Das Ziel der Arbeit ist es, die aktuellen Ansichten von Sportlehrern, aber auch von Schülern hinsichtlich des Lernbereichs „gymnastisch-tänzerische Übungen“ zu untersuchen. Dabei sollen die Interessen und Wünsche der betreffenden Akteure analysiert, in Relation zueinander gesetzt und diskutiert werden. Dazu wird folgende Forschungsfrage gestellt: „Welche Bedeutung hat der Lernbereich gymnastisch-tänzerische Übungen für Lehrer und Schüler?“
Mit dem Ziel der Beantwortung dieser Fragestellung werden qualitative und quantitative Methoden vereint. Während die Lehrerperspektive mit Hilfe von Experteninterviews erfasst wird, ergibt sich die Schülerperspektive aus schriftlichen Befragungen. In diesem Zusammenhang werden folgende Hypothesen im Verlauf der Arbeit geprüft:
I. Der Lernbereich gymnastisch-tänzerische Übungen wird von den Schülern im Vergleich zu anderen Lernbereichen des Sportunterrichts als weniger interessant empfunden.
II. Jungen interessieren sich für den Lernbereich gymnastisch-tänzerische Übungen des Sportunterrichts weniger als Mädchen.
III. Jungen verstehen Tanzen häufiger als "Mädchensache" als Mädchen.
IV. Mädchen wünschen sich im Gegensatz zu Jungen, häufiger im Sportunterricht zu tanzen.
Die Antworten der Befragung zeigen, dass der Lernbereich gymnastisch-tänzerische Übungen für die Schüler von allen Lernbereichen des Faches Sport als am wenigsten interessant empfunden wird.
Inhaltsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Zusammenfassung
1 Einleitung
2 Theoretische Fundierung
2.1 Definition Tanz
2.2 Definition Gymnastik
2.3 Gymnastisch-tänzerische Übungen im Sportunterricht
2.3.1 Verankerung im Sächsischen Lehrplan
2.3.2 Ein didaktischer Abriss
2.3.4 Bedeutung der Geschlechterspezifik
2.4 Aktueller Forschungsstand
3 Forschungsfrage und Hypothesen
4 Forschungsdesign: Kombination von quantitativer und qualitativer Forschung
4.1 Quantitative Forschung
4.2 Qualitative Forschung
4.3 Kombination quantitativer und qualitativer Erhebungsformen
5 Quantitative untersuchung
5.1 Methodisches Vorgehen
5.1.1 Erhebungsinstrument: Der Fragebogen
5.1.2 Stichprobe
5.1.3 Durchführung
5.1.4 Auswertung mit Hilfe von SPSS
5.1.5 Methodenkritik
5.2 Ergebnisdarstellung
6. Qualitative Untersuchung
6.1 Methodisches Vorgehen
6.1.1 Erhebungsinstrument: das Experteninterview
6.1.2 Sample
6.1.3 Durchführung
6.1.4 Auswertung
6.1.4.1 Transkription
6.1.4.2 Die qualitative Inhaltsanalyse und Computerunterstützung durch die Software MAXQDA
6.1.5 Methodenkritik
6.2 Ergebnisdarstellung
7 Diskussion der quantitativen und qualitativen Ergebnisse
8 Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
In dieser Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet. Es wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die ausschließliche Verwendung der männlichen Form geschlechtsunabhängig verstanden werden soll. Weibliche und anderweitige Geschlechteridentitäten werden dabei ausdrücklich mitgemeint, soweit es für die Aussage erforderlich ist.
Zudem wird zugunsten des Ausdruckes und zur Vermeidung sprachlicher Monotonie der durchgängige Verweis auf einen Bezug zum Primarbereich vermieden. Dieser wird durch die Nennung im Titel ausgewiesen, sodass sämtliche Bezeichnungen der Institution Schule den Primarbereich selbstverständlich ebenfalls einschließen.
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Interesse für LB "Gymnastisch-tänzerische Übungen" (Jungen)
Tabelle 2: Interesse für LB "Gymnastisch-tänzerische Übungen" (Mädchen)
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Zusammenfassung
Der aktuellen Forschung der Tanzpädagogik und Sportdidaktik zufolge ist der Lernbereich Gymnastisch-tänzerische Übungen des Faches Sport im Vergleich zu anderen Lernfeldern weniger beliebt und wird verhältnismäßig in geringerem Umfang unterrichtet. (Brettschneider, 2006, S. 123). Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die aktuellen Ansichten von Sportlehrern, aber auch von Schülern hinsichtlich des Lernbereichs zu untersuchen. Dabei sollen die interessen und Wünsche der betreffenden Akteure analysiert, in Relation zueinander gesetzt und diskutiert werden. Dazu wird folgende Forschungsfrage gestellt: „Welche Bedeutung hat der Lernbereich Gymnastisch-tänzerische Übungen für Lehrer und Schüler?" Mit dem Ziel der Beantwortung dieser Fragestellung werden qualitative und quantitative Methoden vereint. Während die Lehrerperspektive mit Hilfe von Experteninterviews erfasst wird, ergibt sich die Schülerperspektive aus schriftlichen Befragungen. In diesem Zusammenhang werden folgende Hypothesen im Verlauf der Arbeit geprüft:
i. Der Lernbereich Gymnastisch-tänzerische Übungen wird von den Schülern im Vergleich zu anderen Lernbereichen des Sportunterrichts als weniger interessant empfunden.
ii. Jungen interessieren sich für den Lernbereich Gymnastisch-tänzerische Übungen des Sportunterrichts weniger als Mädchen.
III. Jungen verstehen Tanzen häufiger als "Mädchensache" als Mädchen.
IV. Mädchen wünschen sich im Gegensatz zu Jungen, häufiger im Sportunterricht zu tanzen.
Die Antworten der Befragung zeigen, dass der Lernbereich Gymnastisch-tänzerische Übungen für die Schüler von allen Lernbereichen des Faches Sport als am wenigsten interessant empfunden wird. Darunter interessieren sich die Mädchen jedoch mehr für den Lernbereich als die Jungen. Aus den Experteninterviews geht hervor, dass sich die männlichen Sportlehrer dem Lernbereich gegenüber aufgrund von Desinteresse und mangelnder Fachkompetenz überwiegend distanziert zeigen während sich ihre weiblichen Kollegen aufgeschlossen und engagiert geben. Das unterrichten des Lernbereichs scheint demnach von dem persönlichen Interesse und der Kompetenz der Lehrkraft abhängig zu sein. Aus diesem Grund sollten auf den Ergebnissen der untersuchung aufbauende Interventionen bei den Sportlehrern ansetzen. Zusätzlich ist es empfehlenswert, den Sportunterricht offener zu gestalten, indem die Schüler hinsichtlich Tanzstil-, Tanzschritt- und Musikauswahl mitbestimmen dürfen. Mit diesen Empfehlungen wird die Absicht verfolgt, den Lernbereich Gymnastisch-tänzerische Übungen wieder attraktiver für Lehrer und Schüler zu gestalten und diese für den Lernbereich neu zu motivieren.
1 Einleitung
„Dance can be many things to many people." (Morris & Stiehl 1985, zitiert nach Vogel, 2004, S.17)
Die Ursprünge des Tanzes liegen über 35.000 Jahre in der Vergangenheit und finden sich im alten Indien, in Ägypten, Afrika und Australien wieder. Im Verlauf der Zeit entwickelte sich der Tanz abhängig von Land, Kultur und Zeitalter von der Steinzeit bis zum heutigen 21. Jahrhundert und wird fortwährend als beliebte Ausdrucksform des menschlichen Körpers praktiziert. Während einige traditionelle Tänze über die Jahre in Vergessenheit gerieten, erlangen andere Tanzstile neuen Aufschwung. Es entwickelte sich zunehmend ein Verständnis für den Tanz, den Tanzsport und dessen Vorzüge, sodass er auch im Lehrplan der Primarstufe in Form des Lernbereichs Gymnastisch-tänzerische Übungen seinen Platz findet.
Der Lernbereich, der mit 10-15 unterrichtsstunden u.a. Rhythmus-, Haltungs- und Wahrnehmungsschulungen umfasst, findet der Literatur zufolge, nur noch wenig Anwendung im Sportunterricht (Brettschneider, 2006/ Hummel, 2006 / Kleindienst-Cachay, Cachay & Kastrup, 2008). Laut sächsischem Lehrplan (Sächsisches Staatsministerium für Kultus, 2004/2009) bildet er eines von sechs obligatorischen Lernfeldern des Sportunterrichts, das unterrichtet werden soll, um den Zielen und Aufgaben des Faches gerecht zu werden und den Kindern vielfältige Einblicke in die verschiedenen Bereiche des Sports zu geben. Die inhalte der Gymnastisch-tänzerischen Übungen werden fachlichen Zielen des Sportunterrichts, wie beispielsweise der Entwicklung sportmotorischer Fertigkeiten, der Schulung motorischer Fähigkeiten und der Entwicklung von Werten gerecht, sodass auch dieser Lernbereich „einen unverzichtbaren Beitrag zur Bewegungs- und Gesundheitserziehung" leistet. (Sächsisches Staatsministerium für Kultus, 2004/2009, S. 2) Die Relevanz dieses Themas lässt sich nicht allein aus fachlicher Sicht, sondern auch aus pädagogischer Perspektive begründen, denn der Tanz ist Teil der Lebenswelt der Schüler und findet sich in ihren Freizeitaktivitäten in Tanzkursen oder -vereinen, Fernsehserien und Kinofilmen, Computerspielen oder Musikvideos ihrer idole wieder.
Die Problematik der vorliegenden Arbeit ergibt sich aus der vielfältigen Bedeutsamkeit des Tanzes für verschiedene Personen wie Morris & Stiehl (1985) dies in ihrem Zitat hervorgeben. Die Literaturrecherche zeigte außerdem, dass die für das Thema relevanten Studien teilweise schon über 7 Jahre zurückliegen. Im Hinblick darauf, dass sich individuelle Ansichten, interessen und Vorgehensweise jedoch stetig ändern können, soll die Problematik in dieser Arbeit von Neuem grundlegend untersucht werden. Die vorliegende wissenschaftliche Analyse verfolgt damit die Absicht mögliche Beweggründe und interessenunterschiede der Lehrer und Schüler hinsichtlich des Lernbereichs aufzuzeigen, sie in Kombination zu betrachten und zu diskutieren. im Rahmen der Staatsexamensarbeit soll damit der Frage „Welche Bedeutung hat der Lernbereich Gymnastisch-tänzerische Übungen für Lehrer und Schüler?" nachgegangen werden. Da es sich als aufschlussreich herausstellen könnte, die Einstellungen und Wünsche der Lehrer und Schüler zu vergleichen, ermöglicht die Fragestellung die untersuchung der Perspektiven beider zentraler Akteure.
Als Grundlage der untersuchung dient der im ersten Kapitel dargestellte theoretische Rahmen. Dieser bezieht sich zunächst auf die Begriffe des Tanzes und der Gymnastik und führt diese dann im nächsten Abschnitt im Sinne des Lernbereichs Gymnastisch-tänzerische Übungen zusammen. Neben didaktischen Überlegungen zum Lernbereich finden sich Erläuterungen zu dessen vielfältigen Reichweiten und Wirkungen. Komplementiert werden diese durch die Darstellung des aktuellen Forschungsstandes und der forschungsleitenden Fragestellung. Daraufhin folgt der methodische Teil der wissenschaftlichen Arbeit. Das im vierten Kapitel vorgestellte Forschungsdesign ergibt sich aus der Kombination von quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden. Unter Betrachtung der Forschungsfrage werden die Sichtweisen der Schüler mit Hilfe einer schriftlichen Befragung erfasst und mittels eines Statistikprogramms ausgewertet. Die Einstellungen der Sportlehrer sollen durch qualitative Experteninterviews erhoben und anschließend mit Hilfe der qualitativen inhaltsanalyse ausgewertet werden. Da beide Forschungsmethoden getrennt von-, jedoch parallel zueinander ablaufen, wird die Arbeit dahingehend strukturiert, dass sich die zur jeweiligen Forschungsmethode zugehörigen Stichproben, Erhebungsinstrumente, Auswertungsverfahren und Ergebnisdarstellungen in zwei separaten Blöcken wiederfinden. Anschließend werden die qualitativen Ergebnisse mit denen der quantitativen Erhebung in der Diskussion zusammengeführt und im Hinblick auf den zuvor dargelegten Forschungsstand erörtert. Abschließend findet sich ein Ausblick, der die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit zusammenfasst und weitere untersuchungsmöglichkeiten aufführt.
2 Theoretische Fundierung
2.1 Definition Tanz
Die Literatur bietet eine breite Palette an Begriffsbestimmungen und Definitionen rund um das Thema Tanz, sodass sich der Tanz selbst einer eindeutigen Erklärung entzieht. Im Folgenden wird nur eine Auswahl von Auffassungen aufgezeigt, um den Tanzbegriff im Rahmen dieser Staatsexamensarbeit einzugrenzen und damit für die folgenden Betrachtungen ausreichend verständlich darzustellen.
Der Tanz ist durch viele Eigenschaften gekennzeichnet und findet sich in den verschiedensten Ausführungen und interpretationen wieder. Seine Entwicklung ist abhängig von kulturellen, sozialen und politischen Gegebenheiten. Dementsprechend tritt er in verschiedenen Ländern zu verschiedenen Zeiten sehr unterschiedlich in Erscheinung. Definitionen des Tanzes, wie u.a. Schneider (1985) sie aufstellt und Tanz als „Formen rhythmischer Körperbewegung, die meist von Gesang oder Musik begleitet sind,“ beschreibt, erfassen heutigen Autoren zufolge nicht die ganze Breite des Tanzbegriffes. (S. 523) Haselbach (1988) versteht unter Tanz mehr als formale Merkmale wie „Rhythmus, Bewegung, Ausdruck und Musik“. (S. 13) Sie begreift das Tanzen als „Ritual, Mittel zur Ekstase, erholsames Vergnügen, gesellschaftliche Konvention, Kinderspiel oder Schauhandlung“. (S. 13) Vent und Drefke (1988) beschreiben den Tanz ebenfalls als Phänomen und betonen dessen Vielschichtigkeit, die auf den kultur- und geistesgeschichtlichen Einfluss der Zeit zurückzuführen ist (S. 50). Den Autoren zufolge kann man den Tanz aus zwei Perspektiven heraus definieren. Zum einen kann er funktional betrachtet werden, sodass der Sinn des Tanzes im Tanz selbst zu finden ist. Hierbei wird der Tanz als reine Kunst betrachtet und ist durch die strenge Reinhaltung der Tanzstile gekennzeichnet. Zum anderen kann der Tanz als Mittel zur Selbstfindung, -verwirklichung und -darstellung verstanden werden. Im Mittelpunkt stehen dabei existenzielle und gesellschaftspolitische Themen und der Kontakt zum Publikum sowie dessen Unterhaltung (Vent & Drefke, 1988, S. 50f.).
Der Tanz dient als Mittel der Geselligkeit und dem Ausdruck religiöser und ethnischer Zugehörigkeit. Darüber hinaus drücken Tänzer durch Bewegungen zur Musik auch Gefühle wie Lebensfreude oder Trauer aus (Seybold, 1990, S. 179). Vogel (2004) teilt diese Ansicht und definiert den Tanz als Darstellungsmittel persönlicher Befindlichkeiten näher, indem sie die Rolle der Musik bei dem Zusammenspiel mit Bewegung genauer betrachtet. Die tanzende Person setzt sich mit der Musik, deren Melodie und Rhythmus auseinander und stimmt ihre Bewegungen darauf ab, sodass Musik und Bewegung als gleichwertige Medien verstanden werden können (S. 14f.). Die Professorin für Elementare Musikpädagogik betont, wie Vent, Drefke (1988) und Haselbach (1988) zuvor, die Vielschichtigkeit des Tanzes und charakterisiert ihn mit Hilfe der Aspekte „[der] innere[n] Beteiligung, des Ausdrucks- und Darstellungsstrebens, der intensive[n] Auseinandersetzung mit der Musik und de[m] Spaß am Tanzen". (S. 15)
Das Interpretieren von Musik, Bildern, Träumen, Ängsten etc. mittels körperlicher Bewegungen gibt dem Tänzer die Möglichkeit sich mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen und verschiedene Eindrücke zu verarbeiten (Fritsch, 1990, S. 104). Das Aufeinanderabstimmen von Bewegungen und Musik sowie das Einbringen eigener ideen und Emotionen spricht alle Wahrnehmungsbereiche des Tänzers an (Vogel, 2004, S. 304). „in diesem Zusammenhang als Verbindung von Wahrnehmung und Reflexion im Kontext einer Sinndeutung verstanden, widerspricht [dieses Verständnis] dem stupiden Einführen von Tanzschritten." (Lange, 2014, S. 196f.)
Neben der gesamten persönlichen Beteiligung dient der Tanz außerdem der Kommunikation. Diese wird durch die Bewegungen und die Musik in Form gebracht und ermöglicht einen auch für andere sichtbaren Körper- und Gefühlsausdruck (Vogel, 2004, S. 307-309).
Die heutige Tanzkultur ist facettenreicher als jemals zuvor. Das Spektrum erstreckt sich weltweit von den ostafrikanischen Massai, die seit über 200 Jahren den traditionellen Stammestanz „Adumu" tanzen über traditionelle Gesellschaftstänze der westlichen Kulturen bis hin zu trendigen Tanzstilen, die auf der Straße und in Musikclubs zu finden sind. In Deutschland wird der Tanz gegenwärtig weniger mit Traditionen oder Religion verknüpft, sondern überwiegend als Freizeitbeschäftigung angesehen. Der Deutsche Tanzsportverband (2019) verzeichnet allein 23 Tanzdisziplinen wie u.a. Standard, Latein, New Vogue, Rock'n'Roll, Garde- und Showtanz, Hip-Hop, Karnevalistische Tänze, Orientalische Tänze, Salsa und Breakdance (Deutscher Tanzsportverband, 2019). Die steigende Präsenz des Tanzes im Bildungsbereich ist auf die zunehmende Digitalisierung zurückzuführen, durch die sich die Musik selbst sowie ihre Darstellung in Video und Film innerhalb kürzester Zeit verbreiten und dauerhaft abrufbar sind. Sie finden sich in Sportstudios, Tanzbars, aber auch auf Schulhöfen und in Videospielen (z.B. Fortnite) wieder. Der Tanz etabliert sich in Kulturpolitik und Sozialarbeit, zeigt sich in Freizeitangeboten und in den Medien, sodass mit den neu gewonnen
Tanzerfahrungen der Kinder deren Bereitschaft, sich für das Tanzen im Sportunterricht zu öffnen, einhergeht (Lange, 2007, S. 300/ Lange, 2014, S. 196f.)
2.2 Definition Gymnastik
Die Gymnastik wird, ähnlich wie der Tanz, sehr unterschiedlich verstanden und definiert. Grundsätzlich umfasst sie die Gesamtheit aller „Bewegungsübungen zu sportlichen Zwecken oder zur Heilung bestimmter Körperschäden". (Dudenredaktion, 2019)
Während Vogel (2004) verschiedene „Erscheinungsformen und Richtungen" (S. 21) unterscheidet, differenzieren Vent und Drefke (1988) ähnliche Kategorien anhand deren Zielsetzungen und Absichten (S. 12). Die funktionelle Gymnastik wird somit durch ihre funktionellen, physiologisch-anatomischen Aspekte bestimmt. Sie zielt auf die Erhaltung, Wiederherstellung oder Steigerung der Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Menschen ab. Während die organgymnastik eine Aktivierung der inneren organe und die Kräftigung des Kreislaufes anstrebt, konzentriert sich die Atemgymnastik auf die Kräftigung der an der Atmung beteiligten Muskulatur. Mit ihr verbunden, strebt die Haltungsgymnastik bzw. - schulung den Haltungsaufbau sowie die Stabilisation des Muskelsystems an. Zu guter Letzt nennen Vent und Drefke (1988) die Konditionsgymnastik, deren Fokus auf der Steigerung konditioneller und koordinativer Grundlagen liegt (S. 12). unabhängig von den zuvor genannten Formen, beschreiben sie außerdem die rhythmische Gymnastik. Ihr Schwerpunkt liegt in der Bewegungsgestaltung. Sie orientiert sich an verschiedenen Bewegungsprinzipien, wie dem Prinzip der Totalität (Ganzkörperbewegung), dem Prinzip der Ökonomie (Balance zwischen Krafteinsatz und Bewegungsausmaß) und dem Prinzip des Rhythmus (Wechsel von Spannung und Entspannung) (S. 12).
Vogel (2004) unterscheidet neben der funktionellen und rhythmischen Gymnastik weiter zwischen Ausdrucksgymnastik und tänzerischer Gymnastik (S. 21), wohingegen Seybold (1990) zusätzlich Wettkampf- und Jazzgymnastik differenziert (S. 16).
Die Menge der verschiedenen Gymnastikformen ungeachtet, dienen die gymnastischen Übungen primär dazu, den Körper beweglicher zu machen und die Muskeln zu stärken. Aus diesem Grund werden hauptsächlich mechanische Übungen genutzt, auf denen weitere Bewegungstechniken aufbauen können (Vogel, 2004, S. 21). Die Vermittlung der Gymnastikschritte erfolgt überwiegend durch analytisch-synthetischen Lehrverfahren, wie 5 das Vorzeigen und Nachmachen vorgegebener Bewegungen. Die Abfolge der Schritte ist dabei meist festgelegt und standardisiert. Anders als beim Tanz dient die Musik bei der Gymnastik nur zur Untermalung oder als Metronom und wird daher nur selten als gleichwertiges Medium in Bezug auf die Bewegungen wahrgenommen. Sie wirkt weder einen Ausdruck provozierend noch unterstützend, sodass auch ihre Form nur wenig Beachtung zu Teil wird. Die Bewegungen dienen nur sekundär der Darstellung oder Kommunikation. Als Folge dessen finden persönliche Befindlichkeiten auch kaum Raum in der Bewegungsgestaltung (Vogel, 2004, S. 21).
2.3 Gymnastisch-tänzerische Übungen im Sportunterricht
Gymnastik und Tanz werden durch einige Gemeinsamkeiten verbunden. Die beiden Bereiche dienen der Entwicklung und optimierung bewegungstechnischer Fähigkeiten, „der Verbesserung von Wahrnehmungs- und Kommunikationsfähigkeit in und durch Bewegung“ sowie der „Erweiterung des Erfahrungshorizonts und des Bewegungsrepertoires“. (Vent & Drefke, 1988, S. 51) Darüber hinaus bauen beide Bereiche „auf den Grundbewegungsarten Gehen, Laufen, Hüpfen, Springen, Federn, Schwingen und Drehen“ (Vogel, 2004, S. 21) auf, vereinen Bewegung und Musik und schulen das Bewegungsgedächtnis (Vent & Drefke, 1988, S. 52f.). Die Gymnastik schafft, ebenso wie der Tanz, Raum für Fantasie und Experimentierfreude und zeigt „unkonventionelle Möglichkeiten der Bewegungsgestaltung“ mit Hilfe verschiedener Materialien, wie beispielsweise Handgeräten oder Alltagsgegenständen, auf. (ebd.)
Betrachtet man die Gymnastik als bewegungstechnische Grundlage für den Tanz, können die beiden Bereiche durchaus verbunden werden. Dabei übernimmt die Gymnastik die Funktion einer Tanztechnik, die „tanzspezifische übungen zur Verbesserung der konditionellen und koordinativen Grundlagen [...] [,] Übungen und Aufgaben zur Verbesserung der Ausführung verschiedener Bewegungsformen [...] [und] vorbereitende [...] Übungen für spezielle Tanzstile“ beinhaltet. (Vent & Drefke, 1988, S. 10)
Folglich bietet es sich an, den Bereich der Gymnastik und den des Tanzes in den Richtlinien für den Schulsport kombiniert zu betrachten.
2.3.1 Verankerung im Sächsischen Lehrplan
Wirft man einen Blick auf die in den deutschen Lehrplänen der Bundesländer verwendeten Bezeichnungen für den zusammengefassten Lernbereich von Tanz und Gymnastik fallen diese recht unterschiedlich aus. „So wird das Lernfeld [u.a.] [...] ,Gymnastik/Tanz', ,Rhythmische Gymnastik/Tanz', ,Sich-rhythmisch-Bewegen und Tanzen', ,Gymnastisch-rhythmische und tänzerische Grunderfahrungen' [und] ,Tanzen und Gestalten'" genannt. (Vogel, 2004, S. 118) im Bundesland Sachsen wird der Lernbereich als Gymnastisch-tänzerische Übungen bezeichnet. Er ist in den Klassenstufen eins bis vier mit jeweils 10 bis 15 unterrichtsstunden vertreten und zeichnet sich durch die vier Themenkomplexe „Wahrnehmungsschulung", „Rhythmusschulung", „Gestalten von Bewegungs- und improvisationsaufgaben" und „Haltungsschulung" aus. (Sächsisches Staatsministerium für Kultus, 2004/2009, S. 5, 19-21) Diese Lerninhalte sind mit aufschlussreichen Bemerkungen, Durchführungsvorschlägen und Empfehlungen zu Lehrmethoden versehen. Aus diesem Grund gilt das sächsische curriculum, Vogel (2004) zufolge, hinsichtlich des Bereiches Tanz als umfangreichstes und differenziertestes Exemplar (S. 128). Die Auswahl an Sozialformen und Lerninhalten bzw. deren umsetzung und Gestaltung schafft einen flexiblen Raum für Differenzierungsmöglichkeiten. Des Weiteren leisten Lerninhalte, wie die der Rhythmus- und der Wahrnehmungsschulung, einen wichtigen Beitrag zur ästhetischen Erziehung, indem sie den Schülern die Möglichkeit geben, ihre Sinneswahrnehmung zu verbessern und das motorische Wiedergeben von Musikrhythmen zu üben. im Zentrum des Lernbereiches Gymnastisch-tänzerische Übungen steht neben dem Erkunden, Spielen und üben auch das Miteinander. Mit Hilfe des gemeinsamen Tanzens und Gestaltens sammeln die Lernenden soziale Erfahrungen, lernen Verantwortung zu übernehmen und können ihre Kreativität einbringen (Sächsisches Staatsministerium für Kultus, 2004/2009, S. 19).
2.3.2 Ein didaktischer Abriss
Der Lernbereich Gymnastisch-tänzerische Übungen gibt den Schülern einen umfangreichen Einblick in die vielfältigen Bewegungsfelder des Tanzes und der Gymnastik. Aufgrund der Berücksichtigung der „Bewegungsbedürfnisse, [der] Lern- und Leistungsfreude [. ] [der Kinder] und [der] Pädagogik, die [.] [den] Wert der Lebensdienlichkeit" hinterfragen muss, ist eine vertiefende Auseinandersetzung mit den inhalten dieser Bereiche nur begrenzt möglich. (Seybold, 1990, S. 16) Dementsprechend wird für den Sportunterricht ein Lernbereich 7 benötigt, der Gymnastik und Tanz verbindet, „das kindliche Bedürfnis nach Erfinden, Verändern und Formen elementarer Bewegungen erfüllt, [...] [der] ein Feld kreativen Lernens bietet und die Bewegungsphantasie anregt". (ebd.) Dies impliziert wiederum einen möglichst frei und offen gestalteten Unterricht im Lernbereich Gymnastisch-tänzerische Übungen, der den Schülern Raum für unbeobachtetes Üben gibt. (Sächsisches Staatsministerium für Kultus, 2004/2009 S. 5) Die Unterrichtspraxis innerhalb des Lernfeldes zeichnet sich dementsprechend durch Prozessorientierung aus, d.h. der Fokus liegt auf Improvisation und Exploration (Neuber, 2000, S. 133-135). Die Lernenden werden dazu angeregt, sich auszuprobieren, Neues zu entdecken und Bewegungs-, Spiel- und Ausdruckmöglichkeiten zu entwickeln (Laging, 2007, S. 312). Die Prozessorientierung wird durch Produktorientierung, zum Beispiel durch eine vorgegebene choreografie, ergänzt, um Bewegungsfolgen festzuhalten und als Gestaltungsergebnisse reproduzierbar zu machen (Neuber, 2000, S. 133135).
Mit dem Ziel den Sportunterricht im Rahmen der Gymnastisch-tänzerischen Übungen sowohl prozess- als auch produktorientiert zu realisieren, sollte zwischen offenen, teiloffenen und geschlossenen Aufgabenstellungen so gewählt werden, dass eine Kombination aus „Vorgeben, Aufgeben und Anregen" entsteht. (Behrens, 2012, S. 195) Diese drei Prinzipien verweisen auf die von Laging (2007) ausführlich beschriebenen tanzpädagogischen Vermittlungsmethoden „Bewegungen zum Nachahmen vorgeben, Anweisungen für choreographische Abläufe und Handlungen geben", „Aufgaben zum Ausprobieren und Erfinden eigener Bewegungs- und Spielmöglichkeiten stellen" und „Anregungen für eigenständige Bewegungsentwicklungen und choreographische Arbeiten geben". (S. 311) Einzelne Tanz- bzw. Gymnastikschritte oder -choreografien werden systematisch und unter Berücksichtigung der technischen Merkmale, des Erfahrungsbereiches, des Anforderungsniveaus und des Trainingseffekts vermittelt (Laging, 2007, S. 308). Darüber hinaus betont Behrens (2012) die Bedeutung der Wahl einer geeigneten Sozialform. Das Üben und Agieren in Partner- oder Gruppenarbeit kann den Schülern die Angst vor kränkenden Blicken, unfreundlichen Kommentaren und Kritiken ihrer Mitschüler nehmen. Dementsprechend positiv wirkt sich die Zusammenarbeit mit vertrauten Personen auf improvisations-, Kompositions- und Präsentationssituationen aus. in diesem Kontext ist die „Stimmigkeit und identifikation mit den Bewegungen der Gruppe" besonders relevant für die Schüler, sodass sich die Lehrperson an den subjektiven Zielen der Lernenden und weniger an von außen herangetragenen Zielen orientieren sollte. Dabei bietet es sich an, die Bewertungskriterien für die Kinder von Beginn der Übungszeit transparent zu halten (S. 196197).
2.3.3 Potenziale des Lernbereichs
Bedeutung für Persönlichkeitsentwicklung
Der Lernbereich Gymnastisch-tänzerische Übungen hält viele Möglichkeiten bereit, die die Schüler nutzen können, um sich zur Musik zu bewegen, sich auszuprobieren, Neues zu entdecken, eigene Gestaltungsideen einzubringen und ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Aufgrund dessen, dass die körperliche Bewegung das erste und intensivste Ausdrucksmittel eines Kindes ist, wird diese Ausdrucksform als natürlichste und ursprünglichste Art der Mitteilung betrachtet. Die Schüler können sich ihren Gefühlen spontan hingeben und diese ausdrücken, Frust abbauen, Ängste oder Freude verarbeiten. Der Tanz ermöglicht es ihnen sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und ein Gefühl für ihren Körper und ihren Geist zu bekommen (Vogel, 2004, S. 307f.). Durch die Kombination von Bewegung und Gefühl wird die gesamte Persönlichkeit der Kinder angesprochen und weiterentwickelt. Für eine gelingende Persönlichkeitsentwicklung eines Lernenden bedarf es Sicherheit und Strukturen. Diese Strukturen finden sich in Gymnastisch-tänzerischen Übungen im Metrum, im Rhythmus, in der Musik, aber auch in vorgegeben Schrittfolgen wieder und ermöglichen dem Schüler sich zu orientieren (Vogel, 2004, S. 305). Vorausgesetzt dieses Potenzial des Lernbereiches wird angenommen und die Kinder setzen sich mit Hilfe von Musik und Bewegungen mit der Wirklichkeit auseinander, werden sie schon im jungen Alter ihrer Emotionen bewusst und lernen sie auszudrücken. Vogel (2004) betont im Verlauf ihrer Darlegung einen weiteren Vorzug des Tanzens im Kindesalter. Sie beschreibt, dass die Bewegung zur Musik eine Verlagerung der Konzentration der Lernenden zur Folge hat. Genauer betrachtet, verschiebt sich deren Aufmerksamkeit von der körperlichen Belastung hin zu emotionalen und musikalischen Aspekten (S. 307). „Das Bewusstsein ist somit nicht mehr nur auf den Körper gerichtet, sondern auf das Bewegungsgefühl und auf die Musik“. (Vogel, 2004, S. 307) Die Bewegung wird automatisch weniger als Anstrengung wahrgenommen. Die Kommunikation unter den Mitschülern profitiert ebenfalls von den Vorzügen des Tanzens. Da die Tanzformen gemeinsam mit der Musik, Art und Dauer der Bewegungen vorgeben und infolgedessen Strukturen und Sicherheit geschaffen werden, fühlen sich unsichere bzw. gehemmte Kinder in ihrer Kommunikation bestärkt. Mit Hilfe des Tanzens können die Lernenden sich unverfänglich ausdrücken, sodass das gemeinsame Agieren der Klassenmitglieder untereinander erleichtert wird. oftmals können ausländische Schüler aufgrund der nonverbalen Kommunikation leichter integriert werden, indem sie beispielweise traditionelle Tänze ihres Heimatlandes in den Unterricht einbringen (Vogel, 2004, S. 307).
Bedeutung für Sprach- und Kognitionsentwicklung
Der Tanz beeinflusst, neben der Persönlichkeitsentwicklung, auch den Aufbau von Denk- und Vorstellungsstrukturen auf verschiedene Weise. Das Fundament für den Erwerb der Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen bilden eine gut ausgebildete Motorik gekoppelt mit einer differenzierten auditiven, taktilen und visuellen Wahrnehmung (Vogel, 2004, S. 310). Demnach unterstützt der Lernbereich Gymnastisch-tänzerische Übungen mit seinen, zuvor beschriebenen, vier Themenkomplexen „Wahrnehmungsschulung", „Rhythmusschulung", „Gestalten von Bewegungs- und Improvisationsaufgaben" und „Haltungsschulung" das Erlernen dieser grundlegenden Fähigkeiten. (Sächsisches Staatsministerium für Kultus, 2004/2009, S. 19-21)
Vogel (2004) zufolge geht die sensomotorische Entwicklung der sprachlichen Entwicklung voraus, sodass die Bewegung als Grundlage für den Spracherwerb zu betrachten ist. Erst wenn die Stufe der sensomotorischen Intelligenz erreicht ist, kann die Sprachentwicklung daran anknüpfen (S. 311).
Für die Sprachentwicklung ist die Beherrschung motorischer Reaktionen zur Begriffsentwicklung und -differenzierung von ebenso ausschlaggebender Bedeutung wie ein gut ausgeprägtes auditives Gedächtnis, welches aus den einzelnen gehörten Silben Wörter und aus den Wörtern zusammenhängende Sätze bildet, deren Sinn verstanden werden kann. (Vogel, 2004, S. 311)
Ebenso wie für den Spracherwerb, müssen auch für den Schriftspracherwerb eine Reihe psychomotorischer Bedingungen erfüllt sein. Dazu gehören das „aufrechte[] Sitzen, eine korrekte Handführung, die Auge-Hand-Koordination, die Figur-Grund-Wahrnehmung (visuell und auditiv), die feinmotorische Koordination, Konzentration, Ausdauer, Symbolverständnis, [...] und Raumorientierung". (Vogel, 2004, S. 311)
Das Tanzen hilft Kindern sich in Raum und Zeit zu orientieren. Sie üben durch das Beschreiben und Nachgehen von Raumwegen oder Tanzaufstellungen räumlich zu denken. Eggert und Bertrand (2002) plädieren, ebenso wie Vogel (2004), für die Bedeutung des Raum-ZeitVerständnisses für den Schriftspracherwerb. Sie begründen diese Wichtigkeit anhand der graphomotorischen Bewegungsplanung für das Schreiben eines Wortes, dem Einhalten der Schreibrichtung und u. a. mit Hilfe der Koordination im Raum beim Lesen und Schreiben (oben, unten, rechts, links) (S. 159f.). Tatsächlich kann Schriftspracherwerbsschwächen bei Schülern, beispielsweise bei den Buchstaben b, p, q, d, die sich nur durch ihre räumliche Lage unterscheiden, durch ein verbessertes Verständnis für Buchstaben im Raum entgegengewirkt werden (ebd.). Nach Eggert und Bertrand (2002) beeinflusst die Förderung der Hörfähigkeit, der Klangdifferenzierung und Rhythmisierung unter Zuhilfenahme von Liedern und rhythmischen Übungen, die akustische Wahrnehmung und die Strukturierungsfähigkeit der Kinder positiv. Diese wirken wiederum förderlich für den Prozess des Schriftspracherwerbs, helfen den Schülern Sprachrhythmen zu erkennen und Satzstrukturen nachzuvollziehen (S. 159f.).
Nicht zuletzt spielt die durch die Gymnastisch-tänzerischen Übungen geschulte orientierung in Raum und Zeit eine große Rolle bei der Ausbildung der mathematischen Zählkompetenz. Die im unterricht vermittelten Zählzeiten, Takte, sowie die Länge eines Liedes schulen das Zeitverständnis der Kinder. Gemeinsam mit der räumlichen orientierung wird es am häufigsten bei den Inhalten des Sachrechnens, wie beispielsweise beim Erfassen von Längen, Rauminhalten, Größen und Zeitspannen, aber auch in der Entwicklung eines Zahlbegriffs und in der Bildung von Zahlenreihen benötigt (Vogel, 2004, S. 313). Das Potenzial des Lernbereichs Gymnastisch-tänzerische Übungen steckt in seinem Facettenreichtum, das zur Förderung motorischer, persönlicher und kognitiver Fähig- und Fertigkeiten beiträgt.
2.3.4 Bedeutung der Geschlechterspezifik
Im Zuge der Bildungsreform der 1960er Jahre wurde die Koedukation, das gemeinsame unterrichten beider Geschlechter, in nahezu allen deutschen Schulen eingeführt. Infolgedessen sollten Jungen und Mädchen gleiche Bildungschancen ermöglicht werden und die Benachteiligung der Mädchen im deutschen Bildungssystem ein Ende nehmen. Die Koedukation wurde mit der Absicht, „unterschiede ohne alle Gleichmacherei dort zu beheben, wo sie den jungen Menschen zum Nachteil geraten, die Defizite der jeweiligen Geschlechtsrollenkultur auszugleichen und Verständnis zu schaffen für das andere Geschlecht" als bedeutender Schritt in Richtung Gleichberechtigung der Geschlechter verstanden. (Kugelmann, 2007, S. 85)
Nichtsdestotrotz wird sich noch heute im Kontext Schule oftmals auf das Geschlecht berufen und danach unterschieden. Bräu und Schlickum (2015) verweisen in diesem Zusammenhang auf die „Erwartungen im Hinblick auf Fachinteressen“, die dazu führen, dass beispielsweise Jungen bei technischen Problemen bevorzugt um Hilfe gebeten werden als Mädchen. (S. 25) „Fragt man Lehrkräfte nach ihren Erfahrungen, dann werden in der Regel ebenfalls klare Unterschiede im Verhalten beschrieben. Dabei werden Jungen im Unterricht meist als schwierig erlebt - und eher verhaltensauffällig wahrgenommen.“ (Bräu & Schlickum, 2015, S. 153) Kugelmann (2007) begründet diesen Fortgang wie folgt:
In einer Zeit, in der die gesellschaftliche Entwicklung und die Veränderung von Normen derart schnell fortschreitet wie in der unsrigen, wo nichts mehr so sicher ist, wie es früher schien - Familie, Kirche, Arbeitsplatz, soziale Rollen, entstehen zwar Freiheiten, Offenheit und neue Chancen. [...] Gleichzeitig aber erwächst aus dem schnellen Wandel auch Unsicherheit [...]. Die Suche nach Halt in einer Situation, in der alles wegzurutschen droht, führt zwangsläufig zu tradierten Werten und Verhaltensweisen. Darum spiegelt die klare Einteilung der Welt in „männlich“ und „weiblich“, als bewährte Geschlechterordnung, Verlässlichkeit vor. Es wird verständlich, dass für junge Menschen der Aufbau einer eindeutigen Geschlechtsidentität eine zentrale Aufgabe der Persönlichkeitsentwicklung darstellt. (S. 81)
Diese findet sich in der Entwicklung des eigenen Charakters, der Sprache und der Bewegungen, in persönlichen interessen und Hobbys, aber auch in der Entwicklung eines eigenen Kleidungsstils wieder und wird von Mitmenschen eingeordnet und bewertet (Bräu & Schlickum, 2015, S. 24f.). Mit diesen selbstgewählten Eigenschaften signalisiert ein Großteil der Personen ihre Zugehörigkeit zum männlichen oder weiblichen Geschlecht. Dabei orientieren sie sich an gesellschaftlichen Erwartungen, die sie anderen Menschen ebenfalls entgegenbringen. Die Fähigkeit, „sich gemäß der [geschlechtlichen] Zuordnung zu verhalten und sie damit in interaktionen jeweils wieder zu produzieren“, wird Doing Gender genannt. (Bräu & Schlickum, 2015, S. 154) Gemäß Bräu & Schlickum (2015) wurde der Begriff im Rahmen der amerikanischen Frauenbewegung und -forschung in den 1970er Jahren geprägt (S. 154). Mögliche unstimmigkeiten zwischen den Geschlechtern im Sportunterricht können somit als Folge bzw. als Teil persönlicher Entwicklungsprozesse verstanden werden. (Kugelmann, 2007, S. 81) Während die Schüler auf der Suche nach sich selbst und ihrem Platz in der Welt sind, werden sie von Kugelmann (2007) „nicht nur als Objekt, sondern auch [als] Subjekt ihrer Sozialisation“ beschrieben. (S. 82) Mädchen tanzen gern, probieren neue Frisuren aus und fühlen sich oft von Schönheitsidealen wie langen Haaren, lackierten Nägeln, toller Kleidung und funkelndem Schmuck angezogen, sodass sie als „aktive Mitgestalterinnen ihrer Sozialisation“ verstanden werden. (ebd.) Im Gegensatz zum weiblichen Geschlecht sind Jungen stark, sportlich und abenteuerlustig. Sie spielen gern Fußball, Handball oder Basketball und sind dem Tanz sichtlich abgeneigt. Diese Eigenschaften halten zumindest die Rollenklischees für die Charakterisierung von Mädchen und Jungen bereit. Es kann also auch die Entscheidung für oder gegen einen Sport im Sinne der Rollenzuweisung verstanden werden. In dieser Verbindung wird „Fußball und Konkurrenzorientierung als ,männlich' [und] Gymnastik und Tanz [sowie] das Miteinander dagegen als ,weiblich'" begriffen. (Bräu & Schlickum, 2015, S. 182)
Tatsächlich gibt es genauso Mädchen, die gern Fußball spielen und Rap-Musik hören, wie Jungen, die sensibler und musisch oder tänzerisch talentiert sind, sodass Letztere die „harte[] Konfrontation im Sportunterricht" teilweise zu umgehen versuchen. (Kugelmann, 2007, S. 83) In ihren Ausführungen hebt Kugelmann (2007) die besonders starke Bedeutung der Männlichkeitsbilder im Kindes- und Jugendalter der Jungen hervor. Unabhängig davon, ob sie sich auf dem Pausenhof oder im Klassenzimmer duellieren, die Jungen wollen sich stets behaupten und ihre Stärke und überlegenheit demonstrieren (S. 83).
Geschlechterstereotype sind im Schulalltag präsent und führen zu einem Ungleichgewicht zwischen Mädchen und Jungen. Dieses ist besonders im Sportunterricht, speziell im Lernbereich Gymnastisch-tänzerische Übungen zu vernehmen, da das Geschlecht, Bräu & Schlickum (2015) zufolge, in diesem Lernumfeld „'dramatisiert', d.h. als soziale Kategorie in den Vordergrund gestellt" wird. (S. 182)
Im Übrigen plädiert auch Schönert (1984) für die Koedukation ab der ersten Klasse. Die Autorin sieht darin die Chance, Gymnastik und Tanz für beide Geschlechter ansprechender werden zu lassen. Gymnastisch-tänzerische Übungen sollten nicht länger nur vom weiblichen Geschlecht betrieben werden. Schönert (1984) führt weiter aus, dass der ordnungsgemäß, also von Beginn der Schulzeit an, durchgeführte koedukative unterricht „Rollendenken, Hemmungen, Vorurteilen [. ] und [der] damit verbundene[n] fehlende[n] Bewegungserfahrung und große[n] unlust" auf Seiten der Schüler vorbeugt. (S. 79) Jedoch merkt die Schriftstellerin kritisch an, dass Schwierigkeiten im koedukativen unterricht nicht zuletzt auch von den Sportlehrkräften evoziert werden, indem sie eigene geschlechtsspezifische Einstellungen gegenüber den Schülern äußern und damit das Rollendenken der Kinder verstärken (Schönert, 1984, S. 107)
Ebenfalls kritisch äußert Kugelmann (2007) ihre Bedenken mit Hilfe einer Metapher: „Im Sportunterricht fällt jedoch auf: Die Schülerinnen und Schüler geraten aufgrund ihrer Geschlechterzugehörigkeit oft aneinander während die Lehrkraft Regie führt,". (S. 81) Der Umstand, dass die Schüler mit dem Aufbrechen der Geschlechterrollen im Sportunterricht überfordert sind, kommt somit wenig überraschend.
In dieser Situation benötigen sie die Hilfe ihres Lehrers, der als Vorbild fungieren und die Lernenden unterstützen soll. Zu seinen Aufgaben gehört darüber hinaus, eigene Vorurteile bzw. das eigene Klischeedenken in seiner Geschlechterrolle zu erkennen, zu reflektieren und zu überwinden (Kugelmann, 2007, S. 90).
Bräu und Schlickum (2015) greifen in diesem Rahmen den Begriff des Undoing Gender auf und plädieren für eine bewusste Wahrnehmung dessen, wie Geschlechterstereotype im koedukativen Sportunterricht aktiv aufgebaut werden (S. 181). Der Begriff Undoing Gender wurde von Hirschauer (2001) geprägt. Obwohl der Autor die Elemente des Doing Gender nach Fenstermaker, West und Zimmerman (1991) prinzipiell als richtig erachtet, kritisiert er den Punkt der Annahme, die eigene durch Handlungen erzeugte Geschlechterrolle wäre nicht abzulegen. Hirschauer (2001) ist der Annahme, dass das Geschlecht durch eigene Handlungen neutralisiert, anschließend wieder vergessen wird und nicht mehr als unterscheidungsmerkmal oder ordnungskategorie in der Gesellschaft genutzt werden kann (S. 215). Formen des Undoing Gender sind laut Bräu und Schlickum (2015) die „konkrete unterstützung gegen Diskriminierung, [die] explizite Thematisierung von ungleichheiten und Genderseparierung, Monoedukation [bzw. der nach Geschlechtern getrennte Unterricht,]" sowie die Veränderung der Maßstäbe, „die mit der Geschlechtsadäquatheit verbunden sind". (S. 163)
Neben dem Konzept des Undoing Gender verweist Laging (2007) im Zusammenhang mit dem Lernbereich Gymnastisch-tänzerische Übungen auf das Habituskonzept des französischen Soziologen Pierre Bourdieu. Dieses besagt, dass auch der tatsächliche Wille „den Zugang zu Aufgaben und Bewegungen in einem ungewohnten Bereich nicht sicherstellen kann". (S. 304) Mit anderen Worten: körperliche Grundlagenerfahrungen können bei beispielsweise ungewohnten Bewegungen zu einem Gefühl der Fremdheit führen und als unangenehm oder peinlich empfunden werden. Einige Bewegungen werden als „natürlich", „weiblich" oder „männlich", als „lustig" oder weniger „cool" angesehen, ohne dass die jeweiligen Ansichten dazu als „Produkt gespeicherter körperlicher Erfahrungen" bewusst wären. (ebd.) Folglich könnten Auffassungen wie „Tanzen ist Mädchensache" oder „Tanzen ist weiblich" „weniger über Kognition als vielmehr in Praxen verändert werden, in denen von bisherigen Erfahrungen abweichende, neue gemacht werden,". (Laging, 2007, S. 304)
Fasst man beide Konzepte zusammen, bedeutet das für den Sportlehrer, dass er als „zentrale Bezugsgröße für die Prozesse der Rollenübernahme und Rollenerweiterung“ sowie für das Ablegen des Rollendenkens und für das Erlernen von Toleranz zuständig ist. (Petersen, 1985, S. 273) Des Weiteren sollte er sich mit dem gegebenenfalls auftretenden Fremdheitsgefühl ebenso auseinandersetzen, wie es seine Schüler während ihrer ersten gymnastischtänzerischen Aktivitäten versuchen.
Die praktische Umsetzung von geschlechtersensiblem Sportunterricht und emanzipatorischer Mädchenarbeit erstreckt sich von Selbstwertgefühl stärkenden übungen bis hin zum Wahrnehmen und gemeinsamen Diskutieren geschlechtsbezogener Zuschreibungen. in diesem Kontext stellt zum Beispiel das Cheerleading eine geeignete praktische Umsetzungsform im Lernbereich Gymnastisch-tänzerische Übungen dar, da es ursprünglich ein nur von Jungen, heute aber von beiden Geschlechtern gemeinsam ausgeübter Sport ist, der Akrobatik und Tanz vereint (Frohn & Sübenbach, 2012, S. 2-8).
2.4 Aktueller Forschungsstand
In diesem Teil der Arbeit werden empirische Studien zu Lehrer- und Schülerperspektiven im Sportunterricht, vorrangig zum Lernbereich Gymnastisch-tänzerische Übungen, vorgestellt. Im Rahmen der Literaturrecherche zeigten sich einige Studien, die die Interessen der Schüler und die angebotenen Sportarten im Sportunterricht in größerem Umfang analysieren. Darunter zählt die DSB Sprint Studie (Brettschneider, 2006), deren Stichprobe aus 219 Schulen der Primarstufe sowie der Sekundarstufen I und II besteht. Dieser Untersuchung zufolge, werden Kleine Spiele (69%) am häufigsten im Fach Sport unterrichtet. Darauf folgen Basketball und Volleyball. Gymnastik, Fitness und Tanz bilden die Schlusslichter (Brettschneider, 2006, S. 123). Auf die Frage, welchen Sport die Schüler gern häufiger im Unterricht nachgehen würden, haben 39,8 Prozent der Mädchen Tanzen und 42,5 Prozent der Jungen Fußball an (Brettschneider, 2006, S. 124).
Hummel (2006) veröffentlichte im selben Jahr ebenfalls eine Studie zur Schulsportentwicklung, die ähnliche Resultate hervorbrachte. Die Befragung der Schüler ergab, dass Jungen Vereinssportarten wie Fußball bevorzugen, während sich das Interesse der Mädchen auf Tanzen, Reiten und Volleyball spielen konzentriert (S. 147). Analog zur DSB Sprint Studie nach Brettschneider (2006) zeigt auch Hummels (2006) Untersuchung den Kontrast der Interessen der beiden Geschlechter auf:
Hinsichtlich der Geschlechter finden sich [. ] für die Sportarten Fußball [. ] und Gymnastik/ Tanz [...] Differenzen [...]. Fußball wird demnach von Schülern sehr, von Schülerinnen jedoch weniger gemocht [...]. Für die Sportart Gymnastik/ Tanz trifft dies genau gegenteilig zu. (Hummel, 2006, S. 147)
Im Rahmen dieser Studie äußerten sich befragte Lehrer dazu, indem sie sagten, dass Gymnastik/ Tanz und Fußball im Vergleich zu Leichtathletik, Gerätturnen und kleine Spiele eher weniger bzw. „manchmal" unterrichtet werden (Hummel, 2006, S. 158).
In den beiden vorgestellten Studien von 2006 ist der Lernbereich Gymnastisch-tänzerische Übungen nur ein Teil der Untersuchung und wird, im Sinne des Themas der vorliegenden Arbeit, nur unzureichend betrachtet. Dies trifft auch auf die folgenden Studien zu. Keine empirische Untersuchung des aktuellen Forschungsstandes fokussiert sich allein auf den Lernbereich 4 des Sportunterrichts der Primarstufe.
Behrens' (2012) erforscht die Emotionen und Situationskonzepte der Schüler in improvisations-, Kompositions-, Proben- und Aufführungssituationen im Kontext des Gestaltens, Tanzens und Darstellens und ist damit die einzige Autorin im deutschen Sprachraum, die diesen Bereich untersucht. Einige ihrer Forschungsergebnisse sind aufgrund der verwandten Themen für die vorliegende Arbeit relevant, obwohl Behrens' (2012) Stichprobe aus drei 5. Klassen eines Gymnasiums besteht und die Erhebung im Rahmen eines Projektunterrichts mit Themen wie u.a. „Bewegungstheater und Rhythmik" und „Synästhesien: Bild-Klang-Text-Bewegungsimprovisationen; Bild-Klang-Text Bewegungsgeschichten" durchgeführt wurde. (S. 95) Ihre Arbeit sensibilisiert den Leser für die Gefühle der Schüler in Improvisationssituationen. Die Studie zeigt, dass Lernende „spontane Improvisationssituationen vor der Klasse meiden, wenn das Selbstwertgefühl durch Mitschülerurteile bedroht wird." (S. 181) Außerdem scheinen sich Schüler in Gesellschaft vertrauter Interaktionspartner sicherer zu fühlen und bevorzugen es dementsprechend auch, in der Gruppe aufzutreten (Behrens, 2012, S. 181-187). Sofern diese Bedingungen erfüllt sind, empfinden die Kinder in Improvisationssituationen, wie sie auch im Lernbereich Gymnastischtänzerische Übungen auftreten können, Freude (ebd.). Im Zusammenhang mit ihrer Forschung greift die Autorin die von Miethling (2004) beschriebene Sicherungsstrategie auf, die „das destruktive Handeln, welches durch Langeweile oder durch körperliche Exponiertheit ausgelöst wird und sich in Lästern und Auslachen etc. äußert." (Behrens, 2012, S.182) Kinder verhalten sich so, um von ihrer eigenen Unsicherheit oder ihrem Unwohlsein abzulenken. Diese geäußerte Selbstwertbedrohung kann mit dem Präsentieren lassen von regelmäßig geübten und folglich sicher beherrschten Bewegungen vorgebeugt werden (ebd.). Behrens (2012) gewährt Einblicke in die emotionalen Hintergründe der Schüler und ermöglicht damit einen bewussten Umgang im Kontext der Bewegungserziehung in der Schule.
Im Gegensatz zur Forschungslange der Schülerperspektiven, liegen zu der Analyse der Lehrerperspektiven, im Kontext der Gymnastisch-tänzerische Übungen, eine Reihe empirischer Studien vor, die für die vorliegende Arbeit grundlegend sind.
Vogel (2004) befragte im Rahmen ihrer Forschung zur Darstellung der damaligen Situation des Tanzes in Grundschulen zwischen 100 und 200 Musik- und Sportlehrer zu deren Einstellung zum Tanzen. Der Studie zufolge, wurde, gegen die Erwartungen der Autorin, keine Abhängigkeit zwischen Lehreralter und Häufigkeit des Tanzens in der Primarstufe festgestellt (S. 159). Des Weiteren stellte sich heraus, dass „obwohl sämtliche Lehrpläne der Fächer Musik und Sport eine Auseinandersetzung mit Tanz vorschreiben, [...] weit weniger als die Hälfte der Lehrer in diesen Fächern [tatsächlich tanzt]." (Vogel, 2004, S. 159) Als Gründe für das Tanzen in der Schule nannten die Lehrer vorrangig „Spaß an der Sache", „Förderung des Rhythmusgefühls" und "Förderung der Motorik und Koordination". (Vogel, 2004, S. 160) Die Lehrkräfte, die nur gelegentlich oder gar nicht mit den Kindern tanzen, begründeten dies u.a. mit einer „unzureichende[n] Ausbildung", „räumliche[n] Problemen", „Mangel an passendem Material", „fehlende[r] Begabung" und „zeitliche[n] Problemen". (Vogel, 2004, S.161) Auf die Frage, welche Tanzstile die Sport- und Musiklehrer im Unterricht thematisieren, wurden hauptsächlich Kindertänze, Poptänze und Folkloretänze genannt. Das Schlusslicht bildeten Standardtänze, Ballett und Square Dance (Vogel, 2004, S. 163). Außerdem ergab Vogels (2004) Forschung, dass Musiklehrer mit Abstand häufiger als Sportlehrer zur Verantwortung gezogen werden, wenn es um das Einstudieren von Tänzen für Schulfeste geht (S. 165). Die zuletzt vorgestellte Studie wird insofern als relevant für die vorliegende Arbeit betrachtet, als dass sie sich mit einem zentralen Unterrichtsakteur, dem Lehrer, und dessen Ansichten zum Tanz in der Schule auseinandersetzt. Nicht zu vergessen ist jedoch, dass die Untersuchung die Fächer Musik und Sport in deren Gänze betrachtet und die Befragungen Musik- sowie Sportlehrer miteinschließt. Der Fokus liegt jedoch auch in dieser Forschung nicht auf dem Lernbereich der Gymnastisch-tänzerischen Übungen im Sportunterricht.
Neben Vogel (2004) und Beckers (2000), die sich besonders mit den Gründen für die Distanz der Lehrer zum Tanz in der Schule beschäftigen, bereichern Kleindienst-Cachay sowie Cachay und Kastrup (2008) die tanzpädagogische Forschungslage ebenso.
In deren Untersuchung des Sportunterrichts in Verbindung mit der Koedukation warnen sie vor der Entwicklung eines „männlichen Profils“ im Sportunterricht. (Kleindienst-Cachay, Cachay und Kastrup, 2008, S. 183) Aus diesem Grund und auf Grundlage der zuvor erwähnten DSB Sprint Studie, die ebenfalls den Rückgang der Sportarten im Unterricht verzeichnet, die bei Mädchen auf Zuspruch treffen, wie beispielsweise Gymnastisch-tänzerische Übungen und Turnen, führten Kleindienst-Cachay et al. (2008) ein Jahr zuvor Interviews zur Sportlehrerbelastung in allen Schulformen durch. in diesem Rahmen beklagten sich Sportlehrerinnen, dass der Lernbereich Gymnastisch-tänzerische Übungen im Sportunterricht der männlichen Kollegen wenig bis gar keine Anwendung findet. Die zum selben Anliegen befragten Sportlehrer bestätigen und begründen ihr Verhalten mit fehlender Sachkompetenz, „emotionalen Hürden [...], Fremdheitsgefühl[en] und Desinteresse“. (Kleindienst-Cachay et al., 2008, S. 100) Unter anderem geht aus den Interviews hervor, dass der Lernbereich Gymnastisch-tänzerische Übungen von den männlichen Sportlehrern „nicht als ,richtiger Sport' angesehen oder einfach als ,bekloppt' abgetan wird“, so Kleindienst-Cachay et al. (2008). (S. 102) Die damit einhergehende fehlende Unterstützung und der ungenügende Rückhalt innerhalb des Sportlehrerkollegiums ist, neben der steigenden Belastung durch protestierende Schüler, ein Grund für die steigende Scheu gegenüber dem Lernbereich 4. Sportlehrerinnen und -lehrer nehmen mit zunehmendem Alter aufgrund von mangelnder Kompetenz, aber hauptsächlich veranlasst durch die hohe psychische Belastung, Abstand zum Lernfeld der Gymnastisch-tänzerische Übungen ( Kleindienst-Cachay et al., 2008, S. 103). Infolgedessen plädieren Kleindienst-Cachay et al. (2008) für eine ausgewogene Wahl der Inhalte für den Sportunterricht unter der Berücksichtigung der Interessen beider Geschlechter und nennen als Lösungsvorschlag die Monoedukation (S.104).
Relevant für die vorliegende Arbeit sind die vorgestellten Studien hinsichtlich ihrer Inhalte und Erhebungsverfahren, die genutzt wurden, um die Interessen, Ansichten und Emotionen der Schüler und Lehrer im Sportunterricht zu erfassen. Nichtsdestotrotz ist darauf hinzuweisen, dass die dargestellten Studien weder einen Blick auf die Wünsche der Lehrer und Schüler, noch auf deren Ideen und Vorschläge für eine attraktivere Gestaltung des Lernbereichs der Gymnastisch-tänzerischen Übungen werfen. Des Weiteren findet keinerlei Erhebung der Inhalte statt, die in der Praxis im Sinne des Lernbereichs 4 im Sportunterricht von den Sportlehrern tatsächlich vermittelt und welche bewusst umgangen werden.
3 Forschungsfrage und Hypothesen
Die im vorangegangenen Kapitel dargestellten Studien geben Aufschluss über die aktuelle tanzpädagogische Unterrichtsforschung und Anreiz für weitere Analysen zugleich. Die DSB Sprint Studie von Brettschneider (2006) untersucht den Stand der Gymnastischtänzerischen Übungen im Vergleich zu anderen Lernbereichen des Sportunterrichts und führt, wie Hummels (2006) Erhebungen zu den sportlichen Interessen der Schüler durch. Beide Studien lassen die deutlichen Unterschiede zwischen den Vorlieben der Mädchen und denen der Jungen erkennbar werden.
Insgesamt gesehen, beschreiben, die Forschung Behrens (2012) ausgenommen, alle anderen vorgestellten Studien, wie der Lernbereich Gymnastisch-tänzerische Übungen nur noch wenig Anwendung im Sportunterricht findet. über diese Entwicklung hinaus konzentrieren sich Vogel (2004) und Kleindienst-Cachay et al. (2008) auf die Ursachen dessen und befragen Lehrkräfte nach den Gründen für ihre Distanzierung zu diesem Lernfeld. In diesem Kontext bildet Behrens (2012) eine Ausnahme, da sie, wie bereits erwähnt, als einzige Autorin des deutschsprachigen Raums, die Schülerperspektive zum Thema Gestalten, Tanzen und Darstellen in der Schule untersucht und die Emotionen der Kinder in den Vordergrund stellt.
Veranlasst durch den Aspekt, dass keine vorangegangene Forschung die Schüler- und Lehrerperspektive, im Sinne deren interessen und Wünsche hinsichtlich des Sportunterrichts, untersucht und anschließend miteinander in Verbindung gebracht hat, soll die vorliegende Arbeit dazu dienen die einzelnen Sichtweisen zu erfassen und zusammenzuführen. Anlässlich der Verankerung des Tanzes und der Gymnastik im Lehrplan, wie unter Punkt 2.3.1 Verankerung im Sächsischen Lehrplan beschrieben, wird es als aufschlussreich erachtet , sich nicht auf den Tanz in der Schule allgemein, sondern ausschließlich auf den Lernbereich der Gymnastisch-tänzerischen Übungen in der Primarstufe zu fokussieren. Resultierend aus der Tatsache, dass keine der vorausgehenden Studien aus den letzten sieben Jahren stammt, sich persönliche Eigenschaften wie Interessen und Wünsche jedoch stetig ändern können, wird es als gewinnbringend empfunden den aktuellen Stand der Schüler- und Lehrerperspektive zu analysieren. Dementsprechend wird die Problemstellung dahingehend formuliert, dass ihre Beantwortung die Beschreibung eines Ist-Zustandes fordert.
Die aus dieser Darlegung resultierende forschungsleitende Fragestellung, die im Rahmen dieser wissenschaftlichen Arbeit untersucht werden soll, lautet:
Welche Bedeutung hat der Lernbereich Gymnastisch-tänzerische Übungen für Lehrer und Schüler?
Mit der Absicht der Beantwortung dieses Anliegens werden zwei verschiedene Erhebungsverfahren eingesetzt. Während die Lehrerperspektive mit Hilfe von Experteninterviews erfasst wird, ergibt sich die Schülerperspektive aus schriftlichen Befragungen. Im Kontext des quantitativen Forschungsteils der Arbeit sollen im Verlauf der wissenschaftlichen Arbeit folgende Hypothesen geprüft werden:
I. Der Lernbereich Gymnastisch-tänzerische Übungen wird von den Schülern im Vergleich zu anderen Lernbereichen des Sportunterrichts als weniger interessant empfunden.
II. Jungen interessieren sich für den Lernbereich Gymnastisch-tänzerische Übungen des Sportunterrichts weniger als Mädchen.
III. Jungen verstehen Tanzen häufiger als "Mädchensache" als Mädchen.
IV. Mädchen wünschen sich im Gegensatz zu Jungen häufiger im Sportunterricht zu tanzen.
Das besondere Interesse liegt hierbei darauf, ob und inwiefern die Interessen und Ansichten der Mädchen und Jungen aktuell genauso in Kontrast zueinanderstehen, wie es aus den Studien von Brettschneider (2006) und Hummel (2006) hervorgeht.
4 Forschungsdesign: Kombination von quantitativer und qualitativer Forschung
Im Rahmen empirisch verstandener Wissenschaften, die sich bemühen, Sachverhalte in Natur und/ oder Gesellschaft zu entdecken, Aussagen über Zusammenhänge zwischen ihnen zu formulieren und diese Aussagen zu überprüfen, wird empirische Sozialforschung immer dann als Werkzeug benötigt, wenn Theorien zur Erklärung menschlichen Handelns, sozialer Strukturen und Zusammenhänge überprüft werden sollen. (Schnell, 2005, S. 7)
Die empirische Wissenschaft beruht also auf den von den Menschen gesammelten Erfahrungen und nimmt dementsprechend Bezug auf „Erfahrungstatsachen". (Raithel, 2008, S. 11) So ist sie „durch bestimmte Forschungsmethoden und eine zugrundeliegende Methodologie gekennzeichnet mit deren Hilfe ein Erkenntnisgewinn erzielt werden soll". (ebd.)
In der Sozialforschung, die verschiedene Problemstellungen in der Gesellschaft wie beispielsweise das Wahlverhalten oder die Mediennutzung, untersucht, lassen sich laut Raithel (2008) zwei Erhebungsformen distinguieren: die quantitative und die qualitative Forschung (S. 11).
4.1 Quantitative Forschung
In der quantitativen Forschung werden spezielle Relationen und Regeln innerhalb eines Forschungsgegenstandes analysiert, indem sie durch Operationalisierungsvorgänge messbar gemacht und anschließend statistisch ausgewertet werden (Raithel, 2008, S. 12). Mittels zuvor festgelegter Prozesse werden valide Daten erfasst, deren Ergebnisse möglichst verallgemeinerbar und nachvollziehbar sein sollen. Die quantitative Forschung beantwortet mit Hilfe von linear organisierten Messvorgängen die Frage „Wie viel?" und achtet dabei darauf die Bedeutung des Subjekts sehr gering zu halten (Lehnen, 2017, S. 73). Sie folgt einer klaren Struktur, die sich von der Wahl der Forschungsproblematik, der Hypothesenaufstellung und Theoriebildung über die Auswahl der Erhebungsinstrumente und der Datenerhebung bis hin zur Datenerfassung und -analyse erstreckt. Raithel (2008) merkt an, dass „die Behebung möglicher Probleme quantitativer Erhebungen [...] im laufenden Prozess kaum oder gar nicht möglich [ist]." (S. 74)
im Rahmen der quantitativen Forschung werden standardisierte, stark strukturierte Erhebungsmethoden eingesetzt. Diese können in Form der schriftlichen Befragung mit Fragebögen (online oder offline), des Versuches, des Experimentes oder der Beobachtung auftreten (ebd.).
Grund für den Einsatz standardisierter Erhebungsinstrumente ist das Ziel während des Messvorgangs möglichst exakte und fehlerfreie Werte zu erhalten. Tatsächliche Messwerte beinhalten neben der Merkmalsausprägung häufig auch Messfehler. Mit der Absicht die Daten unabhängig von möglichen Messfehlern interpretieren zu können, wurden Gütekriterien aufgestellt, die bei der quantitativen Forschung berücksichtigt werden müssen, um nach Möglichkeit zuverlässige, gültige und objektive Messungen zu gewährleisten (Raithel, 2008, S. 44). Die Objektivität eines Messinstruments gibt an, inwieweit die Ergebnisse „intersubjektiv [...], also unabhängig von der jeweiligen Person, die das Messinstrument anwendet", sind. (Raithel, 2008, S. 45) Dabei kann in Durchführungs-, Auswertungs- und interpretationsobjektivität unterschieden werden (ebd.).
Ein weiteres Gütekriterium der quantitativen Forschung ist die Reliabilität, die Zuverlässigkeit. Sie beschreibt, inwiefern wiederholte Messungen eines Aspekts mit einem Messinstrument die gleichen Werte liefern und gibt damit Auskunft über die Reproduzierbarkeit von Messergebnissen (Raithel, 2008, S. 46). Das letzte zu berücksichtigende Gütekriterium ist das, der Validität, also der Gültigkeit. Diese gibt an, ob das Messinstrument tatsächlich das misst, was es messen soll und kann u.a. mittels Expertenvalidität, Known Group, Inhaltsvalidität und Kriteriumsvalidität geprüft werden (Raithel, 2008, S. 47).
4.2 Qualitative Forschung
Anders als bei der quantitativen Forschung kann der mit Hilfe qualitativer Methoden erhobene Datengehalt nicht durch formale, standardisierte Auswertungen erschlossen werden. Bei dieser Form der Sozialforschung bedarf es einer interpretation der sich aufeinander beziehenden und miteinander verflochtenen Daten (Strübing, 2013, S. 4). Laut Strübing (2013) entsteht Wissen durch die Beziehung zwischen „Material und Forscher", da erst die „analytische Einstellung" des Forschers gewonnene Daten in „relevantes Wissen" wandelt. (S. 4) Ziel des dynamischen und offenen Prozesses der qualitativen Forschung ist es Relationen zu verstehen und zu interpretieren. Hierbei konzentriert sich die Erhebungsform, im Gegensatz zur quantitativen Forschung auf „Fragen nach dem Grund (Warum?) und der Vorgehensweise (Wie?)“. (Lehnen, 2017, S. 73) Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Erhebungsformen zeigt sich in der Bedeutung der Subjektivität. Diese wird im Kontext der qualitativen Arbeit als positiver Einflussfaktor betrachtet, der nicht vollkommen eliminiert werden kann und sollte (Lehnen, 2017, S. 74).
Der Prozess der Datenerhebung folgt außerdem einem weniger linearen und dementsprechend freieren Ablauf, der die Ausbesserungen von Fehlern deutlich vereinfacht. Nach Strübing (2013) gehören zum Methodenrepertoire der qualitativen Forschung u.a. das Interview, die Gruppendiskussion, die Beobachtung und Video- oder Social Network Analysen (S. 79f.).
Natürlich unterscheiden sich auch die qualitativen Gütekriterien zu denen der quantitativen Forschung. So kann das Prinzip der Gegenstandsangemessenheit nicht mit der beschriebenen Validität gleichgesetzt werden. Ersteres beschreibt, inwiefern das Forschungsdesign und die Methoden der Datenerhebung und -analyse an die individuellen Bedingungen des Forschungsdesigns angepasst sind. Dies bedeutet eine „Umkehrung des Verhältnisses Forschungsgegenstand - Forschungsmethode“. (Strübing, 2013, S. 19) Laut Strübing (2013) wird an Stelle der Wahl des Forschungsproblems nach der Struktur geläufiger Methoden und der Anpassung des Forschungsdesigns an die Prozesse der Methoden, von einer relevanten Problematik ausgehend eine geeignete Methode gewählt und gegebenenfalls adaptiert oder sogar neu entwickelt (S. 19). Grund für diesen veränderten Ablauf ist die Annahme, dass nicht jede Forschungsproblematik quantifizierbar, also beispielsweise in Zahlen und Häufigkeiten übersetzbar ist. Hinzukommt, dass viele wichtige gesellschaftliche Fragen schon allein deshalb keine hypothetischen Antworten zulassen, weil sie aus der Dynamik gesellschaftlicher Beziehungen entstehen. Diese gilt es vorab zu analysieren, um sie zu verstehen und Rückschlüsse auf die eigentliche Problematik ziehen zu können (Strübing, 2013, S. 19). Als zweites von fünf Gütekriterien der qualitativen Forschung nennt Strübing (2013) das Prinzip der Offenheit. Dieses umfasst die prinzipielle Öffnung des Forschungsprozesses in Hinblick auf das Wissen, welches im Forschungsfeld vorhanden ist sowie das bewusste Abstand nehmen von Vorannahmen und die eigene Offenheit für Neues und Unerwartetes (S. 20). Das Prinzip der Kommunikation meint die Orientierung der Datengewinnung an alltäglichen Handlungsstrukturen und plädiert für das Zunutze machen von gängigen bzw. gewöhnlichen Gesprächs- oder Handlungssituationen, um die angestrebte Tiefgründigkeit der Ergebnisse zu erhalten (ebd.). Als ein weiteres Gütekriterium führt Strübing (2013) die 23 Prozesshaftigkeit auf. Diese ist in zweierlei Hinsicht von Bedeutung für den qualitativen Forschungsprozess. Zum einen stellt sie die Datenerhebung nicht als einmaligen Messakt, sondern als fortlaufenden Interaktionsprozess mit den Akteuren dar. Dementsprechend werden Forscher selbst zum Teil des Forschungsprozesses und dessen Ergebnissen. Zum anderen wird der Forschungsgegenstand selbst als prozessual hergestellt verstanden, da er im Sinne der sozialen Wirklichkeit von den sozialen Akteuren dauerhaft beeinflusst, geformt und verändert wird (S. 21). „Soziale Realität ist in fortwährendem Wandel begriffen, selbst vermeintlich Statistisches muss immer aufs Neue interaktiv erzeugt werden." (Strübing, 2013, S. 21). Zuletzt stellt Strübing (2013) das Prinzip der Reflexivität vor, welches ebenfalls durch zwei Bedeutungen gekennzeichnet ist. Zunächst besagt es, dass kein Objekt und keine Äußerung aus sich heraus bedeutsam ist, sondern die Bedeutung aus einem „reziproken Verweisungszusammenhang von Objekt, Äußerung und Kontext" entsteht. (S. 21) Die zweite Bedeutung der Reflexivität besteht in der wechselseitigen Beeinflussung von Forschungsfrage und -Gegenstand (Strübing, 2013, S. 21).
4.3 Kombination quantitativer und qualitativer Erhebungsformen
In den letzten zehn Jahren der empirischen Forschung rückte die Kombination von quantitativen und qualitativen Datenerhebungen immer weiter in den Fokus der Diskussionen. NORMAN DENZIN (1977) griff die Idee der Verbindung der beiden Erhebungsformen auf und entwickelte sie weiter. Obgleich Teile seiner damaligen Darlegungen heute stark kritisiert werden, fordern Autoren wie u.a. Mayring (2001), Flick (2011), Lehnen (2017) und Fringer (2018) eine stärkere Nutzung der Kombination. Quantitative und qualitative Forschung sollten nicht länger als Kontrastpaar betrachtet, sondern in Relation zueinander gesehen werden. Während sich quantitative Erhebungsformen besonders zur Erfassung von Ereignissen und Phänomenen eignen, lassen sich mit Hilfe qualitativer Methoden subjektive Bewertungen und Deutungen solcher Ereignisse eruieren. So können sich die Ansätze in ihren Stärken und Schwächen jeweils ausgleichen (Fringer, 2018, S. 1). Das heißt, dass die Forschung dank des Einsatzes qualitativer Methoden im Hinblick auf den zu untersuchenden Gegenstand an Offenheit und Alltagsnähe gewinnt, die wiederum für die Erhebung persönlicher Sichtweisen besonders bedeutsam sind. In Verbindung mit der quantitativen Forschung wird die die Untersuchung stärker intersubjektiv nachvollziehbar und überprüfbar. Sie erlangt eine höhere Transparenz und methodische Stringenz (Mayring, 2001, S. 12). Dementsprechend vielversprechend scheint der gemeinsame Einsatz dieser Paradigmen. Flick (2011) definiert die sogenannte Triangulation und charakterisiert sie anhand „[der] Einnahme unterschiedlicher Perspektiven auf einen untersuchten Gegenstand". (S. 12) Laut Lehnen (2017) wird die Triangulation in vier Formen unterschieden. Die Datentriangulation, die investigator Triangulation, die Theorietriangulation und die Methodentriangulation (S. 84). Letzteres wird auch als Mixed Methods bezeichnet. Unter diesem Begriff versteht Kuckartz (2014) „die Kombination und Integration von qualitativen und quantitativen Methoden im Rahmen des gleichen Forschungsprojekts [...]. Es handelt sich also um eine Forschung, in der die Forschenden im Rahmen von ein- oder mehrphasig angelegten Designs sowohl qualitativ als auch quantitative Daten sammeln." (S. 33) Angelehnt an die Methodentriangulation werden in der vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit die quantitative Methode der schriftlichen Befragung und das qualitative Erhebungsinstrument des Experteninterviews kombiniert. Nach Fringer (2018) kann sich die Integration beider Methodenstränge in sechs Designtypen darstellen. Dazu gehört das Paralleldesign, das sequenziell erklärende Design, das sequenziell erkundende Design und das integrierte Design (S. 4). Aufgrund des begrenzten Umfangs der Staatsexamensarbeit muss sich bei den folgenden Ausführungen ausschließlich auf, für die Untersuchung relevante Aspekte beschränkt werden.
Das Forschungsdesign der vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit gestaltet sich in Anlehnung an das Paralleldesign der Methodenkombination. Das bedeutet, dass die Experteninterviews zeitgleich und unabhängig zu den schriftlichen Befragungen durchgeführt werden. Die beiden Zugänge werden in ihren Vorzügen eigenständig verfolgt, sodass sie sich durch ihre jeweiligen Attribute auf unterschiedliche Facetten des Untersuchungsgegenstandes beziehen. Auf der Ebene der Ergebnisverknüpfung kann dann letztendlich von der aus der gegenseitigen Ergänzung der qualitativen und quantitativen Erhebungsmethoden resultierenden Erkenntniserweiterung profitiert werden (Flick, 2011, S. 95).
Aufgrund der voneinander unabhängig durchgeführten Datenerhebungen, die verschiedene Akteure und Methoden beinhalten, werden zwei differenzierte Samples herangezogen. Außerdem wird aufgrund der Kombination auf die ausschließliche Verwendung standardisierter Erhebungsinstrumente verzichtet, da, wie Mayring (2001) anmerkt, die Instrumente, wie in diesem Fall der Interviewleitfaden, neu erstellt und an das Forschungsfeld adaptiert werden (S. 11).
Zusammengefasst wird die vorliegende Untersuchung in Anlehnung an die Triangulation im Sinne der Mixed Methods im Paralleldesign durchgeführt. Hierbei liegt der Fokus auf einer Momentaufnahme der aktuellen Sichtweisen von Schülern und Lehrern gegenüber dem Lernbereich Gymnastisch-tänzerische Übungen im Sportunterricht der Primarstufe. Dementsprechend wird es, gemäß des Querschnittsdesigns, nur eine Erhebungsphase geben.
5 Quantitative Untersuchung
5.1 Methodisches Vorgehen
5.1.1 Erhebungsinstrument: Der Fragebogen
Für den quantitativen Forschungsteil der vorliegenden Arbeit wurde sich in Anlehnung an die forschungsleitende Fragestellung und die entsprechenden Hypothesen für die Methode der schriftlichen Befragung entschieden. Sie hat gegenüber einem Interview den Vorteil der erhöhten Wahrscheinlichkeit, viel mehr Probanden in relativ kurzer Zeit zu erreichen sowie der Vergleichbarkeit der erhobenen Daten untereinander. Kallus (2016) zufolge dienen Umfragen einerseits der Beschreibung aktueller Merkmale von Personen oder -gruppen, andererseits werden sie auch zur Darstellung anderer Personen oder Merkmale sozialer Umwelt genutzt (S. 11). Die schriftlichen Befragungen werden in postalische und Gruppenbefragung unterschieden. Letztere wird im Kontext dieser Arbeit genutzt. Sie beinhaltet eine schriftliche Befragung in einer Gruppe, in diesem Fall in Schulklassen, in Anwesenheit eines Interviewers (Raithel, 2008, S. 67). Im Gegensatz zu anderen Befragungstypen besticht der Fragebogen durch einen geringeren Zeit- und Personalaufwand sowie durch niedrigere Kosten. Die Befragten haben zudem Zeit die Fragen zu bedenken und die Möglichkeit Verständnisschwierigkeiten zu klären. Dabei hat das Verhalten des Interviewers, als eventuelle Fehlerquelle, keinen Einfluss auf die Befragten. Tatsächlich dienen Fragebögen ebenso der Selbst- und Fremdbeschreibung wie der Selbst- und Fremdbeurteilung. Sie können auf verschiedenen Merkmalsbereiche Bezug nehmen und restringieren sich nicht nur auf die Messung von Persönlichkeitsmerkmalen (Kallus, 2016, S. 18.)
Zu Beginn einer Befragung müssen die Teilnehmer über die Rahmenbedingungen in Kenntnis gesetzt werden. Dazu gehört nicht nur eine Information über den Hergang der Befragung, sondern auch eine Aufklärung hinsichtlich des Umgangs mit persönlichen Daten im Sinne der Datenschutzbestimmung (Paier, 2010, S. 103f.). Aufgrund der Minderjährigkeit der Zielpopulation werden die Eltern der Befragten vor der Durchführung in Form einer Elterninformation und einer Einverständniserklärung (siehe Anhang 1) über Inhalt, Ablauf und Dauer der Befragung sowie Ansprechpartner und Datenschutz aufgeklärt. Die gleichen Informationen werden mit den Schülern am Tag der Befragung in vereinfachter Form besprochen.
Im Folgenden wird die Konstruktion, angefangen beim Layout des Fragebogens (siehe Anhang 2), erläutert. Dieser besteht aus einem Deckblatt, auf dem der Titel der Untersuchung und der Name des Ansprechpartners sowie der Universität steht. Dem Deckblatt folgen fünf großzügig gestaltete Seiten mit wiederum fünf, mit den Buchstaben A bis E gekennzeichneten, Themenkategorien. Auf der ersten Seite findet sich der Identifikationscode des Probanden. Die folgenden Items mit den Antwortformaten der Einzelnennung sind in tabellarischer Form konzipiert, um die Übersichtlichkeit zu gewährleisten. Bei möglichen Mehrfachnennungen wurde auf Tabellen verzichtet und die Antworten in überschaubaren „Päckchen“ geordnet. Alle Frage-Antwort-Gefüge, auch als Items bezeichnet, sind mit den Buchstaben der dazugehörigen Themenkategorien und einer Zahl beschriftet. Diese geben die Reihenfolge der Fragen an und helfen den Probanden sowie dem durchführenden Interviewer sich innerhalb des Fragebogens zu orientieren. Pro Kategorie findet sich eine kurze Aufgabenstellung mit der visuell hervorgehobenen Angabe, wie viele Antworten möglich sind. Auf der letzten Seite befindet sich ein sich für die Teilnahme bedankendes Krokodil. Dieses dient nicht nur der kinderfreundlichen Gestaltung, sondern hat den Zweck der Differenzierung. Kinder, die zeitiger als ihre Klassenkameraden fertig sind, haben die Möglichkeit das Krokodil bunt zu gestalten.
Die eigentliche Konstruktion des Fragebogens beginnt mit der Operationalisierung des Gegenstandbereichs. Dieser wird konkretisiert, sodass der Antwortmodus und die Antwortstufen ausgewählt werden können (Kallus, 2016, S. 41). Danach werden Merkmalsbereich spezifische Fragen formuliert. Im Rahmen der wissenschaftlichen Arbeit werden zweiunddreißig geschlossene, vier halboffene und eine offene Frage aufgestellt, die nach den fünf Themenkategorien Deine Person (A), Lernbereiche (B), Dein Wissen und Deine Erfahrungen (C), Dein persönliches Empfinden (D) und Deine Wünsche (E) geordnet sind. Während geschlossene Fragen mittels vorgegebener Antwortmöglichkeiten beantwortet werden, sind die Befragten bei offenen Fragen dazu aufgefordert selbst eine Antwort zu 27 formulieren (Raithel, 2008, S. 68). Die eingefügten halboffenen Fragen, auch Hybridfragen genannt, bilden den Kompromiss zwischen den beiden gegensätzlichen Frageformulierungen, indem eine geschlossene Antwortkategorie mit einer offenen Antwortmöglichkeit, zum Beispiel „Sonstiges“, verknüpft wird (ebd.). In der vorliegenden Arbeit sind die geschlossenen Fragen als Einzelnennung und die halboffenen Fragen als Mehrfachnennung konzipiert. Außerdem beinhaltet der Fragebogen gleich zu Beginn ein Item-Beispiel, welches das FrageAntwort-Muster anhand zwei geschlossener Fragen zu den Essvorlieben der Probanden erklärt. Sie dienen als „Eisbrecher“, vermitteln Sicherheit und wirken motivierend. Sie sind inhaltlich leicht verständlich, für die Untersuchung irrelevant und „verhelfen eine kooperative Interviewatmosphäre aufzubauen“. (Raithel, 2008, S. 71) Die daran anknüpfenden Fragen zielen darauf ab, Einstellungen, Meinungen, Wünsche und Wissen rund um den Lernbereich Gymnastisch-tänzerische Übungen zu erfassen. Veranlasst durch das junge Alter der Zielpopulation wurde bei der Konstruktion der Items besonders auf kurze, unmissverständliche Formulierungen geachtet und auf doppelte Verneinungen, Fachausdrücke und Abkürzungen weitestgehend verzichtet. Mit dem Ziel, die Schüler nicht zu überfordern, werden sie direkt angesprochen, wie beispielsweise in der Frage „Welche Tanzstile hast Du im Sportunterricht kennengelernt?“. Zu dem gleichen Zweck werden die Fragen bzw. Antworten aus der Ich-Perspektive formuliert wie zum Beispiel „Ich tanze gern“. Hierbei werden nicht zu viele Antwortvorgaben zur Verfügung gestellt, um die Befragten nicht zu verwirren (Paier, 2010, S. 111-113). Sollten die Probanden etwas nicht wissen, können sie die Frage auslassen. Die einfache und selbsterklärende Gestaltung sorgt dafür, dass der Fragebogen leicht auszufüllen ist. In diesem Zusammenhang steigern sich die Fragen von allgemeineren zu besonderen Inhalten.
Der Antwortmodus wurde in Anlehnung an die Likert-Skala im Sinne einer vierstufigen Zustimmungsskala konzipiert. An diesem Punkt wurde sich bewusst gegen eine fünfstufige Skalierung entschieden, um eine Tendenzentscheidung herbeizuführen. Während bei einer ungeraden Skalierung die Tendenz zur Mitte besteht und somit eine neutrale Positionierung möglich ist, wird der Proband durch die gerade Skalierung dazu gezwungen sich zu entscheiden. Die Gefahr wenig aussagekräftiger Antworten wird umgangen. Das damit einhergehende Vorenthalten neutraler Antwortmöglichkeiten, wird angesichts der erhöhten Aussagekraft akzeptiert. Außerdem werden vier Antwortmöglichkeiten für die 8- bis 12jährigen Probanden als ausreichend und nicht überfordernd angesehen. Die Antworten reichen damit von 1 „trifft überhaupt nicht zu“ und 2 „trifft eher nicht zu“ bis zu 3 „trifft eher zu“ und 4 „trifft voll und ganz zu“. Zum besseren Verständnis und zur Erleichterung des Lesens sind diese Abstufungen nicht nur verbal und numerisch, sondern auch symbolisch mit Hilfe von an die Zustimmung adaptierten Smileys dargestellt. Insgesamt wurden die Frage-Antwort-Items nach fünf Kriterien Kallus' (2016) konzipiert (S. 67-69). So steht die Lesbarkeit und das klare Design im Vordergrund, wodurch der Fragebogen in übersichtlichen Themenkategorien aufgeteilt, die Fragen kurz und einfach formuliert und die Zustimmungsskalen vielseitig gestaltet sind. Die Befragungsinhalte sind auf die Heranziehung einer bewusst heterogenen Kompetenzbasis abgestimmt. Daher sind inhaltlich ausschlaggebende Schlüsselwörter fett gedruckt. Die Hervorhebung soll leseschwächeren Schülern das Lesen der Fragen erleichtern. Neben dem Design und der Lesbarkeit liegt der Fokus auf der Verständlichkeit der Formulierungen, sodass vorrangig neutrale, einfache Worte genutzt wurden. Aus diesem Grund wurde die, dem Lehrplan entnommene, Begrifflichkeit Gymnastisch-tänzerische Übungen zu Gymnastik und Tanz umformuliert. Für eventuell auftauchende Fragen zu Fachtermini der Tanzstile und -schritte steht der Interviewer während der Befragung zur Verfügung, erklärt diese und tanzt Schritte gegebenenfalls vor. Als drittes Kriterium soll Kallus (2016) zufolge, eine einfache Beantwortbarkeit gegeben sein. Demgemäß und aufgrund des Forschungsfeldes der Primarstufe verlangen die Items „keine komplexen logischen Schlussfolgerungen oder Gedächtnisleistungen" von den Probanden, sondern erfragen Verhaltensweisen und Interessen. (Kallus, 2016, S. 67) Nicht zuletzt sollen die Items eindeutig und klar sein und eine neutrale Beziehung zur Lebenswelt der Befragten, deren Erleben und Verhalten eingeschlossen, herstellen. Hierbei sollte die Privatsphäre der Probanden geachtet und stark moralische, normative, sozial positive oder negative Inhalte vermieden werden (Kallus, 2016, S. 69).
[...]
- Quote paper
- Anonymous,, 2019, Die Bedeutung des Lernbereiches "gymnastisch-tänzerische Übungen" in der Grundschule. Sichtweisen von LehrerInnen und SchülerInnen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/950349
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.