Diese soziologische Hausarbeit stellt das Konzept der Resilienz, also der menschlichen Widerstandsfähigkeit gegenüber Widrigkeiten, vor. Der Schwerpunkt wird hierbei auf die Fähigkeit zur Resilienz bei Kindern gelegt. Es werden der Sinn und praktische Nutzen des Konzeptes diskutiert. Die Pionierstudie von Emmy E. Werner et al. wird in einem eigenen Kapitel vorgestellt. Die Arten von Faktoren, welche die Fähigkeit "Resilienz" bestimmen, werden ausführlich analysiert.
Als Basis der Arbeit dient eine breit gefächerte Anzahl wissenschaftlicher Quellen aus den Gebieten der soziologischen Sozialisationsforschung, Psychologie, Pädagogik und der systemischen Therapie. Die Auseinandersetzung mit amerikanischen Resilienzforschern stellt den Bezug zur Psychologie her, aus welcher das Konzept stammt. Der Schlussteil gibt nochmals einen Ausblick auf die Anwendungsgebiete diese Resilienzkonzepts.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Was ist „Resilienz” ?
1.1 Die Wortbedeutung
1.2 Voraussetzungen und Entwicklung in der Forschung
1.3 Entstehung des Begriffes „Resilienz“
1.4 Definitionsmöglichkeiten
1.5 Resilienz als Eigenschaft?
1.6 Der Erwerb von Resilienz
2. Die „Kauai Longitudinal Study"
2.1 Aufbau und Ergebnisse
2.2 Die Besonderheiten dieser Studie
2.3 Förderliche Faktoren
2.4 Abschließende Bemerkungen
3. Einflussfaktoren
3.1 Ressourcen
3.2 Schutzfaktoren
3.3 Risikofaktoren
4. Der Nutzen des Resilienzkonzepts
5. Resümee
Literaturverzeichnis
Einleitung
Im Rahmen des Seminars „Strukturen sozialisatorischer Interaktion” wurde diskutiert, was Sozialisation ist und nach welchen Mustern sie von statten geht. Hurrelmann beschreibt Sozialisation als einen Prozess, in welchem sich das Individuum wechselseitig mit sich selbst und seiner Umwelt auseinandersetzt und so seine eigene Persönlichkeit entwickelt.[1]
Die Familie ist die Umgebung, in welcher die Sozialisation beginnt. Für viele Jahre bleibt die Familie auch die Umwelt, welchen den entscheidenden Einfluss auf den Entwicklungslauf des Kindes ausübt. Familie lässt sich begreifen, um es mit Hildenbrand auszudrücken, als „System sozialisatorischer Interaktionen”[2]. Man weiß um die Folgen, wenn dieses System nicht idealtypisch funktioniert. Ist eine Familie mit Dingen konfrontiert wie beispielsweise dem Fehlen eines Elternteiles, Krankheit, Todesfällen, Arbeitslosigkeit und ähnlichem spricht man von Risiken für eine gelingende Sozialisation. Das Negative rückt in den Fokus und dabei scheint vergessen zu werden, dass Probleme nicht zwingend schlechte Auswirkungen mit sich bringen. Es gibt durchaus Kinder, welche zwar unter problembehafteten Bedingungen aufwachsen, aber deren Entwicklung davon unbeschadet bleibt. Solche Kinder werden als „resilient” bezeichnet.
Im folgenden soll geklärt werden, welches Konzept sich hinter diesem Adjektiv verbirgt.
Zunächst sei darauf hingewiesen, dass das Adjektiv „resilient” im englischen Sprachraum angesiedelt ist, wo es sich wiederum vom lateinischen Wort „resilire” ableitet, was man über-setzten kann mit „zurückspringen” oder „abprallen”.[3] „Resilient” meint die Eigenschaft eines Materials elastisch, belastbar, federn et cetera zu sein. Man übertrug dieses Wort auf den Menschen, um damit einen Begriff zu schaffen für die weiter oben bereits beschriebene Beobachtung, dass es Menschen gibt, denen Risken nichts anhaben können.
Der Fokus dieser Hausarbeit wird sich vor allem auf Resilienz bei Kindern richten, da bei ihnen eine besondere Empfindlichkeit gegenüber widrigen Lebensumständen besteht.
Im Folgenden wird es zu einer kritischen Betrachtung der verschiedenen Definitionsansätze und den damit verbundenen Konzeptionen von Resilienz kommen.
Um sich dem Konzept beispielhaft nähern zu können wird die so genannte „Kauai Längsschnittstudie” von Emmy E. Werner vorgestellt, in welcher die Entwicklungsverläufe einer Geburtskohorte untersucht wurden.
Ein weiterer Gegenstand sind die so genannten Risiko- und Schutzfaktoren, welche in Verbindung mit dem Resilienzbegriff gebraucht werden.
Weiterführend wird der Nutzen dieses Konzepts hinterfragt.
Abschließend soll geprüft werden, ob der gewählte Begriff, also die metaphorische Benutzung einer Materialeigenschaft für den Menschen, sinnvoll erscheint.
1. Was ist „Resilienz” ?
1.1 Die Wortbedeutung
Beim dem Versuch das Wort „Resilienz” beziehungsweise „resilient” in einem Nachschlagewerk oder Vokabularium zu finden, wird man nur mit etwas Glück fündig. So sucht man vergebens im „Lexikon der Soziologie” danach.[4] Englische Wörterbücher übersetzten „resilient” meist nur im Sinne von Materialeigenschaften wie „elastisch” oder es wird übertragen als „unverwüstlich”.[5] Etwas weiter hilft uns folgende Erläuterung aus einem einsprachigem Nachschlagewerk: „strong enough to deal with illness, a shock, change”.[6]
All diese vagen Beschreibungen lassen vermuten, dass sich hinter diesem Wort eine auf den Menschen übertragbare Eigenschaft verbergen könnte.
Das wissenschaftliche Verständnis von „Resilienz” findet sich nur in der Fachliteratur. Doch auch dort herrscht kein Konsens. Eine allgemein gültige Definition existiert nicht. Um die verschiedenen Definitionen von Resilienz kritisch betrachten zu können, muss man sich zunächst darüber im klaren sein, warum es eben eine Vielzahl derer gibt, anstelle einer einzigen. Ein Grund dafür liegt in der disziplinübergreifenden Beschäftigung mit diesem Konzept. Psychologen, Mediziner, Soziologen und Pädagogen setzen sich damit auseinander. Diese untersuchen dieses Phänomen unter den unterschiedlichsten Aspekten.
1.2 Voraussetzungen und Entwicklung in der Forschung
Die Resilienzforschung begann sich innerhalb der Psychologie zu entwickeln. Zunächst lässt sich festhalten, dass bis etwa Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts die psychologische Forschung „[…] ihre Aufmerksamkeit fast ausschließlich den negativen Effekten biologischer und psychosozialer Risikofaktoren gewidmet […]“ hat.[7] Man untersuchte also meist nur die Fälle, wo die Entwicklung von Kindern nicht gut verlaufen war. Eine solche Forschungspraxis legt den Schluss nahe, dass Risken stets von Nachteil für die Betroffenen sind.[8]
Es war ein langer Weg, bis sich dies änderte. Zunächst erforderte es Forscher, die ihre Aufmerksamkeit auf jene Kinder richteten, welche - entgegen der verbreiteten Annahme- unbeschadet blieben, obwohl Widrigkeiten in ihrem Umfeld vorhanden waren.
Einen Beitrag zu diesem Perspektivenwechsel leistete auch der israelitische Soziologe Aaron Antonovsky mit seinem Konzept der Salutogenese. Dieses entwarf er in den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts. Es steht im Gegensatz zur pathogenetischen Sicht, welche auf Defizite und Krankheiten ausgerichtet ist. Antonovsky ging es darum herauszufinden, welche Faktoren und Ressourcen einen Menschen gesund erhalten.[9] Das Konzept der Salutogenese ist von daher verwandt mit dem Konzept der Resilienz. Deshalb sieht man in Antonovsky einen Wegbereiter für die soziologische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Resilienz.[10]
An dieser Stelle sei schon verwiesen auf eine die für die Erforschung von Resilienz wichtige Studie. Gemeint ist die „Kauai Longitudinal Study“, welche die amerikanische Psychologin Emmy E. Werner mit einem Team von Forschern verschiedener Fachrichtungen über einen Zeitraum von dreißig Jahren durchführte. Eine Kohorte von Kinder eines bestimmten Territoriums wurde von Geburt an beobachtet. Diese Studie war 1955 begonnen worden. Zu diesem Zeitpunkt existierte der Begriff der Resilienz in dem hier gemeinten Sinne noch nicht, wohl aber konnte Werner später unter den beobachteten Kindern solche ausmachen, welche sich als resilient erwiesen.[11]
1.3 Entstehung des Begriffes „Resilienz“
Die Ursprünge der Entstehung des Rezilienzbegriffes finden sich im entwicklungs-psychologischen Bereich. Dort formulierte 1974 der Kinderpsychiater James Anthony das Konzept des so genannten „psychologisch unverwundbaren Kindes“. Solche Kindern waren Widrigkeiten und psychologischem Stress ausgesetzt und trotzdem in der Lage sich gut zu entwickeln.[12]
Einen wichtigen Beitrag leistete auch der Psychologe Norman Garmzey. Dieser hatte sich Anfang der siebziger Jahres des zwanzigsten Jahrhunderts mit dem Phänomens „Stress” beschäftigt und dabei die Begriffe der „Stressresistenz” und „Kompetenz trotz Schwierigkeiten” geprägt. Durch ihn angeregt konnte die oben beschriebene Ausrichtung der Forschung auf Individuen, die erfolgreich aus schwierigen Umständen hervorgingen, aktiviert werden. Derartige Personen verfügten ihm nach über Kompetenz. Damit sind wir eigentlich schon beim Begriff der Resilienz, denn dieser neue Begriff trat später an die Stelle von „Kompetenz“.[13]
Man kann festhalten, dass „Stressresistenz” synonym zu „Resilienz” ist. Gleichsam werden dafür auch die Begriffe „psychische Robustheit” bzw. „psychische Elastizität” verwendet.[14] Resilienz wird ebenso als „Widerstandkraft”[15] oder „Unverwundbarkeit”[16] angeführt. Letztes Synonym knüpft an Anthony an, welcher wie bereits erwähnt vom unverwundbaren Kind sprach.
1.4 Definitionsmöglichkeiten
Eine recht allgemeine Definition von Resilienz findet sich bei Ingrid Schoon. Sie definiert -in Anlehnung an andere Wissenschaftler[17] - Resilienz generell als einen dynamischen Prozess, in welchem Individuen Anpassung angesichts von bedeutsamen Widrigkeiten gelingt. Daraus folgt, dass Resilienz ein zwei-dimensionales Konstrukt ist, weil es an zwei Bedingungen gebunden ist. Sie selbst sieht Resilienz als eine menschliche Leistungsfähigkeit.[18]
[...]
[1] Vgl. Klaus Hurrelmann (2002): Einführung in die Sozialisationstheorie. 3. Aufl., Weinheim/ Basel: Beltz , S. 7, 15-16.
[2] Bruno Hildenbrand (2003): Familie als Ort sozialisatorischer Interaktion -Plädoyer für einen offenen Familienbegriff. In: Erwägen, Wissen, Ethik, 14/ 3, S.520.
[3] Joseph M. Stowasser et al. (1979): Stowasser: lateinisch-deutsches Schulwörterbuch. Aufl. 1998, München: Oldenbourg, S. 442.
[4] Werner Fuchs-Heinritz et al. (Hrsg., 1995): Lexikon zur Soziologie.3. Auflage, Opladen: Westdeutscher Verlag.
[5] Veronika Schnorr et al. (1998): PONS Praxiswörterbuch Englisch plus mit Sprachführer. Stuttgart/ Düsseldorf/ Leipzig: Ernst Klett, S. 211.
[6] Miranda Steel (2002): Oxford wordpower dictionary. Oxford: Oxford University Press, S. 559.
[7] Emmy E. Werner (2006): Wenn Menschen trotz widriger Umstände gedeihen -und was man daraus lernen kann. In: Bruno Hildenbrand/ Rosmarie Welter-Enderlin: Resilienz - Gedeihen trotz widriger Umstände. Heidelberg: Carl-Auer, S. 28.
[8] Vgl. Ebd.
[9] Vgl. Ingrid Schoon (2006): Risk and Resilience. Adaptations in changing times. Cambridge: Cambridge University Press, S. 7.
[10] Vgl. Pauline Boss (2006): Resilienz und Gesundheit. In: Bruno Hildenbrand (Hrsg.): Erhalten und Verändern. Rosmarie Welter-Enderlins Beitrag zur Entwicklung der systemischen Therapie und Beratung. Heidelberg: Carl-Auer, S. 68.
[11] Emmy E. Werner (2007): Entwicklung zwischen Risiko und Resilienz. In: Günther Opp/ Michael Fingerle (Hrsg.): Was Kinder stärkt: Erziehung zwischen Risiko und Resilienz. 2., völlig neu bearb. Aufl., München u.a. : Reinhardt, S. 21.
[12] Vgl. Emmy E. Werner/ Ruth S. Smith (1992): Overcoming the odds: High riss children from birth to adulthood. Ithaca, NY: Cornell University Press, S. 4.
[13] Vgl. Boss (2006), S. 65-66; (Norman Garmezy (1978): Attentional processes in adelt schizophrenia and in children at risk. Journal of Psychiatic Research 14/ 1-4, S. 3-34. ; Ann S. Masten (2001): Ordinary magic: Resilience Prozesses in development. American Psychologist 56/3, S. 227-238. Zitiert nach: Boss (2006) )
[14] Vgl. Corinna Wurstmann (2006): Das Konzept der Resilienz und seine Bedeutung für das pädagogische Handeln. In: Irina Bohn (Hrsg.): Dokumentation der Fachtagung “Resilienz - Was Kinder aus armen Familien stark macht” am 13. September 2005 in Frankfurt am Main. ISS-Aktuell 2006/ 2, S. 6.
[15] Werner (2007), S. 20.
[16] Boss (2006), S. 62.
[17] Suniya S. Luthar et al. (2000): The construct of resilience: A critical evaluation and guidelines for future work. In: Child Development 71, S. 543-562. ; Ann S. Masten (1994): Resilience in individual development: Successful adaptation despite risk and adversity. In: Margaret C. Wang/ Edmund W. Gordon (Hrsg.): Educational resilience in inner-city America: Challenges and prospects. Hillsdale, NY: L. Erlbaum Associates, S. 3-25. ; Michael Rutter (1990): Psychosocial resilience and protective mechanisms. In: Jon Rolf et al. (Hrsg.): Risk and protective Faktors in the development of psychopathology. New York: Cambridge University Press, S. 181-214. Zitiert nach: Schoon (2006)
[18] Vgl. Schoon (2006), S. 1-6.
- Citation du texte
- Franziska Loth (Auteur), 2008, Dem Leben widerstehen. Das Konzept der Resilienz, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94474
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