In dieser Seminararbeit wird der Frage nachgegangen, ob der syntaxbezogene Ansatz eine erfolgsversprechende Alternative darstellt, die zu weniger Fehlern im Bereich der Groß- und Kleinschreibung führt.
Die Beherrschung der Schriftsprache nimmt einen wichtigen Stellenwert in unserer Gesellschaft ein und ist bedeutend für eine erfolgreiche Teilhabe am schulischen sowie beruflichen Leben. Zu den fehleranfälligsten Bereichen der deutschen Orthographie zählt die Groß- und Kleinschreibung. Sie macht in Schülertexten etwa 30 Prozent der Gesamtfehler aus. Es stellt sich die Frage, warum die Groß-und Kleinschreibung derartig fehleranfällig ist.
Auf den ersten Blick scheint die Komplexität dieses Lerngegenstandes und die Unmenge von Regeln und Ausnahmen ausschlaggebend zu sein. Entgegen dieser Annahme verweist die Graphematik auf die ausgeprägte Regelmäßigkeit der satzinternen Großschreibung. Demzufolge lässt sich die satzinterne Großschreibung an syntaktischen Eigenschaften der Wortart Nomen erklären und nicht an lexikalischen. Dennoch wird die satzinterne Großschreibung den SchülerInnen der Primarstufe überwiegend traditionell gelehrt, entsprechend des Wortartbasierten Ansatzes.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Die satzinterne Großschreibung
2.1 Der Wortartbezogene Ansatz
2.1.1 Beschreibung
2.1.2 Probleme
2.2 Der syntaxbezogene Ansatz
2.2.1 Beschreibung
2.2.2 Konzept nach Röber-Siekmeyer
2.2.3 Probleme
3. Eine empirische Untersuchung des syntaxbezogenen Ansatzes
3.1 Vorstellung der Untersuchung
3.2 Ergebnisse
3.2.1 F ähigkeit der Anwendung
3.2.2 Fähigkeit der Kontrolle
4. Schlussbetrachtung
Literaturverzei chnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
Die Beherrschung der Schriftsprache nimmt einen wichtigen Stellenwert in unserer Gesellschaft ein und ist bedeutend für eine erfolgreiche Teilhabe am schulischen sowie beruflichen Leben. Zu den fehleranfälligsten Bereichen der deutschen Orthographie zählt die Groß- und Kleinschreibung (vgl. Rautenberg et al. 2016: 4). Sie macht in Schülertexten etwa 30 Prozent der Gesamtfehler aus (vgl. Röber-Siekmeyer 1999: 11). Aber nicht nur jüngere Schüler und Schülerinnen1 sind davon betroffen. Selbst Schreiberinnen höherer Klassenstufen und Studenten bereitet der „orthographisch korrekte Gebrauch der Majuskeln“ Probleme (vgl. ebd.: 14). Zu diesem Schluss kam auch Prof. Marcus Baumann, Chef der Landesrektoren der Fachhochschulen, und beklagte auf der Landesrektorenkonferenz der Universitäten die katastrophale Rechtschreibung mancher Erstsemester. Auch Bachelor- und Masterarbeiten fielen aufgrund der fehlerhaften Rechtschreibung negativ auf (vgl. WAZ: 2016). Schulabgänger, deren Rechtschreibkenntnisse verbesserungswürdig erscheinen, laufen Gefahr, auf berufliche Schwierigkeiten zu stoßen, da die Beherrschung der Orthographie als ein Zeichen der Intelligenz gilt (vgl. Dürscheid 2006: 165). Die Relevanz dieser Thematik wird damit offensichtlich. Es stellt sich die Frage, warum die Groß-und Kleinschreibung derartig fehleranfällig ist. Auf den ersten Blick scheint die Komplexität dieses Lerngegenstandes und die Unmenge von Regeln und Ausnahmen ausschlaggebend zu sein (vgl. Müller 2010: 10). Entgegen dieser Annahme verweist die Graphematik auf die ausgeprägte Regelmäßigkeit der satzinternen Großschreibung. Demzufolge lässt sich die satzinterne Großschreibung an syntaktischen Eigenschaften der Wortart Nomen erklären und nicht an lexikalischen (vgl. Hinney, 2010: 443).
Dennoch wird die satzinterne Großschreibung den Schülerinnen der Primarstufe überwiegend traditionell gelehrt, entsprechend des Wortartbasierten Ansatzes. in dieser Hausarbeit soll der Frage nachgegangen werden, ob der syntaxbezogene Ansatz eine erfolgsversprechende Alternative darstellt, die zu weniger Fehlern im Bereich der Groß- und Kleinschreibung führt. Zu diesem Zweck werden in Kapitel 2 beide Ansätze gegenübergestellt. Zunächst wird der wortartbezogene Ansatz beschrieben und auf mögliche Probleme eingegangen. im Anschluss daran wird in Kapitel 2.2.1 der syntaxbezogene Ansatz dargestellt. in diesem Zusammenhang wird überprüft, ob dieser die Probleme, die sich aus dem wortartbezogenen Ansatz ergeben, beheben kann. im darauffolgenden Kapitel wird eine Methode zur Vermittlung vorgestellt: das Konzept nach Röber-Siekmeyer. Weiterhin wird untersucht, ob auch dieser Ansatz Schwierigkeiten birgt. Um die Frage beantworten zu können, ob das syntaxbezogene Konzept zu weniger Fehlern führt, wird in Kapitel 3 eine empirische Untersuchung vorgestellt, die dieser Frage auf den Grund geht, bevor im letzten Kapitel eine Schlussbetrachtung folgt.
2 Die satzinterne Großschreibung
Im Folgenden werden zwei gegenwärtig konkurrierende Ansätze vorgestellt, die den Zugang zur satzinternen Großschreibung ermöglichen sollen. Der erste Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass die Großschreibung an die Wortart gebunden ist, weshalb dieser die Bezeichnung „wortartbezogener Ansatz“ erhält. Dem gegenüber steht der syntaxbezogene Ansatz, welcher die Großschreibung nicht von der Wortart abhängig macht, sondern von der Position des Wortes im Satz (vgl. Rautenberg et al. 2016: 6).
2.1 Der Wortartbezogene Ansatz
Traditionell erfolgt die Vermittlung der satzinternen Großschreibung über den sogenannten wortartbezogenen Ansatz, welcher die Substantivgroßschreibung aufgrund einer lexikalischen und morphologischen Orientierung erklärt (vgl. Günther / Gaebert 2011: 96).
2.1.1 Beschreibung
In nahezu allen Sprachbüchern der Grundschule werden den Kindern Kriterien der Groß- oder Kleinschreibung dargeboten, die an die „lexikalisch-kategorial verstandene Wortart“ geknüpft sind, wobei zwischen drei Hauptwortarten (Nomen, Verben und Adjektiven) unterschieden wird (Rautenberg et al. 2017: 71). Substantive werden semantisch unter der Bezeichnung „Namenwörter“ eingeführt (vgl. Günther / Gaebert 2011: 98). Häufig lautet die erste Regel, auf die die Schülerinnen treffen, wie folgt: „Namenwörter bezeichnen Menschen, Tiere und Sachen. Sie werden großgeschrieben“ (Ebd.: 98).
Damit wird der zentrale Bereich der großzuschreibenden Wörter erfasst, die als prototypische2 Substantive beschrieben werden (vgl. ebd.: 98). Als Hilfestellung wird den Kindern vermittelt, dass alle Wörter, die großgeschrieben werden, Dinge bezeichnen, die man sehen oder anfassen kann (vgl. Rautenberg et al. 2017: 71). „Die Kinder machen nach dem Schreiben eines Satzes ihre Hand zum Anfassen bereit und überlegen bei jedem wichtigen Wort, ob sie das damit Gemeinte anfassen könnten“ (Mann 2002: 58.). Trifft dies nicht zu, wird das Wort der Regel zufolge kleingeschrieben. Die Menge prototypischer Substantive wird erst in späteren Prototypische Substantive haben als einzige Wortart im Deutschen ein festes Genus. Sie können einen Artikel an sich binden, der normalerweise als Genusmarkierung fungiert (vgl. Müller 2010: 69).
Schulklassen erweitert. Je nachdem welches Sprachbuch genutzt wird, erweitert sich die Menge der großzuschreibenden Abstrakta ab der dritten Klasse. So werden im Sprachlesebuch „Papiertiger“ auch Gedanken und Ideen als großzuschreibende Substantive vorgestellt:
„Wörter, die Menschen, Tieren, Pflanzen und Dingen ihren Namen geben, heißen Nomen (Namenwörter). Nomen bezeichnen aber auch Gedanken, Gefühle, Ideen, die keine Lebewesen oder Gegenstände sind“ (Günther / Gaebert 2011: 98).
Es gibt jedoch noch eine weitere Strategie, die häufig zur Identifikation von Substantiven herangezogen wird: die Artikelprobe. Die SchülerInnen lernen, dass Artikel als Begleiter der Substative fungieren und als Erkennungsmerkmal wahrgenommen werden können (vgl. Rautenberg et al. 2016: 5). Wenn ein Artikel vorangestellt werden kann, handelt es sich bei diesem Wort demzufolge um ein Substantiv. Abgegrenzt wird diese Wortart gegenüber den kleinzuschreibenden Verben und Adjektiven. Diese werden in der zweiten Klasse gemeinhin als „Tu-Wörter“ und „Wie-Wörter“ eingeführt. Die Kleinschreibung wird hier ebenfalls mit der Wortart begründet und mittels semantischer Kriterien bestimmt (vgl. Rautenberg et al. 2017: 72). Im Bausteine Sprachbuch für das zweite Schuljahr werden Verben und Adjektive wie folgt erklärt: „Verben geben an, was jemand tut: laufen, spielen“ (Acker 2014: 34) und „Adjektive sagen, wie etwas ist“ (Ebd.: 46). Auch hier werden den Kindern Merksätze wie „‘Tu-Wörter‘ und ,Wie-Wörter‘ schreibt man klein“ als vermeintliche Unterstützung dargeboten (Günther / Nünke 2005: 8).
2.1.2 Probleme
Zahlreiche Untersuchungen haben ergeben (vgl. Röber-Siekmeyer 1999 / Mann 1991 u. a.m.), dass der wortartbezogene Ansatz den Schülerinnen große Probleme hinsichtlich der Groß- und Kleinschreibung bereitet (vgl. Nünke / Wilhelmus 2002: 205). Die Schülerinnen lernen ab der zweiten Klasse zunächst, dass Substantive Pflanzen, Tiere, Menschen und Dinge darstellen, die sie sehen und anfassen können (vgl. Günther / Nünke 2005: 9). Diese konkrete Regel scheint auf den ersten Blick für die Kinder leicht fassbar, doch führt letztlich zu Verunsicherungen und birgt in der Anwendung erhebliche Probleme (vgl. Nünke / Wilhelmus 2002: 204): „Löwe schreibt man klein, weil man ihn nicht anfassen kann“ (Rautenberg et al. 2016: 5). Viele Schreiberinnen haben zudem Schwierigkeiten, die Wörter den passenden Wortarten zuzuordnen (vgl. Nünke / Wilhelmus 2002: 205). Für die Schülerinnen ergeben sich insbesondere dann Schwierigkeiten, wenn sie den Versuch unternehmen, an isolierten Wörtern die Wortart zu bestimmen. So kann es geschehen, dass der Verbartikel los in dem Satz „Er lässt sie los“ großgeschrieben wird, da man ein Los anfassen und sehen kann (vgl. Rautenberg et al. 2016: 5.). Darüber hinaus bezieht sich die Regel lediglich auf Konkreta und erweckt den Eindruck, dass abstrakte Gegebenheiten wie Pause, Spiel, Liebe oder Freundschaft nicht großgeschrieben werden und keine Substantive darstellen (vgl. Günther / Nünke 2005: 9). Erst ab der dritten Klasse wird besagte Regel durch Abstrakta wie Gefühle und Ideen ergänzt (vgl. Günther / Gaebert 2011: 98). Aber auch diese Erweiterung bietet keine vollkommene Abhilfe, da die Anwendung der semantischen Kriterien auch hier zu Schwierigkeiten führt. Die SchülerInnen machen häufig Fehler, weil sie sich gewissenhaft an die gelernten Regeln halten. So schreiben Sie beispielsweise Luft oder Hitze klein, da man weder das eine noch das andere sehen oder anfassen kann. Um den SchülerInnen bei der Erkenntnis zu helfen, dass es sich dennoch um Substantive handelt, wird Ihnen häufig die Artikelprobe als Lernhilfe an die Hand gegeben. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass die Artikelprobe nicht im Satzzusammenhang, sondern an isolierten Wörtern durchgeführt wird. Diese Art der Durchführung ist jedoch nicht zielführend (vgl. Rautenberg et al. 2016: 5), da vor jedes Wort, wenn es aus dem syntaktischen Kontext gelöst wird, ein Artikel gesetzt werden kann (vgl. Rautenberg et al. 2017: 73): „Wir pflanzen grüne Bohnen; das Wir, die Pflanzen, das Grüne“ (Rautenberg et al. 2016: 5). Darüber hinaus wird in der Grundschule häufig nur der bestimmte Artikel als Begleiter des Substantivs vorgestellt, wohingegen die unbestimmten Artikel außer Acht gelassen werden, was dazu führt, dass diese nicht als Kriterium für die Großschreibung berücksichtig werden:,,*ein schöner morgen“ (Müller 2010: 72). Andere Artikelwörter (diese/ dieser, mein/ meine, unser/unsere) bleiben gänzlich unbeachtet. Die Konsequenz ist, dass die SchülerInnen diese nicht als Anhaltspunkt für die Großschreibung erkennen (vgl. Rautenberg et al. 2016: 5f.). Schwierig wird es auch dann, wenn Artikel und Substantiv nicht direkt aufeinanderfolgen, sondern zwischen ihnen ein Adjektiv steht: „Das blaue Fenster“. SchreiberInnen erliegen nicht selten dem Trugschluss, dass nun „blaue“ großgeschrieben werden müsse, da der Artikel „das“ vor blaue steht (vgl. Müller 2010: 72). Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass Konversionen2 nicht Bestandteil der Grundschuldidaktik sind und folglich auch nicht thematisiert werden, obwohl sie im Wortschatz der Kinder zu finden sind : „mir macht das Turnen viel Spaß“ (vgl. Günther / Gaebert 2011: 98f.). Es ist fraglich, wie Schülerinnen dann erkennen sollen, dass Wörter wie Fahrt oder Sprung ebenfalls Substantive darstellen, die es großzuschreiben gilt. Es ist anzunehmen, dass sie diese kleinschreiben, da sie aus gutem Grund davon ausgehen, dass es sich hierbei um Verben handelt (vgl. Günther / Nünke 2005: 9). Aber auch wenn es den Schülerinnen gelingen sollte, alle Substantive zu erkennen, garantiert dies nicht zwangsläufig eine fehlerfreie Großschreibung. Der Grund dafür ist, dass grundsätzlich jede Wortart, sofern sie sich an der entsprechenden Position im Satz befindet, großgeschrieben werden kann. Hier drängt sich die Frage auf, wieso die Schülerinnen lernen, dass lediglich Substantive großgeschrieben werden, wenn dies nicht der Wahrheit entspricht und tatsächlich jede Wortart großgeschrieben werden kann. Dies stellt die gesamte Herangehensweise des wortartbezogenen Ansatzes infrage (vgl. ebd.: 10).
„Ganz besonders problematisch am wortartbezogenen Konzept ist, dass zusätzlich zu der fehlgehenden Bestimmung des Substantivs als großschreibungsauslösende Kategorie Verben und Adjektive auf Kleinschreibung festgelegt werden“ (Bredel 2010: 226). Den Kindern werden Merksätze wie „‘Tu-Wörter‘ und ,Wie-Wörter‘ schreibt man klein“ als vermeintliche Lernhilfe dargeboten (vgl. Günther / Nünke 2005: 8), was aufgrund der falschen Konzeptualisierung zum Lernhindernis wird (vgl. Bredel 2010: 226). Den Schülerinnen wird es erschwert Substantivierungen zu erkennen, was ein interviewausschnitt einer Studentin (i) und einer Fünftklässlerin (S) unterstreicht:
„I: Weiß hast du kleingeschrieben, man müsste es hier eigentlich großschreiben. S: Hm. Wie ist es? Weiß!
I: Ja, das stimmt, aber manchmal schreibt man Wiewörter auch groß. Schau mal, hier heißt es doch das strahlende Weiß und das bezieht sich auf weiß.“ (Ebd.).
Alles in allem kann festgestellt werden, dass der wortartbezogene Ansatz die Kinder oftmals zu der Erkenntnis führt, dass sie mit den gelernten Mitteln nicht zu einer fehlerfreien Großschreibung gelangen (vgl. Nünke / Wilhelmus 2002: 205). Die Bindung der Großschreibung an die Wortart führt nicht selten zu Fehlschreibungen und verunsichert viele Schreiberinnen. „Diese bilden bereits zu Beginn des Schriftspracherwerbs falsche Hypothesen aus, die später wieder aufwändig revidiert werden müssen“ (Rautenberg et al. 2016: 6). Viele Schülerinnen versuchen ihre Fehlerquote zu senken, indem sie ihre Strategien variieren und auf angebotene Merksätze und Hilfsregeln zurückzugreifen (vgl. Nünke / Wilhelmus 2002: 205). Diese Bemühungen scheinen jedoch selten erfolgreich zu sein, da auch lange nach dem Verlassen der Grundschule die satzinterne Großschreibung der SchülerInnen defizitär ist (vgl. Gaebert 2012: 115).
2.2 Der syntaxbezogene Ansatz
Die Kritik am wortartbezogenen Ansatz führte dazu, dass Zweifel aufkamen, ob dieser zur Erklärung der satzinternen Großschreibung geeignet ist (vgl. Rautenberg et al. 2016: 6). Einige Sprachforscherinnen (u.a. Peter Eisenberg 1981 / 1998, Christian Stetter 1989 und Utz Maas 1992) stellten die Regeln des lexikalischen Ansatzes infrage. Es wurden daher vermehrt Vorschläge für eine alternative Großschreibungsdidaktik gemacht (vgl. Günther / Nünke 2005: 10), infolgedessen der syntaxbezogene Ansatz entstand (vgl. Noack 2011: 587). Ob ein Wort großgeschrieben wird oder nicht hängt diesem Ansatz zufolge nicht von der Wortart ab, sondern von der Position, die ein Wort innerhalb eines Satzes einnimmt (vgl. Rautenberg et al. 2016: 6). Demzufolge bleiben semantischlexikalische Eigenschaften gänzlich unbeachtet (vgl. Noack 2011: 587).
2.2.1 Beschreibung
Bereits Maas 1992 nahm Abstand von der Vorstellung, dass die Großschreibung an die Wortart gebunden sein muss und richtete seinen Blick stattdessen auf die syntaktische Ebene (vgl. Günther / Nünke 2005: 10). Er beschreibt, dass der satzinterne Gebrauch von Majuskeln bedeutet, dass großzuschreibende Wörter als Kerne der Nominalgruppen in Erscheinung treten (vgl. Rautenberg et al. 2017: 73).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Im Folgenden soll dieses Konzept anhand des Beispielsatzes „Der Junge malt ein Bild in der Schule“ veranschaulicht werden. An dieser Stelle kann festgehalten werden, dass grundsätzlich jeder deutsche Satz in seinen verbalen Kern („malt“) und seine entsprechenden Nominalgruppen („der Junge“, „in der Schule“, „ein Bild“) zergliedert werden kann. Der Kern ist der Teil, der innerhalb einer Nominalgruppe nicht weggelassen werden kann und der in der Regel am rechten Rand positioniert ist („Junge“, „Schule“, „Bild“) (vgl. Nünke / Wilhelmus 2002: 206):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Nominalgruppe 1 verbaler Kern Nominalgruppe 2 „Die satzinterne Großschreibung ist an die Nominalgruppe gebunden“ (Günther / Nünke 2005: 11). Hier ist anzumerken, dass nicht nur Substantive den Kern einer Nominalgruppe bilden, sondern dass Wörter aller Wortarten diese Funktion einnehmen können (die Katze, das Laufen, das Vielleicht usw.) (vgl. Rautenberg et al. 2017: 73). Die Nominalgruppe, welche in der Regel aus einem Kopf (gebildet durch ein Artikelwort) und einem Kern (bestehend aus einem Substantiv oder einem Wort einer anderen Wortart, welches dieselbe Funktion erfüllt) besteht, kann erweitert werden. Aufgrund der Tatsache, dass verschiedene lexikalische Wortarten den Kern einer Nominalgruppe bilden können, muss dieser nicht zwangsläufig großgeschrieben werden (vgl. Gaebert 2012: 97). So können beispielsweise Pronomen den Kern einer Nominalgruppe bilden, werden aber nicht großgeschrieben, da diese nicht erweiterbar sind (vgl. Günther / Nünke 2005: 11):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Erst die Fähigkeit der attributiven Erweiterung der Kerne in den Nominalgruppen führt zur Großschreibung (vgl. Müller 2010: 70). Die Erweiterungen können anhand ihrer Endungen identifiziert werden, da sie stets flektiert auftreten. Folgende Flexive sind möglich: -e, -es-, -er, -en, -em (vgl. Bredel 2010: 227). Darüber hinaus treten sie am häufigsten in Form von Adjektivattributen (das grüne Kleid) auf, „gefolgt von Genitivattributen (das Lachen meiner besten Freundin), präpositionalen Attributen in Form von präpositionalphrasen (das Lachen aus vollem Herzen) und Satzattributen in Form von Relativsätzen (das Lachen, das den ganzen Raum ausfüllte) (Müller 2010: 70.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der Beispielsatz könnte potentiell wie folgt erweitert werden:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Es wird ersichtlich, dass sowohl Kopf als auch attributive Erweiterungen sich hinsichtlich Genus, Kasus und Numerus am Kern orientieren (vgl. ebd.: 70). Durch das Hinzufügen neuer Nominalgruppen ist es möglich, den Beispielsatz zu erweitern (vgl. Günther / Nünke 2005: 11): „Der kleine Junge malt in der Schule ein schönes Bild für seine Mutter.“
Es ergeben sich für die SchülerInnen nun zwei Grundregeln, die es zu beachten gilt:
(1) Der Kern einer Nominalgruppe wird großgeschrieben, wenn er attributiv erweitert werden kann
(2) Der Kern ist am rechten Rand der Nominalgruppe positioniert
Diese beiden Regeln beseitigen die Mehrheit der Schwierigkeiten, die sich aus der wortartbezogenen Vermittlung der Großschreibung ergeben. Die SchülerInnen müssen sich nicht mehr der Problematik stellen, das Substantiv ausfindig zu machen, da die Großschreibung nicht wortartgebunden ist, sondern von der Position des Wortes innerhalb des Satzes abhängt. Wie bereits festgestellt wurde, können Wörter jeder Wortart großgeschrieben werden, sofern sie Kern einer attributiv erweiterbaren Nominalgruppe sind. Daraus folgt, dass Substantivierungen und Desubstantivierungen, die für Gewöhnlich eine beträchtliche Fehlerquote aufweisen, somit eine gewisse Regelmäßigkeit erlangen (vgl. Günther / Nünke 2005: 11).
[...]
1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden auf die gleichzeitige Verwendung weiblicher und männlicher Sprachformen verzichtet und stattdessen die Abkürzung „Schülerinnen“ verwendet.
2 affixlose Nominalisierungen (Günther / Gaebert 2011: 98).
- Citar trabajo
- Anónimo,, 2020, Die satzinterne Großschreibung in der Primarstufe. Gegenüberstellung zweier Ansätze, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/945788
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