In ihrem Bericht an die Gewaltkommission der Bundesregierung konstatieren Kepplinger & Dahlem (1990), dass die Katharsisthese bisher weder be- noch widerlegt sei, weil eine angemessene empirische Überprüfung mit entsprechendem Stimulusmaterial und Katharsis ermöglichende Rezeptionssituation bisher fehle. Dies verwundert zunächst, gilt doch in der gängigen Literatur, im amerikanischen wie im deutschsprachigen Raum (vgl. beispielhaft Kunczik & Zipfel, 2004), die Katharsisthese lange als widerlegt, nachdem selbst der stärkste Protagonist Seymour Feshbach sich von ihr distanziert hat. Der vorliegende Beitrag sichtet die vorliegende Literatur auf ihre Aussagekraft in Bezug auf die Katharsisthese und kommt zu dem Schluss, dass die These tatsächlich bisher nicht hinreichend widerlegt, aber auch nicht wirklich belegt ist. Wir argumentieren also keineswegs, dass mediale Gewalt harmlos ist oder gar positive Konsequenzen hat. Die Evidenz für eine negative Wirkung ist vor allem im amerikanischen Raum überwältigend. Eine unspezifische Inhibitionsthese ist daher sicherlich falsifiziert, die Spezifika der Katharsisthese warten noch auf adäquate Überprüfung.
Inhaltsverzeichnis
1 Wirkung medialer Gewalt
2 Ist die Katharsis-Hypothese tatsächlich widerlegt?
2.1 Entstehung und Entwicklung
2.1.1 Katharsis von Aristoteles bis Freud
2.1.2 Die Frustrations-Aggressions-Theorie
2.1.3 Belege für die Katharsis
2.1.4 Modifikation der Katharsis-Hypothese
2.2 Forschung zur Widerlegung der Katharsis-Hypothese
2.2.1 Feldstudie von Eron, Huesmann, Lefkowitz und Walder
2.2.2 Feldstudie von Milavsky, Kessler, Stipp und Rubens
2.2.3 Experiment von Berkowitz und Rawlings
2.2.4 Experiment von Berkowitz und Geen
2.2.5 Experiment von Geen, Stonner und Shope
2.2.6 Experiment von Hartmann
2.2.7 Experiment von Bandura, Ross und Ross
2.2.8 Experiment von Tannenbaum und Goranson
2.2.9 Experimente von Bushman, Stack und Baumeister
2.3 Bewertung der Studien gegen die Katharsis-Hypothese
2.3.1 Generelle Probleme der Forschung
2.3.2 Zusammenfassung der Kritikpunkte an der Forschung
2.3.3 Fazit
3 Die aktuelle Debatte um Gewalt und Jugend
Literaturverzeichnis
1 Wirkung medialer Gewalt
Massenmedien spielen eine immer größere Rolle in der modernen Gesellschaft. Das tägliche Medienzeitbudget der deutschen Bundesbürger liegt derzeit bei zehn Stunden (600 Minuten) pro Tag und ist damit im Vergleich zum Jahr 2000 (502 Minuten) um knapp 100 Minuten angestiegen. An oberster Stelle steht der Hörfunk mit 221 Minuten, dicht gefolgt vom Fernsehen mit 220 Minuten. Die Nutzung des Internets hat sich seit dem Jahr 2000 mit 44 Minuten täglich mehr als verdreifacht (Ridder & Engel 2005, S. 424). Die beträchtliche Zeit, die sich die Menschen mit den Medien beschäftigen, veranlasst zu der Annahme, dass dieser Konsum nicht ohne Wirkung bleibt. Sowohl Befürworter des Fernsehens als auch Kritiker sind sich weitgehend darüber einig, dass Medien Einfluss auf Gedanken, Gefühle und Verhalten der Rezpienten haben.Überwiegend wird dabei die Ansicht vertreten, dass starker Medienkonsum schädliche Wirkung hat. Besonders das Fernsehen, und in der aktuellen Debatte auch Computer- und Internetspiele, sind in das Kreuzfeuer der Kritik geraten.
Am 26. April 2002 tötete der neunzehnjährige Robert Steinhäuser am Erfurter Gutenberg-Gymnasium 16 Menschen bevor er sich selbst erschoss. Die Medien berichteten ausführlich über seinen Konsum von gewalthaltigen Computerspielen und Filmen, mit denen er einen Großteil seiner Freizeit verbracht haben soll. Namen von sogenannten Ego-Shootern wie Counterstrike und Castle Wolfenstein oder brutalen Filmen wie Natural Born Killers wurden oft in der medienwirksamen Diskussion um Jugend und Gewalt genannt. Auch Musikgruppen, die aggressive Musik produzieren und provokante Liedtexte schreiben, wie Marylin Manson oder Rammstein wurden vor allem im Zusammenhang mit dem Schulmassaker von Littleton (USA) mit Vorwürfen konfrontiert. Immer wieder passieren Amokläufe in Schulen oder Morde aus Filmen werden nachgeahmt. Nachdem Sarah Edmondson und ihr Freund Benjamin Darras mehrere Male den Film Natural Born Killers gesehen hatten, ermordeten sie 1995 in Lousiana und Mississippi zwei Menschen. Diese Vorfälle werden von Kritikern in der Medien Gewalt-Diskussion als Argumente dazu benutzt, Fernsehsender oder Filmproduzenten verantwortlich zu machen und strengere Regelungen zu fordern.
Dabei konnte die starke Wirkung der Medien laut kritischer Forschungsberichte von Cook, Kendzierski & Thomas 1984 und Mc Guire 1986 bisher nicht klar belegt werden. Die empirisch nachgewiesenen Zusammenhänge seien schwach und die Studien in ihrer Methode, Durchführung und Auswertung angreifbar. In der Forschung können die theoretischen Ansätze zur Wirkung von Gewaltdarstellungen grob in vier Gruppen klassifiziert werden. Die Stimulationsthese besagt, dass die Rezeption von gewalthaltigen Medieninhalten die Bereitschaft zu eigener Gewaltanwendung steigert. Die Nullhypothese konstatiert keinerlei Wirkung zwischen Medien und Gewalt. Der Ambivalenzthese zufolge kann der Konsum von Gewaltdarstellungen eigene Gewalt sowohl verhindern als auch erzeugen. Laut der Katharsisthese wird die Bereitschaft zur Gewaltanwendung vermindert (Merten 1999, S. 129). Besonders der letzte Ansatz wurde kontrovers disku- tiert und ist angeblich nicht haltbar:
”Alledrei Formender Katharsisthesekönnenals empirisch widerlegt angesehen werden (...). Eine durch das Ansehen violenter Medieninhalte bewirkte Aggressivitätsminderung aufgrund des Abfließens des Aggressionstriebes erfolgt nicht“ (Kunczik (1987), S. (60)). Auch George Comstock sieht die (60)er Jahre als Phase des Niedergangs der Katharsis, die seiner Meinung nach der kritischen Prüfung nicht standgehalten habe und heute nicht mehr vertretbar sei (Comstock (1983), S. (245)). Doch aufgrund des zunehmenden Medienkonsums und der strittigen und unklaren Forschungslage stellt sich die Frage nach der Wirkung gewalthaltiger Medieninhalte in jeder Form dringlicher denn je.
Die aktuelle Debatte konzentriert sich darauf, ob Mediengewalt zu realer Gewalt und erhöhter Aggression führe. Dabei ist das Katharsiskonzept in den Hintergrund geraten, in der Annahme es sei hinreichend widerlegt worden. Im Folgenden sollen jene Studien, die angeblich die Katharsis-Hypothese falsifizieren, genauer betrachtet werden. Ist das Katharsis-Konzept in der Medienwirkungsforschung tatsächlich widerlegt?
Die Katharsisthese wurde in der Vergangenheit mehrfach modifiziert und umformuliert. Ihre Ursprünge gehen bis auf Aristoteles zurück. Deswegen soll zunächst die Entwicklung der Katharsis aufgezeigt, Definitionen und unterstützende Forschung dargelegt werden.
2 Ist die Katharsis-Hypothese tatsächlich widerlegt?
2.1 Entstehung und Entwicklung
2.1.1 Katharsis von Aristoteles bis Freud
Das Phänomen der Katharsis hat seine Wurzeln in der antiken griechischen Tragödie und geht auf Aristoteles zurück. Der Begriff Katharsis kommt aus dem Griechischen und bedeutet ”die Reinigung“.Aristotelesbeschriebdamiteinen Prozess,beidemdie Tragödie Gefühle beim Zuschauer hervorruft, die durch das Erlebnis abgeführt wer- den:
”Die Tragödieist(...)Nachahmungvon Handelndenundnichtdurch Bericht,die Jammer und Schaudern hervorruft und hierdurch eine Reinigung von derartigen Erregungszuständen bewirkt“ (Aristoteles, aus Fuhrmann (1994), S. (19)). Dabei ist Katharsis im Sinne von Aristoteles nicht lediglich als eine ”Affekt-Abfuhr“zuverstehen,sondernals ”sittliche Reinigung“,diesogenannte ”Läuterungder Seele“(Zumkley(1978),S.(17)). Der Begriff der Katharsis wurde von verschiedenen berühmten Dichtern und Autoren, wie Johann Wolfgang von Goethe oder Gotthold Ephraim Lessing, im Rahmen der Dramentheorie aufgegriffen und modifiziert.
In der Psychologie ist das Konzept von Josef Breuer und Sigmund Freud übernom- men worden, die in ihren ”Studienüber Hysterie“den Begriffder Katharsiseingeführt haben (Freud & Breuer (1895)). Der Terminus bezieht sich in diesem Zusammenhang auf spannungsreduzierende Folgen einer Abreaktion von Affekten unter bestimmten Bedingungen. Eine nicht abgeführte Erregung als Konsequenz eines traumatischen Erlebnisses kann zu psychischen Störungen führen und hysterische Symptome hervorrufen (Leuzinger (1997), S. (171)). Werden in einer Therapie dann die verdrängten Erlebnisse in der Hypnose erweckt, die damit verbundenen Affekte wachgerufen und ausgedrückt, tritt eine Spannungsreduktion, die Katharsis, ein. Breuer behauptete so die Hysterie der Patientin Bertha Pappenheim, bekannt unter dem Decknamen ”Anna O.“,geheilt zu haben. Beim kathartischen Begriff im Sinne der Psychoanalyse handelt es sich nicht um ein einfaches Abreagieren oder freies Ausleben von Affekten, sondern um das therapeutische Durcharbeiten verdrängter und traumatisierender Erinnerungen. Sigmund Freud stellte jedoch selbst, wie Aristoteles, keinen Zusammenhang zwischen Aggression und Katharsis her.
Die Auffassung von Aggression ist bei Freud nicht einheitlich und hat sich nach (1920) im Vergleich zu seinen früheren Arbeiten verändert. Er sah das grundlegende Prinzip jeden Verhaltens darin, Lust zu suchen und Schmerz zu vermeiden. Frustration trete ein, wenn Verhalten zugunsten von Lustgewinn oder Schmerzvermeidung blockiert wurde. Aggression verstand er als die Folge, die ursprünglich und üblicherweise gegen jene Personen oder Objekte gerichtet sein sollte, welche als Ursache der Frustration betrachtet wurden. Nach 1920 nahm Freud eine andere Position ein und postulierte, dass Aggression der nach außen gerichtete Selbstzerstörungstrieb sei, nicht jedoch eine Reaktion auf Frustration (Dollard, Doob, Miller, Mowrer & Sears 1970, S. 30-31). Das erste Aggressionskonzept war grundlegend für die Formulierung der Frustrations Aggressions-Theorie (F-A-Theorie), die eine wichtige Rolle in der Weiterentwicklung der Katharsis, auch in der Medienwirkungsforschung, spielte.
2.1.2 Die Frustrations-Aggressions-Theorie
Die Frustrations-Aggressions-Theorie der Yale-Schule war der entscheidende Auslöser die Katharsis im Zusammenhang mit Aggression empirisch und experimentell zu untersuchen. Der Ausgangspunkt der Frustrations-Aggressions-Theorie stellt folgende Annahme dar:
”Aggressionistimmerdie Folgeeiner Frustration“(Dollardetal.(1970), S. (9)). Damit setzt das Auftreten von aggressivem Verhalten immer Frustration voraus während die Existenz von Frustration immer zu einer Form der Aggression führt. Die Autoren haben verschiedene Faktoren formuliert, die das Ausmaß und die Ausprägung der Aggression beeinflussen. Demnach hemmen Angst vor Bestrafung oder ähnlichen Folgen direkte, offene Aggression und rufen somit zusätzliche Frustration hervor. Als Konsequenz werde die Instigation zu anderen Aggressionsformen erhöht. Umgekehrt gelte, dass das Auftreten einer Aggressionshandlung die Instigation zur Aggression reduziert. Bei Aggression gegen die eigene Person müsse eine gewisse Hemmschwelle überwunden werden und sie trete nur dann auf, wenn andere Aggressionsformen noch stärkeren Barrieren unterliegen (Dollard et al. (1970), S. (63)). Die Autoren verstehen somit unter der Katharsis nicht, dass die Instigation zur Aggression immer völlig beseitigt wird.
Dies war jedoch oftmals eine Annahme bei der Überprüfung der Katharsis-Hypothese. Das klassische Konzept wurde vielfach falsch und vereinfacht verstanden. Nach der Frustrations-Aggressions-Theorie ist Aggression eine Verhaltenssequenz, deren Zielreaktion die Verletzung eines Organismus oder eines Organismusersatzes ist (Dollard et al. (1970), S. (18)). Dieses Prinzip der Zielbezogenheit ist Voraussetzung für das Phänomen der Katharsis. Handlungen, die keine Zielreaktionen sind, gelten nicht als Aggression und im individuellen Fall muss nachweisbar sein, dass eine Zielreaktion mit der Intention zu verletzen, vorhanden war. Folglich ist es sinnlos, Katharsiseffekte oder das Gegenteil zu behaupten, wenn durch die experimentellen Bedingungen nicht gesichert ist, dass eine Versuchsperson ”aufeine Frustrationhinauchtatsächlichmiteiner Aggressionim obigen Sinne reagieren kann und auch tatsächlich reagiert“ (Zumkley(1978), S.(23)).
Ein Grund für die heftige Kritik an der Katharsis im Rahmen der Frustrations Aggressions-Theorie stellte die scheinbare Widersprüchlichkeit zur prominenten sozia- len Lerntheorie von Albert Bandura dar:
”Abgesehendavon,daßdiese Thesedurch
Ergebnisse empirischer Untersuchungen widerlegt ist, sind die Annahmen der Katharsisthese vor dem Hintergrund der kognitiven sozialen Lerntheorie nicht haltbar“ (Krebs (1994), S. (366)). Dabei ist die Lernmöglichkeit in dem Konzept der Yale-Schule explizit
enthalten:
”Auchdürftedie Wiederholungeinerzur Reduktionführenden Reaktions-
weise zur Folge haben, daß diese gelernt wird“ (Dollard et al. (1970), S. (60)). Studien, die überprüfen wollen, ob statt der Katharsis nicht vielmehr die soziale Lerntheorie greife, übergehen, dass die beiden theoretischen Konzepte sich nicht widersprechen. Bandura selbst stellt die Frustrations-Aggressions-Theorie vereinfacht dar und lehnt eine sinngemäße Katharsis weitgehend ab, wie in Kapitel (2).(2).(7) genauer erläutert wird.
den neutralen Film ansah. Bei den nicht beleidigten Versuchspersonen war jener Teil aggressiver, der die Kampfsequenz anschaute. Jedoch brachte der Einstellungsfragebogen als zweite abhängige Variable nur im Bezug auf die beleidigten Versuchspersonen signifikante Unterschiede hervor. Diese Resultate interpretierte Feshbach als Beleg dafür, dass die stellvertretende, symbolische Aggression für frustrierte Individuen kathartische, für nicht frustrierte Individuen jedoch stimulierende Wirkung bezüglich der Instigation zur Aggression nach sich ziehe.
Besonders dieses Experiment von Seymour Feshbach wurde von vielen Wissenschaftlern heftig kritisiert und bot auch aufgrund der methodischen Vorgehensweise Angriffs-
fläche.
”Indiesem Experimentistim Gegensatzzur Ansichtdes Autorssicherlichkein
Nachweis einer Katharsis gelungen“ (Kunczik(1987), S.(62)).
Seymour Feshbach hatte auch schon zuvor Untersuchungen zur Katharsisthese und Aggression durchgeführt. (1955) überprüfte er die Hypothese, Phantasieaggression frustrierter Individuen habe aggressionsreduzierende Wirkung (Feshbach (1955)). Dabei wurde ein Teil der Versuchspersonen, Collegestudenten der Psychologie, beleidigt. Anschließend wurde einer Hälfte der beleidigten Versuchspersonen durch TAT-Bilder die Möglichkeit zu aggressiver Phanatsietätigkeit gegeben, die andere Hälfte erhielt diese Gelegenheit nicht, sondern führte Tests aus, die keinen oder wenig Spielraum für Phantasie boten. Das Ergebnis zeigte, dass die beleidigten Studenten, die keine Gelegenheit zur Phantasieaggression hatten, aggressiver waren. Das Resultat ist kompatibel mit der Frustrations-Aggressions-Theorie, jedoch soll auf das Experiment nicht genauer eingegangen werden.
chen als die restlichen Jugendlichen. Die Befunde zeigten laut den Autoren, dass der Konsum (nicht-)gewaltsamer Fernsehsendungen den stärksten Einfluss auf Jugendliche mit erhöhter Aggressionsbereitschaft in Verbindung mit niedriger Aggressionshemmung und schwacher Selbstkontrolle habe (Feshbach & Singer 1971, S. 91). Dieses Ergebnis bestätigt die Hypothese der kognitiven Unterstützung von Feshbach und Singer, derzufolge Individuen mit einer relativ niedrigen Vorstellungskraft das Phantasiematerial aus externen Quellen benötigten. Somit würden intelligente und kognitiv gut entwickelte Mittelschicht-Kinder wenig Nutzen aus fiktiver Fernsehgewalt ziehen (Feshbach & Singer 1971, S. 15).
1973 führte William Wells eine Art Replikation der Studie von Feshbach und Singer durch. Dabei stellte er ebenfalls keine Unterschiede in der Aggression bei Angehörigen der Mittelschicht fest, jedoch bei den Unterschichtprobanden. Dort wurde eine konsistente Zunahme der verbalen Aggression bei jener Gruppe verzeichnet, die keine gewaltsamen Fernsehsendungen sah. Insgesamt waren die festgestellten Veränderungen im aggressiven Verhalten bei Wells’ schwächer als in dem Experiment von Feshbach und Singer (Kunczik 1975, S. 281-283). William Wells folgerte aus seinen Ergebnissen,
dass der Entzug der Lieblingssendung und der Ärger über das
”schlechte“gewaltfreie
Programm die Gründe für die erhöhte Aggression waren (Liebert, Sprafkin & Davidson
Thibaut und John Coules (Thibaut & Coules 1952) oder Jack Hokanson (Hokanson 1961), sind umstritten. Die Beschreibung und kritische Diskussion der unterstützenden Forschung soll jedoch nicht Zentrum dieser Arbeit sein, auch wenn sie methodisch nicht unproblematisch und die Kritikpunkte durchaus berechtigt sind. Es gibt zahlreiche Studien, die kathartische Wirkung nachweisen, jedoch soll im Folgenden jene Forschung kritisch diskutiert werden, die versucht hat, die Katharsis zu widerlegen. Dabei wird der Fokus auf den Bereich der Medienwirkungsforschung gelegt, Studien mit der Intention die Katharsis-Hypothese generell zu falsifizieren, spielen eine untergeordnete Rolle.
2.2 Forschung zur Widerlegung der Katharsis-Hypothese
2.2.1 Feldstudie von Eron, Huesmann, Lefkowitz und Walder
Die Studie 1972 haben Leonard Eron, Rowell Huesmann, Monroe Lefkowitz und Leopold Walder eine Längsschnittstudie durchgeführt, um den Zusammenhang zwischen Aggression und Fernsehkonsum zu untersuchen (Eron, Huesmann, Lefkowitz & Walder 1972). In der Feldstudie wurden in einem Abstand von zehn Jahren Daten erhoben. Die Hypothese postuliert, dass die Aggression junger Erwachsener mit der Präferenz für gewaltsame Fernsehinhalte im Kindesalter positiv zusammenhängt und darüber hinaus, der Konsum solcher Sendungen eine der Ursachen für spätere Aggression darstellt.
Im Jahr 1960 bestand die ursprüngliche Gruppe der Probanden aus 875 Kindern im Alter von acht oder neun Jahren, die an einer Studie für Drittklässler teilnahmen. Die Autoren verwendeten eine Vielzahl von Variablen, wobei sie die Vorliebe für gewaltsame Fernsehprogramme und die von Gleichaltrigen eingeschätzte Aggression als besonders bedeutsam ansahen. Jedem Kind wurden zehn Fragen zu aggressivem Verhalten gestellt und es sollte jeweils mit dem Namen eines Klassenkameraden antworten, zum
Beispiel:
oder
”Whopushesandshovesotherchildren?“, ”Whodoesnotobeytheteacher?“
”Whostartsafightovernothing?“(Eronetal.(1972),S.(254)).Umdie Vorliebe der Kinder für gewaltsame Fernsehinhalte zu ermitteln, wurden die Mütter nach den
drei Lieblingssendungen der Kinder gefragt. Zwei Personen unterteilten die genannten Sendungen unabhängig voneinander in gewaltsam und nicht gewaltsam. Die Spannweite reichte von (0) (keine gewaltsame Sendung) bis (4) (alle drei Lieblingssendungen gewaltsam). (1970) konnten noch (427) Jugendliche, davon (211) männlich und (216) weiblich, von den ursprünglich (875) Kindern erreicht werden. Der durchschnittliche Intelligenzquotient der Versuchspersonen lag bei (109) und sie entstammten der Mittelschicht. Die Aggression wurde ähnlich wie (1960) gemessen und dem höheren Alter angepasst. Diesmal wurden die Probanden selbst nach ihren vier aktuellen Lieblingssendungen im Fernsehen befragt. Wiederum wurden die genannten Sendungen unabhängig von zwei Personen in gewaltsam und nicht gewaltsam eingeteilt. Wenn sich beide einig waren, dass eine Fern-
(2)
(3)
(4)
(2).(1).(3)Belege für die Katharsis
Ausgehend von der geschilderten Theorie führte Seymour Feshbach sein aufsehenerregendes Experiment zum Beleg der Katharsis-Hypothese durch (Feshbach(1961)). Er setzte damit einen umstrittenen Meilenstein in der Medienwirkungsforschung. Im Folgenden wird das Phänomen der Katharsis hauptsächlich auf den kommunikationswissenschaftlichen Bereich eingegrenzt und Forschungsarbeiten, die den Zusammenhang zwischen Medien und Katharsis untersuchen, sollen im Vordergrund stehen.
(1961) überprüfte Seymour Feshbach kathartische Effekte anhand gewaltsamer Filminhalte. In seiner Hypothese ging er davon aus, dass eine stellvertretende Aggressionshandlung die Instigation zu nachfolgender Aggression reduziere, wenn zu diesem Zeitpunkt Frustration vorliegt. Die Voraussetzung ders Vorhandenseins von Frustration für das Auftreten kathartischer Phänomene entstammt der Frustrations-Aggressions Theorie. Weiterhin nimmt Feshbach an, dass aggressives Verhalten verstärkt werde, wenn zum Zeitpunkt der stellvertretenden Aggressionshandlung keine Frustration vorliegt (Feshbach (1961), S. (381)). Für seinen Versuch wählte er (101) männliche, freiwillige Collegestudenten aus. Die Hälfte der Versuchspersonen wurde bezüglich ihrer intellektuellen Leistungsbereitschaft und emotionalen Reife beleidigt, der anderen Hälfte wurden Standardinstruktionen gegeben. Anschließend wurde einem Teil der beleidigten und
nicht-beleidigten Studenten die Sequenz eines Preisboxkampfes aus dem Film
”Body
and Soul“ gezeigt, wohingegen die restlichen Probanden einen neutralen Film über Gerüchte in einer Firma sahen. Als abhängige Variablen wurden ein Wort-Assoziationstest und ein Fragebogen zur Einstellung der Versuchspersonen zum Versuchsleiter und zur Bewertung des Experiments benutzt.
Die ermittelten Daten konnten die von Feshbach aufgestellte Hypothese weitgehend bestätigen. Der Wort-Assoziationstest ergab, dass die beleidigten Versuchspersonen, die den Preisboxkampf rezipierten weniger aggressiv waren als die beleidigte Gruppe, die
(5)
(2).(1).(4)Modifikation der Katharsis-Hypothese
Feldexperiment von Feshbach und Singer Eine bedeutende Rolle in der Medienwirkungsforschung spielte das Feldexperiment von Feshbach und Singer, in dessen Zuge eine Variation der Katharsisthese, die Hypothese der kognitiven Unterstützung (
”co-
gnitive support hypothesis“), entwickelt wurde (Feshbach & Singer (1971)). Das Hauptaugenmerk der Studie lag auf der Auswirkung des Konsums überwiegend aggressiver und nicht-aggressiver Fernsehinhalte auf aggressives Verhalten und Werte von Kindern. Kathartische Effekte treten laut der Autoren bei Kindern auf, die sowohl eine hohe verdeckte als auch hohe offene Aggression besitzen, wenn diese über einen längeren Zeitraum hinweg aggressive Fernsehinhalte rezipieren (Feshbach & Singer (1971),
S. (47)). Die Probanden waren männliche Jugendliche zwischen (10) und (17) Jahren. Das Experiment dauerte sechs Wochen, in denen ein Teil der Versuchspersonen gewaltsame, der Rest überwiegend nicht gewaltsame Fernsehsendungen anschaute. Die Gruppe, die gewaltsame Fernsehinhalte ansah, zeigte eine niedrigere Aggression gegen ihresglei-
(6)
(1982), S.(119)). Die Studie wurde nicht veröffentlicht und nur vereinzelt kurz aufgegriffen. Aus diesem Grund kann sie hier nicht genauer diskutiert werden. Dieses Experiment und die spätere Aussage von Feshbach, dass aggressionsfördernde Bedingungen sehr viel häufiger als kathartische Bedingungen vorkämen (Feshbach(1989), S.(71)), bestätigten die Kritiker in ihrer Ablehnung der Katharsis.
Experiment von Bramel, Taub und Blum In einer ebenfalls modifizierten Form testeten Dana Bramel, Barry Taub und Barbara Blum die Katharsis-Hypothese (Bramel, Taub & Blum (1968)). Dabei gingen die Autoren von der Annahme aus, dass weniger die Beobachtung aggressiven Verhaltens generell als vielmehr die Beobachtung von dessen Auswirkungen kathartische Wirkung habe. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass unter
bestimmten Bedingungen aggressionsmindernde Effekte erzielt werden könnten:
”Itis
suggested that catharsis appears most clearly when there is unambiguous feedback that the enemy is hurt, guilt is absent, and there are no factors encouraging imitation of aggression or the releasing of inhibitions of aggression“ (Bramel et al. (1968), S. (384)). In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass andere Autoren genau dieses Experiment zur Ablehnung der Katharsis-Hypothese zitierten (Kellner & Horn (1971), S. (11)).
Diese Studien, vor allem jene von Feshbach und Singer ((1971)), ernteten heftige Kritik (Liebert et al. (1982), S. (64)-(65); Kunczik (1975), S. (266)-(278)). Auch weitere Versuche, die Katharsis zu belegen, wie jene beispielsweise von Alberta Siegel (Siegel (1956)), John
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- Citation du texte
- Sonja Kriependorf (Auteur), 2006, Ist das Katharsis-Konzept in der Medienwirkungsforschung tatsächlich widerlegt?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94547
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