Einleitung
"Zwischen Verwüstung und Hoffnung, zwischen Tod und Leben, zwischen Verzweiflung und Gläubigkeit wuchs das Werk Wolfgang Borcherts" schreibt Bernhard Meyer-Marwitz in seinem biographischen Nachwort in Borcherts Gesamtwerk. Mit der Verwüstung spricht Meyer-Marwitz die Umgebung an, mit der der Kriegsheimkehrer Wolfgang Borchert nach dem Ende des zweiten Weltkrieges unmittelbar konfrontiert wird. Inmitten dieses verwüsteten Deutschlands entstehen die meisten der Erzählungen Borcherts. Diese Erzählungen haben direkten Bezug zu der nahen Kriegsvergangenheit und zu der aktuellen Gegenwart der frühen Nachkriegszeit. Dennoch sind seine Erzählungen mehr als bloße Darstellungen dieser Zeit. Mit ihrer Aussage gehen seine Erzählungen über die damalige Gegenwart hinaus. Sie enthalten Botschaften, die sich an die Zukunft richten.
In Wolfgang Borcherts "Generation ohne Abschied" verweist er auf die Zukunft, indem er schreibt, daß"alle Ankunft uns gehört" (S.61). Auch in "Das ist unser Manifest" schreibt Borchert davon, daß"wir [...] in das Nichts hinein wieder ein Ja bauen [müssen]" (S.313). Er spricht mit diesen Worten für eine ganze Generation junger Kriegsheimkehrer und "er fand sich mit ihr [der Generation] im gemeinsamen Schicksal und half ihr, diesem Schicksal zu begegnen."
Stilistisch zeichnen sich viele seiner Erzählungen durch eine krasse Sachlichkeit aus. Zudem "ist oft vom ‚Nihilisten‘ Borchert geredet worden", doch hat Borchert nicht erst mit seinem Vermächtnis "Dann gibt es nur eins" einen Wegweiser für die Zukunft erstellt, indem er dazu aufruft "NEIN" zu sagen, "wenn sie dir morgen befehlen" (S.318).
Im folgenden soll anhand der Erzählung "Die drei dunklen Könige" untersucht werden, welche Zukunftsperspektiven in dieser Erzählung zu finden sind und wie die Zukunft gestaltet ist.
"Die drei dunklen Könige"
1. Der Handlungsverlauf
1.1. Phasenbildung der Handlung:
Ein auktorialer Erzähler der dritten Person erzählt die Geschichte. Dabei enthält er sich während der gesamten Erzählung eigenen Kommentaren, so daßdie Figuren der Erzählung in den Vordergrund treten. Er beschreibt die Umgebung und die Atmosphäre. Auch beschreibt er die Figuren und gibt deren innere Monologe und direkte Reden wieder. Die Geschichte wird chronologisch erzählt. Rückwendungen oder Vorausdeutungen tauchen nicht auf.
Die Erzählung beginnt mit der Holzsuche des Vaters. Während der Vater bei der Holzsuche "durch die Vorstadt" (S.185) geht, wird sein sichtbares Umfeld dargestellt. Dieses Umfeld ist von Dunkelheit ("die dunkle Vorstadt", S.185) und Zerstörung ("Die Häuser standen abgebrochen gegen den Himmel", S.185) geprägt. Selbst das Mondlicht fehlt in der Umgebung des Vaters. Zu der Dunkelheit und Zerstörung der Umgebung gesellt sich eine Stille, worüber "das Pflaster [...] erschrocken über den späten Schritt"(S.185) ist. In Verbindung mit dem Tappen des Vaters ist die ganze szenische Darstellung von Statik geprägt. Somit drückt die Stille, die Dunkelheit und die Zerstörung des Umfeldes die Einsamkeit des Vaters aus.
Der Vater findet "eine alte Planke"(S.185), bricht eine Holzlatte ab und nimmt sie mit. Beim Abbrechen wird die Latte personifiziert, indem sie "aufseufzte"(S.185). Es erscheint, als wolle der Erzähler das Holz erschöpft darstellen, das sich damit der erschöpften, stillen und zerstörten Umgebung anpaßt. Jedoch hat das Seufzen auch etwas Lebendiges in der sonst stillen Umgebung. Das Brechen der Planke bricht nämlich die Stille, weil dort zum ersten Mal Geräusche auftauchen, die nicht von der Figur des Vaters ausgehen. Zudem riecht das Holz für den Vater "mürbe und süß"(S.185). Die Süße weist in Verbindung mit der Lebendigkeit des Holzes auf die existentielle Notwendigkeit dieses Gutes hin, um sich gegen die Kälte zu wehren ("so kalt war es", S.185).
Mit der Inversion des ersten Satzes der Erzählung wird die Rückkehr von der Holzsuche eingeleitet. Die Subjekt-Verb-Objekt-Stellung aus dem ersten Satz wird umgekehrt und um das Wort "zurück"(S.185) ergänzt. Mit "Sterne waren nicht da"(S.185) wird auch bei dem Rückweg des Vaters auf die Dunkelheit und seine Einsamkeit hingewiesen.
Als der Vater wieder den Raum betritt, in dem seine Frau und der Säugling auf ihn warten wird die Tür erwähnt, die bei seinem Eintreten "weinte"(S.185). Auch hier findet sich wieder eine Personifikation. Doch diesmal ist die Personifikation nicht gewählt worden, um Lebendigkeit, sondern um ein erschöpfendes Leiden auszudrücken. Zum einen wird durch das Weinen der Tür, wobei man sich ein Quietschen der Tür vorstellt, das ärmliche Umfeld des Raumes ausgedrückt, zum anderen folgen auf das Weinen der Tür "die blaßblauen Augen seiner Frau"(S.185). Die Frau erscheint ähnlich dem erschöpfenden Geräusch der Tür, matt und müde ("Sie [die Augen] kamen aus einem müden Gesicht", S.185).
Wie im ersten Absatz spricht der Erzähler wieder von der Kälte, worauf der Vater das Holz bricht, um die Kälte im Raum zu bewältigen. Ebenso wie im ersten Absatz wird an dieser Stelle wieder vom Holz gesprochen, das "seufzte"(S.185) ,und das "mürbe und süß"(S.185) riecht. Doch diesmal wird die Bedeutung des Holzes von dem Ausspruch des Vaters gesteigert, indem er davon spricht, daßdas Holz "beinahe wie Kuchen"(S.185) riecht.
Hier wird auch die Bescheidenheit der materiellen Verhältnisse deutlich. Die materiellen Bedürfnisse des Vaters sind soweit reduziert, daßer das Holz mit Kuchen gleichsetzt.
Mit dem "Nicht"(S.185) der Mutter endet die Einführung des Erzählers in die Handlung. Die Einführung hat die Aufgabe, die Dekadenz und die Finsternis der Umgebung darzustellen. Dabei verfolgt der Erzähler den Vater bis er wieder zu seiner Familie zurückkehrt.
Das "Nicht"(S.185) leitet den nächsten Teil ein. Denn damit wird das neugeborene Kind in die Handlung eingeführt. Von dort an ändert sich auch die Atmosphäre. Das dunkle Umfeld wird von einer "Handvoll warme[n] Licht"(S.185) abgelöst. Dieses warme Licht fällt "auf ein winziges rundes Gesicht"(S.185). Damit verbindet sich die Helligkeit des Lichtes unmittelbar mit dem Säugling. Beim zweiten Öffnen des Ofens fällt wieder "eine Handvoll Licht über das schlafende Gesicht"(S.186). Die Mutter verbindet mit dem hellen Gesicht sofort mit einem "Heiligenschein"(S.186) und macht dadurch auf die besondere Rolle des Säuglings aufmerksam.
Mit den drei Soldaten, die "an der Tür"(S.186) sind, setzt die nächste Phase der Erzählung ein. Die Soldaten, die selbst von körperlichen und seelischen Leiden gezeichnet sind, fühlen sich von dem Licht angezogen ("Wir sahen das Licht", S.186). Sie passen sich dem ruhigen Umfeld der Familie an und heben "die Füße hoch"(S.186). Als die Soldaten mit dem Familienvater vor der Tür Zigaretten drehen, verfolgt der Erzähler die vier Personen und verläßt den Raum, in dem Mutter und Kind zurückbleiben. Die Perspektive des Erzählers ändert sich erst wieder, als die vier Personen den Raum mit Mutter und Kind betreten. Von dort an bleibt die Perspektive des Erzählers bis zum Ende der Erzählung bestehen. Nachdem die drei Soldaten ihre Geschenke abgegeben haben, beugen sie sich über das Kind (Vgl.S.187), das daraufhin schreit. Mit dem Verlassen des Raumes durch die Soldaten setzt die Endphase der Erzählung ein, in der ein Gespräch zwischen Mutter und Vater entsteht. Dabei lenkt die Mutter das Gespräch auf das Kind ("Aber das Kind hat geschrien", S.187).
Die Erzählung endet wieder mit dem hellen Gesicht des Säuglings. Das Ende ist völlig gegensätzlich zum Anfang der Erzählung. Zu Beginn der Erzählung herrscht Dunkelheit und Zerstörung sowie Einsamkeit. Am Ende ist die Umgebung durch das Licht des Ofens und des Gesichtes des Kindes aufgehellt.
2. Historischer Stoffbezug:
Der Handlungsverlauf der Erzählung "Die drei dunklen Könige" besitzt klare Bezüge zu der Geschichte "Die Huldigung der Sterndeuter" aus dem Neuen Testament im Evangelium nach Matthäus. Den meisten ist diese Geschichte aus dem Matthäus-Evangelium unter dem Namen "Die Heiligen Drei Könige" bekannt. Parallelen mit der Erzählung Borcherts finden sich schon in der Titelgebung. Nur ist bei Borchert von "drei dunklen Königen" die Rede.
Übereinstimmend verhalten sich die Sterndeuter der Bibel zu den drei dunklen Soldaten darin, daßsie von einem Licht angezogen werden. In der Bibel ist dieses Licht der Stern, dem die Heiligen Drei Könige folgen, bis er über der Stadt Betlehem stehenbleibt. Der Stern ist für sie ein göttliches Zeichen, der ihnen den Weg zu dem Jesuskind weist. Ebenso stimmen Bibelgeschichte und Borcherts Geschichte darin überein, daßdie drei Könige eine Familie mit einem Neugeborenen mit Gaben beschenken. Das Jesuskind als heiliger Hoffnungsträger einer neuen Zeit hat Ähnlichkeit mit dem Neugeborenen der Borchert-Erzählung. Auch hier ist das Kind das Helle im Dunkeln. Das Neugeborene ist ein Hoffnungsträger, vor dem die Soldaten Ehrfurcht haben, denn sie verlassen die Familie nur aufgrund eines kräftigen Schreies des Kindes ("...und schrie so kräftig, daßdie drei Dunklen die Füße aufhoben und zur Tür schlichen.", S.187). Zudem nennt die Mutter der Erzählung den Heiligenschein als Symbol des Besonderen des Kindes.
Ferner ist die Personenanzahl der Erzählung deckungsgleich mit der des Matthäus- Evangeliums. Neben den drei "Königen" existieren die Mutter, der Vater und das Kind.
Die zeitliche Komponente ist ebenfalls gleich, denn in der Erzählung weist die Mutter am Rande darauf hin, daß"Weihnachten"(S.187) ist. Die Bibelgeschichte scheint in die Nachkriegszeit transformiert worden zu sein. Die Erzählung von Borchert hat das Handlungsgerüst aus dem Evangelium übernommen und mit verschiedenen fiktiven Abwandlungen der damals aktuellen Nachkriegszeit angepaßt. Insgesamt wird dadurch die Erzählung säkularisiert. Die Familienmitglieder werden in der Erzählung bei Borchert nicht beim Namen genannt, sondern es wird nur von dem "Mann", der "Frau", dem "Kind" oder dem "Zitternden" gesprochen. Individualausdrücke wie "der Zitternde"(S.187) oder "der Eselschnitzer"(S.186) werden nur auf die Gruppe der drei Soldaten angewandt. Durch die Anonymität der Familienmitglieder verliert die Erzählung ihren religiösen Ursprung, denn es handelt sich nun nicht mehr um eine von Gott bestimmte Familie, die den zukünftigen Erlöser unter sich hat. Die beschriebene Familie in der Erzählung bei Borchert könnte jede Familie der frühen Nachkriegszeit sein. Somit steht die Familie der Erzählung für eine unbestimmte Anzahl von Familien mit Neugeborenen der Nachkriegszeit, die mit ähnlichen Alltagssorgen wie die sie in der Erzählung beschrieben sind, zu kämpfen haben.
Eine weitere Säkularisierung der Borchert-Erzählung ist darin zu erkennen, daßtrotz vieler Überschneidungen mit dem Matthäus-Evangelium in der Erzählung bei Borchert nichts Transzendentes geschieht. Der Familie aus der Erzählung erscheint kein Engel und deutet auf die zukünftige Rolle des Kindes hin. Die Familie ist eine Familie des Alltags, wie es sie hätte wirklich geben können. Die Begriffe wie "Heiligenschein"(S.186) oder "sonderbare Heilige"(S.187) werden nicht durch ein überirdisches Wesen Personen wie dem Kind oder den Soldaten zugeordnet, sondern werden durch die Mutter bzw. den Vater genannt. Mutter und Vater meinen selbst, etwas Heiliges bei dem Kind bzw. den drei Soldaten zu erkennen.
3. Die Personengestaltung
3.1. Die Personenrede:
Bei genauer Betrachtung der Personenrede in der Erzählung fällt besonders deren Wortkargheit auf. Oft sprechen die Personen in unvollständigen Sätzen ("Riecht beinahe wie Kuchen", S.185), ("Nicht, das Kind.", S.186). Diese Ellipsen, aber auch die vollständigen Sätze, beschränken sich meist nur auf das Notwendigste des Gesprochenen. Besonders deutlich wird das in: "Da sind noch Haferflocken, sagte der Mann. Ja, antwortete die Frau, das ist gut. Es ist kalt."(S.186). Der Mann spricht die noch vorhandenen Haferflocken an, die Frau antwortet lapidar mit "Ja, [...] das ist gut."(S.186). Die Frau setzt ihre Rede mit dem Parallelismus "Es ist kalt"(S.186) fort und fordert so den Mann indirekt auf, "noch von dem süßen weichen Holz" (S.186) etwas in den Ofen zu geben.
Es ist ferner auffällig, daßin der ganzen Erzählung der Mann die meisten inneren Monologe führt. In seinen inneren Monologen "Nun hat sie ihr Kind gekriegt und mußfrieren"(S.186) und "Heiligenschein!"(S.186) kommt das Mitleid mit seiner Frau, aber auch der damit verbundene Verdrußzum Ausdruck. Zudem folgt direkt auf die beiden Monologe die Anmerkung, daßdem Mann jemand fehlt, "dem er die Fäuste ins Gesicht schlagen"(S.186) kann. Auch am Ende der Erzählung auf Seite 187 taucht diese Anmerkung nochmals auf. Der Mißmut und die daraus folgende Wut des Familienvaters bleibt allerdings in seinem Inneren und dringt nur mit seinem Brummen ("Schöne Heilige sind das, brummte er", S. 187; "Ja, Weihnachten, brummte er", S.187) nach außen.
Mit den drei Soldaten spricht nur der Vater. Die Frau kommuniziert nicht mit ihnen. Sie ist ausschließlich mit dem Säugling beschäftigt. Dies kommt auch in ihren Reden zum Ausdruck, denn diese haben fast immer Bezug zu dem Kind ("Nicht, das Kind", S.186; "Aber das Kind hat geschrien", S.187; "Nein, ich glaube, er lacht", S.187). Somit ist der Vater der einzige, der sich verbal mit den drei Soldaten beschäftigt. Ein wirkliches Gespräch findet mit den Soldaten nicht statt. Gleich nachdem die Soldaten erscheinen, weist er darauf hin, daßsie ein Kind haben (Vgl. S.186). Später stellt der Vater den Soldaten Fragen, die deren physische und psychische Verfassung betreffen ("Was ist mit den Füßen?", S.186; "Und der andere, der dritte?", S.186). Die drei Soldaten antworten auf seine Fragen fragmentarisch und oberflächlich. Der eine Soldat verweist auf sein körperliches Leiden nur, indem er knapp
"Wasser [...] vom Hunger"(S.186) sagt. Der dritte Soldat, der zittert, spielt sein psychisches Leiden herunter, indem er sagt: "Oh, nichts [...] das sind nur die Nerven."(S.186). Dabei sagt er das wispernd (Vgl. S.186). Der Soldat ohne Hände stellt ohne eine Frage des Vaters seine fehlenden Hände dar. Dies geschieht nur mit dem Ausspruch "Erfroren"(S.186). Seinen Ausspruch unterstützt er gestisch, indem er "die Stümpfe hoch"(S.186) hält. Vielfach kommunizieren die Soldaten nur gestisch und ersparen sich so das Sprechen. Der Soldat ohne Hände bietet dem Vater beispielsweise eine Zigarette an, wobei er ihm "die Manteltasche hin[dreht]"(S.186). Die Frage, ob der Vater eine Zigarette wolle, stellt er nicht. Sie erübrigt sich durch seine Gestik. Auch als sie den Raum mit der Familie verlassen, "nickten sie nochmal, dann stiegen sie in die Nacht hinein"(S.187). Eine verbale Verabschiedung findet nicht statt. Eine Begrüßung findet zu Beginn ihres Erscheinens schließlich auch nicht statt.
Anstelle einer Begrüßung sagen sie nur: "Wir sahen das Licht [...] vom Fenster"(S.186) und unmittelbar danach folgt ihr Wille, sich "zehn Minuten hin[zu]setzen"(S.186).
Insgesamt läßt sich sagen, daßsich die Personenreden im Hinblick auf ihre Syntax analog zur gesamten Erzählung verhalten. Die gesamte Erzählung ist von einer lakonischen Ausdrucksweise geprägt. Außerdem überwiegt ein parataktischer Satzbau ("Das Holz seufzte. Dann roch es mürbe und süßringsum.", S.185; "Sie fürchtete sich", S.187).
3.2. Funktionen der Personen:
In der Erzählung hat jede einzelne Person oder die Personengruppe der drei Soldaten eine bestimmte Funktion. Dabei kann man dem Vater hauptsächlich die Rolle des Versorgers der Familie zuweisen. Zu Beginn der Erzählung ist der Vater damit beschäftigt, für die Familie das lebensnotwendige Holz zu beschaffen. Dafür geht der Vater in die Kälte ("so kalt war es", S.185) und durch die dunkle Nacht ("dunkle Vorstadt",S.185). Neben der Holzbesorgung wird seine Versorgerrolle darin deutlich, daßer sich um die Nahrung in Form der "Haferflocken"(S.186/S.187) kümmert. Außer dieser Versorgerrolle, die sich auf die materiellen Bedürfnisse der Familie bezieht, kommt ihm aber auch die Rolle des besorgten, verdrießlichen Familienvaters zu. Dies ist bereits in 1.2.1. bei der genauen Betrachtung seiner inneren Monologe und seines Brummens ("brummte er", S.187) ausgewiesen worden. Schließlich tritt der Vater parallel zu der Mutter als Verteidiger des Kindes auf. Als die drei Soldaten in das Zimmer eintreten wollen, mahnt der Vater: "Aber wir haben ein Kind"(S.186).
Die Verteidigungshaltung oder Beschützerhaltung in bezug zu dem Kind wird besonders stark von der Mutter vertreten. Außer daßsich das Gesagte der Mutter ausschließlich auf das Kind bezieht, erkennt die Mutter als Behüterin jede Gefahr, die dem Kind Schaden zufügen könnte.
Sie verweist emphatisch auf die Gefahr für den Säugling, als die Soldaten mit dem Vater Zigaretten drehen (Vgl. S.186). Auch als sich "die drei Dunklen über das Kind"(S.187) beugen, drückt sich ihre Angst um das Kind in ihrer Furcht aus ("Sie fürchtete sich", S.187).
Der Mutter kann zusätzlich zu ihrer Beschützerrolle eine Optimistenrolle zugerechnet werden.
Dieser Optimismus resultiert aus ihrem Kind. Das Kind stellt für sie einen Hoffnungsträger dar. Sie macht den Vater beispielsweise auf den "Heiligenschein"(S.186) des Kindes aufmerksam. Sie fordert den Vater geradezu auf, sich den imaginären Heiligenschein anzusehen, indem sie "Kuck, wie ein Heiligenschein, siehst du?"(S.186) sagt. Ferner deutet die Mutter auf die Stärke und Lebendigkeit des Neugeborenen hin, auf die "sie stolz"(S.187) ist. Auch als das Kind schreit und der Vater fragt, ob es "weint"(S.187), glaubt die Mutter im Schreien ihres Kindes ein Lachen zu erkennen ("Nein, ich glaube, er lacht", S.187). Somit basiert ihr Positivismus auf dem Säugling, der für sie eine Hoffnung für die Zukunft in sich birgt, inmitten einer verfallenen und zerstörten Umgebung.
Man kann die Hoffnung, die von dem Kind ausgeht, auch in seiner Darstellung festmachen.
Obwohl die äußere Umgebung dunkel erscheint, ist das Kind immer hell dargestellt. Als das aufglimmende Holz "eine Handvoll warmes Licht durch das Zimmer"(S.185) wirft, wird vom Erzähler sofort "auf ein winziges rundes Gesicht"(S.185) verwiesen. Als dann etwas später "wieder eine Handvoll Licht über das schlafende Gesicht"(S.186) fällt, entsteht durch die Mutter der Vergleich des hellen Gesichtes mit einem Heiligenschein. Schließlich endet die Erzählung wieder mit dem Hinweis auf "eine Handvoll Licht", die "hell auf das kleine schlafende Gesicht"(S.187) fällt. Durch die helle Darstellung wird das Kind von dem düsteren Umfeld abgegrenzt. Das Neugeborene ist als einzige Person hell und intakt dargestellt. Die anderen Personen sind von der Vergangenheit und aus der daraus resultierenden Gegenwart gezeichnet.
Auch für die drei Soldaten, vermutlich Kriegsheimkehrer, fungiert das Neugeborene als Hoffnungsträger für die Zukunft. Die Soldaten, die von dem Licht angezogen werden ("Wir sahen das Licht", S.186), sind der Umgebung entsprechend dekadent dargestellt. Sie erscheinen "in alten Uniformen"(S.186) und jeder mit einem eigenen Leiden. Dem einen fehlen die Hände, ein anderer hat Wasser in den Füßen und der letzte zittert, weil er "eben zuviel Angst gehabt"(S.186) hat. Der Besitz der Soldaten beläuft sich auf die alten Uniformen, einen Sack, eine Manteltasche mit Tabak, einen Pappkarton und ihre Leiden. Von dieser mageren Habe beschenken sie die Familie. Diese Geschenke mögen bescheiden wirken, jedoch sind sie in bezug zu ihrem Gesamtbesitz enorm viel. Beim Beschenken bekommt genau jedes Familienmitglied ein Geschenk. Der Vater erhält Tabak für eine Zigarette von dem Soldaten ohne Hände. Der Soldat mit den umwickelten Füßen beschenkt das Kind mit einem Esel aus Holz, den der Soldat in "sieben Monate[n]"(S.186) geschnitzt hat. Darin ist auch ein Hinweis auf eine mögliche Kriegsgefangenschaft des Soldaten zu sehen. "Der Zitternde"(S.187) beschenkt die Mutter des Kindes mit "zwei gelben Bonbons"(S.187) , wobei der deutlich darauf hinweist, daßdie Bonbons für die Frau bestimmt sind. Somit fungieren die Soldaten als Beschenker der Familie. Man könnte die Geschenke als Gegenwert für die "zehn Minuten"(S.186) zum Ausruhen verstehen, jedoch entspricht dem nicht die besondere Rücksicht, die die Soldaten auf die Familie und besonders auf das Kind nehmen ("Wir sind ganz leise, flüsterten sie und hoben die Füße hoch.", S.186). Die Gaben der Soldaten sind eher als Lohn für Erhaltung der Hoffnung, die sich im Neugeborenen widerspiegelt, zu verstehen. Sie beschenken den Vater, den Versorger des Kindes. Sie beschenken die Mutter, die Leiden mußte, als sie das Kind geboren hat. Schließlich beschenken sie das Kind selbst mit einem Spielzeug. Bevor die Soldaten die Familie verlassen, beugen sie sich über das Kind (Vgl. S.187), um es zu betrachten. Die Soldaten wollen nah an das helle Gesicht heran und sie weichen sofort zurück, als es "so kräftig"(S.187) schreit. Nach dem Schreien des Neugeborenen schleichen sie zur Tür. Damit unterwerfen sie sich dem Kind. Die ganze Szene erzeugt das Bild als huldigten die Soldaten das Kind. Das helle Kind ist der direkte Gegensatz zu den Soldaten, die eine dunkle Atmosphäre verbreiten. Von dem Licht und besonders von der Helligkeit des Kindes fühlen sich die drei Soldaten angezogen und verehren es deshalb mit Hilfe von Geschenken und mit ihrer Unterwürfigkeit.
3.3. Die qualitative Bestimmung der Zukunft:
Durch die Entwicklung der Erzählung lassen sich Aussagen über eine mögliche Zukunft machen. Obwohl Dunkelheit und Zerstörung die Erzählung bestimmen, die Personen, die auftreten, mit Sorgen und Leiden beladen sind, birgt die Erzählung die Hoffnung einer besseren Zukunft in sich. Der gerade vergangene Krieg prägt immer noch das Umfeld und die Personen, körperlich wie seelisch. Doch das Neugeborene ist bereits nach diesem Krieg geboren. Im Gegensatz zu den anderen Personen ist es nur indirekt von dem Krieg betroffen.
Das Kind wird hell dargestellt und ist frei von den Problemen der anderen Personen. Es ist weder psychisch noch physisch vom Krieg gezeichnet wie die anderen Figuren der Erzählung. Die Anonymität der Personen trägt dazu bei, daßdie Familie und damit das Kind der Erzählung stellvertretend für eine ganze Generation steht. Eine Generation, die nach dem Krieg aufwächst und neu beginnen kann.
Besonders wichtig ist, daßin der Erzählung gerade Weihnachten ist ("Heute ist ja auch Weihnachten", S.187). Nach normativer Bedeutung ist Weihnachten das Fest der Liebe und im Neuen Testament der Beginn einer neuen Zeit. Dies läßt sich auf die Erzählung übertragen. Durch das Beschenken der Familie durch die drei Soldaten erkennt man einen Akt der Nächstenliebe. Auch der Umgang der Eltern, besonders der Mutter, mit dem Kind ist liebevoll. Trotz der Leiden der Soldaten und der materiellen Armut der Familie, gehen die Personen harmonisch miteinander um. Nur der Vater sucht hin und wieder jemanden, "dem er die Fäuste ins Gesicht schlagen"(S.186) kann. Die Nächstenliebe scheint das Ideal der Personen zu sein. Dies ist mit Borcherts Forderung in "Das ist unser Manifest" vereinbar, wo es heißt: "Unser Manifest ist die Liebe" und "Wir wollen in dieser wahn-witzigen Welt noch wieder, immer wieder lieben!"
Neben einer Forderung nach Nächstenliebe enthält die Erzählung auch noch eine Forderung nach Frieden. Die drei Soldaten sind Repräsentanten des gerade vergangenen Krieges. Sie haben noch ihre alten Uniformen. Als sie sich über das Kind beugen, beginnt das Kind zu schreien. Zudem "stemmte das Kind seine Beine gegen ihre Brust"(S.187). Das Neugeborene lehnt die drei Soldaten als Stellvertreter des vergangenen Krieges ab. Die Soldaten verlassen daraufhin die Familie. In dieser ablehnenden Handlung des Kindes ist eine Forderung für die Zukunft zu sehen. Die neue Nachkriegsgeneration soll den Krieg ablehnen und pazifistisch aufwachsen. Das Kind stellt diese Forderung durch vehementes Schreien auf. Die Mutter formuliert nachdem die Soldaten gegangen sind noch einmal die Stärke des Schreiens ("...ganz stark hat es geschrien.", S.187) und die Lebendigkeit des Kindes ("Kuck mal, wie lebendig es ist.", S.187). Damit wird die Forderung nach einer friedlichen Zukunft verstärkt.
Als die Soldaten dann gegangen sind, glaubt die Mutter auch eine Lachen aus dem Gesicht ihres Kindes lesen zu können ("...ich glaube, er lacht, antwortete die Frau.", S.187). Im Erkennen des Lachens ist die positive Haltung der Mutter zu sehen, was auch auf die Zukunft übertragbar ist. Das Kind ist für sie Hoffnungsträger einer neuen Zeit, die friedlich und liebevoll sein soll. Sie glaubt an das Kind und appelliert deshalb an den Vater, sich das Kind anzusehen, "wie lebendig es ist"(S.187).
Die Hoffnung auf eine positivere, bessere, friedliche und liebevolle Zukunft dieser Erzählung ist auch vereinbar mit Borcherts Zukunftshoffnungen in "Generation ohne Abschied", wo es heißt: "Vielleicht sind wir voller Ankunft zu einem neuen Lieben, zu einem neuen Lachen, zu einem neuen Gott"
Literaturverzeichnis
Primärquellen:
Wolfgang Borchert. Das Gesamtwerk. Hg. von Bernhard Meyer-Marwitz. Hamburg 1949
Sekundärliteratur:
Berhard Meyer-Marwitz in: Wolfgang Borchert. Das Gesamtwerk. Hg. von Bernhard MeyerMarwitz. Hamburg 1949
Die Bibel. Einheitsübersetzung. Hg. von der Katholischen Bibelanstalt GmbH. Stuttgart 1980
- Quote paper
- Jens Buchholz (Author), 2000, Zukunftsperspektiven in den Werken Wolfgang Borcherts (Untersucht an der Erzählung "Die drei dunklen Könige"), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94747
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