Sollten einmal deutsche Verbände aufgestellt werden, so dürften diese keine deutsche Truppe sein, sondern eine „europäische Truppe, in der Deutsche sind, [denn] eine europäische Truppe würde gleichzeitig bedeuten den Anfang eines wirklichen Europas, einer europäischen Macht.“ So Konrad Adenauer, der Präsident des Parlamentarischen Rates, Anfang Januar 1949 in einer Ansprache vor CDU-Spitzen in Königswinter. Kaum anderthalb Jahre später sollte der französische Ministerpräsident René Pleven den Plan zur Schaffung europäischer Streitkräfte vorlegen. Europäische Streitkräfte, an denen die Bundesrepublik Deutschland zu beteiligen war .
Obwohl Adenauer immer jegliche militärischen Einflüsse auf die Politik abgelehnt hatte, war er der festen Überzeugung, dass es für die Bundesrepublik absolut notwendig sei, zu einer bewaffneten Macht zu kommen. Ein außenpolitischer Aufstieg des neuen Staates konnte nur unter der Voraussetzung gelingen, dass die Westalliierten, allen voran die USA, erkannten, dass ein starkes Westdeutschland in ihrem Interesse lag. Die alliierten Sieger hatten die besiegten Deutschen die gegebenen Machtverhältnisse deutlich spüren lassen. Es war Adenauer stets vor Augen geführt worden, wie machtlos die noch junge Bundesrepublik war; von den Absichten und Entscheidungen der Westmächte vollkommen abhängig. So sah Adenauer es als dringend notwendig an, die Bundesrepublik zu stärken, denn: „ wenn man keine Kraft besitzt, kann man keine Politik machen. Ohne Kraft wird unser Wort nicht beachtet.“ Und mit Kraft meinte er wohl letztlich auch militärische Stärke.
Warum sollte man nun, da mit Frankreich der ärgste Widersacher einer Aufrüstung Westdeutschlands quasi zugestimmt hatte, die Bundesrepublik Deutschland nicht im Rahmen einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft aufrüsten und so einen außenpolitischen Aufstieg erreichen? Weiß man um das historisch bedingte schwierige Verhältnis zwischen Frankreich und der Deutschland, wird deutlich, dass der französische Ministerpräsident niemals ungezwungen und von sich aus Adenauer die Chance für die Bewaffnung der Bundesrepublik Deutschland geliefert hätte.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Aufrüstung Westdeutschlands
2.1. Überlegungen der Westalliierten
2.2. Überlegungen Adenauers
3. Das erste Angebot einer militärischen Beteiligung
3.1. Das Speidelmemorandum
3.2. Bedrohungsanalyse und notwendige Konsequenzen
3.3. Erste Ideen einer Europa-Armee
3.3.1. Churchills Idee einer Europa-Armee
3.3.2. Adenauers Vorstellungen und Bestrebungen
3.4. Die Memoranden Adenauers vom August 1950
3.5. New Yorker Außenministerkonferenz und NATO-Ratstagung
3.6. Adenauers Reaktion auf die New Yorker Konferenzen
3.7. Zwischenfazit I
4. Der Pleven-Plan
4.1. Konzept
4.2. Der Pleven-Plan aus der Sicht Adenauers
4.3. Zwischenlösung: Spofford-Kompromiss
4.4. Petersberg oder Paris?- Die Brüsseler Beschlüsse
4.5. Petersberg-Gespräche
5. Die Pleven-Plan-Verhandlungen
5.1. Adenauers Ausgangslage
5.2. Verhandlungen bis Juni 1951
5.3. Ausweg aus festgefahrenen Verhandlungen: EVG
5.3.1. Amerikanisches und britisches Einlenken
5.3.2. Umdenken bei Adenauer
5.4. Verhandlungen bis zum Zwischenbericht
5.5. Zwischenbericht
5.6. Adenauer schwenkt auf EVG-Kurs
5.7. Sicherheitsvertrag und Zwischenlösung
5.8. Überlegungen über den politischen Rahmen der EVG
5.9. Zwischenfazit II
6. Das Drängen Adenauers auf Gleichberechtigung
6.1. Junktim zwischen EVG- und Generalvertrag
6.2. Schwierige Verhandlungspunkte
6.2.1. Verknüpfung von EVG und NATO
6.2.2. Rüstungskontrolle
6.2.3. Problem der Finanzierung
7. Störfeuer
7.1. Saarfrage als Hemmfaktor
7.2. Stalin-Note
8. Die Unterzeichnung der Verträge
8.1. Schwierigkeiten kurz vor der Unterzeichnung
8.2. EVG-Vertrag samt Zusatzverträgen
9. Ratifizierung in der Bundesrepublik
9.1. Innenpolitische Wertung
9.2. Ratifizierungsvorhaben
9.3. Verlauf der Ratifizierung
9.3.1. Klage vor dem Bundesverfassungsgericht
9.3.2. Gutachten für den Bundespräsidenten
9.3.3. Zweite Lesung und Feststellungsklage
9.3.4. Dritte Lesung der Verträge und Ratifizierung
10. Die Europäische Politische Gemeinschaft
11. Der Todeskampf der EVG
11.1. Warten auf die Ratifizierung durch Frankreich
11.2. Berliner Außenministerkonferenz
11.3. Regierungswechsel in Frankreich
11.4. Brüsseler Außenministerkonferenz
12. Das Scheitern der EVG
13. Schlussbetrachtung
Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Sollten einmal deutsche Verbände aufgestellt werden, so dürften diese keine deutsche Truppe sein, sondern eine „europäische Truppe, in der Deutsche sind, [denn] eine europäische Truppe würde gleichzeitig bedeuten den Anfang eines wirklichen Europas, einer europäischen Macht.“[1] So Konrad Adenauer, der Präsident des Parlamentarischen Rates, Anfang Januar 1949 in einer Ansprache vor CDU-Spitzen in Königswinter. Kaum anderthalb Jahre später sollte der französische Ministerpräsident René Pleven den Plan zur Schaffung europäischer Streitkräfte vorlegen. Europäische Streitkräfte, an denen die Bundesrepublik Deutschland zu beteiligen war .
Obwohl Adenauer immer jegliche militärischen Einflüsse auf die Politik abgelehnt hatte, war er der festen Überzeugung, dass es für die Bundesrepublik absolut notwendig sei, zu einer bewaffneten Macht zu kommen. Ein außenpolitischer Aufstieg des neuen Staates konnte nur unter der Voraussetzung gelingen, dass die Westalliierten, allen voran die USA, erkannten, dass ein starkes Westdeutschland in ihrem Interesse lag. Die alliierten Sieger hatten die besiegten Deutschen die gegebenen Machtverhältnisse deutlich spüren lassen. Es war Adenauer stets vor Augen geführt worden, wie machtlos die noch junge Bundesrepublik war; von den Absichten und Entscheidungen der Westmächte vollkommen abhängig. So sah Adenauer es als dringend notwendig an, die Bundesrepublik zu stärken, denn: „ wenn man keine Kraft besitzt, kann man keine Politik machen. Ohne Kraft wird unser Wort nicht beachtet.“[2] Und mit Kraft meinte er wohl letztlich auch militärische Stärke.
Warum sollte man nun, da mit Frankreich der ärgste Widersacher einer Aufrüstung Westdeutschlands quasi zugestimmt hatte, die Bundesrepublik Deutschland nicht im Rahmen einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft aufrüsten und so einen außenpolitischen Aufstieg erreichen? Weiß man um das historisch bedingte schwierige Verhältnis zwischen Frankreich und der Deutschland, wird deutlich, dass der französische Ministerpräsident niemals ungezwungen und von sich aus Adenauer die Chance für die Bewaffnung der Bundesrepublik Deutschland geliefert hätte.
Welche Situation war eingetreten, die Adenauer die Möglichkeit eröffnete, die Bundesrepublik aufzurüsten? Um diese Frage zu beantworten, muss man die weltpolitische Lage vor dem Hintergrund des Kalten Krieges beleuchten und hierbei das Augenmerk darauf richten, welche Positionen die Westmächte, von denen die bundesdeutsche Außenpolitik maßgeblich bestimmt wurde, in der Wiederbewaffnungsfrage vertraten. Der erste Teil der vorliegenden Arbeit wird sich mit diesem Aspekt befassen, der zwar noch nicht konkret mit der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft[3] zu tun hat, aber die Grundlage für die Geschehnisse der darauf folgenden Jahre darstellt.
Im Weiteren wird geprüft, was Adenauer unternahm und welcher Mittel er sich bediente, um die Westalliierten dahin zu bewegen, die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik in Betracht zu ziehen.
Der weitere Teil der Arbeit wendet sich folgenden für die Themenstellung bedeutsamen Fragen zu:
- Wie entwickelte sich die aus dem Pleven-Plan entstehende Europäische Verteidigungsgemeinschaft?
- Welche Position vertrat Adenauer zu dieser Idee? Boten sich ihm Alternativen? Wenn ja, welche?
Ebenso soll analysiert werden, ob und wie Adenauer es schaffte, die Interessen der Bundesrepublik während den Verhandlungen über die EVG durchzusetzen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage welche weiteren Ziele der Bundeskanzler mit der Wiederbewaffnung innerhalb der EVG verfolgte. Konnte es ihm gelingen, die EVG als Sprungbrett zur Souveränität der Bundesrepublik zu nutzen?
Von nicht unerheblicher Bedeutung ist der Stellenwert der bundesrepublikanischen Truppen innerhalb der integrierten Streitmacht. In diesem Zusammenhang spielt die Diskussion über die Integrationsebene der deutschen Truppen eine wichtige Rolle.
Die Teilnahme der Bundesrepublik an der NATO hatte Adenauer immer als eines seiner Ziele dargestellt. Konnte er mithilfe der EVG eine solche Teilnahme erwirken? Ein Teil der Arbeit wird sich mit dem Verhältnis von EVG und NATO beschäftigen müssen, um der Beantwortung dieser Frage ein Stück näher zu kommen.
Da Adenauer ein entschlossener Befürworter der deutsch-französischen Aussöhnung war, und die Herstellung eines guten Verhältnisses zwischen Frankreich und der Bundesrepublik als die grundlegende Voraussetzung für eine bessere Zukunft Europas ansah, ist es notwendig, das Verhältnis dieser beiden Länder und deren Bezug zur EVG darzustellen. In diesem Kontext muss die Frage gestellt werden, was Adenauer sich von der EVG in Bezug auf die deutsch-französische Aussöhnung, oder noch weiter gegriffen, auf die europäische Einigung versprach. Ging es ihm in erster Linie um die europäische Einigung oder hatte er einfach nur die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland im Sinn?
Näher zu betrachten ist auch die Haltung der parlamentarischen Opposition der Bundesrepublik, insbesondere der SPD: Konnte sie eine Ratifizierung der EVG gefährden? Hierzu wird der Ablauf der Ratifizierung der EVG-Verträge in der Bundesrepublik dargelegt. Es soll gezeigt werden, mit welchen Problemen Adenauer zu kämpfen hatte, das Konzept der EVG durchzusetzen. So machte z.B. das Grundgesetz keinerlei Aussagen zu Streitkräften. War es also notwendig die Verfassung zu ändern?
Ein anderer Themenbereich widmet sich der Frage nach der politischen Autorität der Europa-Armee und Adenauers Position hierzu.
Der letzte Teil der Arbeit befasst sich mit dem Prozess des Scheiterns der EVG und Adenauers Reaktion hierauf.
Bei der Erstellung dieser Arbeit ist es wichtig, die Gesamtzusammenhänge nicht aus den Augen zu lassen. So wird die Arbeit auch Passagen enthalten, die nicht unmittelbar mit Adenauer zu tun haben, aber helfen, den sehr komplexen, in viele Bereiche der Außen-, Sicherheits- und Europapolitik hineinragenden ersten Versuch der militärischen Integration der Bundesrepublik Deutschland zu ergründen und darzustellen.
2. Die Aufrüstung Westdeutschlands
2.1. Überlegungen der Westalliierten
Der Ausbruch des Kalten Krieges, die längst als unabänderlich angesehene Teilung Europas und das inzwischen weitgehend ausgeformte bipolare Beziehungssystem der Nachkriegszeit hatte führende westeuropäische Militärs dazu veranlasst, in geheimen Studien davon auszugehen, dass es im Sinne der ‚containment policy’ sei, einen aktiven Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik Deutschland in Betracht zu ziehen. Unter diesen Umständen formulierte der britische Außenminister Ernest Bevin Überlegungen zu einem atlantisch-europäischen Verteidigungssystem, welches ohne eine deutsche Beteiligung unvollständig sein würde.[4] Diese Worte können unmittelbar nach dem Ende des zweiten Weltkrieges als mutige Perspektive bezeichnet werden, war doch die Angst vor dem deutschen Militarismus noch deutlich zu spüren und lagen die Bestrebungen eher darin, die Bundesrepublik auf längere Zeit zu entwaffnen. Die mit der bipolaren Entwicklung der Weltpolitik entstandene Diskussion deutete aber zunehmend auf die militärische Einbeziehung Westdeutschlands in eine europäisch-atlantische Allianz hin. Dies sollte nicht zuletzt in Anbetracht der Tatsache geschehen, wonach Westdeutschland die Nahtstelle der beiden Blöcke geworden war und von den Amerikanern als ein zu entwickelndes Bollwerk gegen die Ausweitung des sowjetischen Machtbereichs angesehen wurde.[5]
Das Übergewicht der sowjetischen Militärmacht war für Europa bedrohlich geworden. Es wurde vor allem bei den Landstreitkräften deutlich. Die US-Streitkräfte waren zu dieser Zeit nur wenig in Europa vertreten, Großbritannien und Frankreich durch ihre asiatischen Kleinkriege abgelenkt. In Mitteleuropa war infolge dessen ein Kräfteverhältnis von 1:3 bezüglich der Landstreitkräfte zugunsten der UdSSR entstanden. Auch bei der taktischen Luftwaffe gab es eine westliche Unterlegenheit in einem Kräfteverhältnis von 1:5. Lediglich bei den aktiven Kriegsmarinen lag ein großes Übergewicht auf Seiten der Westmächte vor. Das Übergewicht des konventionellen sowjetischen Militärpotentials schien aufgrund der Überlegenheit der USA im Bereich der Atomwaffen und deren Trägersysteme nicht sehr zu Buche zu schlagen. Diese voreilige Annahme aber trügt, denn das Anwachsen des sowjetischen Potentials im atomaren Bereich schien sich auf lange Sicht hin dem der USA anzugleichen. Bei einer solchen Pattsituation würde das konventionelle Übergewicht der UdSSR deren militärische Überlegenheit in Westeuropa bedeuten.[6] Die sowjetische Überlegenheit kann als das Hauptargument für die Wiederbewaffnung Westdeutschlands angesehen werden. Man war sich einig, dass diese Überlegenheit nur mit zusätzlichen westdeutschen Truppen ausgeglichen werden konnte.[7]
Hinzu kamen noch politische und wirtschaftliche Argumente. Bei den politischen Argumenten stand die gewünschte dauerhafte Bindung Westdeutschlands an den Westen im Vordergrund. Wirtschaftlich spielten vor allem die Einsparung eigener westalliierter Finanzen und Leistungen sowie die Belastung des potentiellen Handelskonkurrenten eine Rolle.[8]
Der westdeutsche Verteidigungsbeitrag wurde aber nicht nur befürwortend erörtert. Die Gegengründe waren überwiegend politischer Natur. Die Angst vor einer erneut von Deutschland ausgehenden Gefahr für den Frieden machte einen künftigen militärischen Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Verteidigung Westeuropas ohnehin nur unter schärfster Überwachung denkbar. So liefen alle Vorschläge zur Aufrüstung Westdeutschlands auf eine fest in die Allianz eingebundene integrierte Beteiligung hinaus. Sämtliche Überlegungen waren schließlich durch die Voraussetzung gekennzeichnet, Vorkehrungen gegen den Missbrauch der militärischen Einbeziehung zu schaffen. Als gesetzt galt die Ablehnung einer nationalen deutschen Wehrmacht und einer eigenen deutschen Rüstungsproduktion.[9]
Erst der Angriff Nordkoreas auf Südkorea am 25. Juni 1950 sollte zu einer endgültigen politischen Wende führen. Die völlig überraschend auftretende nordkoreanische Aggression löste im Westen eine Diskussion über Art, Umfang, geografische Ausdehnung und Zeitpunkt der östlichen Bedrohung aus.[10] Herrschte doch weitgehend die Annahme, dass Nordkorea als eine Marionette der UdSSR fungiere und der Konflikt in Asien die Einleitung eines weltweit geplanten militärischen Vorgehens des Sowjetblocks gegen die Westmächte darstelle; ein militärisches Vorgehen mit der vermeintlichen hintergründigen Absicht der UdSSR, die amerikanischen Streitkräfte aus Europa auf einen Nebenkriegsschauplatz zu locken. Fruchtete dieses Ablenkungsmanöver, dann wäre die wichtigste Front im westlichen Verteidigungssystem entblößt gewesen. In Washington, London und Paris wurde der Einmarsch der nordkoreanischen Truppen in Südkorea als Bestätigung des Aggressionswillens der UdSSR angesehen.[11]
In den USA und Großbritannien schien man in diesem Zusammenhang gewillt zu sein, einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag in seiner ganzen Konsequenz zu akzeptieren. So sagte der britische Premierminister Clement R. Attlee: „It is in this context ( der sowjetischen und ostdeutschen Rüstung) that the question of the re-armament of Western Germany has to be considered. If we can get real and genuine settlement with Soviet Russia the matter of German re-armament would become less important and fall into its natural place. But if we cannot get this agreement we have to consider the defence oft the West, and that includes the defence of Western Germany.”[12]
In den USA schätzte man die UdSSR, wie es aus der Studie des Nationalen Sicherheitsrats der USA NSC 68 hervorgeht, als aggressiv ein.[13] Nach dem Ausbruch des Korea-Krieges wurde von Mitgliedern des Pentagon sofort die Frage nach der Wiederbewaffnung Westdeutschlands aufgeworfen.[14] Für US-Präsident Truman war es eindeutig, dass man der Sowjetunion unmissverständlich klar machen müsse, dass die USA nicht bereit sei, den Fall Korea zu einem neuen ‚München’ werden zu lassen. Man durfte den Aggressor nicht wieder durch ein ‚Appeasement’ auf einem scheinbaren Nebenschauplatz zu weiteren militärischen Aktivitäten in anderen Regionen ermutigen.[15] US-Außenminister Dean Acheson sah in der Bundesrepublik Deutschland trotz alliierter Rechte und der Anwesenheit alliierter Truppen, einen schwachen Punkt der westlichen Welt, der um jeden Fall in eine ‚Situation of strength’ umgewandelt werden musste.[16] Bringt man diese Aussagen auf einen Nenner, dann wird deutlich, dass es nicht lange dauern sollte, bis sich die USA für die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland entscheiden würde.
Die französische Regierung sträubte sich am heftigsten gegen die westdeutsche Wiederbewaffnung. Zwar gingen die meisten militärischen Führer Frankreichs seit 1948 davon aus, dass die Wiederbewaffnung Westdeutschlands für die Verteidigung Westeuropas unvermeidlich sei und eine unverzichtbare Verstärkung des westeuropäischen Militärpotentials darstellen würde. Die Regierung aber warnte, dass durch diesen Schritt eine gefährliche Situation gegenüber der UdSSR entstehen könnte und Stimmen laut werden könnten, die den Rückzug der anglo-amerikanischen Truppen vom europäischen Kontinent forderten. Letztendlich gefährde man den Aufbau Europas, weil durch einen solchen Schritt die Opposition in Frankreich gegen die Schaffung Europas und gegen die deutsch-französischen Zusammenarbeit gestärkt werde.[17] Aufgrund des Korea-Krieges und der Probleme Frankreichs, die militärischen Verpflichtungen in Europa aufrechtzuerhalten, zeigte man sich im Sommer 1950 kompromissbereit. Verteidigungsminister René Pleven vertrat die Auffassung, der Wiederaufbau deutscher Streitkräfte sei verfrüht, er könne erst dann durchgeführt werden, wenn die Aufrüstung Frankreichs im Rahmen der NATO ein gewisses Niveau erreicht habe. Andererseits war man gerne bereit, Westdeutschland an den Kosten der Verteidigung Westeuropas zu beteiligen.[18] Die Angst Frankreichs vor einem starken Westdeutschland sollte die gesamte spätere Diskussion um die westdeutsche Wiederbewaffnung im Bündnis mitbestimmen.
2.2. Überlegungen Adenauers
In Westdeutschland verfolgte Konrad Adenauer die Überlegungen der Alliierten aufmerksam. Adenauer suchte Sicherheit im Bündnis, er wollte Westdeutschland im westlichen Lager verankert sehen. Schon vor seiner Kanzlerschaft lehnte er eine nationale deutsche Wehrmacht ab und sprach sich für ein deutsches Kontingent in einer internationalen bzw. supranationalen Armee aus. Nach der Konstituierung der Bundesrepublik Deutschland im September 1949 löste Adenauer durch die mehrmalige persönliche Befürwortung, vor allem durch das Interview mit dem ‚Cleveland Plain Dealer’ vom Dezember 1949, Diskussionen um die mögliche Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland aus. Die Westmächte antworteten auf diese Offensive Adenauers mit ablehnenden Worten.[19]
Der Korea-Konflikt veranlasste Adenauer die Sicherheit der Bundesrepublik erneut und umfassend zu prüfen. Er zog Parallelen zwischen dem Schicksal Koreas und dem geteilten Deutschland. Adenauer sah die Gefahr in den in der DDR stationierten sowjetischen Truppen und der militärisch ausgebildeten Volkspolizei. Westdeutschland hingegen war seiner Ansicht nach durch die westlichen Besatzungsmächte nur unzureichend geschützt, da diese im Verhältnis zu den Besatzungsmächten in Ostdeutschland nur gering vertreten waren. Die Bundesrepublik Deutschland aber war militärisch auf die westlichen Besatzungsmächte angewiesen.[20]
Auf Grund dessen war es laut Adenauer unbedingt notwendig, von den westlichen Besatzungsmächten eine Erklärung einzufordern, die die Bereitschaft und den Willen bekunde, die Bundesrepublik Deutschland im Kriegsfalle zu unterstützen.[21] In einer Denkschrift, die er schon zwei Tage nach Ausbruch des Korea-Krieges den Hochkommissaren zukommen ließ, wies er auf das erhöhte Sicherheitsbedürfnis der Bundesrepublik hin und wiederholte seine Bitte vom April 1950, eine Bundespolizei aufbauen zu dürfen. Des Weiteren forderte Adenauer die Westmächte auf, einen Angriff auf die Bundesrepublik Deutschland wie einen Angriff auf die Territorien Frankreichs, Großbritanniens und der USA zu werten.[22] Ein Hinweis seitens der Westmächte, der Schutz des Atlantikpaktes gelte automatisch für die Dauer des Besatzungsstatuts auch für die Bundesrepublik, reichte Adenauer nicht aus. Er wollte ein sichtbares Zeichen seitens der Westmächte für ihre Verteidigungsbereitschaft erhalten. Dieses Zeichen konnte es nach Adenauers Vorstellungen nur in Form einer Sicherheitsgarantie geben.[23] Also brachte er diese Forderung bei einer Unterredung mit dem US-amerikanischen Hohen Kommissar Mc Cloy am 29. Juni 1950 zur Sprache. Adenauer hatte aber keinen Erfolg. Mc Cloy antwortete im Sinne der Adenauer bekannten Argumentation: „solange auch nur ein einziger amerikanischer Soldat in Berlin stehe, habe Deutschland Sicherheit genug.“ Zudem erkannte die amerikanische Hochkommission keine Vorbereitungen für einen sowjetischen Aufmarsch. Mit solchen Stellungnahmen konnte und wollte sich Adenauer nicht zufrieden geben.[24]
Der Korea-Konflikt stellte zum einen eine Bedrohung dar, zum anderen nutze Adenauer ihn, um der Frage der Wiederbewaffnung der BRD Nachdruck zu verleihen. Der Konflikt verlieh, zu Adenauers Gunsten, der Wiederbewaffnungsfrage die bisher mangelnde Legitimation, und zwar jetzt durch die aktuelle Situation und nicht nur aufgrund rein theoretischer Argumentation. Adenauer konnte Bedrohung und Chance in dieser Sache zu einer einheitlichen und konstruktiven Politik zusammenführen. Diese Fähigkeit macht seine besondere politische Leistung in dieser Situation aus. Adenauers Chance lag in der Reaktion des Westens auf den Ausbruch des Korea-Konflikts, die sich in der ideologischen und militärischen Zwangssituation der Westmächte widerspiegelte. Sie manifestierte sich schon einen Tag nach Ausbruch des Konflikts. General Hays verlangte von der Bundesregierung, angesichts der Ereignisse in Korea, sofort mit Planungen und vorbereitenden Maßnahmen bezüglich der Aufstellung einer deutschen Verteidigungsgruppe zu beginnen.[25]
3. Das erste Angebot einer militärischen Beteiligung
3.1. Das Speidelmemorandum
Aufgrund der Zurückhaltung der Hohen Kommission fasste Adenauer den Entschluss, nicht weiter abzuwarten, ob die Westmächte bereit seien, die Besatzungs- und Entwaffnungspolitik der Bundesrepublik neu zu überdenken. Er ergriff abermals seinerseits die Initiative, auf die fälligen Entscheidungen einzuwirken. Er wollte den Westmächten eine Westdeutsche Beteiligung an den militärischen Anstrengungen anbieten.[26]
Um zu klären, in welchem Umfang eine solche Unterstützung möglich sei, wurden die Generalleutnante a.D. Dr. Hans Speidel und Adolf Heusinger und der General der Infanterie a.D. Hermann Foertsch um die Ausarbeitung einer Denkschrift zur Frage der äußeren Sicherheit der Bundesrepublik gebeten. In dieser Denkschrift, die am 7. 8. 1950 dem Bundeskanzler vorlag, wurde einerseits Bezug auf die Sicherheitslage der Bundesrepublik genommen, andererseits ging man direkt auf die Struktur einer deutschen Armee und die Voraussetzungen für einen deutschen Verteidigungsbeitrag ein. Festgestellt wurde, dass die Lage Westdeutschlands so kritisch wie noch nie sei. Die Bundesrepublik habe sich für den Westen entschieden. Eine Gegenentscheidung der Westmächte, die Bundesrepublik fest dem Westen anzugliedern, läge aber nicht vor. Die Besatzungstruppen seien zu schwach, um der Bundesrepublik den nötigen Schutz gewährleisten zu können. Als Vorrausetzungen für einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag nannten die Autoren Gleichberechtigung und Sicherheit. Als erster Schritt sollte die westliche Bereitschaft zur Aufgabe des Besatzungsstatuts vorliegen, denn eine völlige Gleichberechtigung auf militärischer Ebene wurde von Beginn an für notwendig erachtet. Diese Gleichberechtigung sollte darin liegen, dass die neue deutsche ‚Wehrmacht’ als Kontingent in eine europäisch-atlantische Armee eingegliedert werden, aber aus national homogenen Korps bestehen sollte.[27]
Die Autoren lehnten Vorbereitungen auf einen Partisanenkampf und alle Lösungen, die eine Verwendung deutscher Soldaten als Fremdenlegionäre entsprächen, ab. Da die atomare Überlegenheit der USA möglicherweise ihre abschreckende Wirkung schon 1952 verlieren würde, rieten die Sachverständigen um Speidel zu einer baldigen Aufstellung westdeutscher Streitkräfte. Eine polizeiliche Lösung als verdeckte Aufrüstungsmaßnahme war für sie zwar vorstellbar, sie bevorzugten aber eindeutlich die militärische Variante. Diese schien ihnen die deutschen Forderungen nach Gleichberechtigung leichter durchsetzen zu lassen.[28]
3.2. Bedrohungsanalyse und notwendige Konsequenzen
Die Ausführungen des Memorandums und weitere Informationen über Potential und Absichten der UdSSR ermöglichten Adenauer eine fundierte Lagebeurteilung. Für ihn war es eindeutig abzusehen, dass bei einem Angriff der UdSSR aufgrund der Überlegenheit der sowjetischen Landstreitkräfte die Bundesrepublik und letztendlich auch Europa nicht gehalten werden könne. Mit einem Angriff der UdSSR rechnete er aber erst ab 1952, da sie dann ihr atomares Potential genügend erhöht habe, und aufgrund ihrer konventionellen militärischen Überlegenheit insgesamt ein militärisches Übergewicht über den Westen erreicht haben könnte.[29]
Auch mit einem Vorgehen der Volkspolizei der DDR rechnete Adenauer nicht vor 1952, da diese nur in Abstimmung mit den sowjetischen Angriffsplänen marschieren würde. Käme es zu einem Einsatz der Volkspolizei, dann würde diese erst alleine vorrücken, um Westdeutschland einzunehmen. Von einem Einsatz der Roten Armee würde Moskau Abstand nehmen, um einen großen Krieg zu vermeiden und die Bundesrepublik Deutschland möglichst unversehrt einzunehmen. Lediglich bei einem Fehlschlag der Volkspolizei würden die sowjetischen Truppen eingesetzt.[30]
Diese Bedrohungsanalyse veranlasste Adenauer erneut die Initiative gegenüber den Besatzungsmächten zu übernehmen. Seine Ziele waren die Verstärkung der westalliierten Truppen in der Bundesrepublik und ein Verteidigungsbeitrag zur Verteidigung Westeuropas, nicht jedoch die Errichtung einer nationalen Armee.[31]
3.3. Erste Ideen einer Europa-Armee
3.3.1. Churchills Idee einer Europa-Armee
Die mögliche Form eines westdeutschen Verteidigungsbeitrags hatte bereits Winston Churchill in einer Rede vor dem Straßburger Europarat am 11. August 1950 zur Sprache gebracht. Er stellte sich eine Europa-Armee vor. Churchill forderte die Abgeordneten in seiner Rede auf, sich in einer Resolution für die „sofortige Schaffung einer europäischen Armee unter einem einheitlichem Kommando“[32] zu erklären. Damit war auch die Beteiligung der Bundesrepublik gemeint. Die beratende Versammlung des Europarats stimmte mit überwältigender Mehrheit für die Schaffung einer Europa-Armee unter Einbeziehung Westdeutschlands.[33]
Für Adenauer mussten der Vorstoß Churchills und die daraus folgende Resolution eine besondere Befürwortung der westdeutschen Aufrüstung durch die Westmächte bedeuten. Die Vorstellungen Churchills lagen gänzlich in der Zielrichtung seiner bisherigen Politik. Die Tatsache, dass eine militärische Integration die Zugehörigkeit der Bundesrepublik zur westlichen Allianz demonstriert, sah Adenauer als einen unschätzbaren sicherheitspolitischen Faktor an.
Um den letzten Widerstand der Westalliierten zugunsten der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik zu brechen, initiierte Adenauer ein Interview mit dem Deutschlandkorrespondenten der New York Times. In diesem Interview vom 16. August sagte Adenauer, er hoffe, dass die Westalliierten schon auf der New Yorker Außenministerkonferenz eine Entscheidung über die Beteiligung Westdeutschlands an einer westeuropäischen Armee treffen würden.[34] Um seinen Wünschen Nachdruck zu verleihen, formulierte er wie folgt: „Unter den gegenwärtigen Umständen muß die psychologische Haltung der westdeutschen Bevölkerung durch die Vergrößerung der amerikanischen Streitkräfte gestützt werden. Die Vereinigten Staaten müssen in den nächsten drei Monaten zwei oder drei weitere Divisionen nach Europa schicken und ihre Streitkräfte ständig bis auf etwa zehn Panzerdivisionen verstärken, um so einen Schutzvorhang für Vorbereitungen von Seiten Deutschlands und anderer westlicher Nationen zu schaffen.“[35] Dem Taktiker Adenauer war bewusst, dass die USA zur Entlastung ihres sowieso schon stark strapazierten Militärbudgets mit der Idee eines deutschen Wehrbeitrags sympathisieren könnten. In dem Interview kam er auch schon auf seine Vorstellung über die Form des deutschen Verteidigungsbeitrages zu sprechen, der nicht die Form einer Armee haben, sondern ein westdeutsches Gegenstück zur Volkspolizei der DDR sein sollte.[36] Aber warum bediente sich Adenauer dieser Form der Veröffentlichung seiner Gedanken und Forderungen? Der Grund für dieses Interview lag darin, dass eine geplante Besprechung mit den Hohen Kommissaren zu diesem Thema nie an die Öffentlichkeit gelangt wäre. Adenauer aber wusste, dass sich in der US-amerikanischen Öffentlichkeit seit geraumer Zeit ein Wandel zugunsten der deutschen Wiederbewaffnung abzeichnete.[37]
Die Bedrohungsanalyse und Churchills Vorschlag einer Resolution des Europarates veranlassten Adenauer bei einer Besprechung mit den Hohen Kommissaren am 17. August 1950 das Sicherheitsproblem erneut zur Sprache zu bringen. Er legte seine Einschätzung der Lage dar.[38]
Aufgrund des militärischen Aufmarsches östlich der Elbe forderte Adenauer zunächst eine demonstrative Erhöhung der westlichen Truppen in der Bundesrepublik. Im Anschluss schlug er die Bildung einer westdeutschen Verteidigungsmacht vor. Diese Verteidigungsmacht sollte in Form von Freiwilligenformationen bis zu einer Gesamtstärke von 150 000 Mann als Gegengewicht zur Volkspolizei der DDR aufgestellt werden und bis zum Frühjahr 1951 fähig sein, einen Angriff der solchen abzuwehren.[39]
Adenauer bekräftigte vor den Hohen Kommissaren, dass er dem Plan Churchills zustimme und für die Entsendung eines deutschen Kontingents in die europäische Armee eintreten werde.[40]
3.3.2. Adenauers Vorstellungen und Bestrebungen
Den Begriff Verteidigungsmacht revidierte Adenauer schon bald und sprach, entgegen den Vorstellungen des Speidel-Memorandums, fortan von einer Schutzpolizei. So sagte Adenauer: „Ich habe niemals an die Einrichtung einer Armee gedacht, sondern ich habe immer nur - lassen sie mich einen alten Ausdruck gebrauchen – an eine Schutzpolizei gedacht, wie wir sie früher einmal gehabt haben.“[41]
Diese Revision war durchaus taktischer Natur. So hatte Adenauer angenommen, dass eine Polizeilösung der einzige Weg sei, um die nötigen Rüstungsvorbereitungen angesichts der sowjetischen Bedrohung zu treffen. Seiner Ansicht nach war die Polizeilösung als verschleierte Zwischenlösung zur Aufrüstung der einzige Weg, den die Briten mitgehen würden. Die militärisch ausgebildeten Polizeiformationen betrachtete Adenauer als eine Vorstufe für das deutsche Kontingent in einer multinationalen Armee.[42] Zwar kommt hier deutlich Adenauers Tendenz zur Polizeilösung zu Tage, andererseits aber war er bestrebt, in diesem Stadium der Entwicklung keiner ausländischen Macht und keiner innenpolitischen Kräftegruppe vor den Kopf zu stoßen. Er wollte sich alle denkbaren Wege offen halten solange er nicht genau wusste, wie die Westmächte die Frage der westdeutschen Sicherheit und Aufrüstung beurteilten.[43]
Diese Vorsichtsmaßnahme schien durchaus notwendig gewesen zu sein, wenn man sieht, wie die Vertreter der Westalliierten die Frage sahen. Der britische Hohe Kommissar Kirkpatrick begrüßte Adenauers Pläne der raschen und stillen Aufrüstung. Er teilte dem Kanzler am 25. August mit, Bevin wolle in dieser Angelegenheit Kontakt mit Acheson aufnehmen. Mc Cloy hingegen hielt den Umweg über eine Aufstellung von Polizeieinheiten zwar für gangbar aber unnötig.[44] Adenauer konnte nicht wissen, dass zur gleichen Zeit in Washington unter strengster Geheimhaltung über einen vollwertigen westdeutschen Verteidigungsbeitrag nachgedacht wurde.[45]
Die französischen Vertreter sahen in der geplanten Schutzpolizei einen Grundstock für eine nationale Armee; die Bestrebungen der Bundesregierung wurden gar als Wunsch nach einer getarnten Armee angesehen.[46]
Eine abschließende Beurteilung der Lage und eine Entscheidung für oder gegen eine deutsche Wiederbewaffnung war erst mit der bevorstehenden New Yorker Außenministerkonferenz und der NATO-Ratstagung zu erwarten.
3.4. Die Memoranden Adenauers vom August 1950
Kurz vor der New Yorker Außenministerkonferenz überbrachte Adenauer Mc Cloy zwei Memoranden, um seine Sicht der Lage darzulegen, aber auch um den Außenministern konkrete Vorschläge zur Aufrüstung der Bundesrepublik Deutschland zu machen.
In dem ‚Sicherheitsmemorandum’ wies Adenauer darauf hin, dass die Entwicklung im Fernen Osten innerhalb der Bevölkerung Unruhe und Unsicherheit ausgelöst habe. Das Vertrauen der Bevölkerung, in die Fähigkeiten der westlichen Besatzungsmächte, mögliche Angriffshandlungen gegen Westeuropa schnell und wirksam zu begegnen, sei im ‚Schwanken begriffen’. Diese Unsicherheit habe zu einer gefährlichen Lethargie der deutschen Bevölkerung geführt. Der Ernst der Lage sei in der Aufstellung der sowjetischen Truppen und der sich im Aufbau befindlichen Volkspolizei in der Sowjetzone begründet.
In der Bundesrepublik stünden diesen Truppen eine Unterzahl an US-amerikanischen und britischen Divisionen und einige französische Verbände gegenüber. Die Bundesrepublik besäße keine adäquate bewaffnete Abwehreinheit. Die in der britischen Besatzungszone auf kommunaler Ebene organisierten Polizeikräfte seien unzureichend bewaffnet und nicht einheitlich ausgerüstet und ausgebildet. Gegen einen Angriff aus der Sowjetzone seien sie nicht gerüstet. So läge die Verteidigung der Bundesrepublik ganz in den Händen der Besatzungstruppen. Adenauer sagte, er habe schon des Öfteren um die Verstärkung dieser Truppen gebeten und wiederhole dies mit diesem Memorandum ‚in dringendster Form’. Allein die Verstärkung der westalliierten Besatzungstruppen könne der Bevölkerung sichtbar den Willen der Westmächte demonstrieren, dass die Bundesrepublik im Ernstfall auch zu verteidigen.
Des Weiteren erklärte Adenauer die Bereitschaft, im Falle der Bildung einer internationalen westeuropäischen Armee einen Beitrag in Form eines deutschen Kontingents zu leisten. Hiermit wolle er zum Ausdruck bringen, dass er eine Remilitarisierung der Bundesrepublik durch die Aufstellung einer eigenen nationalen militärischen Macht ablehne. Zudem schlug er die Bildung einer Schutzpolizei vor, welche auf dem Weg eines die Verfassung ändernden Gesetzes geschaffen werden könne.[47]
Im Grunde birgt das Memorandum keine neuen Gedanken. Es wiederholt lediglich jene, die der Bundeskanzler schon seit einiger Zeit geäußert hatte, nämlich sein Angebot der Beteiligung an einer multinationalen Armee und seine Abneigung gegenüber einer nationalen Armee.
Das Memorandum ‚Zur Frage der Neuordnung der Beziehungen der Bundesrepublik zu den Besatzungsmächten’ sollte die Früchte des ersten Memorandums einbringen. Damit die deutsche Bevölkerung die Pflichten und Gefahren einer Beteiligung an der Verteidigung Westeuropas zu leisten und zu überstehen bereit wäre, müssten als Gegenleistung Freiheit und Gleichberechtigung gewährleistet sein. So hielt es Adenauer für unumgänglich, dass die Beziehungen Deutschlands zu den Besatzungsmächten auf eine neue Grundlage gestellt werden. Aufgrund dessen bat er die Außenminister auf der kommenden Konferenz in New York drei Erklärungen abzugeben. Diese sollten sein:
1. Der Kriegszustand zwischen den alliierten Mächten und Deutschland wird beendet.
2. Der Zweck der Besatzung ist in Zukunft die Sicherung gegen äußere Gefahr.
3. Die Beziehungen zwischen den Besatzungsmächten und der Bundesrepublik werden fortschreitend durch ein System vertraglicher Abmachungen geregelt.[48]
Es wird deutlich, dass sich Adenauer das Mitwirken an einer Verteidigung Westeuropas durch die baldige Ablösung des Besatzungsstatuts honorieren lassen wollte. Mit der Beseitigung der Besatzungsherrschaft sollte die Unterordnung der Deutschen beendet werden. Freiheit und Gleichberechtigung als Gegenleistung für die Beteiligung an einem europäischen Verteidigungsbündnis? Ließen sich die Westalliierten darauf ein? Zudem stellt sich die Frage, ob eine solche Forderung verfrüht gestellt wurde. Die ersten Antworten auf diese Fragen konnten schon die New Yorker Außenministerkonferenz und die dortige NATO-Ratstagung im September 1950 liefern.
[...]
[1] Zitiert nach: Schwarz, Hans-Peter, Adenauer und Europa in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jahrgang 1979, S. 471-523, hier S. 485.
[2] Zitiert nach: Baring, Arnulf, Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie. Bonns Beitrag zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, München (u.a.) 1969, S. 68.
[3] Abgekürzt: EVG
[4] Vgl. Wiggershaus, Norbert, Zum Problem einer militärischen Integration Westdeutschlands 1948-1950. in: Ders., Foerster, Roland, G., Die westliche Sicherheitsgemeinschaft 1948-1950. Gemeinsame Probleme und gegensätzliche Nationalinteressen in der Gründungsphase der Nordatlantischen Allianz (Militärgeschichte seit 1945, Band 8), Boppard am Rhein 1988, S. 311-341, hier S. 311.
[5] Vgl. ebenda, S. 312.
[6] Vgl. Mai, Gunther, Westliche Sicherheitspolitik im Kalten Krieg. Der Korea-Krieg und die deutsche Wiederbewaffnung 1950, (Militärgeschichte seit 1945, Band 4), Boppard am Rhein 1977, S. 15.
[7] Vgl. Wiggershaus, zum Problem, S. 314
[8] Vgl. ebenda.
[9] Vgl. Wiggershaus, zum Problem, S. 314.
[10] Vgl. Wiggershaus, Norbert, Die Entscheidung für einen Westdeutschen Verteidigungsbeitrag 1950 in: Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1946-1956. Band 2. Von der Kapitulation bis zum Pleven-Plan, militärisches Forschungsamt (Hrsg.), München (u.a.) 1982, S. 325-402, hier S. 339.
[11] Vgl. Wettig, Gerhard, Entmilitarisierung und Wiederbewaffnung in Deutschland 1943-1955. Internationale Auseinandersetzungen um die Rolle der Deutschen in Europa ( Schriften des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V., Band 25), München 1967, S.306.
[12] Zitiert nach: Mai, a.a.O., S. 49.
[13] Vgl. Wiggershaus, zum Problem, S. 322.
[14] Vgl. Mai, a.a.O., S. 26.
[15] Ebenda, S. 23.
[16] Vgl. ebenda, S. 20.
[17] Vgl. Guillen, Pierre, Frankreich und die Frage der Verteidigung Westeuropas. Vom Brüsseler Vertrag zum Pleven-Plan, in: Wiggershaus, Norbert, Foerster, Roland G., Die westliche Sicherheitsgemeinschaft 1948-1950. Gemeinsame Probleme und gegensätzliche Nationalinteressen in der Gründungsphase der Nordatlantischen Allianz, (Militärgeschichte seit 1945 Band 8), Boppard am Rhein 1988, S. 103-123, hier S. 121.
[18] Ebenda, S. 122.
[19] Vgl. Lappenküper, Ulrich, Die deutsch-französischen Beziehungen 1949-1963. Von der „Erbfeindschaft“ zur „ entente élémentaire“. München (u.a.) 2001, S. 501.
[20] Vgl. Wiggershaus, Entscheidung, S. 363.
[21] Vgl. Adenauer, Konrad, Erinnerungen. 1945-1953. (Band I), Stuttgart 1965, S. 347.
[22] Vgl. Wiggershaus, Entscheidung, S. 363.
[23] Adenauer, Erinnerungen. Band I, S. 347.
[24] Wiggershaus, Entscheidung, S. 362.
[25] Vgl. Mai, a.a.O., S. 112f..
[26] Vgl. Baring, a.a.O., S. 82.
[27] Vgl.Wiggershaus, Entscheidung, S. 368.
[28] Vgl. Baring, a.a.O., S. 83.
[29] Vgl. Wiggershaus, Entscheidung, S. 368.
[30] Vgl. ebenda, S. 369
[31] Vgl. ebenda, S. 370
[32] Die Rede Winston Churchills zur Frage der Schaffung einer europäischen Armee vor dem Europarat in Straßburg vom 11. August 1950 in: Europa Archiv Nr. 5, 1950, S. 3374-3376, hier S. 3376.
[33] Vgl. Wiggershaus, Entscheidung, S. 371.
[34] Vgl. Noack, Paul, EVG und Bonner Europapolitik in: Volkmann, Hans-Erich, Schwengler, Walter (Hrsg.), Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Stand und Probleme der Forschung, (Militärgeschichte seit 1945, Band 7), Boppard am Rhein 1985, S. 239-254, hier S. 246.
[35] Zitiert nach: Noack, EVG und Bonner Europapolitik, S. 246.
[36] Vgl. Wiggershaus, Entscheidung, S. 371.
[37] Vgl. Baring, a.a.O., S. 84.
[38] S.o.
[39] Vgl. Adenauer, Erinnerungen. Band I, S. 351.
[40] Vgl. ebenda, S. 355.
[41] Zitiert nach: Baring, a.a.O., S. 85.
[42] Vgl. Wiggershaus, Entscheidung, S. 371.
[43] Vgl. Baring, a.a.O., S. 85.
[44] Vgl. Wiggershaus, Entscheidung, S. 372.
[45] Vgl. Fröhlich, Stefan, Erste außen- und sicherheitspolitische Herausforderungen der jungen Bundesrepublik in: Elvert, Jürgen, Krüger, Friederike (Hrsg.), Deutschland 1949-1989 (HMRG, Beiheft 49), Stuttgart 2003, S. 78-88, hier S. 84.
[46] Vgl. Wiggershaus, Entscheidung, S. 372.
[47] Memorandum über die Sicherung des Bundesgebietes nach innen und außen vom 29.8. 1950, in: Schubert, Klaus von, Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland. Dokumentation 1945-1977. Teil 1, Köln 1978, S. 79ff..
[48] Vgl. Memorandum zur Frage der Neuordnung der Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu den Besatzungsmächten vom 29. 8. 1950, in: Schubert, Klaus von, Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland. Dokumentation 1945-1977. Teil 1, S. 84f..
- Citation du texte
- Florian Ebert (Auteur), 2007, Konrad Adenauer und die EVG, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94675
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