Corona fordert das deutsche Gesundheitswesen heraus. Aber schon vor 2020 belasteten demographischer Wandel und Fachkräftemangel die Heil- und Hilfserbringer schwer. Das trifft sowohl aus gesundheitspolitischer als auch aus unternehmenspolitischer Sicht zu. Besonders dringend wird das Thema durch Fachkräftemangel, Digitalisierung und dem "War of Talents” auf dem Arbeitsmarkt.
Soziale Beziehungen spielen heute zunehmend eine Schlüsselrolle für den betriebswirtschaftlichen Unternehmenserfolg. Doch wie groß ist ihr Einfluss auf die Gesundheit der Fachkräfte? Und welche Formen gibt es tatsächlich und wird die Gesundheit messbar durch Formen sozialer Unterstützung verstärkt? Diesen Fragen geht Dr. phil. Franziska Zippel in Ihrem Buch "Der Einfluss sozialer Beziehungen und Unterstützung im Arbeits- und Privatleben auf die wahrgenommene Gesundheit. Eine empirische Querschnittsuntersuchung" nach.
Einen starken "Hebel" dafür stellt die Stärkung zwischenmenschlicher Beziehungen dar, was Dr. phil. Franziska Zippel heraushebt. Als analytische Zielgruppe dient Ihr dabei die Gruppe der PhysiotherapeutInnen. Ihre aufschlussreiche Studie ist dabei nicht nur für diese Berufsgruppe geeignet, sondern bietet wichtige Informationen für das gesamte Gesundheitswesen.
2 Kapitel 2: Theoretischer und empirischer Hintergrund
3.3 Konkretisierung der Messinstrumente
3.4 Methodik der Datenauswertung
4 Kapitel 4: Ergebnisse der empirischen Untersuchung
4.1 Demografische Daten der Stichprobe
4.2 Gesundheitsbezogene Daten der Stichprobe
4.3 Daten der theoriegeleiteten Datenreduktion
4.4 Modellauswertung
4.5 Ergebniszusammenfassung
5 Kapitel 5: Schlussbetrachtung
5.1 Diskussion und offener Forschungsbedarf
5.2 Limitationen
5.3 Fazit
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Eidesstattliche Erklärung
Anhang
Abstract (Deutsch)
Mit Blick auf die nachhaltige wirtschaftliche Beständigkeit von Unternehmen in Deutschland und dem zunehmenden Einfluss des demographischen Wandels, der damit einhergehenden Alterung der erwerbstätigen Bevölkerung und des Fachkräftemangels, gewinnen Gestaltungskonzepte, die dem Human- und Sozialkapital ein stärkeres Gewicht einräumen, zunehmend an Bedeutung. Das gilt auch für Heil- und Hilfsmittelerbringer im deutschen Gesundheitswesen, wie den Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten. Denn hier werden nicht nur die zu versorgenden Patientinnen und Patienten im Versorgungssystem älter und damit therapiebedürftiger, sondern auch die Therapeutinnen und Therapeuten selbst. Sie erreichen in wenigen Fällen das gesetzliche Rentenalter und scheiden entweder vorher gesundheitsbedingt aus oder orientieren sich im Vorfeld beruflich neu.
Vor diesem Hintergrund steht das deutsche Gesundheitswesen vor der Herausforderung, den demographisch bedingten wachsenden Bedarf an physiotherapeutischen Interventionen durch eine ausreichende Anzahl an Therapeuten sicher zu stellen. Darüber hinaus müssen die Therapeutinnen und Therapeuten in der Lage sein, ihre Arbeit möglichst bis zum gesetzlichen Rentenalter auszuüben, um den therapeutischen Bedarf zu decken.
In Anbetracht der betriebswirtschaftlichen Relevanz sozialer Unterstützungsressourcen (Bertelsmann Stiftung und Hans Böckler-Stiftung 2004, 30) wird in dieser Arbeit daher der Schwerpunkt auf die Unternehmensressource Mitarbeiter gerichtet, mit dem konkreten Fokus auf die sozialen Ressourcen: soziale Beziehungen und soziale Unterstützung und deren Einfluss auf die Gesundheit. So hat unter anderem das Netzwerkkapital eines Unternehmens (im Sinne des Sozialkapitalansatzes nach Badura et al. 2013, 50) einen maßgeblichen Einfluss auf die Gesundheit, Motivation, Lebensqualität und Leistungsfähigkeit von Beschäftigten und beeinflusst somit direkt die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse.
Vor diesem Hintergrund wurden in dieser Arbeit speziell die sozialen Beziehungen und die soziale Unterstützung von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten als Bausteine des Netzwerkwerkkapitals untersucht und ihr Einfluss auf den Frühindikator „Gesundheit“ (psychisches Befinden (allgemeines Wohlbefinden, depressive Verstimmung, etc.) und physisches Befinden (das Vorhandensein bzw. Fehlen körperlicher Einschränkungen, die Prävalenz psychosomatischer Beschwerden, etc.)) analysiert.
Ein wesentliches Ziel dieser Arbeit war es herauszufinden, ob soziale Beziehungen per se einen direkten Effekt auf die Gesundheit von angestellten Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten ausüben und wenn ja, mit welcher Effektstärke und Effektrichtung. Darüber hinaus stellte sich die Frage, ob dieser Direkteffekt, zwischen sozialen Beziehungen und der Gesundheit, durch den zusätzlichen Einfluss von sozialer Unterstützung verstärkt wird und ob die Wahrnehmung positiver sozialer Unterstützung per se ebenfalls einen direkten Positiveffekt auf die Gesundheit von angestellten Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten ausübt.
Zu diesem Zweck wurde eine Querschnittsstudie durchgeführt, an der insgesamt 511 berufstätige Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten in einer ausführenden oder leitenden Position im ambulanten und stationären Gesundheitssektor aus Deutschland teilnahmen. Zum Einsatz kam ein Online-Offline-Fragebogen, der aus Fragen anerkannter standardisierter Fragebögen bestand.
Die Datenauswertung fand in drei Schritten statt: Dateneingabe, Datenvorbereitung und Datenanalyse. Letztere umfasste zwecks Datenreduktion zunächst eine explorative Faktorenanalyse für die Variablenbereiche „soziale Unterstützung“, „soziale Beziehungen“ und „Gesundheit“, auf deren Basis lineare multivariate Regressionsanalysen zum Zweck der Faktorengewichtung und Modellüberprüfung zum Einsatz kamen. Darüber hinaus kamen als weitere statistische Analyseverfahren Moderatoren- sowie Mediatorenanalysen zum Einsatz.
Zur Hypothesenüberprüfung wurde sich bewusst gegen ein Strukturgleichungsmodell entschieden, um unter anderem das globale SEM-Beziehungsnetzwerk bewusst aufzulösen und dieses vielmehr in einzelne Ebenen zu untergliedern. Gemäß des Bottom-up-Prinzips wurde zunächst die Detailebene (Ebene 1) analysiert, die dann mit der übergeordneten Ebene (Ebene 2) in die globale Modellperspektive (Ebene 3) mündet.
Im Ergebnis konnte unter anderem geschlussfolgert werden, dass soziale betriebliche Beziehungen mit sozial unterstützender Funktion durch Kollegen und Vorgesetzte einen stärkeren Einfluss auf die Gesundheit von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten haben, als soziale betriebliche Beziehungen ohne Supportfunktion. Das bedeutet, dass die kausale Beziehung zwischen X (soziale betriebliche Beziehungen) und Y (Gesundheit) in den beschrieben drei Fällen durch den Mediator Z (soziale Unterstützung durch Kollegen oder Vorgesetzte) komplett beeinflusst werden und die direkten Effekte zwischen X und Y aufgehoben werden.
Schlüsselwörter: soziale Beziehungen, soziale Unterstützung, Gesundheit, Arbeitsfähigkeit, Physiotherapeuten
Abstract (Englisch)
With the focus on the sustainable economic stability of companies in Germany and the increasing influence of demographic changes, which as a consequence of the aging of the working population and a shortage of skilled workers is placing an increasingly significant burden on the human and social capital of a company. This also applies to the healthcare professionals, such as physiotherapists within the German healthcare sector. Since here, it is not only the patients within the healthcare system who are getting older and are therefore in greater need of treatment but also the healthcare professionals themselves. In only very few cases does a physiotherapist remain in the profession until the official retirement age, either being forced to retire earlier on health grounds or choosing instead to go down a different career path.
In view of this and in light of the demographic conditions, the German healthcare system is faced with the challenge of intervening to ensure that there is an adequate number of physiotherapists within the system. Furthermore these therapists must, in the majority of cases be in the position to work up until the official age of retirement in order to ensure that the required number of physiotherapists is met.
By taking into consideration the business relevance of social support resources (Bertelsmann Stiftung and Hans Böckler- Stiftung 2004, 30) the main focus of this paper will therefore be on the employees as the business resource, focusing specifically on the social resources: social relations and social support within the workplace and their impact on health. A company has, for instance the network potential (in terms of the social capital approach estimate according to Badura et al., 2013 p. 50) to have a significant influence on the health, motivation, quality of life and performance of its employees and influences directly therefore their economic results.
In view of this, the social relationships and the social support of physiotherapists, as components of the network potential were investigated and their influence on the leading indicator “health” (psychological well- being, general well- being, depressive state, etc.) and physical conditions (physical restrictions, the prevalence of psychosomatic complaints etc. ) was analysed.
A fundamental aim of this paper was to find out, if social relationships in the workplace per se have a direct effect on the health of physiotherapists and if so, to what extent? Furthermore it poses the question, whether this direct effect between social relationships and health through the additional influence of a social support network in the workplace is strengthened and whether the perception of a more positive social support, per se also has a positive effect on the health of physiotherapists.
For this purpose a cross- sectional study was carried out in which a total of 511 physiotherapists with an executive or managerial position in both outpatient and inpatient departments within the German healthcare system took part. An online- offline- questionnaire was used, which consisted of questions from approved, standardised questionnaires.
The data analysis took place in three phases: data input, data preparation and data analysis. The latter notably includes data reduction firstly an explorative factor analysis for the variables “social support”, “social relationships” and “health” for which the basis of the linear multivariate regression analysis and model verification were used for the weighting of the various criteria. Additionally further statistical analytical techniques, moderator as well as mediator analyses were used.
To examine this hypotheses a deliberate decision was taken against using a structural equation model, in order to consciously dismiss, amongst other things the global SEM relationship network and rather to break down into individual levels. In compliance with the ‘bottom up principle’ the detail level (level 1) was initially analysed, which then with the higher level (level 2) lead to the global model perspective (level 3).
The results concluded that social relationships in the workplace together with a social supporting role through colleagues and superiors have a stronger influence on the health of physiotherapists than social relationships in the workplace without a support network. That means that the causal relationship between X (social relationships in the workplace) and Y (health) in the three cases described through the mediator Z (social support through colleagues or superiors) are completely influenced and the direct effects between X and Y are increased.
Keywords: social relationships, social support, health, workability, physiotherapists
1 Kapitel 1: Einleitung
“Unternehmen werden von Menschen gemacht” (Ralf 2002, 40). Sie sind daher auf der einen Seite soziale Systeme, in denen Menschen Menschen führen und ohne die sämtliche Unternehmensaktivitäten nicht vorstellbar wären. Auf der anderen Seite sind Unternehmen zu allererst aber wirtschaftliche Organisationen, die nach Wachstum und erfolgreicher Wettbewerbsfähigkeit auf dem Markt streben, die den Interessen ihrer Eigentümer dienen und den Erwartungen ihrer Kunden gerecht werden müssen. (Badura 2009, 1) „Moderne Unternehmen stehen [demzufolge] vielfach in einem Spannungsfeld von wirtschaftlichem Erfolg einerseits und Verantwortung gegenüber Gesellschaft und Umwelt andererseits (Zimmermann 1998, 1)“ - oder anders: in einem Spannungsverhältnis zwischen Markt und Moral. (Hiß 2006, 15)
Die „wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen“ ist nicht neu, sondern stammt aus der Zeit der industriellen Revolution und dem damit verbundenen Aufstieg der Institution Unternehmen. (Hiß 2006, 29) Im zeitlichen Verlauf entwickelten sich verschiedene Erklärungsversuche, für das, was die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen umfassen könnte. So entstand zum einen die Ansicht, „dass die einzige unternehmerische Verantwortung die Gewinnmaximierung sei und diese die Gemeinwohloptimierung (über eine optimale Ressourcenallokation) bereits impliziert.“ Dem gegenüber stand das Konzept der gesellschaftlichen Verantwortung (Corporate Social Responsibility), das das „unternehmerische Streben nach Gewinnmaximierung nicht als ausreichende Wahrnehmung von gesellschaftlicher Verantwortung“ ansieht. (Pommerening 2005, 1) Dieser Perspektive zufolge ist „Gewinnstreben“ „zwar ethisch legitim, jedoch nur solange dabei nicht Gesetzeslücken ohne Verantwortungsgefühl für mögliche negative externe Effekte auf die Gesellschaft ausgenutzt werden.“ (Pommerening 2005, 1).
Wer genau aber ist die „Gesellschaft“ und welche Erwartungen stellt diese an Unternehmen? Zur Beantwortung dieser Frage ist es, laut Pommering (2005), sinnvol „sich von dem Allgemeinbegriff Gesellschaft zu lösen und konkrete Akteure und Inhalte zu identifizieren, […] die von den unternehmerischen Aktivitäten potenziell und tatsächlich beeinflusst werden oder ihrerseits einen signifikanten Einfluss auf das Unternehmen ausüben können.“ Zu derartigen Akteuren, sogenannten Stakeholdern, zählen zum Beispiel Eigentümer, Investoren, Banken, Kunden, Lieferanten, Konkurrenten, Gewerkschaften und Mitarbeiter. Darüber hinaus gibt es weitere Anspruchsgruppen, wie Regierungen, politische Institutionen, Medien, Aktivisten, Verbände etc.. Auf diese Weise sind Unternehmen Erwartungen verschiedener Stakeholder ausgesetzt wie zum Beispiel: Arbeitsplatzsicherheit und ein angemessenes Einkommen (Mitarbeiter), qualitativ hochwertige Leistungen zu fairen Preisen (Kunden), eine hohe Verzinsung der Kapitaleinlage (Anteilseigner) oder die Reduktion negativer Umweltauswirkungen (Umweltschutzorganisationen). Je nach Stakeholder und Situation gestalten sich die einzelnen Erwartungen und Ansprüche an die jeweiligen Unternehmen. In Anbetracht der Vielzahl an Stakeholdern und Erwartungen stellt sich die Frage, welchen Erwartungen Unternehmen präferiert, nachgeordnet oder gar nicht nachgehen. (Pommerening 2005, 3f.) Mitchel, Agle und Wood (1997) zufolge ist es denkbar, dass Unternehmen „nur auf diejenigen Stakeholder reagieren, die ihr Anliegen mit solchem Druck geltend machen, dass sie ohne negative Folgen für das Unternehmen nicht länger ignoriert werden können“ oder, die eine entsprechende Öffentlichkeitswirksamkeit versprechen und dem Unternehmen auf diese Weise einen Vorteil verschaffen. Problematisch erweist sich dieser Umgang für Stakeholder in dem Moment, in dem diese „keine ausreichende Macht besitzen oder aufbauen können“, um ihre Ambitionen geltend zu machen. In diesen Fällen versprechen sich die Unternehmen keinen Nutzen durch die Förderung der jeweiligen Themen. Die Stakeholder laufen in diesen Fällen „Gefahr, nicht als relevant erachtet und somit vernachlässigt zu werden“ (Pommerening 2005, 29). Dabei hängen nach Schuppisser (2002) die „Wettbewerbsfähigkeit und der langfristige Erfolg eines Unternehmens […] davon ab, wie gut es dem Management gelingt, die Unternehmensinteressen mit den Interessen seiner Stakeholder [, und damit auch seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,] ins Gleichgewicht zu bringen“. Die bestmögliche Nutzung und Weiterentwicklung vorhandener Humanressourcen im Unternehmen ist demzufolge eine entscheidende Voraussetzung für Wachstum und Innovationsfähigkeit in Europa. (Ernst und Young 2007) Im Sinne der Fürsprecher sozialer Verantwortung bietet die integrative Wahrnehmung sozialer Verantwortung Unternehmen die Chance für nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg und Wettbewerbsfähigkeit. Corporate Social Responsibility bezieht sich dabei vornehmlich auf die Art der Unternehmensführung, die „auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in [die] Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern“ (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2001, 7) integriert. Sozial verantwortliches Handeln geht für die Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2001, 7) „über die bloße Gesetzeskonformität hinaus“ und umfasst Mehrinvestitionen in „Humankapital, in die Umwelt und in die Beziehungen zu anderen Stakeholdern“. Unternehmen eröffnen „sich damit neue Wege der Bewältigung des Wandels und neue Möglichkeiten, soziale Errungenschaften mit der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit in Einklang zu bringen“ (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2001, 7). Eine Befragung der „100 besonders wachstumsstarken Firmen, die es 2006 in die Endrunde des renommierten Unternehmerpreises Entrepreneur des Jahres geschafft“ hatten, untermauert diese Herangehensweise. Aus dieser ging unter anderem hervor, dass das soziale Engagement der Unternehmen allen Beteiligten etwas bringt. 64 Prozent der befragten Unternehmen waren überzeugt, dass sich soziales Engagement wirtschaftlich auszahlt. Gleichzeitig ist eine Zunahme der Loyalität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie auch deren Motivation zu verzeichnen. Die Mehrheit der Befragten sah den Vorteil in der Steigerung des Unternehmensimages, da die Attraktivität als Arbeit- und Auftraggeber steigt und sowohl Bewerber als auch potenzielle Kunden von dem „sozialen Einsatz auf die Unternehmenskultur und ein angenehmes Arbeitsklima“ schließen. (Presseportal 2007)
Ähnliche Ergebnisse gingen aus einer im April 2009 durchgeführten Befragung von Personalverantwortlichen aus 178 Unternehmen hervor, die in den Jahren 2007 und 2008 zu „Deutschlands besten Arbeitgebern“ zählten. (Hauser 2009) Das Great Place to Work Institute kam dabei zu dem Ergebnis, dass „mehr als die Hälfte der Unternehmen“ davon ausgehen, „dass die Bedeutung der Mitarbeiterorientierung für das Engagement der Beschäftigten und den Unternehmenserfolg künftig weiter ansteigen wird“ (Hauser 2009). Außerdem zeigte sich, dass es den „Beste-Arbeitgeber-Unternehmen“ „auch in der Krise relativ gut“ geht. (Hauser 2009)
Es kann daher konstatiert werden, dass gesellschaftlich engagierte Unternehmen in der Außendarstellung zum einen mit einer positiven Unternehmenskultur und einem angenehmen Arbeitsklima in Verbindung gebracht werden. Zum anderen stellt die Mitarbeiterorientierung einen wichtigen Wettbewerbsvorteil dar, der gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zum Tragen kommt. (Jancik 2002, 27) Die Befragungsergebnisse geben darüber hinaus einen Hinweis darauf, dass das Mehr an Leistungsfähigkeit, Leistungsbereitschaft, Kundenorientierung, Innovation und Gesundheit schließlich die erfolgreichen von den weniger erfolgreichen Unternehmen unterscheiden wird. (Stuppart 2004) Gestaltungskonzepte, die dem Human- und Sozialkapital besondere Bedeutung schenken, gewinnen daher an betriebswirtschaftlicher Bedeutung, so dass starke Humanressourcen die Grundlagen für „gesunde“ Betriebsergebnisse bilden. (Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1986)
Den weltweiten Auftakt für die Stärkung von Humanressourcen in Unternehmen und den damit einhergehenden Gesundheitsförderungsstrategien setzte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 21.11.1986 im Rahmen der ersten Internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung in Ottawa. Die WHO (1986) vertrat unter anderem die Auffassung, dass „die Art und Weise, wie eine Gesellschaft die Arbeit, die Arbeitsbedingungen und die Freizeit organisiert, eine Quelle der Gesundheit und nicht der Krankheit sein sollte“ (Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1986). Die Aufgabe der Gesundheitsförderung besteht in diesem Rahmen darin, „sichere, anregende, befriedigende und angenehme Arbeits- und Lebensbedingungen“ zu schaffen (ENWHP 2007). Elf Jahre später wurden die ersten Grundsätze betrieblicher Gesundheitsförderung mit Unterstützung der Europäischen Kommission von den Mitgliedern des „Europäischen Netzwerks für betriebliche Gesundheitsförderung“ (ENWHP) in Form der „Luxemburger Deklaration“ verabschiedet. Betriebliche Gesundheitsförderung umfasst dieser „Kundmachung“ zufolge „alle gemeinsamen Maßnahmen von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Gesellschaft zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz“ (BKK Bundesverband 1999). Um Unternehmen eine „Hilfestellung für die Planung und Durchführung qualitativ hochwertiger und erfolgreicher Gesundheitsförderungsmaßnahmen“ zu bieten, entwickelten die Mitglieder des ENWHP Qualitätskriterien. Die Auswahl und Darstellung der Qualitätskriterien orientiert sich an dem EFQM[1]-Modell und umfasst unter anderem die Bereiche `Personalwesen und Arbeitsorganisation` sowie `soziale Verantwortung`. Im Rahmen der bereichsspezifisch formulierten Kriterien fordert das ENWHP zum einen, dass Organisationen aktiv gesundheitsbezogene, soziale, kulturelle und fürsorgerische Initiativen unterstützen sollten. Zum anderen weist es daraufhin, dass Vorgesetzte ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterstützen und ein gutes Arbeitsklima fördern sollen. (Walter und Kanning 2003)
Die Relevanz dieser Qualitätskriterien wird unter anderem durch die Studienergebnisse von Walter und Kanning (2003) verstärkt. Ihren Ergebnissen zufolge hat das Vorgesetztenverhalten einen signifikanten Einfluss auf die allgemeine Arbeitszufriedenheit und folglich auf das Verhalten und Wohlbefinden der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Illmarinen und Tempel (2002) konnten in ihren Studien nachweisen, dass eine erhöhte Zufriedenheit mit dem Verhalten des Vorgesetzten oder Vorarbeiters die Arbeitsfähigkeit um das 3,6-fache verbessert, im Vergleich mit denjenigen, die damit unzufrieden waren. Auch Bartlomé (2005) kommt zu dem Ergebnis, dass die Gesundheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in bedeutender Weise mit dem Verhalten der Vorgesetzten zusammenhängt. Vorgesetzte, die ihre Mitarbeitenden unterstützen, ihnen Beachtung schenken und ihnen ein Gefühl der Verlässlichkeit geben, werden, Bartlomé (2005) zufolge, eher gesunde Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrer Belegschaft vorfinden. Weitere Studien zeigen, dass mitarbeiterorientiertes Führungsverhalten mit einer deutlichen Reduktion der Fehlzeiten einhergehen kann (Fleischmann; Harris und Burt (1955); Johns (1978); Przygodda, Arentz, Quast und Kleinbeck (1991), Schmidt (1996); Priemuth (2004); Bartlomé (2005) In: (Schwarzer und Leppin 1989).
Die soziale Unterstützung stellt demzufolge eine zentrale Ressource am Arbeitsplatz mit empirischer Bestätigung dar. (Badura, Greiner, et al. 2008) In Längsschnittuntersuchungen von Frese (1991) und Semmer (1991) konnte beispielsweise nachgewiesen werden, dass Arbeiter, die hohen Stressoren ausgesetzt waren, aber nur wenig soziale Unterstützung erhielten, zu 57 Prozent angaben, an starken psychosomatischen Beschwerden zu leiden. Bei Arbeitern, die hingegen auf hohe soziale Unterstützung zurückgreifen konnten, sank der Prozentsatz auf 17 Prozent. Der Prozentsatz war damit genauso niedrig wie bei jenen Arbeitern, die nur geringen Stressbedingungen ausgesetzt waren. „Soziale Unterstützung puffert also die Wirkung der Stressoren ab, wobei die deutlichsten Moderatoreffekte bei der Unterstützung durch Vorgesetzte und (Ehe-)PartnerInnen gefunden werden. Nicht ganz so bedeutende Effekte zeigt die Unterstützung durch Kollegen, Freunde, Bekannte oder Verwandte“ (Naidoo und Wills 2003). La Roco (1978) kommt nach seinen Befunden hingegen zu dem Ergebnis, dass die positiven Effekte von Social Support eher den Kolleginnen und Kollegen zugeschrieben werden können. In diesem Forschungsbereich bestehen Widersprüche, auf die es im Laufe dieser Arbeit weiter einzugehen gilt.
In Anbetracht der betriebswirtschaftlichen Relevanz sozialer Unterstützungsressourcen und Konzepte, wie dem der sozialen Verantwortung von Unternehmen, wird in dieser Arbeit der Blick auf die persönliche und soziale Ressource „soziale Unterstützung“ gerichtet. Da die interpretative Basis für Social-Support-Prozesse soziale Beziehungen darstellen (Lenz und Nestmann 2009), werden zunächst die theoretischen Grundlagen sozialer Beziehungen dargestellt, gefolgt von den theoretischen Grundlagen sozialer Unterstützung. Die Konstrukte werden am Beispiel berufstätiger Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten näher untersucht, wodurch eine konzeptionelle Einbettung in das betriebliche Setting erforderlich wird. Aus diesem Grund werden in einem nächsten Schritt das Sozialkapital und die Bedeutung für die Gesundheit von Beschäftigten kurz dargestellt. Abrundend stellt sich die Frage nach der gesundheitlichen Situation von berufstätigen Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten in Deutschland, zu der hier aktuelle Forschungsergebnisse ebenfalls kurz dargestellt werden.
In Kapitel 3.1 werden die Forschungshypothesen theoriebasiert hergeleitet und das Analysemodell dargestellt. In den Kapiteln 3.2 bis 3.4 werden die methodische Vorgehensweise der Querschnittsstudie sowie die Methodik der Datenauswertung beschrieben. In Kapitel 4 finden die Hypothesentestung und Ergebnisdarstellung, nach der in Kapitel 3 beschriebenen Methodik statt, die in Kapitel 4.5 zusammengefasst und in Kapitel 5 mit Blick auf ihren wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt diskutiert, sowie Ansatzpunkte für zukünftige Forschungsarbeiten herausgearbeitet werden.
2 Kapitel 2: Theoretischer und empirischer Hintergrund
Mit Blick auf die nachhaltige wirtschaftliche Beständigkeit von Unternehmen in Deutschland und dem zunehmenden Einfluss des demographischen Wandels, der damit einhergehenden Alterung der erwerbstätigen Bevölkerung und des Fachkräftemangels, gewinnen Gestaltungskonzepte, die dem Human- und Sozialkapital ein stärkeres Gewicht einräumen, zunehmend an Bedeutung. So kann es als empirisch und auch praktisch bestätigt angesehen werden, dass starke Humanressourcen die Grundlagen für gesunde Betriebsergebnisse bilden, die gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zum Tragen kommen. (Jancik, 2002; Weltgesundheitsorganisation, 2015)
Das gilt auch für Heil- und Hilfsmittelerbringer im deutschen Gesundheitswesen, wie die Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten. Denn hier werden nicht nur die zu versorgenden Patientinnen und Patienten im Versorgungssystem älter und damit therapiebedürftiger, sondern auch die Therapeutinnen und Therapeuten selbst. Sie erreichen in wenigen Fällen das gesetzliche Rentenalter und scheiden entweder vorher gesundheitsbedingt aus oder orientieren sich im Vorfeld beruflich neu. So geht aus den vorliegenden Daten der Deutschen Rentenversicherung Bund (2015) hervor, dass von den erfassten Rentenzugängen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit die Berufsgruppe der „Masseure, Krankengymnasten und verwandten Berufe“ insgesamt ähnlich hohe Zugangsquoten erreicht, wie die Berufsgruppe der „Krankenschwestern, -pfleger und Hebammen“ und beide Berufsgruppen mit rund 40 % über der Zugangsquote der Berufsgruppe „Ärzte“ liegen. Darüber hinaus liegen die Quoten wegen voller Erwerbsminderung der ersten beiden Berufsgruppen ähnlich bei 73,8 % bis 75,5 % und liegen damit unter dem Bundesdurchschnitt (81,7 %). Über die dargestellte Erwerbsminderungsstatistik hinaus, wechseln viele vollzeitbeschäftigte Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten jedoch vorzeitig ihr Tätigkeitsfeld, da sie sich nicht vorstellen können, ihrer Arbeit bis zum 67. Lebensjahr in demselben Arbeitsumfang nachgehen zu können. Diese Einschätzung aus der täglichen Praxis wird durch die Studienergebnisse von Pavlakis, Raftopoulos und Theodorou (2010), Campo und Darragh (2010), Campo , Weiser und Koenig (2009) sowie Lindsay, et al. (2008) untermauert, so dass vermutet werden kann, dass die aufgeführten Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur einen Teilbereich abbilden und wesentlich höher ausfallen würden, wenn ein Teil der Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten nicht frühzeitig einen Arbeitsplatzwechsel vornehmen würde.
Weiterhin waren im Jahr 2011 knapp 21 % der Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten 50 Jahre alt und älter. (Statistisches Bundesamt 2015) In Kombination mit dem Ausbildungsrückgang der Therapeuten und dem steigenden therapeutischen Bedarf in Deutschland, droht perspektivisch nicht nur ein Personalmangel innerhalb der Physiotherapie, sondern auch eine therapeutische Unterversorgung im deutschen Gesundheitswesen. (Therapeutenonline 2015) Hinzu kommt die „prekäre wirtschaftliche Situation vieler Praxen“ (Deutscher Verband für Physiotherapie (ZVK) e.V. 2015), die diese Entwicklung zusätzlich beeinträchtigt.
Vor diesem Hintergrund steht das deutsche Gesundheitswesen vor der Herausforderung, den demographisch bedingten wachsenden Bedarf an physiotherapeutischen Interventionen durch eine ausreichende Anzahl an Therapeutinnen und Therapeuten sicher zu stellen. Darüber hinaus müssen diese in der Lage sein, ihre Arbeit möglichst bis zum gesetzlichen Rentenalter auszuüben, um den therapeutischen Bedarf zu decken. An dieser Stelle könnten regulierende politische Maßnahmen (wie zum Beispiel die geforderte Erhöhung der Leistungssätze um 38,7 %) positive Effekte bewirken, die jedoch vermutlich nicht ausreichen werden, wenn Therapeutinnen und Therapeuten zukünftig länger (möglichst bis zum Renteneintrittsalter) ihrer Erwerbstätigkeit gesundheitlich nachgehen können sollen. An dieser Stelle sind die jeweiligen ambulanten wie auch stationären Physiotherapieeinrichtungen gefragt, in dem sie das Thema Mitarbeitergesundheit in ihre Betriebsausrichtung und täglichen Abläufe integrieren.
In Anbetracht der betriebswirtschaftlichen Relevanz sozialer Unterstützungsressourcen (Bertelsmann Stiftung und Hans Böckler-Stiftung 2004, 30) wird in dieser Arbeit daher der Schwerpunkt auf die Unternehmensressource Mitarbeiter gerichtet, mit dem konkreten Fokus auf seine sozialen Ressourcen „soziale Beziehungen“ und „soziale Unterstützung“ und deren Einfluss auf die Gesundheit. So hat unter anderem das Netzwerkkapital eines Unternehmens (im Sinne des Sozialkapitalansatzes nach Badura et al. 2013, 50) einen maßgeblichen Einfluss auf die Gesundheit, Motivation, Lebensqualität und Leistungsfähigkeit von Beschäftigten und beeinflusst somit direkt die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse. Besonders entscheidend ist hierbei die Qualität der sozialen Beziehungen in der Belegschaft, wie zum Beispiel das Ausmaß der sozialen Unterstützung (die Bereitschaft, sich füreinander einzusetzen und sich gegenseitig zu helfen). (Badura, Greiner et al. 2013, 51) Soziale Beziehungen übernehmen demzufolge eine wesentliche Funktion in der Regulation von Wohlbefinden sowie der Etablierung und Aufrechterhaltung von Gesundheit und Lebensqualität. Neben den situational interaktiven Kontexten stellen sie eine reale und interpretative Basis von sozialen Unterstützungsprozessen dar. (Laireiter 2009, 96) Der soziale Rückhalt als Funktion sozialer Netzwerke und die soziale Unterstützung aus sozialen Netzwerken sind wiederum eng in persönliche Beziehungskonstellationen eingebunden und nur aus diesen heraus zu verstehen. (Lenz und Nestmann 2009, 15)
Vor diesem Hintergrund werden in dieser Arbeit speziell die sozialen Beziehungen und die soziale Unterstützung von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, als Bausteine des Netzwerkkapitals und der Treiberfaktoren, untersucht und ihr Einfluss auf den Frühindikator „Gesundheit“ (psychisches Befinden (allgemeines Wohlbefinden, depressive Verstimmung, etc.) und physisches Befinden (das Vorhandensein bzw. Fehlen körperlicher Einschränkungen, die Prävalenz psychosomatischer Beschwerden, etc.)) analysiert.
2.1 Soziale Beziehungen
Menschen sind soziale Wesen. Als solche streben sie danach, über soziale Beziehungen zu anderen Menschen ihre Sozialität und ihre soziale Integration zu erhalten und zu sichern. (Lenz und Nestmann 2009, 9) Unter sozialen Beziehungen werden hierbei menschliche Beziehungen zwischen mindestens zwei Personen verstanden. Gemäß Wiswede (2004) wird jede Form permanenter Interaktion ganz allgemein als Beziehung bezeichnet. Gemäß Lenz und Nestmann (2009) ermöglichen und prägen sie das „Leben von Geburt bis zum Tod“ und durchziehen alle Lebensbereiche – im privaten wie im öffentlichen Raum. Sie sind daran maßgeblich beteiligt, dass der Mensch in der Lage ist, seine Persönlichkeit in Bezug auf andere und mit anderen Menschen zu entwickeln und eigene Potenziale zu entfalten. In sozialen Beziehungen entwickeln Menschen ihr Bild von der Welt und ihrem Selbst in dieser. Sie vermitteln die Sicherheit, zu dem eigenen sozialen Mikrokosmos zu gehören und ermöglichen es zugleich, neue soziale Räume zu erschließen. Soziale Beziehungen sind nicht statisch, sondern verändern sich im Laufe des Lebens hinsichtlich ihrer Qualität, ihrer Inhalte, Strukturen, Funktionen, Prioritäten und Relevanzen gegenüber anderen Personen. So können sie „fördernde und einschränkende, schützende und schädigende, hilfreiche und belastende Wirkungen haben“, Entwicklungsspielräume eingrenzen, Entfaltungsmöglichkeiten verhindern, aber auch zu einer größeren persönlichen Autonomie aus einer gesicherten Bindung heraus verhelfen. (Lenz und Nestmann 2009, 9)
2.1.1 Merkmale sozialer persönlicher Beziehungen
Soziale Beziehungen werden nach Lenz und Nestmann (2009, S. 10f.) durch fünf wesentliche Merkmale geprägt: Erstens: durch das Moment der personellen Unersetzbarkeit. Personen einer persönlichen Beziehung sind an eine Rolle (z.B. als Elternteil, als Kind) gebunden und nicht austauschbar. Die persönliche Beziehung endet mit dem Ausscheiden einer Person und kann durch eine neue persönliche Beziehung abgelöst nicht aber ersetzt werden. Stirbt ein Elternteil, endet die Rolle des Kindes ebenso wie die des Partners in der Paarbeziehung. Anders verhält es sich in Organisationen. Diese differenzieren zwischen Person und Position, so dass eine Organisation im Normalfall auch nach einem Personalwechsel weiter Bestand hat. In diesem Fall endet konkret eine informelle persönliche Beziehung zwischen Kolleginnen und Kollegen, die zum Beispiel durch Sympathie, Wohlwollen und gute Zusammenarbeit geprägt oder auch durch Abneigung und Konkurrenz gekennzeichnet gewesen sein kann. Die formelle Kolleg/innenrolle bleibt erhalten, sobald ein neuer Kollege / eine neue Kollegin eingestellt wird. (Sieckendick 2009, 472) Die Unersetzbarkeit von Personen in (informellen) persönlichen Beziehungen kann nach Huinik (1995) in einer einmaligen Weise dafür sorgen, das Grundbedürfnis nach persönlicher Fundierung zu befriedigen. Persönliche Beziehungen zeichnen sich zum Zweiten nach Lenz und Nestmann (2009, 11) durch die Fortdauer-Idealisierung aus. Sie sind darauf angewiesen, in Interaktionen fortgesetzt und aktualisiert zu werden. Im Unterschied zur „herkömmlichen Interaktion“ zeichnen sich persönliche Beziehungen durch „Kontinuität“, „Dauerhaftigkeit“ und dem „pragmatischen Motiv“ aus, diese Beziehung auf absehbare Zeit fortzusetzen. Ein weiteres Merkmal persönlicher Beziehungen besteht in dem Vorhandensein eines persönlichen Wissens. In einer persönlichen Beziehung hat „in der gegenseitigen Wahrnehmung die persönliche Identität Vorrang vor der sozialen Identität“. Das an „die Einzigartigkeit der Person gebundene Wissen (persönliches Wissen)“ dominiert in dieser Beziehung über ein an „die soziale Typik gebundenes Wissen (z.B. die soziale Rolle des Studenten, des Professors, des Arbeitgebers etc.)“. Dieses Merkmal unterscheidet persönliche Beziehungen von Rollenbeziehungen, die auf einer bloßen sozialen Kategorisierung aufbauen. Ein viertes Merkmal stellt die emotional fundierte gegenseitige Bindung der Beziehungspersonen dar, die durch die kontinuierliche Fortsetzung einer Beziehung entsteht. „Die Beziehungspersonen „stehen einander nahe“, „sorgen“ oder „freuen“ sich füreinander oder leiden miteinander“ (Lenz und Nestmann 2009). Allerdings umfassen persönliche Beziehungen nicht nur positive Emotionen, sondern können auch durch negative Emotionen wie Hass, Rachegefühle oder Eifersucht geprägt sein. Zum Fünften werden persönliche Beziehungen durch eine ausgeprägte Interdependenz geprägt. Diese entsteht durch die gegenseitige Beeinflussung der an einer persönlichen Beziehung beteiligten Personen und gewinnt durch „das persönliche Vertrautsein und die emotionale Bindung“ über einen relativen Zeitraum hinweg eine besondere Ausprägung. Die Interdependenz erleichtert in einem hohen Maße in Kontakt miteinander zu treten. Das persönliche Wissen von dem anderen, das Wissen darum, was man voneinander zu erwarten hat, erleichtert den Zugang sowie den Umgang miteinander. In Bezug auf Arbeitsbeziehungen sind persönliche Beziehungen in einem auf relative Dauer gestellten beruflichen und professionellen Kontext durch das gegenseitige Generieren von persönlichem Wissen nahezu unvermeidlich. In Anbetracht der im Rahmen von persönlichen Beziehungen bestehenden positiven und negativen Emotionen können Arbeitsabläufe durch diese erleichtert, im ungünstigen Fall allerdings auch beeinträchtigt werden. (Lenz und Nestmann 2009, 12)
Laut Lenz und Nestmann (2009) erstrecken sich persönliche Beziehungen auf private und berufliche Lebensbereiche und weisen eine Vielzahl an Formen und Strukturtypen auf. Sie zeigen sich unter anderem in Familienkonstellationen (z.B. Eltern-Kind-Beziehung, Zweier- oder Paarbeziehungen), Freundschafts-, Nachbarschafts- oder Arbeitsbeziehungen. „Eine persönliche Beziehung ist [dabei stets] in ein Beziehungsgefüge [eingebettet und] Element eines sozialen Netzwerkes“. Die Verbindung aller persönlichen Beziehungen zu einem „sozialen Beziehungssystem“ bildet ein „soziales Netzwerk“. Dieses ist durch direkte und indirekte, formelle und informelle Beziehungen zu und zwischen anderen Personen geprägt, aus denen komplexe Beziehungsmuster von Menschen hervorgehen. (Lenz und Nestmann 2009, 12f.)
2.1.2 Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz
Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz zeichnen sich dadurch aus, dass Menschen durch äußere Umstände zusammen gebracht werden. „Sie sind nicht Selbstzweck, sondern ein Mittel, um Aufgaben, Produkte, Leistungen und Erfolge zu schaffen. Beziehungen im Arbeitsfeld müssen daher bewusst gestaltet und genutzt werden“ (Neuberger und Kompa 1993 In: Heidbrink, Lück und Schmidtmann 2009).
Bedenkt man, dass „die meisten Männer und eine [zunehmende] Anzahl von Frauen“ die meiste Zeit ihres Lebens am Arbeitsplatz verbringen – bei sieben bis acht Stunden pro Arbeitstag vom 18. bis zum 65. Lebensjahr sind das nahezu 100.000 Stunden – nehmen Sozialkontakte am Arbeitsplatz einen durchaus bedeutsamen Stellenwert im Laufe des Lebens von Beschäftigten ein. (Heidbrink, Lück und Schmidtmann 2009) So konnte bereits 1985 durch Stewart gezeigt werden, dass der Arbeitsplatz neben der engsten Familie das zweitwichtigste soziale Umfeld für in Beschäftigung stehende Menschen ist. (Stewart 1985)
Das Besondere an Beziehungen zwischen Arbeitskolleginnen und -kollegen liegt in der ausgeprägten Organisiertheit des sozialen Kontextes, so dass Beziehungen gemäß Neuberger und Kompa (1993) durch folgende Merkmale gekennzeichnet sind:
a. Sie sind zum einen eingebettet in einen größeren sozialen Kontext (wie zum Beispiel eine Arbeitsgruppe, Abteilung, Bereich, Unternehmen oder Kunden, Zulieferer, Kooperationen etc.) und
b. werden zum anderen fremdbestimmt durch allgemeine Regeln sowie durch spezielle Vorgaben von Vorgesetzten.
c. Sie sind zudem geprägt durch partielle Intransparenz von Vorgängen und Beziehungen in der Organisation und
d. mit Leistungsanforderungen sowie der regelmäßigen Leistungsbeurteilungen und davon abhängigen Belohnungen (Entgelt, Beförderung etc.) verbunden.
e. Weiterhin herrscht vornehmlich ein Klima der Sachorientierung statt Emotionalität
f. und innerhalb der Belegschaft Konkurrenz um Ressourcen.
Im Rahmen der Arbeit findet ein Großteil der Tätigkeiten unter Kolleginnen und Kollegen statt, die Anordnungen erhalten oder erteilen, die miteinander zusammenarbeiten und verhandeln oder Unterstützung gegeben. Heidbrink et al. (2009) differenzieren hierbei zwischen formellen und informellen Kontakten. Während formelle Kontakte (z.B. zu Vorgesetzten) in der Struktur der Organisation begründet sind, werden informelle Kontakte (z.B. zu Kolleginnen und Kollegen in der Mittagspause) selbst gewählt und können zu Freundschaften erwachsen. Informelle Beziehungen in der Organisation haben im Vergleich zu formellen Beziehungen häufig Auswirkungen auf die Arbeit selbst, die für die Unternehmensführung nicht immer sichtbar sind. Es werden hierbei zwei Arten gemeinsamer Aktivitäten mit Arbeitskolleginnen und -kollegen unterschieden, die eng miteinander verbunden sind: Erstens die Kooperation über die Arbeit und zweitens die gesellige Gemeinsamkeit, die zusammen die Grundlage für erfolgreiche Arbeitsteams bilden. In diesem Kontext ist (Kirmeyer 1988) anzuführen, der zwischen arbeitsbezogenen und nicht-arbeitsbezogenen Interaktionen unterscheidet. Arbeitsbezogene Interaktionen betreffen danach die unmittelbare Arbeitsaufgabe und beinhalten Dinge wie Arbeitsanweisungen auszuführen, Unterstützung anzufordern, aufgabenrelevante Informationen auszutauschen und auf Kritik bezüglich der Arbeitsweise zu reagieren. Nicht-arbeitsbezogene Interaktionen umfassen stattdessen informelle Verhaltensweisen wie Witze machen, gegenseitiges Aufziehen, Informationen über Sport und Freizeit austauschen oder über die Familie zu sprechen. Für den Arbeitsprozess sind beide Interaktionsarten bedeutsam. Während die eine der Erreichung einer erfolgreichen Zusammenarbeit dient, zielt die andere darauf ab, soziale Beziehungen zu knüpfen, indem über die Arbeit hinausgehende Interessen entdeckt und gegebenenfalls gepflegt werden. Die Sympathie zwischen zwei Interaktionspartnern wird dabei umso größer, je mehr ähnliche Attribute, ähnliche Wertvorstellungen und gemeinsame Interessen festgestellt werden. (Heidbrink, Lück und Schmidtmann 2009) Durch das gemeinsame Teilen von Meinungen, Erwartungen, Werten und Annahmen entsteht schließlich eine Arbeitskultur am Arbeitsplatz, die wiederum Einfluss auf die Ausgestaltung der sozialen Beziehungen nimmt. (Hatch 1993) Je nach Ausgestaltung dieser können sich „Arbeitsbekanntschaften“, „Arbeitsfreundschaften“ und „private Freundschaften“ entwickeln. (Henderson und Argyle 1985) Arbeitsbekanntschaften sind weder durch Sympathie oder Antipathie gekennzeichnet. Sie sind eher oberflächlich und aufgabenorientiert und der Ebene der formellen Kontakte zuzuordnen. Arbeitsfreundschaften zeichnen sich durch das Pflegen sozialer Kontakte und ein höheres Maß an Offenheit aus, jedoch ohne sich privat zu treffen. Kolleginnen und Kollegen, die eine seher enge persönliche Beziehung zueinander aufgebaut haben und auch sozialen Treffen außerhalb des Arbeitskontextes nachgehen, werden als private Freunde eingestuft. Unabhängig davon, ob Kolleginnen und Kollegen eine formelle oder informelle Beziehung zueinander haben, vermitteln arbeits- und nicht-arbeitsbezogene Interaktionen persönliche Zufriedenheit. (Heidbrink, Lück und Schmidtmann 2009) In diesem Kontext ist das Ergebnis einer Befragung von Produktionsarbeitern durch Argyle und Henderson (1986) anzuführen, nach welcher sowohl die Zusammenarbeit als auch das gesellige Beisammensein im Betrieb mit privaten Freunden und Freunden am Arbeitsplatz insgesamt zu mehr Zufriedenheit führen. Gleiches gilt auch für Arbeitsbekanntschaften. Maßgeblich ist hierbei die gegenseitige Unterstützung, die oft auf der Basis von Austauschgerechtigkeit über das formal Notwendige hinausgeht. (Heidbrink, Lück und Schmidtmann 2009)
Beziehungen zwischen Kolleginnen und Kollegen und die Art und Weise ihrer Zusammenarbeit und Kommunikation werden stark durch die Hierarchie in einer Organisation beeinflusst. So können sich gleichrangige Kolleginnen und Kollegen innerhalb einer Arbeitsgruppe zum einen helfen, zum anderen können sie aber auch um Ressourcen oder einen hierarchischen Aufstieg konkurrieren. Streitereien, persönliche Rivalität und Machtspiele in einer Arbeitsgruppe gehen zu Lasten der Arbeitsqualität und Schnelligkeit der Gruppe. Aus diesem Grund pflegen gleichrangige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Organisation oft informelle Kontakte, um Dinge „auf dem kurzen Dienstweg“ zu erledigen und Informationen auszutauschen. Im Gegensatz zu gleichrangig gestellten Kolleginnen und Kollegen erweist sich die Gestaltung informeller persönlicher Beziehungen zwischen Beschäftigten mit unterschiedlichem Status, aufgrund der Machtposition des Ranghöheren, als schwieriger. Kolleginnen und Kollegen auf derselben Hierarchieebene sind meistens Rivalen und ihre Untergebenen sollen nicht den Respekt vor ihnen verlieren. (Argyle und Henderson 1986)
Vor diesem Hintergrund haben Wish, Deutsch und Kaplan (1976) eine Differenzierung nach je zwei orthogonal angeordneten Beziehungsdimensionen vorgenommen, auf denen sich die verschiedenen Arten von Arbeitsbeziehungen darstellen lassen (siehe Abbildung 1 und Abbildung 2) (Wish, Deutsch und Kaplan 1976):
(1) Gleichheit und Kooperation
(2) Formalität und Enge der Beziehung
Abbildung 1: Beziehungsdimensionen: Gleichheit und Kooperation, nach Wish et al. (1976) In: (Argyle und Henderson 1986, 303)
Demnach werden Beziehungen zwischen Vorgesetzten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beispielsweise als ungleich, aufgabenorientiert, formell, konkurrierend und feindselig beurteilt oder auch als gleichberechtigt, kooperativ, freundschaftlich, formell-aufgabenorientiert sowie gesellig-emotional/informell. (siehe Abbildungen 1 und 2). (Wish, Deutsch und Kaplan 1976)
Diese werden gemäß Abbildung 1 als tendenziell ungleich, etwas konkurrierend und feindselig sowie tendenziell als oberflächlich und gemäß Abbildung 2 als formell-aufgabenorientiert beschrieben. Auffällig hierbei ist, dass diese Merkmalsausprägungen sich nicht erheblich von den sozialen Beziehungen zwischen Herr und Knecht sowie Gefangener und Aufseher unterscheiden. In diesem Kontext wäre es interessant, inwieweit diese Merkmalszuschreibungen der sozialen Beziehung zwischen Vorgesetzten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem Jahr 1976 noch heute aktuell sind und ob sich möglicherweise im Schnitt eine Positionsverschiebung in Richtung kooperativ und freundschaftlich vollzogen hat. Die Merkmalszuschreibungen von Arbeitskolleginnen und -kollegen als gleichberechtigt, kooperativ, freundschaftlich und grafisch zwischen den Polen aufgabenorientiert / formell sowie gesellig-emotional / informell positioniert, sind vermutlich nach wie vor aktuell. Allerdings bedarf es auch hier einer wissenschaftlichen Überprüfung.
Abbildung 2: Beziehungsdimensionen: Formalität und Enge der Beziehung, nach Wish et al. 1976 In: (Argyle und Henderson 1986, 304)
So besteht gemäß Frese (1982) eine wesentliche Bedeutung der Berufsrolle darin, existentielle materielle wie auch soziale Bedürfnisse zu befriedigen, die eigene individuelle und soziale Identität zu finden sowie die eigenen Kompetenzen zu erfahren und kennenzulernen. Auf diese Weise nimmt die Arbeitstätigkeit nicht nur einen zentralen Einfluss auf das Selbstwerterleben von Beschäftigten (Frese 1982), sondern auch auf die Interaktionsbeziehungen innerhalb und außerhalb des Arbeitslebens. So können zum Beispiel bestimmte Arbeitstätigkeiten oder die zeitliche Arbeitsstruktur das Zustandekommen von sozialen Beziehungen begünstigen oder auch hemmen. So haben beispielsweise Beschäftigte mit einem wechselnden Tagesrhythmus, wie Schichtarbeiter, häufig Schwierigkeiten soziale Beziehungen zu pflegen. Aber auch der Arbeitsinhalt und der strukturelle Ablauf der Arbeitstätigkeit können die Kontakthäufigkeit und die Kontaktintensität zwischen Arbeitskolleginnen und -kollegen während der Arbeitszeit positiv oder negativ beeinflussen, zum Beispiel durch Teamarbeit, Kundenkontakte oder gar keine Kontakte aufgrund von Einzelarbeit oder Lärm. (Heidbrink, Lück und Schmidtmann 2009) Darüber hinaus hat der ausgeübte Beruf einen Einfluss, mit welchen Berufsträgern sich Beschäftigte in ihrer Freizeit häufiger treffen und mit welchen eher weniger bis gar nicht. (Tajfel 1982) So stellten Gaska und Frey bereits 1993 fest, dass im informellen sozialen Setting eher akademische Berufsgruppen mit akademischen Berufsgruppen und nicht-akademische Berufsgruppen mit nicht-akademischen Berufsgruppen miteinander in Beziehung treten, so dass Ärzte beispielsweise in ihrer Freizeit weniger mit Pflegekräften korrespondieren. (Gaska und Frey 1993)
Soziale Beziehungen zu Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzten am Arbeitsplatz können zum einen mit einem geringeren Stressempfinden und einem geringeren Beschwerdeniveau einhergehen. Sie können aber auch eine Quelle von negativem Stress darstellen, zum Beispiel durch mangelnde Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten, Gruppendruck bei Akkordarbeit, schwierige Kolleginnen und Kollegen im Team, sexuelle Belästigung oder auch Mobbing. Können arbeitsbedingte Konflikte nicht während der Arbeit geklärt werden, kann sich das dadurch entstandene Missempfinden nicht nur auf die eigene Gesundheit, sondern auch auf den Umgang mit der Familie und den Freunden auswirken. Das private soziale Umfeld kann auf diese Weise mitbelastet oder auch vernachlässigt werden, wodurch die Qualität der privaten sozialen Beziehungen beeinträchtigt werden kann. Andererseits kann beruflicher Erfolg das eigene Ansehen im Betrieb und auch innerhalb von privaten Beziehungen verbessern. (Heidbrink, Lück und Schmidtmann 2009)
Soziale Beziehungen im Arbeits- wie auch Privatleben können zusätzlich durch soziale Unterstützungsleistungen geprägt sein. Dieses Merkmal wird mit Blick auf die gesundheitlichen Auswirkungen von Beschäftigten als Nächstes näher dargestellt.
2.1.3 Soziale Beziehungen und soziale Unterstützung
Soziale Beziehungen können mit sozialen Regulierungsprozessen, sozialen Normierungen, Belastungen und Konflikten verknüpft sein, ebenso aber auch soziale Integration, sozialen Rückhalt und soziale Unterstützung leisten. Laireiter (2009, 85) zufolge repräsentiert soziale Unterstützung eine zentrale Funktion und ein wesentliches Gestaltungselement sozialer Beziehungen. Soziale Beziehungen und damit soziale Netzwerke übernehmen demnach eine wesentliche Funktion in der Regulation von Wohlbefinden sowie der Etablierung und Aufrechterhaltung von Gesundheit und Lebensqualität. Der soziale Rückhalt als Funktion sozialer Netzwerke und die soziale Unterstützung aus sozialen Netzwerken sind eng in persönliche Beziehungskonstellationen eingebunden und nur aus diesen heraus zu verstehen. Die persönliche Beziehung stellt neben den situational interaktiven Kontexten eine reale und interpretative Basis von Support-Prozessen dar. „Support-Motivationen, -Entscheidungen und -Aktionen sind abhängig und geprägt von der vergangenen, aktuellen und antizipierten Beziehung und Beziehungsinteraktionen“ (Lenz und Nestmann 2009, 15). Aus diesem Grund müssen die Beteiligten (Unterstützungsgeber und Unterstützungsempfänger) auch in ihren spezifischen persönlichen Beziehungen betrachtet werden. Nach Lenz und Nestmann (2009) lassen sich die Formen instrumenteller und emotionaler Unterstützung zunächst scheinbar leicht differenzieren, sofern jedoch der persönliche Beziehungskontext außer Acht gelassen wird. „Ob und wann instrumentelle und emotionale Unterstützungsleistungen ganz entscheidende und möglicherweise sehr viel grundlegendere und weitergehende emotionale Wirkungen“ zeigen, kann allerdings erst unter Berücksichtigung des Beziehungskontextes ersichtlich werden. In diesem Zusammenhang ist die Fragestellung von Rook und Underwood (2000) anzuführen, inwieweit die Dimensionen persönlicher Beziehungen, unabhängig von einer Social-Support-Transaktion, nicht sogar generell und eigenständig Gesundheit und Wohlbefinden fördern, primär durch Gefühle eines intensiven Vertrauens in der Beziehung sowie der Zugehörigkeit und Bindung. Rook und Underwood (2000) begründen ihren Vorschlag damit, dass allein die Gemeinschaft in persönlichen Beziehungen (companionship) Wohlbefinden schafft und Gesundheit, weit über akute stressabpuffernde Unterstützungsleistungen in Problem- und Krisensituationen hinaus, fördert. Zudem regulieren in persönlichen Beziehungen Gemeinsamkeit und Geselligkeit auch potenziell riskantes und Gesundheit gefährdendes Verhalten. Enge persönliche Beziehungen schaffen kontinuierliche Obligationen. Sie stabilisieren auf diese Weise Verhalten, verhindern Selbstschädigung und Devianz. Dieser Präventionseffekt kann nicht nur auf indirektem Wege ohne eine spezifische verbalisierte Aufforderung, sondern, bedingt durch die Existenz von verpflichtender Einbindung, auch auf direktem Wege durch direkte Anweisungen hervorgerufen werden. Die Wirkungen von Gemeinschaft, Gemeinsamkeit und Geselligkeit sind nicht auf die Verhinderung oder Kompensation von Beeinträchtigungen und Störungen begrenzt, sondern ermöglichen zudem ein erhöhtes Wohlfühlen über das `Normallevel` hinaus. Verglichen mit konkreten Support-Leistungen (siehe Kapitel 2.2.1) sind diese eher diffusen und generalisierten, positiven und gesundheitsfördernden Wirkungen von allgemeinem Wohlgefühl in der Gemeinschaft, die Erfahrung von Bezogenheit und Bindung, dem gemeinsamen Erleben anregender und angenehmer Ereignisse etc. allerdings bisher nur wenig erforscht, werden aber von Lenz und Nestmann (2009, 15) als potenziell bedeutsam bewertet.
In diesem Zusammenhang ist die Forderung zum Beispiel von Badr et al. (2001) anzuführen, nach welcher die Social-Support-Forschung und die Personal-Relationship-Forschung verknüpft werden müssen. Es wird kritisiert, dass die Social-Support-Forschung über Jahrzehnte hinweg kritische Lebensereignisse, den Stressbewältigungsprozess und damit Unterstützungsanlässe, -prozesse und -effekte oft sozial losgelöst und als beziehungsfreie Einzelereignisse konzipiert und erfasst hat. Aus diesem Grund sehen Lenz und Nestmann (2009) die Social-Support-Forschung aufgerufen, die eingebetteten persönlichen Beziehungskontexte als entscheidenden Rahmen für das Zustandekommen und die Wirkung sozialer Unterstützung zu berücksichtigen. Mit Ausnahme einer Interaktion unter Fremden bilden alltägliche persönliche Beziehungskonstellationen den Hintergrund, auf dem soziale Unterstützung in Problem- und Krisensituationen erfolgt und ausgetauscht wird. Denn erst durch die Berücksichtigung der persönlichen Beziehungen lässt sich häufig feststellen, „wie und wann eine Person von einer anderen als hilfebedürftig erachtet wird, durch wen, wann und in welcher Form Hilfeleistungen durch die Beteiligten erwartet und gewährt werden, wie Unterstützung und Rückhalt von Helfer und Hilfeempfänger wahrgenommen und interpretiert werden und mit welcher Wirkung auf Gesundheit und Wohlbefinden der Unterstützungsprozess schließlich abläuft und endet“ (Duck et al. 1991). Neben situational interaktiven Kontexten bilden persönliche Beziehungen die interpretative Basis von Social-Support-Prozessen. Denn ob sich eine Person einer anderen öffnet und an wen sie sich aus ihrem sozialen Netzwerk wendet, wenn sie Rückhalt und Hilfe benötigt, hängt schließlich von den jeweiligen Merkmalen der persönlichen Beziehung ab. (Lenz und Nestmann 2009, 14)
2.1.4 Soziale Beziehungen und soziale Unterstützung in der Arbeitswelt
Im Jahr 2009 waren in Deutschland von den 82 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern etwa 43 Millionen Menschen erwerbstätig, darunter etwa 27 Millionen in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis. Von den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten arbeiteten 81 Prozent (davon 63 Prozent Männer) in Vollzeit und 19 Prozent (davon 68 Prozent Frauen) in Teilzeit. (Statistisches Bundesamt 2010) Eine Vielzahl von Menschen verbringt demzufolge einen Großteil ihrer wachen Zeit mit ihren Kolleginnen und Kollegen. Im Falle von Vollzeitbeschäftigten übertrifft die Arbeitszeit zum Teil die Zeit, die sie mit ihren Lebensgefährten, Familienangehörigen oder Freundinnen und Freunden verbringen (können). Bei Überstunden und Schichtarbeit verringert sich die gemeinsame Zeit mit privaten Bezugspersonen womöglich noch weiter. (Huinik 1995, 465) Die zeitliche Dauer des täglichen Kontaktes sagt allerdings noch nichts über die Qualität, Intensität und Bedeutung der persönlichen Beziehungen am Arbeitsplatz aus. So werden Kolleginnen und Kollegen in Studien zu individuellen Beziehungssystemen oft als weniger eng und primär pragmatisch charakterisiert. (Henderson und Argyle 1985) Aus einem Resümee diverser Studien der 1980er Jahre von Nestmann (1988) ging beispielsweise hervor, dass sich Beziehungen zwischen Kolleginnen und Kollegen oft auf Beistand in Angelegenheiten beschränken, die den Arbeitsplatz betreffen. Allerdings können sie hierbei gegenüber arbeitsbezogenen Belastungen und beim Bewältigen von Stress am Arbeitsplatz eine recht wichtige Pufferrolle einnehmen. Wie wichtig der alltägliche Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen sein kann, zeigt Vogel (2000) in seiner Untersuchung. Nach dieser trägt der Verlust der Beziehungen am Arbeitsplatz mit einhergehender Arbeitslosigkeit deutlich zu einer reduzierten Lebenszufriedenheit und selbst zu Krankheit bei. Für persönliche Beziehungen zu Kolleginnen und Kollegen trifft für Sickendieck (2009) zu, was Diewald (1991) für Freundschaften feststellte: „Sie können in den persönlichen Netzwerken bestimmter Gruppen einen zunehmenden Stellenwert bekommen und zum Teil andere Beziehungen (wie Verwandtschaft, Nachbarschaft) substituieren.“
Den Zusammenhang zwischen kollegialen Beziehungen und Stressempfinden untersuchten Henderson und Argyle (1985) in den 1980er Jahren. Auf dieser Grundlage entwickelten sie eine instruktive Systematik persönlicher Beziehungen und Unterstützungsleistungen unter Kolleginnen und Kollegen, wobei sie von drei Dimensionen sozialer Unterstützung am Arbeitsplatz ausgingen: (1) praktisch-greifbar, (2) informationsbezogen und (3) sozial-emotional. Sie fanden heraus, dass je nach Beziehung ein Austausch von Social Support nicht nur in einer Dimension, sondern auch in zwei oder allen drei Dimensionen erfolgen kann. Die geleistete Unterstützung bezog sich dabei sowohl auf arbeits- als auch privatbezogene Anliegen. Als Unterstützungsquellen wurden vier Kategorien von Kolleg/innenbeziehungen unterschieden: (1) der/die soziale Freund/in: Hierbei handelt es sich um Kolleg/innen, mit denen Freundschaft geschlossen wurde und mit denen sich auch außerhalb der Arbeit im privaten Umfeld getroffen wird. (2) der/die Freund/in bei der Arbeit. Hier sich die Kolleginnen und Kollegen befreundet und sehen sich ausschließlich während der Arbeit. (3) Neutrale Kolleginnen und Kollegen, mit denen formale und arbeitsbezogene Interaktionen stattfinden und (4) Kolleginnen und Kollegen, zu denen ein eher konflikthaftes Verhältnis besteht, und die als aktiv nicht gemocht eingestuft werden. (Henderson und Argyle 1985)
Es konnte herausgefunden werden, dass Kolleginnen und Kollegen, die über mindestens eine soziale Freundin beziehungsweise einen sozialen Freund am Arbeitsplatz verfügten, mit einem deutlich geringen Stressempfinden bei der Arbeit korrelierten. Häufiges Spaßmachen und Scherzen erwies sich als wesentlich bedeutsamer als häufige ernsthafte Gespräche über persönliche Angelegenheiten. Ein zu hohes Maß an ernsthaften Gesprächen über persönliche Probleme wurde eher als belastend empfunden. Darüber hinaus empfanden die Kolleginnen und Kollegen weniger Stress bei der Arbeit, die auch mit neutralen Kolleginnen und Kollegen scherzten und gelegentlich mit ihnen ein kurzes persönliches Gespräch führten. Im Rahmen von konflikthaften Kolleg/innenbeziehungen wurden häufige Gespräche über Arbeitsangelegenheiten als weniger stressreich empfunden, mit ihnen zu scherzen allerdings eher. Zusammengenommen konnte aus der Untersuchung von Hochschild (2006) festgestellt werden, dass die Personen das geringste Stressempfinden aufwiesen, die freundliche, aber nicht zu intime Themen mit ihren Kolleginnen und Kollegen der Kategorie 1 und 2 teilten. Sie hatten viel Spaß miteinander, äußerten kurze Bemerkungen und gingen zum Beispiel einen Kaffee trinken. (Hochschild 2006)
Kurze vertrauliche Gespräche sind für das Wohlbefinden am Arbeitsplatz von Bedeutung. Zu diesem Ergebnis kam auch die Sozialpsychologin Tschan (2010) in dem Forschungsprojekt „Role transitions and social relationships at work and in private life“. Untersucht wurden junge Erwachsene aus der Elektronikbranche, Krankenpflege und Gastronomie. Knapp drei Viertel der Probanden gaben an, „mindestens einen engen Freund oder eine enge Freundin“ unter ihren Kolleginnen und Kollegen gefunden zu haben. Der Kontakt wurde als bedeutsam empfunden, obwohl zum Teil nur sehr kurze informelle Gespräche, selten mehr als 10 Minuten, stattfanden. Als aufschlussreich wurde die Auswirkung der Anzahl an Interaktionen auf die soziale Unterstützung am Arbeitsplatz eingestuft. „Nicht die arbeitsbezogenen, sondern die Interaktionen mit privaten Themen am Arbeitsplatz, und nicht die Dauer, sondern die Anzahl solcher Interaktionen gehen mit mehr sozialer Unterstützung einher und tragen zur Arbeitszufriedenheit und zu engerer Bindung an die Organisationen bei“ (Tschan 2010). Tschan (2010) konstatiert, dass „kurze private Gespräche zwischen Mitarbeitenden […] im Arbeitsalltag von den Vorgesetzten nicht unterbunden, sondern toleriert werden“ sollten.
Neben den Kolleg/innenbeziehungen untersuchte Tschan (2010) weiterhin die Beziehungen zwischen den Mitarbeiterinnen, Mitarbeitern und Vorgesetzten. Aus ihren Auswertungen ging hervor, dass die gegenseitige Wahrnehmung von Mitarbeiter/innen und Vorgesetzten erstaunlich wenig übereinstimmt. Die Vorgesetzten schätzten ihr Verhältnis zu den Beschäftigten wesentlich positiver ein, als umgekehrt. Zudem entscheidet die soziale Beziehung zum Vorgesetzten entscheidend über die Mitarbeiterbindung oder Wechselbereitschaft dieser. Einen wesentlichen Aspekt der Arbeitszufriedenheit und Unternehmensbindung stellt für Tschan (2010) die bisherige Beschäftigungsdauer dar. „Nach drei Jahren an derselben Stelle ist die Qualität der Beziehung zum Vorgesetzten weit wichtiger für die Entscheidung, im Betrieb zu bleiben, als die Beziehung zu Kolleginnen und Kollegen“ (Tschan 2010). Das Wohlbefinden am Arbeitsplatz wird demzufolge maßgeblich durch die soziale Integration wie auch die Qualität sozialer Kontakte bestimmt.
Untersuchungen zu Geschlechterunterschieden in sozialen Beziehungen und sozialen Unterstützungsstrukturen zeigen, dass entgegen ursprünglichen Annahmen, intensivere persönliche Beziehungen zu Kolleginnen und Kollegen oft durch Frauen geführt werden. Diese beziehen sich neben arbeitsbezogenen Gesprächen auch auf private Angelegenheiten und gehen mit dem Austausch sozialer Unterstützung einher. (Sieckendick 2009) Der Puffereffekt guter persönlicher Beziehungen zu Kolleginnen und Kollegen scheint für Frauen am Arbeitsplatz zu wirken. (Snow, Swan et al. 2003) Im persönlichen Verhältnis zu ihren (männlichen) Kollegen betonen, gemäß Hochschild (2006), viele Männer eher die Kommunikation über Arbeitsangelegenheiten, das miteinander Scherzen oder auch den Austausch instrumenteller Hilfe wie zum Beispiel Tipps in technischen Angelegenheiten. Weinert (2004) geht davon aus, dass für Frauen die sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz wichtiger für die Arbeitszufriedenheit sind als für Männer, die möglicherweise eher auf ihre Karriere ausgerichtet sind. Allerdings ist in diesem Rahmen auf ein Forschungsdefizit in der geschlechterbezogenen Kolleg/innenbeziehung hinzuweisen. (Huinik 1995)
2.1.5 Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz: Forschungsbedarfe in der Social-Support- und Social-Relationship-Forschung
Im Vergleich zu Paarbeziehungen, Familie und/oder Freundschaften finden informelle Kolleg/innenbeziehungen in psychologischen, sozialpsychologischen und soziologischen Studien zu Beziehungsverhältnissen und sozialer Unterstützung nur geringfügige Beachtung. In den meisten Fällen werden sie am Rande erwähnt. Sind sie Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzungen, dann werden sie in der Regel nicht als persönliche Beziehungen benannt und nicht explizit thematisiert. (Laireiter 2009) Studien der 1970er bis 1990er Jahre, nur wenige an ihrer Zahl, liefern zudem uneinheitliche Ergebnisse, zum Beispiel zu Zusammenhängen von Unterstützung, Arbeitsstress oder Arbeitszufriedenheit. (Rook 1985) Zu formellen Beziehungen am Arbeitsplatz erschließt sich ein weitaus umfassenderes Studieninventar, das sich wiederum weitaus häufiger mit den Verhältnissen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden befasst und weniger mit den Verhältnissen unter den Kolleginnen und Kollegen selbst. (Wolf 1998) Gleiches trifft für Studien zum sozialen Klima in Büro- und Fabriksettings zu, die dezentral auf persönliche Kolleg/innenbeziehungen eingehen. (Kienle, Knoll und Renneberg 2006) Bei der empirischen Forschung von persönlichen Kolleg/innenbeziehungen kommt erschwerend hinzu, dass diese in Freundschaften übergehen und dann häufig als solche erfasst werden. Im Hinblick auf geschlechtsspezifische Kolleg/innenbeziehungen liegen ähnliche Forschungsdefizite vor. In Studien zu Arbeitszufriedenheit, Führung, Führungsstilen oder psychischen Belastungen am Arbeitsplatz werden zwar Geschlechtervergleiche einbezogen, doch mangelt es bisher auch hier an aufschlussreichen Studien zu Kooperations- und persönlichen Beziehungen unter Kolleg/innen. (Sieckendick 2009)
2.2 Soziale Unterstützung
Was hat es genau mit dem Konstrukt „soziale Unterstützung“ auf sich? Wie wird soziale Unterstützung definiert, was für Ansätze gibt es, mit welchen Effekten geht soziale Unterstützung einher und auf welche wissenschaftlichen Ergebnisse kann zurückgegriffen werden? Auf diese Fragen sollen in diesem Kapitel Antworten gefunden werden. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf dem Setting „Unternehmen“ / „Arbeitsplatz“, der zusammen mit den Themen „personelle und institutionelle Ressourcen“ und „persönliche Beziehungen in der Arbeitswelt“ die Basis für die abzuleitenden Forschungsfragen dieser Arbeit bildet.
Das „Konzept der sozialen Unterstützung“ hat seinen Ursprung in der Gemeindepsychologie und Sozialepidemiologie und hat in den letzten 20 Jahren Einzug in die Arbeits- und Organisationspsychologie gehalten. Im Zentrum stand die Suche nach psychologischen Vermittlungsmechanismen zwischen Belastungsstrukturen in der sozialen beziehungsweise organisationalen Umwelt sowie der individuellen psychischen Gesundheit. Im Zuge dessen wurde herausgefunden, dass „soziale Unterstützung […] eine positive Funktion bei der Stressbewältigung, für die Prävention von Krankheiten“ und Befindensstörungen sowie für die Aufrechterhaltung der Gesundheit besitzen kann. Für Cohen und Syme (1985) besteht die zentrale Frage darin, welche „inneren“ (personalen) und / oder „äußeren“ (situativen) „Ressourcen einer Person zur Verfügung stehen, um Belastungen zu ertragen [und] zu bewältigen“, um „gesund zu bleiben“ beziehungsweise „nicht krank zu werden“. (Udris 1997, 421)
Aus einer umfangreichen Bibliographie von Laireiter und Baumann (1992) geht hervor, dass der Begriff „soziale Unterstützung“ (social support) von Anfang an unterschiedliche Bedeutungen besaß. Die gemeinsame Grundidee besteht darin, „dass soziale Beziehungen und soziale Interaktionen die grundlegenden Bedürfnisse von Menschen nach Zuneigung, Identität, Sicherheit, Informationen, Rückhalt etc. befriedigen“ (Laireiter 2009, 85). Aus dieser Befriedigung schöpfen Menschen für ihre Lebensbewältigung wiederum Kraft und Stärke, können ihr Befinden stabilisieren und ihre psychische und somatische Gesundheit aufrechterhalten. (Laireiter 2009, 85) Es besteht daher die Annahme, dass „soziale Beziehungen hilfreich und problemlösend die Anpassung an streßreiche Lebensereignisse erleichtern und die Verwundbarkeit für streßbezogene Störungen des psychophysischen Befindens vermindern“. (Rook 1985)
Im Laufe der seit ca. 35 Jahren durchgeführten Studien über „social support“ sind „zahlreiche unterschiedliche Konzepte“ entstanden („z.B. Antonucci & Depner 1982; Caplan 1974; Cobb 1976; Cohen & McKay 1984; Cohen & Syme 1985b; Hobfoll et al. 1992; House 1981; Laireiter & Baumann 1922; Moos & Mitchell 1982; Sarason, Sherian, Pierce & Sarason 1987; Shumaker & Brownell 1984; Sommer & Fydrich 1989, 1991; Thoits 1982, 1985; Wilcox & Vernberg 1985; Wills 1985; Wortmann & Conway 1985“), die sich zum Teil ähneln oder auch in grundsätzlichen Standpunkten unterscheiden. (Wolf 1998, 41f.) In den letzten Jahren haben sich Abgrenzungen herausgebildet, die eine weite Verbreitung gefunden haben. Hierzu zählen insbesondere die qualitativen und quantitativen Merkmale sozialer Interaktionen, die mittlerweile klarer voneinander abgegrenzt sind. Hierbei stellt das soziale Netzwerk (social network) den quantitativen und die soziale Unterstützung (social support) den qualitativen Aspekt sozialer Beziehungen dar. (Kienle, Knoll und Renneberg 2006, 108) Beide Begriffe sind vor allem in der Psychologie eng miteinander verknüpft, obwohl sie zwei sehr unterschiedliche Perspektiven im Hinblick auf das Phänomen „persönliche Beziehungen“ vermitteln, eine analytisch-deskriptive und eine funktionale. (Laireiter 2009, 96) Soziale Unterstützung als Funktion und eine Art Outcome sozialer Netzwerke ist eng in persönliche Beziehungskonstellationen eingebunden und nach Lenz und Nestmann (2009, 15) nur aus diesen heraus zu verstehen. Die Frage nach der Bedeutung des Begriffs „Social Support“ bleibt in vielen Untersuchungen allerdings eher schemenhaft. Der Begriff erscheint zwar intuitiv verständlich, wurde jedoch nicht immer präzise definiert. (Geilenkothen 2005, 8)
In der wissenschaftlichen Literatur wird Social Support hauptsächlich als ein komplexes Phänomen und mehrdimensionales Konstrukt beziehungsweise Metakonstrukt dargestellt oder als sogenannter Omnibusbegriff bezeichnet. Demnach wird „alles, was iregendwie mit der Wirkung zwischenmenschlicher Beziehungen zu tun hat“, meistens unter dem Begriff „Social Support“ zusammengefasst (Vaux 1992, Schwarzer 1992, Laireiter 1993). (Geilenkothen 2005, 11)
Einen Versuch der Präzisierung des Begriffes „soziale Unterstützung“ stellt die Systematik von House (1981) dar, die sich auf vier zentrale Aspekte bezieht: (1) „emotional support“, (2) „appraisal support“, (3) „informational support“ und (4) „instrumental support“. In seiner Definition integriert House (1981) bestimmte persönliche Eigenschaften, die ihm für die Realisierung von sozialer Unterstützung als wichtig erscheinen. Social Support stellt für ihn „eine interpersonelle Transaktion [dar], die eines oder mehrere der folgenden Elemente enthält: (1) emotionale Anteilnahme (Vertrauen, Fürsorge, Liebe, Empathie), (2) instrumentelle Hilfe (Geld, Güter und Dienstleistungen), (3) Informationen (Tipps und Vorschläge als Hilfe zur Selbsthilfe) und (4) Einschätzung (Informationen im Sinne selbstwertrelevanter Orientierungshilfen)“ (House 1981).
Laireiter (2009) versteht soziale Unterstützung als „ein komplexes Phänomen, dass sowohl soziale Rahmenbedingungen im Sinne von Personen oder Gruppen von Personen, die als Ressourcen zur Verfügung stehen, beinhaltet, wie auch soziale Interaktionen, in denen diese Ressourcen und Hilfen vermittelt werden, wie auch soziale Wahrnehmungen, die diese mit dem individuellen Bewusstsein zu führen und so das Gefühl der Unterstütztheit generieren und zur Bedürfnisbefriedigung beitragen“ (Laireiter 2009, 86) Im Sinne einer fortführenden Präzisierung des Begriffes „soziale Unterstützung“ führte Laireiter (1993) eine umfangreiche Literaturrecherche durch. Er fand heraus, dass das Phänomen „soziale Unterstützung“ üblicherweise auf vier Analyseebenen differenziert wird:
1. Unterstützungsmodalitäten (intensionale Taxonomien)
2. Bezugsbereiche (Alltag vs. Krisen)
3. Unterstützungsquellen
4. Unterstützungskonstrukte (extensionale Taxonomien)
Diese Analyseebenen der sozialen Unterstützung werden auf den folgenden Seiten kurz dargestellt:
2.2.1 Unterstützungsmodalitäten
Eine zentrale Frage in der Wissenschaft bezieht sich darauf, welche Austauschprozesse, Wahrnehmungen oder Bedürfnisbefriedigungen Inhalte von Unterstützungsleistungen umfassen müssen, damit sie als unterstützend bezeichnet werden können. (Laireiter 2009, 89) Ausgangspunkt der näheren Konstruktpräzisierung bildeten zum einen zirkuläre, also wieder auf den Ausgangspunkt zurückführende und damit nicht aussagefähige Definitionen (z.B. von Hammer 1973; Lin, Ensel et al. 1979), zum anderen Uneinheitlichkeiten in verschiedenen Präzisierungsversuchen (z.B. House 1981). Infolgedessen wurden eine Reihe von Taxonomien entwickelt, die in drei Klassen eingeteilt werden können: (1) Ad hoc-, (2) theoretische und (3) empirische Taxonomien. Die Ad hoc Taxonomie spielte nur zu Beginn der Forschung eine Rolle, weshalb auf eine weitere Ausführung dieser im Weiteren verzichtet wird. Theoretische Taxonomien orientieren sich an vorhandenen Theorien, wie zum Beispiel der Bindungstheorie (z.B. Sarason, Levine et al. 1983; Vaux 1988) oder den Stress- und Bewältigungstheorien (z.B. Cohen und Hobermann 1983; Lazarus und Folkman 1984). Empirische Taxonomien orientieren sich an wissenschaftlichen Studienergebnissen, wobei die meisten auf die Arbeit von Gottlieb (1978) an schwangeren Frauen zurückgehen. (Laireiter 1993)
Foa (1971) |
Weiss (1974) |
Cobb (1979) |
Cohen und Hobermann (1983) |
Barrera und Ainley (1983) |
House (1981) |
Cutona und Russell (1990) |
Vaux, Riedel & Stewart (1987) |
Liebe |
Sicherheit, Bindung, Nähe |
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„Intimate Interaction“ |
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Zugehörigkeit |
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praktische Hilfen |
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praktische Hilfen |
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gebraucht werden |
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Tabelle 1: Taxonomien sozialer Unterstützung gemäß Laireiter (1993) | U. = Unterstützung
Die wichtigsten theoretisch und empirisch gewonnenen Taxonomien hat Laireiter (1993) zusammen getragen (siehe Tabelle 1). Aus der Übersicht geht hervor, dass zwar die meisten Autoren bereits relativ ähnliche, im Detail jedoch unterschiedliche Einzelphänomene unter dem Unterstützungsbegriff zusammengefasst haben. Ebenso differieren die einzelnen Ansätze hinsichtlich der Anzahl der jeweiligen Unterstützungsleistungen. Aus diesem Grund wurde in der Vergangenheit ständig versucht, aus diesen übergeordnete taxonomische Systeme zu entwickeln. Mit dem Stand von Laireiter (2009) konnte zwar noch keine Konvergenz erzielt, aber eine Einigkeit dahingehend gefunden werden, dass das Unterstützungskonstrukt inhaltlich als mehrdimensional und hierarchisch aufgebaut anzusehen ist.
Welche konkreten Verhaltensweisen verbergen sich hinter sozial unterstützendem Verhalten? Müller und Baumann (1999) versuchen sich der Beantwortung dieser Frage über das Konzept der „Strukturellen Analyse sozialen Verhaltens“ (SASB) zu nähern und beschreiben im Ergebnis folgende Cluster sozial unterstützenden Verhaltens (siehe Tabelle 2):
Cluster 1-1 Autonomie gewähren |
4 Freiheit geben 4 ermutigen 4 vertrauen |
Cluster 1-2 Bestätigen, verstehen |
4 aufmerksam zuhören 4 persönliche Eigenart achten 4 genau verstehen 4 mögen |
Cluster 1-3 Umsorgen, pflegen |
4 liebevoll zuwenden 4 willkommen heißen 4 umarmen 4 einladen 4 fürsorglich sein |
Cluster 1-4 Helfen, beschützen |
4 unterstützen 4 sinnvoll erklären 4 Interesse wecken 4 verwöhnen |
Cluster 1-5 Kontrolle ausüben, beaufsichtigen |
4 in bester Absicht ermahnen 4 bestimmen |
Tabelle 2: Cluster sozial unterstützender Verhaltensweisen (Müller und Baumann 1999)
Bei den sogenannten Anlässen für soziale Unterstützung hat sich herausgestellt, dass „Social Support“ überwiegend bei alltäglichen (kleinen) Problemen geleistet wird, zum Beispiel am Arbeitsplatz, in der Familie oder in der Partnerschaft (siehe Kap. 2.2.2.2). Darüber hinaus kommt „Social Support“ eine wesentliche Bedeutung im Kontext belastender, meist lebensverändernder Ereignisse zu, wie zum Beispiel bei Trennung, Tod oder Krankheit. Geleistete soziale Unterstützung kann Personen helfen, intensiver und mit mehr Freude zu leben. (Geilenkothen 2005, 19)
Laireiter (1993) führt in diesem Zusammenhang eine Differenzierung zwischen „allgemeiner“ oder „alltagsbezogener“ sowie „belastungs-„ oder „krisenbezogener Unterstützung“ an. Diese Differenzierung konnte nach seiner Einschätzung bisher jedoch kaum realisiert werden, da die Entwicklung einer Taxonomie belastungsbezogener Unterstützung relativ hohe Ansprüche an Design und Methodik stellt. Aus diesem Grund liegt der weitere Schwerpunkt auf der Taxonomie alltagsbezogener sozialer Unterstützung.
Das taxonomische System alltagsbezogener Unterstützung nach Laireiter (2009) ist hierarchisch aufgebaut und besitzt drei Ebenen: (1) die obere, (2) die mittlere und (3) die untere Ebene: Auf der oberen Ebene befindet sich der Generalfaktor „All-tagsunterstützung“, auf der mittleren befinden sich zwei globale Dimensionen: (1) die psychologische und (2) die instrumentelle Unterstützung. Die psychologische Unterstützung umfasst die Befriedigung psychologischer Bedürfnisse. Aufgrund der schweren Greifbarkeit dieser Unterstützungsart wird im englischen Sprachge-brauch der Begriff „intangible support“ verwendet. Die instrumentelle Unterstützung („tangible support“) bezieht sich auf primär instrumentelle Bedürfnisse und umfasst konkrete Hilfen und tatkräftige Unterstützungsformen. (Vaux 1992)
Abbildung 3: Taxonomie alltagsbezogener sozialer Unterstützung (Laireiter 1993, 2009)
Für jede der beiden Globaldimensionen hat Laireiter (1993) versucht, die wichtigsten Unterstützungsmodalitäten herauszuarbeiten. Im Ergebnis konnte er jeweils fünf Modalitäten beziehungsweise Einzelfunktionen identifizieren, die zugleich die untere Ebene bilden (siehe Abbildung 3).
· „Dimension 1: „psychologische Unterstützung: Zugehörigkeit und Geborgenheit, emotionaler Rückhalt, kognitive Unterstützung sowie Klärung und Orientierung, Geselligkeit und Kontakt, Selbstwertstützung.
· Dimension 2: “instrumentelle Unterstützung: Ratschläge, tatkräftige Hilfe und Arbeit, Sachleistungen zur Verfügung stellen oder borgen, finanzielle Hilfen, stellvertretende Bewältigungsformen.“
Trotz der vielfachen Versuche, Taxonomien für die beiden Globaldimensionen sozialer Unterstützung zu erstellen und trotz des aufgeführten taxonomischen Systems konstatiert Laireiter (2009) selbst, dass die Ergebnisse noch nicht zufriedenstellend sind und noch einige ungeklärte Probleme bestehen, (auf die in Anbetracht der Komplexität an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden soll).
2.2.2 Unterstützungskonstrukte
Wolf (1998) weist darauf hin, dass bisher viele verschiedene Konzeptionen durch Forschergruppen entwickelt wurden, die sich zum Teil ähneln aber auch „grundsätzlich unterschiedliche Standpunkte über soziale Unterstützung“ darstellen. „So existieren beispielsweisez.B. Konzeptualisierungen als objektive Netzwerkmaße (Berkman und Syme 1979), als tatsächlich gegebene soziale Unterstützung (Barrera, Sandler und Ramsey 1981) oder [auch] als Empfänger subjektiv wahrgenommener sozialer Unterstützung (Sarason et al. 1983; Sommer und Fydrich 1989)“. Social Support stellt demzufolge kein „einheitliches, enges, sondern ein heterogenes, globales Konstrukt [dar], das unter dem Begriff soziale Unterstützung subsumiert wird“ (Wolf 1998). Im Sinne von Barrera 1986; Laireiter und Baumann 1992; O`Reilly 1988; Sarason, Sarason und Pierce 1992; Schwarzer und Leppin 1989; Thoits 1992 sowie Veiel und Baumann 1992 wird „gefordert, die Konzeptualisierung von sozialer Unterstützung genauer zu klären, das Konzept aufzuspalten, und statt eines globalen, mehrere eng umrissene, klarer definierte Konstrukte von sozialer Unterstützung zu schaffen und zu verwenden“. (Wolf 1998, 43)
Vor diesem Hintergrund ist die konzeptionelle Begriffsdifferenzierung nach Laireiter (1993) aufzuführen, nach welcher neben der inhaltlichen Erfassung des Metakonstruktes „Social Support“ ebenso eine Reihe unterschiedlicher Sub-/Partialkonstrukte unterschieden und operationalisiert werden können:
a) „Die Verfügbarkeit von Unterstützern
b) (= Unterstützungsressourcen, Unterstützungsnetzwerk)
c) Die unterstützende Qualität sozialer Beziehungen, v.a. soziale Aggregate
d) (= unterstützendes Klima)
e) Die in sozialen Interaktionen vermittelte Unterstützung
f) (= erhaltene Unterstützung, Unterstützungsverhalten)
g) Das Wissen darüber, unterstützt zu sein/zu werden
h) (= wahrgenommene Unterstützung)
i) Die Befriedigung sozialer- und Unterstützungsbedürfnisse
j) (= Befriedigung von Unterstützungsbedürfnissen)“
Eine ähnliche Unterteilung nahm Wolf (1998) vor:
a) „Soziale Integration
b) (soziale Einbettung, Partizipation, Involviertheit im sozialen Leben mit Gütern und Werten (inklusive dem Zugriff auf soziale Ressourcen und Unterstützungssysteme))
c) Soziales Netzwerk
d) (gesamtes / partielles Netzwerk mit Knoten und wechselseitigen Verbindungen)
e) Netzwerkquellen
f) (Unterstützungsnetzwerk)
g) Unterstützende Umgebung
h) Tatsächlich gegebene und erhaltene soziale Unterstützung
i) Wahrgenommene soziale Unterstützung“
Auf den nächsten Seiten sollen daher folgende Unterstützungskonstrukte dargestellt werden: Netzwerkquellen (Unterstützungsnetzwerk, Unterstützungsressourcen, Unterstützungsquellen), Unterstützungshandlungen (erhaltene und wahrgenommene Unterstützung), unterstützende Umgebung (unterstützendes Klima) sowie die Befriedigung von Unterstützungsbedürfnissen.
2.2.3 Unterstützungsnetzwerk und Unterstützungsrollen
Als unterstützende Netzwerkquellen können zum einen das „Unterstützungsnetzwerk“, an das sich eine Person routinemäßig für Unterstützung wendet, wie auch die sich in diesem Netzwerk befindlichen Unterstützung gebenden Personen selbst betrachtet werden. Letztere werden in der Literatur in der Regel als „Quellen sozialer Unterstützung“ bezeichnet.
Mit dem Begriff Unterstützungsnetzwerk (syn.: Unterstützungsressourcen; Netzwerkressourcen, exchange-network, support-network) ist eine Menge an Personen gemeint, die einem Individuum im Alltag und zu Zeiten belastender Ereignisse zur Vermittlung benötigter Unterstützungsleistungen zur Verfügung steht, stehen würde beziehungsweise bereits zur Verfügung gestanden hat. (Vaux 1992) Zur allgemeinen Begriffspräzisierung ist das Konstrukt hinsichtlich alltags- vs. krisenbezogener sowie modalitätsspezifischer Unterstützer zu differenzieren. Ebenso wichtig erscheint es, zwischen realen und potenziellen Unterstützern zu unterscheiden. (Laireiter 1993)
Nach Laireiter (1993) können vier Netzwerkdimensionen unterschieden werden:
a) „Struktur (Größe, Vernetzung und Dichte des Netzwerkes)
b) Relation / Interaktion (Dauer, Frequenz und Art der Kontakte)
c) Unterstützungsinhalt und -funktion (inkl. Belastung der Netzwerkakteure)
d) Evaluation (z.B. die Zufriedenheit der Netzwerkmitglieder).“
„Netzwerkindikatoren wie zum Beispiel die Größe, Dichte und Art der Bindungen“ stehen nach Leppin und Schwarzer (1997) in einem konkreten Zusammenhang mit der tatsächlich erhaltenen sozialen Unterstützung, während die Unterstützungswahrnehmung durch diese Indikatoren eher unbeeinflusst bleibt.
2.2.3.1 Quellen sozialer Unterstützung
Quellen sozialer Unterstützung „sind Personen bzw. Gruppen […], die soziale Unterstützung geben oder ermöglichen können“. Hierzu gehören nach House (1981) neun spezielle Quellen: (Ehe-) Partner, Verwandte, Freunde, Nachbarn, Vorgesetzte, Arbeitskolleginnen und -kollgen, Pflegekräfte, Selbsthilfegruppen sowie Professionelle im Gesundheits- und Wohlfahrtsbereich. Die erste Beziehung des Menschen stellt in der Regel die Familie dar, in der er von Geburt an Liebe, Zuwendung und Wärme erfährt. Da der Mensch im Normalfall seine ersten Lebensjahre in dieser Sozialisationsinstanz verbringt, stellt diese die erste wichtigste Unterstützungsquelle für ihn dar. Auch wenn während seines Lebenslaufes andere Menschen hinzukommen, die ihm in allgemeinen oder belastenden Situationen unterstützen, so bleiben doch die Familie und frühen Bezugspersonen im Verlauf des Lebens eine der zentralen Quellen von sozialer Unterstützung. Eine weitere wichtige Quelle sozialer Unterstützung bildet die Gruppe aus Freunden, engen Vertrauten wie auch der Lebenspartner beziehungsweise die Lebenspartnerin. Hinsichtlich des nicht-familiären Supports werden zwei Beziehungstypen unterschieden: (1) „exchange relationships“, und (2) „communal relationships“. Während der Erste auf einer eher pragmatischen Austauschregel basiert, bezeichnet der zweite Typus Sozialbeziehungen, in denen eine längere zeitliche Dauer und gegenseitiges Verantwortungsgefühl fokussiert werden. (Argyle und Henderson 1986) Soziale Unterstützung stellt darüber hinaus nicht nur im Privatleben eine zentrale Ressource dar, sondern auch am Arbeitsplatz. Aus Studienergebnissen von Ilmarinen und Tempel (2002), Walter und Kanning (2003), Bartlomè (2006) u.v.a. geht hervor, dass das soziale Unterstützungsverhalten von Vorgesetzten einen signifikanten Einfluss auf das Verhalten und das Wohlbefinden der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausübt. Gleiches gilt für das soziale Unterstützungsverhalten zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, wobei sich der Bedeutungsgrad häufig erst dann erschließt, wenn die Arbeitsbeziehungen nicht mehr bestehen. So trägt nach Vogel (2000) der Verlust der Beziehungen am Arbeitsplatz mit folgender Arbeitslosigkeit deutlich zu einer reduzierten Lebenszufriedenheit und selbst zu Krankheit bei. Für persönliche Beziehungen zwischen Kolleginnen und Kollegen trifft daher zu, was Diewald (1991) für Freundschaften feststellte: „Sie können in den persönlichen Netzwerken bestimmter Gruppen einen zunehmenden Stellenwert bekommen und zum Teil andere Beziehungen (wie Verwandtschaft, Nachbarschaft) substituieren“ (Huinik 1995). Die verschiedenen Quellen können für den jeweiligen Unterstützungsempfänger unterschiedliche Funktionen erfüllen: Vertrauenspersonen, wie zum Beispiel der Partner oder der Freund, können besonders wichtig für die emotionale Unterstützung sein, Bekannte für „relevante Informationen“, ein Freundeskreis für „soziale Integration“ und Nachbarn für die „praktische Unterstützung“. (Sommer und Fydrich 1989, 7)
2.2.3.2 Unterstützungsrollen
Im Vergleich zu House (1981) führt der Soziologe Meyer (2000) in seinem Buch „Rollenkonfigurationen, Rollenfunktionen und Gesundheit“ nicht nur die verschiedenen Unterstützungsquellen auf, sondern untersucht auch, welche Unterstützungsquellen welchen Stellenwert in Bezug auf die wahrgenommene Unterstützung für eine Person haben. Meyer (2000) differenziert hierfür nicht neun, sondern sechs Quellen beziehungsweise Rollen sozialer Unterstützung: Partner, Freunde, ältere Kinder, Verwandte, Nachbarn und Arbeitskolleginnen und -kollegen. Gegenstand seiner Untersuchung war die subjektiv wahrgenommene Unterstützung[2] einer Person, die diese durch alle ihre Rollen beziehungsweise Bezugsgruppen und -personen erhält. Soziale Unterstützung resultiert aus verschiedenen Quellen. Die Frage hierbei ist, wieviel praktische und emotionale Unterstützung durch welche Unterstützungsquellen geboten werden und ob sich die Unterstützungsfunktionen der einzelnen Rollen für Männer und Frauen unterscheiden. Aus den Ergebnissen geht zum einen hervor, dass die praktische und die emotionale Unterstützung sehr hoch miteinander korrelieren und die Ergebnisse für beide Unterstützungsformen in der Regel gleichermaßen zutreffend sind. Zum zweiten können die sechs Bezugsgruppen in drei prägnante Unterstützungsrollen zusammengefasst werden:
a) Primäre Unterstützungsrolle (Partnerrolle)
b) Sekundäre Unterstützungsrollen (Freunde und ältere Kinder)
c) Tertiäre Unterstützungsrollen (Verwandte, Nachbarn und Arbeitskollegen)
Hiernach ist die wahrgenommene Unterstützung bei Männern wie bei Frauen durch den Partner beziehungsweise durch die Partnerin am höchsten. Die zweitgrößte Unterstützung wird durchschnittlich durch Freunde und ältere Kinder (ab 16 Jahren) wahrgenommen, wobei Frauen von ihren älteren Kindern und Freunden weitaus mehr Unterstützung erhalten als Männer. Dieses Phänomen kann mit der Reziprozitätsnorm erklärt werden. Frauen leisten weit mehr informelle und freiwillige Unterstützung als Männer und erhalten von beiden sekundären Unterstützungsrollen fast gleich viel Unterstützung wie von der Partnerrolle (der primären Unterstützungsrolle). (Meyer 2000, 190f.) Das Ausmaß an wahrgenommener Unterstützung durch die sekundären Unterstützungsrollen ist für Männer weitaus geringer als durch die Partnerrolle. Männer sind stärker von der sozialen Unterstützung der primären Unterstützungsrolle abhängig als Frauen, denn diese erhalten den meisten Umfang an sozialer Unterstützung aus ihrem sekundären Netz. „Daraus folgt, dass Männer bezüglich informeller Unterstützung weitaus stärker auf ihre Partnerin angewiesen sind als Frauen und stärker vom Verlust der Partnerin (Trennung, Verwitwung) betroffen sind“ (Meyer 2000, 190). In Anbracht dessen, dass soziale Unterstützung eine wichtige Ressource für den Umgang mit Stress sowie ein gesundheitsförderliches Verhalten ist, kann geschlussfolgert werden, dass Singlemänner eine Risikogruppe für erhöhten Stress und Gesundheitsbeeinträchtigungen bilden.
Die am geringsten wahrgenommene soziale Unterstützung erfolgt durch die tertiären Unterstützungsrollen, wobei die emotionale Unterstützung durch die Verwandtschaft in der Untersuchung von Meyer (2000) überwog. Ein Grund wird in der häufig großen räumlichen Distanz gesehen, die sich mittels der Telekommunikation überwiegend auf emotionale Unterstützungsleistungen beschränkt, so dass die praktische Unterstützung zwangsläufig zu kurz kommt. Langfristig bieten Verwandte einen stabilen, emotionalen Rückhalt, der sich bei schwerwiegenden Lebensereignissen aktivieren lässt. Die häufig fehlende praktische Unterstützung durch die Verwandtschaft kann in einigen Fällen durch die räumlich nahe gelegene Nachbarschaft oder durch die Arbeitskolleginnen und -kollegen kompensiert werden (z.B. Blumengießen bei der Abwesenheit) – wobei Frauen auf die praktische Unterstützung von Nachbarn deutlich häufiger zurückgreifen als Männer. Mit Blick auf die tertiären Unterstützungsrollen nehmen Männer und Frauen emotionale soziale Unterstützung vornehmlich durch die Verwandten wahr, gefolgt von den Arbeitskolleginnen und -kollegen sowie Nachbarn. In Bezug auf praktische Unterstützungsleistungen nehmen Männer diese vornehmlich durch ihre Arbeitskolleginnen und -kollegen wahr, Frauen hingegen durch ihre Nachbarn. Letztere stellen für Männer wiederum das sogenannte „letzte Mittel der Wahl“ dar, um auf praktische Unterstützung zurück zu greifen – für Frauen sind es stattdessen die Arbeitskolleginnen und -kollegen. Tertiäre Unterstützungsrollen sind nicht zu verkennen. Sie bieten bei Mängeln der primären und sekundären Unterstützungsrollen nicht nur gute Kompensationsmöglichkeiten, sondern stellen zugleich ebenso eine Rekrutierungsbasis für intensivere Unterstützungsrollen dar, wie zum Beispiel durch die Erschließung enger Freundschaften und/oder einer Partnerschaft.
Tendenziell kann festgestellt werden, dass sich Frauen durch alle sozialen Rollen besser unterstützt fühlen, vor allem die emotionale Unterstützung, während für Männer die Partnerin die stärkste Quelle für soziale Unterstützung darstellt. Bezogen auf die Partner- und die Arbeitskolleg/innenrolle kann kein signifikanter Geschlechterunterschied festgestellt werden. Hingegen sind für Frauen wie für Männer der Partner beziehungsweise die Partnerin sowie Arbeitskolleginnen und -kollegen gleichermaßen von Bedeutung, um soziale Unterstützung durch diese wahrzunehmen. Die primäre Unterstützungsrolle wird hierbei geschlechtsunabhängig als die bedeutendste Unterstützungsrolle empfunden. Ein besonders ausgeprägter Geschlechterunterschied konnte hingegen bei den sekundären Unterstützungsrollen festgestellt werden. Während bei Frauen eine größere Diversifikation der intensiven Unterstützungsrollen (Partner, Freunde, ältere Kinder) besteht, werden Männer in der Regel nur durch ihre Partnerin intensiv unterstützt. Die hohe Unterstützung der Frauen durch das sekundäre Unterstützungsnetzwerk ist nicht darauf zurück zu führen, dass Frauen quantitativ mehr Freundinnen, Freunde oder ältere Kinder haben, sondern eine höhere Unterstützungsqualität ihrer Beziehungen aufweisen. (Meyer 2000)
2.2.3.3 Wahrgenommene und erhaltene soziale Unterstützung
Neben Unterstützungsinhalten (z.B. emotional, materiell, informationell, instrumentell) wird „Social Support“ weiterhin auf der Verhaltensebene differenziert. Unter dem Begriff „Unterstützungsverhalten“ sind spezifische unterstützende Verhaltensweisen zu verstehen, die in real ablaufenden interpersonalen Interaktionen verarbeitet werden und prinzipiell somit auch beobachtbar sind, wie zum Beispiel die Unterstützungsrichtung. Zur näheren Beschreibung kann hierbei zwischen der Empfängerperspektive und dem damit verbundenen Fokus auf die „wahrgenommene“, „erwartete“ und die „erhaltene Unterstützung“ („received support“), sowie zwischen der Geberseite und der damit verbundenen „gegebenen“ oder „verabreichten Unterstützung“ („enacted support“) differenziert werden. (Vaux 1992)
Die „wahrgenommene Unterstützung“[3] („perceived support“) ist die Unterstützung, die eine Person (der Empfänger) grundsätzlich an potenzieller Unterstützung und Hilfe durch sein Netzwerk für verfügbar hält (z. B. ,,Wenn Sie ein persönliches Problem hätten, mit wie vielen Personen könnten Sie vertrauensvoll darüber reden?“) (Leppin und Schwarzer 1997, 350) Im Vergleich zur Unterstützungswahrnehmung umfasst die erhaltene sozialen Unterstützung („received support“) die realen und tatsächlichen Hilfe- und Unterstützungshandlungen, die von dem Unterstützungsempfänger als hilfreich und / oder unterstützend erlebt werden (z. B.: ,,Folgende Personen haben mir in den letzten vier Wochen Geld geliehen...“). Beide Dimensionen lassen sich zum einen in quantitativer (Menge an Unterstützung), zum anderen in qualitativer (Zufriedenheit mit der Unterstützung) Hinsicht differenzieren. Was die methodische Erfassung beider Konstrukte betrifft, kann die wahrgenommene Unterstützung nur über die subjektive Einschätzung des Empfängers erhoben werden, die tatsächlich erhaltene Unterstützung dagegen sowohl über die Wahrnehmung des Empfängers als auch über die des Gebers oder über außenstehende dritte beobachtende Person. Nach Angaben von Schwarzer und Leppin (1997) wurde auch der Erhalt von Unterstützung in der Regel nur über die Wahrnehmung des Empfängers gemessen.
Darüber hinaus kann die „erhaltene Unterstützung“ Umweltvariablen zugeordnet werden. Bei der „wahrgenommenen Unterstützung“ verhält sich eine solche Zuordnung als weniger eindeutig. So kann die subjektiv wahrgenommene Unterstützung im Falle eines kognitiven Konzeptes als eher umweltbezogen eingestuft werden, sofern es sich um eine Reflexion vorhergegangener Erfahrungen mit Anerkennung, Zuwendung oder Hilfe durch die Umwelt handelt. Repräsentiert sie jedoch „ein stabiles, generalisiertes Gefühl der Akzeptanz“ durch andere („sense of acceptance“) (Sarason, Pierce et al. 1991), kommt sie eher einer dispositionellen Variablen näher als einer behavioralen Interaktion zwischen Personen. Dieses Dispositionskonzept vertreten Sarason, Pierce et al. (1991) sehr explizit. Sie vertreten die Annahme, dass konkrete Unterstützungsleistungen eher sekundär einzustufen sind, die einem im Bedarfsfall zur Verfügung stehen würden. Weitaus wichtiger scheint ihnen die übergreifende Überzeugung zu sein, von nahestehenden anderen voll und ganz akzeptiert zu werden. Diese Überzeugung hängt wiederum sehr eng mit Persönlichkeitsmerkmalen wie „Selbstwertgefühl“ und „Kontrollerleben“ zusammen. (Leppin und Schwarzer 1997) Wie kann Social Support aber überhaupt realisiert werden? Mit dieser Frage befassten sich Knoll und Schwarzer (2005) und entwickelten das Modell der Unterstützungsinteraktion (siehe Abbildung 4).
Abbildung 4: Modell der Unterstützungsinteraktion (nach Knoll und Schwarzer 2005)
Nach diesem Modell kann Social Support mobilisiert werden, wenn zum einen ein Bedürfnis nach Unterstützung, zum anderen ein Mindestmaß an wahrgenommener Unterstützung besteht. Diese Konstellation kann dazu führen, „dass tatsächlich Unterstützung geleistet wird.“ Der Empfänger sozialer Unterstützung stellt retrospektive dar. ob er diese erhalten hat oder nicht. (Knoll und Schwarzer 2005)
Unter welchen Rahmenbedingungen kann soziale Unterstützung effektiv geleistet werden? Dieser Frage stellte sich Thoits (1986). Seiner Meinung nach kann Social Support am ehesten von Personen geleistet werden, die bereits gleiche oder ähnliche Erfahrungen wie der Unterstützungssuchende gesammelt haben. Den potenziellen Unterstützern gelingt es in diesen Fällen nicht nur ruhiger zu agieren, sondern auch aktive Hinweise bei der Bewältigung in der momentan beanspruchenden Situation zu geben. Aus der Perspektive von Jung (1997) können Personen v.a. dann wirkungsvoll unterstützen, wenn deren „Unterstützungsbilanz“ ausgewogen ist. Das Verhältnis hält Jung (1997) für ausgewogen, wenn zwischen erhaltener und geleisteter Unterstützung eine balancierte Beziehung besteht. Dasselbe Phänomen wurde von Thibaut (1959) und Kelly (1959) unter dem Begriff der Reziprozität formuliert, welcher die Ausgeglichenheit beziehungsweise Relation von empfangener und selbst geleisteter Unterstützung innerhalb von Support-Beziehungen thematisiert. Auch wenn Balance und Ausgeglichenheit aufgeführt werden, so ist nach Müller und Baumann (1999) einzuwenden, dass Personen nicht nach einem Verhältnis von 1:1 streben. Ein ausgewogenes Verhältnis liegt vielmehr dann vor, wenn die geleistete Unterstützung leicht „überschüssig“ ist. In diesem Fall fühlen sich Personen körperlich und psychisch gesünder und können wiederum andere Personen aktiv unterstützen. (Jung 1997) Kippt dieses Gefälle, fühlen sich Menschen vermehrt unwohl. (Müller und Baumann 1999)
In diesem Zusammenhang ist der Befund von Dunkel-Schetter und Bennett (1990) aufzuführen. Sie fanden heraus, dass das Ausmaß der wahrgenommenen Unterstützung „nicht vollkommen dem Ausmaß der [erhaltenen] Unterstützung“ entspricht und beide Konstrukte sogar wenig bis gar nicht zusammenhängen. Erklärt wird dieser Effekt damit, „dass erhaltene Unterstützung stark von Umweltfaktoren beeinflusst wird, wahrgenommene Unterstützung aber stärker von Persönlichkeitsvariablen“, wie zum Beispiel der persönliche Bindungsstil einer Person. Weitere Gründe werden darin gesehen, dass sich die Personen im Nachhinein nicht richtig erinnern oder von vornherein die Hilfe nicht als solche wahrgenommen haben und im Ergebnis von zu wenig oder zu viel Unterstützung berichten. Andererseits können die Erwartungen und das tatsächliche Unterstützungsangebot, je nach Situation und beteiligten Personen, variieren. Des Weiteren konnte festgestellt werden, dass potenzielle Helfer dazu tendieren nicht aktiv zu werden, wenn sie sich selbst von der Krankheit oder einer Krise bedroht fühlen und nicht wissen, wie sie am besten helfen können oder sie gar falsche Vorstellungen über den Bewältigungsprozess haben oder sie das Opfer für ihr Schicksal verantwortlich machen. Zudem gibt es offenbar eine Art optimistischen Fehlschluss bei noch unbelasteten Menschen, der bei Eintritt einer Lebenskrise zur Enttäuschung führt. Diese Annahme basiert auf einer Untersuchung von Peters-Golden (1982), die Brustkrebspatientinnen nach dem Grad ihrer erhaltenen Unterstützung befragt hat. Die meisten Frauen waren enttäuscht und äußerten eine geringe oder unangemessene Unterstützung, die sie von ihren Netzwerkmitgliedern (insbesondere von ihren Ehemännern) tatsächlich erhalten hatten. Im Vergleich dazu wurden gesunde Frauen befragt, wie viel soziale Unterstützung sie erwarten würden für den Fall, dass bei ihnen Brustkrebs diagnostiziert werden würde. Im Vergleich zu den Patientinnen wiesen diese Frauen deutlich höhere Werte bezüglich ihrer erwarteten Unterstützung auf. (Leppin und Schwarzer 1997)
Wann werden Verhaltensweisen als sozial unterstützend wahrgenommen? Mit dieser Frage beschäftigten sich Fydrich und Sommer (2003) und arbeiteten Aspekte heraus, die berücksichtigt werden müssen, wenn Verhaltensweisen als unterstützend wahrgenommen werden sollen:
4 Wünscht eine Person in einer konkreten Situation soziale Unterstützung?
4 Versucht die Person, Unterstützungsressourcen zu nutzen oder zu aktivieren?
4 Welche Form von Unterstützung wünscht sie?
4 Von wem wünscht oder erwartet die Person Unterstützung?
4 Werden als Unterstützung intendierte Verhaltensweisen von der Person wahrgenommen und als zufriedenstellend erlebt?
4 Welchen Einfluss hat Unterstützung auf das Wohlbefinden, die Problembewältigung und gegebenenfalls auf die Gesundheit?
Bezugnehmend auf den Aspekt der sozialen Integration deutet sich an, dass der „Erhalt von konkreten Unterstützungsleistungen“ tatsächlich „mit Netzwerkindikatoren wie Größe, Dichte, Art der Bindungen etc. zusammenhängt“, während die Wahrnehmung sozialer Unterstützung hiervon eher unbeeinflusst bleibt. Vielmehr scheint es so, dass „eine enge vertrauensvolle Beziehung ausreicht, um sich (ausreichend) unterstützt zu fühlen“. (Leppin und Schwarzer 1997, 352)
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass Unterstützungsprozesse keineswegs statisch, sondern dynamisch sind – gerade wenn sie über einen langen Zeitraum anhalten. Anfänglich hilfsbereite Personen können oder wollen beispielsweise nach einer bestimmten Zeit die Last der Fürsorge nicht mehr tragen, da sich der Empfänger als nicht dankbar erweist, sich sein Zustand nicht verbessert und / oder die eigene Kraft nicht mehr ausreicht. (Leppin und Schwarzer 1997, 351)
2.2.3.4 Unterstützendes Klima
Ein weiteres Konstrukt sozialer Unterstützung stellt das unterstützende Klima dar. Dieses wird von Laireiter (2009) aufgeführt, jedoch nicht weiter konkretisiert beziehungsweise operationalisiert. Auf eine telefonische Nachfrage hin, in 2010, kam die Vermutung auf, dass ein zufriedenstellendes Betriebsklima mit einer unterstützenden Wirkung einhergehen und ein „unterstützendes Klima“ als Teilkonstrukt des Konstruktes „Betriebsklima“ angesehen werden kann. Ebenso wurde vermutet, dass beide Konstrukte inhaltlich nicht gleichzusetzen sind. Allerdings konnten für diese Vermutungen keine literarischen Bestätigung oder ähnliche Hinweise gefunden werden. Der Begriff „unterstützendes Klima“ ist bei Wolf (1998, 43) aufzufinden, der diesen mit interpersonaler Kohäsion, Involviertheit, Ausdrucksfähigkeit und einem geringen Anteil an Konflikt beschreibt.
2.2.3.5 Befriedigung von Unterstützungsbedürfnissen
Nach unveröffentlichten Angaben von Laireiter (2010) wurde die Bedürfnisbefriedigung bis jetzt erst ein oder zwei Mal operationalisiert. Dieser „Ast“ hat sich nicht entwickelt, so dass Recherchen über Verfahren oder Ansätze, die Unterstützung über das Ausmaß der Befriedigung von Unterstützungsbedürfnissen operationalisieren, zum gegenwärtigen Stand ohne Ergebnis sind. (Laireiter, E-Mail vom 14.01.2010, siehe Anhang)
2.2.4 Wirkungsweisen Social Support
Der generelle Effekt von Social Support auf die Bewältigungsstrategien bei Krankheit oder in Stresssituationen wurde bereits durch Forschungsstudien bestätigt. Die Art und Weise, wie soziale Unterstützung, die damit einhergehenden positiven Effekte und der spezifische Vermittlungsmechanismus dabei zusammenhängen, ist bis heute allerdings noch weitgehend unbekannt. (Geilenkothen 2005, 20)
Ressourcen können als Moderatoren und Mediatoren wirken. Als eine solche Ressource kann zum Beispiel Social Support als Mediator ein vermittelndes Glied in der kausalen Kette zwischen Belastung und Gesundheit darstellen. Als Moderator nehmen sie Einfluss auf die Beziehung zwischen zwei Variablen – in diesem Fall auf die Belastung und die Gesundheit. Der Zusammenhang zwischen der Belastung und Beanspruchung ist dann abhängig von der Ausprägung der Ressource. (Trapp 1998)
Viele Studien beschäftigen sich eingehend mit der Frage, auf welchem Wirkmodell die positiven Effekte sozialer Unterstützung basieren. (Geilenkothen 2005, 20) Im Schwerpunkt werden in der Unterstützungsforschung zwei Wirkmodelle sozial unterstützenden Verhaltens angenommen: (1) das Haupt-Effekt-Modell und (2) das Puffer-Effekt-Modell:
2.2.4.1 Das Haupt-Effekt-Modell
Soziale Unterstützung sowie die Integration in die soziale Umwelt tragen zur Befrie-digung grundlegender sozialer Bedürfnisse bei – zum Beispiel nach zwischen-menschlichem Kontakt, Bindung, Rückhalt und Geborgenheit – und damit auch zum Wohlbefinden. (Pfaff 1989) Dieser direkte Wirkungszusammenhang zwischen sozialem Rückhalt und einer wohltuenden Wirkung des Befindens wird als „Haupt-effektmodell“ („main-effect-Modell“) bezeichnet. Es basiert demzufolge auf der The-se, dass die Social Support Wirkung auf das Wohlbefinden unabhängig von dem Ausmaß der Belastung ist, also mit allgemeinen und direkten Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Gesundheit einhergeht (siehe Abbildung 5).
Abbildung 5: Auswirkungen von sozialer Unterstützung auf gesundheitliche Folgen nach dem „main-effect“-Modell (nach Cohen & Wills, 1985, 316)
Statistisch liegen in diesem Fall keine Interaktionseffekte zwischen Stress und Unterstützungsressourcen vor, sondern primär Haupteffekte. (Geilenkothen 2005, 22) Das Haupt-Effekt-Modell konnte durch mehrere Studien belegt werden. So konstatieren Buchwald, Schwarzer und Hobfoll (2004, 438), dass soziale Unterstützung im Allgemeinen als nützlich empfunden wird, unabhängig davon, ob Menschen eine stressreiche Situation erleben oder wahrnehmen.
Die direkten positiven Wirkungen sozial unterstützenden Verhaltens wurden von Cohen, Gottlieb und Underwood (2001) näher untersucht. Sie fanden heraus, dass das ausschließliche Vorhandensein sozialer Beziehungen einen direkten Einfluss auf die psychische und physische Gesundheit hat. Begründet wird dieser Direkt-Effekt damit, dass sich Mitglieder einer Gruppe / eines Netzwerkes gegenseitig beeinflussen, beispielsweise in ihrer Einstellung hinsichtlich der Notwendigkeit regelmäßiger Bewegung oder der Wertschätzung gesunder Ernährung. Die Gruppe entscheidet dabei sowohl über Werte, Einstellungen, Regeln und Normen, sie vermittelt aber auch ein Gefühl der Geborgenheit, Stabilität und Sicherheit für einzelne Gruppenmitglieder. Uchino, Cacioppo und Kiecolt-Glaser (1996) fanden weiterführend heraus, dass positive Gefühlszustände nicht nur auf behavioraler Ebene zu einem stärker ausgeprägten gesundheitsförderlichen Verhalten führen, sondern auch im neuroendokrinen System die Immunkompetenz verbessern. Ebenso verbesserten sich die körperlichen Reaktionen, wie zum Beispiel die Herzschlagfrequenz, die bei den untersuchten Probanden weniger stark ausgeprägt war. Die Forschergruppe konnte damit nachweisen, dass soziale Unterstützung die Stressreaktionen im Körper auf direktem Wege positiv beeinflusst. Weitere positive Zusammenhänge konnten festgestellt werden mit seelischer Gesundheit (Becker 1982), positivem Selbstwertgefühl (Beck 1976) und Wohlbefinden (Schwarzer und Leppin 1989).
Bezogen auf negative Effekt wird angenommen, dass ein Defizit an Social Support über eine längere Zeitspanne hinweg selbst einen potenziellen Stressor darstellt, der auch ohne das Einwirken stressreicher Einflüsse einen direkten Einfluss auf die Gesundheit ausüben kann. (Geilenkothen 2005, 23) Cohen et al. (2001) stellten in diesem Zusammenhang fest, dass sich Isolation, neben den täglichen Belastungen, sich zu einem zusätzlichen Stressor entwickeln kann. In diesem Fall vollzieht sich eine negative Spirale, bei der ein geringes Selbstwertgefühl und das Empfinden, nur geringfügig in die Umwelt korrigierend oder kontrollierend eingreifen zu können, zu Gefühlen der Entfremdung und Isolation führt. Bei sozial isolierten Menschen entstehen aufgrund der geringen zwischenmenschlichen Kontakte kaum Gefühle des Geschätztwerdens oder der Geborgenheit. Allerdings isolieren sich Personen selbst aus ihrem sozialen Umfeld, sofern sie das Gefühl haben, von ihrer Umwelt nicht unterstützt zu werden. (Procidano und Walker Smith 1998)
2.2.4.2 Das Puffermodell
Im Gegensatz zu dem Haupteffektmodell geht das „Puffermodell“ (siehe Abbildung 6) davon aus, „dass soziale Unterstützung erst im Falle einer Krise wirksam wird, indem sie mögliche schädliche Auswirkungen dieser Krise dämpft oder sogar zum Verschwinden bringt“ (Leppin & Schwarzer 1997). Auf diese Weise soll allein die Wahrnehmung oder Erwartung, dass andere Menschen einem in einer Problemsituation beistehen, dazu führen, dass Krisensituationen als weniger bedrohlich bewertet werden. (Geilenkothen 2005, 21) In Anlehnung an das Stressmodell nach Lazarus und Folkmann (1984) entsteht negativer Stress dann, wenn Personen eine Situation in der Form bewerten, dass die eigenen adaptiven Mittel (ihre Bewältigungsfähigkeiten) zur erfolgreichen Bewältigung nicht ausreichen. Zu welcher Bewertung eine Person gelangt, hängt dabei wesentlich von Bewertungsprozessen ab, die zum einen die Bewertung der situativen Anforderungen (als belastend, neutral, herausfordernd – primäre Bewertung) als auch die der eigenen Bewältigungskompetenzen (sekundäre Bewertung) umfassen. (Lenz und Nestmann 2009) So kann allein das Wissen um die Verfügbarkeit sozialer Ressourcen Einfluss auf beide Bewertungsprozesse nehmen. Ebenso kann das soziale Umfeld unterstützend wirken, auch wenn der Stressprozess bereits weiter fortgeschritten ist und sich auf körperlicher, emotionaler oder kognitiver Ebene bereits Stresssymptome zeigen. Die Wahrnehmung erhaltener sozialer Unterstützung kann helfen, mit der erlebten Beeinträchtigung besser umzugehen. (Ksienzyk 2006, 46) Allerdings sei an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass nicht die Quantität potenzieller Unterstützungsgeber entscheidend ist, sondern vielmehr die Problemadäquatheit der geleisteten Unterstützung. (Geilenkothen 2005, 23)
Abbildung 6: Auswirkung von sozialer Unterstützung auf gesundheitliche Folgen nach dem Puffer-Effekt-Modell (nach Cohen & Wills, 1985, S. 316)
Für Cassel (1974) stellt Social Support einen sogenannten „Resistenzfaktor“ dar. In Auseinandersetzungen mit negativ stressbelasteten Situationen oder in kritischen Lebenssituationen trägt er dazu bei, ungünstige Einflüsse zu reduzieren und abzuschwächen. Social Support wirkt in diesem Fall in zweifacher Weise: Zum einen während der Einschätzung potenziell bedrohlicher Situationen, in der erwartete soziale Unterstützung bereits als Puffer wirken kann. Eigene Ressourcen wie auch das Selbstbewusstsein werden durch das Vertrauen in ein stützendes Netzwerk gestärkt. Anforderungen werden weniger als bedrohlich bewertet und können besser bewältigt werden. (Cassel 1974) Zum anderen innerhalb des Bewältigungsprozesses, in dem sozialer Rückhalt selbst als Ressource genutzt werden und zur Bewältigung der Anforderung beitragen kann. (Schwarzer 1993; Cohen und Wills 1985) Dieser „Puffereffekt“ sozialer Unterstützung wurde nach Schwarzer und Leppin (1989) durch eine Vielzahl empirischer Untersuchungen bestätigt.
2.2.4.3 Forschungsergebnisse
Was die Wirkungsweise des Puffer-Effekt-Modells betriff, so sind die wissenschaftlichen Ergebnisse eher inkonsistent. So kommt Lin (1986) in einer Metaanalyse zu dem Ergebnis, dass von 20 Studien nur drei den Puffereffekt bestätigen konnten. Fünf Studien erbrachten wiederum nur schwache Hinweise auf den Effekt und zwölf waren ohne Ergebnis. Andere Studien (wie z.B. House 1981) bestätigen, dass Personen, die sich in hohem Maße unterstützt fühlten, weniger stark von Arbeitsbelastungen beeinträchtigt sind. Andere Studien (wie z.B. Ganster, Fusilier und Mayers 1986) können diesen Effekt wiederum nicht nachweisen. Weitere Studien finden neben dem „Puffer-Effekt“ ebenso einen „Anti-Puffer-Effekt“ (wie z.B. Pfaff 1989; Frese 1999). Dieser besagt, dass durch hohe soziale Unterstützung das Stresserleben in individuellen Situationen gesteigert und der Effekt von Belastung und Beanspruchung negativ verstärkt werden kann. Eine Erklärung für diese widersprüchlichen Befunde vermuten Sarason et al. (1990) in der ungenügenden Berücksichtigung von Persönlichkeitsmerkmalen. Sie gehen davon aus, dass das soziale Selbstwertgefühl einen wesentlichen Einfluss auf die Bewertung verfügbarer Ressourcen in schwierigen Situationen hat. Der Glaube, dass einem keiner helfen wird, wird kaum Anstrengungen auslösen, andere um Hilfe zu bitten. Ebenso vorstellbar ist, dass Menschen mit einem hohen Ressort an Unterstützungsressourcen trotzdem wenig Unterstützung erhalten, weil sie ihre Probleme und Sorgen aus falschem Stolz für sich behalten. (Asendorpf 2004)
Cohen und Wills (1985) konnten zeigen, dass soziale Unterstützung sowohl zu direkten als auch zu Puffereffekten beiträgt, wobei beide Effekte offensichtlich auf unterschiedliche Teilaspekte des Konstruktes zurückgehen. So werden direkte Effekte durch Indikatoren und Instrumente (strukturelle Maße) generiert, die die soziale Einbettung des Individuums und die Merkmale seines Unterstützungsnetzwerkes wiedergeben (insbesondere die Größe, Anzahl verfügbarer nahe stehender Personen, die familiäre Integration etc.). Puffereffekte werden hingegen durch Indikatoren erfasst, die die Formen der wahrgenommenen Unterstützung repräsentieren (insbesondere kognitive, emotionale und selbstwertbezogene Indikatoren) sowie die Verfügbarkeit enger und nahestehender Personen wie auch die Qualität dieser Beziehungen abbilden. Für die Indikatoren zur Erfassung der erhaltenen Unterstützung konnten bisher noch keine Effekte im Sinne von Haupt- und Puffereffekten ausgemacht werden. (Laireiter 2009)
2.2.5 Soziale Unterstützung in der Arbeitswelt
Soziale Unterstützung am Arbeitsplatz stellt eine Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten im Rahmen der Arbeitstätigkeit dar und geht mit einer direkten reduzierenden Wirkung der Belastungssymptome einher. Als grundlegende Ressource in der Arbeitswelt wirkt sich soziale Unterstützung bei individuellen wie arbeitsbezogenen Belastungen positiv auf die psychische und physische Gesundheit bei Beschäftigten aus. (Gusy 1995, Woods 2005)
Soziale Unterstützung, Arbeitsbelastungen und Mitarbeitergesundheit
Malinauskiene, Leisyte und Malinauskas (2009) fanden in ihrer Studie heraus, dass mit steigender Arbeitsbelastung das Risiko steigt, dass die soziale Unterstützung am Arbeitsplatz abnimmt (OR: 3,78). Darüber hinaus stellt geringe soziale Unterstützung bei der Arbeit den stärksten Risikofaktor für die Ausprägung von psychischem Stress dar, der jedoch durch ein starkes Kohärenzgefühl (SOC[4]) geschützt oder abgepuffert werden kann. Zhou und Yu (2007) untersuchten noch spezifischer den Zusammenhang zwischen dem Arbeitsstress und der sozialen Unterstützung bei 654 Karrieremenschen aus der Industrie. Auch ihre Ergebnisse belegen den positiven signifikanten Einfluss, den positive zwischenmenschliche Beziehungen, Weiterentwicklung und Mitarbeiterpartizipation, Arbeitszufriedenheit, positive Selbstwertgefühle und vor allem die soziale Unterstützung auf die betriebsbedingte Stresswahrnehmung haben. Der Prädiktorenvergleich machte zusätzlich deutlich, dass soziale Unterstützung den wahrgenommenen Stress am Arbeitsplatz am stärksten negativ linear beeinflusst und eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der psychischen Gesundheit von Karrieremenschen spielt. Mit den Auswirkungen von Arbeitsstress beschäftigte sich unter anderem Park (2007), der in seiner Studie mit 240 Beschäftigten im stationären Gesundheitssektor im Südosten Nordamerikas die wahrgenommene soziale Unterstützung am Arbeitsplatz als den einzigen primären und interpersonalen positiven Faktor identifizierte, der depressive Symptome abpuffern konnte. Ebenso konnte er direkte Effekte zwischen der arbeitsbedingten sozialen Unterstützung und dem Handlungsspielraum sowie den depressiven Symptomen ermitteln und zeigen, dass eine hohe Ausprägung an sozialer Unterstützung mit einer niedrigen Depressionsrate verbunden ist. Das bedeutet, dass soziale Unterstützung das psychische Wohlbefinden von pflegenden Beschäftigten positiv beeinflusst. (Park 2007)
Den Einfluss physischer und psychischer betrieblicher Arbeitsdimensionen (Arbeitsanforderungen, Handlungsspielraum und soziale Unterstützung) auf die Körperschmerzen, die Arbeitsunfälle und die Schlafdauer von Beschäftigten untersuchten Fischer et al. (2005) anhand von 354 brasilianischen jugendlichen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Sie fanden heraus, dass psychische Arbeitsanforderungen signifikant mit Körperschmerzen, einem hohen Arbeitsunfallrisiko und einer reduzierten wöchentlichen Schlafdauer zusammenhängen. Mit Blick auf die Schlafqualität ist die Studie von Nishitani und Sakakibara (2010) anzuführen, in der der Einfluss von Stressfaktoren, Stressreaktion und der sozialen Unterstützung auf die Schlaflosigkeit bei 212 männlichen japanischen Arbeitnehmern untersucht wurde. Im Ergebnis wurde unter anderem festgestellt, dass mit abnehmender Arbeitsvielfalt und sozialer Unterstützung die Schlaflosigkeit signifikant zunimmt und damit auch die zwischenmenschlichen Konflikte.[5]
Choi et al. (2011) gingen zusätzlich der Frage nach, welchen Einfluss Handlungsspielraum und soziale Unterstützung am Arbeitsplatz generell auf den psychischen Distress von Beschäftigten haben. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass das Risiko für psychischen Distress übermäßig signifikant anstieg, wenn Arbeitnehmer sowohl einen geringen Handlungsspielraum, als auch eine geringe soziale Unterstützung am Arbeitsplatz wahrnahmen. Dieser Effekt galt für Männer und Frauen gleichermaßen. Der synergetische Interaktionseffekt des Handlungsspielraums und der sozialen Unterstützung auf den psychischen Distress war jedoch dann bei Frauen stärker, wenn die Arbeitsanforderungen niedrig waren. Bei den männlichen Beschäftigen zeigte sich hingegen ein gegensätzlicher Synergieeffekt zwischen dem Handlungsspielraum und der sozialen Unterstützung auf den psychischen Distress, wenn die Arbeitsanforderungen hoch waren. Insgesamt betrachtet haben Choi et al. (2011) einen Synergieeffekt auf die Beziehung zwischen Handlungsspielraum und sozialer Unterstützung am Arbeitsplatz auf den allgemeinen psychischen Distress festgestellt, der sich je nach Arbeitsanforderungsniveau und Geschlecht unterscheidet.
Der Zusammenhang zwischen der sozialen Unterstützung am Arbeitsplatz und der körperlichen Gesundheit von Beschäftigten wurde von Woods (2005) im Rahmen eines Reviews aus 52 Studien zwischen 1985 und 2003 näher untersucht. Im Ergebnis konstatiert sie eine gute Evidenz für den Zusammenhang zwischen einer schlechten sozialen Unterstützung am Arbeitsplatz und einem erhöhten Risiko für Muskel-Skelett-Erkrankungen. Eine geringe Zahl an Studien konnte zudem nicht nur vorbeugende Effekte von guter und damit hilfreicher sozialer Unterstützung für das Auftreten von Muskel-Skelett-Erkrankungen nachweisen, sondern auch ressourcenfördernde Effekte bei der Bewältigung von Muskel-Skelett-Erkrankungen. Der Review veranschaulicht damit, dass ein Mangel an sozialer Unterstützung durch Kolleginnen und Kollegen, Vorgesetzte oder Geschäftsführer einen Risikofaktor für das Auftreten von Muskel-Skelett-Erkrankungen in Unternehmen darstellt. (Woods 2005)
Tragfähige Beziehungen und somit auch gegebener Social Support am Arbeitsplatz gehen demzufolge mit einem geringeren Maß an psychosomatischen und somatischen Beschwerden einher. (Geilenkothen 2005)
Im Gegensatz zu den vorherigen Studien untersuchten Sundina et al. (2006) in ihrer Querschnittsstudie nicht den Zusammenhang zwischen sozialer Unterstützung und Gesundheit, sondern die Faktoren, die einen Einfluss auf die Höhe der zur Verfügung gestellten oder wahrgenommenen sozialen Unterstützung am Arbeitsplatz haben. Im Ergebnis stellten sie fest, dass organisatorische Faktoren, insbesondere der Handlungsspielraum, den größten Einfluss auf den Grad der wahrgenommenen sozialen Unterstützung bei Beschäftigten haben.
Sozialer Rückhalt kann demzufolge als eine arbeitsorganisatorische Bedingung angesehen werden, die sich in gemeinsamen dynamischen Prozessen zu stabilen kollegialen oder gar freundschaftlichen Beziehungen entwickeln kann. Das soziale Unterstützungssystem im Betrieb setzt sich aus Kolleginnen und Kollegen, Vorgesetzten sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zusammen und basiert somit auf einem positiven und wertschätzenden Klima. Letzteres wird gefördert durch respektvolle, tolerante und anerkennende Interaktionen zwischen Vorgesetzten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, wie auch zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern selbst. Diese Form zwischenmenschlichen Umgangs fördert positive Emotionen wie Vertrauen und Eingebundensein in das jeweilige spezifische Arbeitssystem. (Geilenkothen 2005)
So fanden Stansfeld et al. (2013) im Rahmen ihrer Kohortenstudie mit mehr als 5000 englischen Beamtinnen und Beamten heraus, dass ein hohes Maß an Wohlbefinden durch ein hohes Maß an Vertrauen und emotionaler Unterstützung sowie durch ein hohes Maß an Kontrolle bei der Arbeit und ein geringes Maß an Arbeitsbelastung vorhergesagt wird. Sie konstatieren, dass das psychosoziale Arbeitsumfeld und persönliche Beziehungen unabhängige Auswirkungen auf das subjektive Wohlbefinden der Beschäftigten haben.
Fehlende Kooperationsmöglichkeiten innerhalb des sozialen Unterstützungssystems sowie ein Defizit an sozialer und persönlicher Anerkennung durch dieses stellen Beispiele für geringe oder gar keine Unterstützungspotenziale im Unternehmen dar. (Geilenkothen 2005) Es bestehen nur minimale Möglichkeiten, Rückmeldungen zu geben, über fachliche Probleme zu diskutieren oder sich über persönliche Belastungen auszutauschen. Ein derartiges Klima wirkt sich Udris (1989) zufolge zweifelsfrei unterstützungshemmend und stressfördernd aus. Pfaff (1989) konstatiert, dass Bedürfnisse nach zwischenmenschlicher Bindung, Zugehörigkeit und emotionaler Wärme am Arbeitsplatz in einem solchem Umfeld nicht befriedigt werden können. Langfristige Folgen zeigen sich in direkten Einschränkungen der psychischen und psychosozialen Gesundheit.
So kamen Aranda et al. (2009) in ihrer Studie zu dem Ergebnis, dass als gering oder arm eingestufte soziale Netzwerke in einem signifikanten Zusammenhang mit dem Maslach Burnoutsyndrom standen. Allerdings konnten auch als stark eingeschätzte soziale Unterstützungsnetzwerke bei den 875 untersuchten mexikanischen gleichermaßen weiblichen wie männlichen Verkehrspolizisten Burnout nicht bekämpfen. Der statistisch signifikante Zusammenhang zwischen der sozialen Unterstützung und Burnout wurde in der Studie von Hamaideh (2011) bei 181 jordanischen Krankenschwerstern in der psychiatrischen Krankenpflege bestätigt.
Soziale Unterstützung durch Vorgesetzte, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
In diesem Zusammenhang weisen Israel (1996) und Schumann (1996) auf die unterschiedlichen Kompensationsformen sozialer Unterstützung von Befindlichkeitsbeeinträchtigung hin, was zum einen von der Art der geleisteten Unterstützung (emotional vs. instrumental) abhängt, zum anderen aber auch von der jeweiligen Support-Quelle (z.B. Vorgesetzter vs. Kollege). Ihren Ergebnissen zufolge konnte die Hilfe von Vorgesetzten eher die negativen Auswirkungen von Stressoren vermindern als die Hilfe von Kolleginnen und Kollegen. Dieses Resultat wurde durch Frese (1991) und Semmer (1991) bestätigt. Sie kamen zu dem Resultat, dass der Vorgesetzten-Support bei der Verminderung des Stresserlebens wirksamer ist als der Kollegen-Support. LaRocco (1978) kommt anhand seiner Befunde hingegen zu dem Ergebnis, dass die positiven Effekte von Social Support eher den Kolleginnen und Kollegen zugeschrieben werden können. Erklärt werden kann dieser Widerspruch zum Beispiel durch die unternehmensspezifische Zusammenarbeit von Kolleginnen und Kollegen, die in ihrer Ausprägung und Intensität differieren. So macht es einen Unterschied, ob hauptsächlich in Gruppen (bei einem hohen Austausch zwischen Kollegen) oder eher in „isolierten“ beziehungsweise selbstständig ausgeführten Arbeitsweisen gearbeitet wird, die nur einen geringen Austausch ermöglichen. (Geilenkothen 2005) Aus einer Übersichtsarbeit von Pfaff (1989), die fast 40 empirische Studien zu sozialer Unterstützung umfasste, ging hervor, dass sowohl Vorgesetzte als auch Kolleginnen und Kollegen als Social-Support-Quellen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei der persönlichen Bewältigung von arbeitsbezogenen und spezifischen Problemen in Anspruch genommen werden können. Nach House (1981) kann der berufliche Support den Effekt von arbeitsbedingten Stressoren wirkungsvoller verringern als der Support durch Freunde und / oder durch die Familie. Eine weitere Erklärung für die widersprüchliche Befundlage bezüglich der Support-Relevanz innerhalb des betrieblichen Supportsystems kann auch in der bisher geringfügigen Beachtung informeller Kolleg/innenbeziehungen in psychologischen, sozialpsychologischen und soziologischen Studien zu Beziehungsverhältnissen und sozialer Unterstützung liegen. (Laireiter 2009) In Bezug auf formelle Beziehungen am Arbeitsplatz erschließt sich ein weitaus umfassenderes Studieninventar, das sich wiederum weitaus häufiger mit den Verhältnissen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden befasst und weniger mit den Verhältnissen unter den Kolleg/innen selbst. (Wolf 1998) Gleiches trifft für Studien zum sozialen Klima in Büro- und Fabriksettings zu, die dezentral auf persönliche Kolleg/innenbeziehungen eingehen. (Kienle, Knoll und Renneberg 2006) Es kann daher ein Forschungsbedarf bezüglich informeller sowie formeller Kolleg/innenbeziehungen, der Bedeutung von Social Support und der Mitarbeitergesundheit konstatiert werden.
Dieser Bedarf kann durch eine Umfrage des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen (WidO) von 1995 bis 1998 untermauert werden. Das Institut befragte Beschäftigte, was ihnen „am Arbeitsplatz“ wichtig erscheint. Mit 52 Prozent wurde an dritter Stelle „ein gutes Verhältnis zu den Kollegen“ genannt. Ein „gutes Verhältnis zum Vorgesetzten“ stand an fünfter Stelle. An erster und zweiter Stelle standen ein „sicherer Arbeitsplatz“ (63 %) und eine „gute Bezahlung“ (54 %). (Redmann und Rehbein 2000) Die Kolleg/innenbeziehungen werden nach dieser Befragung als bedeutsamer eingeschätzt als die Beziehungen zum Vorgesetzten. Inwieweit die persönliche Mitarbeitereinschätzung bezüglich der Relevanz der jeweiligen Beziehungsquelle in einem Zusammenhang mit den Auswirkungen von Social Support auf die Gesundheit einhergeht, zeigen die folgenden Studienergebnisse:
So fanden Sundin et al. (2011) im Rahmen ihrer schwedischen Langzeitstudie heraus, dass schlechter Mitarbeiter-Support in einem signifikanten Zusammenhang mit einer zunehmenden Depersonalisation von Beschäftigten steht. (Sundin, Hochwälder und Lisspers 2011) Gray-Stanley et al. (2010) stellten weiterhin fest, dass mit Blick auf die arbeitsplatzbezogene Supportquelle diejenigen, die sich durch ihre Vorgesetzten unterstützt fühlten, weniger Depressionen aufwiesen. Der stärkste Einfluss von Vorgesetztensupport (die stärkste negative Steigung) konnte bei depressiven Beschäftigten festgestellt werden, die zusätzlich einen stärkeren Rollenkonflikt wahrnahmen. Bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit einem geringen Stresslevel war der signifikante Zusammenhang zwischen dem Vorgesetztensupport und der Depression am schwächsten. Gray-Stanley et al. (2010) konstatierten, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einem Zugang zu arbeitsplatzspezifischer Unterstützung, abhängig von der Art ihres Arbeitsstresses, weniger depressiv sind. Diese Ergebnisse stehen wiederum im Einklang mit den Forschungsergebnissen von Snow, Swan et al. (2003), nach welchen die soziale Unterstützung von Vorgesetzten, Kolleginnen und Kollegen Gefühle der Hoffnungslosigkeit und Depression vermindern.
Darüber hinaus untersuchten Mahan et al. (2010), welchen Einfluss kontinuierliche und episodische Stressfaktoren auf das Angst- und Depressionslevel von Beschäftigten nehmen und welche Rollen hierbei der Mitarbeiter- und der Vorgesetztensupport spielen. Sie fanden heraus, dass ein höheres Maß an kontinuierlichen Stressfaktoren in Beziehung mit einem höheren Angst- und Depressionslevel und der Kollegensupport in einem negativen Zusammenhang mit der Angst- und Depressionsrate standen. Episodische Stressoren und der Vorgesetztensupport hatten hingegen keinen unabhängigen Effekt auf die Regressanden. Im Ergebnis konnten Mahan et al. (2010) feststellen, dass die soziale Unterstützung durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einem Haupteffekt auf das Depressionslevel von Beschäftigten einhergeht – im Gegensatz zu der sozialen Unterstützung durch Vorgesetzte, für die keine Effekte nachgewiesen werden konnten.
Mit Blick auf den Einfluss sozialer Unterstützung durch Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzte auf die Müdigkeit und Schlafstörungen von Beschäftigten fanden Sinokki et al. (2010) im Rahmen einer finnischen landesweiten Studie heraus, dass geringe soziale Unterstützung – vor allem am Arbeitsplatz – in einem signifikanten Zusammenhang mit Schlafproblemen steht. Konkret stand ein geringer Vorgesetztensupport in einem Zusammenhang mit einer zunehmenden Müdigkeit (OR: 1,68) sowie zunehmenden Schlafstörungen im Vormonat (OR: 1,72). Auch der geringe Kollegensupport korrelierte signifikant mit der zunehmenden Müdigkeit (OR: 1,55) und den Schlafstörungen im Vormonat (OR: 1,77). Allerdings korrelierte dieser zusätzlich ausschließlich bei Frauen mit einer kurzen Schlafdauer (OR: 2,06). Eine hilfreiche soziale Unterstützung durch Vorgesetzte, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fördert demzufolge nicht nur die Gesundheit von Beschäftigten und reduziert ihre körperlichen und psychischen Beschwerden, sie korreliert auch positiv mit dem Mitarbeiterengagement für das Unternehmen. So fanden Rousseau und Aubé (2010) heraus, dass der Kollegen- und Vorgesetztensupport einen additiven Effekt auf das emotionale Engagement von Beschäftigten mit hoch ausgeprägten Jobressourcen hat. Darüber hinaus wird der Einfluss der sozialen Unterstützung durch Vorgesetzte auf das emotionale Engagement durch die Umgebungsbedingungen positiv moderiert.
Organisatorische Rahmenbedingungen
Vor diesem Hintergrund ist es für Unternehmen hilfreich zu wissen, welche organisatorischen Risikofaktoren den positiven Einfluss sozialer Unterstützung im Unternehmen behindern.
So fand Acker (2004) in seiner Querschnittsstudie mit 259 Sozialarbeitern heraus, dass verschiedene organisatorische Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel Rollenkonflikte, Rollenambiguität, soziale Unterstützung, berufliche Weiterentwicklungsmaßnahmen und auch die Art der Arbeitstätigkeit einen signifikanten Einfluss auf die Arbeitszufriedenheit und die Bereitschaft, die Arbeitsstelle zu wechseln, haben. Chiu et al. 2009) kamen in diesem Kontext in ihrer Studie mit 373 stationären Krankenschwestern in Taiwan zu dem Ergebnis, dass hohe Arbeitsanforderungen bei einer geringen Arbeitskontrolle am stärksten mit der Bereitschaft einher gehen, die Arbeitsstelle zu verlassen, wobei die arbeitsbezogene soziale Unterstützung diesen Effekt deutlich reduzieren konnte.
Eine Studie von Unden (1996) kam weiterhin zu dem Ergebnis, dass sich ein Mensch, der sich an seinem Arbeitsplatz wohl fühlt, seltener krank meldet, als Menschen, die unzufrieden sind. Sozialer Rückhalt bewirkt demzufolge eine geringere Fluktuation und einen geringeren Krankenstand. Wichtig dabei erscheint, dass Vorgesetzte ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Rückmeldung in Form von nachvollziehbarer und fairer Kritik und Lob geben und dass aufgabenbezogene Unterstützung durch Vorgesetzte, Kolleginnen und Kollegen geleistet wird. Unden (1996) zufolge berichteten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die länger krank waren, übereinstimmend, dass sie am Arbeitsplatz diese Form an sozialer Unterstützung vermissten und ihre Arbeitsatmosphäre als eher isolierend wahrnahmen. Diese psychischen Belastungen führten dann dazu, dass sich die Betroffenen eine „Auszeit“ in Form von Krankmeldungen „gönnten“. Welchen Einfluss die verschiedenen Aspekte von sozialer Unterstützung am Arbeitsplatz und in der Freizeit auf den selbst bewerteten Gesundheits- und Krankenstand von Beschäftigten haben, untersuchten Falkenberg et al. (2012) in ihrer schwedischen Langzeitstudie. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass soziale Unterstützung generell signifikant in einem Zusammenhang mit der selbst eingeschätzten Gesundheit steht, nicht jedoch mit der selbst eingeschätzten krankheitsbedingten Abwesenheit.
In diesem Zusammenhang ist die Langzeitstudie von Brouwer et al. (2010) anzuführen, die den Einfluss der drei Faktoren, (1) Arbeitseinstellung, (2) Selbstwirksamkeit und (3) erlebte soziale Unterstützung, auf die Zeit bis zur Arbeitsplatzrückkehr nach einer Krankschreibung untersuchten – und zwar differenziert nach drei verschiedenen Gesundheitszustandstypen: Typ 1: Beschäftigte mit Beschwerden am Bewegungsapparat, Typ 2: Beschäftigte mit Erkrankungen des Herzkreislaufsystems, des Verdauungstraktes, der Atemwege oder mit neurologischen Beschwerden und Typ 3: Beschäftigte mit Stress, Depressionen oder Burnout. Im Ergebnis stellten sie fest, dass die wahrgenommene Arbeitseinstellung, die Selbstwirksamkeit und die wahrgenommene soziale Unterstützung relevante Einflussfaktoren auf die Zeit der Arbeitsplatzrückkehr in allen Gesundheitszustandstypen sind. Die bedeutsamsten Unterschiede konnten hinsichtlich der Faktortypen und der Beziehungsstärke zwischen den körperlichen und psychischen Gesundheitszustandstypen beobachtet werden. So berichteten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Typs 1 über eine signifikant höhere Arbeitseinstellung, Selbstwirksamkeit und wahrgenommene soziale Unterstützung im Vergleich zu den Typen 2 und 3. Deutlich hierbei wurde, dass diese drei Faktoren der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Typs 1 mit einem Verhalten und einer Bereitschaft einher gingen, die signifikant mit der Zeit der Arbeitsrückkehr zusammenhängen.
Geschlechtsspezifische Unterschiede
Welche geschlechterbezogenen Unterschiede es zwischen dem Einfluss arbeitsbezogener und nicht arbeitsbezogener sozialer Unterstützungsquellen auf die Gesundheit, das psychische Wohlbefinden und die Lebenszufriedenheit gibt, untersuchten Daalen, Sanders und Willemson (2005). Sie kamen zu dem Ergebnis, dass zum einen mehr Frauen als Männer soziale Unterstützung durch ihre Kolleginnen und Kollegen und zum anderen Frauen wie auch Männer gleichermaßen soziale Unterstützung durch ihre Vorgesetzten erhalten. Als Quellen nichtarbeitsbezogener sozialer Unterstützung erhielten Männer mehr soziale Unterstützung durch ihre Ehepartnerin und Frauen durch Verwandte und Freunde.
Van Well und Kolk (2008) untersuchten den moderierenden Effekt der Geschlechterrollenidentifikation, des Geschlechtes und die Unterstützungsart auf die abpuffernde Funktion von sozialer Unterstützung auf kardiovaskuläre Reaktionen. Sie nahmen an, dass die weiblichen Teilnehmer mehr von der direkten Unterstützung und die männlichen Teilnehmer mehr von der indirekten Unterstützung profitieren würden. Im Ergebnis stellten sie jedoch keine moderierenden Effekte der Geschlechterrollenidentifikation fest, weder in Kombination mit der Unterstützungsart noch ohne. Die Ergebnisse machten jedoch eine dämpfende Wirkung von psychischer Unterstützung auf die Herzfrequenz und die Herzleistung bei Männern deutlich.
Vereinbarkeit von Arbeits- und Familienleben
Shockley und Allen (2013) gingen in ihrer Studie der Frage nach, welchen Einfluss betriebliche Störungen zusammen mit familiären Störungen auf kardiovaskuläre Indikatoren haben und welche Rolle soziale Unterstützung hierbei spielt. Im Ergebnis wurde festgestellt, dass Indifferenzen zwischen der Arbeit und der Familie, die über eine längere Episode auftreten, mit einer Erhöhung der Herzfrequenz (nicht aber mit einer Erhöhung des Blutdrucks) verbunden sind, wobei die wahrgenommene soziale Unterstützung durch die Familie einen moderierenden Einfluss hat.
Im Rahmen einer polnischen Studie untersuchte Barka (2013) an 567 Krankenschwestern den Zusammenhang zwischen dem WF-Konflikt[6] sowie dem FW-Konflikt[7] auf die Gesundheit und den moderierenden Einfluss von sozialer Unterstützung. Im Ergebnis konnte zum einen gezeigt werden, dass hohe WFC- und FWC-Ausprägungen mit einer geringen physischen und psychischen Gesundheit korrelierten. Zum anderen wurde deutlich, dass soziale Unterstützung einen moderierenden Einfluss auf die negativen Auswirkungen des WF-Konfliktes auf die psychische Gesundheit ausübt, nicht aber der FW-Konflikt. Darüber hinaus konnte kein moderierender Einfluss von sozialer Unterstützung auf die Beziehung zwischen dem WF- und dem FW-Konflikt auf die physische Gesundheit festgestellt werden.
Cortese, Colombo und Ghislieri (2010) untersuchten weiterhin den Zusammenhang zwischen dem WF-Konflikt und der Arbeitszufriedenheit und die Rolle von sozialer Unterstützung. Im Ergebnis konnten Sie zum einen den Zusammenhang zwischen dem WF-Konflikt und der Arbeitszufriedenheit bestätigen. Zum anderen konnten sie die Bedeutung einiger WF-Prädiktoren (wie zum Beispiel ein unterstützendes Unternehmensmanagement, emotionale Belastung der Beschäftigten sowie Arbeitsanforderungen) nicht nur in Verbindung mit dem WF-Konflikt aufzeigen, sondern auch für ihre direkten Verbindungen mit der Arbeitszufriedenheit. Cortese et al. (2010) zufolge könnten Unternehmen das Ziel verfolgen, WF-Konflikte zu reduzieren, indem sie entsprechende Unterstützungsmaßnahmen organisieren, spezielle Arbeitszeitmodelle zum Einsatz bringen, eine familienfreundlichere Politik betreiben und individuelle Beratungsprogramme für Beschäftigte anbieten.
Gesundheitsbeeinträchtigung durch soziale Unterstützung
In der Forschung, Theorie und Praxis wird überwiegend davon ausgegangen, dass der Kontakt mit anderen Menschen, der oft auch als soziale Unterstützung charakterisiert wird, für den Empfänger von Vorteil ist. Aus diesem Grund wird abschließend die Studie von Beehr, Bowling und Bennett (2010) aufgeführt, die die Möglichkeit untersuchten, dass soziale Interaktionen am Arbeitsplatz, auch wenn sie hilfreich wirken sollen, manchmal schädlich sind. Untersucht wurden hierbei drei Typen potenziell unterstützender Interaktionen mit anderen Menschen am Arbeitsplatz, die schädlich sein könnten: (1) Interaktionen, die einer Person bewusst machen, wie stressig ihr Arbeitsplatz ist, (2) Hilfe, die dem Empfänger das Gefühl gibt, inadäquat oder inkompetent zu sein und (3) unerwünschte Hilfe. Den Ergebnissen zufolge haben diese drei Interaktionstypen am Arbeitsplatz einen negativen und stärkeren Effekt auf die psychische und physische Gesundheit, als die Positiveffekte auf diese. Als die potenziell schädlichste Interaktionsform erwies sich diejenige, die die Aufmerksamkeit einer Person auf den Stress am Arbeitsplatz zog. Die Ergebnisse von Beehr et al. (2010) machen deutlich, dass in einigen Fällen soziale Unterstützung, auch wenn sie angeblich hilfreich sein soll, schädlich sein kann.
2.3 Gesundheit
Neben den Konstrukten der sozialen Beziehungen und der sozialen Unterstützung wird in Folge das Konstrukt „Gesundheit“ kurz dargestellt, das dieser Forschungsarbeit zu Grunde liegt. Darüber hinaus wird die aktuelle gesundheitliche Situation von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten dargestellt. In Anbetracht des national verfüg-baren Datenbestandes, seitens der Krankenkassen und der Deutschen Rentenversicherung, reduzieren sich die Ergebnisse auf Angaben über die Arbeitsunfähigkeit und die verminderte Erwerbsfähigkeit des deutschen nationalen physiotherapeutischen Berufsstandes. Um diese schließlich sehr krankheitsorientierte Perspektive um eine ressourcenorientierte zu erweitern, werden zusätzlich sowohl nationale als auch internationale Studienergebnisse zu dem Thema „Gesundheit von Physiotherapeuten“ der letzten zehn Jahre dargestellt. Allerdings verfolgt auch diese eine überwiegend defizit- beziehungsweise krankheitsorientierte Betrachtungsweise, so dass die Darstellung gesundheitlicher Ressourcen von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten eher gering ausfällt. So mangelt es beispielsweise an Studien, die Auskunft über die Arbeitsfähigkeit oder die gesundheitsbezogene Lebensqualität von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten national wie international geben.
2.3.1 Perspektive Gesundheit
In der Vergangenheit wie auch heute verfolgen Betriebe und Organisationen das Ziel, gesunde Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu beschäftigen. Was bedeutet der Begriff „gesund“ und wann sind die Beschäftigten eines Betriebes gesund?
Ein Blick in die Praxis betrieblicher Gesundheitsförderungsinterventionen zeigt, dass in Unternehmen der Gesundheitszustand der Beschäftigten in den meisten Fällen mithilfe zweier Kennzahlen erhoben wird: die Anzahl der Arbeitsunfälle und die Anzahl der krankheitsbedingten Fehltage. (Naidoo und Wills 2003) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelten demnach als »gesund«, wenn die Anzahl der krankheitsbedingten Fehltage und Arbeitsunfälle möglichst gering sind. Aus diesem methodischen Vorgehen lässt sich das zugrunde gelegte Gesundheitsverständnis ableiten. In diesem Fall wird die Gesundheit der Belegschaft offensichtlich mit der Abwesenheit von gesundheitlichen Beeinträchtigungen beziehungsweise Krankheiten gleich gesetzt. Auf der Interventionsebene kommen dann häufig Angebote wie „ergonomische Arbeitsplatzanalysen, Rückkehr- und Fehlzeitengespräche, arbeitsplatzbezogene Gelenk- und Herz-Kreislauf-Trainings“ und / oder Rückenschulkurse zum Einsatz (Bittner 2008), die auf die präventive Reduktion von Risikofaktoren ausgerichtet sind. Gesundheit wird zu einem „negativen Begriff, der weniger definiert, was Gesundheit ist, sondern was Gesundheit nicht ist“ (Franke 2006). Grundsätzlich kann konstatiert werden, „dass es eine allgemein gültige anerkannte wissenschaftliche Definition von Gesundheit nicht gibt“ (Zeyer und Odermatt 2009, 266) Demzufolge gibt es keinen allgemein anerkannten Konsens darüber, wann Menschen und damit auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Unternehmens gesund sind.
Die Perspektive auf das Gesundheits-Krankheits-Geschehen erweist sich allerdings als essenziell. Denn sie ist handlungsleitend in der Anamnese, Planung, Umsetzung und Auswertung der zum Einsatz kommenden gesundheits- beziehungsweise krankheitsbezogenen Interventionen. Das Gesundheits-Krankheits-Verständnis ist vergleichbar mit der Philosophie eines Unternehmens. Es bedarf einer Vision, einer Philosophie, um systematisch alle weiteren Grob-, Fein- und Feinstziele und aus diesen alle weiteren Strategien und Maßnahmen abzuleiten. (Ksienzyk 2006)
Bei genauerer Betrachtung des öffentlichen und betrieblichen Gesundheitssettings bezüglich des zugrunde gelegten Gesundheits-Krankheits-Verständnisses wird deutlich, dass das biomedizinische Krankheitsmodell nahezu unhinterfragt den theoretischen Ausgangspunkt in allen Bereichen der gesundheitlichen Versorgung sowie der zu planenden und umzusetzenden Gesundheitsinterventionen darstellt. Krankheit wird nach diesem Verständnis als Abweichung von einem natürlichen, einem normalen Zustand des Organismus betrachtet. Die Einordnung von Erkrankungen erfolgt anhand ihrer Symptome, ihrer Ätiologie und ihres Verlaufs. Der soziale Kontext der jeweiligen Person findet keine Berücksichtigung. (Frieling und Sonntag 1999, 121f.) Bei dieser Vorgehensweise steht die pathogenetische Perspektive im Vordergrund, nach welcher vornehmlich die Frage gestellt wird: „Was macht Beschäftigte krank?“ Das Modell der Salutogenese nach Antonovsky (1997) nimmt an dieser Stelle einen Perspektivwechsel vor und fragt, was den Menschen beziehungsweise Beschäftigte gesund erhält beziehungsweise gesund macht. Diesen Perspektivwechsel aufgreifend beschäftigt sich der Sozialkapitalansatz nach Badura (2013) mit den sozialen Ressourcen von Beschäftigten. Badura (2013) greift hierbei unter anderem die sozialen Beziehungen und die erlebte soziale Unterstützung von Erwerbstätigen auf und untersucht deren Einfluss auf die körperliche und psychische Gesundheit.
Die Modelle der Salutogenese nach Antonovsky (1997) sowie des Sozialkapitalansatzes nach Badura (2013) aufgreifend und den damit einhergehenden Paradigmenwechsel und der Abkehr von einer einseitig belastungsorientierten Betrachtungsweise (Badura, Greiner et al. 2013, VI), wird sich in dieser Arbeit mit der übergeordneten Frage beschäftigt, was Beschäftigte sozial gesund erhält und was ihre Arbeitsfähigkeit sozial beeinträchtigt. Der Begriff „sozial“ meint hierbei die erlebten sozialen Beziehungen im Arbeits- und Privatleben sowie die erlebte soziale Unterstützung im Arbeits- und Privatleben von berufstätigen Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten in Deutschland. Diese Herangehensweise stützt sich neben dem Gedankengut des Sozialkapitalansatzes nach Badura (2013) auf die Positionierung von Lehmann und Richenhagen (2013, In: Badura, Greiner et al. 2013, VII), nach welcher sich die Aufgabe Betrieblichen Gesundheitsmanagements in Zukunft nicht nur auf die Reduktion von Risiken an der Mensch-Maschine-Schnittstelle, sondern auf die Förderung von Potenzialen und Synergien an der Mensch-Mensch-Schnittstelle ausrichten sollte. Eine derart mitarbeiterorientierte Unternehmenspolitik geht den Studienergebnissen von Badura, Greiner et al. (2013) im Ergebnis nicht nur nachweislich mit einer Förderung der Arbeitsfähigkeit und Lebensqualität der Beschäftigten, sondern auch mit einer Steigerung des Unternehmenserfolges einher.
2.3.2 Gesundheit von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten
Das deutsche Gesundheitswesen zählte im Jahr 2011 4,9 Millionen Beschäftigte, von denen 2,79 Millionen Gesundheitsdienstberufen und 2,28 Millionen sogenannten "übrigen" Gesundheitsberufen angehörten. Die Beschäftigtengruppe "Physiotherapeuten, Masseure und medizinische Bademeister", die den "übrigen" Gesundheitsberufen zugeordnet wird, umfasste 2011 den Angaben der Gesundheitspersonalrechnung des Statistischen Bundesamtes zufolge 212.000 Beschäftigte, von denen 136.000 Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten ausmachten. (Statistische Bundesamt 2013)
Im Vergleich zu 2011 stieg 2012 die Beschäftigtenanzahl im deutschen Gesundheitswesen um mehr als 95.000 auf 5,2 Millionen Berufstätige an und ist somit „seit dem ersten Berechnungsjahr (2000) um rund 950.00 Beschäftigte“ beziehungsweise 22,6 Prozentpunkte angestiegen. „Die Zahl der Arbeitsplätze wuchs somit im Gesundheitswesen dreimal so stark wie in der Gesamtwirtschaft“ (Statistisches Bundesamt 2014). So konnten 3,2 % beziehungsweise 13.000 zusätzliche Arbeitsplätze in 2012 zum Beispiel in ambulanten Praxen sonstiger medizinischer Berufe, wie zum Beispiel Physio- und Ergotherapeuten, verzeichnet werden. (Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung 2014). Da zum Stand des 02.04.2015 keine weiteren Daten für und ab dem Jahr 2012 in der Datenbank des statistischen Bundesamtes hinsichtlich der Angaben: „Berufe im Gesundheitswesen gesamt, darunter Physiotherapeuten, die Differenzierung nach Alter, Geschlecht und Beschäftigungsverhältnis“, zur Verfügung standen, beziehen sich die folgenden Angaben auf das Jahr 2011.
Physiotherapeuten 2011 |
Gesamt |
Frauen |
Männer |
Gesamt |
100 % (136.000) |
100 % (111.000) |
100 % (25.000) |
unter 35 Jahre |
39,7 % (54.000) |
39,6 % (44.000) |
39,6 % (10.000) |
35 bis unter 50 Jahre |
39,7 % (54.000) |
40,5 % (45.000) |
36,0 % (9.000) |
50 Jahre und älter |
20,6 % (28.000) |
19,8 % (22.000) |
24,0 % (6.000) |
Tabelle 3: Beschäftigte Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten in Deutschland 2010 nach Alter und Geschlecht. Relative Häufigkeiten nach Eigenberechnungen basierend auf absoluten Häufigkeiten des statistischen Bundesamtes (www.gbe-bund.de, erstellt am 01.04.2015)
Mit 81,6 % (111.000) überwog der Anteil der weiblichen Physiotherapeutinnen im Jahr 2011 deutlich, im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen mit 18,4 % (25.000). Der Vergleich der Beschäftigungszahlen von 2011 mit den letzten 11 Jahren zeigt, dass sich die Anzahl von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten in Deutschland mehr als verdoppelt hat, der Anteil an Frauen im Durchschnitt jedoch um 1,97 % rückläufig (durchschnittlicher Frauenanteil von 2000-2011: 83,59 %, 2011: 81,62 %) und der der Männer mit 1,87 % ansteigend (durchschnittlicher Männeranteil von 2000-2011: 16,52 %, 2011: 18,38 %) ist. Ein Blick auf die Verteilung nach Alter und Geschlecht (Tabelle 3) zeigt, dass rund 80 % der berufstätigen Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten unter 35 bis unter 50 Jahre alt sind. Physiotherapeutinnen (Frauen) zwischen dem 35. und 50. Lebensjahr machen mit 40,5 Prozentpunkten in der Altersverteilung den größten Anteil aus. Ab einem Alter von 50 Jahren reduziert sich ihr Anteil allerdings auf 19,8 Prozentpunkte und liegt damit 4,2 Prozentpunkte unter dem Anteil ihrer gleichaltrigen Kolleginnen und Kollegen (24 %). (Statistisches Bundesamt 2015)
Beschäftigte im Gesundheitswesen |
Gesamt |
Frauen |
Männer |
Gesamt |
100 % (4.920.000) |
100 % (3.641.000) |
100 % (1.278.000) |
unter 35 Jahre |
31,8 % (1.567.000) |
33,5 % (1.219.000) |
27,2 % (348.000) |
35 bis unter 50 Jahre |
38,9 % (1.915.000) |
39,2 % (1.427.000) |
38,2 % (488.000) |
50 Jahre und älter |
29,2 % (1.437.000) |
27,3 % (995.000) |
34,6 % (442.000) |
Relative Häufigkeiten nach Eigenberechnungen basierend auf absoluten Häufigkeiten des statistischen Bundesamtes (www.gbe-bund.de, Stand: 2011, erstellt am 01.04.2015) |
Tabelle 4: Beschäftigte im Gesundheitswesen insgesamt nach Alter und Geschlecht in Deutschland 2011.
Der Altersvergleich der Erwerbstätigen im Gesundheitswesen (siehe Tabelle 4) zeigt auf, dass überdurchschnittlich viele Physiotherapeuten (+12,8 % über dem Bundesdurchschnitt) und Physiotherapeutinnen (+6,2 % über dem Bundesdurchschnitt) unter 35 Jahren in Deutschland erwerbstätig sind. Mit zunehmendem Alter sinkt jedoch im Verhältnis der Anteil physiotherapeutischer Beschäftigter. So lagen 50-jährige und ältere erwerbstätige Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten 2011 mit 10,6 Prozentpunkten unter dem Bundesdurchschnitt, ihre gleichaltrigen Kolleginnen hingegen mit -7,5 %.
beide Geschlechter |
Frauen |
Männer |
|
Insgesamt |
100 % (136.000)** |
81,6 % (111.000)** |
17,7 % (25.000)** |
Vollzeit |
69,1 % (94.000)*** |
66,6 % (74.000)*** |
84 % (21.000)*** |
Teilzeit |
30,9 % (42.000) |
33,3 % (37.000) |
16 % (4.000) |
Relative Häufigkeiten nach Eigenberechnungen basierend auf absoluten Häufigkeiten des statistischen Bundesamtes (www.gbe-bund.de, Stand: 2011, erstellt am 01.04.2015) |
Tabelle 5: Beschäftigungsverhältnis von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten nach Geschlecht in Deutschland 2011[8]
Mit Blick auf das Beschäftigungsverhältnis (siehe Tabelle 5) wird deutlich, dass der Großteil der Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten mit einem Anteil von 69 % einer Vollzeitbeschäftigung nach gehen, die restlichen 31 % auf Teilzeitbasis arbeiten. Auffällig dabei ist, dass männliche Physiotherapeuten eher (mit 84 %) einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen, als Frauen (66,6 %). (Statistisches Bundesamt 2015)
Darüber hinaus arbeiten, nach Angaben des statistischen Bundesamtes (2015), 68.000 Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten im ambulanten und 39.000 im stationären Versorgungssektor, weitere 9.000 hat das statistische Bundesamt in der "ambulanten Pflege" (2.000), "stationären Pflege" (2.000) und "sonstige ambulante Einrichtungen" (3.000) erfasst.
2.3.2.1 Arbeitsunfähigkeit bei deutschen Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten
Einen Einblick in die Entwicklung der krankheitsbedingten Ausfallquoten von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten in Deutschland ermöglicht die Arbeitsunfähigkeitsstatistik (AU-Statistik) des wissenschaftlichen Institutes der Ortskrankenkassen (Wido). Bis 2011 werden die AU-Tage und AU-Fälle von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten in dem Wido-Berufsgruppencluster „Masseure, Physiotherapeuten und verwandte Berufe“ aufgeführt, ab 2012 in dem konkreter definierten Cluster „Berufe in der Physiotherapie“. Tabelle 6 fasst die durchschnittlichen AU-Tage dieser Cluster zusammen und stellt diesen die gesamten durchschnittlichen AU-Tage der AOK-Versicherten in Deutschland (Bund) gegenüber. Deutlich hierbei wird, dass Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten von 2006 bis 2013 unterdurchschnittlich lange krankgeschrieben worden sind. Darüber hinaus ist für diesen Zeitraum ein Anstieg der AU-Dauer bei beiden Gruppen zu verzeichnen, wobei der Anstieg bei den Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten mit +2,6 Prozentpunkten etwas geringer ausfällt als im AOK-Bundesdurchschnitt von +3,1 Prozentpunkten.
2006 |
2007 |
2008 |
2009 |
2010 |
2011 |
2012 |
2013 |
|
AU-Tage je AOK-Mitglied (Bund) |
15,4 |
16,4 |
17 |
17,3 |
17,6 |
17,7 |
18,1 |
18,5 |
AU-Tage je AOK-Mitglied (Masseure, PTs u. verwandte Berufe) *ab 2011: Berufe in der Physiotherapie |
10,9 |
11,8 |
12,2 |
12,8 |
13,3 |
11,9 |
12,6* |
13,5 |
Datenbezug vom wissenschaftlichen Institut der AOK (wido) - Stand: 12.04.2012; 05.02.2015. * 2009-2011: "PTs" steht für das Wido-Berufsgruppencluster: "Masseure, Physiotherapeuten und verwandte Berufe in 2012-2013: "PTs" steht für das Wido-Berufsgruppencluster: „Berufe in der Physiotherapie“ "Bund" steht für den gesamten AU-Fall-Bundesdurchschnitt auf der Wido-Datenbasis. |
Tabelle 6: AU-Tage insgesamt je AOK-Mitglied*
Mit Blick auf die AU-Tage nach Krankheitsarten (siehe Tabelle 7) fällt auf, dass sich die physiotherapeutische Berufsgruppe zwischen 2009 und 2013 stets unter dem Bundesdurchschnitt befindet. Eine Ausnahme stellen die krankheitsbedingten Ausfalltage aufgrund psychischer Verhaltensstörungen mit 23,6 AU-Tagen dar, die geringfügig über dem Bundesdurchschnitt (23,4 AU-Tage) lagen. Es kann daher für Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten konstatiert werden, dass diese in 2013 am längsten (23,8 AU-Tage) aufgrund von psychischen Verhaltensstörungen arbeitsunfähig waren, gefolgt von Verletzungen, Vergiftungen und anderen Folgen äußerlicher Ursachen (17,5 AU-Tage), sowie Krankheiten des Kreislauf- und des Muskel-Skelett-Systems (jeweils 14,8 AU-Tage).
AU-Tage je Mitglied |
2009 |
2010 |
2011 |
2012 |
2013 |
|||||
PTs |
Bund |
PTs |
Bund |
PTs |
Bund |
PTs |
Bund |
PTs |
Bund |
|
Gesamtdurchschnitt |
12,8 |
17,3 |
13,3 |
17,6 |
11,9 |
17,7 |
12,6 |
18,1 |
13,5 |
18,5 |
Muskel-Skelett-Erkrankungen |
14,4 |
16,2 |
14,6 |
16,3 |
14,1 |
15,7 |
14,1 |
16,6 |
14,8 |
16,5 |
Krankheiten des Atmungssystems |
5,7 |
6,5 |
5,4 |
6,4 |
5,1 |
6,4 |
5,5 |
6,5 |
5,6 |
6,6 |
Verletzungen, Vergiftungen u.a. Folgen äußerlicher Ursachen |
15,4 |
16,3 |
15,8 |
16,3 |
13,6 |
16,2 |
16,9 |
17,2 |
17,5 |
17,4 |
Krankheiten des Verdauungssystems |
5,3 |
6,4 |
5 |
6,5 |
4,9 |
6,5 |
5,1 |
6,8 |
5,3 |
6,8 |
Krankheiten des Kreislaufsystems |
13,6 |
18,6 |
12,8 |
18,6 |
19,6 |
17,8 |
15,2 |
19,3 |
14,8 |
20,0 |
Psychische Verhaltensstörungen |
21,5 |
22,7 |
23,6 |
23,4 |
19,6 |
23,1 |
21,9 |
24,9 |
23,8 |
25,2 |
In den Jahren 2006 bis 2008 wurden keine krankheitsspezifischen AU-Fälle durch die GKV erhoben beziehungsweise dokumentiert. Datenbasis = 10,1 Millionen bei der AOK versicherte Erwerbstätige. Datenbezug vom wissenschaftlichen Institut der AOK (wido) - Stand: 12.04.2012; 05.02.2015) * 2009-2011: "PTs" steht für das Wido-Berufsgruppencluster: "Masseure, Physiotherapeuten und verwandte Berufe in 2012-2013: "PTs" steht für das Wido-Berufsgruppencluster: „Berufe in der Physiotherapie“ "Bund" steht für den gesamten AU-Fall-Bundesdurchschnitt auf der Wido-Datenbasis. |
Tabelle 7: AU-Tage nach Krankheitsarten je AOK-Mitglied (2009-2013)*
Mit Blick auf die AU-Fälle nach Krankheitsarten in den Jahren 2009 bis 2013 (siehe Tabelle 8) wird darüber hinaus deutlich, dass Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten zwar unterdurchschnittlich lange aufgrund von Erkrankungen des Atmungssystems an ihren Arbeitsplätzen ausgefallen sind, sie allerdings überdurchschnittlich häufig davon betroffen waren.
In den Jahren 2009 und 2010 lag die AU-Häufigkeit aufgrund von Erkrankungen des Verdauungssystems und psychischen Verhaltensstörungen ebenfalls über dem Bundesdurchschnitt, die jedoch ab 2011 unter diesen sank. Nach den Erkrankungen des Atmungssystems (mit 56,2 AU-Fällen) waren Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten in 2013 überwiegend aufgrund von Erkrankungen des Muskel-Skelett- (19,5 AU-Fälle) sowie des Verdauungssystems (17,0 AU-Fälle) arbeitsunfähig.
AU-Fälle je 100 AOK-Mitglieder |
2009 |
2010 |
2011 |
2012 |
2013 |
|||||
PTs |
Bund |
PTs |
Bund |
PTs |
Bund |
PTs |
Bund |
PTs |
Bund |
|
Gesamtdurchschnitt |
21,8 |
24,1 |
21,4 |
23,6 |
1,3** |
1,6** |
1,4** |
1,5** |
1,5** |
1,6** |
Muskel-Skelett-Erkrankungen |
20,5 |
31,6 |
22,1 |
33,4 |
18,1 |
33,6 |
19,3 |
33,7 |
19,5 |
33,2 |
Krankheiten des Atmungssystems |
57,3 |
47,6 |
52,9 |
42,4 |
48,4 |
43,5 |
46,6 |
42,7 |
56,2 |
51,0 |
Verletzungen, Vergiftungen u.a. Folgen äußerlicher Ursachen |
12,5 |
16,8 |
13,4 |
17,8 |
11,6 |
17,4 |
11,2 |
16,6 |
11,1 |
16,4 |
Krankheiten des Verdauungssystems |
21,7 |
21,4 |
21,0 |
20,2 |
17,4 |
20,1 |
18,0 |
19,9 |
17,0 |
19,7 |
Krankheiten des Kreislaufsystems |
7,1 |
8,1 |
7,2 |
8,1 |
5,6 |
8,1 |
5,4 |
8,3 |
5,0 |
7,8 |
Psychische Verhaltensstörungen |
11,5 |
8,5 |
11,7 |
9 |
8,6 |
9,6 |
8,8 |
9,9 |
8,6 |
9,8 |
In den Jahren 2006 bis 2008 wurden keine krankheitsspezifischen AU-Fälle durch die GKV erhoben beziehungsweise dokumentiert. Datenbasis = 10,1 Millionen bei der AOK versicherte Erwerbstätige. Datenbezug vom wissenschaftlichen Institut der AOK (wido) - Stand: 12.04.2012; 05.02.2015) * 2009-2011: "PTs" steht für das Wido-Berufsgruppencluster: "Masseure, Physiotherapeuten und verwandte Berufe in 2012-2013: "PTs" steht für das Wido-Berufsgruppencluster: „Berufe in der Physiotherapie“ "Bund" steht für den gesamten AU-Fall-Bundesdurchschnitt auf der Wido-Datenbasis. ** Diese Daten sind vermutlich fehlerhaft. Sie konnten jedoch nicht durch das Wido korrigiert mitgeteilt werden. |
Tabelle 8: AU-Fälle je 100 AOK-Mitglieder (2009-2013)*
2.3.2.2 Verminderte Erwerbsfähigkeit bei deutschen Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten
Erwerbsunfähigkeit wird durch das statistische Bundesamt als eine "durch körperliche oder geistige Leiden bedingte Unfähigkeit, durch Arbeit den Lebensunterhalt zu verdienen" definiert.[9] (Statistisches Bundesamt, Begriff: Erwerbsunfähigkeit, 02.04.2015) "Als vermindert erwerbsfähig gilt, wer [aus medizinischen Gründen] nur noch unter drei beziehungsweise zwischen drei und sechs Stunden täglich [im Rahmen einer 5-Tages-Woche] arbeiten kann. Diese Menschen erhalten danach entweder die volle Erwerbsminderungsrente (unter drei Stunden) oder die halbe Erwerbsminderungsrente (drei bis unter sechs Stunden)" (Deutsche Sozialversicherung Europavertretung 2015).
Die deutsche gesetzliche Rentenversicherung (DRV) erfasst Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach den Krankheitsfolgen in Form von Berentungsdiagnosen nach ICD 10, nicht aber nach ihren Ursachen. Diese werden seit dem Berichtsjahr 2000 dem Tätigkeitsschlüssel aus dem Meldeverfahren zur Sozialversicherung mit den Angaben zum Beruf zugeordnet. Nach Angaben der DRV sind generell Aussagen zu ausgeübten Tätigkeiten / Berufen anhand der RV-Statistik jedoch nur mit Einschränkungen möglich, da einzelne Berufe und Tätigkeitsschlüssel untererfasst werden, das bedeutet nur der aktuelle Beruf / Tätigkeitsschlüssel erfasst wird. Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, die zum Beispiel nach 30 Jahren Erwerbstätigkeit den Beruf wechseln und aus diesem heraus als vermindert erwerbsfähig bewertet werden, werden in der DRV-Statistik über zugegangene Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht erfasst. (siehe Anlage 2). Der Anteil an Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, die aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen den Beruf vorzeitig wechseln, kann aus der folgenden DRV-Statistik (Tabelle 9) über den Rentenzugang wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht abgelesen werden. Die Aussagekraft der DRV-Statistik ist daher laut Angaben der DRV eingeschränkt und nur in Berufsgruppen zusammengefasst weitergabefähig. (Degtatjarjev (2012), Anlage 2)
Tabelle 9 stellt auszugsweise die Rentenzugänge 2010 wegen voller oder halber verminderter Erwerbsfähigkeit für die Berufsgruppen „Masseure, Krankengymnasten und verwandte Berufe“, „Krankenschwestern, -pfleger, Hebammen“ und „Ärzte“ dar und setzt diese in den Vergleich mit dem Gesamtdurchschnitt an Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bundesweit. Die Angaben werden hierbei differenziert nach Geschlecht aufgeführt. Um die drei Berufsgruppen miteinander zu vergleichen, wurden die Angaben um die Erwerbstätigenzahlen in 2010 der jeweiligen Berufsgruppen gemäß des Statistischen Bundesamtes erweitert. Auf dieser Basis wurden für die Summenwerte relative Häufigkeiten berechnet, die einen Vergleich der Berufsgruppen untereinander ermöglichen. Angaben aus den Vor- und Folgejahren waren nicht verfügbar. (siehe Anlage 3)
Mit Blick auf die vorliegenden Daten der Deutschen Rentenversicherung Bund (siehe Tabelle 9) wird deutlich, dass 0,43 % der Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten in 2010 als Rentenzugang wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bei der DRV gelistet wurden. Im Bundesvergleich liegt die Berufsgruppe damit zwar geringfügig unter dem Bundesdurchschnitt von ca. 0,45 %, allerdings überwiegt sie im Vergleich mit den Berufsgruppen „Krankenschwestern, -pfleger, Hebammen“ mit 0,41 % und den „Ärzten“ mit 0,01 %. Von den 563 Rentenzugängen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit waren 73,8 % (416) voll erwerbsgemindert. Ein noch höherer Wert ergibt sich bei den Krankenschwestern, -pflegern und Hebammen, bei denen 75,5 % der Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf die volle Erwerbsminderung zurückzuführen war.
|
Erwerbs- tätige 2010 |
Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit insgesamt |
darunter: Renten wegen voller Erwerbsminderung (5 Jahre Wartezeit) |
||||
Insgesamt |
Männer |
Frauen |
Insgesamt |
Männer |
Frauen |
||
Masseure, Krankengymnasten und verwandte Berufe |
130.000* 100 % |
563 0,43 % |
125 |
438 |
416 0,32 % |
96 |
320 |
Krankenschwestern, -pfleger, Hebammen |
818.000* 100 % |
3.387 0,41 % |
423 |
2.964 |
2.558 0,31 % |
327 |
2.231 |
Ärzte |
334.000* 100 % |
48 0,01 % |
12 |
36 |
40 0,01 % |
9 |
31 |
Insgesamt (Deutschland) |
40.600.000** 100 % |
182.678 0,45 % |
96.689 |
85.989 |
149.227 0,37 % |
77.537 |
71.690 |
Datenangaben zur Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit stammen aus einer Anfrage bei der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 19.03.2012 (siehe Anlage 2) Prozentangaben basieren auf Eigenberechnungen. * Quelle: Statistisches Bundesamt, Beschäftigte im Gesundheitswesen in 1.000 (2015) ** Quelle: Bäcker (2015) |
Tabelle 9: Rentenzugängen 2010 wegen verminderter Erwerbstätigkeit nach ausgewählten Berufen (Tätigkeitsschlüssel) des Versicherten vor Rentenbeginn der Deutschen Rentenversicherung Bund in absoluten Häufigkeiten
Es kann daher konstatiert werden, dass von den erfassten Rentenzugängen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit die Berufsgruppe der „Masseure, Krankengymnasten und verwandten Berufe“ insgesamt ähnlich hohe Zugangsquoten erreicht, wie die Berufsgruppe der „Krankenschwestern, -pfleger und Hebammen“ und beide Berufsgruppen mit rund 40 % über der Zugangsquote der Berufsgruppe „Ärzte“ liegen. Darüber hinaus liegen die Quoten wegen voller Erwerbsminderung der ersten beiden Berufsgruppen ähnlich bei 73,8 % bis 75,5 % und damit unter dem Bundesdurchschnitt (81,7 %).
Über die dargestellte Krankenstands- und Erwerbsminderungsstatistik hinaus, wechseln viele vollzeitbeschäftigte Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten jedoch vorzeitig ihr Tätigkeitsfeld, da sie sich nicht vorstellen können, ihrer Arbeit bis zum 67. Lebensjahr in demselben Arbeitsumfang nachgehen zu können. Diese Einschätzung aus der täglichen Praxis wird durch die Studienergebnisse von Pavlakis, Raftopoulos und Theodorou (2010), Campo und Darragh (2010), Campo, Weiser und Koenig (2009) sowie Lindsay et al. (2008) untermauert (siehe Kapitel 2.3.2.3 Tabelle 10, S. 78), so dass vermutet werden muss, dass die aufgeführten Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur einen Teilbereich umfassen, und wesentlich höher ausfallen würden, wenn ein Teil der Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten nicht frühzeitig einen Arbeitsplatzwechsel vornehmen würde. Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Forschungsarbeit kurz die Prävalenz untersucht, ob sich Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten vorstellen können, ihrer Arbeit bis zum gesetzlichen Rentenalter nachgehen zu können. (siehe Kapitel 4.2) Vor diesem Hintergrund stellt sich daher die Frage, wie gesund Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten im Durschnitt sind, welche Arbeitsanforderungen auf sie einwirken und welche Ressourcen es in ihrem Berufsleben gibt. Die folgenden internationalen und nationalen empirischen Studienergebnisse sollen diesbezüglich Einblick in die aktuelle Forschungssituation geben.
2.3.2.3 Internationale empirische Studienergebnisse
Die folgenden Studienergebnisse sind das Ergebnis einer systematischen Literaturrecherche, die am 03.02.2015 und 04.02.2015 in der DIMDI- und Pubmed-Datenbank durchgeführt wurde. Die DIMDI-Datenbank ist die Datenbank des Deutschen Institutes für medizinische Dokumentation und Information und ermöglicht den Zugriff auf rund 30 Datenbanken mit über 100 Millionen Dokumenten. Die Pubmed-Datenbank ist ein frei zugänglicher Service der „National Libary of Medicine and the National Institutes of Health“ und die weltweit umfangreichste medizinische Datenbank.
Die Literaturrecherche in der DIMDI-Datenbank (2015) bezog folgende Datenbanken ein:
- Medical Literature Analysis and Retrieval System Online (MEDLINE)
- (enthält u.a. „internationale Literatur aus der Medizin, Psychologie und des öffentlichen Gesundheitswesens“)
- BIOSIS Previews
- (enthält u.a. „internationale Literatur aus der Humanmedizin“)
- Experta Medica Database (EMBASE)
- (enthält u.a. „Nachweise der internationalen Literatur mit Schwerpunkt Europa aus der gesamten Humanmedizin und ihren Randgebieten“)
- Experta Medica Database (EMBASE) Alert
- (eine schnelle „Vorab“-Datenbank zu EMBASE)
- German Medical Science (gms)-Datenbank
- (enthält u.a. „bibliographische Angaben medizinischer Forschungsartikel“)
- SciSearch
- (enthält u.a. „Nachweise der weltweit veröffentlichen Literatur aus der Medizin“)
In einem ersten Schritt fand eine Suchabfrage anhand der folgenden Kriterien statt:
- Suchformulierung: physiotherapist AND health
- Zeitrahmen: von 2004 bis 2014
- Sprachen: Englisch, Deutsch
- Themenbereich: Mensch
Im Ergebnis wurden 4941 Dokumente gefunden, sodass die Suchformulierung um den Begriff „AND work“ ergänzt wurde, um die Suche weiter einzugrenzen. Im Ergebnis wurden 130 Dokumente gefunden, die anhand von zwei selbst definierten Filterkriterien weiter eingegrenzt wurden:
1. Studien mit einem Titel, der deutlich macht, dass es sich um die Gesundheit von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten handelt und nicht um die gesundheitlichen Wirkungen von physiotherapeutischen Interventionen für Patienten
2. Studien mit einem Titel, der deutlich macht, dass es sich um die Gesundheit von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten an ihren Arbeitsplätzen handelt
Nach Anwendung des ersten Filterkriteriums kamen von 130 Studien 5 Studien in die engere Auswahl. Nach Anwendung des zweiten Filterkriteriums reduzierte sich die Anzahl an relevanten Studien auf eine.
Die Literaturrecherche in der Pubmed-Datenbank erfolgte anhand derselben Suchkriterien, wie in der DIMDI-Abfrage:
- Suchformulierung: physiotherapist AND health AND work
- Zeitrahmen: von 2004 bis 2014
Im Ergebnis wurden 374 Dokumente gefunden, die mit Hilfe der vorgenannten Kriterien sowie zwei weiterer Kriterien weiter eingegrenzt wurden:
1. Studien mit einem Titel, der deutlich macht, dass es sich um die Gesundheit von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten handelt und nicht um die gesundheitlichen Wirkungen von physiotherapeutischen Interventionen für Patienten
2. Studien mit einem Titel, der deutlich macht, dass es sich um die Gesundheit von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten an ihren Arbeitsplätzen handelt
3. Aussonderung von Studien aus Entwicklungsländern
4. Aussonderung von Studien, die älter als 10 Jahre sind (<2004)
Nach Anwendung des ersten Filterkriteriums reduzierte sich der relevante Dokumentenbestand von 374 auf 31, nach Anwendung des zweiten Filterkriteriums auf 18, nach Anwendung des dritten Filterkriteriums auf 15 und nach Anwendung des vierten Filterkriteriums auf 11 Studien. Eine Übersicht über diese elf Studien wird in Tabelle 10 gegeben:
Publikation |
Stichprobenumfang |
Autor |
Titel |
2014, 9:36* Journal of Occupational Medicine and Toxicology; http://www.occup-med.com/content/9/1/36 |
85 PTs |
Brattig Schablon Nienhaus Peters |
Occupational accident and disease claims, work-related stress and job satisfaction of physiotherapists |
2014; 9:1 Journal of Occupational Medicine and Toxicology; www.occup-med.com/content/9/1/1 |
44 PTs |
McPhail Waite |
Physical activity and health-related quality of life among physiotherapists: a cross sectional survey in an Australian hospital and health service. |
2011; 12:24 BMC Musculoskeletal Disorders www.biomedcentral.com/1471-2474/12/24 |
112 (davon 66 PTs) |
Passier Mc Phail |
Work related musculoskeletal disorders amongst therapists in physically demanding roles: qualitative analysis of risk factors and strategies for prevention. |
2011; 66(3):373-378 CLINICS |
105 PTs |
Nordin Leonard Thye |
Work-related injuries among physiotherapists in public hospitals: a Southeast Asian picture. |
2011; Apr: 27(3):213-22 Physiotherapy Theory and Practice (Physiother Theor Pract) |
131 PTs |
Grooten Wernstedt Campo |
Work-related musculoskeletal disorders in female Swedish physical therapists with more than 15 years of job experience: prevalence and associations with work exposures. |
2010; 10:63 BMC Musculoskeletal Disorders www.biomedcentral.com/1472-6963/10/63 |
172 PTs |
Pavlakis Raftopoulos Theodorou |
Burnout syndrome in Cypriot physiotherapists: a national survey |
2010; 90:905-920 Physical Therapy. Journal of the American Physical Therapy Associacion. |
19 PTs |
Campo Darragh |
Impact of work-related pain on physical therapists and occupational therapists.
|
2010: Vol. 58, No.4 American Association of Occupational Health Nurses (AAOHN) Journal |
13 PKs 2 PTs |
Gropelli Corle K |
Nurses' and therapists experiences with occupational musculoskeletal injuries. |
2009; 89:946-956. Physical Therapy. Journal of the American Physical Therapy Associacion. |
882 PTs |
Campo Weiser Koenig |
Job strain in Physical Therapists |
2008; Jul; 16(4):194-200 Australian Journal of Rural Health |
80 PTs |
Lindsay Hanson Taylor McBurney |
Workplace stressors experienced by physiotherapists working in regional public hospitals. |
2002 Fall; 31 (3): 131-9 Journal of Allied Health |
169 PTs 138 OTs |
Balogun Titiloye Balogun Oyeyemi Katz |
Prevalence and determinants of burnout among physical and occupational therapists |
PTs = Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten PKs = Pflegekräfte * Die Studienergebnisse von Brattig et al. (2014) werden in Kapitel 2.4.4 (nationale Studienergebnisse) aufgeführt, da es sich um eine deutsche Studie handelt. |
Tabelle 10: Internationale Studienübersicht (Zeitraum: 2002 – 2014)
Die in Tabelle 10 dargestellten Studien lassen sich grob in drei Kategorien einteilen:
1. Arbeitsbedingte körperliche Risikofaktoren, Ressourcen und körperliche Beschwerden
2. Körperliche Ressourcen und Arbeitsanforderungen
3. Arbeitsbedingte psychische Risikofaktoren und psychische Beschwerden
Gemäß dieser Kategorien wurden im Rahmen der aufgeführten Studien folgende Ergebnisse gewonnen:
1. Campo et al. (2009) fanden in ihren Studien heraus, dass mehr als die Hälfte der befragten Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten (n = 882) arbeitsbedingte Schmerzen aufwiesen und 16 % der Befragten angaben, ihren Arbeitsplatz während der Nacherfassung gewechselt zu haben. Als Faktoren, die einen Arbeitsplatzwechsel sowie arbeitsplatzbedingte Schmerzen begünstigen, wurden hohe Arbeitsplatzbeanspruchungen sowie ein geringes Maß an Handlungsspielraum festgestellt. In einer weiteren Studie konnten Campo et al. (2010) wiederholt hohe Raten von arbeitsplatzbezogenen Schmerzen bei Ergo- und Physiotherapeuten identifizieren. Sie stellten sich hierbei die Frage, welche Auswirkungen die arbeitsbezogenen Schmerzen für die Probanden auf ihre Arbeit und ihr Privatleben haben. Im Ergebnis fanden sie heraus, dass arbeitsbedingte Schmerzen erhebliche Auswirkungen auf ihre Arbeit, ihr Privatleben und ihre Karriereplanung haben und dass die Berufskultur, in der den Therapeuten ein professionelles Ideal aufgezwungen wird, diese Effekte verkompliziert beziehungsweise erschwert. Da der Stichprobenumfang mit n = 19 als sehr gering einzustufen ist, geben die Ergebnisse lediglich einen Hinweis darauf, dass körperliche und psychosoziale Auswirkungen von arbeitsbedingten Schmerzen sowie die physikalischen Arbeitsanforderungen die klinische Arbeitsdauer sowie die Ausübung der Berufstätigkeit begrenzen können.
Gropelli und Corle (2010) untersuchten in ihrer Studie Pflegekräfte sowie Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten hinsichtlich der Prävalenz von arbeitsbedingten Verletzungen am Bewegungsapparat. Sie stellten fest, dass alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihrer Befragung entsprechende Verletzungen aufwiesen und mehr als die Hälfte über mehr als eine Verletzung am Rücken, Knie, Ellenbogen, Fuß, Bein, Brustbein, Schulter, Finger, Hüfte, Kopf sowie Nackenschmerzen aufwiesen. 66 % der Teilnehmenden berichteten, dass die Verletzungen am Bewegungsapparat arbeitsbedingte Wiederholungsverletzungen waren. In diesem Zusammenhang sind die Studienergebnisse von Grooten, Wernstedt und Campo (2011) anzuführen, nach welchen rund 75 % der Probanden angaben, arbeitsbezogene Beschwerden am Bewegungsapparat zu haben. Von diesen 75 % berichteten wiederum 53,5 % über muskuloskelettale Beschwerden bei mindestens einem Körperteil. Am meisten waren hierbei die Regionen „Hand/Handgelenk“ (58,5 %) und „Lendenwirbelsäule“ (56,5 %) betroffen. Hand- und Handgelenksschmerzen standen wiederum in einem Zusammenhang mit orthopädischen manuellen Techniken [OR = 3,90], mit Arbeiten an schwer zugänglichen und beengten Positionen [OR = 4,96] sowie mit höheren psychischen Arbeitsanforderungen [OR = 4,34]. Für Beschwerden am Rücken wurden ebenfalls Zusammenhänge mit Arbeiten an schwer zugänglichen oder beengten Positionen [OR = 6,37] sowie mit Knien oder Hocken [OR = 4,76] festgestellt. Allgemeine körperliche und psychische Anforderungen sowie spezifische therapeutische Aufgaben waren schließlich mit Beschwerden am Bewegungsapparat verbunden. Um die Kausalitätsrichtung genauer zu bestimmen, bedarf es, gemäß Grooten et al. (2011) zukünftig größerer Langzeitstudien. Passier und McPhail (2011) identifizierten Risikofaktoren sowie Strategien zur Reduktion von muskuloskelettalen Beschwerden bei Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten. Sie fanden heraus, dass Arbeitshaltung, Arbeitsbewegungen, Heben und Tragen, patientenbezogene Faktoren sowie repetitive Arbeitsaufgaben zu den am meisten wahrgenommenen Risikofaktoren der Probanden zählten. Auf der anderen Seite wirkten sich organisatorische Strategien, Arbeitsumfang, Arbeitsverteilung, Arbeitspraxis, Arbeitsumgebung, Arbeitsausstattung, Bildung, Training und die körperliche Konstitution positiv auf die Bewältigung der körperlich anstrengenden Arbeit aus. Ähnlich wie Grooten et al. (2011) sowie Passier und McPhail (2011) kamen Noerdin, Leonard und Thye (2011) zu dem Ergebnis, dass muskuloskelettale Beschwerden bei Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten überwiegend durch berufsspezifische Techniken wie Manuelle Therapie sowie Hebe- und Transferaufgaben gefördert werden. Darüber hinaus ermittelten sie signifikante Unterschiede zwischen dem Anteil an Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten mit und ohne arbeitsbezogenen Beschwerden am Bewegungssystem und der Probandengruppe mit einem BMI-Index über 25 und der Gruppe mit einem BMI-Index zwischen 18 und 25.
2. In Anlehnung an die Ergebnisse von Passier und McPhail (2011), nach welchen die körperlich anstrengenden Arbeitsanforderungen von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten unter anderem mit steigender körperlicher Konstitution besser bewältigt werden können, sowie von Nordin et al. (2011), nach welchen die Beschwerden am Bewegungssystem mit einem BMI unter 25 beziehungsweise zwischen 18 und 25 geringer sind, als mit einem BMI über 25, sind die Studienergebnisse von McPhail und Waite (2014) anzuführen. Denn sie konnten zeigen, dass die Probanden ihren Rollen als Physiotherapeutinnen oder Physiotherapeuten besser gerecht und ihren aufgabenspezifischen Anforderungen besser nachgehen konnten, wenn sie Interventionen tätigten, die gezielt auf die Förderung der körperlichen Konstitution und die Vorbeugung von muskuloskelettalen Beschwerden ausgerichtet waren, als wenn sie einer eher allgemeinen Bewegung nachgingen.
3. Lindsay et al. (2008) untersuchten in ihren Studien nicht die körperlichen Beschwerden von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, sondern die psychischen und die auslösenden Belastungen am Arbeitsplatz. Sie fanden heraus, dass mit 11 % rund jeder zehnte der Befragten angab, seinen Job aufgrund von Stress aufzugeben, wobei jedoch kein signifikanter Unterschied festgestellt wurde zwischen denen, die tatsächlich ihren Job verlassen haben und denen, die es nicht getan haben. Daraus lässt sich schließen, dass ein Teil der Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten darüber nachdenkt, seinen Job aufgrund des arbeitsplatzbezogenen Stresses zu verlassen. Mit Blick auf die arbeitsbezogenen Belastungen identifizierten Lindsay et al. (2008) folgende Schlüsselfaktoren: quantitative Arbeitsbelastungen, Komplexität an Patienten, kontinuierliche übermäßige Arbeitsbelastung, Kompensation von Fluktuation sowie die Kompensation von Personalmangel.
Balogun et al. (2002) untersuchten die psychischen Beschwerden von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten mit Blick auf die Burnoutausprägung. Im Vergleich mit dokumentierten Normen bisheriger Studien der allgemeinen Bevölkerung und anderer sozialer Dienstleistungsberufe (Physiotherapeuten mit eingeschlossen), erwiesen sich die anhand des Maslach-Burnout-Inventars (MBI) ermittelten Burnoutausprägungen „emotionale Erschöpfung“ (EE), „Depersonalisation“ (DP) und „emotionale Zielerreichung“ (PA) als überdurchschnittlich hoch. In Bezug auf die Vorhersage der Ausprägung der drei MBI-Scores konnte nur ein minimaler Einfluss soziodemographischer und arbeitsbezogener Faktoren (Kollegensupport und Vorgesetztensupport) festgestellt werden, mit einer Ausnahme. Von insgesamt 20 unabhängigen Variablen waren drei Variablen zur Vorhersage der emotionalen Erschöpfung (EE) geeignet: 1. der Vorgesetztensupport, 2. die Anzahl der Kinder und 3. die religiöse Ausrichtung. Darüber hinaus konnte herausgefunden werden, dass der Vorgesetztensupport für die EE-Vorhersage, der Kollegensupport für die PA-Vorhersage, jedoch keine der erhobenen Variablen zur DP-Vorhersage geeignet ist. In diesem Zusammenhang sind die Forschungsergebnisse von Pavlakis, Raftopoulos und Theodorou (2010) anzuführen, nach denen knapp jeder Zweite (46 %) seinen Job als stressig wahrnahm. Probanden, die im öffentlichen Sektor tätig waren, gaben hierbei mit 57 % häufiger an, einen stressigen Job zu haben, als die Probanden aus der Privatwirtschaft (40 %). Darüber hinaus trafen bei 21,1 % der durch Balogun et al. (2002) befragten Probanden Maslachs Kriterien für Burnout zu. Die Punktprävalenz von Burnout war bei Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten im privaten Sektor mit 25,5 % höher als bei den Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Sektor mit 13,8 %, bei Männern etwas höher (22,2 % als bei den Frauen (20 %) und bei den getrennt lebenden Probanden höher (33,3 %) als bei den Verheirateten (21,6%) und den Alleinstehenden (18 %). Weiterhin korrelierten die Berufsjahre als Physiotherapeutin oder Physiotherapeut negativ mit (r = -0,229, p = 0,004) mit der Gesamtdepersonalisation (DP), so dass mit zunehmender Berufszugehörigkeit die Gesamtdepersonalisation der Betroffenen abnimmt. Ebenfalls konnte herausgefunden werden, dass die Einstufung des eigenen Jobs als stressig und das niedrige Gehalt signifikante Prädiktoren für eine hohe emotionale Erschöpfung (EE) waren, dass die Altersgruppe hohe Depersonalisationsausprägungen (DP) vorhersagt und dass der Beschäftigungssektor genau wie das niedrige Gehalt mit einem hohen persönlichen Zielerreichungsgrad (PA) einher gehen.
2.3.2.4 Nationale empirische Studienergebnisse
Die folgenden Studienergebnisse sind das Ergebnis einer systematischen Literaturrecherche, die am 03.02.2015 und 04.02.2015 in der DIMDI- und Pubmed-Datenbank durchgeführt wurden. Sie basieren auf derselben Vorgehensweise, die im Rahmen der internationalen Studienrecherchen verwendet wurde, nach welcher jedoch nur eine deutsche Studie von Brattig et al. (2014) identifiziert werden konnte. Aus diesem Grund wurde die Recherche um folgende Suchportale erweitert:
- Thieme Zeitschriftenarchiv
- (enthält u.a. nationale Literatur aus der Physiotherapie und greift dabei u.a. Zeitschriften wie die physioscience (das deutschsprachige Forum für wissenschaftlich interessierte Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten) und die physiopraxis zurück)
- Pt_Journal für Physiotherapeuten – Zeitschriftenarchiv
- (enthält u.a. nationale Literatur aus der Physiotherapie)
- G+G Wissenschaft (GGW) - Zeitschriftenarchiv
- (enthält u.a. nationale Literatur aus der Gesundheits- und Sozialpolitik)
- Katalog der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen
- (enthält u.a. den kompletten Literaturbestand der SuUB seit 1966 sowie ca. 40 Millionen elektronische nationale und internationale Aufsätze)
- GKV-Gemeinsamer Verbundkatalog
- (enthält u.a. 39,9 Millionen Titel mit mehr als 100,5 Millionen Besitznachweisen von Büchern, Zeitschriften, Aufsätzen, Kongressberichten aus Deutschland und Österreich)
Nach Anwendung der in Kapitel 2.3.2.3 verwendeten vier Filterkriterien reduzierte sich das relevante Studieninventar auf 9 Studien, eine Literaturrecherche, eine Fokusgruppendiskussion sowie einen Praxisbericht, die in Tabelle 11 dargestellt werden:
Publikation |
Stichprobenumfang |
Autor |
Titel |
2014, 9:36* Journal of Occupational Medicine and Toxicology; http://www.occup-med.com/content/9/1/36 |
85 PTs |
Brattig Schablon Nienhaus Peters |
Occupational accident and disease claims, work-related stress and job satisfaction of physiotherapists |
2013; 9:66-71 physioscience, |
Fokus- gruppen- diskussion |
Girbig Deckert Druschke Nienhaus Seidler |
Arbeitsbedingte Belastungen, Beschwerden und Erkrankungen von Physiotherapeuten in Deutschland. Ergebnisse einer Fokusgruppendiskussion. |
2011; 7:29-35 physioscience |
2.233 PTs 1273 ETs |
Barzel Ketels Schön Haevernick Lang Link Netzland Trenkner Wagner v.d. Bussche |
Erste deutschlandweite Befragung von Physio- und Ergotherapeuten zur Berufssituation, Teil 1: Profil der Teilnehmer (Basisdaten) |
2011; 7(4):159-166 physioscience |
2.233 PTs 1273 ETs |
Barzel Ketels Schön v.d. Bussche |
Erste deutschlandweite Befragung von Physio- und Ergotherapeuten zur Berufssituation, Teil 4: Zufriedenheit im Beruf |
2011; 63[2011] 10 pt_Zeitschrift für Physiotherapeuten |
27 PTs |
Buschek |
Burnout unter Physiotherapeuten. Entwicklung und Pretest eines Fragebogens zur Erfassung psychosozialer Arbeitsbelastungen und arbeitsbezogener Ressourcen. |
2011; 50. Jg., 2011, Nr. 12: 22-28 Et Reha, (Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V.) |
173 PTs 119 ETs 98 LPs |
Wolf |
Berufsspezifische Belastungsfaktoren bei Ergotherapeuten, Physiotherapeuten und Logopäden. |
2011; Jg. 11, Heft 2 (April) GGW, Hrsg; wissenschaftliches Institut der AOK) |
Praxis- bericht |
Meyer |
Burn-out trifft vor allem Menschen in helfenden Berufen. |
2008; 60 [2008] 10, 1068-1081 pt_Zeitschrift für Physiotherapeuten |
223 PTs
|
Gröbel |
Psychosoziale Belastungen von PhysiotherapeutInnen. Querschnittstudie zur Arbeitsbelastung mittels des COPSOQ |
2007; 1. Auflage VDM Verlag |
Literaturrecherche |
Kirch |
Einflussfaktoren auf die Arbeitszufriedenheit in der stationären Physiotherapie |
2006:58 (2006) 7 Zeitschrift für Physiotherapeuten |
111 PTs |
Burtchen |
Berufsbedingte Belastungen von Physiotherapeuten und ihre Bewältigung. |
2005; 1(2):72-80 physioscience |
54 PTs |
Neubauer |
Arbeitszufriedenheit von Physiotherapeuten. |
2005 Hochschulschrift, Hildesheim: Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst, Fachhochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen, Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit |
41 PTs |
Tanzmann |
Arbeitszufriedenheit von Physiotherapeuten im Handlungsfeld Betrieb des deutschen Gesundheitswesens – Ableitung von Zielen und Interventionen der Prävention |
PTs = Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten; ETs = Ergotherapeuten; LPs = Logopäden Die kursiv gekennzeichneten Studien werden aus der Ergebniszusammenstellung ausgeschlossen, da entweder die Fallzahl zu gering Buschek (2011): n = 27) oder die thematische Bearbeitung keine Studiendarstellung umfasste (Kirch 2007). |
Tabelle 11: Nationale Studienübersicht (Zeitraum: 2002-2014)
Die in Tabelle 11 dargestellten Studien lassen sich grob in drei Kategorien einteilen:
1. Arbeitsbedingte körperliche Risikofaktoren, Ressourcen und körperliche Beschwerden
2. Arbeitszufriedenheit und Einflussfaktoren
3. Arbeitsbedingte psychische Risikofaktoren und psychische Beschwerden
Gemäß dieser Kategorien wurden im Rahmen der aufgeführten Studien folgende Ergebnisse gewonnen:
1. Barzel et al. (2011) fanden in dem ersten Teil ihrer deutschlandweiten Befragung zur Berufssituation von 2043 Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten und 1152 Ergotherapeuten heraus, dass 2008 rund 13,5 % der Befragten ohne geschlechtsspezifische Unterschiede akademisiert waren. Darüber hinaus stellten sie fest, dass „fast die Hälfte der Frauen zwischen 31 bis 41 Stunden pro Woche (45%) und nur knapp ein Viertel (23,9 %) mehr als 40 Stunden“ arbeiteten. Im Gegensatz dazu gaben über die Hälfte der Männer (56,4 %) an „mehr als 40 Stunden pro Woche zu arbeiten“. Ein geschlechtsspezifischer Unterschied kann daher vermutet werden. Weiterhin fanden sie Hinweise, „dass bei [physiotherapeutischen] Männern ein Zusammenhang zwischen Arbeitszeit und Alter besteht“. Denn „je länger die wöchentliche Arbeitszeit, desto höher das mittlere Alter der Männer“. In dem zweiten Teil ihrer Befragung untersuchten Barzel, Ketels et al. (2011) vornehmlich den Berufsalltag der Therapeutinnen und Therapeuten und stellten unter anderem fest, dass weniger als die Hälfte (42,9 %) das Gefühl hatten, ihre Patienten optimal versorgen zu können. 5,6 % der Befragten bewerten ihre Versorgungsmöglichkeiten als schlecht. Deutlich wurde hierbei, dass Selbstständige insgesamt die Versorgungsbedingungen im Vergleich zu allen anderen mit 51,5 % am besten einschätzen. Mit Blick auf das Zeiterleben (bezogen auf den einzelnen Patienten) hatten 31,6 % der Befragten keine Probleme, 34,2 % waren in dieser Frage unentschieden und weitere 34,2 % gaben an, zu wenig Zeit für ihre Patienten zu haben. Diese Meinung differierte zwischen dem stationären und dem ambulanten Sektor, da Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten aus dem stationären Sektor mit 34,2 % angaben, zu wenig Zeit für den einzelnen Patienten zu haben, gegenüber 27 % ihrer Kolleginnen und Kollegen aus dem ambulanten Sektor. Darüber hinaus nahmen selbstständige Therapeutinnen und Therapeuten weniger Zeitmangel (28,6 %) wahr als Angestellte (36,7 %). Mit Blick auf den Kostendruck war dieser für 46,7 % aller Therapeutinnen und Therapeuten deutlich spürbar, wobei Männer diesen deutlich stärker erlebten (55,2 %) als Frauen (44,7 %). Ähnlich verhielt es sich bei den Selbstständigen (52,7 %) und Angestellten (44 %). Nur jeder Zehnte (9,4 %) empfand seine therapeutischen Leistungen als gerecht bezahlt, wobei Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten mit 71,9 % deutlich unzufriedener waren als Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten (56,1 %). 91,8 % der Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten vertraten die Auffassung, dass das Vergütungssystem überarbeitet werden muss, wobei hierbei keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen, Angestellten und Selbstständigen sowie stationär und ambulant Tätigen bestanden.
Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse von Burtchen (2006) anzuführen, die erste Hinweise auf Belastungsfaktoren und angewandte Bewältigungsstrategien von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten geben. So fand sie heraus, dass körperliche Dauer- oder Überbelastung, Zeitdruck, die zu geringe Entlohnung sowie eingeschränkte Aufstiegsmöglichkeiten subjektiv beeinträchtigend und die Folgen der aktuellen Gesundheitspolitik und der gegenwärtige Heilmittelkatalog als vorwiegende Gründe für den erlebten Stress wahrgenommen werden. Darüber hinaus fühlte sich jeder Zweite an seinem Arbeitsplatz entweder fachlich unterfordert (20 %) oder überfordert (30 %) und ca. ein Drittel durch sein Privatleben gestresst (35 %). Private Belastungen haben wiederum einen Einfluss auf die Zufriedenheit am Arbeitsplatz. Umgekehrt können jedoch Arbeitsbelastungen durch das Privatleben abgepuffert werden. Mit Blick auf die Bewältigungsstrategien waren die meisten der Befragten bereit, sich mit ihrer Situation abzufinden und somit keinen Einfluss auf mögliche Veränderungen ihrer Arbeitsbedingungen über berufsständische Organisationen zu nehmen.
Konkretere Ergebnisse zum Thema arbeitsbedingte Belastungen, Beschwerden und Erkrankungen von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten konnten im Rahmen einer Fokusgruppendiskussion von vier Verbandsvertretern und einem Vertreter der Berufsgenossenschaft ermittelt werden, die nach Autorenangaben mit dem internationalen Forschungsstand vergleichbar sind. Sie untersuchten zum einen allgemeine Belastungen, spezifische Belastungen und arbeitsplatzbezogene Erkrankungen sowie arbeitsplatzbezogene Ressourcen. Im Rahmen der allgemeinen Belastungen wurden muskuloskelettale, dermale, physikalische und infektiöse körperliche sowie externe, interne sowie externe und interne psychische Belastungen identifiziert. Als besonders relevant und „mit einem frühzeitigen Berufsaustritt in Verbindung gebracht“ wurden muskuloskelettale Belastungen wie die Körperhaltung bei Behandlungen, der Patiententransfer, Kraftanstrengung sowie die passive Mobilisation. Ebenfalls als besonders relevant wurden dermale Belastungsfaktoren wie die häufige Feuchtarbeit sowie infektiöse Belastungen durch den Umgang mit Patienten und der damit verbundenen Ansteckungsgefahr von Erkältungen, Magen-Darm-Infekten, Atemwegsinfektionen, Hepatitis sowie methicillinresistenter Staphylococcus aureus (MRSA) eingestuft. Innerhalb der psychischen Belastungen wurden als externe (wirtschaftliche) Faktoren die Behandlungsvergütung sowie die Prüfpflichten (Rezepte) und als interne Faktoren der Umgang mit dem Tod als besonders relevant bewertet. In einem weiteren Schritt wurden die als relevant identifizierten Belastungsfaktoren den spezifischen Arbeitsbereichen (stationär, ambulant, stationär oder ambulant) und dem Anstellungsverhältnis (angestellt oder selbständig) zugeordnet (siehe Abbildung 7). Deutlich wird, dass die Spezifizierung der Belastungsfaktoren je nach Arbeitsbereich und Anstellungsverhältnis variieren. So werden für Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten im ambulanten Sektor vornehmlich körperliche Belastungsfaktoren aufgeführt und für Selbstständige vornehmlich externe und interne psychische Belastungsfaktoren wie wirtschaftliche Belastungen, Existenzangst sowie Mitarbeiterführung. (Girbig et al. 2013)
Abbildung 7: Zuordnung der wichtigsten Belastungsfaktoren zu spezifischen Arbeitsbereichen (Sektoren) sowie in Abhängigkeit vom Anstellungsverhältnis (Quelle: Girbig et al. 2013, S.69)
In einem nächsten Schritt wurden die relevanten Belastungsfaktoren in einen Zusammenhang mit Beschwerden und arbeitsplatzbezogenen Erkrankungen gebracht. So wurden als Berufskrankheiten „schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen (z.B. durch den Umgang mit Massagelotion, Salben, Handschuhe und Feuchtarbeit)“, „bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS [Lendenwirbelsäule] (z.B. durch Patienten einschließlich Teilkörpertransfers), Infektionskrankheiten sowie obstruktive Atemwegserkrankungen“ (z.B. durch die Arbeit mit erkrankten Patienten und allergieauslösenden Substanzen) aufgeführt. Darüber hinaus wurden „Beschwerden der Wirbelsäule (HWS, BWS), Sehnenscheidenentzündungen, Kniebeschwerden, Durchblutungsstörungen in den Beinen, vegetativ-psychosomatische Störungen, psychische Beschwerden (wie z.B. Burnout) und Anpassungsstörungen“ ebenfalls in Verbindung mit der physiotherapeutischen Arbeit gebracht. Als gesundheitsfördernde Merkmale der physiotherapeutischen Arbeit wurden abschließend „die Freiräume und Kreativität bei der Behandlung, die praktische Tätigkeit an sich, Bewegung, Vielfalt, Behandlungserfolg und positive Rückmeldungen der Patienten“ aufgeführt. (Girbig et al. 2013)
Untermauert werden diese Ergebnisse durch die Studienergebnisse von Brattig et al. (2014). Sie stellten fest, dass der Großteil der physiotherapeutischen Probanden hohe quantitative Arbeitsanforderungen erlebten, wobei die relevantesten Anforderungen aus einer Oberkörperhaltung zwischen 45° und 90° sowie einer hohen Handaktivität bestanden. Weiterhin litten 51 % der Probanden unter Beschwerden des Bewegungsapparates im Nacken und im Brustwirbelsäulenbereich. 24 % hatten Hauterkrankungen. Insgesamt betrachtet, waren die meisten (88 %) Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten mit ihrer Arbeit zufrieden. Als gesundheitsförderliche Faktoren wurden hierbei der hohe Grad an Einfluss auf die eigene Arbeit und Pausen, die praktische Anwendung von Fähigkeiten und Fachwissen, die hohe Wertschätzung für den Beruf, der Abwechslungsreichtum der Arbeit sowie ein gutes Arbeitsklima festgestellt. Die bereits durch Burtchen (2006), Barzel et al. (2011) sowie Girbig et al. (2013) aufgeführten Bedenken des Berufsstandes gegenüber den gesetzlichen Vorschriften und den Sozialleistungen des deutschen Gesundheitssystems, wurden auch durch Brattig et al. (2014) dargestellt und bestätigt.
2. Barzel, Ketels et al. (2011) untersuchten in dem vierten Teil ihrer Studie, wie zufrieden Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten in Deutschland mit ihrer Arbeit sind. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die Befragten auf einer Skala von 0 (gar nicht) und 100 (vollkommen) mit einem Wert von 67,7 mit ihrer beruflichen Situation insgesamt betrachtet zufrieden waren. Ein signifikanter Unterschied hinsichtlich Geschlecht, Angestelltenstatus oder Gesundheitssektor konnte nicht festgestellt werden. Mit Blick auf die Berufswahl würden rund 70 % der Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten ihren Beruf jederzeit wieder ergreifen, wobei Frauen gegenüber Männern und Selbständige gegenüber Angestellten zufriedener waren. Weiterhin waren rund 68 % der Befragten mit den Gestaltungsmöglichkeiten der eigenen Arbeit zufrieden, wobei diese durch die im ambulanten Gesundheitssektor Tätigen sowie Selbstständige besser eingeschätzt wurden als durch die im stationären Gesundheitssektor tätigen Angestellten. Da das Gefühl, Wertschätzung zu erfahren, aus Autorensicht maßgeblich zur Zufriedenheit beitragen kann, wurden die Therapeutinnen und Therapeuten zusätzlich gefragt, ob sie sich in ihrer beruflichen Tätigkeit ausreichend gewürdigt fühlen. Im Ergebnis fühlten sich 34,6 % der Befragten ausreichend gewürdigt, 21,3 % fühlten sich nicht ausreichend gewürdigt und 44,2 % waren in dieser Fragestellung unentschlossen, wobei Selbständige mit 44,8 % deutlich mehr Wertschätzung wahrnehmen als Angestellt (30,6 %). Geschlechtsspezifische Unterschiede konnten hierbei nicht ermittelt werden. Auf die Frage, ob sich die Therapeutinnen und Therapeuten häufig an ihrem Arbeitsplatz gestresst fühlten, antworteten etwa die Hälfte mit „ja“, unabhängig von ihrem Angestelltenstatus oder dem Gesundheitssektor. Mit den Arbeitszeiten waren mit 53,3 % schließlich mehr als die Hälfte der Therapeutinnen und Therapeuten zufrieden, wobei die in der Klinik Tätigen mit 71,9 % sowie die Angestellten mit 55,3 % deutlich zufriedener waren, als die in der Praxis Tätigen mit 44,8 % oder die Selbständigen mit 46,1 %. Abschließend wurden die Zusammenhänge zwischen der Zufriedenheit und den einzelnen Items analysiert. Im Ergebnis wurde der stärkste Zusammenhang zwischen der Arbeitszufriedenheit und der wahrgenommenen Wertschätzung (r = 0,49), der Berufswahl (r = 0,44) sowie den Gestaltungsmöglichkeiten (r = 0,43) ermittelt und der schwächste Zusammenhang zwischen der Arbeitszufriedenheit und dem berufsbezogenem Stress (r = 0,21).
Die Ergebnisse von Barzel et al. (2011) werden durch die Ergebnisse von Neubauer (2005) und Tanzmann (2005) bestätigt. In den wesentlich kleineren Studien kamen die Forscherinnen zu dem Ergebnis, dass die Mehrheit der Probanden zu dem Befragungszeitpunkt mit ihrer Arbeit zufrieden war. So wurde sowohl bei Neubauer (2005) als auch bei Tanzmann (2005) der soziale Rückhalt durch die Kolleginnen und Kollegen als überwiegend positiv wahrgenommen. 83,3 % der Therapeutinnen und Therapeuten konnten sich auf ihre Kolleginnen und Kollegen verlassen und 79,6 % hielten im Team zusammen, (Neubauer, 2005) 83 % konnten sich bei Schwierigkeiten auf ihren Vorgesetzten verlassen und 70 % erfuhren Anerkennung an ihrem Arbeitsplatz. Die Zusammenarbeit bewerteten 85 %, bezogen auf die eigene Berufsgruppe, als völlig positiv, bezogen auf andere Berufsgruppen mit 56 % deutlich geringer. Während für 58 % der Befragten dienstliche Gespräche während der Arbeit möglich waren, fielen private Gespräche 17 % deutlich geringer aus. Laut Neubauer (2005) erhielten 44,5 % der Befragten durch Vorgesetzte, Kolleginnen und Kollegen jedoch keine oder nur eine geringe Rückmeldung über die Qualität ihrer Arbeit. Ähnlich verhielt es sich mit den Ergebnissen von Tanzmann (2005), nach welchen nur 5 % der Befragten von ihren Vorgesetzten und 17 % von ihren Kolleginnen und Kollegen eine „Rückmeldung über die Qualität ihrer Arbeit“ erhielten.
Mit Blick auf die qualitativen Arbeitsbelastungen waren für 72,2 % der Befragten die Sachverhalte nicht zu kompliziert und auch die Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit nicht zu hoch. (Neubauer, 2005). Diese Ergebnisse werden durch die Ergebnisse von Tanzmann (2005) bestätigt. Im Gegensatz dazu fühlten sich 45 % der Befragten körperlich überfordert, 75 % standen unter Zeitdruck (bedingt durch den Behandlungstakt und die Behandlungszahlen), 81 % nahmen organisatorische Schwierigkeiten an und 46 % hatten das Gefühl, zu viel zu arbeiten. Mit Blick auf das Merkmal Information und Mitsprache sahen sich nach Neubauer (2005) 40,8 % mittelmäßig, 37 % völlig und 22,2 % gar nicht über wichtige Dinge am Arbeitsplatz informiert. Den Ergebnissen von Tanzmann (2005) zufolge wurden 55 % der Befragten nicht über betriebliche Vorgänge informiert. Darüber hinaus berücksichtigten die Therapieleitungen bei 48,1 % der Befragten nach Neubauer (2005) die Vorschläge ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bei 18,6 % jedoch gar nicht. Den Ergebnissen nach Tanzmann (2005) zufolge erhöhte sich die Quote der Probanden, deren Vorschläge durch den/die Vorgesetzte/n nicht berücksichtigt werden, sogar auf 60 %.
3. Gröbel (2008) legte in ihrer Querschnittsstudie den Schwerpunkt auf psychosoziale Belastungen von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten. Sie kam zu dem Ergebnis, dass sowohl die quantitativen Arbeitsanforderungen (Arbeiten unter hohem Arbeitstempo, Verteilung der Arbeit, Zeitdruck, zu leistende Überstunden) als auch die emotionalen Arbeitsanforderungen (Eingebundenheit und fordernde Arbeit, Anforderungen, Emotionen zu verbergen) insgesamt als „mäßig“ bewertet wurden. Als positiv wurden die Ergebnisse bezüglich des Work-(family) privacy conflicts (WPC) bewertet, da die Anforderungen der physiotherapeutischen Arbeit kaum, beziehungsweise nur gering das Privat- und Familienleben der Befragten beeinflussten. Die eigene Entscheidungsfreiheit über Pausen, Urlaub, Arbeitsunterbrechungen für Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen und ohne Erlaubnis den Arbeitsplatz aus privaten Gründen verlassen zu können, wurden durch die Probanden hingegen als „mäßig“ bewertet. Darüber hinaus stuften die Befragten ihre sozialen Beziehungen zu ihren Kolleginnen und Kollegen (getrenntes Arbeiten und Gespräche während der Arbeit) und das Feedback über die Qualität der eigenen Arbeit durch Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzte als gering ein und bewerteten die Führungsqualität hinsichtlich der Kriterien: Konfliktlösung, Planung, Arbeitszufriedenheit und Mitarbeiterentwicklung sowie die Vorhersagbarkeit (Informationen über Veränderungen am Arbeitsplatz sowie zur Erledigung der Arbeit) als „mäßig“. Als Folge dieser Belastungen konstatiert Gröbel (2008) „mäßige“ Werte des Copenhagen Burnout Inventorys (CBI). Im Gegensatz dazu wurde die Rollenklarheit (Befugnisse, Ziele, Verantwortungsbereiche, Erwartungen), die Häufigkeit sozialer Unterstützung durch Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzte sowie der Gesundheitszustand und die Lebenszufriedenheit als „hoch“ bewertet. Gröbel (2008) konstatiert schließlich, dass die positiven Auswirkungen hinsichtlich der Arbeits- und Lebenszufriedenheit sowie des Gesundheitszustandes „hoch“ und die negativen Auswirkungen der Belastungen, mit Ausnahme des Burnouts, „gering“ waren.
Meyer (2011) kam im Rahmen seiner AU-Datenanalyse zu dem Ergebnis, dass nicht nur häufiger Frauen als Männer, sondern auch bestimmte Berufsgruppen vornehmlich von Burnout betroffen sind. Dazu zählt er unter anderem therapeutische Berufe, in denen eine ständig helfende Haltung gegenüber anderen Menschen gefordert wird. So waren, den Angaben des wissenschaftlichen Institutes der Ortskrankenkassen zufolge, im Jahr 2009 Masseure, Krankengymnasten und verwandte Berufe 93,3 Tage je 1000 Mitglieder aufgrund eines Burnouts arbeitsunfähig gemeldet. Die Arbeitsunfähigkeitsdauer je Fall betrug 18,5 Tage und lag damit 5,7 Tage über den durchschnittlichen Fehltagen (12,8 AU-Tage) des aufgeführten AOK-Berufsgruppenclusters und 1,2 Arbeitsunfähigkeitstage über dem Bundesdurchschnitt (17,3 Tage).[10] Die Ursachen für einen Burnout können vielseitig sein. Neben individuellen Gründen wie enttäuschtem Idealismus und Enthusiasmus führt Meyer (2011) auch arbeits- und organisationspsychologische Einflüsse an, zu denen unter anderem die fehlende Unterstützung von Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzten sowie generell mangelnde Anerkennung oder ständige Überforderung [oder Unterforderung] zählen.
Wolf (2011) legte in ihrer Studie unter anderem den Fokus auf die Burnoutgefährdung von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, auf die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Burnoutkomponenten und den psychischen Beanspruchungen sowie auf die genutzten Bewältigungsmöglichkeiten der Therapeutinnen und Therapeuten. So stellte sie im Rahmen der Burnoutanalyse fest, dass sich bei über einem Viertel der Befragten erste Anzeichen auf eine beginnende Burnoutgefährdung zeigten. So wiesen 24,4 % der Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten erhöhte Risikowerte (≥ 3,5*[11]) in der MBI-Komponente „emotionale Erschöpfung“ (EE) und 7,6 % in der Kompontente „Depersonalisation“ (DP) auf. Auch konnte Wolf (2011) zeigen, dass psychische Belastungen wie soziale Beziehungen (r = 0,460), Arbeitsorganisation und Arbeitszeit (r = 0,492) sowie Stress (r = 0,701) mit der Ausprägung der emotionalen Erschöpfung (EE) korrelieren. Weitere Korrelationen identifizierte sie zwischen dem wahrgenommenen Stress der Therapeutinnen und Therapeuten und ihren sozialen Beziehungen (r = 0,484), ihrer Arbeitsorganisation und ihrer Arbeitszeit (r = 0,456) sowie ihrer Arbeitsaufgabe, ihrem Arbeitsinhalt und ihrer Arbeitstätigkeit (r = 0,540). Weitere Korrelationen zeigten sich zwischen den sozialen Beziehungen der Befragten und ihrem wahrgenommenem Stress (r = 0,484) sowie ihrer Burnoutausprägung (r = 0,488). Mit Blick auf die Bewältigungsmöglichkeiten gaben die Therapeutinnen und Therapeuten häufig unspezifische Maßnahmen an. So unterhieten und berieten sich 90 % der Befragten mit ihren Kolleginnen und Kollegen, 88 % achteten auf eine gesunde Ernährung, weitere 88% setzten auf ihre Fort-, Aus- und Weiterbildung, 82 % unterhielten sich mit ihren Familienangehörigen, 77 % betrieben Sport und 41 % praktizierten Entspannungstechniken. Zusätzlich wurden überwiegend emotionsorientierte Bewältigungsstrategien wie zum Beispiel das Ausüben verschiedener Hobbys, Treffen und Unternehmungen mit Freunden und der Familie genannt. Angebote wie Supervision, psychologische Beratung und Balintgruppen, die auf die Bearbeitung von beruflichen Problemen abzielen, wurden selten genutzt. An dieser Stelle führt Wolf (2011) ungenutzte Ressourcen, wie zum Beispiel die Belastungsbewältigung durch problemorientierte Bewältigungsstrategien an.
2.4 Zusammenfassung
Mit Blick auf den demographischen Wandel werden im Rahmen des deutschen Gesundheitssystems nicht nur Patientinnen und Patienten älter, sondern auch die Heil- und Hilfsmittelerbringer, wie zum Beispiel die Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten. So besteht die Herausforderung darin, dass zunehmend älter werdende Patientinnen und Patienten von ebenfalls zunehmend älter werdenden Therapeutinnen und Therapeuten versorgt werden müssen. Allerdings lassen die dargestellten Ergebnisse darauf schließen, dass die hierfür erforderliche Therapeutenzahl kontinuierlich sinkt und auch in Zukunft weiter sinken wird, so dass ein Therapeutenmangel und eine damit verbundene Unterversorgung zu befürchten sind. So scheidet ein Teil der Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten bereits vorzeitig aus dem physiotherapeutischen Berufsleben aus, da sie es sich nicht vorstellen können, ihrer Arbeit bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter nachzugehen. Ein anderer Teil scheidet schließlich erwerbsgemindert vorzeitig aus dem Berufsleben aus. Neben dem aufgeführten Ausbildungsrückgang und die zunehmend prekäre wirtschaftliche Situation angestellter wie auch selbstständiger Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten in Deutschland, stellte sich die Frage, inwieweit die berufsbedingten Arbeitsanforderungen es den Therapeutinnen und Therapeuten überhaupt ermöglichen, ihrer Arbeit bis zum Renteneintritt nachgehen zu können. So ging aus den aufgeführten internationalen und nationalen Studienergebnissen unter anderem hervor, dass:
· ein Großteil der Probanden arbeitsplatzbedingte (Wiederholungs-)Verletzungen und Beschwerden am Bewegungsapparat aufwiesen. (Gropelli und Corle 2010; Grooten, Wernstedt und Campo 2011)
· muskuloskelettale Beschwerden bei Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten überwiegend durch berufsspezifische Techniken wie Manuelle Therapie, Heben- und Transferaufgaben gefördert werden. (Noerdin, Leonard und Thye 2011)
· muskuloskelettale Belastungen (wie die Körperhaltung bei Behandlungen, der Patiententransfer, Kraftanstrengungen sowie die passive Mobilisation) als besonders relevante Risikofaktoren für einen frühzeitigen Berufsaustritt identifiziert wurden (Girbig et al. 2003)
· dermale Belastungen (wie die häufige Feuchtarbeit) sowie infektiöse Belastungen (durch den Umgang mit Patienten und der damit verbundenen Gefahr, sich mit Erkältungen, Magen-Darm-Infekten, Atemwegsinfektionen, Hepatitis oder MRSA anzustecken) als besonders relevante gesundheitliche Risikofaktoren identifiziert wurden. (Girbig et al. 2003)
· schwere oder wiederkehrende Hauterkrankungen, brandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule, Infektionskrankheiten sowie obstruktive Atemwegserkrankungen zu physiotherapeutischen Berufskrankheiten gezählt werden. (Girbig et al. 2003; Brattig et al. 2014)
· die gesundheitliche Konstitution (z.B. gemessen mit Hilfe des BMI-Indexes) einen signifikanten Unterschied zwischen den Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten mit und ohne körperliche Beschwerden bewirkt. (Noerdin, Leonard und Thye 2011)
· Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten mit zunehmend besser werdender körperlicher Konstitution ihre Arbeitsanforderungen besser bewältigen können, wobei sich die gezielte Stärkung der körperlichen Fähigkeiten als effektiver erwies, als die allgemeine Bewegungsförderung. (Mc Phail und Waite 2014)
· Jeder zweite Proband seinen Job als stressig empfindet und jeder Zehnte bereit war, seinen Job stressbedingt aufzugeben (hervorgerufen durch quantitative Arbeitsbelastungen, Patientenkomplexität, kontinuierliche übermäßige Arbeitsbelastungen, Kompensation von Fluktuation und Personalmangel). (Pavlakis, Raftopoulos und Theodorou 2010; Lindsay et al. 2008)
· Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten überdurchschnittlich häufig und lange burnoutbedingt arbeitsunfähig sind und damit ihrer Arbeit nicht nachgehen können (Meyer 2011)
Vor diesem Hintergrund überraschen die Arbeitsunfähigkeitsquoten nach Krankheitsarten je AOK-Mitglied, nach welchen deutsche Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten weder überdurchschnittlich häufig noch lange aufgrund von Muskel-Skelett-Erkrankungen oder psychischen Verhaltensstörungen arbeitsunfähig waren (siehe Kap. 2.3.2.1, S. 71) Vielmehr ist eine konstant überdurchschnittliche AU-Häufigkeit aufgrund von Erkrankungen des Atmungssystems zu verzeichnen.
Ein möglicher Grund könnte, physiotherapeutischen Berichten zufolge, darin bestehen, dass Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten als Experten des Bewegungsapparates selbst nicht ohne Weiteres zum Arzt gehen und bei diesem Hilfe suchen beziehungsweise sich durch diesen krankschreiben lassen würden. Diese Hypothese wurde bislang durch keine Studie überprüft, so dass hierzu keine weiteren Angaben gemacht werden können. Angenommen, die Hypothese würde jedoch wissenschaftlich bestätigt werden, müsste die Stärkung der körperlichen Leistungsfähigkeit von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten stärker in den Fokus gesundheitspolitischer und gesundheitsfördernder Bestrebungen rücken. Denn zum gegenwärtigen Stand scheinen vornehmlich psychische Beanspruchungen (v.a. in Form von Burnout) eine stärkere Beachtung (z.B. durch Krankenkassen und auch in der wissenschaftlichen Forschung) zu finden, als dies für körperliche Beanspruchungen oder die körperliche Arbeitsfähigkeit der Heil- und Hilfsmittelerbringer zutrifft.
Auch wurde deutlich, dass sich bisher weder nationale noch internationale Studien mit dem Einfluss sozialer Beziehungen und sozialer Unterstützung auf die sowohl körperliche als auch psychische Gesundheit und Arbeitsfähigkeit von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten befasst haben. Vielmehr stehen Fragestellungen im Vordergrund, die die Zusammenhänge zwischen Beschwerden und Erkrankungen, Beschwerden und Risikofaktoren oder die jeweiligen Prävalenzen näher untersuchen.
Darüber hinaus wurden Studien identifiziert, die den Zusammenhang zwischen sozialer Unterstützung und Gesundheit analysieren. So liegt auch in diesen der überwiegende Schwerpunkt auf der Analyse körperlicher oder psychischer Beschwerden oder Belastungen und der sozialen Unterstützung. Diese Studien wurden zum einen nicht in der Berufsgruppe der Physiotherapeuten durchgeführt, zum anderen vernachlässigen diese die ressourcenorientierte Perspektive von Gesundheit, sowie die der sozialen Unterstützung zugrunde liegenden sozialen Beziehungen. Denn gemäß Lenz und Nestmann (2009) ist „der soziale Rückhalt als Funktion sozialer Netzwerke und die soziale Unterstützung aus sozialen Netzwerken […] eng in persönliche Beziehungskonstellationen eingebunden und nur aus diesen heraus zu verstehen“ (Lenz und Nestmann 2009). So streben Menschen als soziale Wesen danach, über soziale Beziehungen ihre Sozialität und soziale Integration zu erhalten und zu sichern sowie ihr Bild von der Welt und ihrem Selbst in der Welt zu entwickeln. Soziale Beziehungen können hierbei unter anderem fördernd oder einschränkend, schützend oder schädigend, hilfreich oder belastend, direkt oder indirekt, formell oder informell wirken und sich sowohl auf private als auch berufliche Lebensbereiche beziehen. (Lenz und Nestmann 2009) Im Unterschied zum Privatleben sind soziale Beziehungen im Arbeitsleben, nach Heidbrink, Lück und Schmidtmann (2009) kein Selbstzweck, sondern „ein Mittel, um Aufgaben, Produkte, Leistungen und Erfolge zu schaffen“, so dass sie bewusst gestaltet und genutzt werden müssen. Diese strategische unternehmerische Ausrichtung aufgreifend, unterstützen „gesunde“ soziale Netzwerke, auch im Sinne des Sozialkapitalansatzes nach Badura (2008), betriebswirtschaftliche Interessen. Gesundheit wird in diesem Rahmen nicht nur aus defizit- und ressourcenorientierter Perspektive verstanden, sondern auch als ein entscheidender „Treiber-Faktor“ für die Entwicklung von Organisationspathologien (wie z.B. Mobbing, Burnout) sowie für die Ausprägung des körperlichen und psychischen Wohlbefindens, der Motivation und des Commitments der gesamten Belegschaft.
Kurzgefasst stellt die Mitarbeitergesundheit, definiert als die körperliche und psychische krankheits- wie auch ressourcenorientierte Konstitution und Arbeitsfähigkeit, zum einen eine entscheidende Voraussetzung für die Qualität von sozialen Netzwerken, Beziehungen und speziell sozialen Unterstützungsprozessen dar. Zum anderen wird sie, im Sinne von Rook und Underwood (2000), direkt durch soziale Beziehungen sowie, im Sinne von Cohen und Wills (1985), Geilenkothen (2005), Buchwald, Schwarzer und Hobfoll (2004), direkt durch soziale Unterstützung beeinflusst.
Vor diesem Hintergrund wird in Folge das zu überprüfende Forschungsvorhaben dargestellt, wobei der Einfluss sozialer Beziehungen und sozialer Unterstützung im Arbeits- und Privatleben auf die wahrgenommene Gesundheit von deutschen Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten im Vordergrund steht.
3 Kapitel 3: Methode
Vor dem in Kapitel 2 herausgearbeiteten theoretischen Hintergrund werden in Kapitel 3 die zu überprüfenden Hypothesen abgeleitet und bestimmt, die Untersuchungsplanung beschrieben und die zum Einsatz kommenden Messinstrumente sowie die methodische Vorgehensweise in der Datenauswertung dargestellt.
3.1 Hypothesen
In diesem Kapitel gilt es zunächst, gemäß des Bottom-up-Prinzips die zu überprüfenden Hypothesen theoriegeleitet zu bestimmen und schließlich das Analysemodell darzustellen.
Die Hypothesenbestimmung orientiert sich hierbei an folgender Struktur:
Direktbeziehungen zwischen den sozialen Beziehungen und der Gesundheit,
Direktbeziehungen zwischen der sozialen Unterstützung und der Gesundheit,
soziale Beziehungen (X) – soziale Unterstützung (Z) – Gesundheit (Y).
Im Fokus der Hypothesen stehen angestellte Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, die entweder in einer Leitungsposition oder als Angestellte oder Angestellter einen direkten Vorgesetzten haben.
3.1.1 Direktbeziehungen zwischen den sozialen Beziehungen und der Gesundheit
Untersuchungen zu Geschlechterunterschieden in sozialen Beziehungen zeigen, dass entgegen ursprünglicher Annahmen, intensivere persönliche Beziehungen zu Kolleginnen und Kollegen oft durch Frauen geführt werden. Weinert (2004) geht davon aus, dass für Frauen die sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz wichtiger für die Arbeitszufriedenheit sind als für Männer, die möglicherweise eher auf ihre Karriere ausgerichtet sind. Allerdings ist in diesem Rahmen auf ein Forschungsdefizit in der geschlechterbezogenen Kolleg/innenbeziehung hinzuweisen. (Huinik 1995) Diesen Denkweisen folgend ergibt sich als mögliche Fragestellung, ob soziale Beziehungen einen geschlechterspezifischen Einfluss auf die Gesundheit haben könnten. Hieraus leitet sich die erste Hypothese ab:
H1-1: Der Einfluss sozialer Beziehungen im Arbeits- und Privatleben auf die Arbeitsfähigkeit beziehungsweise gesundheitlichen Beschwerden von berufstätigen Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten ist geschlechtsspezifisch und weist demzufolge statistisch signifikante Unterschiede bezüglich des Merkmals „Geschlecht“ auf.
Wenn soziale Beziehungen einen geschlechtsspezifischen Einfluss auf die Gesundheit haben, stellt sich ferner die Frage, ob diese vor dem Hintergrund der verschiedenen Lebensphasen und der damit einhergehenden Bedürfnisse von Menschen, einen altersspezifischen Einfluss auf die Gesundheit haben. Hieraus leitet sich die zweite Hypothese ab:
H1-2: Der Einfluss sozialer Beziehungen im Arbeits- und Privatleben auf die Arbeitsfähigkeit beziehungsweise gesundheitlichen Beschwerden von berufstätigen Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten ist altersspezifisch und weist demzufolge statistisch signifikante Unterschiede bezüglich des Merkmals „Alter“ auf.
Nach Lenz und Nestmann (2009) ist soziale Unterstützung in soziale Beziehungskonstellationen eingebunden und nur aus diesen heraus zu verstehen. Ihrer Auffassung nach stellt die soziale Beziehung neben den situational interaktiven Kontexten eine reale und interpretative Basis von Support-Prozessen dar. Denn „ob und wann instrumentelle oder emotionale Unterstützungsleistungen ganz entscheidende und möglicherweise sehr viel grundlegendere und weitergehende emotionale Wirkungen“ zeigen, kann erst „unter Berücksichtigung des Beziehungskontextes ersichtlich werden“. In diesem Kontext ist die Fragestellung von Rock (2000) anzuführen, inwieweit die Dimensionen sozialer Beziehungen, unabhängig von einer Social-Support-Transaktion, nicht sogar generell und eigenständig Gesundheit und Wohlbefinden fördern. Der Annahme und Fragestellung folgend wird die Analyse des „social supports“ in dieser Forschungsarbeit durch die Analyse der „social relationships“ erweitert. Ziel ist es, herauszufinden, ob positive soziale Beziehungen im Arbeits- und Privatleben (unabhängig von sozialer Unterstützung) einen direkten Einfluss auf die wahrgenommene Gesundheit von berufstätigen Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten nehmen. Hieraus leitet sich die dritte Hypothese ab:
H1-3: Je positiver soziale Beziehungen im Arbeits- und Privatleben wahrgenommen werden, desto positiver ist die Arbeitsfähigkeit beziehungsweise desto geringer sind die gesundheitlichen Beschwerden von berufstätigen Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten.
3.1.2 Direktbeziehungen zwischen der sozialen Unterstützung und der Gesundheit
Aus Studienergebnissen von Walter und Kanning (2003), Illmarinen und Tempel (2002), Bartlomé (2006) u.v.a. geht hervor, dass das soziale Unterstützungsverhalten von Vorgesetzten einen signifikanten Einfluss auf das Verhalten und das Wohlbefinden der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausübt. Gleiches gilt für das soziale Unterstützungsverhalten zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, wobei sich der Bedeutungsgrad häufig erst dann erschließt, wenn die Arbeitsbeziehungen nicht mehr bestehen. (Vogel 2000) So trifft nach Huinik (1995) für soziale Beziehungen [und so auch vermutlich sozial unterstützende Beziehungen] zwischen Kolleginnen und Kollegen daher zu, was Diewald (1991) für Freundschaften feststellte: „Sie können in den persönlichen Netzwerken bestimmter Gruppen einen zunehmenden Stellenwert bekommen und zum Teil andere Beziehungen (wie Verwandtschaft, Nachbarschaft) substituieren“. In diesem Kontext sind die Untersuchungen zu Geschlechterunterschieden in sozialen Beziehungen anzuführen, nach welchen intensivere persönliche Beziehungen zu Kolleginnen und Kollegen oft durch Frauen geführt werden. Allerdings ist in diesem Rahmen auf ein Forschungsdefizit in der geschlechterbezogenen Kolleg/innenbeziehung hinzuweisen. (Huinik 1995) Diesen Denkweisen folgend könnte die Frage gestellt werden, dass wenn für Frauen soziale Beziehungen vielleicht wichtiger für ihre Arbeitszufriedenheit sind, sozial unterstützende Beziehungen für diese ebenfalls wichtiger für Ihre Gesundheit sind und damit einen stärkeren Einfluss auf diese haben könnten, als für ihr männlichen Kollegen. Hieraus leitet sich die Hypothese ab:
H2-1: Die soziale Unterstützung durch Kolleginnen und Kollegen hat bei berufstätigen weiblichen Physiotherapeuten einen höheren Einfluss auf die wahrgenommene Gesundheit, als bei ihren männlichen Kollegen.
Auf den oben genannten Studienergebnissen von Walter und Kanning (2003), Illmarinen und Tempel (2002) und Bartlomè (2005) aufbauend, sind die Forschungsergebnisse von Vogel (2000) aufzuführen. Diesen zufolge trägt der Verlust der Beziehungen am Arbeitsplatz mit folgender Arbeitslosigkeit deutlich zu einer reduzierten Lebenszufriedenheit und selbst zu Krankheit bei. In diesem Kontext besteht jedoch ein Widerspruch in der wissenschaftlichen Forschung, nach welchem die eine Forschergruppe (z.B. Israel (1996), Schumann (1996), Frese (1991), Semmer (1991)) die Auffassung vertritt, dass der Vorgesetzten-Support bei der Verminderung von Stresserleben wirksamer ist als der Kollegen-Support, während die andere Seite (z.B. La Roco (1978)) die Meinung vertritt, dass die positiven Effekte von Social Support eher den Kolleginnen und Kollegen zugeschrieben werden können. Unter Betrachtung des zu Grunde liegenden Studieninventars fällt in diesem Zusammenhang auf, dass sich weitaus mehr Studien mit den Verhältnissen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden befassen und weniger mit den Verhältnissen unter den Kolleg/innen selbst. (Wolf 1998) Es kann daher ein Forschungsbedarf bezüglich sozialer Unterstützung zwischen Kolleginnen und Kollegen konstatiert werden (Argyle und Henderson 1986), so dass sich die folgende Hypothese ableitet:
H2-2: Die soziale Unterstützung durch Kolleginnen und Kollegen hat für angestellte Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten einen höheren Einfluss auf die Gesundheit, als die soziale Unterstützung durch Vorgesetzte.
Soziale Unterstützung stellt darüber hinaus nicht nur im Arbeitsleben eine zentrale Ressource dar, sondern auch im Privatleben. So gehören nach House (1981) neben den Vorgesetzten und Arbeitskolleginnen und -kollegen maßgeblich auch der (Ehe-) Partner, Verwandte und Freunde zu Personen beziehungsweise Personengruppen, die soziale Unterstützung geben oder ermöglichen können. So stellt die erste Beziehung des Menschen in der Regel die Familie dar, in der er in der Regel von Geburt an Liebe, Zuwendung und Wärme erfährt. Da der Mensch im Normalfall seine ersten Lebensjahre in dieser Sozialisationsinstanz verbringt, stellt diese die erste wichtige Unterstützungsquelle für ihn dar. In Anbetracht dessen, dass jedoch eine Vielzahl von berufstätigen Menschen einen Großteil ihrer wachen Zeit mit Arbeitskollegen verbringt und im Falle von Vollzeitbeschäftigten die Arbeitszeit zum Teil die Zeit übertrifft, die sie mit ihren Lebensgefährten, Familienangehörigen oder Freunden verbringen können, leitet sich daher die folgende Hypothese ab:
H2-3: Die soziale Unterstützung im Arbeitsleben hat für berufstätige Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten einen stärkeren Einfluss auf die wahrgenommene Gesundheit als soziale Unterstützung im Privatleben.
Abschließend gilt es, den direkten Effekt von sozialer Unterstützung im Arbeits- und Privatleben auf die Gesundheit zu untersuchen. Den theoretischen Hintergrund bildet hierbei das Haupt-Effekt-Modell („main-effect-model“), nach welchem die Wirkung von Social Support auf das Wohlbefinden unabhängig von dem Ausmaß der Belastung ist, also mit allgemeinen und direkten Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Gesundheit einhergeht. Im Gegensatz zu dem Puffer-Modell konnte das Haupt-Effekt-Modell durch einige Studien belegt werden. So konstatieren Buchwald, Schwarzer und Hobfoll (2004), dass soziale Unterstützung im Allgemeinen als nützlich empfunden wird, unabhängig davon, ob Menschen eine stressreiche Situation erleben oder wahrnehmen. Cohen et al. (2001) fanden heraus, dass das ausschließliche Vorhandensein sozialer Beziehungen einen direkten Einfluss auf die psychische und physische Gesundheit hat. Vor diesem Hintergrund leitet sich die folgende Hypothese ab:
H2-4: Je positiver soziale Unterstützung im Arbeits- und Privatleben wahrgenommen wird, desto positiver die Arbeitsfähigkeit beziehungsweise desto geringer die gesundheitlichen Beschwerden.
3.1.3 Soziale Beziehungen (X) – soziale Unterstützung (Z) – Gesundheit (Y)
Die Forschungsergebnisse von Lenz und Nestmann (2009) sowie Rook und Underwood (2000) aufgreifend ist die Forderung zum Beispiel von Badr et al. (2001) anzuführen, nach welcher die Social-Support-Forschung und Social-Relationship-Forschung verknüpft werden müssen. Es wird kritisiert, dass die Social-Support-Forschung über Jahrzehnte hinweg kritische Lebensereignisse, den Stressbewältigungsprozess und damit Unterstützungsanlässe, -prozesse und -effekte oft sozial losgelöst und als beziehungsfreie Einzelereignisse konzipiert und erfasst hat. Aus diesem Grund sehen Lenz und Nestmann (2009) die Social-Support-Forschung aufgerufen, die eingebetteten sozialen Beziehungskontexte als entscheidenden Rahmen für das Zustandekommen und die Wirkung sozialer Unterstützung zu berücksichtigen. Denn erst durch die Berücksichtigung der sozialen Beziehungen lässt sich häufig feststellen, „wie und wann eine Person von einer anderen als hilfebedürftig erachtet wird, durch wen, wann und in welcher Form Hilfeleistungen durch die Beteiligten erwartet und gewährt werden, wie Unterstützung und Rückhalt von Helfer und Hilfeempfänger wahrgenommen und interpretiert werden und mit welcher Wirkung auf Gesundheit und Wohlbefinden der Unterstützungsprozess schließlich abläuft und endet“ (Duck et al. 1991). Neben situational interaktiven Kontexten ist die soziale Beziehung die interpretative Basis der Social-Support-Prozesse. Ob sich eine Person einer anderen öffnet und an wen sie sich aus ihrem sozialen Netzwerk wendet, wenn sie Rückhalt und Hilfe benötigt, hängt schließlich von den jeweiligen Merkmalen der sozialen Beziehung ab. (Lenz und Nestmann 2009, 14)
Vor diesem Hintergrund leitet sich schließlich die letzte Hypothese ab:
H3-1: Betriebliche soziale Beziehungen mit sozial unterstützender Funktion haben einen stärkeren Einfluss auf die Gesundheit von angestellten Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, als betriebliche soziale Beziehungen ohne Supportfunktion. Das bedeutet, dass die kausale Beziehung zwischen X (betriebliche soziale Beziehungen) und Y (Gesundheit) durch den Mediator Z (soziale Unterstützung) beeinflusst oder unterbrochen wird, so dass entweder ein partieller oder ein totaler Mediatoreffekt vorliegt.
Die theoriegeleiteten Hypothesen bilden zusammen das in Abbildung 8 dargestellte Untersuchungsmodell:
Abbildung 8:Allgemeine Modellübersicht
Deutlich werden sowohl die zwei jeweils zu untersuchenden Direktbeziehungen zwischen den Variablen soziale Beziehungen (X) und Gesundheit (Y) sowie „soziale Unterstützung“ (X) und „Gesundheit“ (Y), als auch die Mediatorbeziehung soziale Beziehungen (X), soziale Unterstützung (Z) und Gesundheit (Y). Die Methodik der zur Anwendung kommenden statistischen Hypothesentestung wird im Kapitel 4 näher beschrieben.
3.2 Untersuchungsplanung
Als Studiendesign wurde eine Querschnittsstudie gewählt, da während der Untersuchung keine Intervention durchgeführt werden soll. Zum Einsatz kommt ein Fragebogen, der aus Fragen anerkannter standardisierter Fragebögen besteht (siehe Kap. 3.3). Die Befragung richtet sich an berufstätige Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten in einer ausführenden oder leitenden Position im ambulanten und stationären Gesundheitssektor in Deutschland.
Da es in Deutschland keine Quelle beziehungsweise Institution gibt, die über eine Adressdatei aller Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten in Deutschland verfügt, wird im Rahmen der Studie auf die sehr umfangreiche Datenbank der Physio-Akademie gGmbH zurückgegriffen. Die Sichtung des Datenbestandes ergab, dass der Datensatz der Physio-Akademie gGmbH im Vergleich zur Grundgesamtheit einen höheren Männeranteil (+ 6,14 %) umfasste, so dass in einem ersten Schritt der Geschlechteranteil des Datenbestandes an den der Grundgesamtheit rechnerisch angepasst wurde. Das Ziel bestand darin, dass der Geschlechteranteil in der rückgeführten Stichprobe dem der Grundgesamtheit entspricht und dadurch eine Übertragung der Stichprobenergebnisse auf diese möglich ist. Nach dieser Anpassung konnte ein Datenbestand von insgesamt 40.733 Adressen konstatiert werden, der sich aus 24.560 Postadressen und 16.173 E-Mailadressen zusammensetzte.
3.2.1 Online-Offline-Medium
Bei der Wahl um den Zielgruppenzugang fiel die Entscheidung auf das Medium „Papier“ und das Medium „E-Mail“. Ein wesentlicher Grund bestand darin, dass auch nach Angaben der Physio-Akademie gGmbH Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten immer noch gerne „etwas in den Händen halten wollen“, was sich auch in dem Verhältnis zwischen Post- und E-Mail-Adressen widerspiegelt. Auch wenn die Kommunikation über E-Mails in der Physiotherapie in den letzten Jahren spürbar zugenommen hat, so sind Printmedien zur Kommunikation mit Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten nach wie vor nicht wegzudenken. Darüber hinaus sind sie langlebiger als E-Mails, es sei denn, Letztere werden ausgedruckt oder archiviert. Ansonsten geraten E-Mails schnell aus dem Blickfeld der User, sobald täglich neue E-Mails das E-Mail-Postfach füllen. Der Vorteil von Online-Untersuchungen besteht jedoch darin, dass hierdurch viele Probandinnen und Probanden ökonomisch und schnell erreicht werden und aufgrund der weitgehenden Anonymität auch mit weniger systematischen Antworttendenzen sowie sozialer Erwünschtheit zu rechnen ist. (Mügge 2011) Gemäß Preckel und Thiemann (2003) unterscheiden sich ProbandInnen-Gruppen von Onlineuntersuchungen nicht in der demographischen Charakteristik der Population, wobei möglicherweise Einflussfaktoren wie „allgemeine Computererfahrung“, „Einstellung zu Computern“ oder „Computerangst“ stärker oder schwächer ausgeprägt sind. Da bezüglich dieser Einflussfaktoren keine allgemeingültigen Kenntnisse zum physiotherapeutischen Berufsstand bestehen, gilt es die Stichprobe hinsichtlich Fragebogenzugangs „Post“ und „E-Mail“ auf statisch signifikante Unterschiede zu überprüfen (siehe Kapitel 4.1). So könnte zum Beispiel das Befragungsmedium einen störenden Einfluss auf die Befragungsteilnahme haben und damit die Befragungsergebnisse möglicherweise verzerren.
Aufgrund der aufgeführten Vorteile von Online- wie auch Offline-Medien bestand das Ziel darin, einen textbasierten Fragebogen zu entwickeln, der sowohl ausgedruckt und damit auch postalisch verschickt werden, aber auch als pdf-Datei online abgerufen, online beantwortet und von dort aus automatisch in einer Online-Datenbank gespeichert werden kann. Das Online-wie-Offline-Fragebogen Projekt unter der Leitung von Dirk Mügge unter www.2fragen.de bot den technischen Rahmen für dieses Vorhaben. Der Vorteil bestand darin, dass die digitale Online-Version des Fragebogens exakt mit der gedruckten Offline-Version übereinstimmte. Der einzige Unterschied bestand lediglich in der Art und Weise, wie die Fragebogenversionen ausgefüllt wurde: online mit Maus und Tastatur und offline mit einem Stift auf Papier. (Mügge 2011, 10)
3.2.2 Maßnahmen zur Steigerung des Rücklaufs
Um den Fragebogenrücklauf zu erhöhen, wurden, neben der Wahl des Post- und E-Mailings, folgende Marketingstrategien im Vorfeld geplant und umgesetzt:
1. Ankündigungen und Information der Zielgruppe in zwei Artikeln, die mit einer bundesweiten Auflage von insgesamt 26.500 Exemplaren veröffentlicht worden sind:
· Pt_Zeitschrift für Physiotherapeuten, Ausgabe: März 2013
- Interview mit dem Titel: Gesundheitlicher Einfluss von sozialen Beziehungen. Im Gespräch: Franziska Bittner (siehe Anlage 4)
· pt-journal, Verbandszeitschrift des Deutschen Verbandes für Physiotherapie, Ausgabe: März 2013
- Artikel mit dem Titel: Bundesweite Befragung zu den sozialen Beziehungen von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten und deren Einfluss auf ihre Gesundheit. (siehe Anlage 5)
2. Ankündigung und Information der Zielgruppe in zwei Newslettern des Deutschen Verbandes für Physiotherapie und der Physio-Akademie gGmbH:
· Online-News des Deutschen Verbandes für Physiotherapie, März 2013
- Titel: Wissenschaftliche Befragung. Wir bitten Sie um Unterstützung. (siehe Anlage 6)
· Newsletter der Physio-Akademie gGmbH (per E-Mail verschickt und online veröffentlicht): März-Ausgabe 2013
- Titel: Wissenschaftliche Befragung - Wir bitten Sie um Unterstützung. Aufgepasst! Am 30.04.2013 ist es soweit. (siehe Anlage 7)
3. Frankierte Rückumschläge zur kostenlosen Rücksendung der Fragebogen für die Befragungsteilnehmerinnen und -teilnehmer.
4. Die optionale Teilnahme an einer Dankeschön-Verlosung für die ersten 500 Befragungsteilnehmerinnen und -teilnehmer (siehe Fragebogen, Anlage 9) mit 30 attraktiven Preisen, die in keinem Zusammenhang mit dem Befragungsthema standen (siehe Abbildung 9).
Abbildung 9: Preise 1 bis 30 der Dankeschön-Verlosung
Die Gewinne wurden von drei physiotherapeutischen Anbietern aus der Fort- und Weiterbildung, dem Verlagswesen sowie der Fitness- und Wellnessbranche und um selbstfinanzierte zielgruppenneutrale Amazon-Gutscheine ergänzt. Die Verlosung wurde am 14.07.2013 per Zufallsziehung aus den ersten 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern vorgenommen. Die 30 Gewinnerinnen und Gewinner erhielten per E-Mail eine Gewinnbenachrichtigung und eine zusätzliche Information, an welche Adresse sie sich mit der Gewinnbenachrichtigung wenden können, um ihren Gewinn einzulösen. Eine Ausnahme bildeten die Amazon-Gutscheine, die direkt online an die Gewinner per E-Mail verschickt wurden.
3.2.3 Stichprobenziehung per Zufallsverfahren
Nachdem die Entscheidung für den Zugang der Zielgruppen getroffen und auch der Datenpool zur Verfügung stand, galt es, in einem weiteren Schritt durch eine geschichtete Zufallsziehung, die Post- und E-Mailadressen auszuwählen, die für das geplante Post- und E-Mailing verwendet werden sollten. Tabelle 12 veranschaulicht top down die hierbei zur Anwendung gekommene systematische Vorgehensweise.
Grundgesamtheit: Anzahl von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten in Deutschland Gesamt: 136.000 111.000 Frauen 25.000 Männer (100 %) (81,60 %) (18,40 %) |
Stand: 2011 (30.01.2014) |
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Da in Deutschland keine Quelle beziehungsweise Institution gibt, die eine Adressdatei aller Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten in Deutschland verfügt, wurde auf Datenbank der Physio-Akademie gGmbH zurückgegriffen: |
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Datenquelle für die Stichprobe: Datenbank der Physio-Akademie gGmbH Gesamt: 44.302 33.238 Frauen 11.064 Männer (100 %) (75,45 %) (24,54 %) |
Physio-Akademie-Datebank. Stand: 03.03.2013 |
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Post-Adressen: 26.970 |
E-Mail-Adressen: 17.332 |
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Frauen: 20.041 (74,3 %) |
Männer: 6.929 (25,7 %) |
Frauen: 13.197 (76,1 %) |
Männer: 4.135 (23,9 %) |
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Da der Datensatz der Physio-Akademie gGmbH im Vergleich zur Grundgesamtheit einen höheren Männeranteil (+6,14 %) umfasste, wurde der Geschlechteranteil des Datenbestandes an den der Grundgesamtheit rechnerisch angepasst, um das Geschlechtermerkmal der Grundgesamtheit in der Zufallsstichprobe entsprechend abbilden zu können: |
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Frauen: 20.041 (81,6 %) |
Männer: 4.519 (18,4 %) |
Frauen: 13.197 (81,6 %) |
Männer: 2.976 (18,4 %) |
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Aus finanziellen Gründen erfolgte eine postalische Erhebung von 5% der Daten. |
Eine zusätzliche Selektion der E-Mail- Adressen war nicht erforderlich. |
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Frauen: 1.002 (81,6 %) |
Männer: 226 (18,4 %) |
Frauen: 13.197 (81,6 %) |
Männer: 2.976 (18,4 %) |
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Für die nun berechnete Anzahl der jeweils zu kontaktierenden Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, wurde im nächsten Schritt eine geschichtete Zufallsauswahl (ohne zurücklegen) vorgenommen. So wurden Zufallsziehungen wie folgt vorgenommen: |
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1.002 aus 20.041 |
226 aus 6.929 |
keine |
2.976 aus 4.135 |
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Anschließend wurden an 1.228 Adressen Fragebögen zzgl. einem veröffentlichen Artikel zu dem Projekt postalisch verschickt. |
Anschließend wurden an 16.173 Adressen E-Mails mit einem Link zur Online-Befragung verschickt. |
Post: 29.04.2013 und E-Mails: 30.04.2013 |
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Anzahl nicht zugestellter Post-Fragebögen: |
Anzahl nicht zugestellter Online-Fragebögen: |
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Frauen: 214 |
Männer: 35 |
* |
* |
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erster Rücklauf (Post): 236 |
erster Rücklauf: 316 |
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Nach Bereinigung der Datensätze um leere, stark fragmentierte oder doppelter Datensätze, konnte folgender endgültiger Rücklauf konstatiert werden (siehe Kap. 4.1): |
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Endgültiger Rücklauf (Post) |
Endgültiger Rücklauf (Online): |
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Frauen: 187 |
Männer: 36 |
Frauen: 245 |
Männer: 39 |
Stand: 24.01.2015 |
Insgesamt: 511** (100 %) Frauen: 432 (85,2 %) Männer: 75 (14,8 %) |
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* Der Versand der E-Mails konnte aus Gründen des Datenschutzes nur von den PCs der Physio-Akademie gGmbHaus erfolgen. Aufgrund der Datenmenge wurde der Server der Akademie zeitweise stark belastet, so dass Fehlermeldungen hinsichtlich der Zustellung von E-Mails folgten. Aufgrund der Datenmenge kann im Nachhinein die Anzahl der nicht erreichten Empfänger nicht dargestellt werden. ** Insgesamt 511 Datensätze, davon 4 ohne Angabe des Geschlechts (und daher in dieser Darstellung nicht erfasst) |
Tabelle 12: Methodische Herleitung der Stichprobenerhebung
Im Ergebnis wurden per Online-Zufallsgenerator (www.zufallsgenerator.net 2013) aus 26.970 Postadressen 1.228 und aus 17.332 E-Mail-Adressen 16.173 Adressen ausgewählt und entsprechend der dargestellten Medien angeschrieben. Die Befragung startete am 30.04.2013 und endete am 30.06.2013. Im Ergebnis haben 552 Personen an der Befragung teilgenommen, von denen 511 in die Datenauswertung aufgenommen werden konnten. (siehe Kap. 3.4.1. S. 109)
3.3 Konkretisierung der Messinstrumente
Hypothesengeleitend wurde eine umfangreiche Recherche nach geeigneten quantitativen Analyseinstrumenten durchgeführt, mit denen soziale Beziehungen wie auch die soziale Unterstützung sowohl auf der Netzwerk- als auch auf der Funktionsebene analysiert werden konnten. Auch sollte eine Differenzierung zwischen dem Privat- und Arbeitsleben erfolgen. Eine weitere Anforderung bestand darin, dass der Fragebogen in deutscher Sprache verfasst ist und eine weitestgehend hohe Messgenauigkeit beziehungsweise interne Konsistenz aufweist. Für den zu analysierenden abhängigen Variablenbereich „Gesundheit“ sollten die physischen und psychischen Ebenen erhoben und durch die Komponenten der Arbeitsfähigkeit, des Absentismus, Präsentismus und der Berufsaufgabe ergänzt werden. Im Ergebnis wurden aus acht standardisierten Testverfahren 30 modellrelevante Variablen mit 121 Items für den Fragebogen ausgewählt (siehe Tabelle 13) und gemäß der Anlage 9 zusammengestellt. Ergänzt wurden die standardisierten Testverfahren um vier Variablen (7 Items), die eigenständig aus standardisierten Variablen abgleitet wurden sowie zwei Variablenbereiche, die aus der Dissertation von Ksienzyk (2006, 219) übernommen wurden. Sie entwickelte für die umfassende Bearbeitung ihrer aufgeworfenen Fragestellungen zu dem Thema „sozial unterstützendes Verhalten im Arbeitskontext“ den Fragebogen zum Erleben sozialer Unterstützung, der es ermöglichte, sozial unterstützendes Verhalten in unterschiedlichen Berufsgruppen zuverlässig und valide abzubilden. Aus diesem wurden die Skalen „erlebte soziale Unterstützung durch Vorgesetzte“ sowie „erlebte soziale Unterstützung durch Kollegen“ mit jeweils 6 Items für die Befragung ausgewählt, da standardisierte Testverfahren in deutscher Sprache für diesen Analysebereich nicht vorhanden waren.
Tabelle 13: Übersicht über die Testvariablen, der jeweiligen Itemanzahl (IA), dem Testinstrument und Cronbachs-Alpha (sofern vorhanden), die im Rahmen der Querschnittsstudie erhoben wurden
3.4 Methodik der Datenauswertung
Die Datenauswertung fand in drei Schritten statt:
1. Dateneingabe
2. Datenvorbereitung
3. Datenanalyse
Diese Schritte werden in den folgenden drei Kapiteln systematisch beschrieben und durch die systematische Modellanalyse und eine Übersicht der verwendeten statischen Modellrechnungen abgerundet.
3.4.1 Dateneingabe und Datenvorbereitung
Nachdem die Online-Befragung beendet und die Rücksendefrist der postalischen Fragebögen erreicht war, wurden letztere Fragebögen manuell in den bestehenden Datensatz (mit Online-Antworten) eingegeben. Um hierbei den Anteil der Fehleingaben so gering wie möglich zu halten, wurde jeder zehnte Datensatz zufällig manuell auf Fehleingaben überprüft. Darüber hinaus wurden bereits in dieser Phase Fragebögen mit offensichtlichen Muster- beziehungsweise Fakeantworten sowie doppelt ausgefüllte Fragebögen gar nicht erst in den Datensatz mit aufgenommen.
In einem nächsten Schritt wurde der gesamte Datensatz (die Online-Antworten mit eingeschlossen) sehr genau auf Plausibilität und Konsistenz überprüft, so dass Datensätze mit falschen Angaben oder Musterantworten auf diese Weise aus dem Datensatz entfernt wurden. In einem zweiten Schritt wurden die Variablen des Datensatzes spaltenweise auf Angaben untersucht, die außerhalb des Wertebereiches lagen oder zum größten Teil stark fragmentiert waren. Während Werte außerhalb des Skalenbereiches die absolute Ausnahme darstellten, da ein Großteil der Daten onlinebasiert erhoben und der andere Teil manuell auf Fehleingaben systematisch im Vorfeld überprüft worden war, so waren fragmentierte Datensätze aufzufinden und dies vornehmlich bei den postalischen Datensätzen. Grund der partiellen Datensatzfragmentierung war eine fehlerhafte Formatierung des Fragebogens (aus dem odt-Format in das pdf-Format), die sowohl Einfluss auf die postalischen wie auch anfänglich die onlinebasierten Fragebögen hatte. Im Ergebnis fehlten in 347 von 511 Fällen vier Fragen des SF-12, sodass die körperliche Summenskala des SF-12 und schließlich auch die psychische Summenskala ganz aus der systematischen Datenanalyse ausgeschlossen werden mussten, um Fehlinterpretationen zu vermeiden.
Anschließend wurden aus den Einzelitems die untersuchungsrelevanten Variablen berechnet, wie zum Beispiel die psychische Erschöpfung und die somatischen Beschwerden aus dem DigA oder die allgemeine Depression des ADS-K für die abschließend eine Überprüfung auf Ausreißer vorgenommen wurde. Zu diesem Zweck wurden zunächst für alle untersuchungsrelevanten später zu analysierenden unabhängigen und abhängigen Variablen eine explorative Datenanalyse mit Perzentilangaben durchführt, mit Hilfe derer die ermittelten Ausreißer durch den Grenzwert des variablenspezifischen 5. oder 95. Perzentils (gemäß der Winsorisierung) ersetzt wurden. So wurden alle Werte unterhalb der 5 %-Grenze (unterhalb des Konfidenzintervalls) durch den Wert der unteren Grenze des Intervalls ersetzt und alle Werte über der 95 %-Grenze (oberhalb des Konfidenzintervalls) durch den Wert der oberen Grenze des Intervalls ersetzt. (Leonhart 2009, 96) Der Vorteil dieser Methode besteht darin, dass im Gegensatz zu der Methode des Ausschlusses von Ausreißern kein Informationsverlust entsteht.
3.4.2 Statistische Analyseverfahren
Nach der beschriebenen Datenaufbereitung wurde zunächst eine explorative Faktorenanalyse für die Variablenbereiche „soziale Unterstützung“, „soziale Beziehungen“ und „Gesundheit“ zwecks Datenreduktion durchgeführt, auf deren Basis lineare multivariate Regressionsanalysen zum Zweck der Faktorengewichtung und Modellüberprüfung zum Einsatz kamen.
3.4.2.1 Explorative Faktorenanalyse
Im Rahmen der Erhebung wurden insgesamt 227 Items erhoben, aus denen insgesamt 35 Variablen berechnet wurden, die sich wie folgt zusammensetzen:
· 12 Variablen zur Erhebung von „Gesundheit“,
· 8 Variablen zur Erhebung „sozialer Beziehungen“ und
· 15 Variablen zur Erhebung „sozialer Unterstützung“
Für die fortführende Modellanalyse galt es sicherzustellen, dass alle Variablen unabhängig voneinander zur Erklärung des Sachverhaltes beitragen, was jedoch bei dieser Variablenanzahl nicht sichergestellt werden konnte. Das Ziel bestand daher darin, eine Vielzahl von korrelierten Variablen auf einen möglichst kleinen Satz unabhängiger latenter Variablen beziehungsweise Faktoren zu reduzieren, die einen möglichst großen Anteil der Varianz der Ausgangsvariablen (manifesten Variablen) aufklären. Auch wenn durch dieses Verfahren Informationen verloren gehen, so werden korrelierende Variablen auf eine geringere Zahl von hypothetisch (latenten) Faktoren reduziert und die Interkorrelationen zwischen den Variablen reduziert. (Leonhart 2009, 523) Aus diesem Grund wurde die explorative Faktorenanalyse für die Variablenbereiche „soziale Beziehungen“, „soziale Unterstützung“ und „Gesundheit“ durchgeführt. Hierbei kam als Routineverfahren die Hauptkomponentenanalyse mit anschließender VARIMAX-Rotation (mit Kaiser-Normalisierung) zum Einsatz, so dass für die aufgeführten Variablenbereiche gemeinsame Sammelbegriffe beziehungsweise Komponenten gefunden wurden. Auf diese Weise sind mehrere Faktoren entstanden, die mit Hilfe der VARIMAX-Rotation einfach strukturiert und inhaltlich gut zu interpretieren waren. Die Entscheidung über die Anzahl der zu extrahierenden Faktoren wurde gemäß der „Kaiser-Gutmann-Regel“ gefällt, so dass nur Faktoren mit Eigenwerten extrahiert wurden, die größer als 1 waren. „Der Vorteil dieses Verfahrens ist, dass es analog zum α-Niveau von 5 % ein „hartes“ Kriterium ist, welches nicht im Nachhinein verschoben werden kann“ (Leonhart 2009, 517). Zusätzlich wurden die Koeffizienten nach der Größe sortiert ausgegeben und die Ausgabe von Faktorladungen kleiner 0,3 beziehungsweise 0,4 unterdrückt.
Die Ergebnisse werden in Kapitel 4.3 dargestellt. Aus diesen geht hervor, dass aus den insgesamt 35 Variablen für den Variablenbereich „soziale Beziehungen“ zwei Faktoren, für den Variablenbereich „soziale Unterstützung“ sechs Faktoren und für den Variablenbereich „Gesundheit“ zwei Faktoren extrahiert werden konnten. Die Daten wurden durch diese Methodik hoch verdichtet wodurch es zu einem Informationsverlust gekommen ist. Für die weitere Modellrechnung bedeutet dies, dass signifikante Korrelationen, die dennoch ermittelt werden, eine besondere Gewichtung haben.
3.4.2.2 Bereinigung der abhängigen Variablen (AV) um die Störvariablen Alter und Geschlecht
In einem nächsten Schritt wurden die zwei extrahierten Gesundheitsfaktoren „körperliche / psychische Beschwerden und beeinträchtigte Arbeitsfähigkeit“ sowie „positive Wahrnehmung der eigenen Arbeitsfähigkeit in der Gegenwart / Zukunft sowie die Berufsbeständigkeit“ um die Störvariablen Alter und Geschlecht bereinigt und die Residuen der jeweiligen Faktoren als Variable neu erstellt. Grund dieser Störvariablenbereinigung ist die abschließende Mediatorrechnung des Gesamtmodells in Kapitel 4. Eine Bereinigung von Störvariablen auf die abhängige Variable „Gesundheit“ ist dort nicht mehr möglich. Aus diesem Grund wird in der anschließenden Modellrechnung mit den störvariablenbereinigten „Gesundheits“-Faktoren beziehungsweise mit den „Gesundheits“-Residuen gerechnet. (siehe CD-ROM Anlage 04)
3.4.2.3 Lineare multivariate Regressionsanalyse
In einem nächsten Schritt kam die lineare multivariate Regressionsanalyse als statistisches Analyseverfahren zum Einsatz, mit der Funktion, die in Kapitel 3.1 aufgeführten Hypothesen systematisch zu prüfen.
Die lineare Regressionsanalyse dient der „Analyse von Beziehungen zwischen einer abhängigen (metrischen) und einer oder mehreren unabhängigen [metrisch und nominalen] Variablen“ beziehungsweise zwischen einem Regressand und einem oder mehreren Regressoren. Ziel ist es, Zusammenhänge quantitativ zu beschreiben und zu erklären sowie Werte des Regressanden zu schätzen beziehungsweise zu prognostizieren. (Backhaus et al. 2006, 46)
Die Regressionsanalyse erfolgt hierbei stets in fünf Schritten, die kurz näher erläutert werden (Backhaus et al. 2006):
1. „Modellformulierung
2. Schätzung der Regressionsfunktion
3. Prüfung der Regressionsfunktion
4. Prüfung der Regressionskoeffizienten
5. Prüfung der Modellprämissen“
Schritt 1: Modellformulierung
In der Modellformulierung wird Bezug auf die zugrunde gelegte Hypothese (siehe Kapitel 3.1) genommen und die zu untersuchende Variablenbeziehung skizziert.
Schritt 2: Schätzung der Regressionsfunktion
Im zweiten Schritt wird die Regressionsfunktion geschätzt. Ziel ist es, herauszufinden, wie gut die Regressionsfunktion als Modell der Realität geeignet ist beziehungsweise ob und wie gut der Regressand (AV) durch das Regressionsmodell erklärt wird. Da in Folge mehrere Regressionsmodelle mit unterschiedlicher Regressoren-Anzahl miteinander verglichen werden sollen, wird der korrigierte Determinationskoeffizient beziehungsweise das korrigierte Bestimmtheitsmaß „korr r2“ als Überprüfungsgröße herangezogen. In einem nächsten Schritt gilt es dann mit Hilfe der F-Wert-Testung zu prüfen, ob r2 zufällig ist oder anders, „ob das geschätzte Modell auch über die Stichprobe hinaus für die Grundgesamtheit Gültigkeit besitzt“. (Backhaus et al. 2006, 62f.)
Schritt 3: Prüfung der Regressionsfunktion
Als nächstes gilt es zu prüfen, ob und wie gut einzelne Variablen des Regressionsmodells zur Erklärung des Regressanden beitragen. Hierbei gibt der Regressionskoeffizient B den bereinigten Effekt der Änderung eines Regressors auf den Regressanden an, der standardisierte Regressionskoeffizient Beta die Wichtigkeit der einzelnen Regressoren auf den Regressanden, das 95 %-Konfidenzintervall von Beta, ob die Schätzung von Beta mit hoher Wahrscheinlichkeit genau ist oder nicht und schließlich der t-Wert, ob die Regressoren signifikant sind oder nicht. (Backhaus et al. 2006, 74-76) Aus diesem Grund werden die empirischen t-Werte der Regressoren mit den theoretischen t-Werten verglichen, ein Regressorenvergleich vorgenommen sowie die Konfidenzintervalle der Regressionskoeffizienten auf ihre Spannweite überprüft.
Schritt 4: Prüfung der Modellprämissen
Die Güte der Schätzung für die Regressionsparameter sowie die Anwendbarkeit der Tests zur Überprüfung der Güte hängen von gewissen Modellannahmen beziehungsweise Modellprämissen ab (Backhaus et al. 2006, S. 78), deren Verletzung zum Beispiel zur Verzerrung und / oder verminderten Präzision der Schätzwerte aber auch zur Ineffizienz und bei zu geringen Stichprobengrößen zur Ungültigkeit der Signifikanztests führen würde. Um die Güte der zuvor ermittelten Ergebnisse abzusichern gilt es nun, das aufgeführte lineare Regressionsmodell hinsichtlich der Prämissen (1) Linearität, (2) Multikollinearität, (3) Normalverteilung der Residuen und (4) Heteroskedastizität zu überprüfen. Die Prämisse der Autokorrelation entfällt in diesem und in den folgenden Modellprüfungen, da es sich bei dieser Erhebung um keine Zeitreihenanalyse handelt.
Linearität: Das lineare Regressionsmodell fordert unter anderem, dass die Parameter in linearer Beziehung zueinander stehen. Die Folge von nicht entdeckter Nichtlinearität würde eine Verzerrung der Schätzwerte der Parameter bedeuten, so dass die Schätzwerte mit wachsendem Stichprobenumfang nicht mehr gegen die wahren Werte (wahrer Regressionskoeffizient) streben würden. (Backhaus et al. 2006, 80) Als Prüfinstrument dient das partielle Regressionsdiagramm mit eingezeichneter Regressionsgerade.
Multikollinearität: Eine weitere Prämisse des linearen Regressionsmodells besagt, dass die Regressoren nicht exakt linear abhängig sind. Das bedeutet, dass sich ein Regressor nicht als lineare Funktion der übrigen Regressoren darstellen lassen darf. Ansonsten würde eine komplette Multikollinearität bestehen. Darüber hinaus besteht „bei empirischen Daten immer ein gewisser Grad an Multikollinearität, der aber nicht störend sein muß“ (Backhaus et al. 2006, 89). Ein hoher Grad an Multikollinearität wird hingegen als problematisch eingeschätzt, da die Schätzungen der Regressionsparameter in diesen Fällen immer unzuverlässiger werden. Um Multikollinearität zu begegnen, ist es in einem ersten Schritt erforderlich, die betroffenen Variablen aufzudecken. Erste Anhaltspunkte kann hier eine Korrelationsmatrix liefern, die Abhängigkeiten unter den Regressoren sichtbar macht. (Backhaus et al. 2006, 100) Die Korrelationsmatrix wird zu diesem Zweck tabellarisch dargestellt und ausgewertet.
Um das jeweilige Ergebnis abzusichern, empfiehlt es sich, „eine Regression jeder unabhängigen Variablen auf die übrigen unabhängigen Variablen durchzuführen und so den zugehörigen multiplen Korrelationskoeffizienten oder das Bestimmtheitsmaß r2 zu ermitteln“. Bei einem Wert von R2 = 1 ließe sich ein Regressor durch eine „Linearkombination“ der anderen Regressoren erzeugen und wäre folglich überflüssig. Ein verwandtes Maß zur Prüfung auf Multikollinearität ist die sogenannte Toleranz (1-r2). Der Kehrwert der Toleranz ist der „Variance Inflation Factor“ (VIF). Der VIF-Wert ist umso größer, „je größer die multiple Korrelation beziehungsweise das Bestimmtheitsmaß eines Regressors in Bezug auf die übrigen Regressoren“ (Backhaus et al. 2006, 91) ist. Zu diesem Zweck werden zusätzlich die VIF-Werte der Regressoren auf Multikollinearität überprüft.
Normalverteilung: Eine weitere Prämisse des linearen Regressionsmodells besagt, dass die Störgrößen normalverteilt sind. Diese Annahme ist vornehmlich für die Durchführung des F-Testes sowie des t-Testes von Bedeutung. Bei diesen Testverfahren wird unterstellt, dass die zu testenden Schätzwerte der Regressionsparameter normalverteilt sind. Wäre dies nicht der Fall, wären die Testergebnisse ungültig. Sind die Störgrößen normalverteilt, sind auch die geschätzten Regressionskoeffizienten ebenfalls normalverteilt. (Backhaus et al. 2006, 92f.) Die Prüfung auf Normalverteilung wird mit Hilfe der Normalverteilungskurve der standardisierten Residuen des Regressanden dargestellt.
Heteroskedastizität: Die letzte Modelprämisse verlangt, dass die Varianz der Fehlervariablen für alle Datensätze homogen ist, so dass die Störgröße weder von den Regressoren noch von der Reihenfolge der Beobachtungen abhängig ist. Die Folge von Heteroskedastizität wären eine ineffiziente Schätzung sowie verfälschte Standardabweichungen der Regressionskoeffizienten. Damit wäre auch die Schätzung des Konfidenzintervalls ungenau. (Backhaus et al. 2006, 86) Diese Prüfung wird mit Hilfe eines Streudiagrammes durchgeführt, in welcher eine lose Punktwolke erkennbar sein sollte, damit der durch das Modell vorhergesagte Schätzwert von Y (Regression standardisierter geschätzter Wert) nicht mit dem dabei gemachten Fehler (Regression standardisiertes Residuum) systematisch variiert. In diesem Fall liegt keine Heteroskedastizität vor, so dass die Modellprämisse bestätigt werden kann. Anderenfalls wäre in der Grafik ein systematischer Trend erkennbar, zum Beispiel eine auf- oder absteigende Linie.
3.4.2.4 Moderatoranalyse
Ein weiteres statistisches Analyseverfahren, das im Rahmen der Modellauswertung zum Einsatz kam, ist die Moderatoranalyse. Das Ziel dieser Methode besteht darin, zu überprüfen, ob eine dritte Variable (die Moderatorvariable Z) den Effekt einer X-Variablen auf die Y-Variable beeinflusst. Hierbei kann die Moderatorvariable „die Stärke, Signifikanz und/oder Einflussrichtung des Effekts beeinflussen bzw. „moderieren“.“ „Moderatoreffekte können […] über zwei verschiedene Modellierungen in die [zuvor beschriebene] Regressionsanalyse eingebunden werden: 1) als Interaktionseffekt und 2) in Form einer Multigruppenanalyse“ (Urban und Mayerl 2011, 294). Für die Überprüfung der Variablen Geschlecht und Alter als potenzielle Moderatoreffekte auf die in den Modellausschnitten 1 und 2 beschriebenen Direktbeziehungen zwischen X und Y, war die Multigruppenanalyse das erste Mittel der Wahl, da durch diese die Effektdifferenzen zwischen Frauen und Männern wie auch jüngeren und älteren Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten deutlicher dargestellt werden können, als bei der reinen Messung des Interaktionseffektes des Moderators Geschlecht oder Alter. Da allerdings für die Gruppe der männlichen angestellten Physiotherapeuten keine signifikanten Effekte von X auf Y dargestellt werden konnten, wurde für die Modellausschnitte 1 (1c) und 2 (1c) die Modellierung des moderierenden Interaktionseffektes gewählt. Für den im Modellausschnitt 1 (2c) zu untersuchenden Moderatoreffekt der „Alters“-Variable konnte hingegen die Multigruppenanalyse zur Anwendung kommen.
Vor diesem Hintergrund werden beide Erhebungsformen kurz in Ihrer Auswertungsmethodik (gemäß Urban et al. 2011, 295) dargestellt:
(1) Analyse des Moderatoreffektes als Interaktionseffekt
(2) Analyse des Moderatoreffektes in Form einer Multigruppenanalyse
(1) Analyse des Moderatoreffektes als Interaktionseffekt
Die Analyse des Moderatoreffektes der Variable „Geschlecht“ wird in den Modellausschnitten 1 (1c) und 2 (1c) in der folgenden Schrittweise durchgeführt:
Schritt 1: Die Moderatoranalysen zur Überprüfung des Effektes „Geschlecht“ auf die Beziehung zwischen einer X-Variablen auf eine Y-Variable basieren in beiden Fällen auf den Ergebnissen der Bausteine 1a und 1b der Modellausschnitte 1 und 2, so dass für die modellrelevanten Variablen eine Prüfung auf Linearität, Multikollinearität Normalverteilung und Heteroskedastizität bereits im Vorfeld stattgefunden hat.
Schritt 2: Für die an der Interaktion beteiligten Regressor- und Moderatorvariablen findet zunächst eine Mittelwertzentrierung statt, „um Multikollinearitätsprobleme zu reduzieren und ohne Zentrierung nicht interpretierbare Koeffizienten deutbar zu machen“ (Müller 2009, 240). Aus diesen mittelwertzentrierten neuen Variablen werden Interaktionsterme nach der Formel: „Regressor_zentriert x Moderator_zentriert“ berechnet, die ebenfalls als neue Variablen abgespeichert und für die folgenden Modellberechnungen verwendet werden.
Schritt 3: Im Anschluss erfolgt eine multiple Regression mit allen Variablen, die schrittweise um die „Interaktionsterme“ erweitert wird. Hierbei wird die „Anpassungsgüte der verschiedenen Varianten“ mittels des quadrierten Bestimmtheitsmaßes (R2) als Gütemaß überprüft. „Übersteigt das R2 der Gleichung, die den Interaktionsterm enthält, das R2 des Modells ohne Interaktion, wird die Signifikanz der Interaktion mittels eines F-Tests geprüft.“ Die Interaktionsterme werden bei erfolgreicher F-Testung in das Modell aufgenommen. Anderenfalls werden sie vollständig eliminiert.
Schritt 4: In einem letzten Schritt wird das Modell mit der besten Anpassung ausgewählt und die Effektstärke und -richtung der Moderatorvariable bestimmt, indem die Regressionskoeffizienten des Regressors (ohne Interaktionsterm) mit dem Regressionskoeffizienten des Interaktionsterms miteinander verglichen werden.
(2) Analyse des Moderatoreffektes in Form einer Multigruppenanalyse
Die Analyse des Moderatoreffektes kommt in dem Modellausschnitt 2 (1c) zur Anwendung. Wichtig hierbei ist, dass die Gruppenanzahl „der Anzahl der Ausprägungen der jeweiligen Moderatorvariablen“ entspricht. Darüber hinaus muss die kontinuierliche Moderatorvariable „Alter“ vor der Durchführung der Multigruppenanalyse in eine Gruppenvariable mittels des Median-Split-Verfahrens rekodiert werden. Auf dieser Grundlage ist es möglich, eine „Extremgruppenanalyse von Personen mit hohen versus Personen mit niedrigen Moderatorausprägungen“ durchzuführen. Für den dargestellten Modellausschnitt wird demzufolge die Modellvariable Alter in zwei Extremgruppen (jüngere und ältere angestellte Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten) untergliedert. (Urban und Mayerl 2011, 301)
Die Multigruppenanalyse zur Ermittlung eines Moderatoreffektes folgt der Logik, dass, wenn „ein Moderator Z […] den Effekt zwischen X und Y variieren kann, […] sich bei einer getrennten Analyse des Effektes in beiden Personengruppen [hier Altersgruppen] ein Unterschied in der (unstandardisierten!) Einflussstärke, Einflussrichtung oder die Signifikanz des Effektes zeigen“ (Urban und Mayerl 2011, 301). Um diese Differenz darzustellen, werden in Modellausschnitt 2 (1c) die geschätzten Regressionskoeffizienten der signifikanten Regressoren für die beiden Altersgruppen tabellarisch dargestellt und miteinander verglichen. Die Effektrichtung des Moderatoreffektes wird graphisch für die Beziehung X – Y für beide Altersgruppen dargestellt und ausgewertet.
Eine zentrale Frage der Multigruppenanalyse besteht darin, „ob die gruppenspezifischen Schätzwerte aus den separaten, aber identisch spezifizierten Regressionsschätzungen signifikant unterschiedlich sind“, was sich am besten mit einem Hypothesentest überprüfen lässt. Hierbei wird geprüft, „ob die verschiedenen gruppenspezifischen Regressionskoeffizienten aus ein und derselben Population stammen oder nicht“. Im Rahmen einer „Mediatorenanalyse mit zwei Gruppen“ wird in der Nullhypothese die Behauptung aufgestellt, „dass die zu vergleichenden Regressionskoeffizienten aus einer Population stammen“ (H0 = β1 = β2). Mit der Alternativhypothese wird stattdessen behauptet, dass „die Regressionseffekte nicht aus einer gemeinsamen Population stammen“ (HA: β1 ≠ β2). (Urban und Mayerl 2011, 301)
So werden im Rahmen der Multigruppenanalyse in einem letzten Schritt die Hypothesen mit Hilfe des t-Testes auf Signifikanz überprüft, wobei der t-Wert mit der folgenden Formel berechnet wird:
Der Standardfehler SE für die Differenz zwischen b1 und b2 wird gemäß Cohen et al. (2003) und Jaccard et al. (1990) (In: Urban und Mayerl 2011, 302) wie folgt berechnet:
Fällt das Ergebnis der Hypothesentestung positiv aus, wird der ermittelte Moderatoreffekt als statistisch signifikant bewertet.
3.4.2.5 Mediatoranalyse
Während die Moderatoranalyse in den Modellausschnitten 1 und 2 als ergänzendes hypothesenüberprüfendes statistisches Analyseverfahren zum Einsatz kommt, wird die Mediatoranalyse zu Hypothesenprüfung des Gesamtmodells verwendet. Im Gegensatz zu einem Moderatoreffekt liegt ein Mediatoreffekt dann vor, wenn die Beziehung zwischen X und Y durch einen Moderator Z interveniert oder unterbrochen wird, so dass entweder ein partieller oder ein totaler Mediatoreffekt vorliegt. (Urban und Mayerl 2011, 303f.):
Der statistische Nachweis von hypothesengeleiteten Mediatoreffekten wird in drei Schritten durchgeführt: (Urban und Mayerl 2011, 310)
(1) Im ersten Schritt wird geprüft, ob die vier Bedingungen (nach Holmbeck (1997) und Baron und Kenny (1986) erfüllt sind (In: Urban und Mayerl 2011, 310):
Bedingung 1: „Der Prädiktor (X) muss einen signifikanten Effekt auf den Mediator (Z) ausüben.“
Bedingung 2: „Der Prädiktor (X) muss in einem Regressionsmodell ohne Kontrolle des Einflusses der Mediatorvariablen (Z) einen signifikanten Effekt auf die [abhängige] Variable (Y) ausüben.“
Bedingung 3: „Der Mediator (Z) muss einen signifikanten Effekt auf die abhängige Variable [(Y)] ausüben.“
Bedingung 4: „Der Effekt des Prädiktors (X) auf die abhängige Variable (Y) muss sich verringern, wenn […] in einer multivariaten Regression als zusätzlicher Prädiktor die [Mediator]variable Z aufgenommen wird.“
(2) Im zweiten Schritt wird die Effektstärke des partiellen oder totalen Mediatoreffektes berechnet, der
(3) im dritten Schritt auf Signifikanz getestet wird.
Bedingung 1 wird mit Hilfe der Regressionsschätzung von Z auf X überprüft, wobei X einen signifikanten Effekt auf den Mediator (Z) ausüben muss und dabei die erwartete Richtung aufweisen sollte. Die Ergebnisse aus der simultanen linearen Regressionsanalyse zur Vorhersage von Z durch X werden tabellarisch zusammengefasst.
Bedingung 2 wird mit Hilfe der Regressionsschätzung Y auf X überprüft, wobei X ohne Kontrolle der Mediator-Variable einen signifikanten Effekt auf Y ausüben muss. Die Ergebnisse aus der simultanen linearen Regressionsanalyse zur Vorhersage von Y durch X werden tabellarisch zusammengefasst.
Die Bedingungen 3 und 4 werden mit Hilfe der multivariaten Regressionsschätzung von Y auf X und Z überprüft, wobei „erstens der Effekt von Z auf Y signifikant sein und die erwartete Effektrichtung aufweisen [muss] und zweitens […] der Effekt von X auf Y nicht signifikant […] oder zumindest geringer sein [muss,] als bei der zweiten Regressionsschätzung“ (siehe Bedingung 2). Die Ergebnisse aus der simultanen linearen Regressionsanalyse zur Vorhersage von Y durch X und Z werden ebenfalls tabellarisch zusammengefasst. (Urban und Mayerl 2011, 310)
Die Ergebnisse aus den drei durchgeführten Regressionen werden ausgewertet und graphisch visualisiert.
Wird ein totaler Mediatoreffekt vermutet, wird dieser gemäß Urban und Mayerl (2011, 304) in einem zweiten Schritt wie folgt berechnet: Mediatoreffekt total = byx + bzx x byz
Im Falle eines totalen Mediatoreffektes muss laut (Urban und Mayerl 2011, 311) lediglich der alleinige direkte Effekt von X auf Y im Rahmen einer simultanen linearen Regressionsanalyse und der Signifikanzwert zu diesem spezifiziert werden, der bereits mit der Überprüfung der Bedingung 2 erhoben wurde.
Unter der Voraussetzung, dass die Bedingungen 1 bis 4 des ersten Analyseschritts erfüllt werden und der in Schritt 2 berechnete Mediatoreffekt sich als signifikant erweist, wird das Vorliegen eines totalen Mediatoreffektes von Z auf die Beziehung zwischen X und Y konstatiert.
3.4.3 Systematische Modellauswertung
Zur Überprüfung der dargestellten Hypothesen und den damit vermuteten korrelativen Zusammenhängen zwischen den endogenen und exogenen Variablen würde sich grundsätzlich ein Strukturgleichungsmodell anbieten. So soll zum Beispiel das globale Beziehungsnetzwerk zwischen den Faktoren „soziale Beziehungen“, „soziale Unterstützung“ und „Gesundheit“ untersucht werden. Dennoch wurde sich aus folgenden Gründen bewusst gegen die Anwendung dieses statistischen Modells entschieden:
Der Gesamtumfang des gefilterten Datensatzes ist mit n = 249 zwar knapp für ein LISREL-Modell geeignet. Allerdings spricht die schiefe Geschlechterverteilung mit n = 23 männlichen Physiotherapeuten und n = 224 weiblichen Physiotherapeuten dagegen. Darüber hinaus bestand das Forschungsvorhaben darin, mindestens 10 Variablen in das Analysemodell mit aufzunehmen, exklusive der potenziellen Störvariablen Alter, Geschlecht, Fragebogenzugang, Arbeitsanforderungen, Arbeitsumfang, Ausbildung, Betriebsgröße. In Relation zu der geplanten Modellkomplexität erwies sich die Fallzahl N schließlich als zu gering, die ansonsten das Risiko erhöht hätte, verzerrte Schätzungen zu erhalten und damit zu Fehlinterpretationen zu kommen.
Des Weiteren sollte das globale Beziehungsnetzwerk des Strukturgleichungsmodells bewusst aufgelöst und vielmehr in einzelne Ebenen untergliedert werden, um so systematisch, gemäß des Bottom-up-Prinzips, zunächst die einzelnen Detailebenen zu betrachten und schrittweise eine globaler werdende Perspektive einnehmen zu können. Der Vorteil dieser Methodik besteht darin, dass auf diese Weise ein differenzierterer Erkenntnisgewinn möglich wird, der aus der Hypothesenherleitung deutlich wird. Für dieses Vorhaben eignet sich die Anwendung des linearen Regressionsmodells sehr gut, so dass dieses zur Anwendung kommt. Denn es stellt ein Analyseverfahren dar, das es ermöglicht, den gleichzeitigen Einfluss vieler unabhängiger Variablen auf eine abhängige Variable zu untersuchen, kombiniert mit der Möglichkeit, das Modell sowohl theorie- als auch empiriegeleitet sukzessiv um Moderatoren und Mediatoren zu erweitern.
Gemäß des Bottom-up-Prinzips wird zunächst die Detailebene (Ebene 1) analysiert, die dann mit der übergeordneten Ebene (Ebene 2) in die globale Modellperspektive (Ebene 3) mündet.
Die zur Anwendung kommenden statistischen Modelle, die Ergebnispräsentation sowie die Ergebnisauswertung folgen daher der folgenden strukturierten Vorgehensweise:
1. Modellausschnitt 1: soziale Beziehungen (X) und Gesundheit (Y)
2. Modellausschnitt 2: soziale Unterstützung (X) und Gesundheit (Y)
3. Gesamtmodell: soziale Beziehungen (X) – soziale Unterstützung (Z) – Gesundheit (Y)
Abbildung 10 stellt das Gesamtmodell zusammen mit den Modellausschnitten 1 und 2 dar:
Abbildung 10: Gesamtmodell zusammen mit den Modellausschnitten 1 und 2
Abbildung 10 veranschaulicht, neben den postulierten Direkteffekten zwischen den sozialen Beziehungen und der Gesundheit (Modellausschnitt 1), der sozialen Unterstützung und der Gesundheit (Modellausschnitt 2) wie auch zwischen den sozialen Beziehungen und der sozialen Unterstützung, gleichzeitig alle Modellvariablen, die aus der vorangegangenen explorativen Faktorenanalyse (zwecks theoriegeleiteter Datenreduktion), aus 11 Gesundheits-Variablen, 8 sozialen Beziehungs-Variablen und 21 sozialen Unterstützungs-Variablen, hervorgegangen sind.
3.4.4 statistische Modellrechnungen
In Anlehnung an die dargestellte Hypothesenherleitung und die systematische Modellanalyse wurden konkret folgende statistische Modelle in der dargestellten Reihenfolge mit Hilfe des Statistikprogrammes IBM® SPSS® Statistics Version 20 gerechnet:
1. Modellausschnitt 1: soziale Beziehungen (X) und Gesundheit (Y)
· Teil 1a: sozBez (1-2) – Resid 1 (nach Geschlecht)
· à Reduktion auf Treiberregressor
· Teil 1b: sozBez (1-2) – Resid 2 (nach Geschlecht)
· à Reduktion auf Treiberregressor
· Ergänzung Teil 1: Moderatoranalyse: sozBez 1-2 - Resid 1-2
· (nach Geschlecht)
· Teil 2a: sozBez (1-2) – Resid 1 (nach Alter) à Reduktion auf Treiberregressor
· Teil 2b: sozBez (1-2) – Resid 2 (nach Alter) à Reduktion auf Treiberregressor
· Ergänzung Teil 2-1: Multigruppenanalyse: sozBez 1 – Resid 1 (nach Alter)
· Ergänzung Teil 2-2: Multigruppenanalyse: sozBez 1 – Resid 2 (nach Alter)
· Ergänzung Teil 2-3: Multigruppenanalyse: sozBez 2 – Resid 2 (nach Alter)
· Teil 3a: sozBez (1-2) – Resid 1 à Reduktion auf Treiberregressoren
- Citation du texte
- Dr. Franziska Zippel (Auteur), 2015, Der Einfluss sozialer Beziehungen und Unterstützung im Arbeits- und Privatleben auf die wahrgenommene Gesundheit. Eine empirische Querschnittsuntersuchung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/949824
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