Die Erzählung Zonenkinder von Jana Hensel beschreibt das Leben einer Generation, die von einem auf den anderen Tag aus ihrer DDR-Vergangenheit entwurzelt wurde und plötzlich in der Schwebe zwischen Ost und West steht. Aus der Sicht Jana Hensels, die selbst ein Bestandteil dieser Generation ist, wird der Versuch angestellt die ostdeutsche Identität ihrer Generation im neuen Gesamtdeutschland zu finden, denn das alte Land und die Vergangenheit existierten lediglich noch in den Erinnerungen dieser Generation, dessen Mitglieder sich Zonenkinder nennen. Jana Hensel beschreibt die Geschehnisse zwar aus ihrer subjektiven Perspektive, aber dennoch relativiert sie dieses durch eine Kollektivierung der Geschehnisse im Sinne der dritten Person Singular „Wir“, da diese für die gesamte Generation gültig sind.
Gegenstand dieser Hausarbeit soll die Untersuchung der durch die Entwurzelung der Zonenkinder aus ihrer Kindheit entstehenden Erinnerungsräume sein. Bei diesen Räumen handelt es sich auf der einen Seite um die DDR, in welcher die Zonenkinder ihre Kindheit verbracht haben und der damit viele Erinnerungen bereitstellt. Auf der anderen Seite existiert das Gesamtdeutschland (Westen nach 1989), in dem diese Generation ihre Jugend verbracht hat und lernen musste sich zu orientieren. Diese Untersuchung wird unter Rückbezug der Theorie der Raumsemantik von Jurij M. Lotman durchgeführt um so zweierlei aufzuklären: Es soll erstens untersucht werden, ob diese Generation erfolgreich die klassifikatorische Grenze zwischen dem Erinnerungsraum ihrer Kindheit in der DDR und dem neuen Lebensraum in Form einer Assimilierung an die neuen Verhältnisse überschreitet und zweitens ob es sich bei der Erzählung um einen narrativen (sujethaften) oder sujetlosen Text im Sinne Lotmans handelt.
Im ersten Teil dieser Arbeit wird zunächst eine kurze Einführung in die Raumsemantik von Jurij M. Lotman gegeben (nach Martinez/Scheffel), welche folglich auf die Erzählung Zonenkinder angewendet werden soll. Dabei wird diese raumsemantische Untersuchung nach topographischen und semantisch-topologischen Kriterien der beiden oppositionellen Räume aufgrund einer besseren Übersichtlichkeit nach den einzelnen Kapiteln der Erzählung Zonenkinder durchgeführt. Um die oppositionellen Räume genauer zu definieren, soll daraufhin noch eine Untersuchung auf der Basis von sprachlichen und deskriptiven Aspekten angewandt werden, um somit eine Typisierung der Räume zu erstellen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Jurij M. Lotmans Raumsemantik
3 Bezug der Raumsemantik Lotmans auf den Text Zonenkinder
3.1 Sujet in Lotmans Text
4 Typisierung der Erinnerungsräume <Ost> und <West>
5 Fazit
6 Literaturverzeichnis:
1 Einleitung
Die Erzählung Zonenkinder von Jana Hensel beschreibt das Leben einer Generation, die von einem auf den anderen Tag aus ihrer DDR-Vergangenheit entwurzelt wurde und plötzlich in der Schwebe zwischen Ost und West steht. Aus der Sicht Jana Hensels, die selbst ein Bestandteil dieser Generation ist, wird der Versuch angestellt die ostdeutsche Identität ihrer Generation im neuen Gesamtdeutschland zu finden, denn das alte Land und die Vergangenheit existierten lediglich noch in den Erinnerungen dieser Generation, dessen Mitglieder sich Zonenkinder nennen. Jana Hensel beschreibt die Geschehnisse zwar aus ihrer subjektiven Perspektive, aber dennoch relativiert sie dieses durch eine Kollektivierung der Geschehnisse im Sinne der dritten Person Singular „Wir“, da diese für die gesamte Generation gültig sind.
Gegenstand dieser Hausarbeit soll die Untersuchung der durch die Entwurzelung der Zonenkinder aus ihrer Kindheit entstehenden Erinnerungsräume sein. Bei diesen Räumen handelt es sich auf der einen Seite um die DDR, in welcher die Zonenkinder ihre Kindheit verbracht haben und der damit viele Erinnerungen bereitstellt. Auf der anderen Seite existiert das Gesamtdeutschland (Westen nach 1989), in dem diese Generation ihre Jugend verbracht hat und lernen musste sich zu orientieren. Diese Untersuchung wird unter Rückbezug der Theorie der Raumsemantik von Jurij M. Lotman durchgeführt um so zweierlei aufzuklären: Es soll erstens untersucht werden, ob diese Generation erfolgreich die klassifikatorische Grenze zwischen dem Erinnerungsraum ihrer Kindheit in der DDR und dem neuen Lebensraum in Form einer Assimilierung an die neuen Verhältnisse überschreitet und zweitens ob es sich bei der Erzählung um einen narrativen (sujethaften) oder sujetlosen Text im Sinne Lotmans handelt.
Im ersten Teil dieser Arbeit wird zunächst eine kurze Einführung in die Raumsemantik von Jurij M. Lotman gegeben (nach Martinez/Scheffel), welche folglich auf die Erzählung Zonenkinder angewendet werden soll. Dabei wird diese raumsemantische Untersuchung nach topographischen und semantisch-topologischen Kriterien der beiden oppositionellen Räume aufgrund einer besseren Übersichtlichkeit nach den einzelnen Kapiteln der Erzählung Zonenkinder durchgeführt. Um die oppositionellen Räume genauer zu definieren, soll daraufhin noch eine Untersuchung auf der Basis von sprachlichen und deskriptiven Aspekten angewandt werden, um somit eine Typisierung der Räume zu erstellen.
2 Jurij M. Lotmans Raumsemantik
Eine grundlegende Einführung in die erzähltechnische Thematik, die dieser Hausarbeit zugrunde liegt, ist unerlässlich. In dieser Raumsemantik vom estnischen Literatur- und Kulturwissenschaftler Jurij M. Lotman werden demnach die Grundstruktur eines narrativen Textes Sujet oder Ereignis genannt. Dabei grenzen sich diese Begriffe aber von ihrer herkömmlichen Verwendung als „kleinste Einheit der Handlung narrativer Texte“ ab. Lotman versteht unter Sujet stattdessen die globale Struktur der Handlung eines Textes.[1] Das Sujet setzt sich dabei aus drei notwendigen Ebenen zusammen, und zwar einem „semantischen Feld [i.e. eine erzählte Welt], das in zwei komplementäre Untermengen aufgeteilt ist […]“[2], einer Grenze zwischen den Untermengen, die nur für den die Handlung tragenden Helden permeabel ist und als letzte Ebene „der die Handlung tragende Held“.[3] Aus diesen drei Ebenen entsteht aber nur dann ein Sujet, wenn der Held die Grenze überschreitet. Bei einer Grenzüberschreitung spricht Lotman von einem Text, der sujethaft ist und bei fehlender Grenzüberschreitung von einem sujetlosen Text.[4]
Die komplementären Untermengen beziehungsweise die Teilräume unterscheiden sich durch einen komplementären Gegensatz, der auf drei Ebenen besteht: Der Raum der erzählten Welt ist topologisch durch Oppositionen wie hoch vs. tief oder links vs. rechts differenziert. Diese topologischen Unterscheidungen werden mit semantischen Gegensatzpaaren wie gut vs. böse verbunden, die häufig eine wertende Funktion besitzen. Durch die topographischen Gegensätze der dargestellten Welt (Berg vs. Tal oder Stadt vs. Land) wird die semantisch-topologische Ordnung dann konkretisiert[5]. Diese räumliche Ordnung der erzählten Welt ist sozusagen auch „die Sprache, die die anderen nicht-räumlichen Relationen ausdrückt“[6]. Eine klassifikatorische Grenze, die für den die Handlung tragenden Helden permeabel ist, entsteht allerdings nur dann wenn die topographische Raumgrenze zusätzlich noch semantisch und topologisch benannt ist.[7]
Nach Lotman existieren neben den sujethaften Texten, die eine Grenzüberschreitung beinhalten und damit narrativ sind, auch sujetlose Texte. Bei den sujethaften Texten existieren diejenigen, bei denen eine Grenzüberschreitung vollzogen wird und diejenigen, bei denen eine Grenzüberschreitung vollzogen wird, aber a) scheitert oder b) wieder rückgängig gemacht wird. Texte des ersten Typus nennt man revolutionär und Texte des zweiten Typus restitutiv. Revolutionäre Texte durchbrechen also die klassifikatorische Grenze bzw. Ordnung der erzählten Welt, während die restitutiven Texte diese bestätigen.[8]
3 Bezug der Raumsemantik Lotmans auf den Text Zonenkinder
Die Erzählung Zonenkinder von Jana Hensel ist in acht Kapitel unterteilt, wobei jedes Kapitel einen Rahmen für bestimmte Erinnerungen festlegt. Die Kapitel umfassen die Erinnerungen zu den Komplexen: Kindheit, Heimat, Geschmack, Eltern, Erziehung, Liebe und Freundschaft, Körperkultur und dem Sport, Zukunft. Innerhalb der Kapitel wird der Gedächtnisraum von Jana Hensel und ihrer Generation dargestellt, welcher konträr zum Raum des Westens (nach 1989) ist. Der Gedächtnisraum dieser Zonen-Generation[9] bezieht sich auf die Kindheit innerhalb der DDR, die durch Erinnerungen bildhaft („[…]Kindheit ein Museum[…].“[10] ) dargestellt wird. Dem Begriff Zone kommt damit einerseits die Bedeutung als geografischer Raum zu, innerhalb dessen die Generation lebt und andererseits die Funktion des Gedächtnis- bzw. Erinnerungsraums dieser Generation.[11] Es stellt sich nun die Frage, inwiefern es diese Zonen-Generation verwirklicht beziehungsweise ob sie es überhaupt verwirklicht sich erfolgreich dem neuen Lebensraum anzupassen.
An diesem Punkt der Problematik greift nun die Raumsemantik von Lotman. So lassen sich vorerst die konträren Räume <Ost (DDR) vs. West (BRD)> als topographische Distanz der Erzählung darstellen. Diese beiden Räume werden im Laufe der Erzählung aber auf topographischer Ebene durch genauere Lokalisationen ergänzt. Die Handlung beginnt nämlich in Hensels Wohnort zu Kindeszeiten, und zwar dem ostdeutschen Leipzig. Im Verlauf der Erzählung werden dann immer wieder bestimmte Orte genannt, die die topographische Distanz zwischen den Räumen <Ost vs. West> präzisieren und somit das Grundgerüst für die Raumsemantik-Theorie fundieren. Einige Beispiele für diese Lokalisationen sind:
<DDR vs. BRD>
<DDR-Bezirke vs. BRD-Bundesländer>
<Sachsen vs. Hamburg> …
Dabei ist auch zu beachten, dass nicht unbedingt eine Relation zwischen den Orten besteht, sondern vielmehr die Relation auf der oberflächlichen Basis <Ost vs. West> basiert.
Die topographische Distanz zwischen den Räumen <Ost vs. West> wird innerhalb der Erzählung durch eine Reihe von Oppositionen als ein Gegensatzpaar semantisiert, dass durch eine klassifikatorische Grenze getrennt ist. Diese klassifikatorische Grenze stellt dabei auf der einen Seite die topographische Distanz zwischen den beiden Räumen <Ost vs. West> und deren diversen Lokalisationen dar. Auf der anderen Seite kann die Grenze auch Sinne einer gedanklichen Grenze gesehen werden, die durch den Anpassungsprozess der Zonen-Generation an den Westen bei gleichzeitigem Erinnerungsverlust an den Osten durchlässig werden könnte.
Bei der Darstellung der semantisch-topologischen Gegensatzpaare soll hierbei Kapitelweise vorgegangen werden, da jedes Kapitel eine bestimmte Erinnerungsstruktur umfasst.
Der Gegensatz <Ost vs. West> wird vor allem im ersten Kapitel der Erzählung mit <Heimat vs. Fremde> parallelisiert. <Heimat> hat eine vielseitige Bedeutung, so können dem Begriff zum Beispiel bekannte Persönlichkeiten („[…] Erich Honecker und Wladimir Iljitsch Lenin[…]“, S.14), der Tagesablauf („Über Nacht waren alle unsere Termine verschwunden, […]“, S.16), bestimmte Organisationen (FDJ, Pioniere, …), die Sprache beziehungsweise bestimmte Wörter („Die Kaufhalle hieß jetzt Supermarkt, Jugendherbergen wurden zu Schullandheimen, Nickis zu T-Shirts und Lehrlinge Azubis“, S.21) zugeordnet werden. Im Endeffekt besteht die <Heimat> aus der kompletten Lebenswelt, die zu DDR –Zeiten existierte und eine gewisse Vertrautheit bot.
[...]
[1] Vgl. Martinez,Matias u. Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie. 6. Auflage München: C.H. Beck 2005, S. 140
[2] Vgl. Martinez,Matias u. Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie. S. 140
[3] ebd.
[4] ebd.
[5] Vgl. Martinez,Matias u. Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie. S. 140f.
[6] Vgl. Lotman, Jurij M.: Die Struktur des künstlerischen Textes. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1970: S. 347
[7] Vgl. Martinez,Matias u. Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie. S. 141
[8] Vgl. Martinez,Matias u. Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie. S. 142
[9] im weiteren Verlauf wird der Begriff „Zonen-Generation“ stellvertretend für die Erinnerungen Hensels und ihrer Generation verwendet
[10] Vgl. Hensel, Jana: Zonenkinder. Reinbek bei Hamburg 2005: S. 25, im Folgenden beziehen sich alle Seitenangaben in Klammern auf diese Ausgabe
[11] vgl. die Ausführung zum Begriff Zone auf Seite 11
- Citar trabajo
- Jens Valentin (Autor), 2006, Jurij M. Lotmans Raumsemantik im Bezug auf die Erinnerungsräume in Jana Hensels „Zonenkinder“, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94410