Das Thema dieser Arbeit wird sich mit der Unterstützten Kommunikation befassen, mit Kindern, die nicht oder kaum sprechen können. Der Autor wird einleitend zentrale Fachbegriffe der Kommunikation, der Sprache und der Interaktion im sonderpädagogischen wie auch im sprachwissenschaftlichen Bereich erläutern. Im weiteren Verlauf werden die Voraussetzungen und die theoretischen Ansätze des Spracherwerbs erläutert, für Kinder mit normal verlaufendem Spracherwerb und Kinder mit Beeinträchtigungen und deren Probleme, Spracherwerb zu erlernen. Anschließend wird er auf Unterstützte Kommunikation als Handlungskonzept für den Personenkreis nicht und wenig sprechender Kinder eingehen, um das Konzept die Methoden und die Diagnostik der Unterstützten Kommunikation vorstellen zu können.
Der Schwerpunkt dieser Arbeit ist es, im Rahmen einer Einzelfallstudie ein alternatives Kommunikationssystem für ein nichtsprechendes Mädchen (B., 6 Jahre) einzuführen, um dessen Möglichkeiten zur Teilhabe zu erhöhen, sodass dem Kind ermöglicht wird, mit seiner Familie, anderen Kindern, Erzieherinnen und Pflegekräfte kommunizieren, eigene Wünsche und Vorstellungen auszudrücken und auch Grenzen aufzeigen zu können. Mithilfe eines adäquaten Kommunikationssystems werden diesem Mädchen neue Wege ermöglicht, selbstbestimmt am Leben teilhaben und sich aktiv beteiligen zu können. Dabei ist eine gründliche Diagnostik von Nöten, um eine Problem- und Handlungsbedarfsanalyse erstellen zu können. So können genaue Ziele definiert, Interventionen wirksam ausgesucht, das Handeln begründet, reflektiert und im Hinblick auf die Ziele überprüft werden. Ziel dieser Einzelfallstudie ist, dem Kind mithilfe Unterstützter Kommunikation die Teilhabe zu ermöglichen und sein aktives Mitwirken zu fördern.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Zentralle Fachbegriffe und ihre Einordnung in die Pädagogik bei Beeinträchtigung der geistigen Entwicklung
2.1 Begriffserklärungen
2.1.1 Kommunikation
2.1.2 Sprache und ihre Funktion
2.1.3 Sprechen
2.1.4 Die Unterstützte Kommunikation
2.2 Kommunikation und Interaktion in der Sonderpädagogik
2.2.1 Das ganzheitliche Entwicklungsmodell
2.2.2 Interaktion und Kommunikation
3 Sozialinteraktionistische Spracherwerbstheorien
3.1 Voraussetzungen des Spracherwerbs
3.1.1 Die organischen Voraussetzungen
3.1.2 Die sensorischen Voraussetzungen
3.1.3 Die motorischen Voraussetzungen
3.1.4 Die allgemein kognitiven Voraussetzungen
3.1.5 Sprachspezifische kognitive Voraussetzungen
3.1.6 Die sozialen Voraussetzungen
3.2 Theoretische Positionen und Modelle
3.3 Bedeutung der sozialinteraktionistischen Spracherwerbstheorien für den Personenkreis nicht und wenig sprechender Kinder
3.4 Kommunikationsfördernde Bedingungen in der Interaktion mit nicht und wenig sprechenden Kinder
4 Unterstützte Kommunikation als Handlungskonzept sozialinteraktionistischer Spracherwerbstheorien für den Personenkreis nicht und wenig sprechenden Kinder
4.1 Anliegen des Konzepts der Unterstützten Kommunikation
4.1.1 Teilhabe und Partizipation
4.1.2 Das Partizipationsmodell
4.2 Methoden der Unterstützten Kommunikation
4.2.1 Körpereigene Kommunikationsformen
4.2.1.1 Die Gesten
4.2.1.2 Die Gebärden
4.2.2 Körperfremde und hilfsmittelgestützte Kommunikationsformen
4.2.2.1 Nichtelektronische Kommunikationsformen
4.2.2.2 Elektronische Kommunikationsformen
4.2.2.2.1 Elektronische Hilfsmittel zur Umfeldsteurerung
4.2.2.2.2 Elektronische Hilfsmittel mit Sprachausgabe
4.3 Förderdiagnostik kommunikativer Kompetenz bei nicht und wenig sprechenden Kindern
4.3.1 Die Erhebung der Vorgeschichte und Anamnese
4.3.2 Der Einsatz von Diagnostikverfahren
4.3.3 Die Beratung und der Beginn der Intervention
5 Untersuchungsansatz
5.1 Fragestellung und Ziel der Untersuchung
5.2 Kontrollierte Einzelfallbeschreibung
5.3 Methoden der Untersuchung
5.4 Einzelfallbeschreibung von J.
5.5 Beschreibung des Entwicklungstandes
5.6 Kompetenzdiagnostik
5.7 Einsatz diagnostischer Verfahren im Einzelfall
6 Darstellung der Ergebnisse
7 Diskussion und Interpretation der Ergebnisse
8 Schlussfolgerungen
9 Literaturverzeichnis
10 Anhang: Beobachtungsbögen
1 Einleitung
„Wenn jemand sagt, ich kann nicht sprechen, dann ist das für mich wie ein Schlag ins Gesicht! Ich kann sprechen, eben nur auf andere Weise! (..) Ich spreche mit allem, was mir zur Verfügung steht. Mit meinen Augen, mit meiner Mimik, mit meiner Stimme, meinem Lachen, meinen Armen und meinen Beinen, meinem Kommunikationsordner und meinem Power Talker“ (Ehler, in Maier-Michalitsch, 2010, 246).
Wenn ein Mensch sich nicht lautsprachlich ausdrücken kann, kann er dann nicht sprechen? Ist diese Person überhaupt fähig, sich in irgendeiner Weise auszudrücken und zu kommunizieren? Laien antworten sehr schnell mit der Aussage, dass diese Person dazu nicht fähig ist und dass sie kognitiv gar nicht in der Lage ist, etwas zu verstehen. Die Worte des vorangestellten Zitats wurden von einem jungen Mann geschrieben, der im Rollstuhl sitzt, nur einzelne Laute von sich geben kann, die für Außenstehende keinen Sinn ergeben und dessen Bewegungen unkoordiniert und abgehackt sind. Er kann nicht lautsprachlich „ja“ oder „nein“ sagen, jedoch kann er mithilfe seiner Gestik und Mimik und seiner Kommunikationshilfen - Power Talker und Kommunikationsordner - seine Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche äußern. Menschen, die sich nicht oder wenig lautsprachlich äußern können, können doch sprechen. Auf eine andere Weise, aber es ist dennoch Sprache.
„Wenn man keine Lautsprache hat und keine Möglichkeit, um sich auf andere Weise mitzuteilen, dann sitzt man im Rollstuhl und rundherum findet das Leben statt. Da fühlt man sich dann unter all den Menschen ganz allein. Man ist seinen Mitmenschen und dem Leben hilflos ausgeliefert. Wenn man dann nicht angesprochen oder etwas gefragt wird, dann passiert auch nichts, egal, was man möchte. Ob man schwitzt oder friert, Hunger oder Durst hat, traurig oder glücklich ist, merken nur ganz aufmerksame Menschen“ (Ehler, in Micha-Michalitsch, 2010, 252-253).
In dieser Arbeit wird die Teilhabe mithilfe Unterstützter Kommunikation Thema sein. Unterstützte Kommunikation gibt Menschen, die sich lautsprachlich nicht oder erschwert ausdrücken können, die Möglichkeit zu kommunizieren, ihre Bedürfnisse und Wünsche auszudrücken, wie auch sich am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen und mitzuwirken. Kommunikation ist von Geburt an ein menschliches Grundbedürfnis. Sie ist in allen Formen des Zusammenlebens von Menschen zu finden und somit grundlegend für eine funktionierende Gesellschaft. Der Mensch möchte teilnehmen, dazugehören und mitwirken. Dabei spielt es keine Rolle, ob er gesund ist oder eine Beeinträchtigung hat durch Erkrankung, Behinderung oder anderes. Teilhabe bedeutet, mitzuwirken, dazuzugehören und zu spüren, dass man nicht nur dabei ist, sondern auch etwas bewirken kann und andere es auch erkennen und wertschätzen. Die Unterstützte Kommunikation ist ein Ansatz der „multimodalen totalen Kommunikation“, das heißt, es werden alle zur Verfügung stehenden Formen der Kommunikation ausgeschöpft, um eine bestmögliche Interaktion zu ermöglichen. Kommunikation bedeutet Partizipation und Selbstbestimmung und entspricht damit einigen der grundlegendsten Prinzipien der Sonderpädagogik (Braun, 1994, 1996; Nonn, 2011).
Das Thema dieser Arbeit wird sich mit der Unterstützten Kommunikation befassen, mit Kindern, die nicht oder kaum sprechen können. Ich werde einleitend zentrale Fachbegriffe der Kommunikation, der Sprache und der Interaktion im sonderpädagogischen wie auch im sprachwissenschaftlichen Bereich erläutern. Im weiteren Verlauf werden die Voraussetzungen und die theoretischen Ansätze des Spracherwerbs erläutert, für Kinder mit normal verlaufendem Spracherwerb und Kinder mit Beeinträchtigungen und deren Probleme, Spracherwerb zu erlernen. Anschließend werde ich auf Unterstützte Kommunikation als Handlungskonzept für den Personenkreis nicht und wenig sprechender Kinder eingehen, um das Konzept die Methoden und die Diagnostik der Unterstützten Kommunikation vorstellen zu können. Der Schwerpunkt dieser Arbeit ist es, im Rahmen einer Einzelfallstudie ein alternatives Kommunikationssystem für ein nichtsprechendes Mädchen (B., 6 Jahre) einzuführen, um dessen Möglichkeiten zur Teilhabe zu erhöhen, sodass dem Kind ermöglicht wird, mit seiner Familie, anderen Kindern, Erzieherinnen und Pflegekräfte kommunizieren, eigene Wünsche und Vorstellungen auszudrücken und auch Grenzen aufzeigen zu können. Mithilfe eines adäquaten Kommunikationssystems werden diesem Mädchen neue Wege ermöglicht, selbstbestimmt am Leben teilhaben und sich aktiv beteiligen zu können. Dabei ist eine gründliche Diagnostik von Nöten, um eine Problem- und Handlungsbedarfsanalyse erstellen zu können. So können genaue Ziele definiert, Interventionen wirksam ausgesucht, das Handeln begründet, reflektiert und im Hinblick auf die Ziele überprüft werden. Ziel dieser Einzelfallstudie ist, dem Kind mithilfe Unterstützter Kommunikation die Teilhabe zu ermöglichen und sein aktives Mitwirken zu fördern.
2 Zentrale Fachbegriffe und ihre Einordnung in die Pädagogik bei Beeinträchtigung der geistigen Entwicklung
2.1 Begriffserklärungen
2.1.1 Kommunikation
Kommunikation ist ein Grundbedürfnis des menschlichen Wesens. „Sie ist unabdingbar zur Entwicklung der Ich-Identität, von Kognition, für die Aneignung von Kultur, um die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder zu einzelnen Bezugspersonen zu etablieren und für die Fähigkeit, Einfluss auf die Umwelt zu nehmen“ (Wachsmuth, 2006, 29). Aber nicht nur das, von ihr hängt auch sehr stark ab, wie selbstbestimmt und sozial das Leben eines Menschen verläuft. „Nur wer mit anderen kommunizieren kann, kann integriert werden. Und nur wer seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse wahrnimmt und sie anderen vermitteln kann, kann selbstbestimmt leben“ (Wachsmuth, 2006, 29).
„Communication is any act by which one person gives to or receives from another information about that person's needs, desires, perceptions, knowledge, or effective states. Communication may be intentional or unintentional, may involve conventional or unconventional signals, may take linguistic or nonlinguistic forms, and may occur through spoken or other modes. » (American Speech-Language-hearing Association, „What is communication?“, 1992).
Kommunikation impliziert nicht zwingend einen willentlichen, absichtsvollen Vorgang. Der Kommunikationspartner kann auch kleinste Veränderungen im Verhalten wahrnehmen und daraus Informationen gewinnen, um eine Gemeinsamkeit herzustellen. Diese sogenannten Gemeinsamkeiten sind im lateinischen in der ursprünglichen Wortbedeutung von Kommunikation, „communicare“, schon vorhanden. Denn Kommunikation bedeutet nicht „sich austauschen“, sondern „Gemeinsamkeiten herstellen“ oder auch „Gemeinsamkeiten feststellen“ (KaiserMantel, 2012; Fröhlich, 2001,2010; Wilken, 2006; Meyer, 2016).
Beim Versuch, Gemeinsamkeiten herzustellen, lässt sich herausstellen, wie positiv oder beeinträchtigt eine Kommunikation zwischen zwei Menschen oder in einer Gruppe ist. Fröhlich formuliert die Behinderung einer Kommunikation folgendermaßen: „Dabei wird jetzt auch deutlich, dass Behinderung nicht am einzelnen Individuum, das irgendwann einmal eine Schädigung erfahren hat, festzumachen ist, sondern dass Behinderung etwas ist, was sich zwischen Menschen ereignet. Es gelingt ihnen nicht mehr, die fraglose, die notwendige einfache Gemeinsamkeit herzustellen oder sie sind beide darin behindert, festzustellen, dass sie sehr wohl Gemeinsamkeiten haben“ (Fröhlich in Rothmayr 2001,13; Meyer, S., 2016, 7).
2.1.2 Sprache und ihre Funktion
Haupt definiert „Sprache“ folgendermaßen: „Sprache ist symbolischer Ausdruck für Erleben, Erfahrungen, Beziehungen, Handlungen, Zusammenhänge. Namen stehen für Menschen, für Tiere, Pflanzen und Dinge. Wörter haben Inhalte, Bedeutungen. Sprache verstehen erschließt ebenso das Zusammenleben wie nahe und ferne Welten. Denken geschieht oft in Sprache, wenngleich es auch nicht sprachgebundenes Denken gibt. Sprache steht zwar in enger Verbindung zu Sprechen, ist aber nicht an Sprechen gebunden. Auch wenn ein Mensch nicht sprechen kann, kann er über eine differenzierte Sprache verfügen“ (Haupt, 2006, 95). Wilken geht sogar ein Schritt weiter und definiert Sprache nicht nur in der symbolischen Repräsentation von Dingen oder Handlungen, sondern beschreibt, dass Sprache es ebenfalls ermöglicht „Beziehungen, zeitliche Ordnungen und Abfolgen darzustellen, kontextunabhängige Mitteilungen zu machen und Fragen zu stellen sowie eigene und fremde Handlungen zu reflektieren“ (Wilken, 2006, 5). Ebenso ist Sprache „eine wesentliche Grundlage für das bedeutungsbezogene Verarbeiten von Wahrnehmungen, damit flüchtige Sinneseindrücke gespeichert werden können. Sie ist wichtig für das Vergleichen und Bewerten, für das Erinnern sowie die Bildung von Kategorien und ist eine wesentliche Voraussetzung für vielfältige kognitive Leistungen“ (Wilken, 2006, 5).
Wenn das Kind eine Sprache erwirbt, muss der Aspekt berücksichtigt werden, was erworben wird, das heißt, die Funktion, die kommunikativen Absichten der Sprache. „Sprache kann nicht nur durch die Aspekte der Semantik, Syntax und Pragmatik verstanden werden“ (Bruner, 2002, 14). Sie können nicht unabhängig voneinander erlernt werden und sie hängen immer untrennbar zusammen, sie bedingen sich stets und werden immer simultan erlernt. Der Spracherwerb beginnt nicht, wenn das Kind erste Wörter von sich gibt und artikuliert, sondern schon gleich nach der Geburt in Interaktion zwischen Mutter und Kind (Bruner, 2002).
Sprache wurde von uns Menschen als Werkzeug geschaffen, um unsere kommunikativen Bedürfnisse zu erfüllen. Die Funktion der Sprache wurde von vielen Philosophen, Pädagogen und Wissenschaftler definiert und beinhaltet meistens sehr ähnliche Aspekte .
Laut Papousek (1989, 32) dient „Sprache dem Ausdruck und der Übermittlung von Gedanken und Gefühlen.“ Tomasello (2009) bezeichnet drei verschiedene Sprachmotive, die er in das Auffordern, die selbst angebotene Hilfe und das Vermitteln von Gefühlen und Einstellungen kategorisiert. Bühler hingegen nennt als Funktionen der Sprache Symbol ( die Benennung), Symptom (Aussagen über den Sprecher) und Signal (es bewirkt etwas im Hörer) (Wachsmuth, 2006). Schulz von Thun (2006) übernimmt ebenfalls diese drei Funktionen von Bühler, setzt jedoch andere Begriffe ein, die je nach Intention des Sprechers und Interpretation des Hörers unterschiedliches Gewicht haben: der Sachverhalt (der Sachinhalt wird vermittelt und ist immer Ziel der Kommunikation), die Selbstoffenbarung (in jeder Äußerung sagt man auch etwas über sich selbst aus), der Appel (jede Äußerung möchte etwas bewirken, dies kann direkt oder indirekt formuliert werden) und die Beziehung, als zusätzlicher Aspekt (je nachdem wie eine Person von ihrem Gegenüber angesprochen wird, erkennt sie, was ihr Gegenüber von ihr denkt) (Wachsmuth, 2006).
Janice C. Light (Wachsmuth, 2006) hat im Bereich der Unterstützten Kommunikation die nachfolgenden Funktionen der Sprache beschrieben, die sowohl von der Lautsprache, wie auch von der Unterstützten Kommunikation erfüllt werden müssen. Hierbei stellt Light die Leistungsfähigkeit des benutzten Kommunikationsmittels nach vier Kriterien vor.
Sprache ist
- die Übermittlung von Bedürfnissen und Wünschen. Wie Schulz von Thun (2006) es auch beschreibt, steckt in jeder Äußerung etwas über einen selber. Die Themenwahl verrät etwas über die Interessen des Sprechers, die Wortwahl sagt etwas über den Bildungsstand aus, der Dialekt verrät, aus welcher Region man kommt, die prosodischen Merkmale verraten etwas über den emotionalen Zustand und die Beziehung zum Thema.
- der Informationstransfer entspricht der Vermittlung des Sachinhalts bei Schulz von Thun (2006).
- die Herstellung von sozialer Nähe ist in Lights Interesse immer positiver Natur. Sie stellt die soziale Nähe als primäre wichtige Funktion in der Unterstützten Kommunikation dar. Wir kommunizieren, um anderen näher zu kommen und soziale Beziehungen zu knüpfen.
- die Erfüllung sozialer Etiketten. Diese werden meist deutlich, wenn sie nicht erfüllt werden. Das Danken, Grüßen und Verabschieden funktioniert meist im Gebrauch der Lautsprache „automatisch“. Bei der Unterstützten Kommunikation muss erst die Notwendigkeit erkannt werden, wie auch die Möglichkeit gegeben werden, die sozialen Etiketten erfüllen zu können, indem die speziellen Sprechhilfen und Wörter dafür erlernt und zur Verfügung gestellt werden (Wachsmuth, 2006).
In der Sprachwissenschaft wird Sprache in fünf Teildisziplinen unterteilt und beschrieben: - die Phonologie - die Lautlehre
- die Morphologie - der Wortbau- und die Wortformlehre
- die Syntax - die Satzbaulehre
- die Semantik - die sprachliche Bedeutungslehre
- die Pragmatik - die sprachliche Handlungslehre
Diese Teildisziplinen der Linguistik entsprechen den sprachlichen Ebenen der Aussprache, Grammatik, Wortschatz und Kommunikation (Kannengieser,2015).
2.1.3 Sprechen
„Sprechen hat im Entwicklungsgeschehen eine andere Wurzel als Sprache. Sprechen entsteht sensumotorisch und besteht aus Sequenzen feinmotorischer Abläufe im Mundraum (Lautbildung), Kehlkopf (Stimmgebung) und Brustraum (Atmung)“ (Haupt, 2006, 96) Das Sprechen bezeichnet das Produzieren der hörbaren Lautsprache (Wilken,2006). Hierbei ist es erforderlich, dass die normgerechten Laute der Sprache zu Wörtern gebildet werden, diese wiederum werden zu Sätzen verbunden und bedeutungsvoll benutzt (Wilken, 2006). Das Sprechen kann als ein differenziertes Kommunikationsmittel betrachtet werden, dass vielfältige Voraussetzungen zum Erlernen der Sprache erfordert (Wilken, 2006). Diese werden im weiteren Verlauf noch ausführlicher beschrieben. Sprechen ist ein motorischer Akt. Es ist Phonation (Stimmerzeugung), Artikulation (Formung, Bildung und Verbindung von Lauten) und es ist Prosodie (der Sprechausdruck mit Mitteln wie Tempo, Betonung, Lautstärke und Sprechmelodie) (Kannengieser, 2015).
2.1.4 Die Unterstützte Kommunikation
Der Begriff der „Unterstützten Kommunikation“ wird als deutsche Bezeichnung für das internationale etablierte Fachgebiet AAC (augmentative and alternative communication) verwendet. Es folgen drei verschiedene Definitionen des Begriffs „Unterstützte Kommunikation“:
„AAC refers to an area of research, clinical and educational practice. AAC involves attempts to study and when necessary compensate for temporary or permanent impairments, activity limitations, and participation restrictions of persons with severe disorders of speech-language production and/or comprehension, including spoken and written modes of communication » (Beukelman & Mirenda, 2010, 3).
„Unterstützte Kommunikation oder im Englischen AAC (augmentative and alternative communication) zielt darauf, die Kommunikationsmöglichkeiten nichtsprechender Menschen zu verbessern, indem ihnen Hilfsmittel, Techniken und Strategien zur Verfügung gestellt werden, die die Lautsprache ergänzen (augmentative) oder ersetzen (alternative)“ (Braun, 1996, 3).
„Unterstützte Kommunikation bezeichnet ein Fachgebiet, das in den Bereichen Forschung, Klinik, und Pädagogik Anwendung findet. Unterstützte Kommunikation bedeutet, Möglichkeiten für Menschen zu suchen, die in der Sprechmotorik, Sprachproduktion und/oder dem Sprachverstehen schwer beeinträchtigt sind, wobei auch die Modalitäten Lesen und Schreiben betroffen sein können. Es werden erforderliche Maßnahmen ergriffen, die zeitlich begrenzt sind oder fortwährend dem Betroffenen zur Verfügung stehen, um die kommunikativen Beeinträchtigungen, die Einschränkungen im Alltag und in der Partizipation in der Kommunikation mit anderen zu kompensieren. Unterstützte Kommunikation bedeutet den Einsatz körpereigener („unaided communication“) und externer, körperfremder, hilfsmittelgestützter („aided communication“) Kommunikationsformen, die zu einem individuellen multimodalen Kommunikationssystem führen“ (Nonn, 2011, 10).
Auf die Unterstützte Kommunikation wird im Weiteren noch ausführlicher eingegangen werden.
2.2 Kommunikation und Interaktion in der Sonderpädagogik
2.2.1 Das ganzheitliche Entwicklungsmodell
Kommunikation entsteht, laut Fröhlich und Haupt (Fröhlich, 1995) in Wechselwirkung unterschiedlicher Entwicklungsbereichen des Menschen. Diese bedingen sich untereinander mithilfe gesammelter Erfahrungen des Kindes, in der Begegnung mit dem eigenen Körper, der Materialien und der sozialen Umwelt und verhelfen somit zu weiterer Entwicklung aller Bereiche. Sie verwenden ein ganzheitliches Entwicklungsmodell und stellen sieben Entwicklungsbereiche vor, die „eine Beschreibungsmöglichkeit der komplexen menschlichen Entwicklung“ (Fröhlich, 1995, 19) beschreiben soll. Folgende Entwicklungsbereiche werden nach Fröhlich und Haupt vorgestellt:
- die Kommunikation
- die Bewegung
- die Körpererfahrung
- die Wahrnehmung
- die Kognition
- die Gefühle
- die Sozialerfahrung
Fröhlich (1995) setzt die Kommunikation ins Zentrum, um die Verflechtung der unterschiedlichen Entwicklungsbereiche zu verdeutlichen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Kommunikation stets zentraler Punkt für jedes Individuum in jeder Situation sein muss. Alle anderen Bereiche können auch im Mittelpunkt stehen, je nachdem worauf das Augenmerk gerichtet wird. Fröhlich besteht „unter dem Gedanken der Ganzheitlichkeit darauf, dass es keine hierarchische Ordnung gibt. Vielmehr besteht eine Gleichzeitigkeit, Gleichwirklichkeit und Gleichgewichtigkeit dieser Entwicklungsbereiche“ (Fröhlich, 1995, 19).
Entsteht ein Ungleichgewicht in einem dieser Entwicklungsbereiche, gerät das gesamte Gerüst ins Ungleichgewicht und führt zu Problemen und Störungen in der Entwicklung des Kindes. Nicht nur in diesem einen Entwicklungsbereich, sondern in allen Bereichen.
Jedoch ist zu bemerken, dass Entwicklung durch ganz unterschiedliche Erfahrungen und Erlebnisse beeinflussbar ist. Dies bedeutet, dass nicht die gesamte Entwicklung beeinträchtigt sein muss, wenn durch eine Behinderung ein Entwicklungsbereich eingeschränkt ist. Die Annahme, dass die Wahrnehmung, die Sprache, die Kognition und die Emotionalität sich nicht altersentsprechend entwickeln wird, wenn eine Beeinträchtigung z.B. in der Motorik stattfindet ist deshalb nicht als korrekt anzusehen. Die Beeinträchtigung wird die Entwicklung erschweren, führt aber nicht unmittelbar und zwingend zur Behinderung der Gesamtentwicklung (Haupt, 2006).
Im Hinblick auf diese sieben Entwicklungsbereiche werden nachfolgend die möglichen Entwicklungsprobleme von Kommunikation und Sprache dargestellt (Fröhlich, 1989):
- Sprachentwicklung und Bewegung: Gesprochene Sprache geht mit Bewegungsaspekten der Kehlkopf-, Gaumensegel-, Kiefer-, Zungen-, Lippen-, wie auch Atembewegungen einher. Sind diese Bewegungen durch cerebrale, posttraumatische sowie auch Muskelerkrankungen nicht oder nur eingeschränkt möglich, ist die Sprachentwicklung wie auch die Sprechaktivität gestört.
Jedoch ist zu beobachten, dass nicht nur der Sprechakt, sondern ebenfalls die gesamte kommunikative Entwicklung beeinträchtigt ist, da der Blickkontakt, die Mimik, die Haltung und die unkoordinierten Bewegungsabläufe des Kindes, die Interaktion erschweren und irritieren können und schnell Missverständnisse entstehen, die intensiv und chronisch verlaufen können.
- Sprachentwicklung und Körpererfahrung: Spielerische Bewegungen im Mundraum, während der vorsprachlichen Sprachentwicklung sowie wichtige Körpererfahrungen wie Saugen, Schlucken, Lutschen fördern die Sensomotorik. Diese ist bei beeinträchtigten Kindern schon in frühestem Lebensalter durch medizinische Eingriffe, Bewegungseinschränkungen (Mundschluss, fehlender Saug- und Schluckreflex, Zungen- und Kieferbewegungen) gestört. Durch „künstliche“ Ernährung und medizinische Eingriffe (Absaugen, Sauerstoffgabe, Intubation) können positive orale Erfahrungen kaum bis selten gemacht werden. Die Hand-Mund-Koordination wird deutlich weniger bis nicht exploriert.
- Sprachentwicklung und Wahrnehmung: Die Aufnahme und Verarbeitung von Reizen im Sinne der Selbstwahrnehmung sowie im Sinne der Wahrnehmung der Außenwelt wird in der Kombination mit Beeinträchtigungen der Sinne (Hören, Sehen, Fühlen) und in Zusammenwirkung mit Beeinträchtigungen der Bewegungen nicht genügend exploriert. Dies kann zu einer Aufnahme- und Verarbeitungsstörung führen.
- Sprachentwicklung und Kognition: Die kognitiven Leistungen des Kindes entwickeln sich mithilfe der Sprache und Kommunikation. Das Kind lernt, indem es zu Dingen, die es interessiert nachfragt oder sein Wissen präsentiert. Der Erwachsene nimmt Bezug dazu, erklärt, ergänzt und bestätigt und erweitert somit automatisch die kognitiven Leistungen des Kindes. Ein Kind, dass nicht oder wenig sprechen kann, bekommt kaum bis keine Möglichkeiten, Fragen zu stellen, da ihm die Kompetenzen dazu fehlen. Ohne Sprache wird das Kind mit erheblichen Schwierigkeiten sein Wissen präsentieren können, Fragen stellen können, zeigen können was im Zentrum seiner Aufmerksamkeit liegt, was es innerlich beschäftigt und/oder über welches Thema es noch etwas wissen oder lernen möchte. Der erforderliche Input wird nicht gegeben und somit wird dem Kind keine ausreichende kognitive Förderung angeboten, um seine kognitiven Leistungen zu stärken.
- Sprachentwicklung und Gefühle: Kinder mit Beeinträchtigungen sind meist stark abhängig von der Hilfe anderer. Emotionale Erfahrungen durch Hospitalisation, getrennt werden, nicht gefragt werden, wiederkehrende neue Anpassung und Begegnung fremder Personen beeinflussen das Kind stark und führen je nach kognitiver Verarbeitung zum Verstummen oder zu „altkluger sprachlicher Kompensation“ (Fröhlich, 1989, 18). Kinder, die sich sprachlich nicht äußern können verarbeiten Wut, Angst und Trauer nicht selten durch Auffälligkeiten im Verhalten bis hin zu Autoaggressionen.
- Sprachentwicklung und Sozialerfahrung: Der Austausch zwischen Bezugsperson und Kind wird durch negative Verhaltenssignale des Kindes als irritierend betrachtet. Das Aussehen und das Kommunikationsverhalten des Kindes entsprechen nicht den Erwartungen der Bezugsperson, dies führt zu Beeinträchtigungen während des Austausches. Die Bezugsperson wirkt häufig unsicher und angespannt. Dies kann Unwohlsein in der Interaktionssituation auslösen. Seitens des Gegenübers wird oft die sprachliche Kommunikation angewendet, Körpersprache und intensiver Körperkontakt werden gemieden, übersehen und durch die Beeinträchtigungen des Kindes nicht intensiv genug angeboten (Fröhlich, 1989; Fröhlich, 1995; Weid-Goldschmidt, 2013; Kristen, 2005; Haupt, 2006).
2.2.2 Interaktion und Kommunikation
Aus dem vorangegangenen Kapitel folgend wird anhand des im letzten Punkt des ganzheitlichen Entwicklungsmodells von Fröhlich und Haupt (1989, 1995) deutlich sichtbar, dass positive Sozialerfahrungen wichtig sind. Eltern unterstützen in der Beziehung mit einem gesunden Kind laut Papousek (1989) „von Geburt an die Entwicklung der kommunikativen Fähigkeiten ihres Kindes sehr wirksam. Sie treten in Interaktion mit dem Kind und tun dies sehr intuitiv, ohne bewusste Kontrolle“, aber auf sehr wirksame Art und Weise. Papousek nennt die Zwiegespräche von Eltern-KindPaaren eine „intuitive elterliche Didaktik“. Eltern weckten die kindliche Aufmerksamkeit und könnten diese aufrechterhalten. Sie vermittelten Neues, wenn das Kind aufmerksam sei und gestalteten ihre Anregungen in einfacher Form und wiederholten diese mehrmals täglich. Sie hielten mit dem Kind Blickkontakt, könnten somit Lautproduktionen sichtbar zeigen und das kindliche Verhalten mithilfe mimischer Reaktionen beeinflussen. Das Kind reagiere auf sein Gegenüber und versuche das Gehörte und Gesehene wieder zu spiegeln, nachzuahmen und darauf zu antworten. Papousek (1981) definiert solch eine zwischenmenschliche Interaktion als eine „soziale Situation, in der sich zwei Personen in einer dynamischen Wechselbeziehung durch ihr Verhalten aufeinander beziehen und sich als autonome Partner gegenseitig anregen, beeinflussen und verändern“ (Hennig, in Fröhlich 2011,275).
Die frühe Entwicklung des Kindes kennzeichnet sich durch die kom plexe Interaktion des Kindes mit der Bezugsperson und mit der Umwelt. Sarimski (1986) stellt die Mutter-Kind Interaktion ab der Geburt fest. Haupt (2006) geht noch ein Schritt weiter und beschreibt Austauschprozesse zwischen Mutter und Kind schon zu Beginn der Schwangerschaft. Diese Interaktionen zwischen Mutter und Kind seien „intensive Austauschprozesse“, in denen beide Seiten aktiv würden, Situationen beeinflussen und Kenntnisse integrieren könnten und somit durch Interpretation das Verhalten bestimmen würden.
Wenn ein Kind aufgrund einer Behinderung nur geringe und nicht eindeutige Signale senden kann, weil es sich motorisch nicht adäquat bewegen kann, den Blickkontakt nicht halten kann, der mimische Ausdruck nicht passend zur Situation erscheint, wird es für die Bezugsperson schwierig die Signale des Kindes zu lesen, zu interpretieren und zu verstehen. Dies hat zur Folge, dass die Interaktion zwischen Mutter und Kind gestört wird, häufig zu Fehlschlägen führt und Eltern dem Kind weniger Entwicklungsanreize bieten. Das Kind kann durch das unwillkürliche Verhalten der Eltern weniger ausreichende ermutigende Rückmeldungen bekommen, sich weniger in der Situation erleben und die Kommunikation mit seiner Umwelt kontrollieren und beeinflussen. Eltern empfinden es hierbei als schwierig, ihr Verhalten auf die Wünsche und Absichten des Kindes abzustimmen, da sie diese kaum bis nicht erkennen oder die geringen kommunikativen Initiativen des Kindes nicht bemerken. Hilflosigkeit, Unsicherheit und Überforderung machen sich bei den Bezugspersonen breit. Damit ein beeinträchtigtes Kind erfolgreich kommunikative Erfahrungen machen kann, muss sich die Bezugsperson an die individuellen Persönlichkeitsmerkmale und an die Kommunikationsformen des Kindes anpassen und diese adäquat interpretieren und angemessen darauf reagieren. Es müssen möglichst viele Zeichen und Signale wahrgenommen und als potentielle Bedeutungsträger einer Mitteilung verstanden werden, sodass die Bezugsperson eine entsprechende Rückmeldung geben kann, um die Mutter-Kind-Interaktion wieder im Gleichgewicht zu bringen und dem Kind adäquaten kommunikativen Input geben zu können (Hennig, 2011; Kristen, 2005; Sarimski, 1986).
3 Sozialinteraktionistische Spracherwerbstheorien
3.1 Voraussetzungen des Spracherwerbs
Für einen erfolgreichen Spracherwerb sind verschiedene Voraussetzungen erforderlich. Kommunikation basiert nicht nur auf Sprache allein, sondern auch auf Intentionen, Handlungsplänen, sozialen Konventionen und Emotionen. So sind im Bereich der Sprache viele andere höhere Gehirnfunktionen involviert. Mehrere linksund rechtsseitige Hirnregionen werden bei komplexen Aufgaben gleichzeitig aktiviert und eingesetzt. Jedoch wird nicht nur das Gehirn beim Sprachgebrauch verwendet, denn auch die sprachstrukturellen, semantisch-konzeptuellen und kommunikativen Fähigkeiten werden angewandt, ebenso die sensorischen und motorischen Fähigkeiten. Somit müssen alle Bereiche der körperlichen, geistigen wie auch der seelischen Entwicklung des Kindes in Betracht gezogen werden, um die Voraussetzungen der Sprachentwicklung zu verstehen (Nonn, 2011; Szagun, 2008; Kannengieser, 2015).
3.1.1 Die organischen Voraussetzungen
Eine der wichtigsten organischen Voraussetzungen für die Sprachentwicklung ist das Gehirn (das zentrale Nervensystem). Bei den meisten Menschen ist die linke Hemisphäre des Gehirns an der Sprachverarbeitung beteiligt. Sprachrelevante Funktionsgebiete sind ebenso im frontalen wie auch an den temporal-parietalen Arealen angesiedelt. Kommt es zu einer Schädigung der linken Gehirnhemisphäre, bedeutet dies jedoch nicht, dass Spracherwerb nicht mehr möglich ist. Das Gehirn zeigt eine hohe Plastizität, sodass es anderen Hirnregionen ermöglicht wird, sprachrelevante Funktionen zu übernehmen. Mithilfe der Hirnreifung und des Lernens durch Erfahrungen wird ab der Geburt das neuronale Netzwerk gebildet. Hierbei werden Synapsen zwischen Nervenzellen gebildet, es kommt zu vermehrter Produktion von Neurotransmittern und zur Myelinisierung der Nervenleitung, die eine hohe und schnelle Erregungsleitung ermöglichen, sodass die Wahrnehmung, Verarbeitung und Produktion der Sprache in einem schnellen, adäquaten Tempo erfolgen kann (Kannengieser, 2015; Szagun,2008).
Neben dem zentralen Nervensystem als organische Voraussetzung zum natürlichen Spracherwerb ist ebenfalls ein intaktes Gehör zwingend erforderlich. Zum Gehör gehört die äußere Ohrmuschel, das Trommelfell, das dahinterliegende Mittelohr, die Paukenhöhle und das Innenohr. Das Kind kommt mit ausgereiftem Gehör zur Welt, jedoch muss die Verarbeitung der Informationen im Gehirn erlernt und ausgebildet werden. Die Reifung der Hörbahn erfolgt über akustische Informationen, die an das Gehirn geleitet werden. Diese Reifung geht bis ins Jugendalter hinein. Die akustischen Reize werden in der Cochlea (Hörschnecke) des Innenohrs durch die zentrale Hörverarbeitung in elektrochemische Reize umgewandelt und zum Hirnstamm weitergeleitet. Diese Signale werden im weiteren Verlauf kognitiv verarbeitet. Die Reifung der Hörbahn ist abhängig von den Reizangeboten und der Bildung von synaptischen Verbindungen der Nervenzellen im zentralen Nervensystem. Frühe Innenohrschädigungen, und -funktionsstörungen durch Stoffwechselstörungen, Virusinfekte oder Erkrankungen sowie auch Mittelohrfunktionsstörungen in der frühen Kindheit beeinträchtigen die Voraussetzungen der Sprachentwicklung stark.
Zusätzlich zum zentralen Nervensystem und zum Gehör ist die adäquate und physiologische Funktion und Anlage der Sprechorgane von großer Bedeutung. Folgende Organe der expressiven Sprachentwicklung sind für die Stimm- und Lauterzeugung zuständig: Die Stimmlippen im Kehlkopf, das sogenannte Ansatzrohr mit den Hohlräumen von Nase, Rachen und Mundhöhle und die Sprechwerkzeuge Mund, Lippen, Zähne, Zunge, Gaumen, Lunge und Luftröhre. Die adäquate Funktion, die normgerechte und komplette sprechorganische Struktur der Organe, sowie die funktionsgerechte orofaziale Beanspruchung während der frühkindlichen Entwicklung, wie das Atmen, Saugen, Schlucken, Beißen und Kauen sind primär für die Entwicklung des Sprechens notwendig. Die Ausbildung der Muskeln und der sie versorgenden Hirnnerven ist erforderlich, um eine ausreichende Artikulation und Phonation zu ermöglichen (Kannengieser, 2015; Szagun, 2008).
3.1.2 Die sensorischen Voraussetzungen
Das Kind nimmt jeden Reiz wahr, indem dieser im Gehirn weiterverarbeitet wird und Reaktionen auslöst. Reize können sowohl bewusst als auch unbewusst vom Kind aufgenommen werden. Diese Wahrnehmungen lösen Reaktionen zur Anpassung des Körpers aus, erhöhen die Aufmerksamkeit oder dienen zu höheren Erkenntnisprozessen wie zum Verstehen, Wiedererkennen, Vergleichen, Bewerten. Die Wahrnehmung ist für drei unterschiedliche Aspekte der sprachlichen Entwicklung zuständig und stellt somit ebenfalls eine wichtige Voraussetzung dar:
- Der direkte Gegenstand von Eigen- und Fremdwahrnehmung dient dem Sprechen und der Sprachproduktion. Die sprechende Person erhält von ihren Sprechbewegungen und den erzeugten Schallereignissen ein sensorisches Feedback, der Empfänger nimmt alle in Fremdwahrnehmung kommunikativen Signale mit den Sinnesorganen auf.
- Die Sprachverwendung und die Kommunikation sind ein Mittel, um die Welt abbilden und gestalten zu können. Alle Kenntnisse und Erfahrungen basieren auf Sinneseindrücken, die wiederum mithilfe sprachlicher Bezeichnungen ausgedrückt werden.
- Die sensorischen Leistungen werden in verschiedene Bereiche (vestibuläre, taktile, kinästhetische, visuelle, auditive, gustatorische und olfaktorische Wahrnehmung) kategorisiert, die aufeinander aufbauend den gesamten Körper im Gleichgewicht und in eine innere Balance bringen, sodass alle Wahrnehmungsreize zu einem Ganzen zusammengefügt werden. Somit bedingt die Sensorik ebenfalls die sprachliche Entwicklung (Kannengieser, 2015).
3.1.3 Die motorischen Voraussetzungen
Grundlage für die Aneignung der Sprache als Repräsentations- und Kommunikationsmedium ist auch die Motorik, die es ermöglicht, die Welt kennenzulernen, Handlungen auszuführen und Dinge und Gegebenheiten zu erreichen. Unter Motorik werden die Bewegungsfähigkeit des Kindes, seine Bewegungsmuster und die Bewegungsabläufe zusammengefasst. Kraft, Tonus und Beweglichkeit gehören zu den basalen Voraussetzungen. Das Sprechen ist eine feinmotorische Aktivität. Alle orofazialen Organe wie Augen, Nase, Stirn, Wangen, Unterkiefer, Kinn, Lippen, Zunge, Gaumensegel und Zäpfchen gehören zur Gesichtsund Mundmotorik und sind für die Entwicklung der Sprache Voraussetzung. Aber nicht nur diese: Die Grobmotorik mit der Körperhaltung und die individuellen Bewegungsabläufe sowie die Handmotorik, mit sämtlichen Tätigkeiten der Hand, sind ebenfalls Voraussetzung, um Sprache zu ermöglichen. Schon an der Körperhaltung kann ich sehen, dass das Kind kommuniziert, dass es z.B. müde ist. Mithilfe des Handzeigens, kann das Kind deutlich machen, was es gerne haben möchte.
Die adäquate funktionelle Entwicklung der orofazialen Motorik ist Voraussetzung für eine normgerechte Artikulationsentwicklung, Mimik des Gesichts und Bewegung der bisher genannten Körperteile. Diese kann in der Entwicklung gestört werden in Folge von Hypotonie, frühkindlicher Sondenernährung, persistierender infantiler Zungenprotusion usw. (Kannengieser, 2015).
3.1.4 Die allgemein kognitiven Voraussetzungen
Sprache wird als Kommunikationsmittel und als Zeichensystem erlernt. Dieses setzt voraus, sich selbst und andere als eigenständige Personen zu begreifen, sodass ein Austausch der Gedanken und Einsichten möglich wird: Intersubjektivität. Zusätzlich muss die Fähigkeit zur Abstraktion geschaffen werden, so dass vom Einzelnen ausgehend das Allgemeine abgehoben werden kann, Begriffe und Konzepte verstanden werden: Abstraktionsvermögen. Und zuletzt muss die Fähigkeit zur mentalen Abbildung möglich sein: Repräsentationsvermögen. Das Kind setzt sich in Beziehung zu seiner Umwelt und durchläuft in Zusammenhang mit der Sprachentwicklung eine allgemeine kognitive und psychische Entwicklung, die sich beim Kind im kindlichen Spiel zeigt und somit seine kognitive Entwicklung spiegelt (Kannengieser, 2015; Nonn, 2011; Szagun, 2008).
3.1.5 Sprachspezifische kognitive Voraussetzungen
Die Sprachkognition kann zusammengefasst werden in Prozesse der Wahrnehmung, des Erkennens und Lernens, die speziell zur Rezeption und zur Produktion von Sprache befähigen (Kannengieser, 2015). Es wird angenommen, dass angeborene Sprachmechanismen das Erlernen der Sprache ermöglichen. Dies wird dadurch begründet, dass Sprache:
- als höhere kognitive Leistung in sehr jungen Jahren erworben wird;
- Imitation, Analogiebildung, Konditionierung, hypothetisches Lernen den Spracherwerb nicht zufriedenstellend erklären können;
- Die Lernkapazität für Sprache noch im Kindesalter abnimmt;
- Der Spracherwerb sich bei allen Kindern relativ gleicht, unabhängig von Intelligenz, sozialem Status oder Deprivation.
Die Annahmen dieser angeborenen Sprachmechanismen bestätigen sich oftmals bei der Feststellung einer Störung der Sprachentwicklung, bei denen die Ursachen nicht nachzuweisen sind (Kannengieser, 2015).
3.1.6 Die sozialen Voraussetzungen
Kommunikative Interaktion und sprachlicher Input in einer kommunizierenden Umgebung sind zwingende Voraussetzung für die Sprachentwicklung (s. „elterlicher didaktische Input“ in 2.2.2).). Neben emotionaler Geborgenheit, einer sicheren Bindung, allgemeiner Anregung und Motivation, umfassender körperlicher Fürsorge und Verlässlichkeit im sozialen Modellverhalten ist das Sprachangebot, das die Bezugsperson dem Kind während der natürlichen und alltäglichen Kommunikation gibt, eine wesentliche soziale Voraussetzung. Der elterliche Sprachinput (s. „elterlicher didaktische Input“ in 2.2.2) fördert und erleichtert den Spracherwerb und dient als Vorbild nicht nur für das Kind, sondern auch für die Therapie. Durch Wiederholung, korrektives Feedback, Erweiterung der kindlichen Äußerung, bewusster Umgang mit Gestik und Mimik im natürlichen Dialog (Bruner, 1979, 2002; Kannengieser, 2015; Papousek in Fröhlich, 1989; Szagun, 2008; Nonn, 2011).
3.2 Theoretische Grundpositionen und Modell
In der Spracherwerbsforschung stehen vier theoretische Positionen einander gegenüber:
- der nativistische Ansatz: Eine der zentralsten Aussagen in diesem Ansatz ist, dass Sprache eine angeborene Fähigkeit des Menschen sei. Da die spezifischen grammatikalischen Strukturen (Universalgrammatik) angeboren sind, müsse das Kind diese nicht erlernen. Sprache entfalte sich in den ersten Lebensjahren nach einem angeborenen Bauplan, der in den Genen enthalten sei. Die sprachlichen Kompetenzen jedes einzelnen Kindes stünden in Abhängigkeit von der Umgebungssprache. Ebenso sei Sprache unabhängig von anderen kognitiven Kompetenzen. Innerhalb der sprachlichen Fähigkeiten gebe es separate Module, so dass Grammatik und Semantik als getrennte Fähigkeiten angesehen werden, sowie regelmäßige und unregelmäßige Flexionen in separaten Module verarbeitet würden. Zudem spiele das Lernen eine unwesentliche Rolle beim Spracherwerb. Die Sprache der Umwelt sei laut diesem Ansatz unzureichend, um aus ihrer Grundlage eine Grammatik lernen zu können (Chomsky, 2017; Nonn, 2011; Szagun, 2008).
- der epigenetische Ansatz geht davon aus, dass das menschliche Verhalten aus der Interaktion von genetischen und Umwelteinflüssen entstehe. Die Entwicklungswege seien notwendig, jedoch seien individuell variabel. Das Kind konstruiere sprachliche Strukturen aus dem Umweltangebot, indem es statistische Informationen und Informationen aus dem sprachlichen Kontext nutze. Der Input werde aufgenommen, verarbeitet und modifiziert, um einen Output in Form eines Verhaltens zu produzieren. Das Lernen spiele eine sehr große Rolle zur Entwicklung des Spracherwerbs (Szagun, 2008).
- der sozialinteraktionistische Ansatz setzt eine hohe Betonung auf die frühe soziale Interaktion zwischen dem Kind und seinen Bezugspersonen und sieht darin die Voraussetzung für das Gelingen der kommunikativen und sprachlichen Entwicklung (Bruner, 1979, 2002; Papousek, 1994). Das Kind sei ab dem Tag seiner Geburt an der Gestaltung der Interaktionen mit seinen Bezugspersonen beteiligt und entwickele sich in enger Interaktion mit Wachstum, neuroanatomischer Reifung und vorsprachlichen Anpassungs-, Lern- und Eignungsprozessen. Durch das Sprachangebot, die Kommunikation und den Kontakt mit der Umwelt werde das Erlernen der Sprache und der Kommunikation angeregt und gefördert. Die Eltern bauten ein kommunikatives Gerüst durch die intuitive elterliche Didaktik (s. „elterlicher didaktische Input“ in 2.2.2), dies stelle die Rahmenbedingung für die Entwicklung des Spracherwerbs dar. In diesem stetigen Interaktionsprozess, in dem stets Bezug auf ein gemeinsames Thema, Interesse, Objekt oder Handlung gelegt werde, erlerne das Kind die Grundpfeiler der Pragmatik, das „Turn-Taking“ und die gemeinsame Referenz sowie im weiteren Verlauf, die Regeln des Dialogs (Aktion und Reaktion im Dialog) (Bruner, 1979, 2002; Papousek, 1989, 1994; Nonn, 2011).
- im sozialpragmatischen Ansatz, wird davon ausgegangen, dass der Spracherwerb Teil eines generellen kulturellen Lernprozesses sei und sich aus der Gestenkommunikation entwickele. Dabei gehe es um eine Verknüpfung von Kognition und Verständigung. Tomasello legt für die physiologische sprachliche Entwicklung eine große Bedeutung auf die Gestenkommunikation. Auch in diesem Ansatz spielt die Interaktion zwischen Kind und Bezugsperson eine sehr wichtige Rolle, dass somit die sozialkognitiven Fähigkeiten des Kindes ausschlaggebend für den erfolgreichen Spracherwerb seien. Sprache ist für Tomasello eine soziale Fähigkeit, die durch „das Lernen am Modell“ eine wichtige Rolle spiele. Die Kommunikation über Gesten zeige die intersubjektive Beziehung zu einer anderen Person und die intentionale Bezugnahme auf ein Objekt in der Welt. Daraus erschließe sich der Spracherwerb im Bereich Semantik und Grammatik (Nonn, 2011; Tomasello, 2009).
3.3 Bedeutung der sozialinteraktionistischen Spracherwerbstheorien für den Personenkreis nicht und wenig sprechender Kinder
Die sprachliche Entwicklung eines Säuglings kann nicht mit Gewissheit vorhergesagt werden. Jedoch kann bei einigen Erkrankungen und Beeinträchtigungen die Unfähigkeit, Lautsprache zu erwerben, mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden. Schwere Behinderungen im Säuglingsalter mit mehr als einen Sinnesausfall und mit Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme sind Anhaltspunkte für eine sehr stark verzögerte Sprachentwicklung. Denn wie bereits im Kapitel 3.1.1 und 3.1.3 geschildert, müssen die organischen wie auch die motorischen Fähigkeiten im orofazialen Bereich intakt sein und differenziert beherrscht werden, um eine lautsprachliche Entwicklung zu gewährleisten. Kontrolle der Zunge, der Lippen, der gesamten orofazialen Muskulatur, wie auch des Schluckapparates müssen ausreichend vorhanden und entwickelt sein, um die geburtlichen oralen Mundreflexe ausklingen zu lassen und die lautsprachliche Entwicklung zu ermöglichen (Braun,1994).
Die Mitteilungsmöglichkeiten eines Kindes sind von Grad und Umfang der Behinderung abhängig. Je nach Erkrankung und Beeinträchtigung können die Ausdrucksmöglichkeiten sehr eingeschränkt sein. Wenn mimischer Ausdruck, Blickbewegungen und hindeutende Gesten schwer gesteuert werden können, werden kommunikative Absichten oft nicht gesehen oder falsch interpretiert. Das Kind kann mit seinem sehr geringen Repertoire an Lauten oder Silben seinen Bedürfnissen nur in einem sehr geringen Maße Ausdruck verleihen. Die Interaktion zwischen Bezugsperson und Kind erlebt eine Störung, die negative Auswirkungen auf das Kind haben kann. Wenn die Bezugsperson die Absichten und Wünsche des Kindes aufgrund der Beeinträchtigung nicht ablesen und interpretieren kann, entsteht auch keine adäquate Reaktion auf das Kind. Infolge der nicht einwandfreien verlaufenden Interaktion, ist das Finden eines gemeinsamen Themas für die Bezugsperson und das Kind erschwert, und wird im weiteren Verlauf weniger gesucht und angeboten. Anregungen, Spiele und gemeinsame Themen, die zur Interaktion dienen werden dem Kind deutlich weniger angeboten und führen automatisch zu einem Mangel an Anregungen und Förderung für das Kind (s. „Interaktion und Kommunikation“ in 2.2.2). Dies kann auch die Motivation zur Kommunikation hemmen, da der Alltag des Kindes wenig abwechslungsreich gestaltet und von den Pflegeroutinen bestimmt wird. Durch den oft sehr hohen Pflegeaufwand und die vielen Therapiemaßnahmen und Arztbesuche des Kindes, die für die Eltern eine hohe Zeitbelastung darstellen, in Kombination mit dem höheren Zeitaufwand, den das beeinträchtigte Kind zum Kommunizieren braucht, kann der benötigte spielerische Aufwand von der Bezugsperson weniger geleistet werden. Es gibt deutlich weniger anregende und zur Kommunikation motivierende Umwelteinflüsse oder Anlässe zum Gespräch. Strengt sich das Kind zunehmend an, um seine Absichten und Wünsche zu äußern und erlebt es dennoch Missverständnisse und wenig Erfolg, kann durch Wut, Trauer, Auffälligkeiten im Verhalten bis zur Auto-Aggression und Resignation eine starke Frustration entstehen. Das beeinträchtigte Kind erfährt aufgrund seiner starken
Abhängigkeit von anderen Menschen, Schwierigkeiten seine eigene Umwelt bewusst und mit eigenem Input lenken und beeinflussen zu können. Das Kind kann sich bei einer zu geringen Erfahrung von Einflussmöglichkeit auf seine Umwelt sehr passiv und ohne richtigen motivationalen Antrieb zeigen und auf sprachlichen Input kaum bis nicht reagieren. Die Bedeutung der Sprache verändert sich für das Kind. Die Sprache kann demnach nicht mehr als positive Ebene der gemeinsamen Beschäftigung erlebt werden (Braun, 1994; Fröhlich, 1989; Haupt, 1989; Konrad, 2006; Kristen, 2005; Papousek, 1989, 1994).
Durch die meist eingeschränkte körperliche Bewegungsmöglichkeit gelingt es dem Kind schwer, seine Blickausrichtung eindeutig zu gestalten und somit auch, seine Umwelt ausreichend zu erleben und seine Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Lautquellen können nicht ersucht werden, wenn die Halsmotorik das Drehen des Kopfes nicht ermöglicht. Die situative Bedeutung der gehörten Geräusche kann dadurch nicht erschlossen werden (Braun, 1994; Fröhlich, 1989; Haupt, 1989; Konrad, 2006; Kristen, 2005; Papousek, 1989, 1994).
Hinzu kommt, dass ein beeinträchtigtes Kind seine Umwelt nicht gezielt durch Erkundung der Gegenstände und Manipulation der Objekte explorieren kann. Die Erforschung des eigenen Körpers ist erheblich beeinträchtigt, ebenso sind die verschiedenen und wechselnden Erfahrungsräume nicht ohne Hilfe erreichbar (Braun, 1994).
Durch die reduzierte und veränderte Erfahrung mit der dinglichen Umwelt, werden wichtige sensomotorische Schemata nicht ausreichend erworben, die nicht nur Basis der Sprachentwicklung sind (s. „sensorische Voraussetzungen“ in 3.1.2), sondern auch Basis der kognitiven Entwicklung. Die Wechselwirkungsprozesse der verschiedenen Entwicklungsbereiche sind, wie zuvor im ganzheitlichen Entwicklungsmodell von Fröhlich und Haupt dargestellt, stets zu beachten (s. „das ganzheitliche Entwicklungsmodell“ in 2.2.1).
Neben den bereits beschriebenen Voraussetzungen wie den organischen, motorischen, sensorischen, kognitiven und sozialen Voraussetzungen (s. „Voraussetzungen des Spracherwerbs“ in 3.1) muss das Kind für die Sprache erkennen, dass die Personen und die Dinge seiner Umwelt konstant sind, auch wenn es sie aus verschiedenen Blickwinkeln und in verschiedenen Zusammenhängen sieht und auch wenn es sie nicht sieht: Objektpermanenz. Das Kind muss nach verschiedenen Merkmalen differenzieren und generalisieren können und damit in Objektklassen kategorisieren können. Die so gewonnenen mentalen Repräsentanten müssen mit Namen belegt werden können, die für diese Begriffe stehen. Dies bedeutet, dass das Kind ein elementares Verständnis von Symbolen haben muss und erkennen muss, dass Sprache „Mittel zum Zweck“ ist, dass es damit etwas erreichen kann. In einer „normalen“ Sprachentwicklung beginnt dieses Verständnis bei Eintritt der vielen Fragen nach den Namen der Dinge „Was ist das?“, die dazu führt, dass das Kind ein enormes Wortschatzrepertoire in dieser Phase erwirbt. Das Nachfragen ist bei einem beeinträchtigten Kind schwierig bis nicht möglich, somit kann es nicht nach Gegenständen, Personen und Handlungen fragen und sein Wissenshorizont nicht automatisch erweitern. Um darüber hinaus die Syntax und die Grammatik der Sprache erwerben zu können, ist Einsicht in die Regeln der Sprache von Nöten (Konrad, 2006; Nonn, 2011; Nußbeck, 2000).
Demzufolge kann es auch bei einem Kind mit einer kognitiven Beeinträchtigung zu einem erschwerten oder nicht möglichen lautsprachlichen Spracherwerb kommen, auch wenn organisch und motorisch die Voraussetzungen gegeben sind. Das Kind kann eine intakte periphere auditive Wahrnehmung haben, jedoch kann die Aufnahme und Verarbeitung gesprochener Sprache gestört sein. Dies bedeutet, dass das Kind Beeinträchtigungen in der zeitlichen Verarbeitung der Sprachlaute haben kann, wenn diese kurz sind, die Reize rasch aufeinander folgen und eine hohe Anzahl an Reizen schnell nacheinander verarbeitet werden müssen. Das Kind braucht in diesem Zusammenhang eine wesentlich längere Zeit, um Laute zu diskriminieren, als diese in der lautsprachlichen Sprache präsentiert werden. Wenn die gesprochene Sprache nicht dekodiert wird, sondern in Form nicht identifizierbarer Geräusche wahrgenommen wird, kann keine sprachliche Entwicklung geschehen (Konrad, 2006; Nonn, 2011; Nußbeck, 2000).
3.4 Kommunikationsfördernde Bedingungen in der Interaktion mit nicht und wenig sprechenden Kindern
Eltern eines beeinträchtigten Kindes verändern, durch die abweichenden Verhaltensweisen ihres Kindes, ihr Verhalten automatisch und können demzufolge nicht die intuitive elterliche Didaktik in gemeinsamen Spiel- und Alltagsituationen anwenden. Es zeigt sich im Allgemeinen eine stärkere Neigung, die Interaktion zu lenken und den Verlauf zu kontrollieren. Die Eltern erwarten keine Reaktion des Kindes auf das Gesagte mehr, da es sich in früheren Interaktionen meist passiv gezeigt hat. Sie geben dem Kind deutlich weniger bis keine Möglichkeiten sich im Dialog einzubringen. Zudem bemühen sich Eltern, die gemeinsamen Handlungen trotz der fehlenden Aufmerksamkeit des Kindes aufrechtzuhalten. Sie ergreifen anstelle des Kindes die Initiative und lenken die Aufmerksamkeit auf Gegenstände, die nicht mit der kindlichen Blickrichtung korrelieren. Im Alltag der täglichen Routinen glauben Eltern, die kindlichen Bedürfnisse und Äußerungen im Vorhinein zu kennen und handeln vorweg, ohne dem Kind die Möglichkeit zu geben, sich selbst dazu zu äußern (Nonn, 2011).
Förderliche Kommunikationsbedingungen zeigen sich demnach, wenn die asymmetrische Interaktion unterbrochen wird und beide Kommunikationspartner wieder reziprok aufeinander eingehen. Ziel ist es, das Kind aktiv und initiativ an einem Gespräch teilnehmen zu lassen und dass die Bezugspersonen lernen, auf das Gesprächsthema zu achten, sowie strukturelle Aspekte im Aufbau eines Dialogs zu berücksichtigen. Es besteht eine entwicklungsfördernde Interaktion, wenn
- die Bezugsperson einen Beitrag oder eine Reaktion des Kindes aufgreift und im Sinne einer gemeinsamen Handlung fortsetzt;
- sich die gemeinsamen Handlungen und Themen an den Interessen und der Blickrichtung des Kindes orientieren;
- zusätzlich zu den verbalen Aufforderungen der Bezugsperson auch nonverbale Hinweisreize gegeben werden;
- auf verbale wie auch nonverbale Kommunikationsansätze des Kindes eingegangen wird;
- die Bezugsperson echte Fragen stellt, statt imperative Handlungsaufträge gibt. So können sich während der Frühintervention folgende Ziele ableiten, um kommunikationsfördernde Bedingungen herzustellen:
- Gleichgewicht herstellen zwischen Sensibilität und Sensitivität der Bezugsperson,
- Die Interessen des Kindes erkennen und ihm die Führung überlassen,
- Die Motivation des Kindes durch passende Beiträge der Bezugsperson und eine gemeinsame Handlung steigern (Nonn, 2011).
4 Unterstützte Kommunikation als Handlungskonzept sozialinteraktionistischer Spracherwerbstheorien für den Personenkreis nicht und wenig sprechender Kinder
„Unterstützte Kommunikation“ wird im internationalen Sprachgebrauch durch AAC bezeichnet: augmentative and alternative communication. Sie ist eine fächerübergreifende Disziplin, die sowohl für die Medizin, die Sonderpädagogik sowie für die Therapie (Logopädie, Ergotherapie, Physiotherapie, Rehabilitation) Relevanz hat. Die Unterstützte Kommunikation wird dann eingesetzt, wenn das Kommunikationsbedürfnis eines betroffenen Kindes seine kommunikativen Kompetenzen übersteigt. Um diesem Kind das möglichst selbständige Kommunizieren zu ermöglichen, werden ihm zusätzliche Hilfsmittel zur Hand gegeben.
„AAC is a set of tools and strategies that an individual uses to solve everyday communicative challenges. Communication can take many forms such as: speech, a shared glance, text, gestures, facial expressions, touch, sign language, symbols, pictures, speech-generating devices, etc. Everyone uses multiple forms of communication, based upon the context and our communication partner. Effective communication occurs when the intent and meaning of one individual is understood by another person. The form is less important than the successful understanding of the message“ (ISAAC,2011-2019).
Es wird unterschieden zwischen Alternativer Kommunikation, Augmentativer Kommunikation und Expressiver Kommunikation.
Die Alternative Kommunikation wird Kindern mit Behinderung angeboten, die aufgrund fehlender oder erheblicher Einschränkung in der Sprechfähigkeit eine Kommunikationshilfe brauchen, um sich ausdrücken zu können. Sie ersetzt die gesprochene Sprache gänzlich (Kristen, 2005; Nonn, 2011).
Die Augmentative Kommunikation fördert zum einen den rezeptiven sowie den expressiven Spracherwerb eines Kindes und kann zum anderen, parallel zur Lautsprache, Kindern deren Sprechfunktion schwer verständlich ist, helfen sich verständlich zu machen (Kristen, 2005; Nonn, 2011).
Die Expressive Kommunikation unterstützt und begleitet die Lautsprache. Diese Funktion von Unterstützter Kommunikation hilft Kindern, die ein intaktes Sprachverstehen haben, aber eine schwer bis nicht verständliche Sprechfunktion haben (Kristen,2005; Nonn,2011).
Die Unterstützte Kommunikation ist geeignet für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die ihrem Stand entsprechend Sprachverständnis zeigen, sich jedoch nicht zufriedenstellend ausdrücken können. Die Unterstützte Kommunikation kann eine vorübergehende, auf eine bestimmte Zeit festgelegte Kommunikationshilfe sein oder als fortwährende Unterstützung, je nach individuellem Bedarf der jeweiligen Person (Kristen, 2005; Nonn, 2011; Wilken, 2006).
4.1 Anliegen des Konzepts der Unterstützten Kommunikation
4.1.1 Teilhabe und Partizipation
Mit der UN-Behindertenkonvention 2008 wurde gesetzlich festgesetzt, dass jedem Menschen, mit oder ohne Behinderung, in allen wichtigen Lebensbereichen Teilhabe ermöglicht werden sollte, und schon von Beginn an alle Maßnahmen ergriffen werden müssen, die dafür erforderlich sind. „Menschen müssen dazugehören zur menschlichen Gemeinschaft. Sonst können sie sich nicht als Menschen entwickeln, sich nicht die menschlichen Fähigkeiten aneignen. Sie müssen teilhaben können - an der Kommunikation zu anderen Menschen, aber auch an der Kultur, sonst können sie sich deren Reichtum nicht aneignen. Das ist der Kern dessen, worum es bei der Inklusion geht: In allen Bereichen teilhaben, dazugehören zu können, das ist lebensnotwendig für jeden Menschen - und es ist ein Recht, das - ausdrücklich durch die UN-BRK (UN 2008) - jedem Menschen mit Behinderung zugesichert wird“ (Klauß, 2019, 8-9).
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