Angesichts der großen Bedeutung elektronischer Medien für das Freizeitverhalten heutiger Kinder wird eine Abnahme der körperlich – sportlichen Aktivität befürchtet, mit der Folge, dass es aufgrund des Bewegungsmangels zu einer Verschlechterung der motorischen Leistungsfähigkeit kommt und das Auftreten von Übergewicht und Adipositas bereits in jungen Jahren begünstigt wird. Der unterstellte Zusammenhang zwischen Mediennutzung und körperlich-sportlicher Aktivität konnte allerdings bislang nicht überzeugend nachgewiesen werden.
Ziel der vorliegenden Studie war es, die Zusammenhänge zwischen Medienkonsum, sportlicher Aktivität und körperlicher Leistungsfähigkeit von Schülern im Alter von 10 – 12 Jahren zu untersuchen. Mit Hilfe eines kindspezifischen Motoriktests wurden die aktuelle Leistung der Kinder festgestellt und anhand eines Fragebogens die körperlich-sportliche Aktivität sowie das Medienkonsumverhalten im Alltag erfasst.
Anhand der gefundenen Ergebnisse in der untersuchten Altersgruppe konnte gezeigt werden, dass die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge nicht so trivial sind wie oft angenommen. Ein Zusammenhang zwischen dem täglichen Medienkonsum und der körperlich-sportlichen Aktivität ist zwar nicht grundsätzlich auszuschließen, der Einfluss von Medien auf die sportliche Aktivität sollte aber auch nicht überbewertet werden. So gehört z. B. das Sporttreiben, entgegen manch spektakulärer Überzeichnung vom Ausmaße der Inaktivität heutiger Kinder, weiterhin zu den favorisierten Freizeitbeschäftigungen bei Kindern. Es zeigt sich, dass in Abhängigkeit von der Beschäftigungsdauer und Art der Medien unterschiedliche Zusammenhangsmuster zwischen Medienkonsum und sportlicher Aktivität bestehen und dass der Gefahr der Verallgemeinerung entgegengewirkt werden muss.
Ebenso lassen sich zwar in Abhängigkeit vom zeitlichen Umfangs der Medienzuwendung in einzelnen motorischen Dimensionen Leistungsunterschiede feststellen, von einem generellen Rückgang der motorischen Leistungsfähigkeit aufgrund von Medienkonsum ist allerdings nicht auszugehen. Die Annahme, dass übermäßiger Medienkonsum zum Auftreten von Übergewicht beitragen kann, wird durch die vorliegende Studie gestützt. Der Ursache-Wirkungs-Zusammenhang kann allerdings nicht eindeutig geklärt werden und bedarf einer vertiefenden Analyse.
Schlüsselwörter: Medienkonsum, motorische Leistungsfähigkeit, sportliche Aktivität, Kinder, Übergewicht, Adipositas
Inhaltsverzeichnis
1 Problemdarstellung, Ziel und Aufbau der Arbeit
1.1 Problemdarstellung
1.2 Ziel und Aufbau der Arbeit
2 Motorische Leistungsfähigkeit
2.1 Motorik
2.2 Sportliche Leistungsfähigkeit
2.3 Fähigkeiten und Fertigkeiten
2.4 Systematisierung der allgemeinen motorischen Fähigkeiten
3 Motorische Entwicklung
3.1 Ausgewählte Theorien und Modelle der motorischen Entwicklung
3.2 Anlage und Umwelt
3.2.1 Methoden zur Einschätzung der Erblichkeit
3.2.2 Einfluss von Anlage und Umwelt auf die motorische Leistungsfähigkeit
4 Entwicklungsphasen motorischer Basisdimensionen im Kindes- und Jugendalter
4.1 Ausdauer
4.1.1 Aerobe Ausdauer
4.1.2 Anaerobe laktazide Ausdauer
4.2 Kraft
4.3 Schnelligkeit
4.4 Koordination
4.5 Beweglichkeit
5 Säkulare Trends und Studien zur motorischen Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen
5.1 Sportliche Akzeleration
5.2 Aktuelle Ergebnisse zur Einschätzung der motorischen Leistungsfähigkeit
5.2.1 Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS)
5.2.2 Motorik–Modul („MoMo“)
5.2.2.1 Sportmotorische Tests
5.2.2.2 Motorik–Modul Testbatterie
5.2.2.3 Aktivitätsfragebogen
5.2.2.4 Erste Ergebnisse zum Motorik–Modul
6 Einflussfaktoren auf die motorische Leistungsfähigkeit
6.1 Übergewicht und Adipositas
6.1.1 BMI
6.1.2 Prävalenz von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen
6.2 Sozioökonomische und -ökologische Einflussfaktoren
6.3 Bewegungsaktivität von Kindern und Jugendlichen
7 Medienkonsum
7.1 Definition Medien
7.2 Kindliche Medienkultur
7.2.1 Themeninteresse
7.2.2 Gerätebesitz
7.2.3 Freizeitaktivitäten
7.2.4 Medienbindung
7.2.5 Computernutzung
7.2.6 Computerspiele
7.3 Medienkonsum gleich Konkurrenz zur körperlich-sportlichen Aktivität?
8 Darstellung der empirischen Untersuchung
8.1 Fragestellung und Arbeitshypothesen
8.2 Untersuchungsmethodik
8.2.1 Personenstichprobe
8.2.2 Variablenstichprobe
8.2.2.1 Motorische Leistungsfähigkeit: Kinderturntest
8.2.2.2 Körperlich – sportliche Aktivität: Aktivitätsfragebogen
8.2.2.3 Medienkonsum: Fragebogen KIM-Studie
8.2.3 Ablauf der Untersuchung
8.3 Statistische Hypothesen
8.4 Statistik
9 Ergebnisdarstellung
9.1 Deskriptive Statistik
9.1.1 Alter, Größe, Gewicht und BMI
9.1.2 Ergebnisse des Kinderturntest
9.1.3 Körperlich-sportliche Aktivität
9.1.3.1 Körperlich-sportliche Aktivität allgemein
9.1.3.2 Körperlich–sportliche Aktivität in der Schule
9.1.3.3 Körperliche Aktivität im Alltag
9.1.4 Verfügbarkeit von Sportstätten und -geräten
9.1.5 Sportliche Aktivität in der Freizeit organisiert im Verein
9.1.6 Sportliche Aktivität in der Freizeit außerhalb des Vereins
9.1.7 Sportverhalten der Bezugspersonen/Peergroup
9.1.8 Medienkonsum
9.1.8.1 Medienausstattung
9.1.8.2 Computerspiele
9.1.8.3 Medienbindung
9.2 Hypothesenprüfung
9.2.1 Motorische Leistungsfähigkeit und Medienkonsum
9.2.2 Körperlich-sportliche Aktivität und Medienkonsum
9.2.3 Body-Mass- Index und Medienkonsum
10 Diskussion
11 Zusammenfassung und Ausblick
12 Literaturverzeichnis
13 Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Vereinfachtes Modell der Komponenten der sportlichen Leistungsfähigkeit (Weineck, 2007, S. 25).
Abbildung 2: Differenzierung motorischer Fähigkeiten nach Bös (1987, S. 94; 1994).
Abbildung 3: Ontogenese der Laufausdauerfähigkeit (nach Köhler 1976, aus Meinel & Schnabel, 2004, S. 279)
Abbildung 4: Maximalfrequenzen verschiedener Bewegungen mit kleiner Amplitude (nach Farfel in Weineck, 2007, S. 715)
Abbildung 5: Schwerpunktmässige Vervollkommnung Koordinativer Fähigkeiten im Sportunterricht der Klassen 1 – 10 (Hirtz, 1978, in Weineck, 2000, S.343)
Abbildung 6: Themeninteresse Kinder 6 – 13 Jahre (N = 1.203); in Klammern Rangposition aus Orginalliste von insgesamt 18 vorgegebenen Themen (Auszug aus KIM-Studie, 2006,
S. 5)
Abbildung 7: Gerätebesitz der Kinder 6 – 13 Jahre (N = 1.203), (Auszug aus KIM-Studie, 2006, S. 5)
Abbildung 8: Freizeitaktivitäten der Kinder 6 – 13 Jahre (N = 1.203), (Auszug aus KIM-Studie, 2006, S. 10 - 11)
Abbildung 9: Medienbindung der Kinder 6 – 13 Jahre ; Am wenigsten verzichten kann ich auf... (N = 1.203), (Auszug aus KIM-Studie, 2006, S. 18)
Abbildung 10: Kinder und Computer: Nutzungsfrequenz 2006 (Auszug aus KIM-Studie, 2006, S. 30)
Abbildung 11: Computerspielzeit pro Tag der Kinder 10 – 13 Jahre (Auszug aus KIM-Studie, 2006, S. 34)
Abbildung 12: Anzahl und Alter der Schüler und Schülerinnen in der untersuchten Stichprobe
Abbildung 13: Schematischer Ablauf der Untersuchung
Abbildung 14: BMI: Analyse nach Kategorisierung von Kromeyer-Hausschild et al. (2001, S. 807 – 818) s. S. 60
Abbildung 15: Prozentsatz der Kinder, welche mindestens eine Sportart, in der angegebenen Anzahl an Monaten im Verein ausführt
Abbildung 16: Prozentsatz der Kinder, welche mindestens eine Sportart, die angegebene Anzahl an Monaten in der Freizeit ausführt
Abbildung 17: Medienbeschäftigung an einem normalen Tag: Analyse nach relativer Häufigkeit (N = 111)
Abbildung 18: Geräteausstattung im Haushalt und Gerätebesitz der Schüler gruppiert nach Geschlecht: Analyse nach relativer Häufigkeit (N = 111)
Abbildung 19: Häufigkeit unterschiedlicher Computertätigkeiten: Analyse nach relativer Häufigkeit (N = 111)
Abbildung 20: Relative Anzahl der Kinder in den unterschiedlichen BMI Kategorien (N = 111)
Abbildung 21: Worauf kann ich am wenigsten verzichten: Analyse nach Gewicht
Abbildung 22: Durchschnittliche Anzahl der Tage pro Woche mit mindestens 60 min körperlicher Aktivität
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Metatheoretische Entwicklungskonzeptionen nach Baur (1994, S. 30)
Tabelle 2: Erfassung der körperlich-sportlichen Aktivität mit Hilfe des Fragebogens, entnommen aus dem Testmanual des Motorik-Moduls, Altersklasse 6 bis 17 – Jährige (insgesamt 51 Fragen (Opper et al., 2007, S. 884)
Tabelle 3: Body Mass Index (BMI) bei Kindern im Alter von 10 – 12 Jahren unter Berücksichtigung von Körpergewicht / -größe, Alter und Geschlecht
Tabelle 4: Alter, Größe, Gewicht und BMI der Untersuchungsgruppe
Tabelle 5: Aufgaben und Inhalte der Testbatterie (Deutscher Turner – Bund, 2007, S. 9)
Tabelle 6: Reliabilitätsuntersuchnung Kinderturntest – Zeitintervall 8 Tage mit Versuchsleiterwechsel, (N = 20) (Bappert et al., 2006, S.7).
Tabelle 7: Verwendete Signifikanzstufen (Bortz, 1999, S. 114)
Tabelle 8: Interpretation des Korrelationskoeffizienten in Anlehnung an Bös, Hänsel und Schott (2000, S. 169)
Tabelle 9: Vergleiche von Alter, Größe,.Gewicht und BMI: Analyse nach Geschlecht (t-Test) und Gesamt
Tabelle 10: Ergebnisse Kinderturntests; Vergleiche der verschiedenen Übungen: Analyse nach Geschlecht (t-Test) und Gesamt
Tabelle 11: Anzahl der Tage mit mindestens 60 min körperlicher Aktivität in den letzten sieben Tagen: Analyse nach Geschlecht (t-Test) und Gesamt
Tabelle 12: Anzahl der Tage mit mindestens 60 min körperlicher Aktivität in einer normalen Woche: Analyse nach Geschlecht (t-Test) und Gesamt
Tabelle 13: Anstrengungsgrad im Schulsport: Prozentuale Verteilung nach Geschlecht und Gesamt
Tabelle 14: Anstrengungsgrad im Schulsport: Analyse nach Geschlecht (t-Test) und Gesamt
Tabelle 15: Art den Schulweg zu bewältigen: Analyse nach Geschlecht und Gesamt
Tabelle 16: Schulweg zu Fuß; Wegzeit in Minuten: Analyse nach Geschlecht und Gesamt
Tabelle 17: Spielen im Freien; Anzahl der Tage pro Woche: Analyse nach Geschlecht (t-Test) und Gesamt
Tabelle 18: Arbeiten im Garten oder in der Landwirtschaft; Anzahl der Tage pro Woche: Analyse nach Geschlecht und Gesamt
Tabelle 19: Tägliche zurückgelegte Entfernung zu Fuß: Analyse nach Geschlecht und Gesamt
Tabelle 20: Vergleich der täglich zurückgelegten Entfernung: Analyse nach Geschlecht (t-Test) und Gesamt (0 = nie, 1 = weniger als einen km/Tag (nur im Haus), 2 = 1-2km/Tag (15 bis 30 min pro Tag), 3 = 3-5km/Tag (30 bis 60 min), 4 = 6-9km/Tag (1 bis 2h/Tag), 5 = 6-9km/Tag (1 bis 2h/Tag), 6 = 10km und mehr (mehr als 2h/Tag))
Tabelle 21: Mangelnde Verfügbarkeit von Geräten und Einrichtungen: Analyse nach Geschlecht und Gesamt
Tabelle 22: Mitgliedschaft im Sportverein: Analyse nach Geschlecht und Gesamt
Tabelle 23: Rangfolge der drei beliebtesten Vereinssportarten: Analyse nach Geschlecht
Tabelle 24: Anzahl der Trainingstage im Verein pro Woche: Analyse nach Geschlecht (t-Test) und Gesamt
Tabelle 25: Trainingszeit pro Woche in min: Analyse nach Geschlecht (t-Test) und Gesamt
Tabelle 26: Anstrengungsgrad im Vereinssport: Analyse nach Geschlecht und Gesamt
Tabelle 27: Anstrengungsgrad im Vereinssport: Analyse nach Geschlecht (t-Test) und Gesamt (1 = ohne zu schwitzen bzw. schnaufen, 2 = etwas schwitzen bzw. schnaufen, 3 = viel schwitzen bzw. schnaufen)
Tabelle 28: Teilnahme an Wettkämpfen: Analyse nach Geschlecht und Gesamt
Tabelle 29: Sportliche Aktivität außerhalb des Vereins: Analyse nach Geschlecht und Gesamt
Tabelle 30: Rangfolge der drei beliebtesten Freizeitsportarten: Analyse nach Geschlecht
Tabelle 31: Anzahl der Tage mit Freizeitsport pro Woche: Analyse nach Geschlecht (t-Test) und Gesamt
Tabelle 32: Trainingszeit Freizeitsport pro Woche: Analyse nach Geschlecht (t-Test) und Gesamt
Tabelle 33: Anstrengungsgrad beim Freizeitsport: Analyse nach Geschlecht und Gesamt
Tabelle 34: Anstrengungsgrad im Vereinssport: Analyse nach Geschlecht (t-Test) und Gesamt (1 = ohne zu schwitzen bzw. schnaufen, 2 = etwas schwitzen bzw. schnaufen, 3 = viel schwitzen bzw. schnaufen)
Tabelle 35: Interesse am Sport: Analyse nach Geschlecht (t-Test) und Gesamt (0 = sehr gering, 1 = gering, 2 = mittelmäßig, 3 = groß, 4 = sehr groß)
Tabelle 36: Vater sportlich aktiv: Analyse nach Geschlecht und Gesamt
Tabelle 37: Mutter sportlich aktiv: Analyse nach Geschlecht und Gesamt
Tabelle 38: Geschwister sportlich aktiv: Analyse nach Geschlecht und Gesamt
Tabelle 39: Freunde/Freundinnen sportlich aktiv: Analyse nach Geschlecht und Gesamt
Tabelle 40: Wenn ich regelmäßig Sport treibe, dann..: Analyse nach Geschlecht und Gesamt (1 = stimme überhaupt nicht zu, 2 = stimme eher nicht zu, 3 = stimme teils/teils zu, 4 = stimme überwiegend zu, 5 = stimme voll und ganz zu)
Tabelle 41: Ich treibe Sport...: Analyse nach Geschlecht und Gesamt (1 = trifft überhaupt nicht zu, 2 = trifft eher nicht zu, 3 = unentschieden, 4 = trifft eher zu, 5 = trifft völlig zu)
Tabelle 42: Medienbeschäftigung an einem normalen Tag: Analyse nach Geschlecht und Gesamt (0 = gar nicht, 1 = ungefähr 30 Min., 2 = ungefähr 1 bis 2 Std., 3 = ungefähr 3 bis 4 Std., 4 = mehr als 4 Stunden)
Tabelle 43: Treffpunkt mit Freunden: Analyse nach Geschlecht und Gesamt (0 = nie, 1 = seltener, 2 = ein-/mehrmals i. d. Woche, 3 = jeden/ fast jeden Tag)
Tabelle 44: Kontingenztafel für die Medienbesitz von Jungen und Mädchen: Analyse nach beobachtete und erwartete Häufigkeit, Fishers Exact-Test (N = 111)
Tabelle 45: Häufigkeit unterschiedlicher Computertätigkeiten: Analyse nach Geschlecht und Gesamt (0 = nie, 1 = seltener, 2 = ein-/mehrmals i. d. Woche, 3 = jeden/fast jeden Tag)
Tabelle 46: Nutzung Computerspiele: Analyse nach Geschlecht und Gesamt
Tabelle 47: Computerspielzeit an einem normalen Tag: Analyse nach Geschlecht und Gesamt (1 = ungefähr 30 Min., 2 = ungefähr 1 bis 2 Std., 3 = ungefähr 3 bis 4 Std., 4 = mehr als 4 Std.)
Tabelle 48: Rangfolge der drei beliebtesten Computerspiele: Analyse nach Geschlecht
Tabelle 49: Kontrolle Spielzeit: Analyse nach Geschlecht und Gesamt
Tabelle 50: Kontrolle Art des Spiels: Analyse nach Geschlecht und Gesamt
Tabelle 51: Medien auf die am wenigsten verzichtet werden kann: Analyse nach Geschlecht und Gesamt
Tabelle 52: Das mache ich am ehesten, wenn...: Analyse nach relativer Häufigkeit in %) (N = 111)
Tabelle 53: Erreichte Laufdistanz im 6-Minuten-Lauf in m: Varianzanalyse nach täglicher Medienbeschäftigungszeit
Tabelle 54: Pearson-Korrelationsmatrix zum Zusammenhang zwischen Medienkonsum an einem normalen Tag und der motorischen Leistungsfähigkeit: (Signifikanzniveau (einseitig) p < 0,05 *, p < 0,01 **), (N = 111)
Tabelle 55: Treffpunkt beim Sport treiben: Varianzanalyse nach Häufigkeit und motorischer Leistungsfähigkeit
Tabelle 56: Pearson-Korrelationsmatrix zum Zusammenhang zwischen dem Treffpunkt mit Freunden und der motorischen Leistungsfähigkeit: (Signifikanzniveau (einseitig) p < 0,05 *, p < 0,01 **), (N = 111)
Tabelle 57: Rumpfbeuge; Bester Versuch aus zwei Einzelversuchen: Analyse mit t-test zum Vergleich der motorischen Leistungsfähigkeit (N = 111)
Tabelle 58: 6–Minuten–Lauf; Laufdistanz in m: Analyse mit t-test zum Vergleich der motorischen Leistungsfähigkeit (N = 111)
Tabelle 59: „Computerspielen alleine“ und „Computerspielen mit anderen“: Varianzanalyse nach Häufigkeit und motorischer Leistungsfähigkeit
Tabelle 60: Vergleich der motorischen Leistungsfähigkeit in Abhängigkeit zur aufgebrachten Arbeitszeit für die Schule: Varianzanalyse nach Häufigkeit und motorischer Leistungsfähigkeit
Tabelle 61: Pearson-Korrelationsmatrix zum Zusammenhang zwischen Häufigkeit unterschiedlicher Tätigkeiten am PC und der motorischen Leistungsfähigkeit: (Signifikanzniveau (einseitig) p < 0,05 *, p < 0,01 **), (N = 111)
Tabelle 62: Vergleich der motorischen Leistungsfähigkeit gruppiert nach Computer- und Nichtcomputerspieler: t-test (N = 111)
Tabelle 63: Vergleich der motorischen Leistungsfähigkeit in Abhängigkeit von täglicher Computerspielzeit: Varianzanalyse (N = 93)
Tabelle 64: Pearson-Korrelationsmatrix zum Zusammenhang zwischen täglicher Computerspielzeit und der motorischen Leistungsfähigkeit: (Signifikanzniveau (einseitig) p < 0,05 *, p < 0,01 **), (N = 111)
Tabelle 65: Vergleich der durchschnittlichen Anzahl an Tagen pro Woche mit mindestens 60 min körperlicher Aktivität in Abhängigkeit der Beschäftigungsdauer mit Medien bzw. mit Freunden an einem normalen Tag: Varianzanalyse (N = 111)
Tabelle 66: Pearson-Korrelationsmatrix zum Zusammenhang zwischen Beschäftigungszeit mit Medien bzw. mit Freunden an einem normalen Tag und der durchschnittlichen Anzahl an Tagen pro Woche mit mindestens 60 min körperlicher Aktivität: (Signifikanzniveau (einseitig) p < 0,05 *, p < 0,01 **), (N = 111)
Tabelle 67: Pearson-Korrelationsmatrix zum Zusammenhang zwischen Beschäftigungszeit mit Medien bzw. mit Freunden an einem normalen Tag und der durchschnittlichen Anzahl an Tagen pro Woche an denen im Freien gespielt wird: (Signifikanzniveau (einseitig) p < 0,05 *, p < 0,01 **), (N = 111)
Tabelle 68: Pearson-Korrelationsmatrix zum Zusammenhang zwischen Beschäftigungszeit mit Medien bzw. mit Freunden an einem normalen Tag und der Gesamtminutenzahl an Vereins- und Freizeitsport pro Woche: (Signifikanzniveau (einseitig) p < 0,05 *, p < 0,01 **), (N = 109)
Tabelle 69: Vergleich der durchschnittlichen Anzahl der Tage pro Woche mit mindestens 60min körperlicher Aktivität in Abhängigkeit von bevorzugten Orten um Freunde zu treffen: Varianzanalyse (N = 111)
Tabelle 70: Pearson-Korrelationsmatrix zum Zusammenhang zwischen bevorzugten Orten um Freunde zu treffen und der durchschnittlichen Anzahl an Tagen pro Woche mit mindestens 60 min körperlicher Aktivität: (Signifikanzniveau (einseitig) p < 0,05 *, p < 0,01 **), (N = 111)
Tabelle 71: Pearson-Korrelationsmatrix zum Zusammenhang zwischen bevorzugter Ort um Freunde zu treffen und der durchschnittlichen Gesamtminutenzahl an Vereins- und Freizeitsport pro Woche: (Signifikanzniveau (einseitig) p < 0,05 *, p < 0,01 **), (N = 109)
Tabelle 72: Vergleich der durchschnittlichen Anzahl an Tagen pro Woche mit mindestens 60 min körperlicher Aktivität in Abhängigkeit von Medienbesitz: Varianzanalyse (N = 111)
Tabelle 73: Vergleich der durchschnittlichen Anzahl an Tagen pro Woche an denen im Freien gespielt wird in Abhängigkeit von Medienbesitz: Varianzanalyse (N = 111)
Tabelle 74: Vergleich von durchschnittlicher Gesamtminutenzahl an Vereins- und Freizeitsport pro Woche in Abhängigkeit von Medienbesitz: Varianzanalyse (N = 109)
Tabelle 75: Pearson-Korrelationsmatrix zum Zusammenhang zwischen Häufigkeit der Beschäftigung mit Computertätigkeiten und der durchschnittlichen Anzahl an Tagen pro Woche mit mindestens 60 min körperlicher Aktivität: (Signifikanzniveau (einseitig) p < 0,05 *, p < 0,01 **), (N = 111)
Tabelle 76: Pearson-Korrelationsmatrix zum Zusammenhang zwischen Häufigkeit der Beschäftigung mit Computertätigkeiten und der durchschnittlichen Anzahl an Tagen pro Woche an denen im Freien gespielt wird: (Signifikanzniveau (einseitig) p < 0,05 *, p < 0,01 **), (N = 111)
Tabelle 77: Vergleich der Häufigkeit unterschiedlicher Computertätigkeiten (0 = nie, 1 = seltener, 2 = ein-/mehrmals i. d. Woche, 3 = jeden/fast jeden Tag) in Abhängigkeit von Vereinsmitgliedschaft: Analyse mit t-test (N = 111)
Tabelle 78: Vergleich von durchschnittlicher Gesamtminutenzahl an Vereins- und Freizeitsport in der Woche in Abhängigkeit der Häufigkeit von Computertätigkeiten pro Woche: Varianzanalyse (N = 109)
Tabelle 79: Pearson-Korrelationsmatrix zum Zusammenhang zwischen Häufigkeit der Beschäftigung mit Computertätigkeiten und der Gesamtminutenzahl an Vereins- und Freizeitsport pro Woche: (Signifikanzniveau (einseitig) p < 0,05 *, p < 0,01 **), (N = 109)
Tabelle 80: Vergleich der durchschnittlichen Anzahl der Tage pro Woche mit mindestens 60min körperlicher Aktivität gruppiert nach Computer- und Nichtcomputerspieler: t-test (N = 111)
Tabelle 81: Vergleich der Anzahl der Tage pro Woche mit mindestens 60 min körperlicher Aktivität in Abhängigkeit von täglicher Computerspielzeit: Varianzanalyse (N = 93)
Tabelle 82: Kontrolle der Computerspielzeit durch die Eltern und Angabe der Anzahl der Tage pro Woche mit mindestens 60 min körperlicher Aktivität (MW): t-test (N = 93)
Tabelle 83: Vergleich der durchschnittlichen Anzahl an Tagen pro Woche mit mindestens 60 min körperlicher Aktivität in Abhängigkeit der Angabe worauf am wenigsten verzichtet werden kann: Varianzanalyse (N = 111)
Tabelle 84: Vergleich der durchschnittlichen Anzahl der Tage pro Woche an denen im Freien gespielt wird gruppiert nach Computer- und Nichtcomputerspieler: t-test (N = 111)
Tabelle 85: Vergleich von täglicher Computerspielzeit in Abhängigkeit von der Anzahl der Tage pro Woche an denen im Freien gespielt wird: Varianzanalyse (N = 93)
Tabelle 86: Vergleich der Anzahl der Tage pro Woche an denen im Freien gespielt wird in Abhängigkeit der Kontrolle von Spielzeit durch Eltern: t-test (N = 93)
Tabelle 87: Angabe worauf am wenigsten verzichtet werden kann in Abhängigkeit der durchschnittlichen Anzahl der Tage pro Woche an denen im Freien gespielt wird: Varianzanalyse (N = 111)
Tabelle 88: Vergleich von täglicher Computerspielzeit (1 = ungefähr 30 Min, 2 = ungefähr 1 bis 2 Std., 3 = ungefähr 3 bis 4 Std., 4 = mehr als 4 Stunden) in Abhängigkeit von Vereinsmitgliedschaft: t-test (N = 92)
Tabelle 89: Vergleich zur durchschnittlichen Gesamtminutenzahl an Vereins- und Freizeitsport pro Woche gruppiert nach Computer- und Nichtcomputerspieler: t-test (N = 109)
Tabelle 90: Vergleich von täglicher Computerspielzeit in Abhängigkeit zur durchschnittlichen Gesamtminutenzahl an Vereins- und Freizeitsport pro Woche: Varianzanalyse (N = 93)
Tabelle 91: Beschäftigung mit Medien und Freunde treffen an einem normalen Tag: Analyse nach BMI (0= gar nicht, 1 = ungefähr 30 Min., 2 = ungefähr 1 bis 2 Std., 3 = ungefähr 3 bis 4 Std., 4 = mehr als 4 Stunden)
Tabelle 92: Pearson-Korrelationsmatrix zum Zusammenhang zwischen „Beschäftigungszeit mit Medien bzw. Freunden treffen an einem normalen Tag“ und BMI: (Signifikanzniveau (einseitig) p < 0,05 *, p < 0,01 **), (N = 111)
Tabelle 93: Pearson-Korrelationsmatrix zum Zusammenhang zwischen Treffpunkt mit Freunden und BMI: (Signifikanzniveau (einseitig) p < 0,05 *, p < 0,01 **), (N = 111)
Tabelle 94: Kontingenztafel für den Medienbesitz der Kinder: Analyse nach Gewicht (beobachtete und erwartete Häufigkeit, Fishers Exact-Test) (N = 111)
Tabelle 95: Häufigkeit der Tätigkeiten am PC: Analyse nach BMI (0 = nie, 1 = seltener., 2 = ein-/mehrmals i.d. Woche, 3 = jeden/fast jeden Tag)
Tabelle 96: Pearson-Korrelationsmatrix zum Zusammenhang zwischen Häufigkeit unterschiedlicher Tätigkeiten am PC pro Woche und BMI: (Signifikanzniveau (einseitig) p < 0,05 *, p < 0,01 **), (N = 111)
Tabelle 97: Computerspielen alleine und Computerspielen mit anderen: Analyse nach Häufigkeit: und Vergleich mit BMI
Tabelle 98: Computerspielzeit an einem normalen Tag: Analyse nach Gewicht (1 = ungefähr 30 Min, 2 = ungefähr 1 bis 2 Std., ungefähr 3 bis 4 Std., mehr als 4 Stunden)
Tabelle 99: Pearson-Korrelationsmatrix zum Zusammenhang zwischen täglicher Computerspielzeit und BMI: (Signifikanzniveau (einseitig) p < 0,05 *, p < 0,01 **), (N = 111)
Tabelle 100: Kontrolle der Spielzeit und Art des Spiels durch die Eltern: Analyse nach Gewicht (beobachtete und erwartete Häufigkeit, Fishers Exact-Test), (N = 93)
Tabelle 101: Angabe worauf am wenigsten verzichtet werden kann in Abhängigkeit vom BMI, (N = 110)
1 Problemdarstellung, Ziel und Aufbau der Arbeit
1.1 Problemdarstellung
Zeitlich nehmen Medien heute einen immer größeren Teil in der Lebenswelt von Kindern ein. Insbesondere in den letzten Jahren ist es zu einer rasanten Entwicklung neuer Technologien gekommen, die dazu geführt hat, dass neben dem Fernseher insbesondere auch „Neue Medien“ Einzug ins Kinderzimmer und in die Schulen gefunden haben. Auch wenn die gesundheitlichen Folgen intensiver Mediennutzung bisher umstritten sind, so erscheint dieser Trend aus sportpädagogischer Perspektive zunächst bedenklich. Angesichts der großen Bedeutung elektronischer Medien für das Freizeitverhalten heutiger Kinder wird eine Abnahme der körperlich – sportlichen Aktivität befürchtet, mit der Folge, dass es aufgrund des Bewegungsmangels zu einer Verschlechterung der motorischen Leistungsfähigkeit kommt und das Auftreten von Übergewicht und Adipositas bereits in jungen Jahren begünstigt wird. Bös (2003, S. 16) konnte in einer vergleichenden Betrachtung zeigen, dass die motorische Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen von 1975 bis 2000 bereits durchschnittlich um mehr als 10 % abgenommen hat. Besonders deutlich ist eine Abnahme der Laufausdauer und der Beweglichkeit festzustellen. Auch belegen zahlreiche Studien, dass die Anzahl übergewichtiger Kinder stetig zunimmt. Brettschneider (2006) fasst zusammen: „Die Prävalenz von Übergewicht im Kindes- und Jugendalter hat alarmierende Ausmaße angenommen und zeigt eine nach wie vor steigende Tendenz“.
Insbesondere in der öffentlichen Diskussion wird vor allem die Beschäftigung mit elektronischen Medien für diese negative Entwicklung verantwortlich gemacht: „Der kritische Impuls richtet sich dabei vor allem gegen audiovisuelle Medien – speziell gegen das Fernsehen und die neuen interaktiven – , nicht etwa gegen Bücher oder andere Printmedien“ (Fromme, 1999, S. 1). Dem Medienkonsum wird dabei eine sehr starke und direkte negative Wirkung auf die körperlich-sportliche Leistungsfähigkeit zugesprochen und häufig mangelt es an nötiger Differenzierungsfähigkeit, die Rolle und den Anteil von verschiedenen Medien in der Freizeitgestaltung zur beurteilen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass die Ursache-Wirkung-Zusammenhänge nicht so trivial sind wie oft angenommen. So stellt z. B. der Sport, entgegen manch spektakulärer Überzeichnung vom Ausmaße der Inaktivität heutiger Kinder, durchaus weiterhin eine populäre Freizeitbeschäftigung bei Kindern und Jugendlichen dar. Lampert et al. (2007) halten fest, dass: „ […] der Sport in der Freizeitgestaltung von Kindern und Jugendlichen einen unverändert hohen Stellenwert einnimmt“. Auch konnte der unterstellte Zusammenhang zwischen Mediennutzung und körperlich-sportlicher Aktivität bislang nicht überzeugend nachgewiesen werden. Es besteht kein Zweifel daran, dass das tägliche Ausmaß, in welchem die Kinder Medien nutzen, gewaltig angestiegen ist. Inwiefern der gestiegene Medienkonsum allerdings auch Auswirkungen auf das Bewegungsverhalten der Kinder hat, ist bisher nur unbefriedigend geklärt.
1.2 Ziel und Aufbau der Arbeit
Aufgrund der bisher unzufriedenstellenden Datenlage sollen in der vorliegenden Arbeit die Zusammenhänge zwischen Medienkonsum, sportlicher Aktivität und körperlicher Leistungsfähigkeit bei Schülern im Alter von 10 bis 12 Jahren näher untersucht werden. Für die Studie wurden bewusst Schüler in der vorpubertären Phase ausgewählt, um die Wirkung von potenziellen, durch den Eintritt in die Pubertät hervorgerufene „Störeffekte“ auf die sportliche Leistungsfähigkeit zu vermeiden. Zu diesem Zweck wurde zum einen die aktuelle Leistung der Kinder mit Hilfe eines kindspezifischen Motoriktests festgestellt, zum anderen wurde anhand eines Fragebogens die körperlich-sportliche Aktivität sowie das Medienkonsumverhalten im Alltag erfasst. Mit der Zielvorstellung, die Wechselbeziehungen zwischen Medienkonsum, motorischer Leistungsfähigkeit und körperlich-sportlicher Aktivität zu beschreiben, tritt vor allem folgende Frage in den Vordergrund: Welche Rolle spielt Medienkonsum im Leben von Kindern im Alter von 10 bis 12 Jahren und wie wirkt sich dieser auf die sportliche Leistung aus? Da außerdem angenommen wird, dass sich Übergewicht negativ auf die Leistungsfähigkeit auswirkt, soll weiterhin untersucht werden, inwiefern ein hoher Body-Mass-Index mit intensivem Medienkonsum in Verbindung steht. Abschließend erfolgt mit Hilfe der gefundenen Ergebnisse eine Einschätzung, in welchem Ausmaß die vermuteten Negativfolgen von Medien tatsächlich zutreffen.
2 Motorische Leistungsfähigkeit
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, wie sich Medienkonsum auf die motorische Leistungsfähigkeit von Kindern im Alter von 10 bis 12 Jahren auswirkt. Bevor man sich jedoch im Einzelnen mit dieser Fragestellung auseinander setzen kann, soll in diesem Kapitel zunächst erläutert werden, was in der Sportwissenschaft zum einen unter dem Begriff „Motorik“ und zum anderen unter „Leistungsfähigkeit“ verstanden wird und aus welchen Komponenten sich die sportliche Leistungsfähigkeit zusammensetzt. Ferner wird eine mögliche Systematisierung der allgemeinen motorischen Basisdimensionen vorgestellt.
2.1 Motorik
Der Begriff „Motorik“ hat nicht nur in der Sportwissenschaft, sondern in allen Wissenschaften, die sich mit dem System der menschlichen Bewegung beschäftigen, einen zentralen Stellenwert. Beispiele hierfür sind die Physiologie, Biologie, Biomechanik oder auch die Psychologie. In der sportwissenschaftlichen Literatur finden sich zahlreiche Ansätze und Bemühungen, eine möglichst umfassende Definition für den Begriff „Motorik“ zu formulieren: „[…] es existieren eine Vielzahl von Definitionsansätzen und eine verwirrende Terminologie für das Gebiet der menschlichen Bewegung“ (Krombholz, 1998, S. 56).
Eine innerhalb der Sportwissenschaft allgemein akzeptierte Definition für den Begriff „Motorik“ stammt von Bös und Mechling (1983), wonach unter Motorik „die Gesamtheit aller Steuerungs- und Funktionsprozesse verstanden wird, die Haltung und Bewegung zugrunde liegen.“ Mit dem Begriff „Motorik“ werden also nicht nur die Steuerungsprozesse des aktiven, „sich bewegenden Menschen“ bezeichnet, sondern auch jene Prozesse, die dem „unbewegten“, gegen die Schwerkraft arbeitenden Körper zugrunde liegen. Die Motorik erfüllt demnach zwei grundlegende Funktionen, erstens die Haltefunktion und zweitens die Bewegungsfunktion des Körpers. Ausgehend von diesen beiden Funktionen unterscheidet man im Allgemeinen auch zwischen der Stütz- und der Zielmotorik. „Beide Funktionen sind für den Bewegungsablauf untrennbar, komplementär miteinander verbunden“ (Bös, 1992, S. 320). Die Bewegungsausführung selbst währe ohne die Haltefunktion der motorischen Prozesse undenkbar, da diese vor und während der Bewegungsausführung sowohl eine vorbereitende als auch eine unterstützende Funktion haben. Baur (1994, S. 15) hält fest: „Haltung und Bewegung sind also nicht nur keine Gegensätze, sondern koordinierte Vorgänge, wobei die Haltung dabei insbesondere Vorbereitung und Stütze der Bewegung ist“.
Die am Zustande kommen von Haltung und Bewegung beteiligten Steuerungs- und Funktionsprozesse sind von komplexer Natur und müssen stets in Abhängigkeit von der spezifischen Situation und den persönlichen Voraussetzungen des Individuums betrachtet werden. Bei der Initialisierung und Aufrechterhaltung dieser Prozesse sind unterschiedliche Vorgänge beteiligt, wie dies Bös und Singer (1994, S. 17) in einer umfassenderen Definition von Motorik zum Ausdruck bringen: „Die Motorik umfaßt also alle an der Steuerung und Kontrolle von Haltung und Bewegung beteiligten Prozesse und damit auch sensorische, perzeptive, kognitive und motivationale Vorgänge. Haltung und Bewegung resultieren aus dem Zusammenspiel multipler Subsysteme.“ Die Steuerungs- und Kontrollinstanzen dieser Vorgänge liegen dabei in anatomisch unterschiedlichen Regionen: „Haltung wird durch spinalmotorische Reflexe konstituiert und durch supraspinale Einflüsse moduliert […] die gezielte Bewegung wird als psycho-physischer Vorgang betrachtet, der zentralen kortikalen und subkortikalen Einflüssen unterliegt“ (Bös 1992, S. 320).
Auch diese erweiterte Definition von Motorik macht deutlich, dass Motorik mehr ist, als nur Bewegung allein. Es müssen im Körper zunächst eine Reihe motorischer Prozesse ablaufen, bevor es zu einem von außen sichtbaren Ergebnis in Form von Bewegung kommt. Gutewort und Pöhlmann (1966, S. 597) definieren dabei Bewegung wie folgt: „[…] an der Peripherie als objektiver Vorgang in Erscheinung tretende Ortsveränderung der menschlichen Körpermasse in Raum und Zeit“. Meinel und Schnabel sehen in der Bewegung eine Interaktion zwischen dem Individuum und seiner Umgebung. Die Bewegung lässt sich dabei von den inneren motorischen Prozessen abgrenzen, da nur sie es ist, die durch Beobachtung erfassbar ist: „Bewegung […] ist die äußere, umweltbezogene Komponente der menschlichen Tätigkeit, die in Ortsveränderungen des menschlichen Körpers beziehungsweise seiner Teile und der Wechselwirkung mechanischer Kräfte zwischen Organismus und Umwelt zum Ausdruck kommt“ (Meinel & Schnabel, 2004, S. 33).
In einer zusammenfassenden Definition beschreiben Meinel und Schnabel (2004, S. 33) die Interaktion zwischen Bewegung und Motorik wie folgt:
Die Begriffe 'Bewegung' und 'Motorik des Menschen' beinhalten demnach zwei Aspekte ein und desselben Sachverhaltes im Rahmen der menschlichen Tätigkeit, gewissermaßen seine äußere und seine innere Seite […] Die 'äußere' Bewegung gehört zum motorischen Akt als sichtbare Repräsentation dazu - und menschliche Bewegung ohne 'innere' motorische Vorgänge und Funktionen kann es nicht geben“ (Meinel & Schnabel, 2004, S. 33).
Ausgehend von der Tatsache, dass interne motorische Prozesse die Bewegung steuern, lässt sich sicher behaupten, dass sich individuelle Unterschiede auf motorischer Ebene auch auf die Qualität einer Bewegung bzw. auf das erwünschte Ergebnis einer Handlung auswirken. Differenzen im Ausprägungsgrad motorischer Merkmale und deren Qualität sind verantwortlich für das individuelle Leistungsniveau, über welches ein Mensch im Vergleich zu anderen verfügt. Die wissenschaftliche Disziplin, die sich traditionell um die Bestimmung und Analyse charakteristischer Merkmale bemüht, die für die Ausprägung von Leistungsdifferenzen verantwortlich sind, bemüht, ist die Differentielle Motorikforschung. Ihre Wurzeln liegen in der Differentiellen Psychologie, jene Disziplin, die versucht, die einzigartigen psychologischen Merkmale und charakteristischen Verhaltensmuster eines Individuums, die in verschiedenen Situationen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten das Handeln eines Menschen beeinflussen, aufzudecken (Zimbardo et al., 2003, S. 520).
In der Sportwissenschaft ist die differentielle Motorikforschung auch synonym unter dem Begriff der „fähigkeitsorientierten Betrachtungsweise“ bekannt:
„[...] es hat sich dabei eingebürgert, die differentialpsychologisch-motorischen Ansätze mit dem Begriff der 'fähigkeitsorientierten [...] Betrachtungsweise' der Motorik zu kennzeichnen. Sie ist mittlerweile weit verbreitet und hat einen festen Platz in der bewegungswissenschaftlichen Forschungslandschaft gefunden [] die fähigkeitsorientierte Betrachtungsweise befasst sich mit der Beschreibung und Erklärung von individuellen motorischen Leistungsdifferenzen.“ (Roth & Willimczik, 1999, S. 228).
Individuelle Leistungsdifferenzen werden durch die Ausprägung der Leistungsfähigkeit messbar. Was genau man unter sportlicher Leistungsfähigkeit versteht, soll im Folgenden erläutert werden.
2.2 Sportliche Leistungsfähigkeit
Aus sportlicher Perspektive versteht Hahn (1992, S. 278) unter Leistungsfähigkeit ganz allgemein „die maximal erreichbare, unter Ausschöpfung aller Reserven zu realisierende Leistung eines Sportlers in einer bestimmten Sportart“. Die aktuelle Leistungsfähigkeit einer Person ist dabei im wesentlichen von drei Faktoren abhängig:
1. vom Leistungspotential
2. von der Stressresistenz, Leistungen unter allen möglichen Bedingungen zu präsentieren und
3. von der Erholungsfähigkeit des Athleten.
Nach Weineck (2007, S. 25) stellt die sportliche Leistungsfähigkeit: „den Ausprägungsgrad einer bestimmten sportmotorischen Leistung dar und wird aufgrund ihres komplexen Bedingungsgefüges von einer Vielzahl spezifischer Faktoren bestimmt“. In einem vereinfacht dargestellten Modell (siehe Abb. 1) nennt Weineck (2007, S. 25) die wesentlichen Faktoren, die der sportlichen Leistungsfähigkeit zugrunde liegen. Neben den psychischen, taktisch-kognitiven und sozialen Fähigkeiten einer Person sind es vor allem konditionelle Fähigkeiten (Kraft, Schnelligkeit, Ausdauer und Flexibilität), koordinative Fähigkeiten und Bewegungsfertigkeiten, die die sportliche Leistungsfähigkeit in hohem Maße beeinflussen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Vereinfachtes Modell der Komponenten der sportlichen Leistungsfähigkeit (Weineck, 2007, S. 25).
Die sportliche Leistungsfähigkeit lässt sich anhand des Modells von Weineck aus der Summe einzelner Komponenten beschreiben, die sich im Individuum im Laufe des Lebens bis zu einem bestimmten Zeitpunkt entwickelt haben. Vorhandene Leistungsunterschiede werden durch die individuellen Differenzen im Ausprägungsgrad der beteiligten Einflussparameter erklärbar. Der Ausprägungsgrad der einzelnen Faktoren ist zum einen genetisch bedingt, kann aber auch das Resultat von systematischen Trainingsmaßnahmen sein, so z. B. auch die motorischen bzw. die sportmotorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten, die sich der Sportler meist im langjährigen Übungs- und Trainingsprozess erarbeitet hat und die als elementare Komponenten der sportlichen Leistungsfähigkeit maßgeblich die Leistung determinieren. Im Folgenden soll im einzelnen auf die Begriffe „Fähigkeiten“ und „Fertigkeiten“ eingegangen und deren inhaltliche Unterschiede heraus gearbeitet werden.
2.3 Fähigkeiten und Fertigkeiten
Carl (1992, S. 158) definiert den Begriff „Fähigkeit“ wie folgt: „Als Fähigkeit kann ganz allgemein eine relativ stabile personinterne Bedingung oder Voraussetzung zum Vollzug einer Tätigkeit bezeichnet werden. Dabei wird in der Regel davon ausgegangen, daß der Ausprägungsgrad einer Fähigkeit sowohl anlagebedingt als auch von einwirkenden Umwelteinflüssen abhängig ist“.
Motorische Fähigkeiten im Sport kann man sich demnach als das individuelle Rüstzeug vorstellen, dass einer Person für die Realisierung von Handlungen und das Erreichen sportlicher Leistungen zur Verfügung steht. Sie sind dabei nicht an einzelne Bewegungstätigkeiten gebunden, sondern: „sollen leistungsbestimmend für ganze Klassen von Bewegungstätigkeiten (Fertigkeiten) sein. Ihnen wird damit ein allgemeiner (aufgaben- und situationsübergreifender) Charakter zugeschrieben“ (Bös, 1987, S.82). Man kann alternativ auch sagen, dass es sich bei Fähigkeiten um Basiskompetenzen eines Menschen handelt, die eine bewegungsübergreifende Grundlage bei der Ausbildung spezifischer Handlungsmuster darstellen. Besonders im Sport ist es, für die erfolgreiche Bewältigung gestellter Aufgaben, von großer Bedeutung über ein hohes Ausprägungsniveau an unterschiedlichen Fähigkeiten zu verfügen, da diese einen universellen Charakter haben und maßgeblich die sportliche Leistung überdisziplinär steuern und regeln: “Es geht also um die internen motorischen Voraussetzungen, die z. B. für das Laufen, das Springen, das Klettern, die Rolle rückwärts [...] erforderlich sind“ (Roth, 1999, S. 231 – 232).
Zusammenfassend definieren Roth und Willimczik (1999, S. 233) motorische Fähigkeiten wie folgt:
„Motorische Fähigkeiten ('motor abilities') kennzeichnen individuelle Differenzen im Niveau der Steuerungs- und Funktionsprozesse, die bewegungsübergreifend von Bedeutung sind. Sie bilden die Voraussetzung für jeweils mehrere strukturell verschiedenartige Ausführungsformen und sind in ihrem Erklärungswert von unterschiedlicher Breite und Generalität“.
Im Gegensatz zu den motorischen Fähigkeiten, die einen bewegungsungebundenen Charakter haben, sind die motorischen Fertigkeiten bewegungsgebunden, d.h. sie werden neu erworben bzw. teilweise bis zur Vervollkommnung trainiert, um eine spezielle bzw. spezifische Bewegungsform optimal auszuführen. Unter motorischen Fertigkeiten verstehen Roth und Willimczik (1999, S. 232):
„[...] individuelle Differenzen im Niveau der Steuerungs- und Funktionsprozesse, die der Realisierung jeweils spezifischer Bewegungen zugrunde liegen. Sie sind prinzipiell mit einer bestimmten strukturellen Ausführungsform verknüpft, unterscheiden sich jedoch hinsichtlich ihres Grades der Offenheit vs. Geschlossenheit und ihres Transferpotentials“.
Mit geschlossenen Fertigkeiten sind jene Bewegungslösungen gemeint, deren Ausführungsbedingungen und Ausführungsweisen relativ festgelegt und unveränderlich sind. Eine geschlossene Fertigkeit ist z. B. das Turnen am Reck. Die Umgebungsbedingungen sind bekannt und es wird in der Regel eine vorgegebene Übungsabfolge geturnt. Bei offenen Fertigkeiten hingegen besteht eine mehr oder weniger große Variation der Möglichkeiten in Bezug auf die Ausführungsbedingungen und Ausführungsweisen einer bestimmten Handlung (Meinel & Schnabel, 2004, S. 149). Die Teilnahme an Sportspielen hingegen wird typischerweise als offene Fertigkeit bezeichnet. Der nächste Spielzug bzw. die nächste Spielsituation lässt sich kaum oder nur eingeschränkt vorhersagen, da sich die Umgebungsvariablen stets ändern. Gefordert wird vom Spieler in kürzester Zeit im Sinne des Handlungsziels zu reagieren.
Meinel (2004, S. 148) definiert eine motorische Fertigkeit als: „[...] eine unmittelbare Voraussetzung für die erfolgreiche Realisierung eines ganz bestimmten Handlungsvollzuges[, die] [...] somit unmittelbar der Erreichung eines Handlungzieles [dient]“.
Ist zunächst beim Prozess des Erlernens einer neuen Technik bzw. Bewegung eine bewusste Steuerung und Regelung notwendig, so wird die Bewegung durch regelmäßiges Üben automatisiert und erfolgt zunehmend ohne eine bewusste Einflussnahme. Dieser Aspekt wird in der Definition des Begriffes „Fertigkeit“ von Mechling (1992, S. 162 - 163) berücksichtigt:
„unter Fertigkeit versteht man eine weitgehend automatisch ausgeführte Komponente der bewußten menschlichen Tätigkeit, die sich vornehmlich durch Üben herausbildet [...] zwischen Handlung und F. und damit die Entscheidung darüber, wann man von einer F. spricht, ist anhand der Kriterien Bewußtheit und Übungsabhängigkeit nur graduell zu treffen“.
Die Wechselbeziehungen zwischen Fertigkeiten und Fähigkeiten lassen sich am Beispiel des Weitsprungs in der Leichtathletik verdeutlichen. Grundlage für einen erfolgreichen Sprung stellt die motorische Fertigkeit „des Springens“ selbst dar. Um aber auch eine möglichst hohe Weite zu erzielen, sollte die motorische Fähigkeit der Schnellkraft in den unteren Extremitäten möglichst gut entwickelt sein, da Schnellkraft für das Erreichen einer hohen Sprungweite von elementarer Bedeutung ist. Man kann auch sagen, sie ist die Ressource, aus der der Sportler schöpfen kann, um den Sprung im Sinne einer Maximierung der Sprungweite zu realisieren. Eine ausgeprägte Schnellkraft ist dabei nicht ausschließlich für die motorische Fertigkeit des Springens von Vorteil, sondern dient auch anderen motorischen Fertigkeiten wie z. B. beim Sprint. Dabei gilt es zu beachten, dass das Vorhandensein einer ausgeprägten Schnellkraft in den unteren Extremitäten nicht unbedingt in einer hohen Weite resultieren muss. Um eine maximale Sprungweite zu erzielen, ist auch eine optimale Sprungtechnik erforderlich. Dabei sollte jene Technik gewählt werden, die aus biomechanischer Sicht zum bestmöglichen Resultat führt. Im Weitsprung wäre z. B. die Laufsprungtechnik eine Lösungsvariante, sie dient als sportmotorische Fertigkeit dem Ziel, das Potential der vorhandenen Schnellkraftfähigkeit optimal zu nutzen, um die Weite zu maximieren. An diesem Beispiel wird deutlich, dass das Vorhandensein von sportmotorischen Fähigkeiten als Voraussetzung für die Entwicklung und Anwendung von sportmotorischen Fertigkeiten zu sehen sind. Es wird aber auch klar, dass nur eine auf hohem technischen Niveau beherrschte Fertigkeit das Potenzial vorhandener Fähigkeiten in vollem Umfang auszuschöpfen vermag. Zwischen Fähigkeiten und Fertigkeiten besteht somit eine grundlegende Beziehung. Diener (1968) konnte in diesem Zusammenhang nachweisen, dass die Ausbildung von motorischen Fertigkeiten um so schneller verläuft, je besser die motorischen Fähigkeiten ausgebildet sind (Diener, 1968, zitiert nach Meinel & Schnabel, 2004, S. 201). Es ist daher von elementarer Bedeutung, im Sportunterricht schon früh mit der Förderung der optimalen Entwicklung motorischer Fähigkeiten zu beginnen, da sie die Grundlage für eine disziplinübergreifende sportliche Ausbildung bilden.
Von entscheidender Bedeutung für die vorliegende Untersuchung ist die Tatsache, dass sportmotorische Fähigkeiten nicht direkt der Beobachtung zugänglich sind, sondern nur aus beobachtbaren Indikatoren erschlossen werden können. So ist z. B. die Leistung in der sporttechnischen Fertigkeit Speerwurf über die erreichte Weite direkt messbar bzw. bewertbar, die dahinter stehende latente Fähigkeit Schnellkraft hingegen nicht, da neben ihr für ein optimales Ergebnis auch andere Fähigkeiten wie z. B. Koordinationsfähigkeit notwendig sind. Eine hohe Weite lässt lediglich eine ausgeprägte Schnellkraft vermuten, es sind jedoch, um ihren genauen Anteil an der erbrachten Leistung zu bestimmen, neben der Beobachtung alleine, gezielte Messverfahren notwendig. Für eine differenzierte Analyse muss eine Übung bzw. ein Test so gewählt werden, dass man indirekt auf die Ausprägung einer bestimmten motorischen Fähigkeit schließen kann. In der Regel werden hierzu biomechanische Analyseverfahren oder sportmotorische Tests eingesetzt. In der vorliegenden Studie wurde die motorische Leistungsfähigkeit der untersuchten Kinder mit einer motorischen Testbatterie erfasst. In Kapitel 5.2.2 wird ausführlich beschrieben, was genau ein sportmotorischer Test ist und welche Testbatterie zum Einsatz kam.
Wie bereits erwähnt steuern und regeln die sportmotorischen Fähigkeiten überdisziplinär die sportliche Leistungsfähigkeit und bilden somit die Grundlage für die Ausbildung von sportmotorischen Fertigkeiten. Im Folgenden soll nun geklärt werden, welche sportmotorischen Fähigkeiten in der heutigen Sportwissenschaft unterschieden werden und wie sich diese Einteilung begründen lässt.
2.4 Systematisierung der allgemeinen motorischen Fähigkeiten
Um den Einfluss der sportmotorischen Fähigkeiten auf die sportliche Leistungsfähigkeit zu quantifizieren und deren Wechselbeziehungen untereinander aufzuklären, erscheint es zunächst sinnvoll, die verschiedenen Komponenten der sportmotorischen Fähigkeiten zu identifizieren und diese in ein geordnetes System zu überführen.
In der Sportwissenschaft haben die Bemühungen, eine geordnete und vor allem physiologisch und informationstheoretisch begründbare Systematisierung motorischer Fähigkeiten vorzunehmen, bereits Tradition: „In der Sportwissenschaft sind Bemühungen, um motorische Fähigkeiten, die synonym auch als Eigenschaften, Grundeigenschaften, o.ä. bezeichnet werden, zu systematisieren und zu ordnen, Legion“ (Bös, 1987, S. 84). Bös hat sich im Rahmen einer intensiven Literaturrecherche, in der er rund 200 sportwissenschaftliche Publikationen sichtete, ausführlich mit der Frage nach einer möglichen Kategorisierung motorischer Fähigkeiten beschäftigt. Er kam zu dem Ergebnis, dass in der sportwissenschaftlichen Literatur insgesamt 590 unterschiedliche Beschreibungskategorien für motorische Fähigkeiten existieren. Resultierend aus der Erkenntnis, dass teilweise unterschiedlich formulierte Begriffe den gleichen Inhalt beschreiben bzw. Überschneidungsbereiche auswiesen betonte Bös (1987, S. 87) die Notwendigkeit der Reduktion vorhandener Beschreibungskategorien:
„Der Versuch einer systematisierenden Begriffsreduktion erscheint notwendig und lohnend [...] eine sinnvolle Forderung muß deshalb lauten, daß sich adäquate motorische Beschreibungskategorien sowohl auf der Beobachtungsebene als Verhaltenscharakteristika äußern als auch über physiologische oder informationstheoretische Korrelate auf der Ebene der motorischen Steuerungs- und Funktionsprozesse verankern lassen sollten.“
Das Ergebnis seiner Arbeit hat zu einer, in der heutigen Sportwissenschaft, mitunter am meist anerkannten Systematisierung motorischer Fähigkeiten (siehe Abb. 2) geführt. Es handelt sich um ein hierarchisch, in drei Ebenen aufgebautes Strukturgebilde, in dem jene motorische Fähigkeiten zusammengefasst und ihre Beziehungen zueinander dargestellt werden, die für das zustande kommen sportmotorischer Leistungen verantwortlich sind. Bei der Entwicklung dieser Systematisierung wurde zunächst, basierend auf bereits bestehenden Konzepten von Gundlach (1968) und Pöhlmann (1977), versucht: „die Vielschichtigkeit leistungsbestimmender und leistungsbeeinflussender Faktoren zur Erklärung sportbezogener Bewegungsleistungen in einer systemorientierten Darstellung zu verankern“ (Bös, 1987, S. 90).
Auf der ersten Ebene des Modells sind die motorischen Fähigkeiten zum einen in energetisch determinierte (konditionelle) und zum anderen in informationsorientierte (koordinative) Fähigkeiten eingeteilt. Diese Einteilung geht ebenfalls auf Gundlach (1968) zurück und erfreut sich bis heute in den sportwissenschaftlichen Disziplinen einer allgemeinen Akzeptanz:
„ [...] zum einen herrscht heute weitgehend Einigkeit darüber, daß so heterogene Kategorien wie Kraft, Ausdauer auf der einen bzw. Gewandtheit und Koordination auf der anderen Seite nicht mit einem gemeinsamen Oberbegriff faßbar sind. Zum anderen hat sich die Verwendung der Bezeichnung „motorische Fähigkeiten“ mit der Trennung in die Oberbegriffe „konditionelle“ und „koordinative“ Fähigkeiten seit Gundlach in hohem Maße durchgesetzt“ (Bös, 1987, S. 86).
Auf gleicher Ebene werden, neben den konditionellen und koordinativen Fähigkeiten, die passiven Systeme der Energieübertragung genannt. Gemeint ist hiermit der passive Bewegungsapparat in Form von Knochen, Bändern, Sehnen und Gelenken, also jene Strukturen, die nicht aktiv an den physiologischen Prozessen der Energiebereitstellung beteiligt sind. Die motorische Fähigkeit „Beweglichkeit“ lässt sich weder dem konditionellen noch dem koordinativen Merkmalsbereich zuordnen, sondern wird als Leistungsvoraussetzung dem passiven System der Energieübertragung angegliedert. Ebenso lässt sich die motorische Fähigkeit „Schnelligkeit“ nicht eindeutig einem Bereich zuordnen. Sie enthält sowohl konditionelle als auch koordinative Elemente:
„Die Schnelligkeit in ihrer sportspezifischen Ausprägung als Aktionsschnelligkeit (AS) läßt sich nicht eindeutig dem konditionellen oder koordinativen Fähigkeitsbereich zuordnen. Schnelle Bewegungen zeichnen sich gerade dadurch aus, daß bei ihnen eine optimale Verknüpfung des energetischen Potentials mit der Qualität sensorischer Regulation besteht“ (Grosser, 1976, zitiert nach Bös, 1987, S. 94).
Auf einer zweiten Ebene sind die motorischen Grundeigenschaften Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit, Koordination und Beweglichkeit abgebildet (Bös, 1987, S. 93). Sie stellen die Basis für jede sportliche Leistung dar. Der Fähigkeit „Beweglichkeit“ kommt dabei, wie bereits erwähnt, eine Sonderstellung zu: „die Beweglichkeit ist streng genommen keine motorische Fähigkeit, sondern zählt ebenso wie die konstitutionellen Faktoren zu den passiven Systemen der Energieübertragung und ist damit für die Qualität von Bewegungshandlungen mitverantwortlich“ (Bös, 2003, S. 88). Im „Ersten Deutschen Kinder- und Jugendsportbericht“ geht Bös (2003) auf seine vorgenommene Einteilung auf zweiter Ebene ein, indem er beschreibt, welche Wechselbeziehungen zwischen den motorischen Grundeigenschaften, den sportmotorischen Fertigkeiten und der sportlichen Leistung bestehen: „Für das Niveau und die Ausführungsqualität von Fertigkeiten sind die motorischen Fähigkeiten Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit, Koordination und Beweglichkeit verantwortlich [...] Der Ausprägungsgrad der motorischen Fähigkeiten bestimmt die Qualität der beobachtbaren Bewegungshandlungen in Entwicklungs-, Lern- und Leistungsprozessen“ (Bös, 2003, S. 86). Ähnlich wie Bös geht Weineck (2007, S. 25) in seinem „vereinfachten Modell der Komponenten der sportlichen Leistungsfähigkeit“ (siehe Abb. 1) von den gleichen motorischen Grundeigenschaften aus. Statt Beweglichkeit spricht er aber von Flexibilität, die er allerdings nicht gesondert wie Bös zu den passiven Systemen der Energieübertragung, sondern zu den konditionellen Eigenschaften zählt.
Auf der dritten und letzten Ebene lassen sich auf Grundlage von Belastungsart, -dauer, -umfang und -intensität insgesamt 10 Subkategorien motorischer Beschreibungskategorien formulieren: AA = Aerobe Ausdauer, AnA = Anaerobe Ausdauer, KA = Kraftausdauer, MK = Maximalkraft, SK = Schnellkraft, AS = Aktionsschnelligkeit, RS = Reaktionsschnelligkeit, KZ = Koordination unter Zeitdruck, KP = Koordination bei Präzisionsaufgaben und B = Beweglichkeit.
In der vorliegenden Studie wurde zur Erfassung der motorischen Leistungsfähigkeit der untersuchten Kinder eine Testbatterie verwendet (siehe Kapitel 8.2.2.1), die basierend auf der beschriebenen Systematisierung konstruiert wurde.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Differenzierung motorischer Fähigkeiten nach Bös (1987, S. 94; 1994).
Nachdem nun grundlegende Begriffe zum besseren Verständnis der motorischen Leistungsfähigkeit erläutert und eine mögliche Systematisierung der allgemeinen motorischen Fähigkeiten aufgezeigt wurden, sollen im nächsten Kapitel aktuelle Theorien und Modelle zur motorischen Entwicklung des Menschen vorgestellt werden. Des Weiteren soll versucht werden, anhand von aktuellen Forschungsergebnissen den Einfluss von Anlage und Umwelt auf die motorische Entwicklung abzuschätzen. Für die vorliegende Studie ist insbesondere die Frage der Vererbung von motorischen Kompetenzen von großer Bedeutung. Würde man davon ausgehen, dass die motorische Leistungsfähigkeit zu 100 % vererbt wäre, so wären jegliche pädagogische Maßnahmen zur Förderung der motorischen Leistungsfähigkeit erfolglos, da die Entwicklung der motorischen Leistungsfähigkeit in diesem Fall nicht für Umwelteinflüsse empfänglich wäre. Im Umkehrschluss würde aber auch die Höhe des Medienkonsums keinerlei Auswirkung auf die motorische Leistungsfähigkeit zeigen.
3 Motorische Entwicklung
Insbesondere für die Sportpädagogik sind die Mechanismen, die der motorischen Entwicklung zugrunde liegen, von zentraler Bedeutung: „Die Sportpädagogik behält die Fragestellung nach dem altersbezogenen Entwicklungsniveau bei in der Absicht, Orientierungsmarken für pädagogische Interventionen zu gewinnen“ (Peters et al., 1980; Möckelmann & Schmidt, 1981; Winter, 1987, zitiert nach Baur, 1994, S. 27). Im Folgenden soll diskutiert werden, was genau aus sportwissenschaftlicher Perspektive unter motorischer Entwicklung verstanden wird, welche Theorien bzw. Modelle zum Verständnis der motorischen Entwicklung beitragen und welche Rolle dabei Anlage und Umwelt spielen.
Definition
Singer und Bös (1994, S. 19) verstehen unter motorischer Entwicklung: „die auf die lebensalterbezogenen Veränderungen der Steuerungs- und Funktionsprozesse, die Haltung und Bewegung zugrunde liegen“. Diese Umschreibung trägt dem allgemeinen Verständnis von motorischer Entwicklung als einem lebenslangen Entwicklungsprozess Rechnung. Singer und Bös (1994) weisen jedoch darauf hin, dass der Verweis auf das Lebensalter in der vorgeschlagenen Definition lediglich zur Beschreibung der motorischen Entwicklung dienen kann, nicht aber die der Entwicklung zugrunde liegenden Mechanismen erklärt. Um eine Antwort auf die Frage zu erhalten, wie motorische Entwicklung zustande kommt, ist es erforderlich, die Bedingungen zu erforschen, die ihr zugrunde liegen. Die Auslöser bzw. die Bedingungen für den Entwicklungsprozess können laut Martin (1999, S. 29) dabei gleichsam anlage- und umweltbedingten Einflussfaktoren zugeschrieben werden: „[...] sie vollzieht sich im Zusammenwirken von genetischen Anlagen mit Umwelteinflüssen, was zu Veränderungen struktureller und funktioneller Merkmalsausprägungen im Zusammenhang mit der Individualisierung führt.“
3.1 Ausgewählte Theorien und Modelle der motorischen Entwicklung
Bis heute existiert weder eine allgemein anerkannte Theorie der menschlichen Entwicklung noch eine Theorie des Teilbereichs „motorische Entwicklung“ (Krombholz, 1998, S. 55). Vielmehr existieren gegenwärtig mehrere Theorien nebeneinander, denen jeweils unterschiedliche Ansätze bei der Erforschung und Deutung der motorischen Entwicklung zugrunde liegen. Aus entwicklungspsychologischer Perspektive lassen sich nach Montada (1995, S. 7), je nachdem, ob dem Subjekt und/oder der Umwelt ein gestaltender Beitrag zur Entwicklung zugebilligt wird oder nicht, vier prototypische Theoriefamilien unterscheiden: endogenistische, exogenistische, interaktionistische und Selbstgestaltungstheorien. Auch Baur (1994, S. 30) ordnet die Vielzahl bestehender Theorien nach vergleichbaren Gesichtspunkten. Zum einen nach dem Kriterium „Entwicklungssteuerung“ und zum anderen nach der „aktiven Einflußnahme auf den Entwicklungsprozess“. Aus metatheoretischer Perspektive kommt er, ähnlich wie Montada (1995), auf vier Kategorien unterschiedlicher Entwicklungskonzeptionen (siehe Tab. 1): biogenetische (endogenetische bzw. organismische) Konzeptionen, umweltdeterministische (exogenistische bzw. mechanistische) Konzeptionen, strukturgenetische (konstruktivistische und systemische) Konzeptionen und interaktionistische (handlungstheoretische, ökologische und dialektische) Konzeptionen. Im Folgenden sollen die von Baur zusammengestellten Kategorien näher skizziert werden. Die Reihenfolge ergibt sich dabei aus der historischen Abfolge, nach der die einzelnen Konzeptionen in der sportwissenschaftlichen Diskussion berücksichtigt wurden.
Tabelle 1: Metatheoretische Entwicklungskonzeptionen nach Baur (1994, S. 30)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Etwa Anfang der 70er Jahre dominierten in der Sportwissenschaft zunächst die biogenetischen orientierten Phasenlehren, die durch umweltdeterministisch orientierte und sozialisationstheoretische Ansätze abgelöst wurden. Erst im Verlauf der 80er Jahre fanden dann zunehmend die interaktionistischen Konzeptionen Anerkennung, die auch noch bis heute allgemein als die dominierenden Ansätze betrachtet werden (Baur, 1994, S. 45).
Biogenetische Entwicklungskonzeptionen
Die Kernannahme biogenetischer (endogenetischer bzw. organismischer) Konzeptionen ist, dass die Entwicklung des Menschen durch personeninterne Faktoren, also auf Grundlage eines genetischen Codes gesteuert wird. Dem zufolge ist das in den Genen gespeicherte Erbgut als die universelle Steuerungsinstanz für alle Wachstums- und Reifungsprozesse im Menschen zu sehen. Einmal angestoßen laufen sie autonom, ohne Möglichkeit der externen Einflussnahme, nach biologischen Gesetzmäßigkeiten ab. Die Entwicklung erfolgt dabei einer festgelegten Sequenz aufeinander folgender Entwicklungsphasen, die, sind sie erst einmal ausgebildet, nicht mehr umkehrbar sind. Der Entwicklungsprozess aller Menschen wird nach dieser Theorie als universell angesehen, da davon ausgegangen wird, dass der Spezies Mensch die gleichen biologischen Gesetzmäßigkeiten zugrunde liegen. Der gesamte Entwicklungsprozess des Menschen ist erst dann zu Ende, wenn die qualitativ höchste Phase, die Phase der „Reife“ im Erwachsenenalter, erreicht ist (Baur, 1994, S. 30).
Biogentische Entwicklungskonzeptionen werden vor allem von Vertretern der klassischen Kinder- und Jugendpsychologie propagiert, die den Lebenslauf in qualitativ unterschiedliche Phasen oder Stufen untergliedern. Ein typischer Vertreter der auf dieser Konzeption basierenden so genannten „Phasenlehre“ war Möckelmann (1961). Diese Lehre geht von einer nach Phasen gegliederten, ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung aus, in der körperliche, motorische und geistig-seelische Entwicklungsprozesse insofern eng ineinander verwoben sind, „als dass die Entwicklung jeweils in körperlichen Schichten der Persönlichkeit beginnt und allmählich über die psychophysischen zu den höheren seelischen fortschreitet“ (Möckelmann, 1961, S.56 f., zitiert nach Baur, 1994, S. 31). Nach endogenetischer Auffassung sind weder Einwirkungen der Umwelt noch die Aktivitäten des Organismus selbst für die Entwicklung ausschlaggebend (Krombholz, 1998, S.57). Montada (1995, S. 8) geht davon aus, dass das genetische Entwicklungsprogramm nur in bestimmten, als „sensible“ Perioden bezeichneten Phasen, für äußere Einflüsse offen empfänglich ist. Außerdem werden diese Einflüsse nur dann wirksam, wenn sie mit dem genetischen Programm kompatibel sind. Ist dies nicht der Fall, so bleiben sie unwirksam oder können sogar Schaden anrichten. Nach Baur (1998, S. 30) schließen biogenetische Konzeptionen Umwelteinflüsse allerdings nicht kategorisch aus. Er räumt ein, dass z. B. sozialisatorische Interventionen den Entwicklungsprozess zwar fördern oder hemmen, ihn aber in seiner phasischen Abfolge nicht verändern können.
Die allgemeine Akzeptanz einer ausschließlich biogenetischen Betrachtungsweise zur motorischen Entwicklung scheitert aufgrund einer Reihe von Kritikpunkten (Baur, 1994, S. 32). Zum einen wird in dem Konzept von einem passiven Individuum ausgegangen, das nicht in der Lage ist, auf seine eigene Entwicklung Einfluss zu nehmen. Da außerdem nach dieser Theorie davon ausgegangen wird, dass der Entwicklungszeitraum auf das Kindes- und Jugendalter begrenzt ist, wird eine motorische Weiterentwicklung im Erwachsenenalter grundsätzlich ausgeschlossen. Es ist jedoch bekannt, dass auch im Erwachsenenalter durchaus auf die motorische Entwicklung eingewirkt werden kann. Es kommt insgesamt gesehen zu einer einseitigen Akzentuierung endogener Entwicklungsverläufe, da die exogene Einflüsse kaum bis überhaupt nicht berücksichtigt werden. Aus biogenetischer Betrachtungsweise würden demnach streng genommen pädagogische Interventionsmaßnahmen keinen Erfolg zeigen, da laut dieser Theorie eine Wirkung exogener Faktoren nicht angenommen wird.
Strukturgenetische Entwicklungskonzeptionen
Innerhalb strukturgenetischer Entwicklungskonzeptionen werden, analog zu den biogenetischen Theorien, primär personinterne Faktoren für die Entwicklungssteuerung verantwortlich gemacht. Es wird jedoch nicht mehr von einem passivem, sondern einem aktiven Menschen ausgegangen, der sich aus seiner Eigeninitiative heraus entwickelt: „Der reflexive Mensch reagiert nicht mechanisch auf äußere Reize. Seine Entwicklung ist auch nicht nur durch biologische Reifung bestimmt, er handelt ziel- und zukunftsorientiert und gestaltet somit seine eigene Entwicklung mit“ (Montada, 1995, S. 8). Aufgrund der aktiven Auseinandersetzung mit der Umwelt findet eine Art „Selbstkonstruktion“ statt (Krombholz, 1998, S. 57). Dabei vollzieht sich die Entwicklung als ständiger Adaptions- und Strukturbildungsprozess, indem sich die Person (als internes System) an ihre Umwelt (als externes System) zunehmend anpasst und dabei zugleich komplexere personale Strukturen ausbildet. Ziel dieser fortschreitenden Anpassung ist das Erreichen eines dynamischen Gleichgewichts zwischen dem internen und dem externen System (Baur, 1998, S. 33). Innerhalb dieses Prozesses können die Umwelteinflüsse die Entwicklung zwar nicht steuern, sie können aber Anregungen geben, indem sie z. B. durch Fragen und Problemstellungen sowie Lösungsvorschläge das Subjekt in eigener entdeckender und strukturierter Form konstruktiv zur Aktivität auffordern (Montada, 1995, S. 9). Durch das aktive Handeln werden neue Erfahrungen gemacht, die über ständige Rückkopplungsprozesse in die bestehenden personalen Strukturen integriert werden und somit zur Weiterentwicklung einer Person führen. Die Anpassungen sind dabei als lebenslanger Prozess zu sehen, so dass die motorische Entwicklung, im Gegensatz zu der Annahme biogenetischer Entwicklungskonzeptionen, nicht auf das Kindes- und Jugendalter begrenzt wird.
Zu den strukturgenetischen Entwicklungskonzeptionen gehören die so genannten konstruktivistischen Konzeptionen, die vor allem von Piaget (1969) entwickelt wurden. Konstruktivistische Konzeptionen gehen davon aus, dass sich das Verhalten des Menschen bzw. seine innere Struktur stetig verändert, um sich den Anforderungen der Umwelt anzupassen. Man nennt diesen Vorgang auch Akkomodation. Der Mensch wiederum wirkt aber auch selbst aktiv auf die Umwelt ein, indem die Umwelt durch ihn so gestaltet und verändert wird, dass sie mit den individuellen Bedürfnissen und Möglichkeiten, also mit der eigenen Struktur des Menschen, übereinstimmt. Dieser Vorgang wird im Allgemeinen als Assimilation bezeichnet. Sowohl bei Akkomodation als auch bei Assimilation baut dabei jedes Entwicklungsstadium auf dem vorausgehenden auf und ist selbst wieder die Voraussetzung für das nächsthöhere Stadium (Baur, 1994, S.34).
Die Entwicklungskonzeption von Piaget hat bisher in der Sportwissenschaft noch keine breite Diskussion, da sich diese vor allem auf die kognitive Entwicklung des Menschen beschränkt und die motorischen Aspekte der Entwicklung nicht berücksichtigt werden. Kritisiert wird an dem Konzept vor allem, dass es sich bei der Auseinandersetzung des Individuums mit der Umwelt um einen so genannten „eindirektionalen Interaktionismus“ handelt. Gemeint ist damit, dass innerhalb der Interaktion zwischen Individuum und Umwelt nur dem Individuum eine aktive Rolle in diesem Prozess eingeräumt wird. Die Umwelt hingegen steht im Rahmen dieser Wechselbeziehung nur passiv zur Verfügung. Für die Pädagogik hätte dies zur Folge, dass bei der Ausbildung von kognitiven Strukturen pädagogische Interventionsmaßnahmen, wenn überhaupt, nur unterstützend wirken können. Die Initiative bzw. der Anstoß für eine erfolgreiche Kommunikation müsste nach dieser Theorie jedoch immer vom Individuum selbst ausgehen.
Nach Piaget ist die höchste Entwicklungsstufe kognitiver Strukturen bereits im Jugendalter erreicht, so dass sich auch seine Konzeption lediglich auf das Kindes- und Jugendalter beschränkt und daher eine lebenslange Entwicklung nicht berücksichtigt wird. Ebenso kritisiert man an seinem Konzept, dass gleichermaßen wie bei den biogenetisch orientierten Phasentheoretikern, die Homogenität der Individuen, innerhalb der einzelnen Entwicklungsphasen, im Allgemeinen überschätzt wird (Baur, 1994, S. 36).
Umweltdeterministische Konzeptionen
Im Gegensatz zu den biogenetischen Entwicklungskonzeptionen, die ausschließlich personinterne Faktoren für die Entwicklung des Menschen verantwortlich machen, gehen umweltdeterministische Konzeptionen davon aus, dass die Entwicklung durch die Umwelt gesteuert wird. Die Entwicklung einer Person wird demnach als das Ergebnis der Summe vielfältiger Umwelteinflüsse gesehen: „Was und wie gelernt wird, hängt von den Gelegenheiten, Erwartungen und Anforderungen der Umwelt ab“ (Baur, 1994, S. 38).
Ein klassischer Vertreter umweltdeterministischer Konzeptionen ist der Behaviourismus. Der wissenschaftstheoretische Standpunkt des Behaviourismus ist, dass der Mensch und seine Entwicklung vollkommen durch externe Reize kontrolliert und gesteuert werden. Allgemein bezeichnet man Theorien, die sich aus dieser Grundannahme entwickelt haben, auch als Reiz-Reaktions-Theorien. Diese Theorien basieren auf der Vorstellung, dass ein Individuum sein Verhalten ausschließlich in Abhängigkeit von externen Stimuli aus der Umwelt anpasst. Dies hat zur Konsequenz, dass das Verhalten einer Person durch Manipulation der auf sie einwirkenden Umwelteinflüsse durch Dritte jede erwünschte Veränderung hervorbringen kann. Die Aufforderung Watsons (1924, zitiert nach Montada, 1995, S. 8), dem Begründer des Behaviourismus, „man möge ihm ein Dutzend Kinder geben und eine Welt, in der er sie aufziehen könne, dann garantiere er, daß er jedes zu dem mache, was man wolle: Arzt, Rechtsanwalt, Künstler, Unternehmer oder auch Bettler und Dieb , ist ein prägnanter Ausdruck des behavioristischen Menschenbildes“.
Aus pädagogischer Sicht scheint dieser Ansatz geradezu ideal, könnte man doch davon ausgehen, dass die durch erzieherische Maßnahmen erwünschten Verhaltensänderungen bzw. Entwicklungsschritte, die man in einer Person zu bewirken versucht, auf jeden Fall erfolgreich wären. Hurrelmann (1986, S. 20) interpretiert diesen Ablauf wie folgt: „Entwicklungsimpulse kommen von außerhalb des Organismus, Veränderungen des Verhaltens werden folglich als Konsequenzen, als Reaktion auf bestimmte Umweltbedingungen interpretiert.“
Meist wird der Behaviorismus mit dem Begriff des „Lernens“ assoziiert. Seltener hingegen bringt man ihn mit dem Entwicklungsbegriff selbst in Verbindung. Entscheidend zur Klärung, wie sich die behavioristischen Ideen auf den Entwicklungsprozess des Menschen übertragen lassen, ist die Tatsache, dass zwischen Lernen und Entwicklung nur ein gradueller Unterschied besteht . Spricht man von Lernen, so sind damit kurzfristige, aber relativ stabile Verhaltensänderungen zur Anpassung an die Umwelt gemeint, während man mit Entwicklung Verhaltensänderungen in größeren Zeiträumen bezeichnet. Die Entwicklung als Lerngeschichte bleibt dabei prinzipiell unabgeschlossen und vollzieht sich über den gesamten Lebenslauf (Baur, 1994, S. 39).
Neben den behavioristischen Reiz-Reaktions-Theorien der Entwicklungspsychologie sind mit Beginn der 70er Jahre vor allem sozialdeterminierte Ansätze in die sportwissenschaftliche Diskussion mit aufgenommen worden. Ein Beispiel hierfür ist die schichtenanalytische Sozialforschung, die den Zusammenhang zwischen sozialer Schichtenzugehörigkeit und der allgemeinen Bewegungsaktivität einer Person eruiert hat. Die Ergebnisse zeigen einen direkten Zusammenhang beider Faktoren; so beteiligen sich Angehörige höherer sozialer Schichten häufiger an Bewegungsaktivitäten als jene unterer Schichten. Interessant ist dabei insbesondere die Tatsache, dass die schichtentypischen Verhaltensweisen an den Nachwuchs weiter vermittelt werden, d.h. es wurde ein eindirektionaler Einfluss der sozialen Umwelt auf die nachfolgende Generation und deren Entwicklung nachgewiesen. Ergänzend soll an dieser Stelle angemerkt werden, dass sich diese Ergebnisse nur auf den Zusammenhang zwischen der Schichtenzugehörigkeit und der Bewegungsaktivität beziehen. Widersprüchlich hingegen sind die bisherigen Befunde über den Zusammenhang zwischen der Schichtenzugehörigkeit und der motorischen Entwicklung (Baur, 1994, S. 39 - 40).
Kritisiert werden die umweltdeterministischen Konzeptionen vornehmlich aufgrund der Tatsache, dass auch bei ihnen, wie bei den biogenetischen Konzeptionen, von einem passiven Individuum ausgegangen wird. Die Person wird in diesem Fall zwar nicht von ihrer Genetik, wohl aber von ihrer Umwelt gesteuert. Außerdem kommt es zu einer Überbewertung exogener Faktoren, die zu einer Vernachlässigung der endogenen Entwicklungsfaktoren führt.
Interaktionistische Konzeptionen
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass in der Sportwissenschaft heute weitgehend darüber Einigkeit besteht, dass interaktionistische Konzeptionen zur Analyse komplexer motorischer Entwicklungsverläufe am geeignetsten erscheinen und somit als die dominierenden Ansätze betrachtet werden (Baur, 1994, S. 45). Ursache für die hohe Akzeptanz interaktionistischer Theorien ist, dass die bisher vorgestellten Konzeptionen für die Klärung sportwissenschaftlicher Fragestellungen als nicht ausreichend geeignet erscheinen: „Einer wachsende Zahl von Forschern scheinen weder die exogenistischen noch die endogenistischen Grundannahmen für die Deutung der Mehrzahl der Entwicklungsvorgänge angemessen und durch die Datenlage gerechtfertigt“ (Montada, 1995, S. 8). Die theoretische Komplexität interaktionistischer Konzeptionen hingegen scheint für die Beschreibung komplexer motorischer Entwicklungsverläufe weitaus besser geeignet: „Interaktionistische Konzeptionen finden in jüngerer Zeit zunehmend auch Eingang in die entwicklungstheoretische Diskussion innerhalb der Sportwissenschaft [...] Sie lassen die Generierung komplexer Annahmenzusammenhänge über die motorische Entwicklung zu“ (Baur, 1994, S. 42).
Interaktionistische Konzeptionen gehen davon aus, dass sich die Entwicklung eines Individuums im Rahmen einer Person-Umwelt-Interaktion abspielt, in der sich Person und Umwelt wechselseitig vermitteln. In diese Interaktion fließen einerseits biogenetische Prädispositionen mit ein, andererseits aber auch bereits erworbenen subjektiv verarbeitete Erfahrungen einer Person, die im aktuellen Handeln weiterentwickelt werden und sich ihrerseits wiederum auf das zukünftige Handeln auswirken. Da sich eine Person stets mit der Umwelt auseinander setzen muss um zu handeln, können diese Erfahrungen sozial, gesellschaftlich, kulturell oder auch historisch vermittelt sein. Das Handeln wird in diesem Kontext als bidirektionaler Prozess verstanden: „Über das Handeln nimmt also die Umwelt einerseits Einfluß auf die Person, andererseits aber wirkt die Person damit auch auf die Umwelt ein [...] Im Handeln sind beide Seiten dieses fortlaufenden Interaktionsprozesses ineinander verschränkt“ (Baur, 1994, S.41). Im Gegensatz zu den strukturgenetischen Konzeptionen, in denen nur die Person als aktiv gestaltend wahrgenommen wird, werden in interaktionistischen Konzeptionen also sowohl der Person als auch der Umwelt eine gestaltende Funktion zugebilligt (Montada, 1995, S. 9). Der wechselseitige Interaktionsprozess vollzieht sich ein Leben lang und bleibt daher stets unabgeschlossen.
Das Besondere an interaktionistischen Konzeptionen ist, dass sie alle Grundannahmen der bisher vorgestellten Konzeptionen in sich vereinen. Es wird weder der Einfluss der biogenetischen, noch der Einfluss der umweltdeterministischen Faktoren für die Bedeutung der motorischen Entwicklung unterschätzt. So geht man zwar einerseits davon aus, dass die biogenetischen Faktoren, die als Handlungspotentiale verstanden werden, die Möglichkeiten und Grenzen des Handelns definieren, andererseits haben die umweltdeterministischen Faktoren aber auch Einfluss auf den Ausschöpfungsgrad des vorhandenen Handlungspotentials einer Person. In diesem Zusammenhang wird angenommen, dass sich die exogenen Faktoren in vielfältiger Weise förderlich oder hinderlich auf die motorische Entwicklung auswirken können. Dabei haben nicht alleine die exogenen Faktoren im Sinne eines eindirektionalen Interaktionismus Einfluss auf die Person, sondern es kommt zu einem bidirektionalen Interaktionismus, indem sich die Person über ihre Bewegungsaktivitäten mit den vorhandenen Umweltgegebenheiten auseinandersetzt. Dies funktioniert, indem sie bestimmte Bewegungsmöglichkeiten wahrnimmt oder auslässt und auf diese Art und Weise auf die Umwelt einwirkt und diese verändert (Baur, 1994, S. 41 – 42). Das Zusammenspiel zwischen Mensch und Umwelt ist zu komplex, um alle Vorgänge im Detail zu ergründen und die Vielzahl an Wirkmechanismen vollständig aufzudecken. Nichts desto trotz bieten interaktionistische Konzeptionen eine geeignete Basis beim Versuch, die vielschichtigen Zusammenhänge zu ergründen. Baur (1994, S. 44) fasst zusammen:
„Es ist unmittelbar einleuchtend, daß die komplexen Annahmenzusammenhänge interaktionistischer Konzeptionen kaum als Ganzes auf ihre empirische Bewährung hin geprüft werden können. Vielmehr wird man sich mit der partiellen Prüfung einzelner Annahmen(komplexe) begnügen müssen, was aber nicht ausschließt, daß diese interpretativ in den gesamten Annahmenzusammenhang eingebunden werden“.
3.2 Anlage und Umwelt
Interaktionistische Modelle beschäftigen sich mit der Frage, inwiefern sich biogenetische und umweltdeterministische Einflussfaktoren auf die menschlichen Entwicklungsverläufe auswirken. Es wird heute nicht mehr angezweifelt, dass interne und externe Faktoren bei der Entwicklung wirksam werden, es stellt sich aber weiterhin die Frage, wie hoch der Einfluss der Gene ist und welcher Anteil dem Einfluss der Umwelt an der allgemeinen Entwicklung und speziell der motorischen Entwicklung des Menschen zugemessen wird: „Bis in unsere Tage entbrennen aber heftige Kontroversen über die Frage, ob den individuellen Erbanlagen oder den individuell erfahrenen Umwelteinflüssen mehr Gewicht bei der Entwicklung des Erscheinungsbildes (des Phänotyps) mit Fähigkeiten, Motivationen, psychologischen Merkmalen und Störungen zukommen“ (Montada, 1995, S. 34).
Mit dieser Fragestellung beschäftigen sich nicht nur die wissenschaftliche Forschung der klassischen Genetik oder der Entwicklungspsychologie, sie ist auch für die Pädagogik von großer Interesse. Der zentrale Punkt dabei ist, in welchem Maße man die Entwicklung des Menschen bzw. die der Kinder und Jugendlichen beeinflussen kann. Sei es im schulischen Sportunterricht oder im Verein, der Lehrer bzw. der Trainer kann nur dann die angestrebten Entwicklungsziele bzw. die gewünschte Förderung erreichen, wenn ihm die allgemeinen Grundlagen über das Zusammenwirken von Anlage und Umwelt auf die Entwicklung bekannt sind und er diese in seinem Handeln berücksichtigt.
Bevor nun versucht wird ein Überblick über den Einfluss von Anlage und Umwelt auf die motorische Leistungsfähigkeit zu geben, soll zunächst geklärt werden, was genau zum einen unter den Begriffen „Anlage“ und „Umwelt“ verstanden wird, welche Methoden zur Einschätzung der Erblichkeit von Eigenschaften in der heutigen Wissenschaft angewendet werden und wie Anlage und Umwelt hinsichtlich der motorischen Entwicklung zueinander in Beziehung stehen.
Anlage
Es ist heute weithin bekannt, dass die genetischen Erbinformationen des Menschen, auch als Anlage bezeichnet, in den Chromosomen gespeichert sind. Die Orte an denen sich die Chromosomen befinden, nennt man Gene. Sie sind es, die für die Ausprägung verschiedener Merkmale des Menschen verantwortlich sind: „Die meisten Merkmale werden nicht durch einzelne, sondern durch mehrere Gene determiniert: Gewicht, Größe, Haarfarbe, Intelligenz, Persönlichkeitsfaktoren und vieles mehr“ (Montada, 1994, S. 37). Die Gesamtheit aller Erbanlagen eines Individuums zeigt sich im so genannten Genotyp, er repräsentiert den individuellen Satz von Genen, die ein Individuum in sich trägt und der im Laufe des Lebens unverändert bleibt. Die Gene werden zu unterschiedlichen Zeitpunkten aktiv und beeinflussen mit ihrer Aktivität die Entwicklung des Menschen (Bühner, 2006). Im Gegensatz zum Genotyp handelt es sich bei dem Phänotyp um das beobachtbare Erscheinungsbild der Merkmale eines Individuums, also die tatsächlichen körperlichen Merkmale wie Gewicht, Größe etc., die für den Außenstehenden erfassbar sind: „Je mehr sich das genetische Potential durchsetzt, die Gene dominieren (Genexpressivität), desto stärker manifestiert sich die genetische Disposition auch im Phänotyp“ (Martin et al., 1999, S. 30). Die Beziehungen zwischen dem Genotyp und dem Phänotyp sind dabei meist von komplexer Natur, so können ähnliche Phänotypen verschiedene Genotypen haben, ebenso können sich aber auch ähnliche Genotypen in unterschiedlichen Entwicklungsumwelten zu unterschiedlichen Phänotypen entwickeln: „Eine Anlage zur Schizophrenie mag sich in einem optimalen Milieu nicht auswirken, und eine musikalische Begabung wird ohne Musikangebote und Förderung unentwickelt bleiben“ (Montada, 1995, S. 38). Dieses Beispiel lässt bereits vermuten, dass sich die Ursache für menschliches Verhalten nicht nur auf das Wirken von Genen reduzieren lässt, sondern immer in Zusammenhang mit Umwelteinflüssen betrachtet werden muss.
Umwelt
Büttner (2006) bezeichnet mit dem Begriff „Umwelt“ die direkte Umgebung eines Menschen. Er differenziert dabei in zwei unterschiedliche Kategorien, und zwar erstens in die „materiale“, und zweitens in die „soziale“ Umgebung:
„Zur materiellen Umgebung zählen u. a. physikalisch-chemische Einflüsse (z. B. Umweltstoffe, globale Luftverschmutzung), Qualität des Wohnraumes (Größe, Lage), Verfügbarkeit von Ressourcen (Bücher, neue Medien) oder auch die Qualität der Wohngegend (Bildungsstätten, Freizeitmöglichkeiten). Die soziale Umgebung umfasst im weitesten Sinne Einwirkungen durch andere Menschen. Hierzu zählen u. a. Lernangebote und Erziehungseinflüsse (in der Familie, im Kindergarten, in der Schule), Beziehungen zwischen Eltern und Kind, Kontakte zwischen Kind und anderen Kindern (Häufigkeit, Dauer und emotionale Qualität der Kontakte) oder auch Erwartungen von Gleichaltrigen in der so genannten peer group“.
Der individuellen Umwelt eines Menschen wird ein bedeutender Einfluss für die Entwicklung seines Phänotyps zugeschrieben, wobei sich objektiv identische oder ähnliche Umweltbedingungen je nach Genotyp, und bereits entwickeltem Phänotyp, durchaus unterschiedlich auf das Individuum auswirken können. Montada (1995, S. 35) gibt hierfür ein Beispiel:
„Ein Technikmuseum ist eine faszinierende Informationsquelle für den einen, tödlich langweilig für den anderen [...] Es ist eine Interaktion zwischen Individuen und ihrer Umwelt anzunehmen in dem Sinne, daß sie ihre jeweilige Umwelt unterschiedlich wahrnehmen, bewerten und deuten, und daß sie unterschiedlich auf ihre Umwelt wirken und einwirken“.
Für den Sportlehrer, der versucht, die Entwicklung der motorischen Leistungsfähigkeit seines Schülers gezielt zu fördern, ist dieser Aspekt von großer Bedeutung. Für eine erfolgreiche Unterrichtsgestaltung sollten die Umweltbedingungen so gestaltet sein, dass jeder Schüler entsprechend seinem aktuellen Leistungsniveau beansprucht wird. Dabei sollten nach Möglichkeit auch stets die Interessen und Vorlieben des einzelnen Schülers beachtet werden, um die Motivation zum Sporttreiben aufrecht zu erhalten und somit schon in jungen Jahren eine Grundlage für eine lebenslange sportliche Betätigung zu legen.
3.2.1 Methoden zur Einschätzung der Erblichkeit
Aufgabe der empirischen Forschung ist es festzustellen, welche phänotypischen Varianten durch welche Umweltbedingungen bei welchen Genotypen möglich sind und die Wege des Zusammenwirkens zwischen Anlagen und Umwelteinflüssen aufzudecken (Montada, 1995, S. 39). Eine mittlerweile sehr beliebte methodische Vorgehensweise bei der Ergründung individueller Unterschiede ist der Vergleich von monozygoten (eineiigen) und dizygoten (zweieiigen) Zwillingen, sowie der Vergleich von dizygoten Zwillingen und altersungleichen Geschwisterpaaren. Die zugrunde liegende Idee ist dabei die folgende: eineiige Zwillinge entwickeln sich aus einem einzigen befruchteten Ei und sind daher anlagemäßig identisch. Dies hat zur Konsequenz, dass, wenn sich monozygote Zwillinge in irgendeinem Merkmal oder einer Eigenschaft unterscheiden, diese nicht vererbt sein kann, sondern als Produkt der Umwelteinflüsse anzusehen ist. Oder anders ausgedrückt: „Alle Unterschiede müssen auf andere als Anlagefaktoren zurückgeführt werden“ (Montada, 1995, S. 35). Dizygote Zwillinge hingegen sind anlagemäßig nicht ähnlicher als normale Geschwisterpaare, teilen aber normalerweise, da sie gleich alt sind, mehr an Kontext und Erfahrungen als diese. Dies hat zur Konsequenz, dass „eventuell beobachtete phänotypische Ähnlichkeitsdifferenzen zwischen zweieiigen Zwillingen und altersungleichen Geschwistern also auf größere Umweltdifferenzen bei letzteren zurückzuführen sind“ (Montada, 1995, S. 40). Sehr interessant in diesem Zusammenhang sind auch Adoptionsstudien, also Studien mit Kindern, die nicht bei ihren leiblichen Eltern aufgewachsen sind, „hier sind dann nicht nur Vergleiche der Korrelationen zwischen Merkmalen der Kinder und ihrer Adoptiveltern einerseits und ihrer leiblichen Eltern andererseits möglich, sondern auch die Überprüfung komplexerer Modelle der Verhaltensgenetik [...]“ (Singer, 1994, S. 58).
Auch Bühner (2006) differenziert innerhalb vergleichender Studien zwischen „geteilten und nicht geteilten Umwelteinflüssen“. Diese unterscheiden sich darin, ob die Umwelteinflüsse von Geschwistern geteilt werden, also die Kinder in derselben Familie aufwachsen und somit größtenteils denselben äußeren Bedingungen unterliegen (z. B. soziale Schicht, Familienstruktur, Familienkultur, familiäre Status etc.), oder ob sie individuelle Erfahrungen darstellen (z. B. Schwangerschaftsverlauf, Geschwisterposition, unterschiedliches elterliches Verhalten gegenüber den Kindern, persönliche Freunde, Erfahrungen in der Kindergartengruppe oder in der Schulklasse).
Ausgehend von den beschriebenen Einteilungskriterien können sich somit eine Reihe unterschiedlicher Untersuchungsdesigns ergeben, mit denen versucht wird, die Höhe der Einflussfaktoren Gene und Umwelt zu determinieren. Borkenau (1993, S. 73) hat in seinen Feldstudien zur Einschätzung der Erblichkeit die Merkmalsähnlichkeit von Individuen sowohl zu ihrer genetischen Ähnlichkeit, als auch zu der Ähnlichkeit ihrer Umwelt, in der sie aufgewachsen sind, in Beziehung gesetzt und formuliert abschließend folgenden Zusammenhang:
„Ein je engerer Zusammenhang dabei zwischen genetischer und phänotypischer Ähnlichkeit von Individuen gefunden wird, eine desto größere Bedeutung wird den Genen zugeschrieben. Je enger hingegen der Zusammenhang zwischen Umweltähnlichkeit und phänotypischer Ähnlichkeit der Individuen ausfällt, desto größer dürfte der Einfluß der Umwelt sein“.
In diesem Kontext ist auch das Prinzip der Reaktionsnorm zu nennen, wonach genetische Faktoren einen gewissen Bereich möglicher Verhaltensweisen begrenzen, ohne aber deren genaue Ausprägung zu determinieren, oder alternativ formuliert: „ Man kann auch sagen, die Gene begrenzen danach das Potential und die Umweltfaktoren entscheiden darüber, inwieweit dieses ausgeschöpft wird“ Singer (1994, S.51 – 52). Pädagogisch betrachtet bedeutet dies, dass es für das motorisch überdurchschnittlich begabte Kind mehr als nur einer günstigen Prädisposition bedarf, um seine Fähigkeiten optimal zu entwickeln. Vielmehr ist zudem ein geeignetes Umfeld bzw. eine zielgerichtete Förderung des Individuums erforderlich, um das vorhandene Potential für eine optimale Entwicklung zu nutzen. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Kind die für seine genetische Ausstattung optimalen Umweltbedingungen, etwa durch Wahl von Hobbies, Ausbildungsgängen oder/und Freundschaften, nicht selbst herstellt bzw. aussucht (Singer, 1994, S. 55). Auch Montada (1995, S. 46) unterstreicht die Bedeutung individueller Lern- bzw. Trainingsumgebungen, indem er den Zusammenhang zwischen Angebot und Genotyp hervorhebt: „Je eingeschränkter das Angebot, je restriktiver die Wahlmöglichkeiten, um so geringer die Möglichkeit, aktiv dem Genotyp entsprechend die Umwelt zu rezipieren oder zu gestalten“.
Nachdem nun die Beziehung zwischen Anlage und Umwelt zueinander erläutert wurde, soll nun im Folgenden versucht werden, eine Einschätzung zu geben, inwiefern motorische Fähigkeiten beim Menschen vererbt sind bzw. durch Umwelteinflüsse vermittelt werden.
3.2.2 Einfluss von Anlage und Umwelt auf die motorische Leistungsfähigkeit
Es existieren zahlreiche Untersuchungen, die sich mit der Vererbung motorischer Fähigkeiten beschäftigen. Die Ergebnisse sind dabei ebenso zahlreich wie unterschiedlich: „ [...] die bislang vorliegenden Untersuchungen zur Erblichkeit der verschiedenen motorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten ergeben kein sehr einheitliches Bild“ (Singer, 1994, S. 63). So beschreibt Singer z. B. eine Reihe von Untersuchungen, die sich mit der genetischen Varianz der VO2max als Indikator für die Ausprägung der aeroben Ausdauerfähigkeit beschäftigen. In Abhängigkeit der verwendeten Messverfahren und der analytischen Strategien wird die genetische Varianz auf Werte zwischen 16 % und 81 % geschätzt. Ähnlich sieht es bei der Kraft (11 % - 91 %) aus. Auch für alle anderen konditionell oder koordinativ determinierten motorischen Fähigkeiten bzw. Fertigkeiten lassen sich praktisch immer Belege für eine sowohl relativ hohe, als auch relativ niedrige Erblichkeit finden (Singer, 1994, S. 67). Die unterschiedlichen Ergebnisse zeigen, wie schwierig es ist, den Einfluss der Gene auf komplexe motorische Leistungen zu quantifizieren. So ist man sich in der Humangenetik mittlerweile einig, „dass komplizierte und komplexe Verhaltensweisen der Menschen, wie Intelligenzleistungen, körperliche und sportliche Leistungen, Lernverläufe, physische Anpassungsreaktionen u. a., die zwar phänotypisch beobachtbar werden, nicht so einfach Rückschlüsse auf das genotypsiche Anlagepotential zulassen“ (Mörike et al., 1989, S. 1, zitiert nach Martin et al., 1999, S. 30 – 31). Nicht unrelevant für die Entwicklung motorischer Fähigkeiten dürfte die Vererbung weiterer für die Motorik relevanter Merkmale wie Körpergröße, Körpergewicht und das an die Körpergröße relativierte Gewicht in Form des so genannten Body-Mass-Index (BMI) nach Kromeyer-Hausschild et al. (2001) sein. Diesen Merkmalen werden in Abhängigkeit der verwendeten Verfahren Erblichkeitsvarianzen von durchschnittlich 85 % bei der Körpergröße, zwischen 79 % und 88 % beim Körpergewicht und im Mittel rund 50 % beim BMI zugeschrieben (Singer, 1994, S. 60 – 61).
Nach Martin et al. (1999, S. 31) lassen sich, basierend auf den Ergebnissen neuerer Untersuchungen, folgende Zusammenhänge für den Einfluss von Genen und Umwelt auf die sportliche Leistung formulieren:
- Sind insbesondere sportliche Leistungen individuell phänotypisch nachweisbar, ohne durch ein gezieltes Training verursacht zu sein, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit den Genen eine größere Bedeutung zugeschrieben werden.
- Zeigt sich jedoch ein enger Zusammenhang von ähnlichen individuellen Leistungen im Zusammenhang mit ähnlichen Trainingsanforderungen, müsste der Umwelt ein größerer Einfluß beigemessen werden.
Zusammenfassend betrachtet formuliert Singer (1994, S.69 – 71), trotz der recht unübersichtlichen Befundlage, einige allgemeine Schlussfolgerungen zum Einfluss der Gene auf die motorische Leistungsfähigkeit:
1. Der genetische Einfluss im Bereich der Motorik ist bedeutsam.
2. Der genetische Einfluss im Bereich der Motorik kann zu verschiedenen Zeiten der Entwicklung unterschiedlich sein.
3. Im motorischen Bereich ist der Einfluß von Umweltfaktoren während der gesamten Lebensspanne bedeutsam.
4. Welchen Einfluss welche Umweltfaktoren im motorischen Bereich haben ist noch, unzureichend erforscht.
Für die Pädagogik scheint insbesondere der zweite Punkt von großem Interesse. So wäre es für das pädagogische Handeln von Vorteil, wenn sich insbesondere diejenigen Lebensabschnitte identifizieren lassen, in denen die motorische Entwicklung weniger durch den genetischen Einfluß, sondern mehr durch Umwelteinflüsse gesteuert wird. In diesen Phasen scheint es besonders wichtig, eine individuell optimale Lern- bzw. Trainingsumgebung für jeden Einzelnen zu schaffen. Montada (1995, S. 42) weist auf eine Reihe von Untersuchungsergebnissen aus der Entwicklungspsychologie hin, die sich mit der auf das Lebensalter bezogenen Veränderung von Erblichkeitskoeffizienten der Persönlichkeitsmerkmale beschäftigt haben. Aus ihnen geht hervor, dass die Erblichkeitskoeffizienten von Persönlichkeitsmerkmalen, denen im Mittel eine genetisch determinierte Varianz von 40 % bis 50 % zugeordnet wird, nicht in jedem Alter gleich sind. Sie sprechen in der Summe für die These, dass sich genetische Ähnlichkeiten und Unterschiede nach der Vorschulperiode immer deutlicher manifestieren, oder umgekehrt, dass die Umwelteinflüsse in den ersten Lebensjahren zwar Effekte zeigen, aber keine bis zur Adoleszenz und dem Erwachsenenalter stabil bleibenden Unterschiede verursachen. Singer (1994, S. 70) berichtet von Untersuchungen, die zunächst einen ähnlichen Trend im Bereich motorischer Merkmale vermuten lassen. Er warnt jedoch eindringlich vor einer Überbewertung der Ergebnisse:
„Wenn man an die mögliche Veränderung der Erblichkeit von Merkmalen im Laufe der Entwicklung denkt, ist man geneigt anzunehmen, daß der Einfluß genetischer Faktoren in der frühen Kindheit besonders stark sei, da relevante Umweltfaktoren noch nicht voll wirksam werden konnten, und mit zunehmendem Alter und damit einhergehender kumulierter Lernerfahrung dieser Einfluß zurückgehe“.
Singer verweist zwar auf die Ergebnisse von Plomin (1986), der festgestellt hat, dass wenn immer im Laufe der Entwicklung eine Änderung des genetischen Einflusses beobachtet wurde, diese Änderungen fast immer in die Richtung eines zunehmenden Einflusses weisen. Letztendlich räumt er aber auch ein, dass ein Nachweis für den Einfluss auf motorische Merkmale noch aussteht, da dazu im motorischen Bereich noch keine gezielten Untersuchungen existieren.
Ein Vorschlag zur Beschreibung von Anlage- und Umwelteinflüssen auf die motorische Leistungsfähigkeit stammt von Krombholz (1998). In seinem systemtheoretischen Modell versucht er, die komplexen Wirkungszusammenhänge zwischen Anlage und Umwelt auf die motorische Leistungsfähigkeit zusammenzufassen. Sein Modell basiert auf folgenden Grundannahmen:
1. Die motorische Entwicklung ist ein komplexer Vorgang, der von vielen Faktoren beeinflusst wird.
2. Biologischen Prozessen kommt für die motorische Entwicklung eine wesentliche Bedeutung zu. Dies sind allgemeine und individuelle genetische Determinanten und Reifungsvorgänge.
3. Das Kind spielt eine aktive Rolle bei der Aneignung und der Verbesserung motorischer Verhaltensweisen.
4. Motorische Entwicklung vollzieht sich nicht unabhängig von sozialen und physikalischen Umwelteinflüssen.
5. Das Kind seinerseits wirkt auf seine Umwelt ein, vor allem auf seine soziale Umwelt.
6. Motorik stellt ein komplexes Konstrukt dar, das sich aus verschiedenen Teilsystemen zusammensetzt.
7. Die motorischen Leistungen sind abhängig von vorangegangen Lernprozessen.
8. Es bestehen Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen motorischen Leistungen, körperlichen Merkmalen und kognitiven Leistungen.
(Krombholz, 1998, S. 60 – 61)
In diesem Kapitel wurde gezeigt, dass in Bezug auf die motorische Leistungsfähigkeit bereits fortgeschrittene Ansätze zur Einschätzung von Vererbungs- und Umwelteinflüssen existieren. Es bedarf aber weiterhin intensiver Forschungsarbeit, um die bisher noch unbekannten Faktoren ausfindig zu machen und die wechselseitigen Beziehungen der beteiligten Faktoren untereinander aufzudecken, um somit den Anteil an aufgeklärter Varianz zu erhöhen. Aus der Beobachtung heraus lassen sich jedoch bereits bestimmte Charakteristika im Entwicklungsverlauf motorischer Leistungsfähigkeiten im Kinder- und Jugendalter aufzeigen. Sie geben Aufschluss darüber, in welchem Alter bzw. in welchen Phasen mit der Förderung der verschiedenen motorischen Fähigkeiten begonnen werden sollte bzw., wann es sinnvoll erscheint im Training gezielte Schwerpunkte zu setzen. Außerdem ergibt sich die Möglichkeit, mit Hilfe von Normalverteilungskurven im Entwicklungsgang motorischer Leistungen Vergleiche aufzustellen mit dem Ziel, Kinder und Jugendliche im Vergleich zu ihren Altersgenossen in ihrer motorischen Leistungsfähigkeit einzuordnen.
Um den Einfluss von Medienkonsum auf die motorische Leistungsfähigkeit besser beurteilen zu können, soll im Folgenden Kapitel eine Übersicht über die Entwicklungsphasen motorischer Basisfähigkeiten bzw. Basisdimensionen im Laufe des Kindes- und Jugendalters gegeben werden. Außerdem sollen günstige Phasen für die Trainierbarkeit der einzelnen Dimensionen genannt und diskutiert werden.
4 Entwicklungsphasen motorischer Basisdimensionen im Kindes- und Jugendalter
Im folgenden Kapitel wird neben dem Entwicklungsverlauf der motorischen Basisdimensionen Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit, Koordination und Beweglichkeit, orientiert an der Ausdifferenzierung motorischer Fähigkeiten nach Bös (1987, S. 93), sowie deren Trainierbarkeit vom frühen Schulkindalter bis zum Jugendalter dargestellt. Das Säuglings-, Kleinkind- und Vorschulalter soll an dieser Stelle nicht berücksichtigt werden, da es in diesen Entwicklungsphasen nur in geringem Maße zu gezielten pädagogischen Interventions- bzw. Trainingsmaßnahmen zur Förderung der motorischen Entwicklung kommt. Insbesondere im Säuglings- und Kleinkindalter ist die Eingliederung in einen gezielten Übungs- bzw. Prä-Trainingsprozess als relativ irrelevant zu betrachten. Auch im Vorschulalter sollte die gezielte Verbesserung einzelner motorischer Basisfähigkeiten nicht die primäre Zielsetzung im Unterricht oder im Vereinssport sein. Vielmehr sollte Wert auf den frühzeitigen Erwerb eines möglichst umfangreichen Bewegungsrepertoires und auf die Freude an der Bewegung selbst gelegt werden.
4.1 Ausdauer
Zunächst wird der Entwicklungsverlauf der allgemeinen Ausdauer nach Art der Energiebereitstellung differenziert, in ihren beiden Erscheinungsformen aerobe und anaerobe Ausdauer betrachtet. Diese Differenzierung erscheint sinnvoll, da sich zum einen die beiden Ausprägungsformen der Ausdauer im Laufe des Kinder- und Jugendalters sehr unterschiedlich entwickeln und sich zum anderen diese Einteilung in der Sportwissenschaft bewährt hat.
4.1.1 Aerobe Ausdauer
Die aerobe Ausdauer wird von der aeroben Kapazität begrenzt, d. h. von der Fähigkeit der Muskelzelle auf aerobem Weg, also mit Hilfe von Sauerstoff, aus den energiereichen Substraten Energie für die Realisierung von Leistungen bereitzustellen. Der limitierende Faktor für die aerobe Ausdauerfähigkeit ist das maximale Sauerstoffaufnahmevermögen pro Zeiteinheit (VO2max) (de Mareés, 1996, S. 349). Eine höhere VO2max führt in der Regel zur einer gesteigerten aeroben Leistungsfähigkeit. Es gibt zahlreiche Untersuchungen, die sich mit der Entwicklung der VO2max über die Lebensspanne beschäftigen. Die umfangreichsten Untersuchungen hierzu wurden von Hollmann (1963; 1965) durchgeführt. Conzelmann (1994, S. 157) fasst die Ergebnisse dieser Untersuchungen folgendermaßen zusammen:
„Einem raschen Anstieg im Kindes- und Jugendalter und einer gewissen Plateauphase im frühen Erwachsenenalter folgt ein Abfall der VO2max im mittleren und späteren Erwachsenenalter. Während dabei kaum nennenswerte geschlechtsspezifische Unterschiede im Kindesalter zu verzeichnen sind, weisen männliche Versuchspersonen – bedingt durch einen rasanten Anstieg der VO2max ab der Pubertät – im Jugend- und frühen Erwachsenenalter wesentlich höhere Werte als die Frauen auf“.
Auch Meinel und Schnabel (2004, S. 280) sehen, bezogen auf alle Ausdauerformen, zunächst im frühen Schulkindalter (6/7 – 10 Jahre) nur geringfügig bessere Leistungen der Jungen gegenüber den Mädchen. Ihrer Ansicht nach sind geschlechtsspezifische Differenzen zwar schon in der Kindheit vorhanden, nehmen aber erst mit Beginn der Pubertät deutlich zu. Conzelmann (1994, S. 157) beschreibt die Zunahme der VO2max bis zur Pubertät wie folgt: „Mädchen erreichen bereits zu Beginn der Pubertät (etwa im 13. - 14. Lebensjahr) ihre höchste VO2max, während beim männlichen Geschlecht diese erst im 18. - 19. Lebensjahr erreicht wird.“
Aufgrund der unterschiedlichen Körpermasse heranwachsender Kinder wird neben der VO2max in einigen Untersuchungen zusätzlich auch die relative maximale Sauerstoffaufnahme (VO2maxrel), welche die maximale Sauerstoffaufnahme ins Verhältnis zum Körpergewicht setzt, als Indikator für die Ausprägung der aeroben Leistungsfähigkeit betrachtet. Die Ergebnisse dieser Studien zeigen ebenfalls, dass die VO2max als Bruttokriterium der Leistungsfähigkeit im Altersgang bei beiden Geschlechtern kontinuierlich zunimmt. Bezogen auf die VO2maxrel, zeigt sich aber, aufgrund der proportional höheren Zunahme des Fettgewebsanteils an der Gesamtkörpermasse, eine im Altersgang etwa gleich bleibende bzw. geringfügig abnehmende VO2maxrel für beide Geschlechter. Findet diese Entwicklung im Kindesalter zunächst bei Jungen und Mädchen in gleichem Maße statt, so nimmt die relative VO2max mit zunehmenden Alter bei den Mädchen deutlich mehr ab. Erklären kann man dies durch die relativ höhere Zunahme des Körperfettanteils beim weiblichen Geschlecht während und nach der Pubertät. Lässt man den Körperfettanteil jedoch außer Acht, so zeigt sich ein anderes Bild: “Bezieht man allerdings die VO2max auf die fettfreie Körpermasse, so besteht sowohl zwischen Mädchen und Jungen als auch zwischen Frauen und Männern kein signifikanter Unterschied“ (de Mareés, 1996, S. 350).
Zusammenfassend kann also davon ausgegangen werden, dass der deutlich höhere Körperfettanteil bei Mädchen und vor allem bei Frauen und der damit verbundene geringere Anteil an Gesamtmuskelmasse der Hauptfaktor für eine, im Verhältnis zu Männern, weniger ausgeprägte aerobe Ausdauerleistungsfähigkeit ist. Diese Erkenntnis wird auch durch eine Untersuchung von Köhler (1976) gestützt. Köhler hat die Leistungswerte von Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen 7 und 16 Jahren im Ausdauerlauf (800-m-Lauf, 15-min-Lauf) miteinander verglichen (siehe Abb. 3) und kommt zu dem Ergebnis, dass neben einem kontinuierlichen Anstieg der Leistung beider Geschlechter die männlichen Kinder und Jugendlichen den weiblichen nahezu durchgehend überlegen sind. Ist die geschlechtsspezifische Differenz der Leistungswerte bis kurz vor Eintritt der Pubertät noch etwa durchgehend gleich hoch, so nimmt sie ab der Pubertät deutlich zu.
Trotz des hohen Erblichkeitsfaktors der VO2max ist diese im gesamten Entwicklungsverlauf des Menschen, also auch bereits im frühen Kindes- und Jugendalter, gut trainierbar (Weineck, 2007, S. 345).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Ontogenese der Laufausdauerfähigkeit (nach Köhler 1976, aus Meinel & Schnabel, 2004, S. 279)
Unklar sind jedoch die Wirkungsmechanismen, die zu der trainingsbedingten Verbesserung der VO2max führen. Während einige Autoren von einer verbesserten muskulär-koordinativen Leistungsfähigkeit sprechen, die zu einem höheren mechanischen Wirkungsgrad und somit zu einem ökonomischeren Laufstil führt (Bös, 1994; Weineck, 2007), so ist de Mareés (1996, S. 355) überzeugt, dass die Verbesserung aus physiologischen Prozessen resultiert. Meinel und Schnabel (2004, S. 311) fassen zusammen, dass sowohl in der Pubeszenz als auch in der Adoleszenz eine Verbesserung der aeroben Ausdauer stark trainingsabhängig ist: „Untersuchungsergebnisse zur Genese der Ausdauerfähigkeiten zeigen die deutlichen Einflüsse von körperlicher Entwicklung und Übung beziehungsweise Training auf ihren Verlauf“.
Aufgrund der guten Trainierbarkeit der VO2max sollten schon im Schulkindalter gezielte Trainingsmaßnahmen zur Verbesserung der aeroben Leistungsfähigkeit zum Einsatz kommen. Weineck (2007, S. 358 – S. 359) sieht die primäre Aufgabe des Schulsports bzw. des vereinsgebundenen Kindertrainings in der Schaffung einer Grundlagenausdauer und nicht in der Herausbildung spezieller Ausdauerfähigkeiten. Gleichzeitig betont er aber die große Bedeutung der ersten und zweiten puberalen Phase für das Ausdauertraining, da die Trainierbarkeit in diesen Phasen zum einen am größten ist und außerdem die Qualität des Trainings in dieser Altersphase maßgeblich über die spätere Leistungsfähigkeit entscheidet. In Folge dessen sollte es die Aufgabe des Sportunterrichts sein, diese Entwicklungstendenzen zu beachten und die Grundlage für eine weitere aerobe Leistungsentwicklung zu schaffen. Wichtig ist es aber, dass die Schüler keiner zu hohen Trainingsbelastung ausgesetzt werden, damit die Freude am Ausdauersport nicht verloren geht. Medler (1986, S. 56, zitiert nach Weineck, 2007, S. 349) sieht aus pädagogischer Sicht die Herausforderung im Sportunterricht in den „charakteristischen Ausdauerproblemen für diese Altersstufe, [...] nämlich dem Moment der Monotonie und Langeweile, das stets mit längeren Belastungen verbunden ist, sowie dem Moment des Schmerzhaften, Quälerischen, das sich ebenfalls meist mit Ausdaueranforderungen in Verbindung bringen lässt.“
4.1.2 Anaerobe laktazide Ausdauer
Im Gegensatz zur aeroben Leistungsfähigkeit ist die anaerobe laktazide Leistungsfähigkeit bei Kindern vor der Pubertät nur sehr gering ausgebildet und auch nur schwer trainierbar. Die Ursache hierfür sieht de Mareés (1996, S. 356) in der eingeschränkten Fähigkeit der kindlichen Muskulatur, auf anaerobem Weg, also ohne Verwendung von Sauerstoff, Energie in der Arbeitsmuskulatur bereitzustellen. Als Indikator für die anaerobe Leistungsfähigkeit gilt die maximal tolerierbare Laktatkonzentration gemessen in Millimol pro Liter (mmol/l) Blut. Laut de Mareés sind bei 6 – 10-Jährigen Kindern Maximalwerte zwischen 5 – 8 mmol/l, bei 10 – 12-Jährigen Kindern Maximalwerte zwischen 10 – 12 mmol/l und bei trainierten Erwachsenen Konzentration von mehr als 20 mmol/l möglich. Auch durch gezielte Trainingsmaßnahmen lassen sich die maximal erreichbaren Werte bei Kindern kaum verbessern:
„Auch ist die Trainierbarkeit der anaeroben Energiebereitstellung des Kindes mit einer Zunahme der maximalen Laktatkonzentration von 1 – 2 mmol/l im Gegensatz zum Erwachsenen relativ gering [...] Diese Befunde sprechen gegen eine betonte Schulung der anaeroben laktaziden Ausdauer bei Kindern vor der Pubertät“ (de Mareés, 1996, S. 356).
Ein weiteres Argument gegen gezielte Trainingsmaßnahmen von anaerob laktazider Natur stellt der hohe Anstieg der Stresshormone bei anaerob laktaziden Belastungen dar, der eng an den Laktatanstieg gekoppelt ist. „Untersuchungen zeigen, dass anaerobe Belastungen bei Kindern (in linearer Abhängigkeit zum Laktatspiegel) zu mehr als zehnfach erhöhten Katecholaminspiegeln (Adrenalin, Noradrenalin) führen“ (Lehmann et al., 1980, S. 230 zitiert nach Weineck, 2004, S. 351).
Für das pädagogisch-methodische Vorgehen hat dies zur Konsequenz, dass Belastungen mit hohen anaeroben Anteilen, wenn überhaupt, nur sehr begrenzt einzusetzen sind. Gerade in den Phasen des frühen und späten Schulkindalters sollte der Leistungsgedanke im Unterricht nicht im Vordergrund stehen und stattdessen, wie bereits schon erwähnt, die Freude am Sport vermittelt werden. Nur so kann eine positive Einstellung gegenüber dem Sport und die Grundlage für ein lebensbegleitendes Sporttreiben geschaffen werden. Ein zu hartes, nicht den altersspezifischen Gegebenheiten entsprechendes Training kann zu einer hohen „Drop-out Quote“ (Ausstieg vom regelmäßigen Sporttreiben) führen (Weineck, 2004, S. 351).
Erst mit Beginn der Pubertät erfährt die anaerobe Kapazität eine deutliche Steigerung. Verantwortlich für den Anstieg ist die Zunahme der enzymatischen Kapazität, die durch die vermehrte Produktion an Sexualhormonen, insbesondere an Testosteron, ausgelöst wird. Ab dieser Phase können die Anteile an anaeroben Trainingsbelastungen sukzessiv gesteigert werden.
4.2 Kraft
Die enorm hohe Zahl an Kindern und Jugendlichen mit Haltungsschwächen bzw. Haltungsschäden – rund 70 % der Mädchen und 55 % der Jungen – zeigt, dass allgemein sowohl im schulischen als auch im außerschulischen Bereich zu wenig Reize für die muskuläre Kräftigung gesetzt werden. Aufgrund dieser alarmierenden Situation sieht Weineck (2007, S. 583) dringenden Handlungsbedarf und fordert zum Umdenken im Sportunterricht auf, „da die Schule es offensichtlich nicht vermag, die auf chronischen Bewegungsmangel unserer Zeit beruhenden Kraftdefizite [...] zu kompensieren“. Gerade zur Zeit der kindlichen Wachstumsschübe, so Weineck, ist der Bewegungsapparat besonders sensibel für Trainingsreize und reagiert in diesen so genannten „sensitiven Phasen“ besonders günstig auf Krafttrainingsreize. Wichtig ist es vor allem, dass die Lehrer über die erforderlichen Grundkenntnisse verfügen, ein Krafttraining möglichst kindgerecht durchzuführen, um Überlastungen und hieraus resultierende Folgeschäden zu vermeiden. Alle Trainingsformen sollten so angeboten werden, dass die Übungen technisch korrekt ausgeführt werden und Ausweichbewegungen der Wirbelsäule im Sinne einer Lordose oder Skoliose möglichst vermieden werden (Schmidtbleicher, 1994, S. 139).
In Abhängigkeit von den unterschiedlichen Kraftformen Maximalkraft, Schnellkraft und Kraftausdauer zeigen sich vom frühen Schulkind- bis Jugendalter unterschiedliche Entwicklungsverläufe. Die drei Subkategorien der Kraft sind nicht gleichrangig auf einer Ebene einzuordnen. Die Maximalkraft stellt für die Schnellkraft und Kraftausdauer eine Art Basisfähigkeit dar. Ausgangspunkt für diese Einteilung ist die Tatsache, dass in der Regel eine Verbesserung der Maximalkraft auch mit höheren Schnellkraft- und Kraftausdauerleistungen einhergeht (Schmidtbleicher & Güllich, 1999, S. 224).
Die Entwicklung der Kraftfähigkeiten, insbesondere die der Maximalkraft, verläuft im Grundschulalter noch relativ langsam, dabei lassen sich kontinuierlich ansteigende jährliche Zuwachsraten bei der Maximalkraft und Schnellkraft beobachten. Laut de Mareés (1996, S. 344) wird nach allgemeiner Auffassung davon ausgegangen, dass die Entwicklung der Muskelkraft bei Jungen und Mädchen etwa bis zum 10. Lebensjahr parallel verläuft, wobei die Mädchen ca. 10 % niedrigere Kraftwerte aufweisen. Beachtenswert ist allerdings die Tatsache, dass der in diesem Alter erreichte Wert bei den Jungen erst etwas weniger als 40 % des Kraftwertes von 18-Jährigen Jungen entspricht, bei den Mädchen hingegen aber im Vergleich zu 18-Jährigen Mädchen bereits ein Kraftwert von 60 % erreicht ist.
Generell besteht im frühen und späten Schulkindalter sowie in der vorpuberalen Phase eine gute Trainierbarkeit der Kraft. Dabei scheinen die Kraftzuwächse im frühen Schulkindalter weniger aus einer Hypertrophie, sondern vor allem aus einer koordinativen Verbesserung der intra- und intermuskulären Koordination zu resultieren (Weineck, 2004, S. 588). Da jedoch die anaerobe Leistungsfähigkeit vor der Pubertät noch stark eingeschränkt ist, sollte erst in der Pubertät mit einem gezielten Kraftausdauertraining begonnen werden (Schmidtbleicher, 1994, S. 140). Vor der Pubertät sollten die Schwerpunkte eher auf dynamischen Trainingsformen liegen und bevorzugt auf die Entwicklung der Schnellkraft geachtet werden (Weineck, 2004, S. 589).
Mit Eintritt in die Pubertät nimmt vor allem bei den Jungen, aufgrund der immensen Freisetzung von Sexualhormonen, die Trainierbarkeit der Maximalkraft in großem Umfang zu. Entspricht die Maximalkraftleistung von 11- bis 12-Jährigen Mädchen im Vergleich zu den Jungen einem Wert von 90 %, so liegt er bei den 13- bis 14-Jährigen Mädchen bei 85 % und bei den 15- bis 16-Jährigen gerade einmal noch bei 75 % (Schmidtbleicher, 1994, S. 132). Da aufgrund der wechselnden Hormonsituation in der Pubertät ein besonders günstiger Kraftzuwachs erzielt werden kann, empfiehlt es sich, bereits in dieser Phase Krafttraining im schulischen Sportunterricht anzubieten, um so frühzeitig einem drohenden Kraftdefizit entgegenzuwirken. Steinmann (1988) konnte zeigen, dass selbst ein einmaliges wöchentliches Training bei 11- bis 14-Jährigen im Mittel zu einem Kraftzuwachs von 10 % und 17 % geführt hat.
4.3 Schnelligkeit
Die Schnelligkeit ist die einzige motorische Basisdimension, die man, ausgehend von der Differenzierung nach Bös (1987, S. 94), sowohl als konditionelle als auch koordinative Fähigkeit betrachten kann. Diese Ansicht wird allerdings nicht von allen Sportwissenschaftlern geteilt. So sehen z. B. Schnabel und Thieß (1993) in der Schnelligkeit ausschließlich eine konditionelle Fähigkeit als Leistungsvoraussetzung, um motorische Aktionen unter gegebenen Bedingungen mit hoher bzw. höchster Intensität und in kürzester Zeit zu realisieren. Martin, Carl und Lehnertz (1991) hingegen ordnen die Schnelligkeit nur bedingt den konditionellen Fähigkeiten zu, da sie nur teilweise auf energetischen Mechanismen, aber in hohem Maße auf zentralnervösen Steuerungsprozessen beruhen (Weineck, 2007, S. 609). Mehr Einigkeit besteht in der Frage, welche Schnelligkeitsformen man im Allgemeinen unterscheidet, nämlich Schnellkraft, Reaktionsschnelligkeit, Aktionsschnelligkeit und Koordination unter Zeitdruck (Bös, 1987). Ähnlich wie bei den unterschiedlichen Kraftformen unterliegen auch die Teilkomponenten der Schnelligkeit verschiedenen entwicklungsbedingten Zeitverläufen, die es, für eine optimale Förderung, zu beachten gilt. Weineck (2007, S. 612) hält fest: „Nur bei optimaler Ausprägung aller Teilfähigkeiten ist die Schnelligkeit als komplexe Eigenschaft umfassend entwickelt“.
Im Vergleich zur Kraft entwickelt sich die Schnelligkeit im frühen Schulkindalter bemerkenswert rasch: „ [...] Die hohen jährlichen Zuwachsraten halten etwa bis zum 10. Lebensjahr an, um sich danach allmählich zu vermindern“. (Meinel & Schnabel, 2004, S. 276). Besonders auffällig für diese Phase sind die deutlichen Fortschritte hinsichtlich der Bewegungsfrequenz und der Reaktionszeiten, bei denen es bereits im frühen Schulalter zum höchsten Entwicklungsschub kommt (Weineck, 2007, S. 715).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Maximalfrequenzen verschiedener Bewegungen mit kleiner Amplitude (nach Farfel in Weineck, 2007, S. 715)
Nach dem zunächst starken Anstieg der Bewegungsfrequenz im frühen Schulkindalter verlangsamt sich diese Entwicklung im späten Schulkindalter ein wenig, bevor sie dann mit dem Eintritt in die Pubertät wieder deutlich ansteigt. Auch verkürzen sich die Reaktionszeiten der einfachen Reaktionen weiterhin rasch und haben, vergleichbar zur Bewegungsfrequenz, bereits zum Ende des späten Schulkindalters beinahe Erwachsenenniveau erreicht (Markosjan & Wasjutina, 1965, S. 330 zitiert nach Meinel & Schnabel, 2004, S. 291).
[...]
- Arbeit zitieren
- Frank Laubscher (Autor:in), 2008, Untersuchung zu Zusammenhängen zwischen Medienkonsum, sportlicher Aktivität und körperlicher Leistungsfähigkeit von Schülern im Alter von 10 – 12 Jahren, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94292
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