I. Einleitung
Am 31. Mai 1962 wird in Jerusalem einer der Hauptverantwortlichen für die Judenvernichtung im Nationalsozialismus hingerichtet: Adolf Eichmann. Ein israelisches Geheimdienstkommando hatte ihn zwei Jahre zuvor in Argentinien aufgespürt und nach Jerusalem gebracht, wo er vor ein Strafgericht gestellt und zum Tode verurteilt wurde.
Seine Aussagen während des Verhörs durch Polizeihauptmann Avner Less sowie während des Prozesses sind weitgehend dokumentiert. Sie waren Grundlage zahlreicher literarischer Analysen und Essays über den ‘Fall Eichmann’, von denen wir hier Hannah Arendts Buch „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen“ nennen möchten, auf das wir uns in vorliegender Arbeit hauptsächlich beziehen werden.
Wir glauben, daßes notwendig ist, die Erfahrungsberichte der Opfer des Nationalsozialismus um die Betrachtung der Täter zu erweitern. Dies soll nicht zum entschuldigenden Verständnis für die Mörder führen, sondern vielmehr zur Beantwortung der Frage beitragen, warum durchschnittliche Deutsche zum Bestandteil einer riesigen Vernichtungsmaschine werden konnten.
Adolf Eichmann repräsentierte in all seinen Verhaltensweisen und Äußerungen genau diesen Typus des ‘normalen’ Durchschnittsbürgers, der in der Verwaltungshierarchie der Nazis zwischen den hohen, bekannten Funktionären und den untersten Handlangern die mittlere Ebene einnahm.
Eichmanns Funktion und Eigenschaften begründeten einen Gutteil von Arendts These von der „Banalität des Bösen“, für die sie nach Erscheinen des Buches heftig angegriffen wurde. Die KritikerInnen warfen ihr vor, daßsie damit die Vernichtung der Juden verharmlosen würde.1 Unseres Erachtens jedoch trägt Arendts Blickrichtung wesentlich dazu bei, einer Mythologisierung des Nationalsozialismus zu entgehen, in der Täter und Taten das unergründbare Böse bleiben. Die Dimension des Massenmords läßt sich nicht erschließen, ohne den Prozeßseiner Veralltäglichung und Normalisierung im ‘Dritten Reich’ zu thematisieren. Allerdings versuchen wir im vierten und letzten Kapitel unserer Arbeit zu zeigen, daßArendts Ansatz an der Stelle selbst problematisch wird, wo sie an der Kategorie des ‘Bösen’ festhält und sie einem tendenziell ahistorischen Begriff des ‘normalen menschlichen Verhaltens’gegenüberstellt.
Unsere Überlegungen zielen, wie bereits angedeutet, keineswegs auf die Einzelperson Adolf Eichmanns, sondern auf den von ihm repräsentierten Typ des Schreibtischtäters. Dem entspricht auch die unausgesprochene Neigung Arendts in ihrem Buch. Wir sind uns der Problematik solcher Typisierungen als Methode bewußt. Wir halten sie dennoch für adäquat und schließen uns der Ansicht des verehrten Professors Adorno an, der in seinen „Studien zum autoritären Charakter“ hierzu folgendes schrieb:
„Weil die Welt, in der wir leben, genormt ist und ‘typisierte’ Menschen ‘produziert’, haben wir Anlaß, nach psychologischen Typen zu suchen. Nur wenn die klischeehaften Züge im modernen Menschen identifiziert, nicht, wenn sie geleugnet werden, kann der verderblichen Tendenz zur alles durchdringenden Klassifizierung und Einordnung begegnet werden.“ (Adorno 307)
Obgleich die Beschäftigung mit der Organisierung der Judenvernichtung die Diskussion des Antisemitismus nahelegt, nimmt dieser Aspekt in unserer Arbeit nur einen geringen Raum ein. Denn entscheidend ist, daßAdolf Eichmann die Vernichtung zu seiner Sache machte, ohne daßer der Affekte gegen Juden bedurfte. Tendenziell war es ihm gleichgültig, wer die Personen waren, die er in den Tod schickte. Antisemitisch war Eichmann nur insofern, als er es in seiner Funktion sein mußte.
Wir werden auf diesen Aspekt im ersten Kapitel dieser Hausarbeit noch einmal näher eingehen, um erweiternd die Motivation Eichmanns für sein Handeln zu untersuchen. Im zweiten Kapitel wird es um die Frage nach Eichmanns Verantwortungsbewußtsein für seine Mitarbeit am Mordprojekt gehen. Auffallend für diejenigen, die Eichmann in Jerusalem erlebten und seine Aussagen verfolgten, war seine Vorliebe für Redensarten und verschrobene Sätze. Der Bedeutung dieser ‘Amtssprache’ werden wir im dritten Teil nachgehen.
Eichmann gehört zwar, wie angedeutet, nicht zu den ersten ‘Größen’, die einem beim gewöhnlichen Räsonnieren über den Nationalsozialismus in den Sinn kommen. Jedoch läßt er sich im Bedarfsfalle immer als schillernde Figur, als Nazi im Hintergrund, der die Fäden zog, präsentieren. Guido Knopp, dem ZDF- Experten, wenn es um die herrschende Interpretation der deutschen Vergangenheit geht, war Eichmann selbstverständlich auch einen eigenen Beitrag wert. Im Stile eines ‘Dokudramas’ kommt er denn auch, man mags kaum glauben, zielsicher zur notwendig falschen Interpretation: Eichmann der Vernichter, Eichmann der Antisemit, Eichmann der Unmensch. Die AutorInnen vorliegender Arbeit versuchen eine etwas andere Sicht auf den Organsiator der Deportationen aufzuzeigen.
II. Von einem, der seinen Dienst versieht
Ein Versuch, Adolf Eichmanns Handlungsmotiv nachzuzeichnen
„Ich war nichts als ein getreuer, ordentlicher, fleißiger und nur von idealen Regungen für mein Vaterland, dem anzugehören ich die Ehre hatte, beseelter Angehöriger der SS und des Reichssicherheitshauptamtes.“ Adolf Eichmann
Den Anspruch, etwas über die Motivation zu sagen, mit der Eichmann seine Position im Reichssicherheitshauptamt übernommen und seine Aufgaben erfüllt hat, müssen wir zunächst relativieren. Im Ernst alle Aspekte beschreiben zu wollen, die für die Frage nach seinen Beweggründen relevant sein konnten, wäre hier anmaßend. Wir beschränken uns auf Tendenzen, die für die Charakterisierung des Typs von Bedeutung sind und beziehen uns dabei vorwiegend auf die Einschätzung Arendts sowie auf seine eigenen Aussagen.
Dabei drängt sich immer wiederkehrend die Frage in den Vordergrund, ob denn Eichmann nun Antisemit gewesen sei oder nicht. Für die Prozeßführenden in Jerusalem war dies ein wichtiger Punkt. Auch Peter Z. Malkin, Mitglied des geheimen israelischen Kommandos, das Eichmann aus Argentinien entführte, der später einen Bericht verfaßte, sah in Eichmann in erster Linie einen antisemitisch überzeugten Täter, für den die Ausrottung der Juden eine Mission gewesen sei. (vgl. Malkin 60) Eichmann selbst jedenfalls sah sich nicht als ‘Judenhasser’ oder Antisemit. In seinen Augen pflegte immer gute Beziehungen - und darauf legte er großen Wert - zu den Funktionären der jüdischen Gemeinden in den Städten, in denen er seine Ausweisungs- und Deportationsprogramme praktizierte.
„Ich darf bei dieser Gelegenheit pro domo sprechen: Ich bin weder Judenhasser noch Antisemit. (..) ich sagte es glaube ich jedem. Jeder hat’s einmal gehört. Meine Männer wußten es. Ich hatte keine Schwierigkeiten mit den jüdisch- politischen Funktionären.“
(Eichmann zitiert nach von Lang 137)
Eichmann hier als Zeugen in eigener Sache zu zitieren, könnte vielleicht als allzu naiv erscheinen. Vielleicht war diese Aussage im Verhör gegenüber Avner Less 1960 auch eine Art Schutzbehauptung. Uns geht es aber an diesem Punkt darum, zu zeigen, daßder Typ, den Eichmann repräsentierte, nicht der antisemitischen Überzeugung bedurfte, um die massenhaften Deportationen von Juden zu organisieren.2
„Er [Eichmann] war kein Cesare, der unter Hypnose stand, wie Himmler. Bei den Verhören hat er erklärt, daßer kein Antisemit sei, daßer die offizielle Parteilektüre nie und ‘Mein Kampf’ nur oberflächlich und nicht ganz gelesen habe. Er interessierte sich nicht besonders für Hitler. Er gehorchte nur.“ (Mulisch 129)
Gerade der fehlende Fanatismus ist es, der das Verhalten und die Äußerungen Eichmanns zu denen eines normalen, staatstreuen Bürokraten macht. Der einzige Eifer, den Eichmann kannte, war die bedingungslose Dienstbeflissenheit und das ständige Bestreben nach beruflichem Fortkommen; also genau die Tugenden, die jedem bürgerlichem Mann zur Ehre gereichen und die bis heute nicht in Verruf geraten sind. Eichmann war voller Tatendrang, aber nicht der Judenhaßwar der Motor, sondern der innigste Wunsch nach Anerkennung, Beförderung und Befehlsgewalt, die für ihn gleichbedeutend war mit Macht und Einfluß.
Wie er wurde was er war
Adolf Eichmann wurde 1906 in Solingen geboren. Sein Vater machte in den zwanziger Jahren ein eigenes Geschäft auf - ein kleines Bergwerkunternehmen - , wo er seinen ältesten Sohn Adolf als einfachen Arbeiter unterbrachte. 1925 nahm dieser die Stelle eines Verkaufsbeamten in der ‘Oberösterr. Elektrobau AG’ an, wo er allerdings nur zwei Jahre blieb. Durch persönliche Beziehungen seiner Stiefmutter wurde er 1927 Reisevertreter für die ‘Vacuum Oil Company’ in Wien. 1931 verlobte er sich mit Veronika Liebl, die er im März 1935 heiratete. Seine berufliche Aussichten waren bis zu diesem Zeitpunkt eher dürftig. Die Wende im Leben Eichmanns kam 1932/33, als er entlassen wurde und zur selben Zeit bereits in die NSDAP und in die SS eintrat.
Hannah Arendt betont an diesem Punkt, daßEichmann diesen Schritt nicht aus tiefer Überzeugung vollzog, sondern von Ernst Kaltenbrunner, dem späteren Chef des Reichssicherheitshauptamtes, den ‘guten Rat’ bekam. Für Eichmann war dies nichts Neues, fühlte er sich doch seit seiner Jugendzeit nur in Gemeinschaft von Vereinen und Bünden wohl.3
1933 wurde die NSDAP in Österreich verboten und Eichmann entschloßsich, nach Deutschland zu gehen. Bis zum September 1934 blieb er in Ausbildungslagern der bayerischen SS, bewarb sich aber dann für eine freie Stelle im Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (Himmlers SD), wo er Anfang 1935 begann, sich mit der ‘Lösung der Judenfrage’ zu befassen. Eichmann beschäftigte sich mit den politischen Vorstellungen des Zionismus und machte in seltsamer Weise dessen Ziele zu seinen eigenen. Er eignet sich - natürlich nach Anregung seines Vorgesetzten - die Thesen Theodor Herzls („Der Judenstaat“) an und behauptete nachträglich, nichts sehnlicher gewünscht zu haben als „festen Grund und Boden unter“ die Füße der europäischen Juden zu bekommen. (vgl. Arendt 1996 115)
Als Eichmann 1938, nachdem er sich schon den Ruf des ‘Fachmanns in Judenfragen’ erworben hatte, nach Wien geschickt wurde, um dort die ‘Austreibung der Juden aus dem Reich’ zu beginnen, sah er sich als Teil einer großen Aufgabe, nämlich der politischen Lösung des ‘jüdischen Problems’. (Auch den bekannten Madagaskar-Plan wird er später als ein großes Projekt darstellen, an dem er mitgearbeitet habe.) In seiner Vorstellung waren die Juden das ‘Problem’, das es mit bürokratischer Organsiation zu lösen galt. Doch sie sollten selbst daran mitarbeiten, schließlich liege es ja auch in ihrem Interesse ‘Grund und Boden unter ihre Füße’ zu kriegen. Aus seinem rudimentären Wissen vom Zionismus bog sich Eichmann ein ‘höheres Ziel’ seiner Tätigkeit zurecht, für das alle Beteiligten ‘am gleichen Strang ziehen’ mußten.
Eichmann trat in Verhandlungen ein mit jüdischen Gemeindevertretern und koordinierte die Zusammenarbeit der lokalen und internationalen jüdischen Organisationen. Ein perfekter Verwaltungsapparat war somit installiert, der innerhalb von 18 Monaten Wien und Österreich von 150 000 Juden ‘befreite’.
Vom März bis September 1939 wurde Eichmann nach Prag berufen, wo er das ‘Wiener Modell’ kopieren sollte. Mit dem deutschen Einmarsch in Polen erhielt der zu diesem Zeitpunkt bereits zum SS-Obersturmbannführer beförderte Eichmann eine neue Aufgabe in Berlin: Im RSHA übernahm er das Referat für „Deportationen und Auswanderung“ (Amt IV-B4), von dem aus er die Transporte von Millionen Juden nach Osten organisieren sollte.
Ein Idealist wie aus dem Buche
In Wien zeigten sich bei Eichmann die Fähigkeiten zu organisieren und zu verhandeln. (vgl. Arendt 1996 120) Seine persönlichen Beziehungen zu Vertretern der jüdischen Gemeinden standen in keinem Widerspruch zu den massenhaften Deportationen der Juden ins Ausland und später in die Gaskammern der Konzentrationslager, die er organisierte. Er ‘schätzte’ die jüdischen Funktionäre als seine ‘Mitarbeiter’, die in seiner Vorstellung der gleichen Sache dienten und die er deshalb im persönlichen Umgang immer ‘korrekt’ behandeln wollte. Die technokratische Organisierung der Deportationen setzte keinen persönlichen Haßvoraus. Der Schluß, daßEichmann kein Antisemit in diesem Sinne war, ist wichtig nur für das Verständnis seiner Person. Qua seiner Funktion im Vernichtungsapparat und entsprechend der Logik seines Handelns war er mit Sicherheit ein Antisemit der Praxis. Die Anstrengungen, die er unternahm, liefen für ihn immer auf das Ziel hinaus, in der SS-Hierarchie aufzusteigen.
„So hatte Eichmann in den acht Monaten, in denen er beinahe täglich einen Juden aus Deutschland beim Verhör gegenüber saß, niemals die geringsten Hemmungen, diesem lang und breit immer wieder auseinanderzusetzen, warum er es trotz größter Anstrengungen und beim besten Willen in der SS zu keinem höherem Rang hatte bringen können: er hatte wirklich alles getan, sogar um eine Versetzung an die Front gebeten: »Jetzt ran an die Front, dann wird der Standartenführer schneller fallen.»“ (Arendt 1996 126)
Anerkennung war es auch, die Eichmann reizte, sich noch einmal zu exponieren und im Prozeßin Jerusalem die Hauptperson zu spielen, in der ‘Bemühung, die Wahrheit festzustellen’. Trotz seines immerwährenden Reflexes, seine eigene Rolle im bürokratischen Massenmord klein zu reden (wir werden noch darauf zurückkommen), konnte er nicht umhin, Phrasen abzulassen über seine Aufgabe, den Schuldkomplex „in gewissen Teilen der deutschen Jugend“ abbauen zu helfen (so Eichmann im Verhör gegenüber Avner Less). Um sich zu entschuldigen, bezeichnete Eichmann sich immer als ‘Rädchen im Getriebe’. Dennoch war das nie genug für Eichmann, der etwas Großes sein wollte. Und weil er es nicht sein konnte, war er in seiner Vorstellung wenigstens ein ‘Teil des großen Ganzen’, eben ein Idealist, der sich einer Sache verschrieb. Für ihn waren die Zionisten, von denen er oberflächlich wußte, aus gleichem Holz gechnitzt:
„Anders als die Assimilanten, die er stets verachtet hatte und anders als die orthodoxen Juden, die ihn langweilten, waren die Zionisten für Eichmann ‘Idealisten’ wie er selbst. Um seinen Vorstellungen von einem ‘Idealisten’ zu entsprechen, genügte es nicht, an eine Idee zu glauben, nicht zu stehlen und keine Bestechungen anzunehmen, obwohl diese Qualifikationen unerläßlich waren. ‘Idealist’ war jemand, der für seine Idee lebte - daher konnte er keinen anderen Beruf haben - und der bereit war, seiner Idee alles und insbesondere alle zu opfern.“ (Arendt 1996 117f)
Der weitaus bemerkenswerteste Punkt bei der Frage nach der Motivation von Eichmann, der bei den hier zitierten AutorInnen einen nicht geringen Raum einnimmt, ist der nun wirklich banalste Charakterzug (soweit bei Eichmann überhaupt von einem Charakter zu reden ist), der bei kleinbürgerlichen männlichen Personen zu erwarten ist: Beruflicher Ehrgeiz, wie oben angedeutet, war bei Eichmann immer verknüpft mit dem Bestreben, Befehle umzusetzen und mit diensteifrigem Engagement Lösungen für organisatorische Probleme bei den Deportationen zu finden.
O wie Oben und V wie Vorankommen
Als er im Versteck des israelischen Geheimdienstes in Argentinien von seinem Bewacher, angesichts seiner Sorge um Frau und Kinder, gefragt wurde, wie er es fertigbringen konnte, zehn- und hunderttausende von Kindern und Frauen umzubringen, rechtfertigte Eichmann sich mit folgender Erklärung:
„Heute kann ich es nicht mehr verstehen, wie wir das haben tun können, (..). Ich war immer auf der Seite der Juden. Ich habe mich bemüht, eine befriedigende Lösung für ihr Problem zu finden. Ich habe getan, was alle andere getan haben. Ich war dienstverpflichtet wie alle anderen - ich wollte im Leben vorankommen.“ ( Eichmann zitiert nach: Harel 213)
Zu tun was alle tun, sich den Verhältnissen anzupassen und erkennbar konform zu sein sind die wichtigsten Voraussetzungen um ‘im Leben voranzukommen’. Sich anzupassen an die jeweils gegebene Situation und ein Gespür dafür zu entwickeln, was von ihm erwartet wurde, diese Eigenschaft Eichmanns brachte ihn immer wieder dazu, sich anzudienen und mit dem Gegenüber gleichzusetzen, wenn es auch in den meisten Fällen zu absurden Situationen führte, die die Außenstehenden eher befremdeten. Diese eigenartige Form von Mimikry Eichmanns empfand zum Beispiel Polizeihauptmann Less am unangenehmsten während des Verhörs in Jerusalem: Beim Anblick von Less’ Uniformabzeichen, fühlte sich Eichmann unter seinesgleichen und ließLess wissen: „Herr Hauptmann, wenn ich dieses Zeichen sehe, dann stelle ich fest, daßwir beide eigentlich Kollegen sind. Ich war ja auch einmal Polizist.“ (von Lang 267)
Eichmann kam voran. Die Zeit in Wien vom Frühjahr ‘38 bis März ‘39 war für ihn das reinste ‘Idyll’, weil er hier zum ersten Mal weitestgehende Machtbefugnis hatte. Daßim Vordergrund der Blick auf die eigene Karriere stand, belegt die Tatsache, daßsein Gedächtnis nur in Bezug auf Vorgänge funktionierte, „die in direktem Zusammenhang mit seiner Laufbahn standen“ (Arendt 1996 141). An geschichtlich bedeutende Ereignisse konnte er sich dagegen nicht erinnern. Nur hatte Eichmann nie das Gefühl, seine Anstrengungen bezüglich seiner Karriere seien von Erfolg gekrönt. Er behalf sich deshalb zuweilen mit Übertreibungen und Prahlerei. So etwa mit dem Ausspruch, er werde freudig in die Grube springen mit dem Bewußtsein, fünf Millionen Juden auf dem Gewissen zu haben. (vgl. Arendt 1996 122)
Diese Aufschneidereien waren sein Versuch, sich wichtig zu machen, um seine reale Erfolgslosigkeit zu kompensieren.4 Bei all seinem Bestreben, in der Hierarchie nach oben zu kommen und dadurch Macht zu gewinnen, mußer immer das Gefühl gehabt haben, letztlich gescheitert zu sein. Er machte ein regelrechtes Hobby daraus, seinen ehemaligen Opfern dies aufs Butterbrot zu schmieren nicht erkennend, daßer nur auf deren Kosten Karriere machen konnte. Im Verhör in Jerusalem bedauert er sich selbst gegenüber Less:
„Es ist verhext gewesen, mein Leben. Was ich auch plante, was ich auch wollte und machte und machen wollte, mir hat das Schicksal einen Strich durch die Rechnung gemacht. (..) Es ging mir bei meinen persönlichen Sachen haargenauso, wie es mir die ganzen Jahre gegangen ist, bei den Bemühungen um die Beschaffung von Land und Boden für die Juden. In Alt-Aussee meldete ich mich bei Kaltenbrunner, aber die ganze Sache hat ihn gar nicht mehr interessiert. Ich bekam dann Befehl, im Toten Gebirge eine Widerstandslinie aufzubauen und auf Partisanentätigkeit umzuschalten. Das war wieder eine lohnende Aufgabe, und ich ging mit Feuereifer ran.“ (von Lang 235f)
Befehl ist Befehl, da kann man nichts machen
Voran kam Eichmann mit der gehorsamen Umsetzung von Befehlen, die sich insofern selbst übertraf, als sie sich mit seiner praktischen Diensteifrigkeit verselbständigte: Egal, was befohlen wurde, es mußte durchgeführt werden so gut es ging, mit dem bestmöglichen Resultat und ohne Rücksicht auf irgendjemanden.
„Es wurde befohlen und infolgedessen ist es durchgeführt worden. Bekomme ich einen Befehl, so habe ich ihn nicht zu deuten, und wenn ich einen Befehl erteile, so ist es verboten, diesen Befehl zu begründen.“ (...) „Was soll ich als kleiner Mann mir Gedanken darüber machen? Ich bekomme den Befehl von meinem Vorgesetzten und schaue nicht nach rechts und nicht nach links. Denn es ist nicht meine Aufgabe. Ich habe zu gehorchen und zu parieren.“ (von Lang 145)
Eichmann hätte die Vernichtungsmachine nicht abstellen können, denn er war ja nicht ‘befugt’. Er verspürte nicht den geringsten Skrupel, der in ihm einen Konflikt hätte aufkommen lassen. Zu jeder Zeit entsprang sein Wollen dem staatlichen Wollen und er erkannte in jedem Befehl das eigene persönliche Ziel. Wenn er den entsprechenden Befehl erhalten hätte, hätte er auch seinen eigenen Vater ermordet und darin ‘seine Erfüllung gefunden’.5 (vgl.ebd. 144)
Sobald Eichmann eine Aufgabe zugewiesen bekam, (sich selbst konnte er keine geben) war er in seinem Element. Als Teil eines großen Ganzen fühlte er sich ‘bedeutend’ und sah sich darin als ‘Idealist’, der dieser ‘großen Sache’ alles andere unterordnete. (vgl. Arendt 1996 117) Worin diese Sache inhaltlich bestand, wäre für Eichmann allerdings gleichgültig gewesen. Er handelte nicht aus tiefer innerer Überzeugung, sondern verfolgte die Umsetzung von Anordnungen, die als solche in seiner Vorstellung bereits logisch und notwendig waren. Bei der rigorosen und effektiven Umsetzung der Befehle konnte er dann sein ganzes Talent zeigen.
Erfüllungsgehilfen und Lustmörder
Der ‘erlittene Zwang zur Pflichterfüllung’ als Persilschein
Bei Adolf Eichmann handelt es sich um den Typen, den Hannah Arendt bereits 1944 in ihrem Aufsatz „Organisierte Schuld“ als Durchschnittsdeutschen charakterisierte, der den persönlichen Haßgegen Juden nicht kennt, der aber alles dafür tut, ‘die Juden’ als Masse ihrem vom Führer ausgewählten Bestimmungsort ‘zuzuführen’:
„Die einzige Bedingung, die er [der Durchschnittsdeutsche] von sich aus stellte, ist, daßman ihn von der Verantwortung für seine Taten radikal freisprach. Es ist der gleiche Durchschnittsdeutsche, den die Nazis trotz wahnsinnigster Propaganda durch Jahre hindurch nicht dazu haben bringen können, einen Juden auf eigene Faust totzuschlagen (...), der heute widerspruchslos die Vernichtungsmaschinen bedient.“ (Arendt 1976 41)
Der Typ Eichmann steht repräsentativ für all diejenigen, die in der mittleren oder unteren Ebene der Vernichtungsorganisation nach dem Krieg in der BRD zu Tausenden wieder Aufnahme in die ‘Gemeinschaft’ erfuhren. Daßsie mit unausgesprochenem Wohlwollen entschuldigend in Schutz genommen worden sind, hing damit zusammen, daßsie als die ‘Pflichtgemäßen’ galten, deren Gehorsam gegenüber der staatlichen Autorität und dem direkten Befehl der Normalität entsprach und entspricht. Klassisch geworden - aber deswegen kein Deut weniger zutreffend - ist daher das Bild des kinderlieben Familienvaters (wie Eichmann oder Höß), der während seiner Dienstzeit gewissenlos den Massenmord organisiert und zu Hause mit den Kindern Weihnachtslieder singt.
Die Dienstverpflichtung wirkt dann zudem noch - für den Täter selbst wie für die mitleidenden Landsleute - wie ein unausweichliches Verhängnis, dem zu entgehen eben nur wenige ‘Helden’ die Chance hatten.6 Allenthalben war diese Haltung auch den bundesrepublikanischen Richtern eigen, die in den ‘Naziprozessen’ gegen die mittlere Schicht der Exekutive die Urteile sprachen. Die Suche nach der persönlichen Schuld reduzierten sie auf die Suche nach den individuellen Mordexzessen, nach den willkürlichen Greueltaten ohne gesetzliche Grundlage, während die industrielle Ermordung von 20 000 oder 100 000 Menschen weil ‘unter Dienstzwang’ noch nachvollziehbar und minder strafbar war. Jürgen Friedrich hat diesen Punkt dankenswerterweise mit ironischem Ton verdeutlicht:
„Die ‘Rädchen im Getriebe’ aber haben die merkwürdige Eigenschaft der Schuldlosigkeit für das Tatganze. Austauschbar, bewußtlos, furchtsam, verführt, verroht, verzweifelt, ist ihnen aus dem geschichtlichen Unrecht kein Strick zu drehen. Dafür können sie nichts. Dementsprechend zersetzt sich mit der Zersetzung des Täterkollektivs in an und für sich harmlose Elendsgestalten zunächst die Tat. Sie kann von den fraglichen Termiten nicht begangen worden sein, die gar nichts davon wußten oder gezwungenermaßen, und eigentlich um sie zu verhindern, beteiligt gewesen sind.“ ( Friedrich 138)
Die am Beginn dieses Kapitels angedeutete Schwierigkeit, ein komplettes Psychogramm von Eichmann zu erstellen, verhindert nicht, Überlegungen zu seinen Beweggründen und Motiven zu unternehmen (was hier versucht werden sollte). Hannah Arendt hat in der Vorrede ihres Buches den Blick auf Eichmanns Motivation zusammenfassend auf den auch schon oben erwähnten Punkt fokussiert:
„Eichmann war nicht Jago und nicht Macbeth, und nichts hätte ihm ferner gelegen, als mit Richard III. zu beschließen, ‘ein Bösewicht zu werden’. Außer einer ganz ungewöhnlichen Beflisseneheit, alles zu tun, was seinem Fortkommen dienlich sein konnte, hatte er überhaupt keine Motive; und auch diese Beflissenheit war an sich keineswegs kriminell, er hätte bestimmt niemals seinen Vorgesetzten umgebracht, um an dessen Stelle zu rücken. Er hat sich nur, um in der Alltagssprache zu bleiben, niemals vorgestellt, was er eigentlich anstellte.“ (Arendt 1996 56)
Eichmann war nicht dumm, er wußte genau was er tat. Arendt attestiert ihm viel eher eine ‘Gedankenlosigkeit’, eine Unfähigkeit, sich in andere Situationen oder Vorstellungen hineinzuversetzen. Dieses Nichtdenken, seine verschrobene Wahrnehmung der Realität, bedingte seine Unfähigkeit, andere Personen als Menschen zu sehen. Für ihn waren sie nichts als bloße Funktionseinheiten, die er entweder instrumentell zu benutzen verstand oder denen er sich bedingungslos fügte. Diese Empfingungslosigkeit berührt vor allem auch die Frage nach dem Bewußtsein für die eigene Schuld und das Verantwortungsgefühl für das eigene Handeln bei Eichmann.
III. Zu Eichmanns Wahrnehmung seiner Schuld
„Ihm [dem Henker] gegenüber steht der Henkersknecht Eichmann, der kein Urteil vollzog, der nicht im Auftrag der Wirklichkeit tötete, sondern auf den Befehl eines einzigen Meschen hin, und zwar, wie er behauptet, gegen seinen Willen. Auch er fühlt sich nicht schuldig, er ist schuldig. (Obgleich verkündet wurde, daßein »Führerbefehl Gesetzeskraft« hatte.) Somit ist er der genaue Gegensatz zu dem unschuldigen Irren, der sich schuldig fühlt, obwohl er nicht gemordet hat, sondern es nur tun wollte. ...“ (Mulisch 200)
Das Monster ist keines!
Eichmann vor Gericht
Als Eichmann 1961 in Jerusalem vor Gericht stand, hatte sich um seine Person bereits ein Mythos gesponnen. Er wurde in der Öffentlichkeit zum Hauptverantwortlichen der Organisation der nationalsozialistischen Judenvernichtung erklärt und man erwartete dementsprechend einen gefährlichen, teuflisch-schlauen Fanatiker als Angeklagten. Eichmann, der sich während des Prozesses als ein untertäniger Bürokrat entpuppte, widersprach diesem Bild völlig. Das Strafverfahren sollte Aufschlußüber den Charakter Eichmanns und das Ausmaßseiner Verbrechen geben.
Die Frage der Schuld Eichmanns, die Gegenstand dieses Strafverfahrens war, interessiert uns im Hinblick auf Eichmanns eigene Einstellung zu seiner Rolle bei der Judenvernichtung (während und nach dem Nationalsozialismus). Wie rechtfertigt er sein Tun? Hatte sich seine Einstellung in den zwanzig Jahren seit seiner gräßlich effektiven Zeit im RSHA geändert? Gab es ein Schuldbewußtsein, oder war er überzeugt, richtig gehandelt zu haben? Interessant ist auch die Diskrepanz zwischen dem Bild, das Eichmann anhing und seiner wirklichen Person. Eine weit verbreitete Auffassung schmückt die Vorstellung eines Nazimörders mit Attributen aus wie Fanatismus, Antisemitismus, Gefährlichkeit, Brutalität, Unmenschlichkeit u.a.m. DaßEichmann, der an dem Tod von Millionen von Menschen mitverantwortlich war, dagegen genau dem Bild eines angepaßten braven Bürgers entsprach, weder von Haßbesessen, noch das was man gemeinhin psychisch krank nennt, ist viel beunruhigender, als diese monströse Vorstellung. (Hannah Arendt nennt dieses Phänomen „die Banalität des Bösen“.) Damit hätte man ihn wenigstens aus der Gesellschaft verbannen und sagen können, er habe mit den sogenannten „normalen“ Leuten nichts zu tun gehabt. Aber den „Typ Eichmann“ mußes in millionenfacher Ausführung in Deutschland gegeben haben, denn ohne all jene, die bereitwillig mithalfen, hätte die „Endlösung“ nicht stattfinden können. Und ebenso kleinbürgerlich und banal, wie der Typ Eichmann wirkte, war für ihn die bürokratische Arbeit am Massenmord, die er mit einer unbekümmerten Routine erfüllte, als hätte er Steuererklärungen bearbeitet.
Die Schwierigkeit, der Normalität Eichmanns gewahr zu werden, schlug sich auch in der Prozeßführung nieder.(vgl. Arendt 1996 98f) Hannah Arendt hat in ihrem Buch über den Eichmann-Prozeßdie Art, wie das Verfahren geführt wurde, kritisiert. Vor allem warf sie Oberstaatsanwalt Gideon Hausner vor, daßer das öffentliche Bild Eichmanns als diabolischen schlauen Drahtzieher der Endlösung, der sich nun aus der Verantwortung stehlen wolle, den ganzen Prozeßüber beibehalten habe. Das habe fatalerweise zu Folge gehabt, daßdas Gericht permanent seine Energien darin verschwendete, Eichmann mehr nachweisen zu wollen, als er getan hatte, statt sich auf das Spezifische der Rolle Eichmanns im Nationalsozialismus zu konzentrieren: die fleißige, bürokratische, unblutige Ausführung von Befehlen, die den Tod von Millionen von Menschen bedeutete7. Letztendlich hatte diese versuchte Beweisführung den Effekt, Eichmanns tatsächlichen Beitrag zur „Endlösung“ zu verharmlosen.
‘Beihlife zum Massenmord’
Eichmanns Verhalten während des Prozesses
Eichmann selbst hatte großes Interesse an seinem Prozeßund versprach, bereitwillig auszusagen, um der Wahrheitsfindung zu dienen. Wieder einmal konnte er die für ihn so beruhigende Situation genießen, eine ‘Aufgabe’ zu haben. Man kann davon ausgehen, daßdie Motivation, jetzt dem Jerusalemer Gericht zu dienen, sich für ihn nicht wesentlich von der unterschied, mit der er Hitler einst diente.
Dennoch, als Eichmann in Jerusalem vor Gericht stand und sich zu seiner Schuld an den Verbrechen der Nazizeit äußern sollte, lehnte er es vor dem staunenden Publikum in allen von der Anklage angeführten Punkten ab, sich schuldig zu bekennen8. Wichtig schien ihm, der Öffentlichkeit kundzutun, in welchem Sinne er sich schuldig fühlte und in welchem nicht; und er mußimmer wieder vergeblich versucht haben, es vor Gericht zu erklären.
Um so fragwürdiger wird seine im voraus von ihm angekündigte Aussagebereitschaft mit der er zur Wahrheitsfindung beitragen wollte. Gegen die Unterstellung des obersten Staatsanwalts, Eichmann würde permanent lügen, sprechen dessen Aussagen, mit denen er nicht primär versuchte, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen (wie es ja naheliegend gewesen wäre), sondern mit denen er eher die befremdliche und anmaßende Hoffnung verband, seine Lage verständlich machen zu können, und sich sogar noch Anerkennung versprach (dazu später mehr). Ganz ungeniert lamentierte er über sein eigenes Leid und das ungerechte Schicksal, das sich immer wieder zwischen ihn und seine am innigsten gehegten Lebenspläne stellte. (vgl. im Teil 1 dieser Arbeit) Er versuchte, die Anklage, die gegen ihn vorgebracht wurde, zu berichtigen. Eichmann erklärte, daßer nicht des Mordes sondern nur der „Beihilfe zur Vernichtung der Juden“ beschuldigt werden könne. Er bestritt heftig, jemals einen Menschen mit eigener Hand getötet oder jemals einen direkten Befehl zum Töten gegeben zu haben. Aber er gab unumwunden zu, daßer es getan hätte, es habe sich nur so ergeben, daßer es nie habe tun müssen.
Die 15 Punkte der Anklage mißfielen Eichmann vor allem aufgrund der fehlenden Berücksichtigung seiner moralischen Grundsätze, mit denen er die Deportationszüge ins Rollen brachte. Hannah Arendt erklärt seine Unzufriedenheit folgendermaßen: „Die Anklage unterstellte nicht nur, daßes sich um »vorsätzliche« Verbrechen handelte - dies bestritt er nicht -, sondern auch, daßer aus niedrigen Motiven und in voller Kenntnis der verbrecherischen Natur seiner Taten gehandelt habe. Beides leugnete er auf das entschiedenste. Was die niedrigen Motive betraf, so war er sich ganz sicher, daßer nicht »seinem inneren Schweinehunde« gefolgt war; und er besann sich ganz darauf, daßihm nur eins ein schlechtes Gewissen bereitet hätte: wenn er den Befehlen nicht nachgekommen wäre und Millionen von Männern, Frauen und Kindern nicht mit unermüdlichem Eifer und peinlicher Sorgfalt in den Tod transportiert hätte.“ (Arendt 1996 98)
Nur ein ‘Rädchen im Getriebe’
Eichmanns Äußerungen zu seiner Verantwortung
In dem oben angeführten Zitat Arendts wird auch einer der wichtigsten Punkte zu Eichmanns Einstellung bezüglich seiner eigenen Verantwortung angesprochen: Er war sich keines Fehlverhaltens bewußt, da er im Sinne seiner Pflicht, Befehle zu befolgen, nicht falsch gehandelt hatte.
Wie es von ihm vor Gericht wohl auch nicht anders zu erwarten war, versuchte Eichmann seine Verantwortung für die organisierte Vernichtung der Juden klein zu reden. Einerseits, indem er seine Rolle herunterspielte und sich auf die Befehle, denen er angeblich gehorchen mußte, berief. Andererseits, indem er auf seinen Zuständigkeitsbereich verwies, der doch „nur“ darauf beschränkt war, die Juden zu deportieren, nicht aber sie umzubringen. Die nun wirklich unmittelbaren Zusammenhänge mit den Vernichtungsmaßnahmen konnte er zwar nicht leugnen, strich sie aber aus dem Bereich seiner Verantwortung heraus. Allem Anschein nach konnte er auch gar nicht wirklich einsehen, was er falsch gemacht hatte, wo er doch immer so bestrebt war, alles richtig zu machen. So habe er immer als gesetzestreuer Bürger gehandelt und im Nationalsozialismus sei nun mal Hitlers Befehl Gesetz gewesen. Eichmann versuchte, sich quasi damit zu entschuldigen, daßer das, was er getan hatte, nicht aus eigener Motivation tat. Er versicherte, persönlich nichts gegen die Juden gehabt zu haben. Er habe ja nur Befehle ausgeführt. Als wäre es dadurch weniger schlimm gewesen. Und schließlich habe er es gar nicht besser wissen können, sei er doch nie etwas anders gewohnt gewesen als zu gehorchen. Heute könne er es auch nicht mehr verstehen, aber damals war es eben so, der „Kadavergehorsam“ war weit verbreitet, „man war zu sehr Massentier“. Eichmann distanzierte sich beim Verhör vom besagtem „Kadavergehorsam“, insofern als er wußte, daßdieser nun in Verruf geraten war.
Ein klassisches Argument zur Entschuldigung von Nazitätern, das auch heute noch gerne vorgebracht wird, ist das vom ‘Rädchen im Getriebe’. Auch Eichmann benutzte dieses Bild der Unschuld und stellte sich nur als ein kleines Teil in der Vernichtungsmaschinerie dar, das sowieso nichts hätte ändern können. Wenn er seinen Job nicht gemacht hätte, hätte ihn ein Anderer gemacht. Tatsächlich waren die Rädchen im Getriebe, die ihre Pflicht getan haben und funktionierten, die Voraussetzung für die Vernichtung der Juden. Gerade deshalb ist es völlig absurd, die Verantwortung der ‘abgerichteten kleinen Leute’ zu leugnen. Ohne Rädchen gibt es schließlich keine Maschinen und es gibt immer noch die Entscheidung, ein solches zu sein oder nicht. Zudem hatte sich Eichmann zu einem extrem wichtigen und effektiven Rädchen gemacht. Daßer sich als den ‘kleinen Mann’ darstellte, der nur seinen Job tat, drückt letztendlich aus, daßes ihm egal war, was er machte, wenn es nur von ihm verlangt wurde. Nur allzu bereitwillig nahm er hin, nicht „befugt“ gewesen zu sein, Befehle nicht in Frage stellen zu dürfen. Geplant und gewollt haben die ‘Großen’, Himmler etwa oder Heydrich. In dem Umstand, ein williges Werkzeug gewesen zu sein, sah Eichmann keine Schuld.
„Wenn ein Mann einen Auftrag hat,...“
Eichmanns gutes Gewissen, stets seine Pflicht getan zu haben
Es wäre nicht ganz richtig, Eichmann als gewissenlos zu bezeichnen. Gehorsam war in Eichmanns Augen ein moralischer Grundsatz9. Es sprach tatsächlich so etwas wie ein Gewissen zu ihm, aber dieses entsprang allein seinem Pflichtbewußtsein: Weil er immer im Bewußtsein handelte, nur seine Pflicht zu tun, hatte er nie ein schlechtes Gewissen, was die Menschen anging, die er in den Tod schickte. Im Gegenteil: ein schlechtes Gewissen hätte er dann gehabt, wenn er die Führerbefehle nicht strikt ausgeführt hätte.
„Er habe seine Pflicht getan, wie er im Polizeiverhör und vor Gericht unermüdlich versicherte, er habe nicht nur Befehlen gehorcht, er habe auch das Gesetz befolgt.“ (Arendt 1996 231)
Den Unterschied zwischen ‘Befehlen gehorchen’ und ‘Gesetz befolgen’ erklärt Hannah Arendt so, daßersteres zeitlich begrenzt sei, während letzteres erfordere, daßman sich mit dem Gesetz identifiziere, so daßman auch ohne direkten Befehl wisse, wie man in seinem Sinne zu handeln habe. Mit anderen Worten, Eichmanns Handeln ging über die bloße Befolgung von Befehlen hinaus. Er bekam einen Auftrag und verwirklichte ihn, komme was da wolle.
„Gegen Ende wollte sogar Himmler, daßich Schlußmache. Er glaubte, wir könnten unsere Haut retten. Aber ich habe weiter gemacht. Wenn ein Mann einen Auftrag hat, macht er nicht eher Schluß, als bis er ihn erledigt hat.“ ( zitiert nach Malkin 261)
Hier zeigt sich, daßEichmann sich regelrecht für tapfer hielt, weil er sich so männlich unbeugsam verhalten hatte. Zufrieden war er, wenn er seine Aufträge gründlich und ordentlich ausführte und nichts ihn davon abhalten konnte. Und diese Zufriedenheit ist ihm auch 15 Jahre nach dem Krieg nicht verloren gegangen, als er vor Malkin diese Worte über die Verpflichtungen eines wahren Mannes sprach. Geradezu ekelhaft müssen Eichmanns stolze Worte über sein Durchhaltevermögen für den Mitarbeiter des israelischen Geheimdiensts Peter Z. Malkin gewesen sein, dessen Angehörige von den Deutschen umgebracht wurden. Als dessen Bewacher im Versteck in Argentinien führte Malkin Gespräche mit Eichmann. Das folgende Zitat stammt gleichfalls aus einer dieser Unterhaltungen. Es ging um Eichmanns Gefühl beim Ausführen seines „Jobs“.
„»Als feststand, daßes nicht um eine Umsiedlung ging, sondern um Tod, wie haben sie sich da gefühlt?»
»Da war nichts zu machen», erwiderte er gleichmütig. »Der Befehl kam vom Führer.»
»Aber wie haben Sie sich gefühlt?»
»Da war nichts zu machen.»
»Ich verstehe. So sind Sie also zum Mörder geworden.»
»Nein, das ist nicht wahr. Ich habe niemanden umgebracht. Wenn ich an einen dieser Orte fahren mußte, habe ich immer dafür gesorgt, daßmir das Schlimmste erspart blieb.»...
»Sie geben zu, daßSie wußten, was in den Lagern vor sich ging?»
»Ja aber das war nicht mein Zuständigkeitsgebiet. Ich hatte mit dem Sammeln und dem Transport zu tun.»“ (Malkin 260)
Soweit es sein Zuständigkeitsgebiet betraf, hatte Eichmann keine Probleme, Millionen Leute in den Tod zu transportieren. Sein Gewissen war nur dem Führer und dem Ausführen von Befehlen verpflichtet. Probleme hatte Eichmann mit etwas anderem:
„..so stellte sich heraus, daßnicht Mord, sondern eine Ohrfeige es [das Gewissen] bedrückte, die er »in der Unbeherrschtheit eines plötzlichen Zornes« Dr. Löwenherz, dem Präsidenten der Wiener Judengemeinde »verabreicht« hatte. (Eichmann hatte sich seinerzeit vor seinen Untergebenen bei Löwenherz entschuldigt, aber trotzdem ließihm diese »kleine Begebenheit« keine Ruhe.)“ (Arendt 122f)
Beunruhigt war Eichmann sicher nicht, weil ihm die „kleine Begebenheit“ leid getan hätte, sondern weil es ihm peinlich war, daßer sich nicht richtig, und das heißt diszipliniert, verhalten hatte.
Eine ‘Frage der Ehre’ war für Eichmann auch, daßein Mann zu seinen Taten stehe. Er erklärte vor Gericht, ganz von sich überzeugt, daßer (im Gegensatz zu anderen) nichts bestreiten wolle von dem, was er getan habe, daßer aber auch nichts bereue, denn: „Reue ist etwas für kleine Kinder“ (Eichmann nach Arendt 1996 97)
Ob er mit diesem Ausspruch Empörung vor Gericht hervorrufen wollte, oder sich der Provokation, die dieser Ausspruch bedeuten mußte, gar nicht klar war, sei dahingestellt. Jedenfalls rühmte Eichmann sich hier seines Ehrgefühls und seines mannhaften Verhaltens, doch kamen bei ihm in dieser Hinsicht nichts als elende Klischees heraus. Ohnehin hatte Eichmann den Hang, immer dann, wenn er etwas Bedeutungsvolles sagen wollte, auf abgedroschene Phrasen zurückzugreifen (wir werden im Kapitel über Eichmanns Sprache noch einmal darauf zurückkommen). So auch seine Behauptung, er sei ein Idealist und seine Moralvorstellungen seien dem Kantischen Imperativ verpflichtet.
Der „Kategorische Imperativ für den Hausgebrauch des kleinen Mannes“
Über Eichmanns Moralvorstellungen
Eichmanns Vorstellung von einem guten Gewissen drückte sich im Polizeiverhör aus, als er äußerte, er sei sein Leben lang den Moralvorstellungen Kants gefolgt. Nur in der Zeit der Deportationen hätte er aufgehört, nach den Kantischen Prinzipien zu leben, denn da sei er nicht mehr Herr über sich selbst gewesen. Die Bezugnahme ausgerechnet dieses Mannes auf die Kantische Philosophie ist für uns weniger empörend als vielmehr ein weiteres Beispiel seiner Eigenschaft, immer dann auf Klischees zurückzugreifen, wenn er bedeutungsvoll reden wollte.
Eichmann scheint sogar selbst geahnt zu haben, daßes sich bei seiner Version des Kantischen Lehrsatzes um eine verflachte Redewendung handelte, wenn er sie als „Kategorischen Imperativ für den Hausgebrauch des kleinen Mannes“ bezeichnete. Immerhin konnte er eine einigermaßen stimmige Definition vom Kategorischen Imperativ geben:
„Da verstand ich darunter, daßdas Prinzip meines Wollens und das Prinzip meines Strebens so sein muß, daßes jederzeit zum Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung erhoben werden könnte“. (Eichmann in Arendt 1996 232)
Arendt bemerkte hierzu, daßEichmanns Bezug auf Kant und seinem realen Handeln nicht entsprach. Während bei Kant die Urteilskraft Voraussetzung für das vernünftige Handeln sei, bedeute Eichmanns Prinzip, nach dem er gehandelt hatte, nämlich blinder Gehorsam, gerade das Gegenteil dieser Urteilskraft. Eichmanns Einschränkung des kategorischen Imperativs auf den „Hausgebrauch“ zeigt allerdings, was von seinem Bezug auf Kant zu halten ist. Seine Einstellung zur Urteilskraft des kleinen Mannes (auf die wir an anderer Stelle schon hingewiesen haben) lautet nämlich:
„...Was soll ich als kleiner Mann mir Gedanken darüber machen? Ich bekomme den Befehl von meinem Vorgesetzten und schaue nicht nach rechts und nicht nach links. Denn es ist nicht meine Aufgabe. Ich habe zu gehorchen und zu parieren.“ (Eichmann zitiert nach: von Lang 145, Hervorhebung durch d. A.)
Wenn Eichmann in Jerusalem betonte, daßer im Dritten Reich nicht mehr nach dem kantischen Prinzip handelte, hat das u. E. weniger damit zu tun, daßer während dieser Zeit plötzlich aufhörte „Herr über [sich] selbst zu sein“, wie er selbst behauptete, (das war er vorher genauso wenig und dazu stand er ja auch immer), als vielmehr mit seinem Gespür dafür, daßes im Prozeßnicht mehr angebracht war, die Deportationsmaßnahmen mit Kants Moralvorstellungen zu verbinden.10
Es fragt sich, ob bei Eichmanns Version des Kantischen Imperativs überhaupt irgend etwas vom „Original“ übrig bleibt. Mit Sicherheit hat Eichmanns fixe Idee, sein Leben unter das Zeichen der Kantischen Moral zu stellen, mit Kants Philosophie recht wenig zu tun. Der berühmte Kategorische Imperativ gehörte wahrscheinlich zum Bildungsrepertoire Eichmanns und in dem Moment, als er sich für seine Taten rechtfertigen mußte, hielt er es für erhebend, auf den bekannten Philosophen zurückzugreifen.
Obwohl der Kategorische Imperativ im Sinne Kants mit Eichmanns Abklatsch „für den Hausgebrauch des kleinen Mannes“ kaum vergleichbar ist, gibt es eine Gemeinsamkeit: Beide beinhalten, daßder Handlungsanspruch darüber hinaus geht, einfach die Pflicht zu tun und dem Gesetz zu folgen. Es wird verlangt, sich voll und ganz mit dem Gesetz zu identifizieren, also immer mitzudenken, was in dessen Sinne richtig wäre. Während aber der Kern des Kantischen Lehrsatzes ist, daßman einem Prinzip nicht blind folgen solle, sondern immer dessen Allgemeingültigkeit prüfen müsse, ist es in Eichmanns Version wesentlich, daßdas Prinzip danach geprüft werden muß, ob es mit dem Willen des Führers übereinstimmt, dem unbedingter Gehorsam zu leisten ist. Eichmanns Penibilität und Eifer, mit denen er die ‘Endlösung’ organisiert hatte, waren diesem Anspruch zutiefst verpflichtet. (vgl Arendt 1996 232)
„Wir zogen doch alle am gleichen Strang“
Eichmanns Einstellung zu seinen Opfern
Hannah Arendt beobachtet an Eichmann eine totale Unfähigkeit, „jemals eine Sache vom Gesichtspunkt des anderen her zu sehen“. Seine Empfindungslosigkeit gegenüber dem Leid anderer (das immer hinter seinem eigenen verschwindet) zeigt sich in einer völlig verzerrten Vorstellung vom Verhältnis zwischen ihm und seinen Opfern (vgl. Arendt 126). Dazu noch einmal aus dem oben zitierten Gespräch zwischen Malkin und Eichmann, in dem er auch nach seiner Mitverantwortung für die Massentötungen in den Konzentratinslagern befragt wurde:
„Nein, das ist nicht wahr. Ich habe niemanden umgebracht. Wenn ich an einen dieser Orte fahren mußte, habe ich immer dafür gesorgt, daßmir das Schlimmste erspart blieb.“ (Malkin 260, Hervorhebung durch die AutorInnen)
Wohlgemerkt, ihm(!) wurde das Schlimmste erspart! Wenn es eigentlich um seine Opfer ging, sprach Eichmann für gewöhnlich von sich selbst. Er hatte es immer mindestens genauso schwer. Auch in anderer Hinsicht stellte er sich gerne mit seinen Opfern auf eine Ebene. So hatte er die fixe Idee, er hätte mit den Juden „zusammengearbeitet“, sie seien zwar auch seine „Gegner“ gewesen, doch im Grunde hätten sie das gleiche Interesse gehabt, nämlich „eigenen Grund und Boden unter ihre Füße zu bekommen“. Die Dankbarkeit, die er aufgrund seiner Zusammenarbeit erwarten zu dürfen glaubte, blieb aber zu seiner Unzufriedenheit aus. (vgl. Arendt 1996 135)
Ob er über seine Opfer als Geschäftspartner oder als Gegner sprach, beides sagte letztlich das gleiche aus: Er hatte überhaupt keinen Begriff davon, daßes hier nicht um ein gleichberechtigtes Verhältnis ging, sondern um ein Verhältnis zwischen Täter und Opfern, in dem letztere ihm auf Leben und Tod ausgeliefert waren. Er bildete sich ein, daßalle gleich bestrebt sein mußten, dem einen Gesetz (des Führers) zu dienen, „am gleichen Strang“ zu ziehen und zwar jeweils in der ihnen zugewiesenen Rolle: auf der einen Seite die jüdischen Funktionäre, mit denen er persönlichen Umgang hatte und die seine Anweisungen umzusetzen hatten, auf der anderen Seite die Millionen von Juden, die für ihn nur Rangiermaterial waren, Deportation er zu bewältigen hatte. Und nun, wo alles vorbei sei, würde er gern „mit [seinen] ehemaligen Gegnern Frieden schließen“ so als hätte er seinen Opfern etwas zu verzeihen. Diese Einfältigkeit in Bezug auf die Machtverhältnisse machte ihn so vermessen, daßer es sogar fertig brachte, im Polizeiverhör von einer „menschlichen Begegnung“ im KZ zu erzählen: Dieses „ganz normale menschliche Zusammentreffen“ habe mit Storfer, einem Vertreter der jüdischen Gemeinde Wiens (den er von früheren Verhandlungen her kannte) stattgefunden und zwar in Auschwitz. Eichmann setzte sich nicht für Storfers Entlassung ein, statt dessen für ein leichteres Leben im KZ ohne Schwerarbeit. Eichmann schien sich auch im nachhinein sehr großherzig vorgekommen zu sein. Zwar wurde Storfer sechs Wochen später erschossen, dennoch berichtete Eichmann versonnen von diesem Zeugnis seiner Menschlichkeit, und zwar wieder mit dem Gestus: ‘ich habe meinen Opfern noch nie etwas übel genommen’.11
Die Unfähigkeit, sich in die Menschen hineinzuversetzen, die seiner „Pflichterfüllung“ zum Opfer fielen, setzte sich fort in seinem späteren Verhalten in Israel gegenüber den Angehörigen seiner Opfer. Unterwürfig, wenn diese ihm streng begegneten, faßte er schnell Vertrauen, wenn sie sich ihm gegenüber human verhielten. Er war sich gar nicht bewußt, daßsie ihn hassen mußten. Im Gegenteil, da er ohne die Aufgabe, sie alle umzubringen, nichts mehr gegen die Juden hatte, rechnete er damit, daßsie auch nichts mehr gegen ihn haben konnten. Er, der keinerlei Verständnis für Andere hatte, schien in jeder Lage Anteilnahme für sich von Anderen zu erwarten, sobald diese sich als umgängliche Menschen zeigten.
Ein gutes Beispiel hierfür ist sein Verhältnis zu Avner Less. Drei Wochen lang hat Polizeiinspektor Less täglich Eichmann verhört. Nach einiger Zeit hatte Eichmann ein fast grenzenloses Vertrauen zu ihm gefaßt, so daßdieser selbst sagte: „Ich war Eichmanns Beichtvater“ Auch hier hatte Eichmann schließlich das Gefühl, mit diesem Mann ‘an einem Strang zu ziehen’. Als Avner Less ihm auf die Frage nach Verwandten erzählte, daßsein Vater mit einem der letzten Züge von Eichmanns Dienststelle nach Osten deportiert wurde, wußte dieser nichts anderes zu sagen als: „Aber das ist ja entsetzlich, Herr Hauptmann, wie entsetzlich.“ (Eichmann zitiert nach: von Lang 267f)
Sühne ohne Reue:
Eichmann ist unschuldig
„Ich war mein ganzes Leben an Gehorsam gewöhnt gewesen, von der Kinderstube angefangen bis zum 8. Mai 1945, ein Gehorsam, der sich in den Jahren der Zugehörigkeit zur SS zum ‘Kadavergehorsam’, zum bedingungslosen Gehorsam entwickelte. Was auch hätte Ungehorsam mir eingetragen? Und wem wäre er dienlich gewesen? Planendes, Grundsätzliches, Entscheidendes an dem Geschehen von 1935 bis 1945 stand mir zu keinem Zeitpunkt während dieser zehn Jahre zu.( ) Trotz allem weißich natürlich, daßich meine Hände nicht in Unschuld waschen kann, weil die Tatsache, daßich ein absoluter Befehlsempfänger war, heute sicherlich nichts mehr bedeutet.
Obgleich an meinen Händen kein Blut klebt, werde ich sicherlich der Beihilfe zum Mord schuldig gesprochen werden. Aber wie dem auch sei, ich bin innerlich bereit, auch persönlich für das furchtbare Geschehen zu sühnen, und ich weiß, daßmir die Todesstrafe bevorsteht. Ich bitte auch gar nicht um Gnade, denn es steht mir nicht zu. Ja, wenn es einen größeren Akt der Sühneleistung bedeutet, bin ich bereit, als abschreckendes Beispiel für alle, wie letzte Vorkommnisse bekundeten, Antisemiten der Länder dieser Erde, mich öffentlich zu erhängen. Man lasse mich vorher noch ein Buch über das Entsetzliche als Warnung und Abschreckung für diese gegenwärtige und kommende Jugend schreiben, und dann soll ich mein Erdenleben beenden.“ (Eichmann im Verhör mit Less, zitert nach Mulisch 78-79)
Dieses längere Zitat haben wir gewählt, weil es in komprimierter Form Eichmanns Einstellung zu seiner Verantwortung beim Massenmord wiedergibt, auch wenn (bzw. gerade weil) es nur so von Klischees wimmelt. Es ist voll von Widersprüchen. Einerseits vertrat er unmißverständlich die Auffassung, daßer unschuldig sei (er habe ja 1. nur gehorcht und 2. klebe an seinen Händen kein Blut, da er ja nur fürs Deportieren zuständig war), andererseits sprach er von Sühne, die er bereit sei zu leisten.
Zunächst fällt daran auf, daßEichmann, wie er zugibt, über sein näheres Schicksal, die Todesstrafe, schon jenseits des Zweifels war. Dennoch stilisierte er seinen Abgang vom irdischen Leben zu einem Martyrium, so als sei es seine eigene Idee gewesen, sich öffentlich zu erhängen. Feierlich nahm er wahr (wo es nun doch keinen Ausweg mehr geben sollte), was er für die letzte Gelegenheit hielt, sich noch einmal nützlich oder wichtig zu machen. Dabei hielt er sich augenscheinlich für geeignet, als moralisches Vorbild für die kommende Jugend zu fungieren, wenn auch als ein abschreckendes.
Doch nun stellt sich die Frage, für was Eichmann zu sühnen gedachte. Er beharrte doch weiterhin darauf, sich keiner Schuld bewußt zu sein. Auf der einen Seite sprach er vom ‘furchtbaren Geschehen’ (auch nannte er die „Endlösung“ vor Gericht „eines der kapitalsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte“, vgl. Arendt 1996 94ff). Auch wenn es sich tatsächlich um etwas Furchtbares handelte, klang diese Bezeichnung aus Eichmanns Mund wie eine nichtssagende Phrase, da er deutlich genug gezeigt hatte, daßer das „Furchtbare“ an dem, was er getan hatte, überhaupt nicht wahrnahm und sich vielmehr so darüber äußerte, als sei es das Banalste auf der Welt. Auf der 28 anderen Seite verkündete er, er bereue nichts. Und das ist nicht bloßals trotziger Stolz zu verstehen, vielmehr war er in Wirklichkeit gar nicht fähig, es zu bereuen. Wie so oft, wenn etwas als Stärke daherkommt, überdeckt es eigentlich eine Schwäche, nämlich (in diesem Fall) das Unvermögen, eine Vorstellung davon zu entwickeln, wie er sich hätte anders verhalten sollen. Dieses Unvermögen drückt sich in seiner Frage aus, „wem wäre er [sein Ungehorsam] dienlich gewesen?“. Die Form der Frage macht klar, welche Antwort er sich selbst darauf geben wüde: Niemandem, nur dem ein oder anderen Juden, der vielleicht mit dem Leben davon gekommen wäre. Es ist natürlich klar, daßfür jemanden wie Eichmann das Leben eines Juden nichts bedeutete. „Befehl ist Befehl“ ist die passende Formel für seine Einstellung. Trotz allem konstatierte Eichmann, daßer seine „Hände nicht in Unschuld waschen“ könne. Der Grund seien die ‘anderen Zeiten’, jene Kategorie, die die einstige Pflicht in ein Verbrechen verwandelte. In diesem Fall heilte die Zeit nicht alle Wunden, sondern rißsie erst auf, denn wer im Nationalsozialismus seine Pflicht getan hatte, sollte hinterher verurteilt werden. Wer sollte sich da noch auskennen? Eichmann jedenfalls nicht. Unfähig, sich in die Lage der Opfer zu versetzen, konnte er mit seinem kleinkarierten Denken ‘falsch und richtig’ nur in Verbindung mit dem jeweils gültigen Gesetz unterscheiden. Zudem konnte sich Eichmann durch das Verhalten des übrigen deutschen Volkes während des Nationalsozialismus bestätigt fühlen. Das, was er getan hatte, tat er ja keineswegs im Alleingang. Andere verhielten sich auch nicht anders, zumindest protestierten sie nicht. Er konnte sich, bei allem Bruch mit den vorherigen Rechts- und Unrechtsvorstellungen, ganz normal fühlen und sogar noch mehr als das: Er konnte von sich behaupten, seine Sache gut gemacht zu haben, ob die Sache nun gut oder schlecht war.
Eichmann spürte aber schließlich den neuen Wind, der nach dem Krieg wehte, und hing sein Fähnchen in denselben, so daßer nun ein ‘kritischeres’ Urteil über den ‘Kadavergehorsam’ fällte. Diesen beanstandete er nicht wegen des „furchtbaren Geschehens“, zu dem er geführt habe, er distanzierte sich nur davon, weil mittlerweile der Begriff ‘Kadavergehorsam’ unpopulär geworden war und weil dieser ihn in seine jetzige Lage gebracht hatte. Was Eichmann aus seinen Fehlern gelernt hatte, zeigte sich in seiner Begründung, warum er niemals mehr einen Eid leisten würde ( was er kurz nach dieser Verkündung doch tat).
„Ich würde heute keinen Eid mehr leisten. Ich würde heute - heute würde mich kein Mensch mehr dazu bringen, kein Richter mehr dazu bringen, etwa ein Zeugeneid zu leisten. Ich lehne es ab. Ich lehne es ab, und zwar aus moralischen Gründen.(...) Weil ich die Erfahrung gemacht habe, wie - wenn man sich an den Eid hält, dann hat man eines Tages die Konsequenzen zu ziehen... Denn ich sehe es, heute hat man sich zu verantworten deswegen, weil man eingedenk des Eides hier gehorcht hat. Hätte ich damals aber nicht gehorcht, eingedenk des Eides, wäre ich damals bestraft worden. Also wie - wie es auch immer ausläuft, schlecht ist es auf jeden Fall, wenn man irgendwie einen Eid leistet...“ (Eichmann zitiert nach: Mulisch 161)
Die Sühne betrieb Eichmann (wie alles andere) als reine Pflichtübung, weil er wußte, was er der Welt schuldig war. So verkündete er, es stünde ihm nicht zu, um Gnade zu bitten. Das erinnert auch an seinen Standardspruch, er sei nicht befugt gewesen, Befehle zu hinterfragen. Wozu er befugt war und wozu nicht, erkannte er nur aufgrund äußerer Instanzen, an denen er sich in den jeweiligen Situationen orientierte, und interpretierte danach das, was er als ‘seine Pflicht’ tun und sagen mußte. Was dabei an Prinzipien herauskam, entsprach den pathetischen Floskeln, die bei ihm für wichtige Momente vorgesehen waren.
„In seinem Kopf bestand kein Widerspruch zwischen dem »ich werde freudig in die Grube springen», daßbei Kriegsende angemessen geklungen hatte, und der nicht weniger freudigen Bereitschaft, »sich als abschreckendes Beispiel öffentlich zu erhängen», das jetzt, unter radikal veränderten Umständen, genau die gleiche Funktion erfüllte - nämlich ihm erhebende Gefühle zu verschaffen.“ (Arendt 1996 131)12
Eichmanns Buch „über das Entsetzliche als Warnung und Abschreckung für diese gegenwärtige und kommende Jugend“ wäre in der Tat eine moralische Bereicherung geworden, auf die wir gerne verzichten. Seine Bereitschaft, seine Taten als Verbrechen anzusehen und nun einer anderen Ordnung zu dienen, hätte sich mit Sicherheit bei Gelegenheit wieder rückgängig machen lassen und es besteht kein Zweifel, daßAdolf Eichmann „wenn es sich eben so ergeben würde“ sich mit der gleichen Gewissenlosigkeit etwa für ein anderes faschistisches System hätte instrumentalisieren lassen.
„Himmler glaubte an Hitler, aber Eichmann nur an den Befehl. Himmler hätte niemandem anderen geglaubt, aber Eichmann hätte auch jedem anderen gehorcht. Als keine Befehle mehr eintrafen, verwandelte er sich, wie Servatius treffend bemerkt hat, in einen friedlichen Bürger.“13 (Mulisch 129)
III. „Amtssprache ist meine einzige Sprache“
Eichmanns Unfähigkeit sich auszudrücken
Hannah Arendt arbeitete, wenn sie sich über die Verhaltens- und Redeweise Eichmanns äußerte, weitgehend auf der Grundlage des Polizeiverhörs von Avner Less vom Mai 1960 bis Januar 1961 oder den Aussagen vor Gericht. Sie beobachtete dabei Eichmanns „Kampf mit der deutschen Sprache, in dem er regelmäßig unterlag...“ (Arendt 1996 124). Er war, so schien es, nicht in der Lage, viel anderes als Klischees und Redensarten von sich zu geben, deren Bedeutung er auch gar nicht erläutern konnte. Wie zum Beispiel bei dem Ausdruck ‘Kontra geben’:
„Richter Landau, offensichtlich unvertraut mit den Mysterien des Kartenspiels, verstand den Ausdruck nicht, aber Eichmann fiel beim besten Willen kein anderes Wort ein.“ (Arendt 1996 125)
Dinge, die Eichmann in irgendeiner Weise wichtig erschienen, wurden von ihm mit Phrasen belegt und so in der immer gleichen Wortwahl wiederholt. Im Polizeiverhör wie vor Gericht brachte er infolgedessen nur endlos verschachtelte Sätze hervor, die niemand verstand und die fast ausschließlich in Klischees endeten. 15 Jahre nach Kriegsende sprach Eichmann in dem selben SS-Jargon, in dem Menschen nur als Funktionen erscheinen: Himmler war nicht Himmler, sondern der ‘Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei’, auch wenn er in Eichmanns Wortschwall dreimal in einem Satz vorkam.
„Das Außergewöhnliche dabei ist, daßer selbst keinerlei Schwierigkeiten zu haben scheint, nicht den Faden zu verlieren, den schon längst keiner mehr sieht. Er zögert nie, er verhaspelt sich nie, mit seinem Kugelschreiber skandiert er den Rhythmus der Nebensätze und legt Zeugnis für sein unglaubliches Gedächtnis ab. Es ist die Sprache der Einkommensteuererklärungen und Gerichtsprotokolle, ins Wahnsinnige vervielfacht. Diese Art des Redens ist der Faschismus.“ (Mulisch 175)
Vom vorsitzenden Richter darauf angesprochen, entschuldigte sich Eichmann mit einer weiteren Redensart: „Amtssprache ist meine einzige Sprache.“ Hieraus aber springt unwillkürlich die Einsicht in den eigenen Defekt hervor: die Unfähigkeit, sich auszudrücken.
„Je länger man ihm zuhörte, desto klarer wurde einem, daßdiese Unfähigkeit, sich auszudrücken, aufs engste mit einer Unfähigkeit zu denken verknüpft war. Das heißt hier, er war nicht imstande, vom Gesichtspunkt eines anderen Menschen aus sich irgend etwas vorzustellen.“ (Arendt 1996 126)
Die ‘starken Sprüche’ Eichmanns, wie er würde ‘lachend in die Grube springen’ oder ‘Reue ist etwas für Kinder’, sind in der Tat nur leeres Gerede ohne jeden Wirklichkeitsgehalt, mit denen er sein Gegenüber zu beeindrucken suchte und die ihm ein ‘erhebendes Gefühl’ verschaffen sollten.14 Für jede Situation die richtige Stimmung sollten sie ausdrücken, aber weil es Klischees waren, wirkten sie nur absurd.
„Wenn nun die Richter im Kreuzverhör versuchten, sein Gewissen anzusprechen, tönten ihnen diese ‘erhebenden Gefühle’ entgegen, und es entsetzte sie, ebenso wie es sie verwirrte, als sie entdeckten, daßder Angeklagte ein spezielles erhebendes Klischee für jeden Abschnitt seines Lebens und für jede der Tätigkeiten, die er ausgeübt hatte, parat hatte.“ (Arendt 1996 131)
Oft genug wurden die von Eichmann in pathetischem Ton verlautbarten Sprüche durch sein eigenes konkretes Verhalten ad absurdum geführt: So seine oben schon erwähnte ‘Abneigung’ gegen das Schwören eines Eides. Ebenso markig und effektvoll lehnte er es ab, um Gnade zu bitten, weil er nach eigener Bekundung bereit war, ‘die Konsequenzen zu tragen’. Nachdem der Urteilsspruch verkündet war, reichte er selbstverständlich ein Gnadengesuch ein.
Diese Diskrepanz verdeutlicht, daßdie Redensarten, die Eichmann bevorzugte, keine wirklichen Prinzipien seines Handeln waren, sondern bloßeinen verbalen Fundus darstellten, aus dem er immer dann schöpfen konnte, wenn er die Situation für wichtig und angemessen hielt und ihm eben nichts anderes einfiel.
Die ungewollte Komik in solchen Situationen trieb Eichmann selbst auf die Spitze, als er im Augenblick seiner Hinrichtung sich zu einigen ‘letzten Worten’ genötigt sah: „Es lebe Deutschland. Es lebe Argentinien. Es lebe Österreich. Das sind die drei Länder, mit denen ich am engsten verbunden war. Ich werde sie nie vergessen.“ (Arendt 1996 371) Hannah Arendt bemerkt hierzu:
„Im Angesicht des Todes fiel ihm genau das ein, was er in unzähligen Grabreden gehört hatte. Das ‘Wir werden ihn, den Toten; nie vergessen’. Sein Gedächtnis, auf Klischees und erhebende Momente eingespielt, hatte ihm den letzten Streich gespielt: er fühlte sich ‘erhoben’ wie bei einer Beerdigung und hatte vergessen, daßes seine eigene war.“ (ebd.)
Endlösung statt Massenvernichtung
Die Sprachregelung im Dritten Reich
Zur Geheimhaltung der Vernichtungspläne, gab es im Dritten Reich eine besondere Sprachregelung für Eingeweihte. Diese Sprachregelung schrieb eine Reihe von Tarnausdrücken vor. „Endlösung“ war der Tarnbegriff für die Vernichtung aller europäischen Juden, „Sonderbehandlung“ wurde statt Ermordung gesagt und „Umsiedlung“ bzw. „Arbeitseinsatz im Osten“ war die Sprachregelung für die Deportationen in die Konzentrationslager.
Diese Decknamen erfüllten primär den Zweck der Verheimlichung der Vernichtungsaktionen, doch der nüchterne, geschäftsmäßige Anstrich der Begriffe, die für Mord, Verschleppung, Ausrottung herhalten mußten, diente sicher auch der Beruhigung für die, die von der Vernichtung nichts wissen wollten. Mit einigem Vorstellungsvermögen und vor allem der nötigen Bereitschaft dazu, wäre es sicher nicht schwer gewesen, die wahre Bedeutung dieser Decknamen zu erkennen.
Auch für die Leute, die sie benutzten, und genau ihre Bedeutung kannten, mußte sich die Sprachregelung beruhigend auf ihr Gewissen auswirken. Wie Hannah Arendt es auf den Punkt bringt,
„...sollte dieses System von Sprachregelungen die Vernichtungsexperten nicht etwa blind machen für ihre Tätigkeit, wohl aber verhindern, daßsie sie mit ihren alten, normalen Vorstellungen von Mord und Lüge gleichsetzten .“ (Arendt 1996 171)
Gerade bei jemandem wie Eichmann konnte diese sprachliche Verschleierung sehr wirksam sein. Denn ohne mit der Wimper zu zucken, organisierte er die Deportationen in die Vernichtungslager. Zugleich aber konnte er den direkten Anblick des Greuels, an dem er mitarbeitete, nicht ertragen. Daraus zog er allerdings keine weiteren Schlüsse und leitete nach wie vor guten Gewissens die Deportationen. Wie kann es zu erklären sein, daßjemand völligen Abstand nehmen kann von dem was er tut, obwohl er es grauenvoll findet, solange er nur nicht sehen muß, was er tut? Es kann nicht anders zu erklären sein, als daßdieser jemand seine Vorstellungskraft komplett abzuschalten vermag. Seine Phantasielosigkeit mußes Eichmann sehr einfach gemacht haben, seinen Beitrag zur „Endlösung“, als eine Arbeit wie jede andere anzusehen und mit den Begriffen der Sprachregelung so emotionslos herumzuhantieren, wie sie (oberflächlich betrachtet) klingen.
Allerdings mußgesagt werden, daßdie Verharmlosung in der Sprachregelung ein allgemeines Merkmal bürokratischer Sprache ist und nicht auf den Nationalsozialismus beschränkt bleibt. Die Funktion, die ausführenden Beamten ihrer eigenen Taten zu entfremden, ist auch den bundesrepublikanischen Gesetzestexten immanent. Dann heißt die Abschiebung eben nicht ‘Abschiebung’ sondern ‘Vollziehung aufenthaltsbeendener Maßnahmen’.
Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
[...]
1 Umstritten waren auch Arendts Einschätzungen und Beschreibung bezüglich der Rolle der Judenräte während der Deportationsmaßnahmen. Siehe dazu auch in selbigem Buch das Vorwort von Hans Mommsen: „Hannah Arendt und der Prozeßgegen Adolf Eichmann“.
2 Dieser Punkt bezeichnet ein wesentliches Anliegen vorliegender Arbeit. In der üblichen retrospektiven Betrachtung der Täter im Nationalsozialismus in der BRD erscheint meist nur der exzessive Einzelmörder, der, vom fanatischen Haßgetrieben, sein Opfer quält und bestialisch ermordet. Die Qualität der Massentötung erhält aber durch den riesigen Verwaltungsapparat ihren Charakter, der nur dann funktioniert, wenn seine Beamten sich der irrationalen Übergriffe enthalten und rationale Erwägungen zur Grundlage ihres Handelns machen. Das bezeichnet die Normalität und nicht die Ausnahme. Wenn jedoch normales Handeln Staatsbürger ohne nenneswertes Widerstreben dazu bringt, Millionen von Menschen in den Tod zu schicken, dann wird die Grundlage jener Gesellschaft (und nicht nur der faschistischen, denn die Faschisten brauchten die Deutschen nicht neu zu erfinden) überhaupt fragwürdig.
3 Zum selben Zeitpunkt, wo Eichmann in die SS eintreten sollte, war er drauf und dran, in der Freimaurerloge ‘Schlaraffia’ Mitglied zu werden. Zu seinem Unglück leistete er sich jedoch den Fauxpas, als Jüngster (!) die Tischgesellschaft zu einem Glas Wein einzuladen, womit sein Engagement in dieser Loge auch zu Ende war. Zudem machte ihm Kaltenbrunner natürlich klar, daßkein Nazi Freimaurer sein könne. (vgl. Arendt; 1996 S.106f)
4 Später werden wir sehen, daßEichmann beim Verhör und beim Prozeßin Israel genau das Gegenteil tun wird, nämlich seine Rolle bei der Ermordung der Juden klein zu reden und sich letztlich als ‘Rädchen’ in einer riesigen Maschine darzustellen.
5 DaßViele im Nationalsozialismus den nächsten Angehörigen denunzieren und ans Messer liefern würden, ist ein gängiges Bild und es besteht zumindest der Verdacht, daßEichmann auch hier wieder eine Floskel verwendete, um einen dramatischen Ausnahmezustand zu zeichnen, der auch entschuldigenden Charakter hatte. Immerhin war wohl die geforderte und antrainierte Bereitschaft, die eigenen Eltern zu verraten, unter Hitlerjungen zum Beispiel nicht selten. Auch Robert Merle benutzt dieses Bild in seinem Roman über den KZ-Kommandanten Rudolf Lang (der in Wirklichkeit Rudolf Hößhieß), indem er diesen im Streit mit seiner Frau sagen läßt, er würde sogar seinen eigenen Sohn töten. (vgl. Merle, Der Tod ist mein Beruf, 1983; S.301) Offenbar trifft die Plattitude, Blut sei dicker als Wasser, dann nicht mehr zu, wenn die Blutsbrüderschaft mit dem Führer und den Parteigenossen mehr zählt.
6 Vor einiger Zeit versuchte die Verkehrsgesellschaft Frankfurt/Main, neue Methoden zur Kontrolle der Fahrausweise zu etablieren. Eine ganze U-Bahnstation wurde von Polizei- und Sicherheitskräften umstellt, der Zug abgeriegelt und die Fahrgäste erst frei gelassen, wenn sie ihre Tickets vorzeigten. (siehe FR vom 30.09.97) Als ein aufgebrachter Herr sich über die rabiaten Maßnahmen der Uniformierten beschwerte, erwiderte eine Frau, diese täten ‘doch auch nur ihren Job’. Dieser Hinweis auf die Dienstverpflichtung entschuldigt potentiell jedwede Greueltat, soweit sie korrekt nach Vorschrift und unter Gehorsamspflicht vollzogen wird. Die Täter werden als Rädchen im Getriebe selbst nur zu Opfern der Verfehlungen der Machthaber.
7 So wollte Gideon Hausner Eichmann während des Prozesses unbedingt nachweisen, wenigsten einmal eigenhändig gemordet zu haben. Und zwar wurde Eichmann beschuldigt, einen jüdischen Jungen erschlagen zu haben, als er ihn beim Obstklauen erwischt hatte. Hausner konnte es nicht beweisen.
8 Es handelt sich um 15 Anklagepunkte für die er letztendlich (mit Einschränkungen) auch schuldig gesprochen wurde. Zusammengefaßt beinhalten diese Punkte die Anklage, mit anderen zusammen Verbrechen gegen das jüdische Volk begangen zu haben (d.h. in der Absicht, das jüdische Volk zu vernichten), des weiteren die Anklage, „Verbrechen gegen die Menschheit“ begangen zu haben (d.h. alle Verbrechen die mit oder ohne der Absicht des Völkermords an den Juden oder Zigeunern oder anderen Völkern begangen wurden). Eine genauere Ausführung der Anklage kann bei Hannah Arendt, S.360-363 nachgelesen werden.
9 Später werden wir sehen, daßsich Eichmann auch vom Gehorsam distanzieren kann, wenn es ihm geboten scheint.
10 Hannah Arendt korrigiert: Eichmann legte die Kantische Formel im 3. Reich nicht einfach ab, sondern bog sie sich zurecht. Was übrig blieb, meint sie, dürfte der Definition „des kategorischen Imperativs im Dritten Reich“ von Hans Frank entsprechen: „Handle so, daßder Führer, wenn er von Deinem Handeln Kenntnis hätte, dieses Handeln billigen würde.“ (Hans Frank, „Die Technik des Staates“ 1942 15f.) Allerdings ist auch vorstellbar, daßes einer solchen Ummodelung gar nicht bedurfte, insofern, als sich Eichmann nunmehr einfach einem anderen Gesetz unterwerfen mußte. (vgl. Arendt 1996 232)
11 Hannah Arendt gibt den Wortlaut von Eichmanns beim Polizeiverhör gegebenen Schilderung der „normalen menschlichen Begegnung“ mit Storfer wieder. Die ‘Onkel-Doktor-Sprache’, in der er Storfer anspricht, setzt der Geschichte den Gipfel der schaurigen Lächerlichkeit auf: „ja mein lieber guter Storfer, was haben wir denn da für ein Pech gehabt...“. Arendt beschreibt in diesem Zusammenhang auch die paradoxe Situation, die sich daraus ergebe, daßEichmanns Aussagen zeitweise einfach komisch seien, und es sich gleichzeitig um so grauenhafte Dinge handele. (vgl. Arendt 127ff)
12 Bei Kriegsende prahlte Eichmann vor seinen Kameraden mit den Worten: „Ich werde freudig in die Grube springen, denn das Bewußtsein, fünf Millionen Juden auf dem Gewissen zu haben, verleiht mir ein Gefühl großer Zufriedenheit“
13 Servatius war Eichmanns Verteidiger vor dem Jerusalemer Gericht
14 Bei dieser Gelegenheit ist darauf hinzuweisen, daßjene Tendenz, sich mit Floskeln ‘erhebende Gefühle’ zu verschaffen, nicht auf Eichmann und seine Zeit beschränkt bleibt. Sie ist vielmehr Bestandteil des Alltagsbewußtseins der fortgeschrittenen bürgerlichen Gesellschaft. Dabei ist es nicht so, daßdie wahren Gefühle des Menschen durch Klischees und Oberflächlichkeiten verdrängt oder ersetzt werden, sondern sie sind die Gefühle, es gibt meist nicht viel mehr. Ohne hier unverschämt sein zu wollen, doch die AutorInnen fühlen sich bei solcherlei Sprache an AGs von GermanistikstudentInnen erinnert, die sich in ersten Ergüssen der Lyrik und Poesie versuchen.
- Citar trabajo
- Norbert Kresse (Autor), Kerstin Ruppel (Autor), 1999, Adolf Eichmann als typische deutsche Täterperson, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94774
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