Die Interpretation von Fotografien aus der Kolonialzeit hat einen wichtigen Stellenwert bei der postkolonialen Aufarbeitung dieser Epoche.
Das Königreich Bamum in Kamerun war zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein beliebter Ort für Amateurfotografen mit unterschiedlichstem Hintergrund: Kaufleute, Verwaltungsbeamte und Missionsangehörige lichteten König Njoya und seinen Hofstaat ab. Die Fotografien von Anna Wuhrmann, die damals dort als Missionslehrerin tätig war, fallen auf: Sie sind anders als die meisten Bilder jener Zeit.
Hier wird der Frage nachgegangen, welchen Kategorien (Ethnografische Fotografie, Missionsfotografie oder Porträtfotografie) die Bilder Anna Wuhrmanns zugeordnet werden können und was das Besondere daran ist. Unterstützt durch die Interpretation einiger ihrer Texte wird ihre Sicht des "Anderen" deutlich gemacht.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Anna Wuhrmann als Missionarin und Fotografin
2.1.1. Biografie
2.1.2. Bibliografie
2.1.3. Zeitgenossinnen und mögliche Vorbilder
2.1.4. Tradition der Fotografie in der Schweiz
2.2. Kategorien
2.2.1. Ethnografische Fotografie
2.2.2. Missionsfotografie
2.2.3. Porträtfotografie
3. Anna Wuhrmanns Sicht des „Anderen“
3.1. Veröffentlichungen
3.1.1. Verhältnis zur Missionsgemeinde
3.1.2. Verhältnis zu König Njoya
3.2. Fotografien
3.2.1. Wer sind die Fotografierten?
3.2.2. Was zeigen die Bilder?
3.2.3. Wie werden die Bilder konstruiert?
3.2.4. Welche Interessen verfolgen die Beteiligten?
3.2.5. Was macht die Kraft der Bilder aus?
3.2.6. Kontext
3. Zusammenfassung
4. Anhang
1. Ausgewählte Fotografien und Texte
2. Gegenüberstellung Anna Wuhrmann – August Sander
3. Nachweis der Fotografien
Fotografien, auf denen Anna Wuhrmann abgebildet ist
4. Textauszüge aus Rein-Wuhrmann Mein Bamumvold im Grasland von Kamerun (1925)
5. Bibliographie
„Oft dachte ich, du könntest eigentlich im Bamumlande ein photographisches Atelier eröffnen, denn die Leutchen ließen sich gar zu gern photographieren, und jeder, der den Wunsch hatte, sein Antlitz auf eine Glasplatte festgebannt zu sehen, war auch der felsenfesten Überzeugung, er sei schön. Es war auch gar nicht schwer, die Schwarzen aufzunehmen. Sie wussten meistens selber, wie sie das Bild haben wollten, bestimmten Stellung und Hintergrund und machten das rechte Photographiergesicht. Ich habe viel Freude dabei gehabt und schöne Bilder mit nach Hause gebracht.“
Anna Wuhrmann[1]
„Wer immer sich porträtieren lässt – er trägt ein bestimmtes Bild von sich in seinem Inneren. Dieses Bild ist zwar sein persönlicher Besitz, doch es entspringt nur zu kleinen Teilen seinen eigenen Eingebungen. Es ist vielmehr ein nach außen orientiertes, von außen inspiriertes Bild, in dem sich vorherrschend das Bild spiegelt, das seine Mitmenschen sich von ihm machen sollen.“
Klaus Honnef[2]
1. Einleitung
Anfang des 20. Jahrhunderts war das Königreich Bamum in Kamerun ein beliebter Ort für Amateurfotografen mit unterschiedlichstem Hintergrund: Kaufleute, Verwaltungsbeamte und Missionsangehörige lichteten König Njoya und seinen Hofstaat ab. Er selbst, der allem Neuen aufgeschlossen gegenüberstand, lernte mit der Kamera umzugehen und setzte sich und seine Ehefrauen in die richtige Pose. Er ist der meistfotografierte König jener Zeit.
In der postkolonialen Aufarbeitung dieser Periode afrikanischer Geschichte hat die Interpretation von Fotografien einen wichtigen Stellenwert. Sie gibt uns z.B. Aufschluss darüber, wie Europäer in jener Zeit Afrikaner sahen: wie wird der oder die „Andere“ betrachtet und mit welchen ästhetischen Mitteln wird dies umgesetzt. Hierzu stehen uns verschiedene Kategorisierungen der Bilder zur Verfügung: Handelt es sich um eine anthropologische oder ethnographische Sichtweise, sind die Fotos in den Bereich der Missionsfotografie einzuordnen oder handelt es sich um Porträtfotografie in der europäischen Tradition?
Die Fotografien von Anna Wuhrmann, die in der Zeit von 1911-1916 und 1920-1922 in Bamum als Missionslehrerin tätig war, fallen auf: Sie sind anders als die meisten Bilder jener Zeit und lassen sich nicht eindeutig einer der genannten Kategorien zuordnen.
Ich möchte mich hier mit der Frage beschäftigen, was das Besondere dieser Fotografien ausmacht. Hierzu werde ich mich mit der Person Anna Wuhrmann auseinandersetzen, mit ihrer Geschichte und den zeitgenössischen Einflüssen, die sie möglicherweise geprägt haben sowie ihre Sicht des „Anderen“ untersuchen. Ich werde darstellen, wie ihre Sicht des „Anderen“ ihren fotografischen Stil bestimmt.
Als Quellen standen mir Bücher und Texte von Anna Wuhrmann zur Verfügung (s. S. 4) sowie Aufsätze von Christraud Geary, die sich (meiner Kenntnis nach) als einzige bisher mit ihrer Arbeit auseinandergesetzt hat. Die mir vorliegenden Fotografien Anna Wuhrmanns stammen ebenfalls aus den Veröffentlichungen Christraud Gearys (1985, 1988) und Anna Wuhrmanns (1931). Weitere Quellen sind zeitgenössische Texte und Fotografien aus der Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Fotografien August Sanders (1876-1964) sind dem Katalog zur Ausstellung „In der Photographie gibt es keine ungeklärten Schatten!“ entnommen.
Im ersten Teil werde ich auf Anna Wuhrmanns Biografie und Bibliografie eingehen, daran anschließend auf Zeitgenossinnen und mögliche Vorbilder sowie auf die Tradition der Fotografie in der Schweiz. In einem weiteren Abschnitt werde ich verschiedene Kategorien von Fotografien erläutern (Ethnografische Fotografie, Missionsfotografie, Porträtfotografie).
Im zweiten Teil werde ich anhand der schriftlichen und visuellen Quellen Anna Wuhrmanns Sicht des „Anderen“ darstellen. Hier gehe ich zuerst – anhand der schriftlichen Quellen - auf ihr Verhältnis zu den Bamum ein (Missionsgemeinde und König Njoya) um daran anschließend ihre Fotografien zu erläutern.
2. Anna Wuhrmann als Missionarin und Fotografin
Lebensweg, Bibliografie und Einflüsse
2.1.1. Biografie
Anna Wuhrmann wurde 1881 in Marseille als Tochter einer begüterten Familie geboren. Sie wuchs bis 1888 bei ihren Großeltern in Winterthur in der Schweiz auf, besuchte dann, als ihre Eltern ebenfalls in die Schweiz zurückkehrten, die Schule in Basel. Anschließend kam sie in ein Internat zur Lehrerausbildung in die französische Schweiz, wo sie 1902 ihr Examen machte. Nach einer Zeit als Lehrerin von gehörlosen Kindern und Waisen hatte sie 1905 eine feste Anstellung als Lehrerin. 1910 bewarb sie sich um eine Stelle bei der Basler Mission und fuhr am 9. September 1911, 30 Jahre alt und unverheiratet, von Hamburg nach Douala. Im November 1911 kam sie in Fumban an, wo sie die Mädchenschule der Missionsstation übernahm. Im Dezember 1915, beim Einmarsch der Briten, wurde sie gefangengenommen und Anfang 1916 wieder freigelassen, sodass sie dann von Fernando Póo mit dem Schiff nach Barcelona fahren und in die Schweiz zurückkehren konnte. 1920 ging sie nach Kamerun zurück und arbeitete für die Mission de Paris erneut in Fumban bis 1922. 1923 heiratete sie Dr. Rein, einen 21 Jahre älteren Lehrer aus Sachsen. Sie starb 1971 89jährig in der Schweiz.[3]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.1.2. Bibliografie
Anna Wuhrmann schrieb mehrere Bücher und Aufsätze über Bamum und ihre Arbeit in der Mission:
Vier Jahre im Grasland von Kamerun (1917)
Mein Bamumvolk im Grasland von Kamerun (1925)
Lydia – ein Frauenleben im Grasland von Kamerun (1927)
Liebes und Leides in Kamerun – Erlebnisse im Missionsdienst (1931)
Fumban – die Stadt auf dem Schutte – Arbeit und Ernte im Missionsdienst in Kamerun (1948)
Njoya, der König von Bamum, in: Der Wanderer von Land zu Land (1949)
2.1.3. Zeitgenossinnen und mögliche Vorbilder
Bereits kurz nach Erfindung der Fotografie 1839 begannen Frauen sich in mehreren Ländern mit dem neuen Medium zu beschäftigen.
Emilie Bieber (1810-1884) eröffnete am 16. September 1852 ihr Fotoatelier in Hamburg[4] und Anita Augspurg (1857-1943) ihres 1898 in München.
Gertrude Käsebier (geb. 1852 in Des Moines, Iowa, gestorben 1934 in New York) eröffnete 1897 ein Porträtstudio in New York[5].
Imogen Cunningham (geb. 12.4.1883 in Portland, Oregon, gestorben 24. Juni 1976) schrieb 1913 einen Artikel über „Photographie als Frauenberuf“[6].
Julia Margaret Cameron (geb. 11. Juni 1815 in Kalkutta, gest. 26.1.1879 in Ceylon) war die Großmutter von Virginia Woolf und begann im Alter von fast 49 Jahren zu fotografieren, als sie von ihrer Tochter eine Fotoausrüstung geschenkt bekam. Sie war eine Pionierin der Porträtfotografie.[7]
2.1.4. Tradition der Fotografie in der Schweiz
Nach der Erfindung der Fotografie im Jahre 1839 durch Daguerre (die ihm von dem Schweizer Andreas Friedrich Gerber (1797-1872) streitig gemacht wurde[8] ), bekam die Fotografie in der Schweiz durch den St. Galler Maler Johann Baptist Isenring (1796-1860) große Bedeutung. Er organisierte mit seinen Aufnahmen von Stadtansichten, Gemäldereproduktionen und 38 Porträtaufnahmen vom 13. bis 27. August 1840 in seinem Atelier die erste öffentliche Photoausstellung der Welt.[9] Im Juli 1841 eröffnete er das erste photographische Atelier Deutschlands in München[10]. Eine der ersten Frauen, die sich mit der Fototechnik befasste, kam ebenfalls aus der Schweiz: Franziska Möllinger (1817-1880)[11]. Die Fotografie beschäftigte im ausgehenden 19. Jahrhundert bereits eine beträchtliche Anzahl von Personen in der Schweiz. Im „Volkswirtschafts-Lexikon“ von 1889 steht: „Es bestehen über 200 Geschäfte mit ca. 600 Arbeitern. Die eidg. Berufsstatistk vom 1. Dezember 1880 gibt die Zahl der Photographen und Retoucheurs auf 539 an“[12].
Im Bereich der Reisefotografie jener Zeit ist u.a. die aus einer Berner Patrizierfamilie stammende Cäcilie von Roth (1855-1929) zu erwähnen. Sie unternahm als Journalistin zahlreiche Reisen in alle fünf Erdteile und hielt ihre Erlebnisse unter anderem in „Reise einer Schweizerin im die Welt“ (1903) und „Aus Central- und Südamerika“ (1907) fest[13].
2.2. Kategorien
2.2.1. Ethnografische Fotografie
Ethnografische Fotografie entstand wie die anthropologische Fotografie im 19. Jahrhundert. Die anthropologische Forschung dokumentierte - ausgehend von der Theorie Charles Darwins - typische Formen der menschlichen Gestalt, um den naturgeschichtlichen Entwicklungsgang des Menschen darzustellen. „Den Anthropologen ging es (…) darum, die entpersönlichte Charakteristik, das Typische einer ganzen ethnischen Gruppe mit Hilfe der Fotografie in den Gesichtszügen eines Individuums herauszufinden.“[14] Im Stil von Polizeifotografien wurden Menschen von vorne, von der Seite, von hinten fotografiert um anhand von Vergleichen der Maße und typischen Merkmale sie einer bestimmten „Rasse“ zuordnen zu können.
Ethnografische Fotografie hingegen befasst sich im Wesentlichen mit folgenden Themen:
- Landschaftsaufnahmen
- Habitus der fremden Menschen, ihre Körperhaltung, Kleidung, Schmuck, Waffen
- Technologie im weitesten Sinn, d.h. alle Formen menschlicher Tätigkeit und Einwirkung auf die Natur und die sich daraus ergebenden Resultate
- Sitten und Gebräuche
- Kulturwandel.[15]
Im 19. Jahrhundert überwog die anthropologische Fotografie. Die ethnologische Forschung begann erst zum Ende des Jahrhunderts sich als wissenschaftliche Annäherung an fremde Kulturen durch die Methode der modernen Feldforschung zu entwickeln.[16] Das Verhältnis der Forscher zu dem „Anderen“ war in beiden Fällen von einer eindeutigen Subjekt-Objekt-Beziehung geprägt.
2.2.2. Missionsfotografie
In der Arbeit der Mission erfüllte die Fotografie mehrere Aufgaben. Zum einen sollten die Menschen, die man mittels der Religion an die „Zivilisation“ heranführen wollte, dargestellt werden. Des weiteren galt es, den Fortschritt der eigenen Missionstätigkeit zu dokumentieren. Aus diesem Grund wurden „Vorher-Nachher-Aufnahmen“ gemacht, in denen die Menschen „zunächst als „unerleuchtete Heiden“ und anschließend dann als wohlerzogene, zivilisierte Bürger“[17] abgebildet wurden. Die Fotografien wurden zur Illustration der Berichte über die Missionsarbeit benutzt. Regelmäßige Mitteilungsblätter sowie Postkarten dienten dazu, Spenden zu erbitten. Anders als Menschen auf den anthropologischen Fotografien, die als „Rassetypen“ beschrieben wurden, kategorisierte man sie hier im Hinblick auf ihr Verhältnis zum christlichen Glauben. Bildunterschriften wie „christliche Frauen“ machen dies deutlich.
2.2.3. Porträtfotografie
Die frühe Porträtfotografie stand zunächst ganz in der Tradition der Bildnismalerei[18]. Es deutete sich bereits an, dass das neue Medium eine Konkurrenz für die Porträtmaler zu werden drohte. Viele von ihnen benutzten die Fotografie jedoch um langwierige Sitzungen mit ihren Modellen im Atelier zu vermeiden. Sie fertigten mehrere Fotografien, die ihnen dann bei der Ausarbeitung des Porträts als Vorlage dienten. „Die Photographen übernahmen die Ästhetik ihrer Zeit und verstanden die Photographie lediglich als zusätzliches Mittel der visuellen Wahrnehmung der Realität und experimentierten mit diesem dritten Auge mit dem Ziel, die Malerei dadurch zu bereichern“.[19] Später übernahm die Fotografie jedoch die Funktionen mancher Porträtunterarten: die Ahnenporträts werden ersetzt durch das Familienalbum mit Fotos von aufeinanderfolgenden Generationen, die Porträts, die aus einem bestimmten wichtigen Anlass gemalt worden waren, werden durch die obligatorischen Hochzeitsfotos oder Fotografien, die andere wichtige Marksteine im Leben festhalten, ersetzt. Auch Gruppenporträts finden sich in abgewandelter Form als Klassenfoto oder Gruppenfoto von Sportvereinen wieder.[20]
Nach M. und S. Schmalriede lassen sich in der Porträtfotografie drei Aspekte verfolgen:
„Wie in den Porträts der Cameron kann das Individuelle, Unverwechselbare des Menschen, das sich unmittelbar in seinem Gesicht ausdrückt, im Mittelpunkt des Interesses stehen.
Als fast gegensätzliche Auffassung erscheinen bestimmte Porträts der „Kunstphotographen“, in denen das Bildnerische derart dominiert, dass das Individuum kaum identifizierbar in die Gestaltung des Bildes integriert ist. (…)
Wiederum andere Fotografen haben in ihren Porträts den Menschen auf einen bestimmten Typus reduziert. Das Persönliche des Fotografierten tritt in den Hintergrund. Stattdessen wird etwas Typisches erfasst, für das er Beispiel ist: gesellschaftliche Rolle, soziale Situation oder nationale Herkunft.“[21]
Die Kunstfotografie war um die Jahrhundertwende eine Reaktion auf die verflachte Qualität der Porträtfotografie, wie sie durch die Massenproduktion der mit Fotos versehenen Visitenkarten[22] entstanden war. Sie forderte „wieder die künstlerische Qualität der Gestaltung, die Wertschätzung des Porträtierten und die Kreativität des Bildproduzenten“[23]. Auch eine am Impressionismus orientierte Unschärfe, die durch besondere Linsen und spezielle Drucktechniken herbeigeführt wurde, kennzeichnet die Kunstphotografie ebenso wie das Fotografieren in natürlicher Umgebung und im Freien.
Ausgehend von Lavaters „Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe“ (1775-1778), in denen er einen Zusammenhang zwischen den unbekannten inneren Zuständen und dem äußeren Erscheinungsbild des Menschen behauptet[24], herrschte bis zur Entwicklung der Psychoanalyse die Auffassung in der bildenden Kunst, dass das Antlitz der Spiegel der Seele sei. Simmel beschreibt dies 1909 – allerdings bezogen auf die Porträtmalerei – folgendermaßen: „Dies ist das ganz tiefe Glück, das allein die Kunst schenken kann: zu fühlen, daß das reinste, geschlossenste, durchsichtigste Bild unserer Erscheinung, rein als Erscheinung und nach den Gesetzen ästhetischer Anschaulichkeit betrachtet, zugleich dasjenige ist, das die Seele hinter der Erscheinung am eindeutigsten und eindrucksvollsten darstellt.“[25]
3. Anna Wuhrmanns Sicht des „Anderen“
„Der „Andere“ („Other“ in der englischsprachigen Literatur) ist nach George Stockings Definition ein Fremder, dessen Ähnlichkeit oder Unterschiedlichkeit der Betrachter als problematisch empfindet“.[26]
Es ist das Verdienst Christraud Gearys, dass die Sichtweise Anna Wuhrmanns, die sich von der ihrer Zeitgenossen aus dem Bereich der Kolonialfotografie grundlegend unterscheidet, einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde. In ihrem 1988 veröffentlichten Buch „Images from Bamum“ widmet sie ihr einen Aufsatz, der über Leben und Arbeit Anna Wuhrmanns detailliert Auskunft gibt und die Bedeutung ihrer Fotografien hervorhebt[27].
In einem Aufsatz über Text und Kontext[28] schreibt sie: „Zu den außergewöhnlichen Photographen im Kameruner Grasland zählte die Missionslehrerin Anna Wuhrmann (…), die sich auf aus extremer Nähe aufgenommene Portraits spezialisierte. Ihre Portraits, die gelegentlich auf die anthropologischen Konventionen des Typenbildes zurückgreifen, wenn sie frontale, Halbprofil- und Profilansichten des Abgebildeten zeigen, sind vor allem durch den verschwimmenden Hintergrund und die entspannten, oftmals lachenden Gesichter der Portraitierten gekennzeichnet. Es entsteht der Eindruck großer Nähe zwischen Photograph und Photographierten, der durch Anna Wuhrmanns schriftliche Äußerungen bestätigt und noch verstärkt wird. Während meiner Aufenthalte in Bamum erfuhr ich, dass viele ihrer ehemaligen Schüler ihre Freundschaft und menschliche Wärme schätzten und dass Na (=Mutter) Wuhrmann, die Weiße, die die Bamum verstand, bis heute verehrt wird.“
Ich möchte – ausgehend von den Ausführungen Gearys – die Veröffentlichungen Anna Wuhrmanns und ihre Fotografien dahingehend untersuchen, wie ihre Sicht des „Anderen“ zu erklären ist und wie sie sie fotografisch umsetzt.
3.1. Veröffentlichungen
Anna Wuhrmann veröffentlichte ein Buch über ihre Erfahrungen in Kamerun bereits nach Beendigung ihres ersten Aufenthalts im Jahre 1917. Das nächste Buch erschien nach ihrem zweiten Aufenthalt im Jahre 1925. Mit ihren Schriften unterstützte sie die Missionsarbeit noch viele Jahre von Europa aus. Sie hielt auch weiterhin einen intensiven Kontakt zu ihrer Missionsgemeinde in Bamum. Dies wird deutlich aus ihrem 1948 veröffentlichten Buch Fumban – die Stadt auf dem Schutte – einer Sammlung ihrer Vorträge. Hier zitiert sie einen Brief vom 23. September 1933, in dem ihr ehemaliger Schüler Josua den Tod König Njoyas mitteilt[29] und aus einem Brief ihres Schülers Philippo vom 27. Dezember 1947, in dem dieser ihr über seine Arbeit als Missionar berichtet[30]. Die Bücher richteten sich an Menschen, die sich für die Arbeit in der Mission interessierten oder die mit ihr bekannt gemacht werden sollten, und wurden von Missionsverlagen publiziert (z.B. Evangelischer Missionsverlag GmbH, Stuttgart und Basel). Sie sind eine hervorragende Quelle, um von der Situation im Bamum der damaligen Zeit einen lebendigen Eindruck zu bekommen und um über Anna Wuhrmann und das Leben in der Mission etwas zu erfahren.
3.1.1. Verhältnis zur Missionsgemeinde
Die Aufgabe von Anna Wuhrmann bei der Baseler Mission war es, die Mädchenschule zu leiten und Erwachsene (vor allem Frauen) zu missionieren. Gleichzeitig betätigte sie sich als Ethnografin. In ihren Büchern gibt sie detaillierte Beschreibungen der Lebensverhältnisse der Bamum: Kindesleben, Eheschließung, Tageslauf, Tracht und Schmuck, Hausbau usw. Sie schreibt über die Bamum: „Die Bamumleute sind ein sehr schöner Menschenschlag. „Mum“ heißt lebendig, „mum mum“ der lebendige Mensch und „Ba“ ist nur die Mehrzahl von mum und so heißt Bamum also: „die Lebendigen“.[31]
[...]
[1] Rein-Wuhrmann, A. (1931), S. 132
[2] Honnef, K. (1982), S. 62
[3] vgl. Geary, Christraud M. (1988)
[4] Kempe, F.(1982), S. 26
[5] Gretter, S. u. Pusch, Luise F. (1999), S. 66
[6] a.a.O., S. 77
[7] vgl. Gretter, S. u. Pusch, Luise.F.(1999), S. 56
[8] vgl. Tillmanns, U.(1992), S. 20
[9] a.a.O., S. 21
[10] Kempe, F. (1982), S. 26
[11] Tillmanns, U., 26
[12] a.a.O., S. 51, 52
[13] Hürlimann, A.(1992), S. 109
[14] Theye, Th. (1984), S. 92
[15] ebd.
[16] a.a.O., S. 113
[17] Geary Ch., zit. nach Theye, Th. (1984), S. 111
[18] „Bildnis: Nach der Art der Darstellung, der Zahl der Porträtierten und dem Bildgehalt unterscheidet man Kopf-, Brust- und Hüftbilder, Büsten, Halbfiguren und Kniestücke, Profil- und En-face-Bilder, Stand- und Reiterbilder, Einzel-, Doppel- oder Gruppenbildnisse, Herrscher-, Gelehrten- oder Selbstporträts, bzw. Familien- oder Gesellschaftsbildnisse“ (Bilzer, B. u.a.(1987), S. 405)
[19] Scheps, M., (1996), S. 5
[20] vgl. Krueger,I.(1982), S. 18
[21] Schmalriede, M. u. S. (1988), S. 14
[22] 1854 ließ André Adolphe Eugène Disdéri in Paris die Carte-de-visite patentieren
[23] Huber, J. (1992), S. 56
[24] Schmalriede, M. u. S. (1988), S. 5ff.
[25] Simmel, G., S. 417
[26] Geary, Christraud M. (1990), S. 426
[27] Geary, Christraud M. (1988)
[28] Geary, Christraud M. (1990), S. 429
[29] Rein-Wuhrmann, A. (1948), S. 164
[30] a.a.O., S. 189
[31] a.a.O., S.12
- Citation du texte
- Andrea Baumgartner-Makemba (Auteur), 2001, "Der König und ich", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94490
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