Der Titel dieser Arbeit ist mißverständlich.
Denn das Interesse des Verfassers konzentriert sich weniger auf Notwendigkeit und Rechtheit bei Aristoteles und Anselm von Canterbury als vielmehr darauf, jenen Freiraum auszuloten, den der Stagirit und der Scholastiker menschlichem Handeln zubilligen.
Um diesem Erkenntnisinteresse zu folgen, bietet es sich allerdings bei beiden Philosophen an, ex negativo - eben aus der Notwendigkeit - auf Bedingungen einer möglichen Kontingenz zu schließen.
Aus diesem Grund soll in einem ersten Abschnitt untersucht werden, welche Implikationen sich aus dem Bedeutungfeld der Notwendigkeit bei Aristoteles für die Bedingungen menschlicher Praxis ergeben. Im zweiten Abschnitt wird die gleiche Fragestellung auf die Schriften Anselm von Canterburys bezogen. Schließlich soll in einem Vergleich der beiden Philosophen herausgearbeitet werden, inwieweit ihr Denken menschlichen Handeln eine Kontingenz zuspricht.
Aus dem Rahmen einer Seminararbeit ergibt sich, daß die hier skizzierte Fragestellung nur angerissen werden kann. Als weiteres Erschwernis kommen die mangelnden Griechischkenntnisse des Verfasser hinzu. Nichtsdestotrotz dürfte auch ein zwangsläufig oberflächlicher Vergleich dazu dienen, einen ersten Eindruck über grundlegende Auffassungen zur Möglichkeit menschlicher Freiheit in Antike und Scholastik zu gewinnen.
Inhaltverzeichnis
Einleitung
Einschwenken in die Notwendigkeit: Aristoteles
Zur Rechtheit notwendig ist Gnade: Anselm von Canterbury
Akzidentielle und formale Kontingenz bei Aristoteles und Anselm von Canterbury
Abschließende Bemerkungen
Verzeichnis der zitierten Werke
Verzeichnis der verwendeten Sekundär- Literatur
Einleitung
Der Titel dieser Arbeit ist mißverständlich
Denn das Interesse des Verfassers konzentriert sich weniger auf Notwendigkeit und Rechtheit bei Aristoteles und Anselm von Canterbury als vielmehr darauf, jenen Freiraum auszuloten, den der Stagirit und der Scholastiker menschlichem Handeln zubilligen.
Um diesem Erkenntnisinteresse zu folgen, bietet es sich allerdings bei beiden Philosophen an, ex negativo – eben aus der Notwendigkeit - auf Bedingungen einer möglichen Kontingenz[1] zu schließen.
Aus diesem Grund soll in einem ersten Abschnitt untersucht werden, welche Implikationen sich aus dem Bedeutungfeld der Notwendigkeit bei Aristoteles für die Bedingungen menschlicher Praxis ergeben. Im zweiten Abschnitt wird die gleiche Fragestellung auf die Schriften Anselm von Canterburys bezogen. Schließlich soll in einem Vergleich der beiden Philosophen herausgearbeitet werden, inwieweit ihr Denken menschlichen Handeln eine Kontingenz zuspricht.
Aus dem Rahmen einer Seminararbeit ergibt sich, daß die hier skizzierte Fragestellung nur angerissen werden kann. Als weiteres Erschwernis kommen die mangelnden Griechischkenntnisse des Verfasser hinzu. Nichtsdestotrotz dürfte auch ein zwangsläufig oberflächlicher Vergleich dazu dienen, einen ersten Eindruck über grundlegende Auffassungen zur Möglichkeit menschlicher Freiheit in Antike und Scholastik zu gewinnen.
1. Einschwenken in die Notwendigkeit: Aristoteles
Daß Aristoteles die Notwendigkeit als ontologisch gegebenenes Prinzip und epistemisch plausibles Konstrukt ansieht, soll hier mit Wolf vorausgesetzt werden.[2] Erinnert sei nur an die Physik des Aristoteles, in der alle Abläufe der Natur, sofern sie wissenschaftlich erfaßt werden sollen, auf Notwendigkeiten zurückgeführt werden. Die mögliche Kontingenz von Ereignissen aufgrund von Fügung und Zufall wird damit zwar nicht negiert, aber als nicht wissenschaftsfähig gekennzeichnet.[3]
Um dieser Einschätzung angemessen zu begegnen, ist es sinnvoll, sich zu vergegenwärtigen, daß Aristoteles für alles Seiende ein ihm inhärentes potentielles Ziel annimmt, auf dessen Aktualisierung – oder Vervollkommnung – es hinstrebt. Dieses inhärente Ziel, die Entelechie, ist für Aristoteles eine der Ursachen von Ereignisketten.[4]
Wissenschaftliche Erkenntnis, epistemé, ist für Aristoteles nun dadurch bestimmt, daß hier Ursache-Wirkung-Verhältnisse so präzise wie möglich formuliert werden.[5] Im Hinblick auf diese Zielsetzung dient Notwendigkeit nicht nur der Erklärung der Abfolge von Ereignissen, sondern auch als (modal)logisches Prädikat in Aussagen über Kausalketten.
“Denn es ist nicht dasselbe, daß alles Seiende notwendig ist, wann es ist, und daß es schlechthin notwendig ist.”[6]
Was aber bedeutet Notwendigkeit für den handelnden Menschen? Ist er als Teil einer kosmischen Ordnung der Notwendigkeit in ihren eingangs skizzierten Bedeutungen unterworfen?
Die Durchsicht der psychologischen Schriften des Aristoteles lassen eine derartige Ansicht zunächst einmal vermuten. Dem Problemaufriß und der methodologischen Einführung folgen in De anima weitenteils Überlegungen, die nach der heutigen Unterteilung der Disziplinen in die Kognitionspsychologie eingeordnet würden. Ganz eindeutig ist auch die Rückführung seelischer Affekte auf stoffliche Ursachen:
“Wir sagten, daß die Affekte der Seele in gewisser Weise von der natürlichen Materie der Lebewesen nicht abtrennbar sind, sofern sie als solche vorliegen, wie Mut und Furcht, und nicht wie Linie und Fläche.”[7]
Folgerichtig in dieser Ansicht nimmt die Diskussion eines der Notwendigkeit enthobenen, freien Willens keinen eigenen Platz in der Psychologie des Aristoteles ein. Im Hinblick auf den Übergang von Wahrnehmung über Vorstellung zum “vernünftigen (intellektiven) Erfassen”[8] geht Aristoteles davon aus, daß ein Teil des Verstandes empfangene Sinnesdaten erleidet und speichert. Ein anderer Teil des Verstandes hingegen fügt die verschiedenen Wahrnehmungsinhalte zu einem Urteil über die Dinge zusammen. Für Aristoteles bildet dieser zweite Verstandesteil die Form, mithin also die Ursache einer je spezifischen Ausformung dessen, was aus dem Rohmaterial aufgenommener Sinnesdaten im menschlichen Hirn gebildet wird. Ihr billigt Aristoteles aufgrund der unspezifischen Anbindung[9] und Abtrennbarkeit vom Stoff Unsterblichkeit zu. Verloren geht dabei allerdings dann auch das Individualgedächtnis, das ja im Stoff des ersten Hirnteils verankert ist:
“Abgetrennt nur ist sie [die Vernunft, der Verf.] das, was sie (ihrem Wesen nach) ist, und nur dieses Prinzip ist unsterblich und ewig. Wir haben (dann) aber keine Erinnerung, weil diese leidensunfähig ist, die leidensfähige Vernunft hingegen vergänglich ist, und ohne diese jenes nicht (von dem Erinnerbaren) erkennt.”[10]
In diesem Seelenteil sieht Aristoteles auch das “praktische Gute”[11] verankert. Wiederum ist wie in der Physik die Form Ursache stofflicher Veränderung. In Bezug auf beseelte Lebewesen bezeichnet der Stagirit diese Ursache auch als “Strebevermögen”[12], das stoffliche Veränderungen hervorrufe.
Eine Möglichkeit stofflicher Veränderung ist auch der Ortswechsel, dem Aristoteles Bewegung und Handlung zuordnet.
Somit äußert sich der Wille – auch des Menschen - im von dem unsterblichen Teil der Seele, ihrer Form, angeregten Streben auf ein Ziel hin.[13]
Die dargelegte Analogie von Willensbildungsprozeß und natürlich-notwendigen Abläufen legt eine Sichtweise nahe, die menschlicher Freiheit recht wenig Raum läßt. Umso überraschender mutet die Einleitung der Nikomachischen Ethik an, in der Aristoteles den Exaktheitsanspruch seiner Ausführungen relativiert:
“Bei den Erscheinungsformen des Edlen und Gerechten (...) gibt es so viel Unterschiede und Schwankungen, daß die Ansicht aufkommen konnte, sie beruhten nur auf Konvention, nicht aber auf natürlicher Notwendigkeit.”[14]
Aristoteles, der ansonsten gerne mit divergierenden Auffassungen (Platon, Empedokles usw.) recht harsch ins Gericht geht, läßt die von ihm zitierte Auffassung unkommentiert stehen. Sollte es also doch eine menschliche Freiheit geben, deren Gebrauch sogar wissenschaftlich – in einer Ethik – erfaßt werden könnte?
Bekanntlich empfiehlt die Nikomachische Ethik ein Handeln, das zwischen “Unzulänglichkeit und Übermaß”[15] die Mitte findet, wobei der Begriff der Mitte sinngemäß als Angemessenheit verstanden werden muß.[16] Wenn es aber ein ethisch richtiges ebenso wie falsches Handeln gibt, muß menschliches Handeln kontingent sein.
Anders wäre auch die Sanktionierung menschlichen Verhaltens sehr fragwürdig. Wie sonst könnte ein Mensch, der aus schierer Notwendigkeit gar nicht anders handeln kann, moralisch gerechtfertigt einer Bestrafung unterzogen werden? Daß Aristoteles die Sanktionierung menschlichen Handelns ausdrücklich begrüßt[17], deutet darauf hin, daß er dem Menschen einen gewissen Freiheitsgrad zubilligt.
Die Aporie naturgemäß-notwendigen Handelns und freier Entscheidung wird in der Nikomachischen Ethik nicht explizit problematisiert. Einen Hinweis auf ihre Auflösung bilden allerdings die Ausführungen des Aristoteles zu einem Sprichwort, daß dem Menschen prinzipiell einen Willen zum Guten zubilligt.
Aristoteles widerspricht dieser Auffassung und erläutert seine Auffassung am Beispiel des Trunkenen, dessen Bestrafung bei fahrlässigen Handlungen doppelt hoch ausfalle, da er ja selbst den Zustand des Rausches herbeigeführt habe. Dabei geht er davon aus, daß der Mensch sich freiwillig(!) selbst eine Grundhaltung (in diesem Falle die Trunksucht) aneigne, die in der Folge bestimmte Handlungsmuster prädisponiere.[18] Vor diesem Hintergrund werden die engagierten Ausführungen des Aristotels zur Erziehung als eine Art Ethik-Training plausibel.[19]
Eine derartige Auffassung mutet einerseits sehr modern an, andererseits verblüfft sie ob ihres Widerspruchs zu den Aussagen in De anima. Die Inkonsistenz verliert jedoch an Gewicht, wenn man sich vergegenwärtigt, daß für das aristotelische Denken auch menschliches Handeln, wie oben dargestellt, auf ein Ziel ausgerichtet ist. In Bezug auf ethisch “minderwertige” wie auch “treffliche” Menschen[20] stellt Aristoteles fest:
“Denn beiden ist das Ziel (...) in gleicher Weise von der Natur oder wie immer zur Erscheinung gebracht und festgelegt, und mögen sie handeln wie immer: sie handeln, indem sie alles übrige auf dieses Ziel hinordnen.”
Jedan begründet die Interpretation, der Mensch sei nach Aristoteles allenfalls Mitverursacher seiner Handlungen[21], im Rückgriff auf den “arche” – Begriff, den Aristoteles auch im vom Menschen initiierte Kausalketten verwendet. Jedan zufolge belegt die Verwendung dieses Begriffes die notwendige Fundierung und Zielsetzung menschlichen Handelns.[22]
Die Lektüre der Politik des Aristoteles legt ein derartige Lesart nahe. Eindeutig wird der Staat als ein Ziel bestimmt, auf daß jedwede menschliche Gemeinschaft hinstrebe:
“Da wir sehen, daß jeder Staat eine Gemeinschaft ist und jede Gemeinschaft um eines Guten willen besteht (...), so ist es klar, daß zwar alle Gemeinschaften auf irgendein Gut zielen, am meisten aber auf das unter allen bedeutendste Gut jene, die von allen Gemeinschaften die bedeutendste ist und alle übrigen in sich umschließt. Diese ist der sogenannte Staat und die staatliche Gemeinschaft.”[23]
In der Politik postuliert der Stagirit eine Gleichsetzung des Gesetzes mit der “Vernunft ohne Streben”[24] impliziert unter Berücksichtigung der Ausführungen in De anima nicht nur seine abstrakte und unpersönliche Ewigkeit, sondern auch seinen ursächlich-notwendig bestimmenden Charakter. Auch hier bleibt allerdings offen, ob Aristoteles diese Beschreibung ontologisch oder normativ versteht. Sicher ist nur, daß für Aristoteles die Einrichtung eines guten Staates nicht Folge des Zufalls sein kann.[25]
Es ist ein riskantes Unternehmen, die Ansichten des Stagiriten in seinen verschiedenen Schriften miteinander in Einklang zu bringen. Einerseits liest er sich als ein die Notwendigkeit betonender “Physikos”[26], andererseits setzen die Ausführungen zur praktischen Philosophie in der Politik und der Nikomachischen Ethik eine Kontingenz menschlichen Handelns voraus. Der Verfasser schlägt ansgesichts dieser Problematik vorläufig folgende Lesart vor:
Fest steht, daß Aristoteles menschliches Handeln als zielgerichtet auf das höchste Gute versteht. Die charakterliche Disposition bildet hierzu die “arche”, die Ursache als notwendige Bedingung. Einzelne vom Menschen zu wählende Handlungsmuster sind aber kontingent und stellen in Bezug auf die Zielerreichung hinreichende Bedingungen dar.[27] Im Hinblick auf die kosmische Ordnung ist aber Zielerreichung oder –verfehlung durch den Menschen wiederum notwendig gegeben. Normativ folgt daraus, daß der Mensch gut immer dann handelt, wenn er sich dieser Ordnung unterwirft.[28]
2. Zur Rechtheit notwendig ist Gnade: Anselm von Canterbury
Auch Anselm von Canterbury kennt den Begriff der Notwendigkeit. Allerdings ist das Bedeutungsfeld hier deutlich enger umrissen. Vorrangig ist Notwendigkeit für Anselm eine logische Modalität innerhalb einer Argumentation, etwa derjenigen, mit der er beweisen möchte, warum Gott Mensch werden mußte (Cur deus homo):
“Es ist mithin zuerst ein vernunftgemäßer fester Untergrund der Wahrheit aufzuzeigen, das heißt die Notwendigkeit, die beweist, daß Gott zu dem, was wir verkünden, sich erniedrigen mußte oder konnte."[29]
[...]
[1] Auf die Verwendung des Begriffs “Freiheit” wird hier bewußt verzichtet, da dieser mit allzu vielen Implikaten überfrachtet ist, die für das aristotelische und anselminische Denken fremd sind.
[2] Vgl. U. Wolf in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 6, Basel, 1984, S. 947ff.
[3] Vgl. Phys. 197 a.
[4] Vgl. insbesondere Phys. 193 b.
[5] Vgl. Phys. 195 b.
[6] Peri herm. 19 a. Im ersten Teil des Zitates wird die logische Notwendigkeit beschrieben, im zweiten die Notwendigkeit als das Folgeglied einer Ursache.
[7] De An. 403 b.
[8] De An. 429 a. Die Umklammerung der alternativen Übersetzung deutet darauf hin, daß auch der Übersetzer daran zweifelt, ob das aristotelische Verständnis intellektueller Leistungen mit heutigen Begrifflichkeiten gefaßt werden kann.
[9] In aristotelischer Diktion könnte formuliert werden: Aus Perspektive dieses zweiten Seelenteils ist seine Anbindung an den Datenspeicher des menschlichen Gedächtnisses akzidentiell, für diesen jedoch substanziell.
[10] De An. 430 a. Runde Klammerungen durch den Übersetzer.
[11] De An. 433 b.
[12] De An. 433 b.
[13] De An. 433 a. Hierbei ist aber zu beachten, daß Aristoteles die Ausübung des Willens sehr wohl an den Körper (d.h. den Stoff) anbindet. (ebd.).
[14] EN 1094 b.
[15] EN 1107 a.
[16] Vgl. auch T. A. Robinson, Aristotle in Outline, Indianopolis, 2000, S. 54ff.
[17] Vgl. EN 1180 a.
[18] Vgl. EN 1114 a.
[19] Vgl. EN 1179 b.
[20] Beide Begriffe aus der Übersetzung von EN 1114 .
[21] Vgl. C. Jedan, Willensfreiheit bei Aristoteles?, Bonn, 2000.
[22] Vgl. ebd., S. 128ff.
[23] Pol. 1252 a.
[24] Pol. 1287 a.
[25] Vgl. Pol. 1323 b.
[26] H. Weiss, Kausalität und Zufall in der Philosophie des Aristoteles, Darmstadt, 1967, S. 50.
[27] Eine derartige Lesart stände in Übereinstimmung der aristotelischen Mißachtung für Sklaven, Frauen und Barbaren: Diese sind von Natur aus noch nicht einmal mit der notwendigen Bedingung zum Guten versehen.
[28] Die Kontrastierung mit den Schriften Ansel von Canterburys wird im 3. Teil dazu dienen, die hier getroffenen Aussagen zu präzisieren.
[29] CDH, Buch I, Kap. 4, (Schmitt, S. 17).
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