Inhaltsübersicht
1. Einleitung
2. Der Ost-West-Konflikt und die europäische Integration
3. Die Mittelmeerpolitik der EU in den neunziger Jahren
3.1 Der Maghreb
3.2 Der Nahe Osten
3.2.1 Israel
3.2.2 Palästinensische Gebiete
3.2.3 Ägypten
3.3 Östliches Mittelmeer
4. Tagung des Europäischen Rates in Cannes am 26./27.06
5. Die EU-Mittelmeerkonferenz von Barcelona am 27./28.11
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Beziehungen der europäischen Gemeinschaften zum Mittelmeerraum gehen zurück bis in das Jahr 1957. Damals wurde Algerien als Teil Frankreichs in den Zusatzprotokollen der Römischen Verträge Entwicklungshilfe gewährt.
48 Jahre später, vom 27. bis 28. November 1995, fand unter spanischer Ratspräsidentschaft die erste Mittelmeer-Konferenz der Europäischen Union1 (EU) in Barcelona statt. Die Außenminister der 15 Staaten der EU trafen dabei auf die Vertreter von 10 Anrainerstaaten des Mittelmeeres sowie auf Vertreter Jordaniens und der palästinensischen Autonomiebehörde2. Am Ende der Konferenz verabschiedeten die 27 Teilnehmer einstimmig die "Erklärung von Barcelona"3, in der sich die Unterzeichner zu gemeinsamen Grundsätzen für eine
- Politische und Sicherheitspartnerschaft
- Wirtschafts- und Finanzpartnerschaft
- Partnerschaft im sozialen und menschlichen Bereich bekannten.
Was hatte in der Mitte der neunziger Jahre die EU dazu bewegt, erstmalig eine solche Konferenz zu veranstalten?
Die Beantwortung dieser Frage erfordert es, Faktoren herauszuarbeiten, die die Außenpolitik der EU im allgemeinen und im Mittelmeerraum zu diesem Zeitpunkt im besonderen bestimmten.
Die von der EU geladenen Teilnehmer der Mittelmeerregion müssen ihrerseits auf Faktoren untersucht werden, die auf die EU wirken. Die Kenntnis dieser Faktoren ist die Voraussetzung für das Verständnis der in Barcelona verhandelten Grundsätze. Erforderlich ist daher eine eingehende Betrachtung der Staaten.
Dazu werden nur die Mittelmeerstaaten ausgewählt, die bis 1995 mit der EU Verhandlungen über Assoziierungsverträge aufgenommen bzw. abgeschlossen hatten. Es ist davon auszugehen, daß die Aufnahme von Verhandlungen zu diesen Staaten Rückschlüsse auf die außenpolitischen Ambitionen der EU (s.o.) ermöglicht.
Die Aufteilung des Mittelmeerraums in die Regionen Maghreb, Naher Osten und Östliches Mittelmeer trägt ihrer Unterschiedlichkeit - auch hinsichtlich des Konfliktpotentials - Rechnung4.
Schließlich soll eine Aussage darüber möglich sein, ob das Ergebnis der Konferenz den Interessen aller 27 Teilnehmer in dem Maße entsprach, wie es seine Einstimmigkeit implizierte.
2.Der Ost-West-Konflikt und die europäische Integration
Bis Ende der achtziger Jahre grenzte das Gebiet der Europäischen Gemeinschaft (EG) direkt an das Gebiet des Warschauer Pakts. Die Führung der USA innerhalb der NATO5, und die damit einher gehende Übernahme wichtiger Sicherheitsaufgaben der USA in Europa, ermöglichte es den Staaten der EG, sich intensiv mit den Fragen der Integration innerhalb Europas auseinanderzusetzen. Die Nachbarschaft zu einer sozialistisch-autoritären Macht förderte den Integrationsprozeß sogar, da er als ein Beitrag zur Festigung des marktwirtschaftlich-demokratischen Westens angesehen wurde6.
Diese Rahmenbedingungen verschwanden mit dem Ende der achtziger Jahre beginnenden Umbruch in Osteuropa. Die Frage der deutschen Wiedervereinigung stellte sich, ebenso die nach Art und Umfang der Beziehungen zu den Staaten in Mittel- und Osteuropa (MOE). Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 galt besonders für die nördlichen EU-Länder unter Führung Deutschlands die Stabilisierung der MOE-Staaten als die wichtigste außenpolitische Aufgabe der EU7.
Die EU schloß bis 1995 mit sechs der MOE-Staaten bilaterale Assoziierungsabkommen mit der Perspektive auf eine spätere Integration8.
Die EU-Mittelmeeranrainer Frankreich, Spanien und Italien sahen darin aber "...ein großes Ungleichgewicht zugunsten des Ostens, das korrigiert werden muß."9 Frankreich und Spanien würden durch eine EU-Osterweiterung geographisch nicht nur an den Rand der Gemeinschaft rücken, auch die Nähe zu Nordafrika wurde jetzt als Bedrohung empfunden. So betrachteten die EU-Mittelmeeranrainer das aus der Mischung von wirtschaftlicher Fehlentwicklung, hohem Bevölkerungswachstum und unsicheren politischen Verhältnissen in den Ländern Nordafrikas entstandene Migrationspotential und den damit zu erwartenden Import von Konflikten als Stabilitäts- und Sicherheitsrisiko10. Sie betonten die Notwendigkeit einer Stabilisierung des südlichen und östlichen Mittelmeerraums.
3. Die Mittelmeerpolitik der EU in den neunziger Jahren
Die Neugestaltung der EU-Mittelmeerpolitik in den neunziger Jahren erfolgte nach diversen Vorlagen der EU-Kommission im wesentlichen durch die Aufnahme bilateraler Assoziierungsverhandlungen11, im Unterschied zu den Verhandlungen mit den MOE-Staaten jedoch ohne Beitrittsperspektive. 1992 wurden Verhandlungen mit einzelnen Staaten des Maghreb aufgenommen12, danach folgten Verhandlungen mit Staaten des Nahen Ostens: 1992 mit Israel13, 1995 mit Ägypten, Jordanien und Libanon.
Zusammen mit Malta, assoziiert seit 1973, gilt Zypern, assoziiert seit 1971, als potentieller Beitrittskandidat. Mit der Türkei wurde im März 1995 eine Zollunion zum 1.1.1996 beschlossen, eine Beitrittsperspektive gab es für sie zum damaligen Zeitpunkt nicht14.
3.1 Der Maghreb
Am 17.2.1989 gründeten die Staatschefs Marokkos, Algeriens, Tunesiens, Mauretaniens und Libyens die Arabische Maghreb Union (AMU), wobei die drei erst genannten als Kernländer des Maghreb gelten15. Die Gründung der AMU folgte weniger einer politischen Einigungsbemühung der höchst unterschiedlich regierten Staaten als vielmehr dem Bedürfnis, wirtschaftliche Strukturprobleme zu überwinden16, denn der Absatz von Exportgütern des Maghreb wie Fisch, Olivenöl, Zitrusfrüchten etc. war empfindlich eingebrochen. Spanien und Portugal waren 1986 Mitglieder der EG geworden Die von ihnen produzierten landwirtschaftlichen Güter wurden durch Subventionen verbilligt und durch strenge Importquoten vor EG- externen Konkurrenten abgeschirmt. Die protektionistische EU- Agrarpolitik17 wirkte sich zum Nachteil des Maghreb aus.
Eine Stärkung der interregionalen Zusammenarbeit wurde für die AMU ebenso notwendig wie schwierig: Die Bedeutung des innermaghrebinischen Handels mit einem Anteil von 3- 10% am gesamten Handelsvolumens des Maghreb war gering. Infrastrukturelle Defizite, geringe Produktdiversifikation, hohe Arbeitslosigkeit, zunehmende Armut und wachsende Schwarzmarktaktivitäten behinderten die interregionale Zusammenarbeit. Das Erstarken des islamischen Fundamentalismus in Algerien beendete 1992 den ersten zaghaften Versuch einer politischen Transformation. Innerhalb der Region führte dies zu einer Beeinträchtigung der Beziehungen zwischen den Staaten18.
Nach außen wirkte diese Entwicklung besonders auf Frankreich, das traditionell enge Wirtschaftsbeziehungen zu Algerien unterhielt. Unruhe unter den ca. 750.000 in Frankreich lebenden Algeriern und die Befürchtungen, die Zahl würde durch Flüchtlingswellen nach einer eventuellen islamischen Machtergreifung stark ansteigen, wirkten in Frankreich als Bedrohungspotential 19 und trugen so mit zur Neugestaltung eines EU-Mittelmeeransatzes bei. Die Aufnahme von Verhandlungen zwischen der EU und den Kernländern des Maghreb geschah 1992 auf der Grundlage der EU-Assoziierungspolitik20. Tunesien unterzeichnete 1995 als erster Maghreb-Staat ein Abkommen mit der EU. Dieses Abkommen hatte für Tunesien einen so hohen Stellenwert, daß es zu einer Unterzeichnung kam, obwohl die EU von der Protektion ihres Agrarmarktes nicht absah: Eine von Tunesien geforderte Anhebung der Importquote für Olivenöl lehnte die EU strikt ab21.
Am 13.11.1995 unterzeichnete Marokko ein Assoziierungsabkommen mit der EU, obwohl auch hier die Verhandlungen bis zuletzt von einem Streit um EU-Importquoten für Agrarprodukte bedroht waren22.
Die Verhandlungen mit Algerien lagen wegen dessen innenpolitischer Situation auf Eis.
3.2 Der Nahe Osten
3.2.1 Israel
Das ambivalente Verhältnis zwischen der EG und Israel erfuhr während des zweiten Golfkrieges 1991 eine leichte Besserung. Die Solidarität der EG mit Israel hatte dort zu einer Verbesserung der Reputation der EG beigetragen23. Dennoch kam die EG/EU über die Rolle des wichtigsten Handelspartners nicht hinaus. Eine aktive Rolle in der Sicherheitspolitik, so sehr sie auch von der EG/EU gewünscht war, konnte sie nicht einnehmen24. Das am 20.11.1995 unterzeichnete Assoziierungsabkommen mit der EU war dann auch gespickt mit Regelungen für die Wirtschaft. Israels vorrangigstes Ziel war die Verringerung seines Außenhandelsdefizits. Das Mißverhältnis zwischen Import und Export rührte zu 61% aus dem Handel mit der EU25. Auch hier gab es wieder große Probleme mit EU-Importquoten für Lebensmittel und Textilien. Neben leichten Lockerungen konnte sich Israel zusätzlich die Möglichkeit zur Teilnahme am europäischen Technologieprogramm und an öffentlichen Ausschreibungen sichern26.
Die Stärkung der interregionalen Zusammenarbeit erwies sich im Gebiet des Nahen Ostens als sehr schwierig, da Israel seit 1948 mit einem Boykott durch die arabischen Staaten belegt war, aus dem bis 1995 nur Ägypten und Jordanien ausgeschert waren27. Während mit Jordanien am 26.10.1994 der 46 Jahre andauernde Kriegszustand per Friedensvertrag beendet wurde, gab es im Verhältnis zu Syrien nur minimale Verbesserungen. Unter der Schirmherrschaft der USA war es in schwierigen Verhandlungen zu einer Rahmenübereinkunft zwischen Syrien und Israel über einen Abzug der israelischen Truppen von den Golanhöhen gekommen. In der Frage des Abzugs aus dem Südlibanon, den Syrien mit dem Abzug von den Golanhöhen als Voraussetzung für offizielle Verhandlungen mit Israel verknüpfte, gab es noch keine Fortschritte28.
3.2.2. Palästinensische Gebiete
Die Bedeutung des zwischenstaatlichen Konflikts Israel-Palästina hatte sich seit Erlangung des Autonomiestatus Palästinas im Jahr 1994 reduziert29. Tiefgreifende religiöse und politische Differenzen blieben jedoch bestehen, es kam immer wieder zu Terroranschlägen. Die solchen Anschlägen zugrunde liegende Instrumentalisierung des Islam durch Organisationen wie die Hamas wurde auch durch die wirtschaftliche Abhängigkeit der Gebiete zu Israel begünstigt. Dieses nutzte diese Abhängigkeit, um durch Abriegelung der Gebiete diversen Forderungen Nachdruck zu verleihen.
Die Hauptfinanziers Palästinas, EU, USA und Weltbank, forderten angesichts der hohen Arbeitslosigkeit von 40-45% die Palästinensische Autonomiebehörde zur Erstellung eines griffigen Wirtschaftskonzeptes auf. Ihre Empfehlungen zum Bau von Prestigebauten wie Flughäfen, Kraftwerken etc. verfehlten aber auch die nachhaltige Schaffung von Arbeitsplätzen, wie sie etwa durch arbeitsintensive Projekte zur Verbesserung der Wasserversorgung hätten entstehen können30.
Die in dem zentralistischen Verwaltungssystem oft gegeneinander arbeitenden Behörden behinderten privatwirtschaftlicher Initiativen, die die Abhänigkeit von internationalen Geldgebern hätten verringern können31.
3.2.3. Ägypten
Ägypten übernahm im Friedensprozeß des Nahen Ostens eine entscheidende Funktion. Als Mittler zwischen Israel, den Palästinensern und Syrien war Ägypten sicherheitspolitisch der wichtigste Ansprechpartner der USA. Ägypten liegt an der strategisch bedeutenden Schnittstelle zwischen dem Maghreb und dem östlichen Teil der arabischen Welt, es verfügte über eine große militärische Stärke32.
Diese außenpolitische Stärke des Landes wurde jedoch ständig durch seine wirtschaftliche Schwäche bedroht, die sich negativ auf die innenpolitische Situation auswirkte33. 40% der außenwirtschaftlichen Einnahmen erzielte Ägypten mit Öl, Tourismus, den Gastarbeitern und dem Suez-Kanal - Faktoren, auf die das Land selbst keinen Einfluß hatte. Um so größere Einflußmöglichkeiten hatten dagegen Geberländer, allen voran die USA und die EU, denn 15% des gesamtem Bruttosozialproduktes kamen durch Wirtschafts- und Entwicklungshilfe zustande34.
Von seiten der EU wurde jedoch beklagt, daß die zur Verfügung gestellten Gelder ineffizient eingesetzt wurden35. Diese Ineffizienz war die Folge einer Wirtschaftsweise, bei der die staatseigenen Betrieben von der herrschenden Elite des Landes als Mittel für Macht und Reichtum genutzt wurden. Diese Vetternwirtschaft sorgte für eine aufgeblähte Staatstätigkeit, dadurch wurden privatwirtschaftliche Initiativen unmöglich gemacht, womit wiederum ein Anreiz für ausländische Investoren fehlte36.
Die Einflußnahme der Geberländer auf die ägyptische Politik und die durch staatliche Mißwirtschaft entstandene Armut bildeten zusammen mit dem enormen Bevölkerungswachstum von 2,3%37 ein günstiges Klima für islamistische Fundamentalisten. Die Verstärkung staatlicher Unterdrückungsmaßnahmen konnte aber, im Gegensatz zur Situation Algeriens, einer innenpolitischen Destabilisierung entgegenwirken38
3.3 Östliches Mittelmeer
Im östlichen Mittelmeer gab es erhebliche Verstimmungen zwischen der Türkei und dem EUMitglied Griechenland. Dabei ging es im wesentlichen um Hoheitsrechte in der Luft und zu Wasser, sowie um den Konflikt der beiden Staaten um den Status der Inselrepublik Zypern, deren Nordteil seit 1974 durch die Türken besetzt war.
Seine Position als EU-Mitglied nutzte Griechenland aus, als es die Zollunion zwischen der Türkei und der EU durch sein Veto blockierte. Die Zollunion war von der EU als Kompromiß zwischen einer Mitgliedschaft der Türkei in der EU auf der einen und einem völligen Außenvorlassen auf der anderen Seite gedacht, denn das hätte die antiwestliche Propaganda nationalistischer Kräfte in der Türkei beflügelt39.
Die durch eine hohe Inflation geschwächte Wirtschaft der Türkei mußte die Zollunion dennoch fürchten. Es war ungewiß, ob die Wirtschaft dem hohen Anpassungs- und Konkurrenzdruck der EU würde standhalten können40.
Zur Beilegung des Streits hatte die EU eine Doppelstrategie angewandt: Mit dem Angebot an Zypern, der EU beizutreten, wurden die Griechen zur Aufgabe des Widerstandes gegen die Zollunion zwischen der Türkei und der EU bewegt. Die Türkei wiederum sollte daraufhin bei den Verhandlungen um Zyperns EU-Beitritt Entgegenkommen zeigen.
4.Tagung des Europäischen Rates in Cannes 26./27.06.1995
Bei der Tagung von Cannes legte der Europäische Rat (ER) seine Positionen zur Neugestaltung der Mittelmeerpolitik für die am 27./28.11.1995 geplante EU- Mittelmeerkonferenz in Barcelona fest41. Leitlinien dazu waren bereits bei Sitzungen des ER in Lissabon (1992), Korfu und Essen (1994) formuliert worden.
Die Mittelmeerpolitik wurde als "Gegenstück zur Politik der Öffnung nach Osten"42 formuliert. Zwei Gegensätze waren besonders prägnant:
- Die Ostpolitik wurde mit einem Etat von ca. 7 Mrd. ECU für den Zeitraum 1995-1999 ausgestattet43, der Mittelmeerpolitik standen ca. 4,7 Mrd. ECU für den gleichen Zeitabschnitt zur Verfügung44
- Im Gegensatz zu der im Osten betriebenen Integrationspolitik sollte im Mittelmeerraum eine Kooperationspolitik betrieben werden45.
In Cannes einigten sich die Außenminister auf ein multilaterales Mittelmeerkonzept auf der Grundlage bereits abgeschlossener und geplanter bilateraler Assoziierungsabkommen46. Dieses Konzept stand im Verlaufe der Barcelona-Konferenz zur Verhandlung.
5.Die EU-Mittelmeerkonferenz von Barcelona am 27./28.11.1995
Dem umfassenden Ansatz der Barcelona-Konferenz folgend, erschienen 27 Außenminister, unter ihnen auch, obwohl nicht Mittelmeerananrainer, Vertreter Jordaniens und der Palästinensischen Autonomiebehörde. Die Anwesenheit der am Nahostkonflikt maßgeblich beteiligten Parteien Israel, Palästina, Syrien, und Libanon kollidierte mit der Absicht der spanischen Ratspräsidentschaft, eine Belastung der Mittelmeerkonferenz mit der Nahost- Problemtik zu vermeiden. Die stille Hoffnung einiger Teilnehmer, es könnten sich dennoch weitere Impulse für den Friedensprozeß ergeben, wurde weitestgehend enttäuscht47. Vielmehr gaben Israel, Syrien und der Libanon ihrerseits Impulse, als es in Verhandlungen zum ersten Punkt der Erklärung ging:
1.) Politische Partnerschaft und Sicherheitspartnerschaft - Schaffung eines gemeinsamen Raumes des Friedens und der Stabilität 48 Durch die Annahme der Erklärung sollten sich alle Staaten zur Wahrung der Menschenrechte sowie der Entwicklung der Demokratie auf einer rechtstaatlichen Basis verpflichten. Verpflichtungen zur Wahrung von Stabilität, Sicherheit und gutnachbarlichen Beziehungen schlossen den gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus und die Nichtverbreitung von ABC-Waffen mit ein. Einem Dissens Israels, Syriens und Libanons über die Termini "Recht auf Selbstbestimmung", "Terrorismus" und der Klausel über die Nichtverbreitung von Atomwaffen folgte eine Verallgemeinerung dieser Passagen im Textentwurf der Erklärung49.
2.) Wirtschafts- und Finanzpartnerschaft - Schaffung eines Raumes miteinander geteilten Wohlstands 50 Ziel sollte die Schaffung einer Freihandelszone bis zum Jahr 2010 sein. Als Voraussetzung für die Freihandelszone sollten wirtschaftliche und soziale Strukturen angepaßt werden. Eine Liberalisierung des Handels mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen sollte nur langsam und schrittweise erfolgen, "ausgehend von den traditionellen Handelsströmen und so weit dies die verschiedenen Agrarpolitiken zulassen"51. Dieser Formel, bei der die EU bis "an die Grenze des für sie Möglichen gegangen"52 war, mußten sich die arabischen Länder mit ihrer Forderung nach voller Einbeziehung des Agrarsektors in den Freihandel beugen. Die Ablehnung dieser Forderung durch die EU resultierte aus den zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Eingliederung der MOE-Staaten in den Agrarsektor53. Über geplante Investitionen zur Privatisierung öffentlicher Unternehmen und der Verbesserung regionaler Zusammenarbeit, sowie über die Bildung eines Managementsfonds zum direkten Aufbau des Privatsektors gab es keine Uneinigkeiten54.
3.) Partnerschaft im sozialen und menschlichen Bereich: Entwicklung menschlicher Ressourcen, Förderung des Verständnisses zwischen den Kulturen und Austausch zwischen den Zivilgesellschaften 55 Hier sollten sich die Teilnehmer verpflichten, Bildungsprogramme und die soziale Entwicklung zu fördern. Probleme ergaben sich bei der Regelung der Wiederaufnahme von "Angehörigen ihrer Nation, die sich in einer illegalen Situation"56 befinden. Uneinigkeiten über den Terminus "Staatsbürgerschaft" hatten eine solche Formulierung erzwungen, dennoch konnte sich der deutsche Außenminister mit der Forderung zur Etablierung einer solchen Klausel durchsetzen. Im Einzelfall sollte aber weiterhin zwischen den betroffenen Staaten verhandelt werden.57.
Bei den Verhandlungen über die Organisation der beschlossenen zukünftigen Zusammenarbeit war zunächst umstritten, ob dazu eigene Institutionen geschaffen werden sollten. Am Widerstand einiger Staaten, unter ihnen Deutschland, scheiterte dieser Vorschlag. Statt dessen wurde die Gründung eines Komitees beschlossen, das die geplanten zukünftigen Ministertreffen der Euromediterranen-Konferenz organisieren sollte58. Nach Abschluß der Verhandlungen wurde die Erklärung von Barcelona einstimmig verabschiedet.
6.Fazit
Schon bei der Festlegung der gemeinsamen Position der EU für die Mittelmeerkonferenz während des Gipfels in Cannes hieß es, die Bedeutung der Teilnahme an der Konferenz liege allein in einem gemeinsamen Eintreten für die Grundsätze der Europa-Mittelmeer- Partnerschaft.59 Auf die Grundsätze konnten sich die Teilnehmer einstimmig verständigen. Abgesehen von den unter 5.) genannten Änderungen hatte sich die Position der EU durchgesetzt.
Die Teilnahme nahezu aller Mittelmeeranrainer und die zur Verhandlung stehenden drei Punkte (s.o.) bildeten den umfassenden Ansatz der Konferenz60. Der Ansatz trug damit der Erkenntnis Rechnung, daß die unterschiedlichen Probleme einer in sich völlig heterogenen Mittelmeerregion in einem Gesamtzusammenhang standen. Die Umsetzung dieser Erkenntnis in adäquate Maßnahmen war für die Stabilität und Sicherheit der Region, und damit auch Europas, von enormer Wichtigkeit61.
Der beschlossene politische Dialog verpflichtete die Unterzeichner u.a., "die territoriale Integrität und Einheit der anderen Partner zu achten"62. Unterzeichnet wurde diese Erklärung auch von Syrien und Israel, obwohl Israel immer noch die Golanhöhen besetzt hielt, und die gesamte Situation im Nahen Osten keineswegs stabil war. Um in solch einer Situation die Umsetzung und wirkungsvolle Etablierung des politischen Dialogs zu ermöglichen, hätte es ergänzend eines differenzierten Sicherheitssystems bedurft, mit dem auf inner- und/oder zwischenstaatliche Konflikte reagiert werden könnte. Die außenpolitische Säule der EU, die GASP63, konnte so eine Aufgabe u.a. aufgrund ihrer zwischenstaatlich-kooperativen Struktur nicht tragen64.
Die Schaffung der Freihandelszone bis zum Jahre 2010 setzt den Abbau von Zollschranken und Handelshemmnissen voraus. Die Ausnahmen für landwirtschaftliche Produkte, dem einzigen Segment, auf dem die Mittelmeerländer konkurrenzfähig sind, ermöglicht ihnen den Abbau ihrer Handelsbilanzdefizite nicht. Der Handel mit Fertigerzeugnissen, sollte umfassender liberalisiert werden. Das würde die Absatzmöglichkeiten der EU- Industriestaaten zunächst verbessern. Bei den beschlossenen Modernisierungen im Mittelmeeraum könnten sie als potentielle Lieferanten dorthin noch zusätzlich exportieren. Die Handelsbilanz der Mittelmeerstaaten (1994 betrug sie minus 10 Mrd. ECU)65 würde sich dann zusätzlich verschlechtern. Gleichzeitig würde der Wegfall von Importzöllen einen weiteren negativen Effekt auf die Finanzsituation der Mittelmeerstaaten haben, vorausgesetzt, der Zollanteil an den Staatshaushalten betrüge wie 1994 zwischen 7 (Algerien) und 28% (Ägypten)66
Die unter Punkt 3.) anvisierte Partnerschaft im kulturellen und menschlichen Bereich (s.o.) wurde bei der Konferenz hauptsächlich im Kontext der "Rückführungsklausel" diskutiert. Für eine Partnerschaft im menschlichen Bereich war das kein gutes Symbol. Die "Erklärung von Barcelona" zeichnete, auch in ihrer Einstimmigkeit, ein hoffnungsvolles Bild der Zukunft des Mittelmeerraums. Wohlstand, Partnerschaft, Frieden, Stabilität leuchteten als zentrale Begriffe. Die Politik, die sich vor diesem Hintergrund abgespielt hatte, zeichnete indes ein anderes Bild: "Es ist nämlich nicht möglich, gleichzeitig die Zusammenarbeit zu fördern, die auf Grundsätzen der Solidarität und Großzügigkeit beruht, und gleichzeitig die Abgrenzung der beiden Räume zu verfestigen."67
7. Literaturverzeichnis
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1 EU-Mitglieder 1995: Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien und Schweden
2 Neben Vertretern der Staaten Ägypten, Algerien, Israel, Jordanien, Libanon, Malta, Marokko, Syrien, Türkei, Tunesien und Zypern saß auch eine palästinensische Delegation am Verhandlungstisch. Sie wird im weiteren den MittelmeerSTAATEN zugeordnet.
3 Abdruck der Barcelona-Deklaration in: Internationale Politik, Nr. 2/1996, S.107-122
4 Im Maghreb herrschte ein hohes innerstaatliches Konfliktpotential, im Nahen Osten und Östlichen Mittelmeer war das zwischenstaatliche Konfliktpotential bedeutender, vgl. Weidenfeld, Werner, Strategie für eine neue Ordnung, in: Das Parlament vom 23.8.1995
5 Die Länder der EG waren in dieser Zeit mit Ausnahme Irlands Mitglieder der NATO.
6 vgl. Rummel, Reinhardt, Die Europäische Union. Möglichkeiten und Grenzen, in: Informationen zur politischen Bildung. Internationale Beziehungen II. Frieden und Sicherheit in den 90er Jahren, Nr.246, Bonn 1995, S.15
7 vgl. Jacobs, Andreas / Masala, Carlo, Der Mittelmeerraum als Herausforderung für die deutsche Sicherheitspolitik, Interne Studie Nr. 156/1998 der Konrad-Adenauer-Stiftung, Sankt Augustin 1998, S. 38
8 Ziel der Assoziierungsabkommen: Herstellung privilegierter Wirtschaftsbeziehungen, Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der assoziierten Staaten im Welthandel, Förderung demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen in den Partnerstaaten, Vorbereitung einer eventuellen EU-Mitgliedschaft, vgl: Fromme, Martin, Assoziierungspolitik, in: Weidenfeld, Werner / Wessels, Wolfgang, (Hrsg.) Europa von A-Z, Taschenbuch der europäischen Integration, 6. Aufl., Bonn 1997, S. 69-71
9 Marin, Manuel, EU-Kommissar für die Beziehungen zum südlichen Mittelmeerraum, in: Bergius, Michael, Brüssel fehlt ein klares Konzept, in: Handelsblatt, 29./30. 9. 1995
10 vgl. Mattes, Hanspeter, Umwelt-, Migrations- und Drogenprobleme. Bedrohliche
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11 vgl. Rhein, Eberhard, Mit Geduld und Ausdauer zum Erfolg. Die neue Mittelmeer-Politik der Europäischen Union, in: Internationale Politk, 2/1996, S. 15-20
12 ebd.
13 vgl. Hausmann, Hartmut, Die Beziehungen der Europäischen Union zu Israel, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B16/1995, 13.4.1995, Bonn, S.37
14 vgl. Rist, Manfred, Barcelona und die Folgen. Auftakt einer intensiven Kooperation, in: Das Parlament, 23.8.1995
15 vgl. Neuenfeld-Zvolsky, Daniela, Das Konfliktpotential im Maghreb. Der Nachbar Europas zwischen Islamismus, Fortschritt und Migration, Interne Studien Nr. 101/1995, Konrad- Adenauer-Stiftung, Sankt Augustin 1995, S. 8
16 ebd. S. 35
17 vgl. Urff, Wilfried von, Agrarpolitik, in: Weidenfeld, Werner / Wessels, Wolfgang, (Hrsg.) Bonn 1997, S.61-69
18 vgl. Kaster, Danuta, Schatten über der Maghreb-Union, in: Das Handelsblatt, 6.10.1995
19 vgl. Faath, Sigrid, Stabilität und Autoritarismus in Nordafrika, in: Internationale Politik, 2/1996, S. 21-26
20 vgl. Fromme a.a.O., S.69 - 71
21 vgl. Haupt, Sabine, Die EU braucht eine Vision für das Mittelmeer, in: Handelsblatt, 31.8.1995
22 vgl. Kozott, Klaus, Der Maghreb. Aufbruch zu neuen Ufern, in: Das Parlament, Nr. 35, 23.8.1996
23 vgl. Hausmann, a.a.O., S. 37
24 vgl. Jacobs / Masala, a.a.O., S. 45
25 vgl. Canaan, Joseph, Ein Türöffner für die Exportwirtschaft, in: Handelsblatt, 10.10.1995
26 ebd.
27 vgl. Struminski, Vladimir, Wirtschaftsentwicklung und Wirtschaftspolitik, in: Informationen zur politischen Bildung, Israel. Geschichte, Wirtschaft, Gesellschaft, Nr.247, Bonn 1995, S.60-74
28 vgl. Baratta, Mario von (Hrsg.), Der Fischer Weltalmanach 1996. Zahlen, Daten, Fakten, Frankfurt a. Main 1995, S. 354
29 vgl. Hoch, Martin, Konflikte im Nahen/Mittleren Osten und die westliche Politik, in: Außenpolitk III/1995, S. 281-288
30 vgl. Canaan, Joseph, Die Selbstverwaltung fordert ihren Preis, in: Handelsblatt, 21.11.1995
31 ebd.
32 vgl. Scheben, Thomas, Ägypten, der Nahe Osten und der Konflikt mit Israel, KAS Auslandsberichte 2/97, Online Publikation, (www.kas.de)
33 vgl. ebd.
34 vgl. ebd.
35 vgl. Bergius, a.a.O.
36 vgl. Jacobs, Andreas, Hindernisse europäisch-arabischer Zusammenarbeit, in: Außenpolitik. Zeitschrift für internationale Fragen, 1/1996, Hamburg 1996, S. 61-71
37 vgl. Baratta (Hrsg.), Der Fischer Weltalmanach, a.a.O S.59
38 vgl. Scheben, a.a.O.
39 vgl. Axt, Heinz-Jürgen, Konflikttriade im östlichen Mittelmeer. Die Türkei, Griechenland und Zypern, in: Internationale Politk 2/1996, S.33-38
40 vgl. Cherha, Birgit, Ciller wirbt für die Zollunion, in: Handelsblatt, 13.11.1995
41 vgl. Schlußfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates am 26./27. Juni 1995 in Cannes, auzugsweise abgedruckt in: Internationale Politik, 2/1996, S. 71-81
42 ebd. S.71
43 vgl. Lippert, Barbara, Mittel- und Osteuropa, in: Weidenfeld / Wessels (Hrsg.), a.a.O., S. 271-277
44 vgl. Bergius, a.a.O.
45 vgl. Schlußfolgerungen des Europäischen Rates von Cannes, a.a.O. S. 71
46 ebd.
47 vgl. Frieden, Wohlstand und Menschenrechte rund um das Mittelmeer, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.11.1995
48 vgl. Barcelona-Erklärung, a.a.O., S. 109f
49 vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.11.1995
50 vgl. Barcelona-Erklärung, a.a.O., S.110-113
51 ebd, S. 111
52 Staatsminister Werner Hoyer, zitiert nach: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.11.1995
53 vgl. Freihandelszone vereinbart, in: Süddeutsche Zeitung, 29.11.1995
54 vgl. Bergius, a.a.O.
55 vgl Barcelona-Erklärung a.a.O, S.113f
56 ebd. S.114
57 ebd.
58 vgl. Freihandelszone vereinbart, in: Süddeutsche Zeitung, 29.11.1995
59 vgl. Schlußfolgerungen des Europäischen Rates von Cannes, a.a.O. S. 71
60 vgl. Rhein, Eberhard, Mit Geduld und Ausdauer zum Erfolg. Die neue Mittelmeerpolitik der Europäischen Union, in: Internationale Politik 2/1996, S.15-20
61 vgl. Weidenfeld, Werner, Herausforderung Mittelmeer, in: Internationale Politik 2/1996, S.1f
62 vgl. Barcelona-Erklärung, a.a.O., S.109
63 Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, vgl. z.B.: Weidenfeld / Wessels (Hrsg.), a.a.O., S. 221ff
64 vgl. Weidenfeld, Werner, Europa und der Mittelmeerraum. Strategie für eine neue Ordnung, in: Das Parlament, 23.8.1996
65 vgl. Hausmann, Hartmut, Auftakt zur euro-mediterranen Partnerschaft, in: Das Parlament, 8.12.1995
66 vgl. Weidenfeld, Europa und der Mittelmeerraum, a.a.O.
67 Haneche, Mohammed, algerischer Außenminister, zitiert in: Bonner Generalanzeiger vom 7.5.1996
- Citation du texte
- Volker Hoerich (Auteur), 1999, Die EU - Mittelmeerkonferenz von Barcelona - Vorbereitung, Verlauf, Ergebnis, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94955
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