Diese Arbeit befasst sich mit drei Werken der Gegenwartsprosa in Kroatien. Ovce od gipsa von Jurica Pavicic, Kratki izlet von Ratko Cvetnic und drei Kurzgeschichten: Sokak triju ruza; Most i mostovi; Parabole o Skabrnji von Ivan Aralica.
Es handelt sich um Kriegsprosa. Die Arbeit untersucht die literarischen Mittel der Werke und das dadurch vermittelte Kriegsbild.
Zu Beginn der Arbeit gibt es eine historische Übersicht zum Krieg in Kroatien 1991-1995. Es folgen Ausführungen zur Sowjetliteratur nach dem Zweiten Weltkrieg und schließlich ein Überblick über die kroatische Gegenwartsprosa. Die Analyse der drei Werke folgt darauf.
Die ersten beiden Werke sind kriegskritische Werke. Ovce od gipsa als Roman vermittelt anhand der Figurenkonzeption und der personalen Erzählperspektive ein Kriegsbild, das die Leiden der Zivilbevölkerung in den Mittelpunkt stellt.
Kratki izlet ist ein Tagebuch. Cvetnic stellt sein Kriegsbild anhand verschiedener Stilmittel, wie die Nutzung von Essays oder Humor dar. Sein Kriegsbild ist sehr differenziert, da er den Krieg auf mehreren Ebenen: der politischen, der kulturellen und persönlichen darstellt.
Ivan Aralica schließlich äußert sich in seinen drei Kurzgeschichten euphorisch über den Krieg. Es sind publizistische Texte, deren Ziel es war, die Leser für den Krieg zu gewinnen und von dessen Sinn zu überzeugen.
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. Kurzer historischer Abriss des Krieges 1991-1995
3. Krieg und Literatur am Beispiel der Sowjetliteratur nach dem Zweiten Weltkrieg
3.1 Zur Situation der Literatur in Kroatien von 1990-2000
3.2 Vergleich mit der Sowjetliteratur
4. Der Roman Ovce od gipsa von Jurica Pavi~i}
4.1 Figurenzeichnung
4.2 Das Kriegsbild
4.2.1 Figurenkonzeption: Darstellung ausgewählter Kriegscharaktere
4.2.2 Erzählverfahren: die Perspektive von der Front und die Auswirkungen auf das zivile Leben
4.2.3 Handlungsführung: Inversion, das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung tritt ein
5. Kurze Einführung zur Gattung Tagebuch
6. Das Tagebuch Kratki izlet - zapisi iz domovinskog rata von Ratko Cvetni}
6.1 Das Kriegsbild
6.1.1 Die kulturelle Ebene: Religion und Medien
6.1.2 Die politische Ebene: Internationale und nationale Politik
6.1.3 Die militärische Ebene: die kroatische Armee
6.1.4 Die persönliche Ebene: Zivilbevölkerung und der Abschied
7. Die Kurzgeschichten von Ivan Aralica
7.1 Sokak triju ru`a
7.2 Most i mostovi
7.3 Parabole o [kabrnji
8. Fazit
9. Literaturverzeichnis
Kurzbeschreibung
Diese Arbeit befasst sich mit drei Werken der Gegenwartsprosa in Kroatien. Ovce od gipsa von Jurica Pavi~i}, Kratki izlet von Ratko Cvetni} und drei Kurzgeschichten: Sokak triju ru`a; Most i mostovi; Parabole o [kabrnji von Ivan Aralica.
Es handelt sich um Kriegsprosa. Die Arbeit untersucht die literarischen Mittel der Werke und das dadurch vermittelte Kriegsbild. Zu Beginn der Arbeit gibt es eine historische Übersicht zum Krieg in Kroatien 1991-1995. Es folgen Ausführungen zur Sowjetliteratur nach dem Zweiten Weltkrieg und schließlich ein Überblick über die kroatische Gegenwartsprosa. Die Analyse der drei Werke folgt darauf. Die ersten beiden Werke sind kriegskritische Werke. Ovce od gipsa als Roman vermittelt anhand der Figurenkonzeption und der personalen Erzählperspektive ein Kriegsbild, das die Leiden der Zivilbevölkerung in den Mittelpunkt stellt. Kratki izlet ist ein Tagebuch. Cvetni} stellt sein Kriegsbild anhand verschiedener Stilmittel, wie die Nutzung von Essays oder Humor dar. Sein Kriegsbild ist sehr differenziert, da er den Krieg auf mehreren Ebenen: der politischen, der kulturellen und persönlichen darstellt. Ivan Aralica schließlich äußert sich in seinen drei Kurzgeschichten euphorisch über den Krieg. Es sind publizistische Texte, deren Ziel es war, die Leser für den Krieg zu gewinnen und von dessen Sinn zu überzeugen.
1. Einleitung
Der Krieg 1991-1995 in Kroatien war in politischer, sprachpolitischer und kultureller Hinsicht ein wichtiger Einschnitt, der noch nicht abgeschlossen ist. Dies gilt auch für die Literatur in zweierlei Hinsicht, zum einen ist die bisher erschienene Literatur zum Thema Krieg kaum untersucht worden und zum anderen erscheinen noch immer Werke mit dem Krieg als Thema.
Diese Arbeit untersucht drei Werke, die bisher unter dem Aspekt des dargestellten Kriegsbildes literatuswissenschaftlich noch nicht untersucht worden sind.
Es handelt sich um Ovce od gipsa von Jurica Pavi~i}; Kratki izlet - zapisi iz domovinskog rata von Ratko Cvetni} und um drei Kurzgeschichten von Ivan Aralica: Sokak triju ru`a; Most i mostovi; Parabole o [kabrnji. Hierbei handelt es sich um drei literarisch verschiedene Texte. Das Werk von Pavi~i} ist ein fiktiver Roman, das Werk von Cvetni} ist ein dokumentarisches Tagebuch und die Geschichten von Aralica verbinden das fiktionale mit dem nicht-fiktionalen.
Wenn man Literatur über diesen Krieg liest, beispielsweise den Artikel zum domovinski rat im Hrvatski Leksikon, vermittelt diese ein einheitliches Bild über den Krieg, nämlich, dass alle Kroaten hinter diesem Krieg fraglos standen. Dieses Bild ist auch nach aussen, also in die Diaspora und somit der Verfasserin dieser Arbeit, vermittelt worden. Das zufällige Lesen der ersten beiden Werke zeigte dann, dass diese ein nicht euphorisches Bild des Krieges vermitteln, sondern diesen viel differenzierter betrachten. Wie dieses genaus aussieht, soll diese Arbeit darstellen. Das Werk von Aralica wurde bewusst als Kontrast zu den anderen beiden gewählt. Zudem stellt es eben jene Publizisti dar, die das euphorische Bild nach aussen getragen haben.
Zuerst erfolgt ein kurzer Abriss der historischen Fakten des Krieges, um damit den Zeitraum des Krieges zu verdeutlichen und den Handlungsraum der untersuchten Werke einordnen zu können. Danach wird die sowjetische Kriegsliteratur nach dem Zweiten Weltkrieg kurz erläutert. Diese ist gewählt worden, da sie im Gegensatz zur amerikanischen Literatur von einem Krieg spricht, der auf eigenem Gebiet stattfand.
Danach gibt es einen kurzen Überblick zur erschienen Literatur in Kroatien. Anschliessend erfolgt die Analyse der drei Werke.
2. Kurzer historischer Abriss des Krieges 1991-1995
Das letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts ist durch politische Umbrüche in Ost- und Südosteuropa gekennzeichnet. 1989 kam es zum Fall der Mauer in Deutschland und zum Zerfall des Kommunismus und Sozialismus in den ehemaligen Ostblockstaaten. Dies geschah meist friedlich, doch im ehemaligen Jugoslawien ist dieser Zerfall von Gewalt geprägt worden. Da dieser Umbruch für diese Arbeit relevant ist, wird anhand einiger Eckdaten der Verlauf des Krieges im ehemaligen Jugoslawien geschildert, wobei ich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebe.1
Als Beginn des Zerfalls kann man den Tod Josip Broz Titos, Jugoslawiens Staatspräsidenten, im Mai 1980 sehen. Nach seinem Tod wurde deutlich, dass er den Staat nicht nur geführt, sondern auch zusammen gehalten hatte. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen den einzelnen Republiken wurden immer offensichtlicher, und die Fronten verhärteten sich. Überall gab es eine Stärkung der nationalen Parteien. Dies führte im April/Mai 1990 zu freien Wahlen in Slowenien und Kroatien, bei denen es einen Sieg der nationalen Opposition gab. Nationale Kräfte gewannen auch in den anderen Republiken, sowohl bei den Wahlen im November 1990 in Bosnien und Herzegowina (BuH) als auch in Serbien, wo sich im Dezember 1990 Slobodan Milo{evi} mit seiner Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) durchsetzen konnte.
Im Laufe des Sommers 1990 wurden die Diskrepanzen in Kroatien zwischen Serben und Kroaten vor allem in der Krajina und in Ost- und Westslawonien, Gebieten mit hoher Serbeneinwohneranzahl, immer größer. Im Februar 1991 erklärten sie sich dann für unabhängig von der kroatischen Republik und wollten einen Gebietsanschluss an Serbien. Ende März 1991 kommt es zu Angriffen auf die kroatische Polizei im Naturschutzgebiet Plitvice, und es gab den ersten Toten. Im April 1991 rollten Panzer auf kroatischen Strassen. Die Politiker der sechs jugoslawischen Republiken treffen sich mehrmals erfolglos. Im Mai 1991 wurde der Kroate Stipe Mesi} nicht als Staatspräsident Jugoslawiens von den Serben anerkannt, dadurch wurde das ganze Handeln des Präsidiums gelähmt. Es bedeutete das Ende des Staates. Am 25.06.1991 erklärten Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit. Am 27.06.1991 beginnen Kämpfe zwischen der Jugoslovenska Narodna Armija (JNA) und slowenischen Territorialverteidigern. Kurze Zeit später begannen die Kämpfe auch in Kroatien zwischen der JNA und kroatischen Territorialverteidigern.
Im Juli 1991 werden die Truppen nach einer Woche aus Slowenien abgezogen. Allerdings gehen die Kriegshandlungen in Kroatien weiter. Auf der Brionischen Insel wird unter der Aufsicht von EU-Ministern eine Deklaration zur friedlichen Lösung der jugoslawischen Krise unterschrieben. Die Kämpfe gehen trotzdem weiter. Teile des östlichen Slawoniens und die Krajina galten als von den Serben besetzt. Damit wurde Kroatien geteilt, das südliche Kroatien war nur über die Insel Pag zu erreichen.
Am 15.01.1992 erkennen die EG-Mitgliedstaaten Sloweniens und Kroatiens Unabhängigkeit an. Es folgen weitere Länder, auch die USA. Im Februar 1992 beschließt die UN Friedenstruppen nach Kroatien zu schicken.
Am 06.03.1992 erklärte nach einem Referendum auch Bosnien und Herzegowina seine Unabhängigkeit und die Kriegshandlungen begannen auch hier. Während des Krieges in BuH verbünden sich alle drei Ethnien, d.h. Kroaten, Muslime und Serben, in verschiedenen Kombinationen mitund gegeneinander.
Im Mai 1992 werden Kroatien, Slowenien und Bosnien-Herzegowina Mitglieder der Vereinten Nationen.
Der Westen, bzw. die UNO und die Nato versuchen durch verschiedene Pläne, z.B. mit dem Vance-Owen Plan im Januar 1993, den Krieg zu stoppen. Diese Pläne scheitern jedoch alle.
Im November 1993 begann der durch die UNO ins Leben gerufene International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia (ICTY) in Den Haag mit seiner Arbeit.
Im August 1995 wurde die Krajina von kroatischen Truppen „zurückerobert“ und so in das Staatsgebiet wieder eingegliedert. Slawonien wurde später friedlich übergeben.
In Bosnien und Herzegowina erfolgen Nato-Luftangriffe auf serbische Truppen, welche sich darauf zurückziehen und den Friedensgesprächen zustimmen.
Diese finden im Dezember 1995 auf der Militärbasis Dayton/Ohio in den USA statt. Als Vertreter sind Alija Izetbegovi} für die Muslime, Slobodan Milo{evi} für die Serben und Franjo Tu|man für die Kroaten anwesend. Alle Waffenauseinandersetzungen enden endgültig mit der Unterschrift und
Umsetzung des Dayton-Friedensplans im Dezember 1995. Der Frieden in BuH wird bis heute (2007) von internationalen Truppen überwacht. In der Zusammenfassung lasse ich die Entwicklung in Makedonien und dem Kosovo bewusst aus, da dies den Rahmen sprengen würde und für diese Arbeit nicht relevant ist.2
3. Krieg und Literatur am Beispiel der Sowjetliteratur nach dem Zweiten Weltkrieg
In der ehemaligen Sowjetunion (UDSSR) wurde der Zweite Weltkrieg literarisch erst bedeutend als er seinen Weg nach Russland fand.
Die Zeit 1941-1945 wird in der Sowjetliteratur gesondert behandelt. Man spricht hier vom Großen Vaterländischen Krieg (Armbrüster, 5). Der Begriff des Großen Vaterländischen Krieges als Synonym für den Zweiten Weltkrieg existiert nur in der ehemaligen UDSSR. Er macht deutlich, dass es hier um den Kampf im eigenen und ums eigene Heimatland ging. Hier liegt die Parelle zu dem Krieg in Kroatien.
In Kroatien wird der Krieg als domovinski rat (Heimatkrieg) bezeichnet, d.h. hier wurde die Heimat verteidigt. In Deutschland wird dieser Krieg häufig als Bürgerkrieg deklariert, also die Bürger eines Staates, hier Jugoslawien, bekriegen sich. Im Serbischen wird dieser als gra|anski rat bezeichnet, abgeleitet entweder von grad/Stadt oder gra|evina/Bau, d.h. der Krieg wurde als Häuserkampf bzw. Territorialkampf angesehen. Die Kriegsliteratur der UDSSR nach dem Zweiten Weltkrieg wird in drei Perioden geteilt. Die erste Periode von 1941-1945 wird als Aufruf zur Heldentat (Armbrüster, 21) bezeichnet. Hier wurde die Literatur funktionalisiert. In dieser Zeit sollten patriotische Gefühle beim Leser gefestigt werden, um Verteidigungsbereitschaft bei ihm auszulösen. In der zweiten Periode werden die Ereignisse des Krieges in Form des historischen Romans glorifiziert. Dies geschah bis ca. Mitte der 50er Jahre. Als Gegensatz zum Roman gab es die Soldatenprosa (Armbrüster, 18), d.h. Tagebücher. Diese beinhaltete anfangs das gleiche wie der Roman, d.h. Enthusiasmus für den Krieg. Später wandelte sich die Darstellung drastisch. Diese Tagebücher werden zu Dokumentationen des Leidens des Individuums und seiner zunehmenden Verbitterung. Es sind Abbildungen des bitteren Lebens an der Front.
Ihre Aufarbeitung beinhaltet die dritte Periode in den 70er und 80er Jahren. In dieser Zeit stellte sich die Frage nach den Opfern des Krieges und nach der Beziehung von Tod und Heldentat. Im Vordergrund stehen nun detaillierte Informationen des Kriegsalltags und nicht mehr der kriegshistorische Informationsgehalt. Das führte zur neuen Darstellung der Kriegsereignisse und zur Entromantisierung des Heldentums (Armbrüster, 21). Die dritte Periode beinhaltet eine humanisierende Funktion (Armbrüster, 21), d.h. die geschilderten schrecklichen Details dienen zur Abschreckung. Diese Literatur wird als Antikriegsliteratur bezeichnet.3
Die Sowjetliteratur … versuche - insebesondere die jüngere Generation - zu einem Engagement für den Frieden zu bewegen. (Armbrüster, 31).
Im Folgenden wird die literarische Situation in Kroatien betrachtet.
3.1 Zur Situation der Literatur in Kroatien von 1990-2000
Krieg ist ein solch einschneidendes Ereignis in der Geschichte einer Nation, dass er (natürlich) tiefe Spuren hinterlässt. In der Literatur ist der Einschnitt so stark, dass man von einer eigenen Periode sprechen kann.
An dieser Stelle wird nur von der Prosa und ihrer Vielfalt der Genres, d.h. Kurzgeschichten, Krimis, Romanen und dokumentarischen Texten, in Kroatien gesprochen. Die vorhandene Lyrik wird hier nicht behandelt, da dies ein eigenes Themenfeld ist.
Zu erkennen ist der Einschnitt besonders gut am strukturellen und thematischen Wandel des kroatischen Romans. Über den Roman wird gesagt, dass er die tragende Form der nationalen Literatur sei. „Za roman se obi~no ka`e da je nosiva forma nacionalne knji`evnosti.“ (Nemec, 411). Die Literatur der 80er Jahre war geprägt von experimentellen und phantastischen Texten. Sie beschäftigte sich mit sich selbst, d.h. das Thema der Literatur war sie selbst. Es gab eine Vielfalt an Stilen und Modellen.4
In den 90ern fand ein Wechsel statt. In Anbetracht des Krieges wird das Motiv Literatur abstrakt und obsolet. Die reale, materielle Welt kehrt als Motiv in die Literatur zurück.
Der Schwerpunkt lag nun bei dokumentarischen Texten, doch die literarische Vielfalt an Modellen und Stilen blieb erhalten. Es gab geradezu einen Boom an nicht-fiktionalen Texten. Die Autoren sahen sich jetzt mit Fragen konfrontiert, die es vorher nicht gab. „.…pitanja o slobodi, naciji, domovini, identitetu, agresiji, egzilu, istini, pra(v)di, `rtvi, dobru i zlu….“ (Orai}-Toli}, 41). Es entstand Literatur, die ganz dem Thema Krieg untergeordnet war. Julijana Matanovi}5 unterteilt diese Literatur in drei Perioden:
1. 1992-1997 - Beschreibung der gegenwärtigen Situation. „Vidjeli smo to svojim o~ima.“ (Matanovi}, 96). Der Autor hat die Geschehnisse, die er beschreibt selbst erlebt, meist in Form von Augenzeugenberichten, Tagebüchern, Kriegsnotizen. Die literarische Qualität stand dabei nicht im Vordergrund.
2. 1997-2000 - In dieser Periode kommt es zur Verbindung von fiktionalen mit nicht-fiktionalen Elementen in der Kriegsliteratur. Die literarische Qualität der Texte tritt wieder mehr in den Vordergrund. 3. 2000 - Rückkehr zur Literatur. Kritiker und Leser besinnen sich auf die Qualität des literarischen Textes.
Matanovi} beschreibt in ihrer Periodisierung ausschließlich die Kriegsliteratur. Werke mit anderen Motiven als dem Krieg werden in ihrer Periodisierung nicht berücksichtigt.
Im Folgenden werden Werke der Kriegsliteratur näher dargestellt, und auch Literatur dieser Zeit mit anderen Motiven als dem Krieg.
Augenzeugenberichte, Tagebücher und Kriegsnotizen waren Texte von Autoren, die beschreiben was sie an der Front, mit eigenen Augen, gesehen hatten und dies nun der Öffentlichkeit präsentierten. Vukovarski dobrovoljac (1992) von Sa{a Federovsky und @eljko Kliment als Kriegsnotizen und -geschichten und die Tagebuchchronik vom Fall Vukovars 91, 6 Mhz. Glasom protiv topova. (1997) von Alenka Mirkovi}, sind solche Augenzeugenberichte. In diesen Werken wird versucht das Gesehene und Geschehene zu verarbeiten. Die Perspektive des Autors und seine Meinung stehen dabei im Vordergrund. Matanovi} ordnet diese Werke der ersten Periode zu. Nicht alle Werke sind literarisch qualitativ hochwertig, doch Orai}-Toli}6 weist darauf hin, dass das Vorhandensein dieser Texte wichtig sei, da es einen Missbrauch der Kriegsgeschehnisse zu ideologischen Zwecken durch die neuen Machthaber vorbeugen könne.7 Die Ereignisse können so nicht verfälscht werden. Dies sei bereits nach dem Zweiten Weltkrieg geschehen.
Einen „literarischen“ Schritt weiter sind Texte, die Nemec als Autobiografska proza (Nemec, 413) bezeichnet. Darunter fasst er Fragmentund Mosaiktexte. Diese Werke gehören auch zur Augenzeugen-literatur, doch der Anspruch an die Literarizität des Textes ist viel höher, wie Kratki izlet (1997) von Ratko Cvetni}, Kako smo lomili noge (1995) von Miro Gavran und Ples na pepelu (1994) von Miranda Bla`evi}. Die Autoren verbinden hier ihre Erfahrungen des Krieges mit dem eigenen Leben in Form von ästhetisch-stilisierten Erinnerungen.
Es entstanden aber auch Texte, die Fiktionales (die Geschichte) mit Nicht- Fiktionalem (der Krieg und reale Schauplätze) verbanden. Matanovi} bezeichnet dies als rubni `anrovi (Matanovi}, 104). In dieses Genre fallen z.B. Romane, die den Krieg nur als Rahmen nutzen um die eigentliche Geschichte zu erzählen wie Ovce od gipsa (1997) von Jurica Pavi~i}. Hier wird deutlich, dass der Krieg als eigentliches Motiv des Romans immer schwächer wird. Der Rahmen, d.h. die Schauplätze des Romans existieren in der realen Welt, aber die eigentliche Geschichte ist fiktiv. Ovce od gipsa wird in der Übersetzung unter dem Genre Kriminalroman geführt. Die spätere Untersuchung wird zeigen, dass es sowohl ein kriegskritisches wie auch sozialkritisches Werk ist.8 Einen wirklichen Krimi schrieb Irena Vrkljan mit Posljednje putovanje u Be~ (2000).
Igor Petri}s Roman TG5 (1997) und Josip Mlaki}s Roman Kad magle stanu (2000) gehören auch zu den fiktiven Romanen mit realem Bezug.
Sie gehören allerdings einem anderen Genre an, dem des Actionromans. Sie enthalten Schilderungen von Aktionen, Helden und Operationen im Krieg. Diese Art von Roman ist, gemessen an der gegenwärtigen Situation des Krieges und der vorhandenen „Action“, recht selten geschrieben worden.
Nedeljko Fabrio schrieb zum Thema Krieg das Werk Smrt Vronskog (1994). Er entlehnt dazu den Charakter des Vronski Tolstojs Ana-Karenina und versetzt ihn in den Krieg 1991 in die Stadt Vukovar als Kämpfer auf serbischer Seite. Orai}-Toli} bezeichnet dies als Intertekstualnost (Orai}-Toli}, 41), d.h. der Autor stellt seine Meinung durch Nutzung anderer Texte dar.
Osudu agresije autor ne izri~e neposredno, rije~ima autorskog lika ili pripovjeda~a, nego zaobilazno i posredovano preko posu|enog Tolstojeva junaka. (Orai}-Toli}, 42).
Es wurden auch Kinderbücher zum Thema Krieg geschrieben, z.B. Moj tata spava s an|elima (1992) und Mali dnevnik rata (1994) von Stjepan Toma{. Nun kommen wir zu den Werken, die den Krieg in den 90ern nicht als Motiv haben. Durch die Zerstörung des bisherigen sozialistischen, politischen Systems mit all seinen Regeln, d.h. Verboten, konnten Ereignisse thematisiert werden, die bisher tabuisiert worden waren, z.B. das Thema Bleiburg für die Kroaten. Hier erschien 1997 der Roman ^etverored von Ivan Aralica. Ein weiteres Thema war die Aufdeckung des Totalitären. Miroslav Brandt widmet sich mit Trpiti (1992) den nicht - verheilten Wunden der bolschewistischen Diktatur.
Der erste historische Roman der Kroaten unter den neuen politischen Verhältnissen entstand in dieser Zeit, Medvedski golubovi (1995) von Ivan Ku{an. Hier wird die nationale Geschichte der Kroaten und nur der Kroaten ironisch und humorvoll betrachtet.
Die gesellschaftlichen Veränderungen, die durch den Krieg ausgelöst wurden, werden etwas später literarisch behandelt. Hier geht es um Themen wie Kriminalität, Korruption und Probleme, die im und durch den neuen Staat entstanden sind und entstehen wie beispielsweise in Marinko Ko{~es Otok pod morem (1999). Die urbane Realität wird von Tomislav Zajec in Soba za razbijanje (1998) beschrieben. Es zeigt den Alltag von Jugendlichen aus besser gestellten Familien in Zagreb, dabei geht es um Drogen, Sex, Zwang und emotionale Leere.
Als weiteres Genre ist noch der Horrorroman zu erwähnen, hier @ivi i Mrtvi (2002) von Josip Mlaki}. Natürlich gab es auch weiterhin Trivialliteratur und pornographische Texte. Inter-aktivnost me|u `anrovima i raznim „pripovjeda~kim“ postupcima, na kraju se „osve}uje“ tako da vi{e nemamo pravo ni jednoga isklju~ivati iz-pojma tekstualnosti. (Mandi} 1998, 9).
3.2 Vergleich mit der Sowjetliteratur
In der ehemaligen Sowjetunion kam es noch viele Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg zu Publikation über diesen. Diese Struktur ist in Kroatien auch erkennbar. Don Juanova velika ljubav i mali balkanski rat (2002) von Ludwig Bauer ist ein Beispiel dafür. Es geht um die Geschichte einer Familie in der Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegszeit. Anfangs gab es in Kroatien den Aufruf zur Waffe, wie in der Sowjetliteratur, doch dies änderte sich schnell. Die Glorifizierung der zweiten Periode in der Sowjetliteratur fand so in Kroatien nicht statt. Der Krieg wurde nur zu Beginn glorifiziert. Die dritte Periode der Sowjetliteratur, d.h. die kritische Auseinandersetzung mit den Kriegsereignissen, begann in Kroatien bereits wenige Jahre nach dem Krieg. In der UDSSR fand sie erst Jahrzehnte später statt. Als Beispiel sei Tarik Kulenovi}s Jeleni na ki{i (2002) genannt. Hier werden die Veränderungen durch den Krieg geschildert. Es wird gezeigt, dass niemand unverändert aus dem Krieg zurückkommt, zudem werden die dadurch entstandenen negativen Veränderungen wie der erhöhte Drogenkonsum darin thematisiert.
Ein weiterer Unterschied ist die Instrumentalisierung der sowjetischen Kriegsprosa durch den Staat. Nach dem Krieg sollte sie als Beweis für die Berechtigung des Kommunismus dienen. Sie sollte anhand der Schrecken des Krieges zeigen wie wichtig Frieden ist, und er der Verdienst des Kommunismus sei und durch diesen erhalten bliebe. Die Kriegsprosa sollte hier zur Stärkung des Systems dienen. Dies kann man über die kroatische Kriegsprosa nicht sagen. Die Vielfalt der Meinungen, die hier in der Arbeit auch aufgeführt werden, zeigen dass es keine einheitliche Meinung und Literatur gab.
4. Der Roman Ovce od gipsa von Jurica Pavi~i}
Jurica Pavi~i} wurde 1965 in Split geboren. Er ist Magister der komparativen Literatur und Geschichte. Heute ist er Journalist der kroatischen Tageszeitung „Jutarnji list“ und Autor mehrerer Romane.9 Pavi~i} ist Mitglied des Literaturfestivals FAK (Festival A knji`evnosti). Obwohl FAK erst 2000 gegründet wurde, entspricht Ovce od gipsa den Zielen, die sich FAK gesetzt hat. „Nova proza mora biti aktivisti~ka, dru{tveno osvije{tena, zanimljiva za ~itanje, po`eljno je da bude fabulisti~ka i da se bavi prezentom.“10
Er selbst war als Soldat 1992/1993 neun Monate im Krieg. Sein Roman Ovce od gipsa, geschrieben von Oktober 1996 bis Oktober 1997, spielt in Split im Jahre 1992.11 Der Roman beginnt im Juni 1992 und endet im Herbst 1992.
Die Rahmenhandlung ist der Mord an dem serbischen Kaufmann Ti{ma, der von den kroatischen Soldaten Slave, [e{elj, Jakus und Gojo, in seinem Haus in einer Vorstadt von Split ungeplant ermordet wird. Seine 12-jährige Tochter Mila, die unerwartet im Haus ist und einzige Zeugin des Mordes ist, wird dabei entführt. Der Roman beschreibt einerseits die Aufklärung, bzw. Vertuschung des Mordes und den Fortgang der Entführung. Im Mittelpunkt des Werkes stehen jedoch die Auswirkungen des Krieges auf die zivile Gesellschaft.
Der Roman löste, auch durch seine Verfilmung, Diskussionen in Kroatien bezüglich seiner kriegskritischen Darstellung aus.12 Aus dem Roman lässt sich die Frage nach Gerechtigkeit in Kriegszeiten ableiten. Ist der Mord an einem Serben es wert untersucht zu werden, wenn es offensichltich ist, dass er von Kroaten begangen wurde?
In erster Linie jedoch beleuchtet der Autor die Funktionsweise des sozialen Systems durch die Schilderungen der sozialen Vernetzungen. Darin liegt die gesellschaftlich-analytische Funktion. Im Werk wird dies anhand der Figurenkonzeption deutlich, die deswegen näher ausgeführt wird. Danach erfolgt die Darstellung des Kriegsbildes indem die literarischen Mittel analysiert werden.
Formal ist Ovce od gipsa in vier Teile gegliedert. Diese haben eine unterschiedliche Anzahl an Kapiteln.
Ovce od gipsa ist ein klassisch realistischer Roman. Ein Kriterium des Realismus ist die Verknüpfung der fiktiven Welt mit der realen Welt durch die Erwähnung realer Orte. Als Hauptschauplatz des Geschehens wählt Pavi~i} die Stadt Split. Der Roman beginnt mit den Worten „lipanj 1992, isto~na Hercegovina“ (Pavi~i}, 9). Der Erzähler gibt hier eine präzise Angabe der Zeit und des Ortes. Zu dieser Zeit gab es Kriegshandlungen in dem genannten Gebiet. Der Realismus wird weiter vertieft durch die Erwähnung von Realitätspartikeln, wie Marken und bekannten Zeitgenossen: „Ionako su pili samo O`ujsko pivo…“ (Pavi~i}, 59); „…i slu{ali Mi{u Kova~a.“ (Pavi~i}, 77).
Ein weiteres Kriterium des realistischen Romans ist die gesellschaftlich- analytische Funktion13. Für dieses Werk ist sie vom Autor selbst beschrieben worden. In einem Interview 2004 sagt er über sein Werk Ovce od gipsa:
Ono š{to meni laska je to š{to mislim da je ta knjiga, uz par drugih, bila nekakva vrsta najave onog smjera kojim ć}e oti}ići hrvatska proza od 1997. godine pa do danas. To su knjige koje su visoko komunikativne, orijentirane prema naraciji i koje se sa jednim znati`eljnim interesom bave deskripcijom dru{tvene, mentalitetne i bilo koje druge stvarnosti koja se ovdje zbiva.14
Im realistischen Roman tritt der Erzähler in den Hintergrund, er kommentiert die Handlung selten oder gar nicht, wie in Ovce od gipsa. Es ist sowohl in der auktorialen wie in der personalen Erzählperspektive geschrieben. Die auktorialen Passagen sind selten. Diese Erzählperspektive wird meist zur Schilderung der Vergangenheit einer Figur verwendet. „Karmela udova Popi} bila je na~eta `ena. Mu`a je izgubila…“ (Pavi~i}, 63) Oft jedoch kann auf den auktorialen Erzähler nur anhand der Prolepse geschlossen werden, die wiederum ein Hinweis auf diesen ist. „Kre{o }e jo{ mnogo puta do kraja `ivota vrtjeti film te no}i.” (Pavi~i}, 12). Der auktoriale Erzählstil ist in der Standardsprache geschrieben, während bei der personalen Erzählweise, die durch die folgenden Figuren dargestellt wird, der Spliter Dialekt verwendet wird. Insgesamt dominiert die szenische Darstellung.
4.1 Figurenzeichnung
Ovce od gipsa ist ein Roman, der eine enorme Figurenfülle und -dichte aufweist. Die Figuren werden detailliert beschrieben, was sie „realer“, somit besser vorstellbar macht. Mit dieser Darstellung entwirft Pavi~i} ein Abbild der kroatischen Gesellschaft des Jahres 1992. Er gibt einen Einblick in verschiedene soziale Schichten. „Ovce od gipsa, koje su tiskane 1998., socijalni su triler...“ (Novak, 681). Darin liegt seine gesellschaftlich- analytische Funktion. Als literarisches Mittel dazu wendet er die Unterteilung in komplexe, offene Figuren und in Stereotypen der kroatischen Gesellschaft an.
Die folgende selbsterstellte Grafik dient zur Verdeutlichung der Komplexität der Vernetzungen der einzelnen Figuren miteinander. Es werden die Verbindungen der wichtigsten Figuren miteinander aufgezeigt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
[...]
1 Weiterführende Literatur zum Thema Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien ist im Literaturverzeichnis zu finden.
2 Diese Zusammenfassung ist von mir erstellt worden und basiert auf Vuji}, Samary, C., Funke/Rhotert, Meier und eigenen Recherchen.
3 Zusammenfassung nach Hodgson, Armbrüster, Thun.
4 Weiterführende Literatur zur Literatur in den 80-ern, der Postmoderne, in Nemec und Novak.
5 Julijana Matanovi} ist Autorin. Seit 1998 ist sie Dozentin für Neuere kroatische Literatur an der Philosphischen Fakultät Zagreb. Die Periodisierung ist ihrem Text: Od prvog zapisa do “Povratka u normalu“ entnommen.
6 Dubravka Orai}-Toli}, Autorin mehrerer Bücher und Professorin der Literatur an der Universität Zagreb
7. Ihrem Essay Suvremena hrvatska proza entnommen.
8 Übersetzung von Brigitte Kleidt, Nachtbus nach Triest. Ausgezeichnet in der Schweiz von FACTS als bester Kriminalroman 2001. Das Werk ist spannend, doch ist es kein Kriminalroman. Doch ist die Auszeichnung für die Popularität kroatischer Literatur natürlich förderlich.
9 Angaben dem Anhang seines Werks Ovce od gipsa entnommen.
10 Pavi~i}, J., Pro{lo je vrijeme Sumatra i Javi, 131.
11 Vinko Bre{an hat den Roman als Vorlage für seinen Film Svjedoci (2003) genutzt.
12 Siehe dazu: Interfilm und Europolitan.
13 Eine genauere Beschreibung zum Realismus in Flaker, A.: Stilske fomacije, 153ff.
14 Radio Slobodna Evropa.
- Citar trabajo
- Gordana Naletilic (Autor), 2007, Domovinski rat - Kriegsbilder in der kroatischen Gegenwartsprosa, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94240
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