DIE STEDINGER
Dirk Schumacher
Die Stedinger siedelten im 12. und 13.Jahrhundert im Gebiet der westlichen und östlichen Wesermarschen, im Gebiet nördlich von Bremen; ihr Name weist darauf hin, daß sie Bewohner eines Gebietes an den Uferzonen der Weser sind (Gestade = Ufer). Ihr genaues Siedlungsgebiet erstreckte sich nördlich und südlich des Unter- laufes der Hunte: im Norden siedelten sie von der Weser bis an das Moor, im Süden beiderseits der Ollen bis zur Ochtum; auf der Ostseite der Weser erstreckte sich das Gebiet Osterstade.
Von den Stedingern ist im Zusammenhang mit der Schlacht von Altenesch im Jahre 1234, als zum Kreuzzug gegen diese aufgerufen wurde, die Rede: mit Hilfe dieses Kreuzzuges gegen die Stedinger wurde die Territorialherrschaft der Fürsten der Umgebung der Stedinger ähnlich weit ausgebaut wie in anderen Gebieten dieser Zeit.
Die Stedinger waren die Nachkommen von Siedlern, die im 12.Jahrhundert in dem für die landwirtschaftliche Nutzung weitgehend ertraglosen Marsch- und Bruchland mit dem Ziel angesiedelt wurden, um Deiche zu bauen und das feuchte Bruchland zu entwässern. Um Siedler anzulocken, wurden ihnen vertraglich besonders günsti- ge Besitzrechte zugesprochen, die besondere Privilegien und Freiheiten für die neuen Bauern beinhalteten, und sie im Vergleich mit den anderen Bauern dieser Zeit in einem von den Feudalherren relativ unabhängigen Status wirtschaften ließ.
Sie mußten zum Beispiel nur wenige vertraglich festgelegte jährliche Abgaben geleistet werden, die auch bei steigendem Wohlstand nicht verändert wurden. Die ersten Siedler, die nach diesem Recht angesiedelt wurden, waren Holländer, die dieses Recht erhielten; weitere Siedler erhielten ähnliche Verträge, auch sie wurden nach dem ,,ius hollandicum" behandelt.
Die ersten Kolonisationsurkunden stammten aus den Jahren 1106 bzw. 1142 und 1149; die meisten Siedler sind vermutlich um die Mitte des 12. Jahrhunderts aus Holland nach Stedingen gekommen. Diese Holländer hatten bereits in ihrem eigenen Land Erfahrungen mit der Trockenlegung von Land gemacht, so daß sich in der Ansiedlung von Holländern in Verbindung mit einem privilegierten Status dem Erzbischof eine günstige Möglichkeit zur Kultivierung des Landes bot.
Ab dem Beginn des 13. Jahrhunderts wurde die Kolonisation nach dem Hollerrecht beendet. Für die Kolonisation und Kultivierung des Landes hatte sich das Holler- recht bewährt: es bot eine günstige Gelegenheit zur Vergrößerung des eigenen Lan- des; da das nun vollendet war, versuchten die Erzbischöfe von Bremen und die Grafen von Oldenburg nun die Kontrolle über die Gebiete der Siedler vergrößern, zumal sie registrieren mußten, daß sich der Wohlstand in diesem Gebiet ver- größerte, woran sie partizipieren wollten. Dazu kam, daß die Bremer Erzbischöfe im 13. Jahrhundert in die Reichspolitik, in der Auseinandersetzung zwischen Staufern und Welfen so stark verwickelt waren, daß sie teilweise ihre eigene, unmittelbare Umgebung nicht so stark unter Kontrolle haben konnten, wie es für ein Halten ihrer Position, geschweige denn für einen Ausbau ihrer Machtposition in Stedingen erforderlich gewesen wäre. Die Erz- bischöfe waren zum einen stark mit Außenpolitik beschäftigt, zum anderen waren sie dadurch häufig in finanziell schwierigen Situationen. Auch innerhalb des Erzbis- tums Bremen kam es zu einer innenpolitisch verworrenen Situation, die die Position der Stedinger stärkte. In dieser Zeit der ,,Waldemarschen Wirren" gab es ein Schisma in der Bremer Kirche, die nach einem Anwärter auf das Amt des Bremer Erzbischofs benannt ist. In dieser Zeit versuchten die Stedinger ihre Position zu stärken, indem sie die Seite je nach Interessenlage wechselten. Die Stedinger wiederum waren durch die gemeinsam erbrachte Leistung der Kulti- vierung des Landes durch Deichbau, Entwässerung und Rodung so stark miteinan- der verbunden, daß sie ein so starkes Selbstbewußtsein und gewisse politische Strukturen entwickelt hatten, was sie in der Auseinandersetzung mit den Erz- bischöfen und den Grafen stärkte und gemeinsame Aktionen erst ermöglichte. Die Bildung politischer Strukturen rührte teilweise daher, daß sie, um ihre Arbeit im Deichbau und der Entwässerung bewältigen zu können, sich in genossenschaftsähn- lichen Strukturen zusammengefunden hatten. In den Gebieten, die nördlich an Stedingen angrenzten, lebten die Friesen, die von der Feudalherrschaft noch viel weitgehender unabhängig waren: diese Tatsache hat wohl zusätzlich einigen Einfluß auf das Verhalten der Stedinger ausgeübt.
Die Ursachen für diese Konflikte lagen darin begründet, daß in Stedingen die Herr- schaftsverhältnisse nicht einheitlich waren: die Oldenburger Grafen und andere Grundherren hatten im Stedinger Gebiet Vogteirechte inne, die vor allem die Ol-denburger mit Hilfe von Burgenbau sichern und auszubauen suchte, was die Sted- inger, die persönlich frei waren, zum Teil durch Übergriffe der Burgeninsassen, provozierte. Die Stedinger betrachteten die Leute, die in den Burgen saßen, als Dienstleute des Erzbischofs, und als Folge von Übergriffen, also Rechtsbrüchen, betrachteten sie sich als nicht mehr den Verträgen verpflichtet.
Begonnen hat der Aufstand im Jahr 1204 in Stedingen nördlich der Hunte durch Angriffe auf solche Burgen und setzte sich im Süden fort und griff dann 1212 auch auf Osterstade über. Den Anlaß bildeten 1204 einige Übergriffe von Seiten der Burgbesatzungen gegen Frauen und Mädchen der Stedinger, was diese als Rechtsbruch auffaßten, den sie sich in ihrer starken Position nicht gefallen ließen. Als Folge davon wurden die Burgen Linen und Lechtenberg von den Stedingern angegriffen und zerstört. Die Burgen, die zur Wahrnehmung der Vogteirechte der Bremer Erzbischöfe durch die Oldenburger Grafen oder durch Bremer Ministeriale errichtet waren,hatten dadurch verursacht,daß die Stedinger aufgrund des Vertrags- bruches nun die Zahlung der vertraglichen Leistungen an den Erzbischof verwei- gerten. Diese Übergiffe der Stedinger gegen die Burgen sind vermutlich deshalb so erfolgreich, weil sie bei ihrer Arbeit daran gewöhnt waren, z.B. bei einer Sturmflut zusammenzuarbeiten.
Im Jahr 1207 führte Bischof Hartwig einen Heereszug nach Stedingen durch, um die ausstehenden Zahlungen notfalls mit Gewalt zu erhalten: hier gaben die Stedinger sich einsichtig und zahlten ohne Widerstand die Beträge an den Erzbischof, was von diesem als Anerkennung der bestehenden Herrschaftsverhält- nisse interpretiert werden konnte. In den Jahren 1212-1214 wurden von Stedingern einige Burgen in ihrem Gebiet, sowohl westlich wie auch östlich der Weser, angegriffen und zerstört.
Im Jahr 1216 schlossen Stedinger und der Erzbischof Gerhard I. einen Vertrag Bündnis, in denen ihnen der Status quo zugesichert wurde. Beide Seiten schienen das aber nur zum Zeitgewinn nutzen zu wollen: die Stedinger begannen aber 1219 mit der Absicherung ihres Landes gegen Angriffe von außen: das Stedinger Land lag strategisch günstig, was durch die natürlichen Umstände gegeben war, so daß nur wenig Aufwand für eine gute Verteidigungsanlage notwendig waren, indem einige Schlupflöcher geschlossen und kontrolliert wurden. Der Erzbischof Gerhard II. begann nun damit, zu versuchen seine Rechte wiederherzustellen, zumal die Stedinger sich seit 1220 endgültig jeder Abgabenleistung verweigerten. In diesem Jahr scheiterte ein Angriff auf das Stedinger Land. Das hatte verstärkte Anstreng- ungen des Bremer Erzbischofs zur Folge, so daß ab 1227 die Auseinandersetzung verschärfte Formen annahm: die Stedinger wurden wahrscheinlich in diesem Jahr von Bischof Gerhard II. exkommuniziert, das kann aber auch erst 1228/29 geschehen sein. Darauf sind die Stedinger wohl nicht eingegangen, so daß sie einige Jahre (März 1231 ?) später auch als Ketzer verfolgt wurden. Weihnachten 1229 unterlagen die Bremer den Stedingern im Kampf, als diese mit Waffengewalt zum Gehorsam gezwungen werden sollten: dabei fiel ein Bruder des Erzbischofs.
Um jetzt genügend Unterstützunng für sein Vorhaben zu erhalten, gelang es dem Erzbischof 1232, den Papst zu überzeugen, die Kreuzpredigt gegen die Stedinger auszurufen: damit war nun das äußerste Mittel eingesetzt. Der Erzbischof konnte alle Menschen aufrufen, gegen die ketzerischen Stedinger vorzugehen, wofür es als Lohn die Beute und den Ablaß von allen Sünden gab. Für diesen Vorwurf gab es unter anderem die Begründung, daß das Kloster Hude von den Stedingern angegriffen worden sei; es ist mit einigem Kalkül 1232 in die Nähe des Stedinger Gebietes versetzt worden. Für die Anklage als Ketzer wurden aus wenigen wahren Begebenheiten eine große Anzahl von allen nur möglich erscheinenden Verbrechen angeführt, die das Ketzertum beweisen sollten.Im Juni 1233 kam es zu einem ersten Kreuzzug gegen Oststedingen, der erfolgreich war, im Juli verloren die Kreufahrer gegen die Weststedinger bei Hemmelskamp.Erst nach diesem Sieg der Stedinger wurde allen Kreufahrern der volle Ablaß gewährt.
Ein erneuter Versuch die Stedinger zu besiegen wurde dann, nach Vorbereitungen im Winter 1233/34 im Mai 1234 unternommen, der am 27. Mai in der Schlacht bei Altenesch ein für die Kreufzfahrer erfolgreiches Ende nahm: die Stedinger wurden von dem zahlenmäßig überlegenen Heer besiegt.Die Stedinger, die nicht getötet wurden, füchteten in den Norden zu den Rüstringer Friesen im heutigen Stadland. In Stedingen unterlagen nun alle Bauern der Abgabenpflicht, auch wenn sie bisher durch die Verträge davon befreit waren. Viele Stedinger sind aber doch in ihrem Gebiet geblieben, denn auch in den nachfolgenden Jahren des 13.Jahrhunderts kam es immer wieder zu Aufständen der Stedinger Bauern .
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- Dirk Schumacher (Autor), 1996, Die Geschichte der Stedinger. Gründe für ihre Verfolgung, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95037