In dieser Arbeit soll untersucht werden, welche Chancen und Herausforderungen im Unterricht durch Lehrende, die sich in der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) weitergebildet haben, entstehen. Das Sprachhandlungsmodell der GFK ist insbesondere in der Äußerung von Rückmeldungen Lehrender gegenüber Lernenden abweichend von „normalen“ Rückmeldungen im Unterricht, da hier auf Beurteilungen wie beispielsweise „richtig“ oder „falsch“ verzichtet wird. Inwieweit ein Verzicht von Beurteilungen im Kontext Schule überhaupt möglich ist, soll in dieser Arbeit untersucht werden.
Dazu wird im theoretischen Teil der Arbeit das Modell der Gewaltfreien Kommunikation, insbesondere das Vier-Schritte-Modell, erläutert, da das Modell einen wichtigen Beitrag zur späteren Herleitung der GFK-spezifischen Rückmeldung bildet. Der zweite Teil der Theorie bildet das Grundgerüst für die Darstellung der GFK im Unterricht. Hier werden Aspekte betrachtet, die sich auf das GFK-spezifische Rollenbild des Lehrenden beziehen und die Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden darstellen. Anschließend wird der Begriff „Feedback“ definiert, um im weiteren Verlauf eine Definition des Feedbacks o.a. der Rückmeldung in der GFK darzustellen. Anschließend wird das zuvor erläuterte Modell der GFK kritisch betrachtet.
Der Abschluss des theoretischen Teils wird durch die Fragestellung gebildet. Es handelt sich bei dieser Arbeit um eine qualitative Forschung. Die Methode der Datenerhebung, die Auswahl der Interviewten sowie die Methode der Datenauswertung werden in Kapitel 7 dargestellt. Die Daten wurden anhand von Interviews erhoben und mit Hilfe der Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet. Hierfür wurde ein Kategoriensystem erstellt, dessen Ergebnisse in Kapitel 8 erläutert und zusammengefasst werden und anschließend in der Diskussion in Bezug zu der Theorie und der Forschungsfrage gesetzt werden. Im Fazit werden die Ergebnisse der Forschung zusammengefasst und es wird ein Ausblick darüber gegeben, wie dieses Feld zukünftig erforscht werden könnte. Eine Beschäftigung mit dem Thema der Gewaltfreien Kommunikation im Unterricht ist besonders relevant, da es bisher nur wenige wissenschaftliche Auseinandersetzungen zu diesem Thema gibt und diese meist sehr spezifisch sind.
Inhalt
1 Einleitung
2 Das Modell der Gewaltfreien Kommunikation
2.1 Begriffsdefinition „Gewaltfreie Kommunikation“
2.2 Marshall B. Rosenberg und die Entstehung der GFK
2.3 Prämissen, Menschenbild und Haltung in der GFK
2.4 Das Vier-Schritte-Modell
2.4.1 Beobachten ohne zu bewerten
2.4.2 Gefühle erkennen und ausdrücken
2.4.3 Bedürfnisse benennen
2.4.4 Eine konkrete Bitte formulieren
2.5 Empathie
2.6 Ziele und Absichten der GFK
2.7 Zwischenfazit
3 Gewaltfreie Kommunikation im Unterricht
3.1 Rollenverständnis des Lehrkörpers in der GFK
3.2 Unterrichtsgestaltung im Sinne der GFK mit besonderem Fokus auf die LehrerInnen-SchülerInnen Beziehung
3.3 Der Umgang mit Macht
3.4 Zwischenfazit
4 Das Feedback
4.1 Definition Feedback
4.2 Kriterien effektiver Rückmeldung im Unterricht
4.3 Das Feedback in der GFK
4.3.1 Lob und die Anwendung strafender Macht
4.3.2 Wertschätzung und Anerkennung ausdrücken in der GFK
4.3.3 Der Umgang mit Fehlern in der GFK
4.4 Zwischenfazit
5 Kritische Betrachtung der Gewaltfreien Kommunikation
6 Forschungsfrage
7 Methode
7.1 Datenerhebung
7.2 Sampling
7.3 Interviewumstände
7.4 Datenauswertung
7.4.1 Codierleitfaden
7.4.2 Kategoriensystem
8 Forschungsergebnisse
8.1 Kennenlernen der GFK
8.2 Gewaltfreie Kommunikation im Unterricht
8.2.1 Unterrichtssituationen
8.2.2 Methoden und Übungen
8.2.3 Umgang mit Verweigerung im Unterricht
8.3 Rückmeldung in der GFK
8.4 Chancen und Stärken der GFK
8.5 Grenzen und Herausforderungen der GFK
8.5.1 Im Unterricht
8.5.2 In der Rückmeldung
9 Diskussion
10 Fazit
Tabellenverzeichnis:
Tabelle 1: Tätigkeiten in der Schule und Bezug zu der GFK der Befragten:
Tabelle 2: Codierleitfaden: Kategorienbezeichnung, Definition, Ankerbeispiel
Tabelle 3: Kategoriensystem und Codierung der Befragten (1-3)
Abkürzungsverzeichnis:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Die Art und Weise, wie wir in Interaktion mit anderen Menschen treten ist immer abhängig von unserem mehr oder weniger präsenten Menschenbild. Dieses spielt eine entscheidende Rolle bei der Interpretation des Verhaltens anderer Menschen. Im Rahmen der Institution Schule ist die Deutung und Interpretation des Verhaltens Lernender besonders wichtig und u.a. entscheidend für die spätere Bewertung von Schülerinnen und Schülern. Die Gewaltfreie Kommunikation bietet eine Möglichkeit, die Entstehung menschlichen Verhaltens auf der Grundlage universaler Bedürfnisse, welche als Ursprung aller Handlungen verstanden werden, neu zu interpretieren. Dieser Ausgangspunkt verändert maßgeblich die Deutung des Verhaltens von SchülerInnen1, insbesondere wenn sich diese in Normüberschreitungen äußern. Daraus resultiert eine grundlegend veränderte Haltung Lehrender gegenüber Lernenden. Diese äußert sich in nahezu allen Bereichen des Schulalltags, in denen eine Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden stattfindet. In dieser Arbeit soll untersucht werden, welche Chancen und Herausforderungen im Unterricht durch Lehrende, die sich in der GFK weitergebildet haben, entstehen. Das Sprachhandlungsmodell der GFK ist insbesondere in der Äußerung von Rückmeldungen Lehrender gegenüber Lernender abweichend von „normalen“ Rückmeldungen im Unterricht, da hier auf Beurteilungen wie beispielsweise „richtig“ oder „falsch“ verzichtet wird. Inwieweit ein Verzicht von Beurteilungen im Kontext Schule überhaupt möglich ist, soll in dieser Arbeit untersucht werden. Dazu wird im theoretischen Teil der Arbeit das Modell der Gewaltfreien Kommunikation, insbesondere das Vier-Schritte-Modell erläutert, da das Modell einen wichtigen Beitrag zur späteren Herleitung der GFK- spezifischen Rückmeldung bildet. Der zweite Teil der Theorie bildet das Grundgerüst für die Darstellung der GFK im Unterricht. Hier werden Aspekte betrachtet, die sich auf das GFK-spezifische Rollenbild des Lehrenden beziehen und die Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden darstellen. Anschließend wird der Begriff „Feedback“ definiert, um im weiteren Verlauf eine Definition des Feedbacks o.a. der Rückmeldung in der GFK darzustellen. Anschließend wird das zuvor erläuterte Modell der GFK kritisch betrachtet. Der Abschluss des theoretischen Teils wird durch die Fragestellung gebildet. Es handelt sich bei dieser Arbeit um eine qualitative Forschung. Die Methode der Datenerhebung, die Auswahl der Interviewten sowie die Methode der Datenauswertung werden in Kapitel 7 dargestellt. Die Daten wurden anhand von Interviews erhoben und mit Hilfe der Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet. Hierfür wurde ein Kategoriensystem erstellt, dessen Ergebnisse in Kapitel 8 erläutert und zusammengefasst werden und anschließend in der Diskussion in Bezug zu der Theorie und der Forschungsfrage gesetzt werden. Im Fazit werden die Ergebnisse der Forschung zusammengefasst und es wird ein Ausblick darüber gegeben, wie dieses Feld zukünftig erforscht werden könnte. Eine Beschäftigung mit dem Thema der Gewaltfreien Kommunikation im Unterricht ist besonders relevant, da es bisher nur wenige wissenschaftliche Auseinandersetzungen zu diesem Thema gibt und diese meist sehr spezifisch sind.
2 Das Modell der Gewaltfreien Kommunikation
Das Sprachhandlungsmodell der Gewaltfreien Kommunikation wurde durch den US- amerikanischen Psychologen Marshall B. Rosenberg (1934-2015) begründet. Rosenberg zufolge soll die Anwendung des Modells der GFK dazu beitragen, die Qualität von Beziehungen zu verbessern, indem die eigenen Bedürfnisse und Gefühle wahrgenommen werden und ihnen Ausdruck verliehen wird. Zudem sollen die Bedürfnisse und Gefühle des Anderen wahrgenommen, bzw. erfragt werden. Durch den reziproken Austausch soll eine effektive Kommunikation entstehen, die Lösungsstrategien zur beidseitigen Bedürfniserfüllung ermöglicht und zu einem wertschätzenden Umgang miteinander beiträgt (Vgl. Rosenberg 2016a). Das Modell basiert Rosenbergs zufolge weniger auf grundsätzlich neuen Erkenntnissen, sondern orientiert sich an dem, was der Mensch instinktiv weiß, wie gut es sich anfühlt, sich authentisch mit anderen Menschen in Verbindung zu setzten (Vgl. CNVC 2018).
Da der Begriff „Gewalt“ bzw. „gewaltfrei“ eher selten mit dem Begriff der „Kommunikation“ assoziiert wird, wird eingangs die Bezeichnung „Gewaltfreie Kommunikation“ näher erläutert. Weitergehend werden die Entstehung der Gewaltfreien Kommunikation sowie für den Entstehungsprozess relevante biographische Ereignisse des Begründers komprimiert dargestellt. Theorieeinleitend wird anschließend in Kapitel 2.3 die GFK hinsichtlich des zugrundeliegenden Menschenbilds, Prämissen und der allgemeinen Haltung, mit der die GFK in der Praxis Anwendung findet, erläutert. Als Orientierung bietendes und elementares Modell der GFK werden in Kapitel 2.4 die einzelnen Schritte des Vier-Schritte-Modells vorgestellt. Darauf aufbauend wird das Verständnis und die Rolle der Empathie und der Selbstempathie in der GFK erläutert. Abschließend werden Ziele und Absichten Rosenbergs in Bezug auf das Sprachhandlungsmodells herausgestellt.
2.1 Begriffsdefinition „Gewaltfreie Kommunikation“
Bei dem Begriff der Gewaltfreien Kommunikation handelt es sich um die deutsche Übersetzung des englischen Begriffs „Nonviolent Communication“, welcher vom Begründer Marshall B. Rosenberg geprägt wurde. Die GFK ist vorrangig ein praxisorientiertes Modell, weshalb der Fokus auf der Anwendbarkeit des Modells liegt und weniger auf einer klar definierten Grundlagentheorie. Aufgrund dessen ist keine Definition der Begriffe „gewaltfrei“ und „Kommunikation“ in der Grundlagentheorie der GFK zu finden (Vgl. Altmann 2015). In den folgenden Ausführungen wird der Versuch angestellt, die Begriffe weitestgehend so zu definieren, dass diese mit dem Selbstbild der GFK vereinbar sind. Im deutschen Sprachraum bezieht sich der Begriff „Gewalt“ insbesondere auf physische oder staatliche Gewalt, weniger auf psychische oder verbale Gewalt. Der Bezug zur Sprache kann somit erstmals verwirrend erscheinen. Die Gewaltfreie Kommunikation wird bedeutungsgleich auch als „Mitfühlende Kommunikation“ oder „Einfühlsame Kommunikation“ bezeichnet. Der Begriff der „Gewaltfreiheit“ geht im Sinne Rosenbergs über die reine Abwesenheit von Gewalt hinaus. Als gewaltvoll werden in der GFK Ausdrucksweise bezeichnet, die Gefühle von Angst, Schuld und Scham beim Empfänger erzeugen (Vgl. Heldt 2015). Rosenberg verwendet den Begriff der Gewaltfreiheit im Sinne Gandhis: „Er meint damit unser einfühlendes Wesen, das sich wieder entfaltet, wenn die Gewalt in unserem Herzen nachlässt“ (Rosenberg 2016a, S.18). Zum praxisorientierten Verständnis von „Gewaltfreiheit“ kann das Vier-Schritte-Modell herangezogen werden. Werden innerhalb eines Kommunikationsprozesses die vier Schritte angewandt, so kann ein Gespräch als „gewaltfrei“ bezeichnet werden. Daraus zieht Altmann (2015) den Umkehrschluss, dass das Auslassen von Elementen der vier Schritte (Wahrnehmungen, Bedürfnisse, Gefühle und Bitten) als Kommunikation bezeichnet werden kann, die gewaltvolle Elemente beinhaltet. Eine bildliche Komponente enthält die Bezeichnung „Giraffensprache“, die ebenfalls von Rosenberg verwendet wird und als Synonym für „Gewaltfreie Kommunikation“ eingesetzt werden kann. Die Giraffe steht symbolisch für ein großes Herz, welches die Gewaltfreie Kommunikation, als Sprache des Herzens, repräsentieren soll. Als Gegenkonstrukt zur Giraffensprache existiert in der GFK die Wolfssprache, welche eine Kommunikation symbolisiert, die gewaltvolle Elemente enthält (Vgl. Rosenberg 2009). Zwischen verbaler und nonverbaler Kommunikation wird in der Literatur der Gewaltfreien Kommunikation nur vereinzelt differenziert. Damit bleibt die Frage offen, in welche Situationen die GFK auch auf nonverbale Kommunikation bezogen werden kann.
2.2 Marshall B. Rosenberg und die Entstehung der GFK
Marshall Bertam Rosenberg ist der Begründer der Gewaltfreien Kommunikation und des Center for Nonviolent Communication (Vgl. CNVC). Zur besseren Nachvollziehbarkeit der Entstehungsgeschichte folgt ein kurzer Einblick in die, für den Entstehungsprozess relevanten, biographischen Ereignisse in Rosenbergs Leben. Rosenberg machte bereits im Alter von acht Jahren erste Gewalterfahrungen. Im Jahr 1943 zieht Rosenbergs Familie nach Detroit, Michigan. Kurze Zeit nach dem Umzug der Familie bricht dort ein Rassenkrieg aus, bei dem mehr als 40 Menschen ihr Leben verlieren (Vgl. Rosenberg 2016a). Weitere Gewalterfahrungen macht Rosenberg in der Schule, in der er wegen seines jüdischen Nachnamens diskriminiert wird. Er erfährt schon früh, dass allein die Hautfarbe oder ein Name als Anlass genutzt wird, zu diskriminieren. Gleichzeitig beobachtet Rosenberg innerfamiliär einen sehr liebevollen Umgang miteinander, weshalb er sich die Frage stellt, was einen Menschen dazu veranlasst, Gewalt anzuwenden bzw. gewaltlos zu sein. Auf der Suche nach Antworten über die Gründe menschlichen Verhaltens und Handelns studiert Rosenberg Psychologie und beendet sein Studium mit einer Promotion. Nach seinem Studium arbeitet er als Psychotherapeut und bringt in Erfahrung, dass seinen KlientInnen insbesondere das Empathische Zuhören seinerseits hilft. Er gibt schließlich seine Tätigkeit als Psychotherapeut auf und macht sich auf die Suche nach etwas Neuem. Rosenberg sieht die Ursache für individuelle Symptome seiner KlientInnen in den gesellschaftlichen Strukturen, in der Sprache sowie in Machtverhältnissen (Vgl. Rosenberg 2014). Die Ursache von Gewalt liegt Rosenberg zufolge „[…] in der Art und Weise wie wir gelernt haben zu denken, zu kommunizieren, und mit Macht umzugehen“ (Rosenberg 2014, S.11). Infolge dieser Überlegungen legt Rosenberg seinen Fokus auf die Strukturen der Gesellschaft, insbesondere auf die sprachlichen Muster in dieser. Daraufhin arbeitete er an Methoden, aus denen dann die Gewaltfreie Kommunikation entsteht. Bei seinen Untersuchungen bezieht er sich immer wieder auf die Forschung Carl Rogers, welcher die positive Komponente zwischenmenschlicher Beziehungen hervorhebt und die klientenzentrierte Gesprächstherapie entwickelte (Vgl. Heldt 2015). In den 1960er Jahren erprobt Rosenberg eigens entwickelte Methoden in Projekten zur Mediation und zur Vermittlung von Kommunikationskompetenzen und beginnt mit der Entwicklung des Modells der Gewaltfreien Kommunikation (Vgl. Rosenberg und Weidenbach 2013). Mit der Intention, seine Lehre effektiver verbreiten zu können, gründet Rosenberg 1984 das Center for Nonviolent Communication (Rosenberg und Weidenbach 2013; CNVC 2018). Zu den wichtigsten Tätigkeiten Rosenbergs zählt heute die Friedensarbeit in Kriegsgebieten, das Leiten von Workshops sowie das Verfassen von Büchern, u.a. dem Grundlagenbuch der GFK „Gewaltfreie Kommunikation- Eine Sprache des Lebens“. Er arbeitete mit Menschen verschiedener Berufsfeldern wie beispielsweise Erzieherinnen und Erziehern, Lehrerinnen und Lehrern, Anwälten, sowie Gefangenen und Gefängniswärtern zusammen und war zu Lebzeiten international tätig und engagiert, die GFK weiterzugeben (Vgl. Rosenberg 2016a).
2.3 Prämissen, Menschenbild und Haltung in der GFK
Das von Rosenberg geprägte Menschenbild ist in der GFK Ausgangspunkt für alle Methoden und Modelle, die in der Praxis Anwendung finden. Zudem beeinflusst es maßgeblich die Grundhaltung, die GFK Praktizierende im Kommunikationsprozess sowie außerhalb der Interaktion mit Anderen einnehmen. Rosenberg geht davon aus: „[…] dass die Freude am Einfühlsamen Geben und Nehmen unserem natürlichen Wesen entspricht […]“ (Rosenberg 2016a, S.17). Der Mensch ist somit grundsätzlich am Wohl anderer interessiert, dennoch gibt es Bedingungen, unter denen das naturgegebene Wohlwollen nicht zur Geltung kommt. An dieser Stelle werden zwei Fragen aufgeworfen: Welche Aspekte hindern den Menschen am naturgegebenen Wohlwollen und welche Bedingungen braucht es, um die „[…] einfühlsame Natur selbst unter schwierigsten Bedingungen aufrecht zu erhalten?“ (Rosenberg 2016a, S.17). Zuerst wird erläutert, unter welchen Bedingungen einfühlsames Wohlwollen verhindert wird, um anschließend herauszuarbeiten, welche Bedingungen in der GFK geschaffen werden, die es Menschen erleichtern sollen, sich wechselseitig mitfühlend zu begegnen. Für Rosenberg ist die unreflektierte Anwendung von Sprache der entscheidender Faktor dafür, dass es vielen Menschen schwer fällt, ihr mitfühlendes Wesen aufrecht zu erhalten. An dieser Stelle spricht Rosenberg von „kultureller Konditionierung“. Aus der Literatur der GFK geht hervor, dass Rosenberg zur kulturellen Konditionierung auch die Art und Weise zählt, wie der Mensch versucht, bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen. Rosenberg ist der Ansicht, dass das Ego von der jeweiligen Kultur ausgebildet wird und dazu führen kann, Bedürfnisse mit Strategien zu verwechseln (Vgl. Rosenberg 2016b). Die von Rosenberg umschriebene kulturelle Konditionierung führt seiner Ansicht nach dazu, dass der Mensch sich von seiner wahren Natur, dem Genießen eines mitfühlenden Gebens, entfremdet. Um das einfühlsame Wesen des Menschen wieder herzustellen entwickelte Rosenberg die Gewaltfreie Kommunikation und stellt folgende Prämissen auf:
1. Die Ursache für unsere Gefühle sind unsere Bedürfnisse, nicht das Verhalten anderer Menschen (Vgl. Rosenberg 2016b).
2. Um klar auszudrücken, was uns in jedem gegebenen Moment bewegt, müssen wir uns im Klaren darüber sein, was wir empfinden und was wir brauchen (Vgl. Rosenberg 2016b).
3. Menschliches Verhalten ist immer der Versuch, Bedürfnisse zu befriedigen (Vgl. Rosenberg 2016a).
Rosenberg begründet seine Praxismodelle (insbesondere das Vier-Schritte-Modell) unter der Annahme, dass der wesentliche Motor menschlichen Handelns den Versuch darstellt, Bedürfnisse zu befriedigen. Diese Bedürfnisse beeinflussen die Gefühle des Menschen, weshalb es wichtig ist, dass der Mensch sich über seine Bedürfnisse und Gefühle im Klaren ist, um diese angemessen formulieren zu können und dadurch eine Erfüllung der jeweiligen Bedürfnisse zu begünstigen. Daraus resultiert eine Haltung, die mit dem folgenden Zitat von Marshall Rosenberg verständlicher wird:
„Es ist ein Geben, das freiwillig von Herzen kommt, bei dem wir uns und anderen einen Dienst erweisen. Es kommt nicht aus einem Gefühl von Pflicht und Verpflichtung, nicht aus Angst vor Bestrafung, nicht aus der Hoffnung auf eine Belohnung und nicht aus Schuld oder Scham. Es kommt aus dem, was ich als unsere wahre Natur betrachte, unsere Natur, es zu genießen, wenn wir einander geben.“ (Rosenberg 2016b, S.13f.).
Die GFK ist eine innere Haltung, die eingenommen werden kann. Sie versteht sich also als mehr als nur eine Kommunikationskompetenz oder ein Kommunikationsmodell.
2.4 Das Vier-Schritte-Modell
Das Vier-Schritte-Modell ist eine Handlungsanleitung, die eine Orientierung für die praktische Anwendung der Gewaltfreien Kommunikation darstellt. Dabei werden folgende Ziele beabsichtigt: Selbsterklärung, Selbstausdruck und Empathie. Zur Selbsterklärung beizutragen bedeutet, dass die sprechende Person sich selbst verstehen soll, um sich anschließend mitteilen zu können (Selbstausdruck) und zuletzt auch das Gegenüber verstehen kann (Empathie). Die Anwendung des Kommunikationsmodells bzw. die innere Haltung der GFK strebt an, in Gesprächen bei sich selbst und seinen Bedürfnissen zu bleiben und gleichsam für den Gesprächspartner präsent zu sein (Vgl. Orth und Fritz 2013). Stark komprimiert können die Schritte wie folgt beschrieben werden:
1. Beobachten, ohne zu bewerten
2. Gefühle erkennen und ausdrücken
3. Bedürfnisse benennen
4. Eine konkrete Bitte formulieren
Rosenberg formuliert zudem Gegenkonstrukte, die verdeutlichen, welche Kommunikationsprozesse nicht der GFK dienen. So lassen sich die 4 Schritte auch so formulieren, dass die Abgrenzung zu dem, was im Sinne der GFK nicht förderlich ist, deutlich wird:
1. Beobachtung/ Beschreibung anstelle von Bewertungen
2. Gefühle von Gedanken unterscheiden
3. Bedürfnisse anstelle von Strategien
4. Bitten anstelle von Forderung (Vgl. Altmann 2015, S.36)
Ein Beispiel für eine Ausdruckweise, die nicht gewaltfrei im Sinne der GFK ist, könnte lauten: „Die Wäsche ist wieder nicht aufgehängt. Ich bin sehr enttäuscht von dir. Jetzt häng endlich die Wäsche auf!“ Im ersten Satz befindet sich eine Beobachtung (Wäsche ist nicht aufgehängt) gemischt mit einer Bewertung (wieder). Im zweiten Satz wird zum Ausdruck gebracht, dass eine vorausgegangene Erwartung nicht erfüllt wurde und, dass durch das Ausbleiben der Erfüllung ein negatives Gefühl im Sinne von „du bist Schuld, dass es mir schlecht geht“ beim Sender der Nachricht ausgelöst wurde. Im dritten Satz wird eine Forderung gestellt (Wäsche aufhängen). Eine Formulierung, die sich am 4-Schritte-Modell orientiert, könnte so aussehen: „Ich habe gesehen, dass die Wäsche nicht aufgehängt ist. Ich fühle mich traurig und hilflos, weil mein Bedürfnis nach Ordnung nicht erfüllt ist. Wärst du bereit, die Wäsche aufzuhängen?“ In letzterer Formulierung impliziert die Beobachtung (Wäsche nicht aufgehängt) keine Bewertung. Im zweiten Satz geht es um den Selbstausdruck der Gefühle (traurig und hilflos) sowie die Benennung des fehlenden Bedürfnisses (Ordnung). Im dritten Satz wird dann eine konkrete Bitte (Wäsche aufhängen) gestellt.
In den folgenden Ausführungen werden die einzelnen Schritte detailliert und anhand von Beispielen dargestellt. Vorab soll erneut bemerkt sein, dass die GFK eine „Sprache des Lebens“ ist und sich deshalb vorrangig an der Praxis orientiert und weniger theoretisch ausgelegt ist, weshalb die Beschreibungen der einzelnen Schritte ebenfalls praxisorientiert sind.
2.4.1 Beobachten ohne zu bewerten
Der erste Schritt des Modells besteht darin, eine Beobachtung von einer Bewertung zu trennen. Hierbei geht es in der GFK nicht darum, hundertprozentig objektiv zu sein, sondern um die Bewusstwerdung der Bewertung (Vgl. Rosenberg 2016a). Die Ausgangsfrage, um die Beobachtung zu formulieren, bezieht sich hierbei auf den Auslöser der Gefühle: „Was hat die andere Person getan, das dich in deiner Lebensqualität einschränkt?“ (Rosenberg 2014, S.15). Hat die jeweilige Person die Frage für sich selbst beantwortet, geht es im nächsten Schritt um die Formulierung. Bei dieser wird darauf Wert gelegt, eine Beobachtung (ohne implizierte Bewertung) wiederzugeben. Rosenberg bezeichnet eine Beobachtung als etwas, das man sehen, hören oder berühren kann. Anders ist es bei einer Bewertung, da hier aus einer Beobachtung auf etwas geschlossen wird (Vgl. Rosenberg und Weidenbach 2013). Wird eine Beobachtung mit einer Bewertung verknüpft, so besteht die Gefahr, dass diese beim Empfänger der Nachricht als Kritik aufgefasst werden könnte. Das verringert laut Rosenberg die Bereitschaft des Gegenüber, die eigenen Bedürfnisse zu erfüllen (Vgl. Rosenberg 2016a). Die Schwierigkeit liegt also darin, eine Beobachtung nicht mit einem Urteil, einer Analyse, Lob und Kritik oder gar einer Diagnose in Verbindung zu setzten, sondern diese sauber voneinander zu trennen (Vgl. Orth und Fritz 2013). Die Notwendigkeit dieser Trennung sieht Rosenberg darin, dass eine Bewertung einer statischen Sprache und weniger einer prozessorientierten Sprache dient. Eine statische Sprache widerspricht dem Selbstverständnis der GFK, die sich als „Sprache des Lebens“ versteht. Deshalb ist es bei der Formulierung einer Beobachtung elementar, sich konkret auf die Zeit und den Handlungszusammenhang zu beziehen (Vgl. Rosenberg 2016a). Rosenberg bezieht sich mitunter auf den indischen Philosophen J. Krishnamurti, welcher die Fähigkeit, zu beobachten ohne zu bewerten als höchste Form menschlicher Intelligenz bezeichnet (Vgl. Rosenberg 2016a).
Bezogen auf das Eingangsbeispiel wäre im Satz „Die Wäsche ist wieder nicht aufgehängt“, die jeweilige Beobachtung, dass die Wäsche nicht aufgehängt ist. Die Bewertung findet sich in dem Wort „wieder“, welches eine unbestimmte Anzahl an vergangenen Vorkommnissen impliziert, bei denen ebenfalls die Beobachtung gemacht wurde, dass die Wäsche nicht aufgehängt war. Eine Formulierung, die die vier Schritte in der GFK berücksichtigt, könnte lauten: „Ich habe beobachtet, dass in den letzten zwei Woche die Wäsche dreimal nicht aufgehängt wurde.“ Letzteres Beispiel zeigt eine konkrete Beobachtung, die nicht wertend ist, inhaltlich jedoch gleich bleibt.
2.4.2 Gefühle erkennen und ausdrücken
Nachdem im ersten Schritt ausgedrückt wurde, was in der jeweiligen Situation wahrgenommen wurde, also der Auslöser klar ist, wird im zweiten Schritt in der GFK ausgedrückt, welche Gefühle in der Situation ausgelöst wurden. Das setzt einen umfassenden Wortschatz zur Benennung von Gefühlen voraus. Rosenberg betrachtet es als problematisch, dass der Wortschatz, um Gefühle auszudrücken, oftmals beschränkt und ungenügend ist. Als besonders gefährdet sieht er Menschen, die sich eine Fachsprache angeeignet haben, in der Gefühlsäußerungen vermieden werden, wie es beispielsweise bei AnwältInnen, Ingenieuren, PolizistInnen und Militärs der Fall ist (Vgl. Rosenberg 2016a). Eine klare Definition des Wortes „Gefühl“ ist in der Literatur der GFK nicht zu finden. In einem Interview mit Gabriele Seils beschreibt Rosenberg Gefühle wie folgt: „(…) die Gefühle sind wie die Signale auf dem Armaturenbrett, sie geben Auskunft über die Bedürfnislage. Also übertragen heißt das, wenn ich schmerzhafte Gefühle habe, dann weiß ich, ein Bedürfnis wird gerade nicht erfüllt. Und dann kann ich mir überlegen, was ich unternehmen will, um das Problem zu beheben (Rosenberg 2014, S.17f.).
In Rosenbergs Verständnis sind Gefühle demnach Anzeiger für erfüllte bzw. nicht erfüllte Bedürfnisse. Zu der Entstehung von Gefühlen sieht Rosenberg das Verhalten anderer Menschen immer nur als Auslöser, jedoch nie als Ursache für Gefühle. Gefühle hingegen „[…] entstehen aus unseren jeweiligen Bedürfnissen und Erwartungen in der aktuellen Situation“ (Rosenberg 2016a, S.59 ). Damit wird die Verantwortung des Menschen für seine Gefühle hervorgehoben und der Einfluss des Gegenübers auf die eigenen Gefühle abgeschwächt. Rosenberg betont, dass es bei der Benennung von Gefühlen wichtig sei, diese von Nicht-Gefühlen bzw. Pseudogefühlen zu unterscheiden. Es werde beispielsweise häufig Gebrauch des Wortes „fühlen“ gemacht, ohne wirklich ein Gefühl auszudrücken. Ein Beispiel für das Verwechseln von Gefühl und Gedanke könnte lauten: „Ich fühle mich manipuliert“. Nach Rosenberg ist dies ein Satz, der zeigt, was wir darüber denken, wie andere Menschen handeln oder denken. Es ist eine Interpretation von einem Verhalten (Vgl. Rosenberg 2016a). Um das Ausdrücken von Pseudogefühlen zu vermeiden wird in der GFK angeregt, Gefühle konkret zu benennen. Als Hilfestellung kann man sich selbst fragen: „Wie fühlst du dich, wenn die Person sich so verhält?“ (Rosenberg 2014, S.15). Anstatt die Aussage zu treffen, dass man sich „manipuliert“ fühle, soll konkretisiert werden, indem „manipuliert“ beispielsweise durch „bedrückt“ oder „unbehaglich“ ersetzt wird. (Vgl. Rosenberg 2016a). Rosenberg hat für das Ausdrücken von Gefühlen Listen zusammengestellt, die der Orientierung, Selbstklärung, sowie der Erweiterung des Gefühls-Wortschatzes dienen sollen. Er unterscheidet dabei zwischen Gefühlen, die umschreiben, wie wir uns wahrscheinlich fühlen, wenn unsere Bedürfnisse erfüllt sind und Gefühlen, die wir verwenden können, wenn unsere Bedürfnisse nicht erfüllt sind. Durch diese Listen soll verhindert werden, dass Wörter verwendet werden, die Gedanken, Einschätzungen, Interpretationen etc. anstelle von Gefühlen ausdrücken. Ziel und Anliegen ist es, die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, bei dem jeweiligen Gesprächspartner bzw. der Gesprächspartnerin Klarheit zu schaffen und die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass Kritik gehört wird (Vgl. Rosenberg 2016a). Es bleibt jedoch unklar, nach welchen Kriterien Rosenberg Gefühle von Pseudogefühlen unterscheidet.
2.4.3 Bedürfnisse benennen
Der dritte Schritt des Modells besteht darin, die Ursache für die Gefühle zu benennen, die in einem ausgelöst wurden. Da Rosenberg als Ursache für Gefühle bestimmte Erwartungen, sowie erfüllte oder auch unerfüllte Bedürfnisse betrachtet, gilt es hier, diese Bedürfnisse zu benennen (Vgl. Rosenberg 2016a). Hinter der Komponente der Benennung von Bedürfnissen steckt die Annahme, dass alle Menschen Bedürfnisse haben und diese Bedürfnisse mit Gefühlen verbunden sind. Tritt die Erfüllung von Bedürfnissen ein, hat der Mensch angenehme, bei Ausbleiben dieser Erfüllung, unangenehme Gefühle. Das Bewusstsein und Ausdrücken der eigenen Bedürfnisse ist in der GFK elementar. Rosenberg geht davon aus, dass Menschen eher bereit sind, zum Erfüllen von Bedürfnissen beizutragen, wenn diese klar mitgeteilt werden (Vgl. Rosenberg 2014). Eine klare Definition des Wortes „Bedürfnis“ ist, wie auch bei dem Wort „Gefühl“, in der Literatur der GFK nicht zu finden. Aufgrund dessen wird hier auf Altmann (2015) zurückgegriffen, welcher zu folgender Definition kommt:
„Bedürfnisse in der Konzeption der Gewaltfreien Kommunikation können damit verstanden werden als individuell erlebte Mangelzustände, die physiologischer (z. B. Nahrung) oder psychologischer Natur (z. B. Bindung) sein können, situativ bestehen und durch die Auslösung aversiver Emotionen zu bedürfniserfüllendem Verhalten anregen.“ (Altmann 2015, S. 47).
Bei dieser Definition ist zu ergänzen, dass Bedürfnisse in Form von Mangelzuständen nur dann definitorisch zutreffend sind, wenn die jeweiligen Bedürfnisse unerfüllt sind. Handelt es sich jedoch um ein erfülltes Bedürfnis, welches zum Ausdruck gebracht wird, kann von Mangelzustand nicht die Rede sein. Rosenbergs Verständnis von Bedürfnissen wird eingehender bei Betrachtung seiner Bedürfnislisten. In den Bedürfnislisten werden verschiedene Bedürfnisse, die er als grundlegende menschliche Bedürfnisse bezeichnet, unter Überbegriffen gesammelt. In Anlehnung an die Arbeit des Wirtschaftstheoretikers Max Neef, welcher neun Bedürfnisse herausarbeitete (Vgl. Rosenberg 2014), ordnet Rosenberg die einzelnen Bedürfnisse unter den Überbegriffen: Autonomie, Feiern, Integrität, Intimität, Interdependenz, Nähren physischer Existenz, Spiel, Sicherheit, Verständnis (oder Empathie) sowie spirituelle Verbundenheit (oder Sinn) (Vgl. Rosenberg 2016a). In der GFK wird angestrebt, Verantwortung für sich selbst und seine Bedürfnisse, Wünsche, Erwartungen, Werte und Gedanken zu übernehmen. Das bedeutet in der konkreten Anwendung, die eigenen Bedürfnisse, Wünsche etc. im ersten Schritt zu erkennen und im zweiten Schritt auszudrücken. Dabei lautet die Frage, die sich der/die Sprechende stellen kann: Welches Bedürfnis, welcher Wunsch etc. hat sich nicht erfüllt? (Vgl. Rosenberg 2014). Hierbei wird gemäß der Definition nach Altmann (2015) wieder die Frage nach unerfüllten Bedürfnissen gestellt. Rosenberg gibt vier Möglichkeiten vor, wie auf eine negative (verbale/nonverbale) Äußerung reagiert werden kann. Die ersten zwei Möglichkeiten bestehen darin, entweder sich selbst die Schuld zu geben und die Kritik anzunehmen, oder den Sprecher zu beschuldigen. Die dritte Reaktionsmöglichkeit besteht darin, unsere eigenen Bedürfnisse und Gefühle wahrzunehmen und die vierte Möglichkeit umfasst das Wahrnehmen der Gefühle und Bedürfnisse des Anderen (Vgl. Rosenberg 2016a). Eine Aussage, bei der die Verantwortung der eigenen Gefühle auf die Handlung einer anderen Person bezogen wird, könnte gemäß des Eingangsbeispiels lauten: „Ich bin stinksauer, dass du die Wäsche nicht aufgehängt hast! Immer muss ich alles alleine machen.“ Würde der Sender der Nachricht in der gleichen Situation seine Bedürfnisse im Sinne der GFK zum Ausdruck bringen, könnte die Aussage lauten: „Ich habe gesehen, dass die Wäsche nicht aufgehängt ist (Beobachtung). Ich fühle mich traurig und hilflos (Gefühl), weil mein Bedürfnis nach Ordnung nicht erfüllt ist (Bedürfnis)“. Wird das jeweilige Bedürfnis (beispielsweise das Bedürfnis nach Ordnung) mit einer Strategie verwechselt, entsteht weiteres Konfliktpotential. In dem oben beschriebenen Beispiel lautet die Strategie, mit dem das Bedürfnis nach Ordnung erfüllt werden soll: die andere Person hängt die Wäsche auf. Nun ist dies laut Rosenberg aber nur eine Strategie von vielen, um das Bedürfnis nach Ordnung zu erfüllen und muss auch als eine solche betrachtet werden (Vgl. Rosenberg 2014).
2.4.4 Eine konkrete Bitte formulieren
Als vierter und abschließender Schritt folgt die Bitte. Durch die Bitte soll der Nachrichtenempfänger eine konkrete Handlungsoption vorgeschlagen bekommen, die zur Erfüllung von Bedürfnissen des Senders der Nachricht beitragen kann. Um Abwehrreaktionen beim Gesprächspartner zu vermeiden, ist es wichtig, die Bitte positiv zu formulieren (Vgl. Rosenberg 2016a). Zudem soll in der Bitte eine konkrete Tätigkeit formuliert werden, die vom Empfänger der Nachricht erfüllt werden kann. Durch die klare Ausdrucksweise und das Aussprechen von Wünschen sollen Missverständnisse durch Fehlinterpretationen vermieden werden (Vgl. Rosenberg 2016a). Rosenberg geht davon aus, dass „Je klarer wir wissen, was wir vom anderen bekommen möchten, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich unsere Bedürfnisse erfüllen werden.“ (Rosenberg 2016a, S.81). Um herauszufinden, worum gebeten werden soll, kann die Frage danach gestellt werden, wodurch die eigene Lebensqualität verbessert werden könnte (Vgl. Rosenberg 2014). Bezogen auf das Eingangsbeispiel könnte die Bitte in Form einer Frage wie folgt formuliert werden: „Wärst du bereit, die Wäsche aufzuhängen?“ Was unterscheidet die Bitte in diesem Fall nun von einer Forderung? Zunächst einmal nichts. Ob es sich um eine Bitte oder eine Forderung handelt, kann nur herausgefunden werden, wenn der Bitte nicht nachgegangen wird bzw. diese abgelehnt wird. Widersetzt sich beispielsweise die Person, die gebeten worden ist, die Wäsche aufzuhängen, liegt es an der darauf folgenden Konsequenz, ob es sich um eine Bitte, oder um eine Forderung gehandelt hat. Handelt es sich um eine Forderung, so folgt auf das sich Wiedersetzen eine negative Konsequenz beispielsweise in Form von einer Bestrafung. Bei einer Bitte hingegen, ist das Nachkommen der Bitte auf freiwilliger Basis (Vgl. Rosenberg und Weidenbach 2013). Eine echte Bitte kann nach Rosenberg nur im Bewusstsein des Ziels erfolgen, welches Freiwilligkeit und Einfühlsamkeit beinhaltet (Vgl. Rosenberg 2016a). Um zu vermeiden, dass eine Bitte als Forderung gehört wird bzw. im Fall, dass diese Situation eintritt, kann der Bittsteller fragen, was die andere Person von der jeweiligen Aussage gehört hat. Es wird also um Widergabe gebeten, wodurch festgestellt werden kann, ob die gesendete Botschaft mit der, beim Empfänger eingegangenen Botschaft übereinstimmt (Vgl. Rosenberg 2016a). Der vierte Schritt fordert, wie auch Schritt drei, die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und sich klar mitzuteilen.
2.5 Empathie
In dem Kapitel 2.4 wurden die vier Schritte der GFK aufgeführt. Diese sollen es ermöglichen, sich selbst klar auszudrücken indem die eigenen Gefühle und Bedürfnisse erkannt und formuliert werden, um eine Bitte stellen zu können, die das Leben bereichert. Werden die eigenen Gefühle und dahintersteckenden Bedürfnisse in einer anerkennenden und akzeptierenden inneren Haltung durchgeführt, so kann dieser innere Prozess als Selbstempathie verstanden werden. In diesem Kapitel wird der Begriff Empathie im Verständnis der GFK näher erläutert. Es wird unterschieden in Empathie in Bezug auf den Anderen und Empathie in Bezug auf sich selbst.
Wie in der Beschreibung der vier Schritte wird auch bei der Definition der Empathie hervorgehoben, was nicht unter Empathie verstanden wird. Kontraproduktiv für empathisches Verhalten sind demnach das Geben von Ratschlägen, der Versuch, zu beschwichtigen, das Einbringen der eigenen Meinung, sowie das Darlegen des eigenen Gefühls. Zudem ist der Versuch, Dinge wieder in Ordnung zu bringen oder Dinge über den Intellekt zu verstehen hinderlich für das Geben von Empathie. Vorgefasste Meinungen und Urteile müssen für das empathische Aufnehmen abgelegt werden (Vgl. Rosenberg 2016a). Empathie ist innerhalb des Verständnisses der GFK die „[…] vollständige Präsenz in einem Moment“ (Rosenberg 2016b, S.24) . Da Rosenberg sein Verständnis der Empathie vor allem dadurch ausdrückt, was Empathie nicht ist, wird an dieser Stelle auf Altmann (2015) zurückgegriffen, der den Empathie-Begriff in der GFK wie folgt definiert: „(…) als intentional eingesetzte Fertigkeit, primär in der Methode der kognitiven Perspektivübernahme mit emotionalem Fokus und mit Betonung des Interaktionsmusters aus Rückmeldung und Reflexion. Empathie beschreibt hier also nicht das Persönlichkeitsmerkmal, sondern nutzt den Begriff zur Beschreibung eines bestimmten Musters im Kommunikationsprozess zwischen zwei Personen.“( Altmann 2015, S.54).
Nach Altmann (2015) ist Empathie in der GFK ein bewusst eingesetztes Element innerhalb eines Kommunikationsprozesses, welches der Empfänger oder Sender einer Nachricht durch Rückmeldung und Reflexion anwenden kann. Dieses Muster innerhalb eines Kommunikationsprozesses ist in der GFK beim empathischen Aufnehmen gegeben, wenn die vier Schritte auf die andere Person angewendet werden. Das Bestreben ist es, aus den Worten des Sprechers zu entnehmen, was dieser 1. beobachtet, 2. fühlt, 3. braucht, 4. erbittet (Vgl. Rosenberg 2016a). Neben der Empathie im Kommunikationsprozess ist es in der GFK wichtig, sich selbst Empathie zu geben, sogenannte Selbstempathie oder auch Selbsteinfühlung bzw. Selbstverbindung. Die Wahrnehmung seiner selbst ist Voraussetzung dafür, die vier Schritte für sich zu finden und auszudrücken (s. Kap. 2.4). Rosenberg zufolge ist es schwierig, anderen Menschen empathisch gegenüber zu treten, wenn der einfühlsame Kontakt zu einem selbst nicht hergestellt ist. Ähnlich der Definition der Empathie im Selbstverständnis der GFK nach Altmann (2015) kann auch die Selbstempathie als eine Fertigkeit verstanden werden, die eingeübt werden kann. Der Fokus liegt bei der Selbstempathie auf dem inneren Kommunikationsprozess (Vgl. Orth und Fritz 2013).
2.6 Ziele und Absichten der GFK
In seiner Zeit als Therapeut machte Rosenberg die Erfahrung, dass die Probleme vieler Menschen in den Denk- und Machtstrukturen der Gesellschaft liegen und weniger in den Personen selbst. Die Beschäftigung mit individuellen Symptome seiner Klientinnen und Klienten empfand er als unbefriedigend, weshalb Rosenberg begann nach neuen Strategien und Methoden zu suchen und seinen Beruf als Therapeut niederlegte. Aus Rosenbergs Gesprächen mit Gabriele Seils geht hervor, dass er größere Strukturen verändern wollte (Vgl. Rosenberg 2014). In dem Werk „Das Herz Gesellschaftlicher Veränderung“, welches Auszüge aus einem von Rosenberg geleiteten Seminar enthält, stellt dieser heraus, dass die Veränderung von Strukturen bei einem selbst anfängt. Das Ziel der GFK sei also im ersten Schritt sich selbst im Sinne der GFK (oder Konzepten mit ähnlichen Paradigmen) zu verändern (Vgl. Rosenberg und Dillo 2004). Dieses Paradigma gründet auf dem Konzept der Lebensbereicherung, welches Rosenberg so beschreibt: „Jede unserer Handlungen entsteht aus einer Vorstellung, die uns zeigt, wie menschliche Bedürfnisse durch diese Handlung erfüllt werden.“ (Rosenberg und Dillo 2004, S.10). Das übergeordnete Ziel Rosenbergs besteht darin, eine grundlegend anders denkende Gesellschaft durch die GFK zu fördern. Dies soll insbesondere durch den Bereich der Erziehung und Ausbildung vollzogen werden, weshalb ErzieherInnen, sowie LehrerInnen in der GFK ausgebildet werden sollen. In dem neuen System sollen Führungskräfte als Diener fungieren und es soll weder Belohnung noch Bestrafung zum Einsatz kommen (Vgl. Rosenberg und Dillo 2004). Eine wichtige Rolle spielt hierbei für Rosenberg die Spiritualität, welche mit zum inneren Paradigmenwechsel gehört. Das Wort Spiritualität wird hier als dauerhafte Verbindung mit dem Leben in einem selbst, sowie mit dem Leben anderer definiert (Vgl. Rosenberg und Dillo 2004). In der GFK ist die zwischenmenschliche Beziehung immer übergeordnet und soll aufrechterhalten werden: „(…) Unser Ziel und das Ziel der Gewaltfreien Kommunikation ist es nicht, zu bekommen, was wir wollen, sondern Verbundenheit zwischen Menschen herzustellen, die dazu führt, dass die Bedürfnisse aller berücksichtigt werden. So einfach und gleichzeitig so komplex ist das.“ (Rosenberg und Weidenbach 2013, S.37).
Die zwischenmenschlichen Beziehungen sollen auf der Basis von Offenheit und Mitgefühl gegründet sein (Vgl. Rosenberg 2016a). Dabei kann die GFK nicht als Ziel an sich betrachtet werden, sondern als Werkzeug oder Mittel, um kulturelle Konditionierungen zu erkennen und zu überwinden (Rosenberg 2016b). Ist diese kulturelle Konditionierung erkannt, können neue Strukturen entstehen, die Beziehungen hervorbringen, die auf Mitgefühl gegründet sind.
2.7 Zwischenfazit
Die Gewaltfreie Kommunikation ist begründet auf den Annahmen, dass erstens unsere Bedürfnisse Ursache für unsere Gefühle sind (nicht das Verhalten anderer Menschen) und zweitens, dass menschliches Verhalten immer der Versuch ist, Bedürfnisse zu befriedigen sowie drittens, dass einfühlsames Geben und Nehmen unserer Natur entspringt (s. Kap. 2.3/ 2.4). In Anbetracht dieser drei Grundannahmen stellt sich die Frage, wie die menschlichen Bedürfnisse befriedigt werden können, um unserer Natur, dem einfühlsames Geben und Nehmen, gerecht zu werden. Rosenberg zufolge liegen Problem und Lösung in der Kommunikation. Indem Kommunikationsprozesse dahingehend verändert werden, dass Menschen einander aus Mitgefühl zueinander Gutes tun, können einfühlsame Beziehungen entstehen (s. Kap. 2.6). Die Gewaltfreie Kommunikation soll als Werkzeug dienen, eine solche Veränderung zu unterstützen. Dies soll durch Selbsterklärung, Selbstausdruck und Empathie ermöglicht werden. Der Fokus liegt also auf dem Menschen selbst und auf seiner Selbstkenntnis sowie Selbstoffenbarung (s. Kap. 2.7).
3 Gewaltfreie Kommunikation im Unterricht
In diesem Kapitel wird die Anwendung der Gewaltfreien Kommunikation durch Lehrende im Unterricht skizziert. Dabei wird auf vielfältige, unterrichtsrelevante Aspekte eingegangen, die zum größten Teil Lehrpersonen sowie Schülerinnen und Schüler betreffen. Weniger relevant sind hierbei Aspekte, die Unterrichtsinhalte, Unterrichtsmaterialien sowie Setting des Unterrichts betreffen. Vielmehr geht es um die Rolle der Lehrperson, insbesondere im Umgang mit Macht sowie die Auswirkungen der Anwendung der GFK auf die Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden und die wertschätzende Komponente der GFK im Kontext Schule. Die Annahme in der GFK „Es gibt kein richtig und falsch“ ist zentral für den Umgang mit Fehlern in der GFK. Ausgangspunkt der Überlegungen für die Unterrichtsgestaltung im Kontext der GFK ist die Annahme, dass die Angst der Schülerinnen und Schüler davor, etwas falsch zu machen, einen der größten lern- und beziehungshemmenden Faktoren im Unterricht darstellt (Vgl. Rosenberg und Weidenbach 2013). Um den Schülerinnen und Schülern diese Angst zu nehmen wird in der GFK eine Haltung angestrebt, die auf einer partnerschaftlichen Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden beruht. In der GFK im Kontext Schule wird angestrebt, eine lebensbereichernde Erziehung zu ermöglichen, die von Rosenberg wie folgt beschrieben wird: „Keiner soll etwas lernen, um dafür eine gute Note zu bekommen oder Lob. Die einzige Motivation der Schüler ist, dass sie sehen, dass das, was sie lernen, ihr Leben bereichert.“ (Rosenberg 2014, S.120f.).
3.1 Rollenverständnis des Lehrkörpers in der GFK
In Rosenbergs Darstellung einer Lehrkraft greift er, ähnlich wie bei der Giraffen/-Wolfssprache, ein Bild auf, anhand dessen er seine Perspektive verdeutlicht. Sein Bild einer Lehrkraft entspricht dem eines Reiseberaters, welcher die Reisenden (Lernenden) darin unterstützt, das individuell abgestimmte Ziel für sie zu finden. Dabei kann der symbolische Reiseleiter Ziele vorschlagen, die auf den Bedürfnissen der Reisenden- Lernenden beruhen oder von Orten berichten, an denen die Schülerinnen und Schüler noch nicht waren und sie dafür begeistern. Dennoch tritt der Reisende (Lernende) die Reise alleine an. Zudem tritt jeder eine andere Reise an und kommt dementsprechend auch an einem anderen Ort zu einem anderen Zeitpunkt an (Vgl. Rosenberg und Weidenbach 2013). Rosenberg zeichnet das Bild einer Lehrkraft, die im Unterricht die Schülerinnen und Schüler unterstützt und ihnen neue Lernmöglichkeiten aufzeigt. Die Autonomie des Lernenden soll dadurch gefördert werden und gleichsam soll die Beziehung zur Lehrkraft aufrechterhalten werden. Dieses Bild steht in Kontinuität zur allgemeinen Haltung in der GFK, die auch bei Lehrerinnen und Lehrern Voraussetzung für einen Lehrstil im Sinne der GFK sind. Dazu gehört ebenfalls die Verfolgung der Grundpfeiler der GFK: Die Selbstklärung, der Selbstausdruck, sowie die Empathie und die Orientierung an dem Vier-Schritte-Modell. Als zusätzliche Komponenten, die eine wichtige Rolle im Unterricht im Sinne der GFK spielen kommen für die Lehrkraft noch; der Umgang mit Macht, das Feedback, sowie der Aufbau einer partnerschaftlichen Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden hinzu.
3.2 Unterrichtsgestaltung im Sinne der GFK mit besonderem Fokus auf die LehrerInnen-SchülerInnen Beziehung
In der Gestaltung des Unterrichts im Sinne der GFK ist die zwischenmenschliche Interaktion zwischen Lehrkraft und Lernenden ein entscheidender Faktor für den Lernerfolg des Einzelnen und wird deshalb in den Fokus gestellt. Hintergrund der Hervorhebung der zwischenmenschlichen Beziehung in der GFK ist die Annahme, dass das Ausüben von Machtstrategien (in der GFK: Belohnung, Bestrafung, Hervorrufen von Schuldgefühlen, Appelle an Pflicht) seitens der Lehrkräfte gegenüber ihren SchülerInnen, bei diesen zwei Reaktionen hervorruft: Unterwerfung und Rebellion (Vgl. Rosenberg und Weidenbach 2013). Um diesen Reaktionen vorzubeugen betont Rosenberg die Bedeutsamkeit der partnerschaftliche Beziehung und die der, in der Sprache der GFK betitelte, übergeordnete „lebensbereichernden Erziehung“ (Vgl. Rosenberg und Weidenbach 2013). Insbesondere in zwei Aspekten des Unterrichts soll die partnerschaftliche Beziehung zum Tragen kommen. In der Aufstellung von gemeinsamen Zielen sowie in der Beurteilung von Leistungen. Bei der Ausarbeitung gemeinsamer Ziele ist es in der GFK wichtig, den Schülern verständlich zu machen, inwiefern die jeweiligen Ziele ihr Leben bereichern können. Das zu erreichende Ziel soll zudem durch die partnerschaftliche Festlegung von Beurteilungskriterien in Zusammenarbeit von Lehrenden und Lernenden greifbarer werden. Dadurch steigt die subjektive Empfindung der Schüler, ein Ziel erreichen zu können sowie die Motivation, Handlungen nachzugehen, die dem jeweiligen Ziel näher kommen (Vgl. Rosenberg 2016a). Die partnerschaftliche Beziehung lässt sich durch die Haltung beschreiben, die die Lehrkraft gegenüber dem Lernenden einnimmt. Eine Lehrkraft, welche die Haltung der GFK annimmt sieht die Lernenden auf einer Augenhöhe, verfolgt mit ihnen gemeinsam das Ziel der Lebensbereicherung und strebt an, die Bedürfnisse der SchülerInnen hinter ihren Aussagen zu hören (Vgl. Rosenberg und Weidenbach 2013).
3.3 Der Umgang mit Macht
In der Gewaltfreien Kommunikation wird die Anwendung von Macht unterteilt in beschützenden und bestrafenden Anwendung von Macht. Diese Unterteilung ist im Kontext Schule von besonderer Relevanz, da ein asymmetrisches Machtverhältnis zwischen Lehrkraft und SchülerIn besteht und der Lehrkraft mit ihrer überlegenden Machtposition gleichsam auch große Verantwortung im Umgang mit dieser zukommt. Dass diese Verantwortung jedoch oftmals missbraucht wird zeigt sich anhand vieler Beispiele aus der Literatur der Erziehungswissenschaft, sowie alltäglicher Schulerfahrungen von Schülerinnen und Schülern. So schreibt Hafeneger (2013), dass es noch immer beschämende Verhaltensweisen in der Pädagogik gibt, beispielsweise in Form von amtlich genehmigten Schul- und Disziplinarordnungen, die eine Reihe von Strafverordnungen beinhalten und durch erzieherische Bedeutung legitimiert werden. Das Thema ist zudem von besonderer Relevanz, da missbräuchliche Anwendung von Macht einen massiven Einfluss auf die Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden sowie die Lernbereitschaft von SchülerInnen im Allgemeinen hat. Ziel in der GFK ist es, einen Gebrauch von Macht fördern, der zu einer gegenseitigen „Ermächtigung“ führt und bei dessen Anwendung die eigenen Bedürfnisse gewaltfrei erfüllt werden können (Vgl. Orth und Fritz 2013). In der GFK ist nicht geklärt, ob Macht ein Bedürfnis oder eine Strategie darstellt. In Orth und Fritz 2013 wird Macht als eine Strategie verstanden, die zur Erfüllung bestimmter Bedürfnisse (Gesehenwerden, Gehörtwerden, Autonomie) eingesetzt werden kann (Vgl. Orth und Fritz 2013). Ob der Gebrauch von Macht in der GFK als beschützend oder bestrafend gedeutet wird, hängt von der Intention ab, mit der die Macht gebrauchende Person, diese Macht ausübt. Die Unterscheidung soll anhand der folgenden Situation verdeutlicht werden: Auf dem Pausenhof ist ein Streit zwischen zwei Schülern ausgebrochen, bei dem es zu Handgreiflichkeiten kommt. Wird Gebrauch von der schützenden Anwendung von Macht gemacht, so kann sich der Lehrende zwischen die beiden Schüler stellen, um Verletzungen zu vermeiden. Dahinter steht der Wunsch des Lehrenden, die körperliche Unversehrtheit der Schüler zu schützen. Handelt es sich hingegen um die strafende Anwendung von Macht, so kann der Lehrende einen, in den Streit involvierten Schüler zu sich berufen und diesem eine Strafe auferlegen. Bei letzterem Gebrauch von Macht ist die Intention der Lehrkraft, zukünftiges Verhalten des Schülers durch die Auferlegung einer Strafe zu verändern (Vgl. Orth und Fritz 2013). Anhand des Beispiels zeigt sich, dass beschützende Anwendung von Macht primär dazu dient, Verletzungen sowie Ungerechtigkeit zu verhindern wohingegen hinter der Anwendung von strafender Machtausübung die Absicht steht „[…] Menschen für ihre scheinbaren Missetaten leiden zu lassen.“(Rosenberg 2016a, S.177). Die Unterscheidung zwischen schützendem und strafendem Gebrauch von Macht ist in der GFK aufgrund der Annahme Rosenbergs, dass strafende Anwendung von Macht eine Bandbreite negativer Folgen mit sich bringt, essentiell. Rosenberg zufolge gehört zu den negativen Folgewirkungen von strafendem Machtgebrauch, dass bei Handlungen, dessen Motivation darin besteht, Strafe zu vermeiden, der Fokus nicht auf den Werten liegt, sondern auf den Konsequenzen. Die Motivation ist daher extrinsisch bedingt. Dadurch wird das Selbstwertgefühl bedroht, die Produktivität lässt nach und der gute Wille wird gemindert (Vgl. Rosenberg 2016a). In der GFK wird hingegen angestrebt, ausschließlich die intrinsische Motivation der Lernenden zu fördern.
3.4 Zwischenfazit
Nach der Beschreibung der Gestaltung des Unterrichts, der LehrerIn-SchülerIn Interaktion und des Umgangs mit Macht in der GFK sollen diese Aspekte nun auf ihre Wirksamkeit anhand wissenschaftlicher Befunden der aktuellen Literatur überprüft werden. Hierzu wird Schweer (2008) als Vergleichsquelle herangezogen. Eine gute Lehrkraft sollte laut Schweer Charakteristika verinnerlicht haben, die „Eine gute Lehrer-Schüler-Beziehung, persönliche Zuwendung und gelungene Motivation […].“ fördern (Sann und Preiser in: Schweer 2008, S.214). Durch die Unterstützung der Schülerinnen und Schüler sowie die Hervorhebung der partnerschaftlichen Beziehung zwischen Lehrkraft und SchülerIn in der GFK sollen diese Charakteristika bei Lehrenden gefördert werden (s. Kap. 3.1). Weiter wird in Schweer (2008) das Eingehen auf individuelle Bedürfnisse von Lehrenden gegenüber ihren Schülerinnen und Schülern als bedeutsamer Faktor für Unterrichtsqualität und Schulerfolg aufgeführt. An dieser Stelle kommt die Hervorhebung der Bedürfnisse des Einzelnen in der GFK zum Tragen. Durch den besonderen Fokus auf diese und das in der Sprache der GFK bezeichnete „Bedürfnisse hinter den Gefühlen Hören“, sowie auch das Eingehen auf individuelle Bedürfnisse die das Lernen betreffen, wie beispielsweise das gemeinsame Festlegen von Zielen und das partnerschaftliche Festlegen von Kriterien zur Leistungsbeurteilung, kann die GFK diesem Kriterium gerecht werden (s. Kap. 3.2). Als Quelle für misslungene Interaktionen zwischen Lehrern und Schülern werden „Fehlinterpretation von Gefühlen und die daraus folgenden unangemessenen Handlungen […]“ betrachtet (Schweer 2008, S. 214f.). In der GFK wird versucht Fehlinterpretationen vorzubeugen, indem dem Gegenüber Verständnisfragen gestellt werden (s. Kap. 2.4.4). In Schweer (2008) wird die intrinsische Leistungsmotivation oder auch Lernmotivation als Auslöser positiver Emotionen betrachtet und gilt als nachhaltiger als die extrinsische Motivation (Vgl. Schweer 2008). Wird die in der GFK angestrebte Haltung hinsichtlich der Auswirkungen auf die intrinsische Motivation von Schülerinnen und Schülern betrachtet, so kann die Annahme gemacht werden, das in der GFK aufgrund der Hervorhebung der gemeinsamen Festlegung von Zielen und Leistungsbewertung, die intrinsische Motivation gefördert wird. In Schweer (2008) wird zudem bestätigt, dass desto wertvoller den Schülerinnen und Schülern das Handlungsziel erscheint und desto größer die subjektive Wahrnehmung dahingehend tendiert, dass das Ziel erreicht werden kann, desto stärker sind die jeweiligen Handlungsweisen zielorientiert. Durch die Beteiligung an der Festlegung der Leistungsbeurteilung sollten die Ziele der Schülerinnen und Schüler auch hier erreichbar sein.
[...]
1 In dieser Arbeit wird für die Bezeichnung von Personengruppen, die beiderlei Geschlechts sein können, nach Möglichkeit substantivierte Adjektive im Plural verwendet, wie z.B. Lehrende und Lernende. Wenn sich diese Formen nicht bilden lassen oder im Satzverlauf unschön sind, werden maskuline und feminine Substantive im Plural zusammengezogen in Formen wie z.B. bei SchülerInnen oder ErzieherInnen. Die femininen Substantivformen beziehen sich in dieser Arbeit allein auf Frauen und die maskulinen Substantivformen allein auf Männer.
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- Anonymous,, 2018, Chancen und Herausforderungen der Gewaltfreien Kommunikation im Unterricht, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/942793
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