 sowie die Terrorismusgesetzgebung vertiefen die verbreitete Einstellung, daß sich die politische Justiz in erster Linie gegen links richtet, wenn auch gegen rechts inzwischen massive rechtliche Schritte möglich sind und auch praktiziert werden. (Vgl. JASCHKE 1991, S. 24)
Jedoch unterscheiden sich die Motivationen politischer Justiz gegen rechts und gegen links maßgeblich: Während die Sanktionen gegen rechtsextremistische Parteien und Gruppierungen eher einen symbolischen Akt deutscher Vergangenheitsbewälti- gung markieren - in der Zeit bis 1966 sind außer aufgelösten Nachfolgeorganisatio- nen der SRP 7 Jugend- und Soldatenverbände und 24 weitere Organisationen rechtskräftig verboten worden - und sich die Debatte vornehmlich auf der politisch- moralischen Ebene abspielt, ist in der Rechtsprechung gegen links die Tendenz zu beobachten, daß sich das Verfassungsverständnis von einem Verhaltensgebot zu ei- nem Gesinnungsgebot verhärtet. Während das Gefährdungsobjekt nach rechts von der Justiz als Gesamtheit des politischen Grundkonsens definiert wird, ist die Bedro- hung von links breit gefächert, auch wenn sich die einzelnen Faktoren in die These der kommunistischen Gefahr einreihen. (Vgl. JASCHKE 1991, S.174)
Abschließend kann man zusammenfassen, daß ein solch radikales Vorgehen gegen extremistische Tendenzen, sei es gegen rechts oder gegen links, bestimmte Meinun- gen kriminalisiert die notwendigen Voraussetzungen für eine breit angelegte Subkultur schafft, die sich der öffentlichen Kontrolle entzieht. Dementsprechend wird nicht nur bestimmten politischen Minderheiten das Forum genommen, ihre Ansichten zu veröf- fentlichen, sondern auch der Gesellschaft, sich aus eigenem Antrieb - und gerade durch die Rezeption solches Gedankengutes - gegen dieses durchzusetzen und es auszugrenzen.
Bibliographie
- Dudek, Peter / Jaschke, Hans-Gerd: Entstehung und Entwicklung des Rechtsex- tremismus in der Bundesrepublik. 2. Bd. Opladen 1984.
- Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Bonn 1994.
- Jaschke, Hans-Gerd: Streitbare Demokratie und innere Sicherheit. Opladen 1991.
- Meier, Horst: Parteiverbote und demokratische Republik. Zur Interpretation und Kritik von Art. 21 Abs. 2 des Grundgesetzes. Baden Baden 1993.
- Citation du texte
- Johannes Mory (Auteur), 2000, Rechtsextremismus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95070
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