Der 1921 gegründete Verband nationaldeutscher Juden (VnJ) mutet aus heutiger Sicht leicht wie ein Kuriosum deutsch-jüdischer Geschichte an. Die Art und Weise, wie der kleine Verband sich mit dem Antisemitismus der deutschen Rechten auseinandersetzte, erscheint aus unserer Sicht irritierend, mit Blickwinkel auf die Shoa fast makaber. Unter anderem daher wurde der VnJ in der Forschung auch lange Zeit kaum beachtet, und erhielt, falls er doch berücksichtigt wurde, fast durchweg negative Beurteilungen, wie Matthias Hambrock in seiner umfassenden Studie zum VnJ darlegt.
Doch welche Ideologie stand hinter dieser Splittergruppe des deutschen Judentums? Es muss festgestellt werden, dass sich das Handeln des Verbandes keinesfalls in Opportunismus erschöpfte. Sich bei überzeugten Antisemiten anzubiedern war nicht das Ziel des Verbandes; vielmehr teilten die Verbandsmitglieder z.T. ‚Wissen’ über die Beschaffenheit der Welt mit Teilen der Rechten: so z. B. wenn Max Naumann eine Häufung unangenehmer Eigenschaften in jüdischen Kreisen (freilich nur in bestimmten jüdischen Kreisen) eingesteht – auch wenn er diesen Sachverhalt dann anders begründet als die deutsche Rechte. Auch richtet sich die Ablehnung des Verbandes nicht nur gegen innerjüdische Gegner, und der Kampf gegen die radikale Linke spielte in den Veröffentlichungen des VnJ nahezu überhaupt keine Rolle. Der zumindest anfangs heftig angegriffene Feind stand rechts, dort gab es „geisteskranke Fanatiker“ und „Biertisch-Philister“, die zu bekehren keinen Sinn gemacht hätte. Ein Unterschied zu den Ansichten anderer jüdischer Verbände bestand allerdings in dem Glauben, viele Antisemiten würden eben nicht dieser Schicht der ‚Geschäftsantisemiten’ angehören, sondern seien durch Aufklärungsarbeit für die nationaldeutschen Juden zu gewinnen – auch auf Kosten von Zionisten und Ostjuden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der VnJ und die deutsche Politik
2.1 Der VnJ und die Weimarer Parteienlandschaft
2.2 Der VnJ – ein rechtsextremer Verband?
3. Nationaldeutsche und andere Juden
3.1 Die drei Wege des deutschen Judentums
3.2 Der VnJ und die Ostjuden
4. Abschlussbetrachtung
5. Abkürzungsverzeichnis
6. Literaturverzeichnis
6.1 Quellen
6.2 Sekundärliteratur
1. Einleitung
Der 1921 gegründete Verband nationaldeutscher Juden (VnJ) mutet aus heutiger Sicht leicht wie ein Kuriosum deutsch-jüdischer Geschichte an. Die Art und Weise, wie der kleine Verband sich mit dem Antisemitismus der deutschen Rechten auseinandersetzte, erscheint aus unserer Sicht irritierend, mit Blickwinkel auf die Shoa fast makaber. Unter anderem daher wurde der VnJ in der Forschung auch lange Zeit kaum beachtet, und erhielt, falls er doch berücksichtigt wurde, fast durchweg negative Beurteilungen, wie Matthias Hambrock in seiner umfassenden Studie zum VnJ darlegt.[1]
Doch welche Ideologie stand hinter dieser Splittergruppe des deutschen Judentums? Es muss festgestellt werden, dass sich das Handeln des Verbandes keinesfalls in Opportunismus erschöpfte. Sich bei überzeugten Antisemiten anzubiedern war nicht das Ziel des Verbandes; vielmehr teilten die Verbandsmitglieder z.T. ‚Wissen’ über die Beschaffenheit der Welt mit Teilen der Rechten: so z.B. wenn Max Naumann eine Häufung unangenehmer Eigenschaften in jüdischen Kreisen (freilich nur in bestimmten jüdischen Kreisen) eingesteht – auch wenn er diesen Sachverhalt dann anders begründet als die deutsche Rechte.[2] Auch richtet sich die Ablehnung des Verbandes nicht nur gegen innerjüdische Gegner, und der Kampf gegen die radikale Linke spielte in den Veröffentlichungen des VnJ nahezu überhaupt keine Rolle. Der zumindest anfangs heftig angegriffene Feind stand rechts, dort gab es „geisteskranke Fanatiker“ und „Biertisch-Philister“, die zu bekehren keinen Sinn gemacht hätte.[3] Ein Unterschied zu den Ansichten anderer jüdischer Verbände bestand allerdings in dem Glauben, viele Antisemiten würden eben nicht dieser Schicht der ‚Geschäftsantisemiten’ angehören, sondern seien durch Aufklärungsarbeit für die nationaldeutschen Juden zu gewinnen – auch auf Kosten von Zionisten und Ostjuden.[4] Diese Bereitschaft die jüdische ‚Einheitsfront’ zu opfern war es, die, gekoppelt mit der Ansicht, die Juden müssten weiter an sich arbeiten, den VnJ zur Kronzeugenrolle für die völkischen Antisemiten prädestinierte.
Doch nicht allein die Haltung des Verbandes zur politischen Rechten machte ihn zu einer höchst ambivalenten Erscheinung innerhalb der Gemeinschaft der deutschen Juden. Es war auch die Persönlichkeit ihres Gründers und aktivsten Publizisten, Max Naumann, der mit seinem aggressiven Auftreten für viel Unverständnis und Ablehnung sorgte und sogar potentiell den Zielen des VnJ nahestehende Personen abschreckte.[5] Naumann fungierte gewissermaßen als Chefideologe des Verbandes, und seine Artikel dominierten das Verbandsorgan sehr stark. Der Verband wurde dementsprechend von den Zeitgenossen als eine Art Naumann-Lobby gesehen.[6] Somit ergibt sich bei der Untersuchung der Verbandsideologie das Problem, eine ‚Meinung’ des Verbandes zu rekonstruieren, der mit immerhin etwa 3500-4000 Mitgliedern nicht nur als ein ‚Privatunternehmen’ Naumanns gesehen werden kann.[7]
Ziel dieser Arbeit soll es nun sein, die Positionierung des Verbandes innerhalb der gesamtdeutschen Politik ebenso wie innerhalb der deutsch-jüdischen Gemeinschaft zu skizzieren, und dabei ideologische Berührungspunkte oder Gegensätze zu anderen Verbänden oder Bewegungen herauszuarbeiten. Der untersuchte Zeitraum beschränkt sich hierbei auf die Zeit der Weimarer Republik, also auf denjenigen Zeitraum, in dem Verband noch eine eigenständige Positionierung in der Gesellschaft möglich war. Dabei wird auch der Frage nachzugehen sein, inwiefern der VnJ ein deutscher und inwiefern er ein jüdischer Verband war. Zunächst soll dabei auf die Haltung zur gesamtdeutschen Gesellschaft eingegangen werden – an Hand der politischen Selbstverortung innerhalb der Parteienlandschaft von Weimar.
2. Der VnJ und die deutsche Politik
2.1 Der VnJ und die Weimarer Parteienlandschaft
Der VnJ stellte sich offiziell nicht als Exponent einer bestimmten Partei, sondern als überparteilicher Verband dar, was die Verbandsmitglieder zu betonen nicht müde wurden. Nicht wählbar erschienen dem VnJ auf der einen Seite die Deutsch-Völkischen „Hakenkreuzritter“[8] am äußerst rechten Spektrum der Weimarer Parteienlandschaft, die durch ihren programmatisch zentralen Antisemitismus für keinen noch so national gesinnten Juden eine Option bieten konnten. Auf der anderen Seite war es dem Verband auch selbstverständlich, „daß er [der nationaldeutsche Jude, A.W.] nicht moskowitisch wählt“.[9] Vertreter aller anderen Parteien waren als VnJ-Mitglieder denkbar.
Dies scheint sich zu bestätigen, wenn man die auf der Titelseite abgedruckten Politiker-Nachrufe betrachtet. Neben einem Nachruf auf Gustav Stresemann[10] wurde dem der SPD angehörenden Reichspräsidenten Friedrich Ebert nach seinem Tod eine Titelseite gewidmet.[11] In dem von Naumann geschriebenen Artikel werden ausdrücklich Eberts tadellose Amtsausübung gelobt und diejenigen gerügt, die selbst „an offenen Gräbern den Parteimann über dem Volksgenossen“ zu vergessen nicht in der Lage waren:
Man mag zu dem Parteimann Friedrich Ebert stehen, wie man will, der Präsident des Deutschen Reiches hätte verdient, daß auch innerpolitische Gegner seiner Bahre die Ehren erwiesen, deren Versagung wir von jedem Ausländer als Schlag in’s Gesicht empfunden hätten (Max Naumann, Zum Tode des Reichspräsidenten, S. 1)
Auch ansonsten wird der Sozialdemokratie im Presseorgan des Verbandes einige Aufmerksamkeit gewidmet. So widmet sich im Jahr 1922 eine Beilage des Mitteilungsblattes dem Thema „Die Sozialdemokratie und der Verband nationaldeutscher Juden“, in der unter anderen der dem Verband nahestehende jüdischstämmige Sozialist Erich Köhrer die Vereinbarkeit von Patriotismus und Sozialdemokratie aufzuzeigen versuchte und dazu aufforderte, linksstehende Juden zum Eintritt in den Verband zu ermuntern.[12] Einzugestehen ist andererseits, dass diese Beilage vermutlich eine Reaktion auf kritische Stellungnahmen in der sozialdemokratischen Presse darstellte – denn die SPD verhielt sich insgesamt ausgesprochen kritisch gegenüber dem Verband, dem vorgeworfen wurde, ein „jüdisches Hilfsbataillon der Deutschnationalen“ zu sein.[13] Lediglich am rechten Rand der Sozialdemokratie gab es Ausnahmen, wie den bereits erwähnten Köhrer.
Nur wenig Raum widmeten die Verbandspublikationen der Partei, die das Vertrauen des größten Teils der deutschen Judenschaft genoss: der linksliberalen DDP.[14] Dem der DDP angehörenden Walther Rathenau wurde ein Nachruf gewidmet, in dem er als Beispiel für die gelungene Synthese von Deutschtum und Judentum bezeichnet wurde und für dessen Ermordung auch nach VnJ-Ansicht „verblendeter Fanatismus“ verantwortlich gewesen sei.[15] Für die Haltung des Verbandes zur DDP insgesamt ist dieser Sachverhalt indes wenig aufschlussreich – die Parteizugehörigkeit des ermordeten Außenministers wird nicht erwähnt, von Bedeutung ist hier lediglich Rathenaus Vorbildfunktion in seiner Verbindung von Deutschtum und Judentum. Die geringe Aufmerksamkeit, die der Partei im übrigen in der Verbandspresse entgegengebracht wurde, spricht dafür, dass die DDP für den VnJ lediglich eine mögliche wählbare Partei war, die hier weit weniger Zuspruch erhielt als z.B. im Centralverein. Umgekehrt hatte der Verband in den Reihen der DDP zumindest einige Sympathisanten, trotz deutlicher Vorbehalte der linksliberalen Presse.[16]
Weitgehend unbeachtet blieben auch die katholischen Parteien, das Zentrum und die BVP. Beiden wurde in den Publikationen des VnJ - im positiven wie im negativen – kaum Aufmerksamkeit zuteil.
Anders sah dies bei der gemäßigt rechten DVP aus, zu der dem Verband eine gewisse Affinität zuzusprechen ist. Zum einen äußerte sich diese darin, dass u.a. Max Naumann in der DVP nahestehenden Zeitungen wie der Kölnischen Zeitung publizierten. Zum anderen waren der Gründer selbst und zahlreiche andere Verbandsmitglieder Mitglieder der DVP.[17] Dem Gründer schwebte gar ursprünglich eine an die DVP angelehnte Organisation vor, das politisch neutrale Modell stellte gewissermaßen eine Notlösung dar. Als Plädoyer für diese Partei kann man es auch verstehen, dass das Verbandsorgan zu den Reichstagswahlen 1924 die Parole ausgab:
Jeder nationaldeutsche Jude wähle die Partei, die ihm als Deutschem am nächsten steht. Mag Eure Partei rechts oder links von der Mitte stehen, wählt sie, wenn Ihr, daß sie dem deutschen Vaterlande am besten dient, gleichviel ihr der eine oder andere „Antisemit“ angehört. Aber keiner, der ein Deutscher sein will, wähle eine Partei, deren Politik ihm „eigentlich“ nicht zusagt, nur deshalb, weil er meint, als Jude in ihr am besten aufgehoben zu sein. (Der Vorstand des VnJ, Ein Wort zu den Reichstagswahlen, in: Mitteilungsblatt des Verbandes nationaldeutscher Juden e.V. Jg. 3, Sondernummer 1A (April 1924), S. 2.)
Diese scheinbar neutrale Formulierung wird dann in ein anderes Licht gerückt, wenn man den Diskurs um die Wählbarkeit der DVP innerhalb des Centralvereins berücksichtigt, für den sie zwar als Partei galt, in welcher der Antisemitismus nicht programmatisch verankert war, deren gelegentliche antisemitische Ausfälle auf kommunaler Ebene jedoch kritisch beäugt wurden.[18]
Es ist also sicherlich nicht übertrieben, ein Überwiegen der gemäßigten Rechten in dem Verband festzustellen. Hierbei gilt es jedoch folgendes zu beachten:
1. Trotz ihrer anfangs monarchistischen Ausrichtung und Makeln wie der Unterstützung des Kapp-Putsches 1920 war die DVP doch über weite Strecken der Weimarer Zeit eine der Parteien, welche die parlamentarische Demokratie mittrugen. Meiner Ansicht nach kann sie bis zum Rechtsruck nach dem Tode Stresemanns durchaus überwiegend als eine Partei von ‚Vernunftrepublikanern’ angesehen werden.[19] Auch brachte sie mit eben diesem Stresemann schon nach Ansicht der Zeitgenossen einen echten Staatsmann hervor, der einen Wandel vom Monarchisten über den Vernunftrepublikaner zum überzeugten Republikaner durchmachte.[20] Gewisse antisemitische Tendenzen in der Partei sind allerdings nicht zu leugnen – die vom VnJ zwar bemerkt, aber nur leise kritisiert wurden.[21]
[...]
[1] Matthias Hambrock, Die Etablierung der Außenseiter. Der Verband nationaldeutscher Juden 1921-1935, Köln/Weimar/Wien 2003, S. 2f.
[2] Vgl. Max Naumann, Vom nationaldeutschen Juden, Berlin 1920, S. 12ff.
[3] Ebd., S. 17.
[4] Siehe z. B. Samuel Breslauer; Max Naumann, Ludendorff und die Juden, in: MVnJ. Jg. 3, Sondernummer 1A (April 1924), S. 2; der Vorwurf ist, dass Ludendorff alle Juden über einen Kamm schere; eine generelle Akzeptanz gegenüber allen Juden wird gar nicht verlangt.
[5] Matthias Hambrock, Etablierung der Außenseiter, S. 170.
[6] Ebd., S. 169.
[7] Zur Mitgliederzahl ebd., S. 100ff; Carl J. Rheins, The Verband nationaldeutscher Juden 1921-1933, in: Leo Baeck Institute Year Book 25 (1980), S. 243-268, hier S. 246 (Fußnote 24).
[8] Max Naumann, Vom nationaldeutschen Juden, S. 7.
[9] Der Vorstand des Verbandes nationaldeutscher Juden, Zum deutschen Wahltag, in: MVnJ Jg. 3, Nr. 5 (November 1924), S. 1.
[10] Anonym, Ein Deutscher, in: DNJ Jg. 9, Nr. 11 (November 1929), S. 1.
[11] Max Naumann, Zum Tode des Reichspräsidenten, in: DNJ Jg. 4, Nr. 3 (März 1925), S. 1.
[12] Erich Köhrer, Sozialdemokrat und Nationaldeutscher, in: MVnJ Jg. 2, Nr. 2 (Februar 1922), 1. Beilage: Die Sozialdemokratie und der Verband nationaldeutscher Juden S. [1]-[2].
[13] Zitiert in Matthias Hambrock, Etablierung der Außenseiter S. 348.
[14] Zur Affinität v. a. des CV zur DDP vgl. Martin Liepach, Das Wahlverhalten der jüdischen Bevölkerung. Zur politischen Orientierung der Juden in der Weimarer Republik (Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo-Baeck-Instituts; 53), Tübingen 1996, S. 119ff.
[15] Samuel Breslauer, Walther Rathenau, in: MVnJ Jg. 2, Nr. 6 (Juli/August 1922), S. 1-3.
[16] Matthias Hambrock, Etablierung der Außenseiter, S. 343f.
[17] Ebd., S. 338.
[18] Martin Liepach, Wahlverhalten, S. 114ff.
[19] Für den Begriff des ‘Vernunftrepublikaners’ siehe Peter Gay, Die Republik der Außenseiter, Frankfurt am Main 1987, S. 44ff.
[20] So das Urteil von Peter Gay, ebd. S. 47ff.
[21] Matthias Hambrock, Etablierung der Außenseiter, S. 343.
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