Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Thema der Angst und ihrer Bewältigung im Sportunterricht der Grundschule. Um zu Beginn einen Überblick über das Spektrum an Zugangsweisen zu erhalten und sich dem Thema zu nähern, erfolgt zunächst eine genauere Begriffsbestimmung mit Abgrenzung zu ähnlichen Emotionen, die in der Alltagssprache häufig synonym gebräuchlich sind. Darauf aufbauend schließt sich dann die Darstellung von sozialisationsbedingten Antezedenzien an, die zusammen mit den wissenschaftlichen Angsttheorien den Kontext der Angstentstehung bilden. Bedingt durch die Vielschichtigkeit dieser Emotion resultiert daraus eine ebensogroße Vielzahl an Angstdimensionen, die allerdings im Hinblick auf das Thema dieser Arbeit an entsprechender Stelle auf den Rahmen des Sports reduziert sind. Ehe sich daran anschließend die Ausführungen dem Bereich der Angstbewältigung zuwenden, werden zunächst noch Konsequenzen überdauernder sportbezogener Ängstlichkeit vorgestellt, die nicht nur Auswirkungen auf die Motorik und Leistungsfähigkeit haben, sondern des Weiteren über den sportunterrichtlichen Bereich hinausgehen und langfristig die Persönlichkeit der Betroffenen beeinflussen. In dem darauf folgenden Kapitel der Angstbewältigung werden dann erneut die bereits erwähnten Aspekte sozialisationsbedingter Entwicklungstendenzen der Angst aufgegriffen und Maßnahmen des Lehrers vorgestellt, wobei das zentrale Anliegen in der Befähigung der Schüler liegt, mit Hilfe diverser Bewältigungstechniken einen selbstregulativen Zugang zu vorhandenen Ängsten zu finden. Ausgehend von der Fragestellung, ob Schüler der Grundschule überhaupt dazu in der Lage sind, ihre Ängste selbstregulativ zu bewältigen, versucht der empirische Teil dieser Arbeit diese Frage zu klären.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Theoretischer Teil
1 Einleitung
2 Definition: Angst
2.1 Begriffsbestimmung
2.2 Abgrenzung von anderen Emotionen
2.2.1 Angst - Furcht
2.2.2 Angst - Stress
2.2.3 Angst - Ängstlichkeit
3 Angstentstehung
3.1 Antezedenzien im Sozialisationsprozess
3.1.1 Primäre Sozialisation
3.1.1.1 Familiäre Bedingungen
3.1.1.2 Geschlechtsspezifische Sozialisation
3.1.1.3 Geschwisterreihe
3.1.2 Sekundäre Sozialisation
3.1.2.1 Leistungs- und Konkurrenzdruck
3.1.2.2 Rolle des Lehrers
3.1.2.3 Rolle des Klassenverbandes
3.2 Wissenschaftliche Angsttheorien
3.2.1 Psychoanalytischer Ansatz
3.2.1.1 Erste Angsttheorie Freuds
3.2.1.2 Zweite Angsttheorie Freuds
3.2.1.3 Kritische Anmerkungen zum Psychoanalytischen Ansatz nach Freud
3.2.2 Reiz-Reaktionstheoretischer Ansatz
3.2.2.1 Klassische Konditionierung von Angst- und Furchtreaktionen
3.2.2.2 Zwei-Phasentheorie nach Mowrer und Miller
3.2.2.3 Das Trait-State-Angstmodell nach Spielberger basierend auf der Triebtheorie der Angst nach Spence und Taylor
3.2.2.4 Kritische Anmerkungen zum Reiz-Reaktionstheoretischen Ansatz
3.2.3 Kognitiv-Handlungstheoretischer Ansatz
3.2.3.1 Angstkontrolltheorie nach Epstein
3.2.3.2 Stressbewältigungstheorie nach Lazarus
3.2.3.3 Kontrollprozesstheorie nach Carver und Scheier
3.2.3.4 Kritische Anmerkungen zum Kognitiv-Handlungstheoretischen Ansatz
4 Angstdimensionen
4.1 Angst vor Blamage
4.2 Angst vor körperlicher Verletzung und Schmerz
4.3 Angst vor Versagen und Misserfolg
4.4 Angst vor Konkurrenz
4.5 Angst vor Unbekanntem
5 Angstsymptome
5.1 Verhaltensmäßig-expressive Reaktionen
5.2 Physiologische Veränderungen
5.3 Emotionale Reaktionen
5.4 Soziale Reaktionen
6 Auswirkungen von Sportangst
6.1 Auswirkungen auf die Motorik
6.2 Auswirkungen auf sportliche Leistungen
6.3 Auswirkungen auf die Persönlichkeit
7 Angstbewältigung
7.1 Ziele der Angstbewältigung
7.2 Angstbewältigung durch Fremdregulation
7.2.1 Maßnahmen in der Familie
7.2.2 Maßnahmen des Lehrers
7.2.2.1 Der Aspekt der gesundheitlichen Perspektive
7.2.2.2 Der Aspekt der gesundheitserzieherischen Perspektive
7.2.2.3 Anforderungen an die Persönlichkeit des Lehrers
7.3 Angstbewältigung durch selbstinstruierte Fremdregulation
7.4 Angstbewältigung durch Selbstregulation
7.4.1 Somatische Verfahren
7.4.2 Kognitive Verfahren
7.5 Grenzen der Angstbewältigung Empirischer Teil
8 Methodik
8.1 Verwendetes Instrumentarium
8.2 Gütekriterien
8.3 Testauswertung und -interpretation
8.4 Hinführung zu den Forschungsfragen
8.5 Beschreibung der Personenstichprobe
8.6 Beschreibung des Methodendesigns
8.7 Beschreibung des Treatments
8.8 Untersuchungsdurchführung
8.9 Bildung der Untersuchungshypothesen
8.10 Datenverarbeitung
8.11 Analytische Auswertung
9 Ergebnisse der Testungen
9.1 Vergleich zwischen Treatment- und Kontrollgruppe bezüglich dem Ausmaß sportbezogener Ängstlichkeit im Nachtest
9.2 Vergleich zwischen Treatment- und Kontrollgruppe bezüglich dem Wanderungsverhalten zwischen den Subgruppen
9.3 Vergleich zwischen Treatment- und Kontrollgruppe bezüglich einzelner Angstdimensionen
9.3.1 Angstdimension Blamage
9.3.2 Angstdimension Konkurrenz
9.3.3 Angstdimension Misserfolg
9.3.4 Angstdimension Unbekanntes
9.3.5 Angstdimension Verletzung
9.4 Vergleich zwischen den Geschlechtern bezüglich der Effektivität des Treatments
9.5 Vergleich zwischen den Altersgruppierungen bezüglich der Effektivität des Treatments
9.6 Hypothesenentscheidung
9.7 Interpretation der Ergebnisse
10 Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Pädagogische Strukturen der sozialen Unterschicht (Duhm, 1974, S. 59)
Abb. 2: Der Teufelskreis der Diffamierung (Müller-Wolf & Miethling, 1986, S. 122)
Abb. 3: Schematische Darstellung der ersten Angsttheorie Freuds (Krohne, 1996, S. 157)
Abb. 4: Strukturhypothese zur Signaltheorie nach S. Freud (Baumann, 1986, S. 112, überarbeitet durch den Verfasser)
Abb. 5: Schematische Darstellung der zweiten Angsttheorie Freuds (Krohne, 1996, S. 162)
Abb. 6: Schema zur klassischen Konditionierung am Beispiel der Speichelreaktion (Schnotz, 2006, S. 27)
Abb. 7: Modell der Zwei-Phasentheorie nach Mowrer und Miller
Abb. 8: Beispielrechnung für den Zusammenhang von Aufgabenkomplexität, Triebstärke und Lösungswahrscheinlichkeit (Krohne, 1996, S. 212)
Abb. 9: Schematische Darstellung der Angst-Trieb-Theorie (Spence, 1958, zit. nach Lazarus-Mainka & Siebeneick, 2000, S. 279)
Abb. 10: Schematische Darstellung der Angst-Ängstlichkeitstheorie (Spielberger, 1972, zit. nach Lazarus-Mainka & Siebeneick, 2000, S. 301)
Abb. 11: Schema der dynamisch-interaktiven Person-Umwelt-Beziehung (Krohne & Hock, 1994, S. 18)
Abb. 12: Erregungsverlauf bei erfahrenen und unerfahrenen Personen als Funktion der Annäherung an eine Gefahrenquelle (Krohne, 1996, S. 237)
Abb. 13: Schematische Darstellung von Streßbewältigungsprozessen (Lazarus, 1991, zit. nach Lazarus-Mainka & Siebeneick, 2000, S. 231)
Abb. 14: Flussdiagramm der Antezedenzien und Konsequenzen der Angstauslösung nach der Kontrollprozesstheorie (Carver & Scheier, 1988, zit. nach Krohne, 1996, S. 263)
Abb. 15: Angstmimik (Lazarus-Mainka & Siebeneick, 2000, S. 58)
Abb. 16: Angst und Leistung im Basketball (Klavora, 1975, zit. nach Bierhoff- Alfermann, 1986, S. 73)
Abb. 17: Hypothetisch angenommene Beziehung von Aktivierung und Leistung je nach Schwierigkeit der Aufgabe (Carron, 1980, S. 64, überarbeitet durch den Verfasser)
Abb. 18: Das optimale Erregungsniveau für einige Sportarten (Oxendine, 1980, zit. nach Bierhoff-Alfermann, 1986, S. 74f., überarbeitet durch den Verfasser)
Abb. 19: Notendurchschnitt abhängig von der Ängstlichkeit während der Schuljahre (Schellhas, 1993, zit. nach Lazarus-Mainka & Siebeneick, 2000, S. 272, überarbeitet durch den Verfasser)
Abb. 20: Spontane Nennung von Adjektiven zur Selbstbeschreibung, die vor allem von hochängstlichen Personen benutzt werden (Siebeneick, 1999, S. 101, überarbeitet durch den Verfasser)
Abb. 21: Spontane Nennung von Adjektiven zur Selbstbeschreibung, die vor allem von niedrigängstlichen Personen benutzt werden (Siebeneick, 1999, S. 102f., überarbeitet durch den Verfasser)
Abb. 22: Optimale Erfahrung (Csikszentmihalyi, 2002, S. 107, überarbeitet durch den Verfasser)
Abb. 23: Ansatzpunkte somatischer und kognitiver Stress- und Angstbewältigung (Baumann, 2006, S. 254, überarbeitet durch den Verfasser)
Abb. 24: Atemzyklus einer auf Entspannung ausgerichteten Atmung (Schmitt, 2005b, S. 21)
Abb. 25: Auszug aus dem Interventionsmaterial Selbstinstruktion (Schack, 1997, S. 78)
Abb. 26: Verteilung der Item-Nummern auf die Tätigkeitsbereiche und Angstdimensionen
Abb. 27: Altersverteilung der Treatmentgruppe
Abb. 28: Altersverteilung der Kontrollgruppe
Abb. 29: Prozentuale Verteilung der Altersgruppierungen der Treatment- und Kontrollgruppe
Abb. 30: Methodendesignplan
Abb. 31: Mittelwertsunterschiede zwischen Treatment- und Kontrollgruppe im Vor- und Nachtest
Abb. 32: Mittelwertsvergleich zwischen Treatment- und Kontrollgruppe bezüglich des Wanderungsverhaltens
Abb. 33: Mittelwertsvergleich zwischen Treatment- und Kontrollgruppe bezüglich der Angstdimension Blamage
Abb. 34: Mittelwertsvergleich zwischen Treatment- und Kontrollgruppe bezüglich der Angstdimension Konkurrenz
Abb. 35: Mittelwertsvergleich zwischen Treatment- und Kontrollgruppe bezüglich der Angstdimension Misserfolg
Abb. 36: Mittelwertsvergleich zwischen Treatment- und Kontrollgruppe bezüglich der Angstdimension Unbekanntes
Abb. 37: Mittelwertsvergleich zwischen Treatment- und Kontrollgruppe bezüglich der Angstdimension Verletzung
Abb. 38: Mittelwertsvergleich zwischen Jungen und Mädchen der Treatmentgruppe
Abb. 39: Mittelwertsvergleich zwischen 9- und 10jährigen der Treatmentgruppe
Tabellenverzeichnis
Tab.1: Klassifikation der Erziehungsstile anhand der Merkmale Lenkung und emotionale Beziehung (Witte, 2006, S. 480, überarbeitet durch den Verfasser)
Tab. 2: Geschlechtsrollenstereotype (Kasten, 2003, S. 30)
Tab. 3: Mittelwerte der Mittelwertsvergleiche zwischen Prüfungs- und Vergleichssituationen bei Merkmalen psychischer Belastung (Schwenkmezger, Voigt & Müller, 1979, S. 310, überarbeitet durch den Verfasser)
Tab. 4: Von Hoch- (HÄ) und Niedrig- (NÄ) Ängstlichen als zutreffend genannte Angst- und Glücksadjektive (Prozentangaben) (Kerres, Lazarus-Mainka & Reck, 1988, S. 10, überarbeitet durch den Verfasser)
Tab. 5: Ergebnisse des F-Tests aus dem Vergleich zwischen Treatment- und Kontrollgruppe im Vortest
Tab. 6: Ergebnisse des Kolmogorov-Smirnov-Tests der Treatmentgruppe im Vortest
Tab. 7: Ergebnisse des Kolmogorov-Smirnov-Tests der Kontrollgruppe im Vortest
Tab. 8: Gruppenstatistiken zum t-Test beim Vergleich zwischen Treatment- und Kontrollgruppe im Bezug zur sportbezogenen Ängstlichkeit im Vortest
Tab. 9: Ergebnisse des t-Tests beim Vergleich zwischen Treatment- und Kontrollgruppe im Bezug zur sportbezogenen Ängstlichkeit
Tab. 10: Null- und Alternativhypothesen
Tab. 11: Ergebnisse und Interpretation des Kolmogorov-Smirnov-Tests
Tab. 12: Ergebnisse und Interpretation der Levene-Tests für Varianzgleichheit
Tab. 13: Gruppenstatistik des Vergleichs zwischen Treatment- und Kontrollgruppe bezüglich dem Ausmaß sportbezogener Ängstlichkeit im Nachtest
Tab. 14: t-Test des Vergleichs zwischen Treatment- und Kontrollgruppe bezüglich dem Ausmaß sportbezogener Ängstlichkeit im Nachtest .
Tab. 15: Wanderungsmöglichkeiten mit zugehörigen Werten
Tab. 16: Gruppenstatistik des Vergleichs zwischen Treatment- und Kontrollgruppe bezüglich des Wanderungsverhaltens zwischen den Subgruppen
Tab. 17: t-Test des Vergleichs zwischen Treatment- und Kontrollgruppe bezüglich des Wanderungsverhaltens zwischen den Subgruppen
Tab. 18: Gruppenstatistik des Vergleichs zwischen Treatment- und Kontrollgruppe bezüglich der Angstdimension Blamage
Tab. 19: t-Test des Vergleichs zwischen Treatment- und Kontrollgruppe bezüglich der Angstdimension Blamage
Tab. 20: Gruppenstatistik des Vergleichs zwischen Treatment- und Kontrollgruppe bezüglich der Angstdimension Konkurrenz
Tab. 21: t-Test des Vergleichs zwischen Treatment- und Kontrollgruppe bezüglich der Angstdimension Konkurrenz
Tab. 22: Gruppenstatistik des Vergleichs zwischen Treatment- und Kontrollgruppe bezüglich der Angstdimension Misserfolg
Tab. 23: t-Test des Vergleichs zwischen Treatment- und Kontrollgruppe bezüglich der Angstdimension Misserfolg
Tab. 24: Gruppenstatistik des Vergleichs zwischen Treatment- und Kontrollgruppe bezüglich der Angstdimension Unbekanntes
Tab. 25: t-Test des Vergleichs zwischen Treatment- und Kontrollgruppe bezüglich der Angstdimension Unbekanntes
Tab. 26: Gruppenstatistik des Vergleichs zwischen Treatment- und Kontrollgruppe bezüglich der Angstdimension Verletzung
Tab. 27: t-Test des Vergleichs zwischen Treatment- und Kontrollgruppe bezüglich der Angstdimension Verletzung
Tab. 28: Gruppenstatistik des Vergleichs zwischen Jungen und Mädchen der Treatmentgruppe
Tab. 29: t-Test des Vergleichs zwischen Jungen und Mädchen der Treatmentgruppe
Tab. 30: Gruppenstatistik des Vergleichs zwischen 9- und 10jährigen der Treatmentgruppe
Tab. 31: t-Test des Vergleichs zwischen 9- und 10jährigen der Treatmentgruppe
Tab. 32: Wanderungsverhalten der Treatmentgruppe
Tab. 33: Wanderungsverhalten der Kontrollgruppe
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abstract
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Thema der Angst und ihrer Bewältigung im Sportunterricht der Grundschule. Um zu Beginn einen Überblick über das Spektrum an Zugangsweisen zu erhalten und sich dem Thema zu nähern, erfolgt zunächst eine genauere Begriffsbestimmung mit Abgrenzung zu ähnlichen Emotionen, die in der Alltagssprache häufig synonym gebräuchlich sind. Darauf aufbauend schließt sich dann die Darstellung von sozialisationsbedingten Antezedenzien an, die zusammen mit den wissenschaftlichen Angsttheorien den Kontext der Angstentstehung bilden. Bedingt durch die Vielschichtigkeit dieser Emotion resultiert daraus eine ebensogroße Vielzahl an Angstdimensionen, die allerdings im Hinblick auf das Thema dieser Arbeit an entsprechender Stelle auf den Rahmen des Sports reduziert sind. Ehe sich daran anschließend die Ausführungen dem Bereich der Angstbewältigung zuwenden, werden zunächst noch Konsequenzen überdauernder sportbezogener Ängstlichkeit vorgestellt, die nicht nur Auswirkungen auf die Motorik und Leistungsfähigkeit haben, sondern des Weiteren über den sportunterrichtlichen Bereich hinausgehen und langfristig die Persönlichkeit der Betroffenen beeinflussen. In dem darauf folgenden Kapitel der Angstbewältigung werden dann erneut die bereits erwähnten Aspekte sozialisationsbedingter Entwicklungstendenzen der Angst aufgegriffen und Maßnahmen des Lehrers[1] vorgestellt, wobei das zentrale Anliegen in der Befähigung der Schüler liegt, mit Hilfe diverser Bewältigungstechniken einen selbstregulativen Zugang zu vorhandenen Ängsten zu finden. Ausgehend von der Fragestellung, ob Schüler der Grundschule überhaupt dazu in der Lage sind, ihre Ängste selbstregulativ zu bewältigen, versucht der empirische Teil dieser Arbeit diese Frage zu klären. Nachdem in einem sich über 7 Wochen erstreckenden Treatment, den Schülern Techniken der Angstkontrolle vermittelt wurden, kann nun mit Hilfe von durchgeführten Testungen und Vergleichen zu einer Kontrollgruppe empirisch nachgewiesen werden, dass dies Schülern weitestgehend gelingt und sich eine Minderung der Ängste feststellen lies. Der größte Nutzen ergab sich dabei für überdurchschnittlich ängstliche Schüler.
Vorwort
Angst im Sportunterricht stellt eine immer wiederkehrende Erscheinung dar, die im Hinblick auf die am Unterricht beteiligten Personengruppen, den Lehrer und die Schüler, beide Seiten gleichermaßen betrifft. Dennoch möchte ich mich, um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen, in den folgenden Ausführungen lediglich dem Bereich der Schülerängste widmen, so dass Lehrerängste nur dann Erwähnung finden, wenn diese in einem kausalen Zusammenhang zu den Ängsten der Schüler stehen.
Neben diesem Hinweis, möchte ich mich an dieser Stelle bei allen Personen bedanken, die mir während der Anfertigung dieser Arbeit unterstützend zur Seite standen. Mein Dank gilt hierbei in besonderem Maße meiner Freundin Miriam, die mir nicht nur bei der Durchführung der statistischen Analysen helfend zur Seite stand, sondern mich immer wieder mit Literaturen aus der Universitäts-bibliothek Mainz versorgte und darüber hinaus auch meine Launen ertragen musste, wenn das Schreiben mal nicht ganz reibungslos verlief. Ein herzliches Dankeschön sei selbstverständlich auch an das Lehrerkollegium der Grundschule gerichtet, die es mir ermöglichten, den empirischen Teil meiner Zulassungsarbeit schnell und unkompliziert in der unterrichtlichen Praxis durchzuführen und die nötigen Daten zu erheben. Ein besonderer Dank gilt hierbei Frau Scholz, Frau Schwarz, Herrn Ludes und Herrn Müller. Auch alle anderen Personen, die mir den noch so kleinen Tipp gaben und mich aufgemuntert und unterstützt haben, werden selbstverständlich nicht vergessen: Danke.
1 Einleitung
Ulis Fallschirmabsprung war das Tagesgespräch in sämtlichen Arbeitszimmern. Und es herrschte eine einzige Meinung: Der kleine Simmern sei ein Mordskerl, und niemand habe geahnt, daß er eines Tages solch einer Tollkühnheit fähig sein werde.
Nur Sebastian widersprach. ‚Dieser Sprung hat doch nicht das Mindeste mit Kühnheit zu tun’, sagte er abweisend. ‚Uli war, als er von der Leiter sprang, nicht mutiger als vorher. Ihn trieb die Verzweiflung herunter.’ ‚Aber der Mut der Verzweiflung!’ rief ein Sekundaner. ‚Das ist ein Unterschied. Es gibt sehr viele Feiglinge, die nicht im Traum daran dächten, von Leitern zu springen. Und wenn sie noch so verzweifelt wären.’ Sebastian nickte wohlwollend. ‚Das stimmt schon’, meinte er. ‚Aber der Unterschied zwischen ihnen und Uli liegt nicht auf dem Gebiet der Tapferkeit.’ ‚Sondern?’
‚Der Unterschied ist der, daß sich Uli mehr schämen kann als sie. Uli ist nämlich ein völlig einfacher, naiver Junge. Sein Mangel an Mut störte ihn selber am allermeisten!’ Sebastian überlegte eine Weile. Dann fuhr er fort: ‚Eigentlich geht euch das, was ich jetzt sagen will, gar nichts an. Aber, habt ihr schon einmal darüber nachgedacht, ob ich Mut habe? Ist euch schon einmal aufgefallen, daß ich ängstlich bin? Nichts ist euch aufgefallen! Ich will euch deshalb vertraulich mitteilen, daß ich sogar außerordentlich ängstlich bin. Ich bin aber ein gescheiter Mensch und lass es mir nicht anmerken. Mich stört mein Mangel an Mut nicht besonders. Ich schäme mich nicht darüber. Und das kommt wieder daher, daß ich gescheit bin. Ich weiß, daß jeder Mensch Fehler und Schwächen hat. ….’
Natürlich verstanden nicht alle, was er sagte. Besonders die Jüngeren kapierten es nicht. (Kästner, 1981, S. 111f.)
Doch was kapierten sie an Sebastians Ausführungen und Argumentationen nicht? Verstehen auch sie, wie viele andere Schüler und auch Lehrer, Angst als ein eindimensionales Phänomen, welchem durch einige methodische Schritte ausreichend begegnet werden kann und das ansonsten keiner weiteren Beachtung Wert ist? Oder liegt das Problem etwa in Ulis unerwarteter Flucht nach vorne? Welchen Einfluss hatte der wachsende Druck der Mitschüler auf die Entscheidung Ulis zu springen und welche Bedeutung hat die Aussage von Sebastian, Uli sei ein völlig einfacher und naiver Junge?
Würde man versuchen, die Situation nun noch weiter nach situations- und personenspezifischen Merkmalen zu untersuchen, ließen sich mit Sicherheit noch
weitere Fragen aus der dargestellten Erzählung von Erich Kästner ableiten, die für den Unterricht an heutigen Schulen, insbesondere den Sportunterricht noch immer relevant sind. Ein wesentlicher Unterschied zu jener Zeit in der die Erzählung spielt und der insbesondere durch die Reaktionen der Mitschüler von Uli und Sebastian deutlich wird, ist der Wandel der in dieser fatalen Zeit (vgl. Schwope, 1998, S. 15) gültigen Prämisse „Ein Junge weint nicht, ist hart wie Krupp-Stahl und Zäh [sic] wie Leder“ (Schwope, 1998, S. 15) und bedingt somit auch eine veränderte Perspektive der Angst. Die heutigen Ansätze definieren dement-sprechend Angst als einen „vielschichtigen Begriff, der unterschiedliche Phänomene zu erläutern und zu klären versucht“ (Klupsch-Sahlmann & Kottmann, 1992, S. 7). Dabei reichen die Deutungs- und Erklärungsansätze von Philosophen über Psychoanalytiker, Pädagogen bis hin zu Stressforschern, deren Forschungsergebnisse allerdings allzu häufig in Ratgebern niedergeschrieben werden, die versuchen Kinderängste zu hinterfragen, zu erläutern und letztlich aufzuzeigen, wie man Kinderängste zu bekämpfen hat (vgl. Klupsch-Sahlmann & Kottmann, S. 14). Das Interesse all jener, denen die Verantwortung für das Hineinwachsen unserer Kinder in die Gesellschaft übertragen worden ist, sollte jedoch vielmehr darin liegen, einen selbstverantwortlichen Umgang von Schülern mit der Angst zu fördern (vgl. Klupsch-Sahlmann & Kottmann, 1992, S. 7) und gemäß den im Teilrahmenplan Sport (vgl. Ministerium für Bildung, Frauen und Jugend, 2006, S. 7f.) formulierten personalen Kompetenzen einen zeitgemäßen Zugang zum Thema Angst zu gewährleisten. Neben einer fächerübergreifenden Zusammenarbeit, kommt unter diesem Aspekt insbesondere dem Sportunterricht eine Vorreiterstellung zu, dessen Aufgabe es sein sollte, „ein Gegengewicht gegenüber häufig zu beobachtenden Einseitigkeiten der Schule zu sein: gegenüber [sic] ihrer Bewegungsarmut, ihrer kognitiven Überbeanspruchung, ihrer oft einseitigen Interaktionsformen und ihren strengen Leistungsanforderungen, eben eine sinnvolle Balance von Arbeit und Muße sicherzustellen“ (Der Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfahlen 1980, zit. nach Klupsch-Sahlmann & Kottmann, 1992, S. 8). Doch wie bitte soll dies möglich sein, wenn der Faktor Angst jegliche Freude an Bewegung, Spiel und Sport bereits im Keim erstickt?
Um sich der Aufgabe eines angemessenen Umgangs mit Angst im Sportunterricht stellen zu können, ist es daher zunächst wichtig, grundlegende Einsichten in elementare Aspekte dieses so vielschichtigen Phänomens zu entwickeln. Um dies zu ermöglichen und zu einem besseren Verständnis des Spannungsfeldes Angst im Sportunterricht beizutragen, sollen in dieser Arbeit daher zunächst einige Zugangsweisen aus verschiedenen wissenschaftlichen Blickwinkeln geklärt werden, ehe sich die Arbeit unterschiedlichen Dispositionen bezüglich des Sozialisationsprozesses zuwendet. Im Anschluss daran werden einige theoretische Ansätze vorgestellt, die sich mit der Entstehung von Angst auseinandersetzen und zu den verschiedenen Angstdimensionen überleiten, um darauf aufbauend zu klären, welche Reaktionen bei Personen auftreten, die mit angstbesetzten Situationen konfrontiert werden. Aus den daraus gewonnenen Einsichten und unterschiedlichen Perspektiven zum Thema Angst lassen sich dann konkrete Maßnahmen zu einem pädagogisch sinnvollen Umgang mit der Angst ableiten, die im empirischen Teil dieser Arbeit hinsichtlich ihrer Effektivität zu überprüfen sind.
2 Definition: Angst
2.1 Begriffsbestimmung
„Ängste bestimmen in vielfältiger Weise den privaten, schulischen und beruflichen Alltag.“ (Klupsch-Sahlmann & Kottmann, 1992, S. 7) Daraus lässt sich vermuten, dass jeder schon einmal den emotionalen Zustand Angst am eigenen Körper erfahren hat. Aber dennoch fällt es nicht leicht das Gefühl der Angst zu beschreiben. Es verwundert daher nicht, „wenn eine der häufigsten Antworten lautet: ‚Angst ist halt so’n komisches Gefühl ...’ Die Umschreibung ‚komisch’ (im Sinne von: undefinierbar, unheimlich, nicht geheuer) deutet auf Unsicherheit im weitesten Sinne hin.“ (Anschlag, 1992, S. 44) „Dies zeigt, dass der Begriff Angst ein Etikett darstellt, das relativ wenig über den emotionalen Erlebniszustand … [des Schülers] aussagt.“ (Baumann, 2006, S. 238) Das Problem, das Gefühl der Angst zu beschreiben, lässt sich damit erklären, „daß der Begriff Angst unvermittelte und vielschichtige körperliche Veränderungen kennzeichnet, die die Grundlage für Empfindungen und Gefühle sind“ (Anschlag, 1992, S. 44). Dagegen fällt es Schülern leichter, körperliche Reaktionen der Angst zu versprachlichen und zum Ausdruck zu bringen.
Die hier beschriebenen körperlichen Reaktionen sind fühlbar. Sie treten aus dem Bereich einer unspezifischen Empfindung (‚...so’n komisches Gefühl’) heraus und können vom Schüler an sich selbst wahrgenommen werden. Dies ermöglicht einen ersten Zugang zum Phänomen Angst. Das ‚Händezittern vor Angst’ versinnbildlicht hierbei die Emotion (lat. emovere, emotum ‚herausbewegen’) und gibt ein Beispiel dafür, wie sich physiologische Erregung auf die Ebene des beobachtbaren Verhaltens ‚hinausbewegt’. Emotionen sind darüber hinaus von Erlebnisqualitäten begleitet, die im Falle von Angst negativen Charakter haben. Angst wird als unangenehm bzw. aversiv erlebt und kann für Schüler zu einer emotionalen Belastung werden. (Anschlag, 1992, S. 44)
Die Kernaussagen zum Phänomen Angst nach Anschlag (1992, S. 44ff.) finden sich auch in den Untersuchungsergebnissen anderer Ansätze wieder (vgl. Asanger & Wenninger, 1980, S. 23f., Floßdorf, 1999, S. 35f., Krohne, 1976, S. 29ff., Krohne & Hock, 1994, S. 15ff.). Dabei fällt auf, dass trotz unterschiedlicher
Definition: Angst 5
Erklärungsversuche zentrale Aussagen weitgehend übereinstimmen (vgl. Birbaumer, 1977, S. 519, Hülshoff, 2006, S. 13, Kent, 2002, S. 25, Klupsch-Sahlmann & Kottmann, 1992, S. 7, Gabler, Nitsch & Singer, 2001, S. 124, Rohracher, 1971, S. 466, Schnabel, 1993, S. 59f., Weidenmann, 1978, S. 26, 1981, S. 352, Winkel, 1980, S. 26, Zieschang, 1979, S. 239): „Das Phänomen Angst umfasst verschiedene, als belastend empfundene emotionale Zustände und Prozesse, die in der Auseinandersetzung von Personen mit den Anforderungen verschiedenartig strukturierter Situationen entstehen.“ (Klupsch-Sahlmann & Kottmann, 1992, S. 7) Dabei wird aus der Vielzahl anerkannter Definitionen auf der Basis des Angsterlebens klar, dass es nicht die Definition von Angst gibt, „sondern es scheint, als gäbe es ebenso viele Definitionen wie Theoretiker, die sich mit dem Phänomen Angst“ (Lazarus-Mainka & Siebeneick, 2000, S. 12) beschäftigen. „Jede Angsttheorie hat ihre Definition der Angst. Sie wird innerhalb des Kontextes der Theorie verständlich und spiegelt sich in der Art der Diagnose der Angst sowie gegebenenfalls in der Therapieform wieder.“ (Lazarus-Mainka & Siebeneick, 2000, S. 12) Izard (1999, S. 397) beschreibt in diesem Zusammenhang das Fehlen einer klaren und weitgehend anerkannten Definition sogar als „Leiden“ und fügt hinzu: „Die meisten Definitionen neigen dazu, Angst als einen einheitlichen Zustand (oder eine einheitliche Eigenschaft) zu behandeln, ohne ihre Komplexität zu erkennen.“ (Izard, 1999, S. 397) Bestätigung findet diese Ansicht bei Lazarus-Mainka und Siebeneick (2000, S. 12), wo allein durch die Einschränkung der Definitionsmöglichkeiten die Vielschichtigkeit der Emotion Angst zwangsläufig reduziert werden muss:
Es können zwei Arten von Definitionen unterschieden werden: In der ersten Art der Definition wird der Begriff ,Angst’ einem weiteren Begriff gleichgesetzt, zum Beispiel ,Hilflosigkeit’, ,Spannungszustand’, ,Trieb’, ,Streß’, ,Gefühl’. Diese Art der Definition wird auch als Realdefinition bezeichnet, die vor allem dann nützlich ist, wenn der Begriff, durch den ‚Angst’ ersetzt wird, inhaltlich scharf umrissen ist. Dies ist jedoch - wie zum Beispiel bei der Gleichsetzung von ‚Angst’ und ‚Streß’ - nicht immer der Fall. In der zweiten Art der Definition wird versucht, sich dem Begriff der Angst zu nähern, indem vorausgehende und begleitende Phänomene, Aktionen oder Handlungen beschrieben werden, zum Beispiel ‚Angst als konditionierte Schmerzreaktion’, als ,Reaktion auf eine Gefahr’, als ,Vermeidungsreaktion’, als ,Resultat einer Bewertung’, als ,das, was der Angsttest mißt’. In diesem Kontext spricht man von einer operationalen Definition.
Auf Grund der geschilderten, sich in der psychologischen Fachliteratur darstellenden Mannigfaltigkeit an Definitionen, mit der individuellen Tendenz Angst jeweils „als einen einheitlichen Zustand (oder eine einheitliche Eigenschaft) zu behandeln, ohne ihre Komplexität zu erkennen“ (Izard, 1999, S. 397), soll im Folgenden versucht werden, die wesentlichen Ansätze durch mehrere, sich gegenseitig ergänzende Definitionen darzustellen. Dabei sollte beachtet werden, dass Emotionen [hier: Angst] einen qualitativ beschreibbaren Zustand darstellen, der mit Veränderungen auf vier Ebenen einhergeht (vgl. Hülshoff, 2006, S. 31): „Dem bei einer Emotion erlebten Gefühl, einem sich in Mimik, Gestik, Körperhaltung und Bewegung äußerndem Verhalten, einer vegetativ-körperlichen Veränderung … und einer kognitiven Verarbeitung.“ (Hülshoff, 2006, S. 31)
Fröhlich (1982, S. 15) definiert Angst als „ein spannungsreiches, beklemmendes, unangenehmes, bedrückendes oder quälendes Gefühl der Betroffenheit und Beengtheit, das mit unterschiedlicher Intensität und im Zusammenhang mit einer Vielzahl von Situationen auftreten kann“. Dieser, stark auf die Gefühlsebene beschränkten Definition, fügen Dorsch, Häcker und Stapf (1987, S. 34) in ihrer Definition einen weiteren Aspekt, der der kognitiven Verarbeitung, hinzu:
Angst ist ein mit Beengung, Erregung, Verzweiflung verknüpftes Lebensgefühl, dessen besonderes Kennzeichen die Aufhebung der willensmäßigen und verstandesmäßigen Steuerung der Persönlichkeit ist. Man sieht in der Angst auch einen aus dem Gefahrenschutzinstinkt erwachsenden Affekt, der, teils in akutem Ausbruch (dem Schreck verwandt), teils in schleichend-quälender Form eine elementare Erschütterung bewirkt.
Hackfort und Schwenkmezger (1980, S. 19) benennen ähnliche Aspekte in ihrer Definition, jedoch werden hier zusätzlich die vegetativ-körperlichen Veränderungen hervorgehoben:
Angst ist eine kognitive, emotionale und körperliche Reaktion auf eine Gefahrensituation bzw. auf die Erwartung einer Gefahren- oder Bedrohungssituation. Als kognitive Merkmale sind subjektive Bewertungs-prozesse und auf die eigene Person bezogene Gedanken anzuführen … . Emotionales Merkmal ist die als unangenehm erlebte Erregung, die sich auch in physiologischen Veränderungen manifestieren und mit Verhaltens-änderungen einhergehen kann.
Darüber hinaus geht Pschyrembel (1994, S. 72) zusätzlich auf die, sich in Mimik, Gestik, Körperhaltung oder Bewegung äußernden Verhaltensveränderungen ein:
Angst ist ein unangenehm empfundener, gleichwohl lebensnotwendiger (weil Gefahr signalisierender) emotionaler Zustand mit zentralem Motiv der Vermeidung bzw. Abwehr einer Gefahr und unter Umständen psychischen und physischen Begleiterscheinungen: Unsicherheit, Unruhe, Erregung, eventuell Panik, Bewußtseins-, Denk- oder Wahrnehmungsstörungen, Anstieg von Puls-und Atemfrequenz, verstärkte Darm- und Blasentätigkeit, Übelkeit, Zittern, Schweißausbrüche.
Neben dem Problem einer klaren und anerkannten Definition der Emotion Angst, besteht noch ein weiteres Problem, das der Abgrenzung von Begriffen, die in diesem Zusammenhang immer wieder auftreten. Es sind dies die Begriffe Furcht, Stress und Ängstlichkeit (vgl. Krohne, 1975a, S. 10).
2.2 Abgrenzung von anderen Emotionen
Die Begriffe Furcht, Stress und Ängstlichkeit „gehören zu einem gemeinsamen Wortfeld und können, je nachdem, welche Inhalte sie beschreiben, in ihrer Bedeutung voneinander abweichen, oder aber nahezu synonym verwendet werden.“ (Lazarus-Mainka & Siebeneick, 2000, S. 11) Die Schwierigkeit ihrer Unterscheidung besteht darin, sie der Situation angepasst zu gebrauchen.
2.2.1 Angst - Furcht
„Angst und Furcht werden in der Angstforschung häufig als synonyme Begriffe verwendet.“ (Klupsch-Sahlmann & Kottmann, 1992, S. 7) „Der Verhaltens-forscher Leyhausen (1965) … vertritt wie viele andere Forscher die Meinung, daß Angst und Furcht im allgemeinen Sprachgebrauch weitgehend synonym verwendet werden und der Versuch, die Begriffe konsequent zu trennen, künstlich wirkt und schließlich an der Indifferenz der Umgangssprache scheitern würde.“ (Lazarus-Mainka & Siebeneick, 2000, S. 15) Einen ähnlichen Ansatz vertritt auch Schwarzer (1983, S. 147), der den Nutzen einer Unterscheidung zwischen Angst und Furcht in Frage stellt. „Im allgemeinen [sic] wird Furcht als ein Spezialfall der Angst angesehen, aber es ist nicht überzeugend belegt, daß eine solche Definition wirklich wissenschaftlich fruchtbar ist … .“ (Schwarzer, 1983, S. 147) Eine konträre Meinung hierzu findet sich bei Lazarus-Mainka und Siebeneick (2000, S. 15), die ihre Begründung auf die experimentell empirische Forschung beziehen:
Bei der Untersuchung der Angstentstehung durch klassisches Konditionieren wird dem Tier ein definierter neutraler Reiz … im Kontext mit einem definierten Schmerzreiz … wiederholte Male dargeboten. Das Tier erwirbt aufgrund des Aufeinanderfolgens dieser Reize die Fähigkeit, auf den ehemals neutralen Reiz mit Angst zu reagieren. …. Die Angstreaktionen gleichen den Schmerzreaktionen … . Hier wird also Schmerz gleich Angst gesetzt. Diese Angst ist aber eindeutig als Furcht vor dem Schmerz zu definieren, die durch das gelernte Angstsignal aktiviert wird. Deshalb sprechen Solomon und Wynne (1953, 1954) … auch von einer Furchtreaktion (fearreaction) …, die auch ohne Anzeichen von Angst ausgeführt werden kann. …. Für sie sind Angsterleben und Vermeidungsverhalten nicht ursächlich gekoppelt, sondern parallele Vorgänge, wobei das Angsterleben prognostischer Natur ist (,Angst vor etwas haben’) und das Vermeidungsverhalten [als zielgerichtete Furcht] ohne jegliches Angsterleben ausgeführt werden kann.
Basierend auf dieser Begründung, soll im Folgenden versucht werden, beide Begriffe zu trennen: Izard (1999, S. 399) bezeichnet Angst als ein Muster, welches in Kombination der Komponenten Furcht, Kummer, Schuldgefühl und Interesse entsteht. Furcht ist dabei „die zentrale (am intensivsten erlebte) Emotion in diesem Muster“ (Krohne & Kohlmann, 1990, S. 505) und lediglich Teil der Angst. „Die Mehrzahl der Autoren unterscheidet Angst und Furcht allerdings nicht nach strukturellen, sondern nach funktionalen Gesichtspunkten.“ (Krohne & Kohlmann, 1990, S. 505) Nach Epstein (1972, zit. nach Krohne & Hock, 1994, S. 12) entsteht Angst dann, „wenn eine Person eine Situation als gefährlich erlebt, in ihr aber nicht angemessen, etwa durch Flucht, reagieren kann. …. Furcht soll dagegen dann vorliegen, wenn die Gefahr eindeutig zu bestimmen und die Reaktionen wie Flucht oder Vermeidung ausführbar sind.“ Als weitere Möglichkeit bietet es sich an, die Unterscheidung der Begriffe nach dem Auslöser vorzunehmen (vgl. Lazarus-Mainka & Siebeneick, 2000, S. 14): „Angst vor einer bestimmten Gefahr wird als Furcht bezeichnet, während Angst als solche keinem Gefahrenmoment zuzuordnen ist.“ (Lazarus-Mainka & Siebeneick, 2000, S. 14) Ähnlich formulierten dies bereits Jaspers 1948 (S. 95) etwas salopp „Furcht ist auf etwas gerichtet, Angst ist gegenstandslos“, bzw. von Baeyer und von Baeyer-
Katte 1971 (S. 23), „Angst sei die unbestimmte, gegenstandslose, anonyme, unmotivierte Emotion, Furcht die bestimmte, auf einen bedrohlichen Gegenstand oder eine gefährliche Situation gerichtete, benennbare, entsprechend motivierte Gefühlslage“. Aufbauend auf der Unterscheidung der Begriffe nach dem Auslöser, gibt Baumann (2006, S. 238) jedoch zu bedenken, dass alles Psychische immer auf etwas bezogen ist:
Es [das Psychische] existiert nicht in sich allein, sondern nur im Bezug zur Umwelt. Auch die Angst ist immer auf etwas bezogen, nur kennt der Angsthabende häufig den Gegenstand seiner Angst nicht oder nicht mehr. Die Unterschiede bestehen also im Grad der Kenntnis bzw. der Unkenntnis der Angst auslösenden [sic] Faktoren, wie zum Beispiel Dinge, Personen, Situationen, Strafe, Leistung, Ansprüche der eigenen Dämonie usw. Es ist deshalb sinnvoll, als Differenzierungsmerkmal zwischen Angst und Furcht nicht die Gegenstandslosigkeit, sondern das Unwissen über die Auslöser zu wählen.
2.2.2 Angst - Stress
„Streß ist einer der wenigen Begriffe, bei dem sich das situative Alltagsverständnis mit seiner wissenschaftlichen Verwendung sehr gut deckt“ (Asanger & Wenninger, 1980, S. 486) und dass, obwohl er in beiden Bereichen eine sehr weite Bedeutung hat (vgl. Semmer, 1999, S. 744) und „durch eine derartige Aspektfülle und Vieldeutigkeit gekennzeichnet“ (Laux & Weber, 1990,
S. 560) ist. „Wird jedoch eine genaue Definition verlangt, so erweist sich der Begriff als zu allgemein.“ (Cohen, 1984, S. 265) Dies sieht Levitt (1987, S. 21) ähnlich: „Der Ausdruck wird oft in verschiedener Bedeutung verwendet, ohne dass der Betreffende näher erläutert, was er darunter versteht. Hierdurch ist eine ziemliche Begriffsverwirrung entstanden und offenbar besteht keine Überein-stimmung darüber, was nun Streß wirklich bedeutet.“ Vielen Erklärungsansätzen ist jedoch gemein, dass sie Stress als emotionale Reaktionslage sehen, „bei der die Systemlage eines Organismus über einen längeren Zeitraum hinweg aus dem Gleichgewicht gebracht wird, ohne dass ein neuer Gleichgewichtspunkt auf einer anderen Ebene erreicht wird“ (Scherer, 1985, S. 198). Etwas uneinheitlicher stellt sich dahingegen die Frage nach der Definition des Stressbegriffs als Reaktion, Reiz oder Transaktion dar (vgl. Semmer, 1999, S. 744).
Zum einen wird Stress teilweise analog zum physiologischen Stressbegriff vorwiegend als Reaktion auf die Bedrohung thematisiert. Zum zweiten werden mit Stress all jene Reize und Reizsituationen zusammengefasst, die solche Reaktionen auslösen. Zum dritten wird in zunehmendem Maße die subjektive Interpretation, die demnach zwischen den so genannten Stressoren und den ihnen folgenden Reaktionen liegt mit dem Begriff Stress bezeichnet [Transaktion]. (Gabler, 2003b, S. 391)
Im letzten Fall „besteht eine enge Verbindung zu den Begriffen Angst und Frustration, weil die bedrohliche und frustrierende Reizsituation Angst hervorrufen kann und dieser Zustand des Frustriert-Seins und der Angst eine Abwehrreaktion notwendig machen [sic], um die bedrohliche Situation zu bewältigen“ (Gabler, 2003b, S. 391). Eine ähnliche Verbindung zwischen den beiden Begriffen Angst und Stress erstellt Spielberger (1980, S. 22f.):
Der Prozeß wird durch eine bestimmte Situation oder ein Ereignis in Gang gesetzt. Dieser auslösende Stimulus ist potentiell bedrohlich oder gefährlich. Wir nennen einen solchen Stimulus auch Stressor. In einem zweiten Schritt unterscheiden wir zwischen der potentiellen Bedrohlichkeit oder der Gefahr eines Stressors und unserer individuellen Einschätzung und Interpretation dieser Gefahr. Dies führt uns zu einem dritten Element, nämlich der Angstreaktion, die durch den Stressor ausgelöst wird und die eng damit zusammenhängt, für wie bedrohlich wir die jeweilige Situation halten.
Somit übernimmt „die Eigenschaftsangst [vgl. Kap. 2.2.3] in streßrelevanten Situationen die Funktion einer intervenierenden Variablen, die als aktuelle Reaktion Zustandsangst [vgl. Kap. 2.2.3] entstehen läßt“ (Schack, 1997, S. 6). Dabei hängt die kognitive Bewertung einer Situation bezüglich ihrer Bedrohlichkeit sowohl von der Ängstlichkeit der Person, als auch von internen und externen Stimuli ab (vgl. Vormbrock, 1980, S. 59).
Unter internen Streßstimuli werden Gedanken oder Gefühle verstanden, die zur Antizipation einer als bedrohlich bewerteten Situation veranlassen. Sie sind Resultat vergangener Erfahrungen, Einstellungen und persönlicher Fähigkeiten. Externe Streßstimuli sind Reize der Streßsituationen. Externe Stressoren, die eine physikalische Gefahr bedeuten, werden von solchen unterschieden, die eine psychologische Bedrohung beinhalten (zum Beispiel die Bewertung der eigenen Person). (Vormbrock, 1980, S. 59)
Wird demnach eine Stressstimulusbedingung als subjektiv gefährlich und bedrohend bewertet, entsteht eine Angstreaktion (vgl. Vormbrock, 1983, S. 27), der sich der Betroffene durch Einschätzen der Bewältigungsmöglichkeiten in einer sekundären Bewertung entziehen möchte (vgl. Semmer, 1999, S. 747). An Hand dessen wird ein weiterer Unterschied zwischen den Emotionen Angst und Stress deutlich: „Der Begriff Stress … bezeichnet Formen emotionalen Reagierens, die zeitlich länger erstreckt sind als die Emotionen Angst und Furcht.“ (Krohne & Hock, 1994, S. 13)
2.2.3 Angst - Ängstlichkeit
„Ein in diesem Zusammenhang häufig diskutiertes begriffliches Modell ist die auf Spielberger (1975) zurückgehende Unterscheidung zwischen Zustands- (state) und Eigenschafts-(trait) Angst“ (Floßdorf, 1999, S. 35), für die in der psychologischen Fachliteratur die Synonyme Angst und Ängstlichkeit gebräuchlich sind (vgl. Gabler, 2003a, S. 26, Kent, 2002, S. 25f., Lazarus-Mainka & Siebeneick, 2000, S. 15, Schnabel, 1993, S. 59f.). Beachtlich ist hierbei, dass bereits mit dem Beginn der wissenschaftlichen Erforschung der Angst in den ersten Arbeiten Freuds (1893, 1895) (vgl. Krohne & Kohlmann, 1990, S. 504) eine „konzeptuelle Trennung von aktuellem emotionalen Zustand und der als zugrunde liegend gedachten Persönlichkeitsdisposition vorgezeichnet“ (Krohne & Kohlmann, 1990, S. 504) wurde. Der hierbei angesprochene „aktuelle emotionale Zustand“ (Krohne & Kohlmann, 1990, S. 504) wird in den Folgejahren „definiert als intraindividuell veränderlicher emotionaler Zustand einer Person, der durch Bedrohungs-, Spannungs- und Besorgnisgefühle beschrieben werden kann und mit einer Aktivierung des Organismus verbunden ist“ (Schwenkmezger & Hackfort, 1982, S. 372). Diese „aktuelle Angstemotion wird dabei als zeitlich relativ kurzgestreckter Zustand verstanden“ (Krohne & Hock, 1994, S. 11). Die zugrunde liegende Persönlichkeitsdisposition hingegen (vgl. Krohne & Kohlmann, 1990, S. 504) „wird definiert als erlernte, intraindividuell stabile Disposition eines Individuums, Reize aus der Umgebung als bedrohlich zu erleben und je nach ihrem Ausprägungsgrad auf bedrohliche Reize mit einem unterschiedlichen Ausmaß an Zustandsangst zu reagieren“ (Schwenkmezger &
Hackfort, 1982, S. 372). „Ängstlichkeit als Eigenschaft verweist damit auch auf die Häufigkeit, mit der eine Person in der Vergangenheit Angst erlebt hat“ (Cattel & Scheier, 1961, Spielberger, 1972, zit. nach Lazarus-Mainka & Siebeneick, 2000, S. 15) und darauf, dass sie, Situationen überdauernd, zeitlich stabil ist (vgl. Schwarzer, 1983, S. 149). Darüber hinaus betonen Hackfort & Nitsch (1989a, S. 15f.) „im Hinblick auf eine mit Angst verbundene Situationsdefinition …, daß erst in Verbindung bzw. das In-Beziehung-Setzen von Kompetenz [Aspekt der Bewältigbarkeit] und Valenz [Aspekt der Bedeutung] das Entstehen von Angst erklärlich macht“. „In dem angedeuteten Konzept wird ,Ängstlichkeit’ als eine personale Komponente in einer spezifischen Umwelt-Aufgabe-Konstellation verstanden“ (Schack, 1997, S. 7), die [gemeint ist die Umwelt-Aufgabe-Konstellation] dabei dem Angstpotential gleichgesetzt wird (vgl. Schack, 1997, S.
7). Erst durch die Komponenten des personalen Faktors Ängstlichkeit im Wechselverhältnis mit den Komponenten der Beziehungskonstellation Angstpotential, entwickelt sich Zustandsangst (vgl. Hackfort & Nitsch, 1989a, S. 20). Kürzer, aber dennoch den Kern der Aussage nach Hackfort und Nitsch treffend, formulierte Schnabel (1993, S. 59) hierzu: „Ängstlichkeit als Persönlichkeitsdimension kennzeichnet einen Erlebens- und Reaktionstyp, der bereits bei geringen und objektiv harmlosen Anlässen überhöhte Angst produziert.“ Zusammenfassend kann man also sagen, dass „der Begriff ,Angst haben’ einen aktuellen Zustand beschreibt“ (Lazarus-Mainka & Siebeneick, 2000, S. 16), während Ängstlichkeit als eine Persönlichkeitseigenschaft definiert werden kann, „die einem Individuum zugewiesen wird, das in vielen Situationen mit Angst reagiert“ (Lazarus-Mainka & Siebeneick, 2000, S. 16).
Die Aussagen von Cattel und Scheier (1961) als auch von Spielberger (1972), Ängstlichkeit als einen Hinweis auf die Häufigkeit zu sehen, mit der eine Person in der Vergangenheit Angst erlebt hat (vgl. Lazarus-Mainka & Siebeneick, 2000, S. 15) deuten im weitesten Sinne darauf hin, dass Angst erlernt werden kann (vgl. Baumann, 2006, S. 238f., Izard, 1999, S. 420). Unter diesem Gesichtspunkt muss daher geklärt werden, welche Auswirkungen der Sozialisationsprozess auf die Entstehung von Angst hat und welche theoretischen Konstrukte zur Klärung der Angstgenese herangezogen werden können.
3 Angstentstehung
3.1 Antezedenzien im Sozialisationsprozess
„Sozialisation ist zu einem Alltagsbegriff geworden, mit dem umschrieben wird, wie Heranwachsende in die Gesellschaft integriert werden und dabei eine eigene Persönlichkeit ausbilden.“ (Grundmann, 2006, S. 9) Kennzeichnend hierfür, ist die unterschiedliche Betrachtung des Geschehens (vgl. Tillmann, 1997, S. 10f.):
In einem umfassenden Sinne wird der Begriff Sozialisation verwandt, um die soziale Integration von Individuen in der Gesellschaft, konkret: die soziale Bindung an Bezugsgruppen und Bezugspersonen und die Kultivierung sozialer Beziehungen zu umschreiben. In einem engeren Sinne wird thematisiert, wie Individuen zu sozialem Handeln befähigt und in die Lage versetzt werden, sich aktiv an der Gestaltung des Zusammenlebens zu beteiligen. Diese beiden groben Sichtweisen der Sozialisation werden in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen mit je unterschiedlicher Gewichtung erforscht. (Grundmann, 2006, S. 9)
Aus pädagogischer Perspektive ist Sozialisation „der Prozess der Vorbereitung auf eine Rolle in der Gesellschaft“ (Cronbach, 1963, S. 32). Die psychologische Perspektive betont hingegen die Entwicklung der Persönlichkeit: „Sozialisation wird als Prozess der Persönlichkeitsentwicklung in dialektischer Beziehung mit der gesellschaftlich vermittelten Umwelt aufgefasst.“ (Schmerl, 1978, S. 3) Demnach lässt sich die Entwicklung der Persönlichkeit bezeichnen als organisiertes Gefüge durch die Erfahrung auf der Lebensgrundlage, die der Mensch im Laufe seines Lebens gemacht hat (vgl. Hurrelmann, 1986, S. 14). Zu diesen Erfahrungen zählt nach Lersch (1964) auch die Begegnung mit der Angst in Verbindung mit dem Hineinwachsen in die Gesellschaft und insbesondere der Entwicklung der Persönlichkeit in der Familie und der Schule (vgl. Graumann & Pflesser, 1994a, S. 19). Die hierbei vorgenommene Differenzierung zwischen Familie und Schule basiert auf der von Cooley (1909) erstmals vorgenommenen Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Sozialisation (vgl. Gottschalch, 1999, S. 704), deren Einflüsse auf die Angstentstehung im Folgenden näher beschrieben werden.
3.1.1 Primäre Sozialisation
Primäre Sozialisationsinstanzen zeichnen sich dadurch aus, dass sich in ihnen vor allem Primärbeziehungen zu Eltern und Geschwistern etablieren (vgl. Grundmann, 2006, S. 97) und die Mitglieder relativ intim und in stark emotionalen Beziehungen zusammenleben (vgl. Gottschalch, 1999, S. 704). Eisenstadt (1966, S. 30) bezeichnet diese Gruppen und Beziehungen daher als „die ersten und fundamentalsten Sozialisations-Instanzen“. Von besonderer Bedeutung im Hinblick auf die Persönlichkeitsdisposition Ängstlichkeit erwiesen sich in der Phase der Primärsozialisation „die familiären Bedingungen, die geschlechtsspezifische Sozialisation und die Stellung in der Geschwisterreihe.“ (Hackfort & Schwenkmezger, 1980, S. 103)
3.1.1.1 Familiäre Bedingungen
Untersuchungen von Perry und Millimet (1977) bezüglich der Auswirkungen der familiären Bedingungen auf die Angst- bzw. Ängstlichkeitsentstehung von Familien mit niedrigängstlichen Kindern im Gegensatz zu Familien mit hochängstlichen Kindern ergaben, (vgl. Hackfort & Schwenkmezger, 1980, S. 103)
dass die Familien … von Niedrigängstlichen (NÄ) im Gegensatz zu Familien von HÄ gekennzeichnet waren durch
- Übereinstimmung darin, wie das Kind zu erziehen sei;
- eine harmonische Familienatmosphäre;
- Übereinstimmung in der Meinung, daß ein grundschulpflichtiges Kind gehorsam sein sollte;
- hohe Erwartungen der Eltern bei gleichzeitiger realistischer Erwartung der Kinder.
In Familien Hochängstlicher (HÄ)
- machten sich die Eltern große Sorgen darum [sic] wie andere Leute auf die Familie reagieren;
- glaubte das Kind, es käme besser mit der Mutter als mit dem Vater zurecht;
- zeigten Jungen unrealistisch hohe Erfolgserwartungen und Mädchen unrealistisch niedrige Erfolgserwartungen. (Hackfort & Schwenkmezger, 1980, S. 103f.)
Ausgehend von dieser deskriptiven Vorgehensweise zur Unterscheidung zwischen Familien mit hochängstlichen und Familien mit niedrigängstlichen Kindern sollen im Folgenden Ursachen der familiären Bedingungen hierzu erörtert werden:
„Zentral für die Entwicklung individueller Entwicklungsverläufe ist das Konzept der Bindung … zwischen Mutter und Kind“ (Krohne, 1996, S. 309), die weder ein Attribut allein der Mutter noch des Kindes ist, sondern als dyadische Einheit verstanden werden muss (vgl. Krohne, 1996, S. 309). In diesem Zusammenhang erscheinen zwei Bereiche von besonderer Bedeutsamkeit, „nämlich die eher automatische Entwicklung eines Bildes von der eigenen Person in Verbindung mit dem Bild über die wichtigste Beziehungsperson, was im Rahmen der Bindungstheorie erörtert wird, sowie die gezielte Anregung des Kindes durch einen bestimmten Erziehungsstil“ (Witte, 2006, S. 479). Bezüglich der Bindung zwischen Eltern und Kind, denn Witte (2006, S. 479) verweist in diesem Kontext darauf, dass „in letzter Zeit auch häufig Väter während der Elternzeit die Verantwortung übernehmen“, unterscheidet man „drei Bindungsstile: sicher, vermeidend, ängstlich-ambivalent.“ (Witte, 2006, S. 479) Im Hinblick auf das Thema dieser Arbeit scheint an dieser Stelle der ängstlich-ambivalente Bindungsstil von zentralem Interesse zu sein, so dass auf die exakte Ausführung der beiden anderen Stile verzichtet werden kann. In ihren Untersuchungen fanden Ainsworth, Blehar, Waters und Wall (1978, zit. nach Krohne, 1996, S. 309f.) heraus, dass bei ängstlich-ambivalenter Bindung die Mütter insgesamt inkonsistent und für das Kind wenig prädizierbar waren. Über dieses mütterliche Verhalten könnte auch die positive Assoziation zwischen der Ängstlichkeit der Mutter und des Kindes in der Untersuchung von Adams und Sarason (1963) erklärt werden. Die Untersuchungen „zur Beziehung zwischen Angst bei Kindern und ihren Eltern“ (Adams & Sarason, 1963, S. 71) erbrachten dabei folgendes Ergebnis:
Es zeigte sich: a) daß nur zwischen Mädchen und ihren Müttern durchgehend positive Korrelationen für alle vier Skalen [es wurde mit vier verschiedenen Angstskalen untersucht] vorlagen und b) daß sowohl für Jungen wie auch für Mädchen eine engere Beziehung der Angstwerte von Mutter und Kind als von Vater und Kind vorhanden war. (Adams & Sarason, 1963, S. 77)
Diesem ersten Einfluss auf die sozialisationsbezogene Antezedens der Angst, die in der frühen Kindheit relevant ist (vgl. Krohne, 1996, S. 311) und trotz ihres frühen und nur verhältnismäßig kurzzeitigen Interagierens von großer Bedeutung für den gesamten Sozialisationsprozess ist (vgl. Witte, 2006, S. 479), folgt im Anschluss der sich zum Teil daraus bedingende Einfluss des elterlichen Erziehungsstils, „wobei betont werden muß, daß der Übergang vom bindungsbezogenen [Verhalten] zum Erziehungsverhalten fließend ist“ (Krohne, 1996, S. 311).
Das erzieherische Ziel vieler Eltern ist, die Kinder zu selbstständigen, verantwortungsbewussten und leistungsbereiten Persönlichkeiten zu erziehen. Betrachtet man dabei das Vorgehen der Eltern, so lassen sich Erziehungsstile anhand von zwei Merkmalen unterscheiden:
1. dem Ausmaß an Lenkung und
2. dem Ausmaß an emotionaler Beziehung. (Witte, 2006, S. 480)
Eine Klassifikation der Erziehungsstile anhand der genannten Merkmale zeigt folgende Tabelle:
Tab. 1: Klassifikation von Erziehungsstilen anhand der Merkmale Lenkung und emotionale Beziehung (Witte, 2006, S. 480, überarbeitet durch den Verfasser)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Im Hinblick auf die Erziehungsstile mit Auswirkungen auf die Angst, kann man die Familien nach ihrer Zugehörigkeiten zu sozialen Schichten differenzieren (vgl. Phillips, 1962, S. 88ff.). „Während in der Mittelschicht eine affektiv-warme Beziehung vorherrscht, ist die Erziehungssituation in der Unterschicht eher indifferent.“ (Hackfort & Schwenkmezger, 1980, S. 105) Entsprechend den Untersuchungen von Perry und Millimet (1977) wird dies als Hinweis auf eine gesteigerte Neigung zur Ängstlichkeit gedeutet (vgl. Hackfort & Schwenkmezger, 1980, S. 103f.) und als Ursache dafür, dass Kinder aus niedrigem sozialem Milieu
eher anfällig sind als andere (vgl. Gärtner-Harnach, 1976, S. 124). „Die Angehörigen dieser Schicht praktizieren allem Anschein nach einen stark autoritären und repressiven Erziehungsstil, der sich vielfach in der Verwendung von Strafen äußert.“ (Boisen, 1975, S. 24) Gottschalch, Neumann-Schönwetter und Soukup (1972) sehen ähnliche Zusammenhänge gegeben und stellen einen kausalen Zusammenhang zwischen der sinkenden Berufsposition des Vaters bei gleichzeitigem Anstieg autoritärer Erziehung her (vgl. Hackfort & Schwenkmezger, 1980, S. 105). Kinder hingegen, „deren Väter akademische Berufe hatten, wiesen geringere Angstwerte auf, als diesbezüglich andere Kinder“ (Adams & Sarason, 1963, S. 77). Autoritäre Strukturen werden demnach im Arbeitsbereich so verinnerlicht, dass sie sich in der Familie reproduzieren und wie in der vorliegenden Karikatur äußern:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Pädagogische Strukturen der sozialen Unterschicht (Duhm, 1974, S. 59)
Beurteilt man den Erziehungsstil der Eltern nach der Dimension der Strenge, „d.h. die überdurchschnittlich starke Tendenz der Eltern, auf unerwünschtes Verhalten ihrer Kinder mit Strafe zu reagieren“ (Krohne, 1975a, S. 36), so zeigt sich, dass bei häufiger Anwendung dieser Erziehungsinstrumente eine permanente Angst vor der Autorität entsteht, „da diese Macht über die Bestrafungsmechanismen besitzt“ (Boisen, 1975, S. 21). Die Kinder stehen dabei unter dem ständigen Druck, die im Rahmen der Erziehung gesetzten Normen und Anforderungen zu erfüllen (vgl. Paulus, 1992, S. 33, Hülshoff, 2006, 66f.). Unter den hohen Ansprüchen der Eltern verkümmert dabei leicht das Selbstbewusstsein von Kindern und Ängste und Unsicherheiten machen sich breit (vgl. Paulus, 1992, S. 33). Zusätzlich wirkt sich die Antizipation negativer Verhaltenskonsequenzen auf viele Situationen elterlicher Erziehung aus, was wiederum zu einem erhöhten Grad allgemeiner Ängstlichkeit führt (vgl. Hackfort & Schwenkmezger, 1980, S. 106). Bei ihren Untersuchungen zur Auswirkung von Strafen auf die Angstentwicklung unterscheiden Perdue und Spielberger (1966, S. 70) nochmals bezüglich der zeitlichen Ausdehnung der Bestrafung. Sie kamen so zu dem Ergebnis, dass „Kinder, deren Eltern nach einer Bestrafung längere Zeit verärgert blieben, als Erwachsene zu größerer Ängstlichkeit tendieren als solche Kinder, deren Eltern das Erlebnis der Bestrafung nicht auf diese Weise verlängerten“ (Perdue & Spielberger, 1966, S. 70).
„Setzt man diese Ergebnisse mit der … Beobachtung in Beziehung, daß Eltern mit hohem Ausmaß an eigener Ängstlichkeit Kinder mit erhöhtem Angstgrad haben, so läßt sich vermuten, daß möglicherweise ängstliche Eltern vermehrt zu einem strengen Erziehungsstil neigen, was dann auf Seiten der Kinder ebenso zu einer Manifestation von Angst führt.“ (Hackfort & Schwenkmezger, 1980, S. 106)
Ungeachtet der Tatsache, dass sich die hier gemachten Ausführungen auf die allgemeine Ängstlichkeit bzw. Leistungsängstlichkeit beziehen, lassen sich dennoch einige Vermutungen in Beziehung zur sportbezogenen Ängstlichkeit anstellen (vgl. Hackfort & Schwenkmezger, 1980, S. 106). Im Sinne eines überbehütenden Erziehungsverhaltens bei ängstlichen Eltern (vgl. Hülshoff, 2006, S. 70, Paulus, 1992, S. 33) kann dies auch zu motorischen Einschränkungen führen, welche durch die veränderte Lebenswelt der Kinder mit ihren
Einschränkungen zusätzlich verstärkt wird und sich folglich im Zuge der mangelnden Bewegungserfahrungen und des Fehlens an motorischen Bewältigungsstrategien im Sportunterricht in Angst äußert (Brettschneider & Schierz, 1993, S. 5ff., Rolff & Zimmermann, 2001, S. 79ff.).
3.1.1.2 Geschlechtsspezifische Sozialisation
„Geschlecht und damit Geschlechtsidentität und Geschlechterverhältnisse werden im Ineinandergreifen von gesellschaftlichem … und individuellem Handeln gemacht.“ (Kugelmann, 2002, S. 14) Mead (1970) betont jedoch auch die kulturellen Einflüsse auf die geschlechtsspezifische Sozialisation (vgl. Hackfort & Schwenkmezger, 1980, S. 107).
Dies wird zum Beispiel deutlich, wenn man unsere Gesellschaft mit anderen Gesellschaften vergleicht, die im Gegensatz zu uns matriarchalisch organisiert sind. Bei den Tschambulis sind zum Beispiel die Männer von den Frauen wirtschaftlich abhängig, die Männer sind unterwürfig, sexuell passiv usw., während die Frauen sexuell aktiv und herrschend sind. (Mead, 1970, zit. nach Hackfort & Schwenkmezger, 1980, S. 107)
Unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen, individuellen oder kulturellen Einflüsse erscheinen Männlichkeit und Weiblichkeit im Prozess der Sozialisation „häufig einfach als natürliche, biologisch erklärbare Gegensätze, unabhängig davon, ob diese Auffassung objektiv zutrifft“ (Kugelmann, 2002, S. 14).
,Gender’ im Sinne eines sozial konstruierten Geschlechts entsteht durch Repräsentation einerseits - durch Gestik, Mimik, Habitus, die Art wie wir uns kleiden und darstellen - und Zuschreibungen andererseits - durch die Erwartungen die wir unserem sozialen Gegenüber entgegenbringen. Geschlecht haben wir nicht - wir tun es! (Kugelmann, 2002, S. 14)
Obwohl sich im letzten Jahrhundert vieles an den hierarchischen Geschlechterverhältnissen geändert hat, die formale und rechtliche Gleich-berechtigung ist in Europa und den USA spürbar vorangeschritten, ist die traditionelle Geschlechterhierarchie nach lange nicht gänzlich überwunden (vgl. Kugelmann, 2002, S. 13).
Teilhabe- und Entfaltungsmöglichkeiten von Mädchen und Frauen sind im alltäglichen Leben wie auch im Sport noch oft eingeschränkt und verursachen Diskriminierungen. So verdienen immer noch die Frauen im Schnitt weniger als die Männer in vergleichbaren Tätigkeiten, sind in Führungspositionen rar …, werden in Männerberufen belächelt. Frauen, die als Soldatinnen zur Bundeswehr gehen, werden nicht selten als ‚Flintenweiber’ betitelt, wogegen Männer mit Gewehr nach wie vor als Helden gelten. (Kugelmann, 2002, S. 13)
Im selben Kontext steht die „Draußen-Drinnen-Antithetik“ (Brenner, 1991, S. 11), nach der Männer und Jungen draußen, für alle sichtbar, auf öffentlichen Bühnen sind, während Frauen und Mädchen drinnen, versteckt in den eigenen vier Wänden, eher auf Privates reduziert sind. Die an diesen Normen orientierten Verhaltensweisen und Verhältnisse spiegeln sich dann in vielen Klischeelisten wieder (vgl. Bilden, 1991, S. 285, Kasten, 2003, S. 30, Klawe & Bürgermann, 1991, S. 67, Meckbach & Söderström, 2002, S. 37, Noak, 1991, S. 22, Promp, 1990, S. 88, Remplein, 1966, S. 542, Schmole, 1984, S. 36), von denen eine exemplarisch vorgestellt werden soll:
Tab. 2: Geschlechtsrollenstereotype (Kasten, 2003, S. 30)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Diese „klare Einteilung der Lebenswelt in ,männlich’ und ,weiblich’ spiegelt, als bewährte (Geschlechter-)Ordnung, Verlässlichkeit vor“ (Kugelmann, 2002, S. 14) und dient dem Individuum zur Entwicklung einer stabilen Ich-Identität (vgl. Klein, 1983, S. 320ff.). Die rollenspezifischen Verhaltensweisen, typisch männlich und typisch weiblich, werden dabei von den Eltern an die Kinder weitergegeben (vgl. Kasten, 2003, S. 71) und dies bereits zu einem Zeitpunkt, zu dem die Kinder „noch nicht in der Lage sind, zwischen den psychologischen Aspekten der Männlichkeit und der Weiblichkeit zu unterscheiden“ (Schmole, 1984, S. 26).
Trotzdem gehen Mütter und Väter mit ihrem männlichen Nachwuchs so um, als wäre er robuster und widerstandsfähiger als Mädchen, sie spielen mit ihm zum Beispiel die wilderen, grobmotorischeren Spiele. Geleitet vom Geschlechtsrollenstereotyp verhalten sie sich ihren Töchtern gegenüber so, als wären diese empfindlicher, zarter und zerbrechlicher. (Kasten, 2003, S. 71)
Dieses Verhalten drückt sich dann in der weiteren Entwicklung der Kinder in den Erwartungshaltungen der Eltern aus. So wird von einem richtigen Jungen erwartet, dass er nicht weint, sich wehrt, groß und stark ist und sich durchsetzt wenn es um sein Recht geht (vgl. Böhnisch & Winter, 1993, S. 48, Kasten, 2003, S. 38). „Jungen werden zum Beispiel ermuntert, [sic] keine Schwächen zu zeigen, hart zu sein gegen andere und sich … ; auch aggressives Verhalten wird bei ihm [sic] eher geduldet als bei Mädchen.“ (Kasten, 2003, S. 38) Hingegen werden Jungen, die Gefühle zeigen, von Gleichaltrigen „als ,Weichei’ oder ,Schwule’ bezeichnet“ (Kugelmann, 2002, S. 13). Dieser Druck, an den Aspekt des gesellschaftlichen Männlichkeitszwangs gebunden zu sein, beschreibt der Ausdruck des „Überlegenheitsimperativ“ (Kugelmann, 2002, S. 18). Ausgehend von diesen Anforderungen zeigt sich in den Untersuchungen von Schwenkmezger, Voigt und Müller (1979, S. 310) tatsächlich, dass Jungen geringer Ängstlich sind als Mädchen.
Tab. 3: Mittelwerte der Mittelwertsvergleiche zwischen Prüfungs- und
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
„Diese Ergebnisse können so interpretiert werden, daß Jungen ihre Angst besser zu kontrollieren gelernt haben als Mädchen, was mit der Erwartung an die Rolle ,Junge’ konform gehen würde.“ (Hackfort & Schwenkmezger, 1980, S. 108) Ebenso bezeichnend für die Rolle Junge sind die Ergebnisse der Untersuchung von Phillips (1962, S. 88ff.), der nachweisen konnte, dass die Werte der Jungen für die Angstleugnung deutlich höher liegen als die der Mädchen. Den Unterschied im Umgang mit der Angst zwischen Mädchen und Jungen sieht Anschlag (1992, S. 47) daher in der Gesprächsbereitschaft und der Bereitwilligkeit bei der Beantwortung der Fragen zum Thema Angst. Mehr als die Hälfte der Mädchen räumt ein, daß es ihnen schwerfällt [sic], ihre Angst zu zeigen. Dennoch möchten sie in der Mehrzahl über ihre Ängste reden. …. Sie [die Jungen] lehnen es aber bis auf wenige ab, darüber zu sprechen.
Im Hinblick auf die Möglichkeiten und Erfolgsaussichten der Angstbewältigung, stellt dieser Umstand eine besondere pädagogische Herausforderung dar, da das Eingestehen der Angst und die Möglichkeit Ängste offen äußern zu können am Beginn eines jeden erfolgreichen Bewältigungsansatzes stehen müssen (vgl. Edler-Köller, 1992, S. 23).
3.1.1.3 Geschwisterreihe
Neben den bereits genannten Einflüssen auf die Persönlichkeitsentwicklung während der Sozialisation wird der Heranwachsende zusätzlich von der Position beeinflusst, die er in der Geschwisterreihe einnimmt (vgl. Krohne & Hock, 1994, S. 4). Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen der Geschwister-konstellation und Persönlichkeitsmerkmalen zeigen jedoch „ein inkonsistentes Befundmuster.“ (Krohne, 1996, S. 306) Nach Krohne (1996, S. 306) ist diese häufig herangezogene Variable „für sich allein noch recht wenig aussagekräftig“ und die Ursache für das sich darstellende „inkonsistente Befundmuster“. „Berücksichtigt werden müssen noch die Verteilung des Geschlechts über diese Position (Toman, 1974), der Altersabstand der Geschwister, die Größe der Familie, das Alter der Eltern bei der Geburt des Kindes und die Schichtzugehörigkeit der Familie.“ (Krohne, 1996, S. 306) Zunächst lassen sich
jedoch interessante Zusammenhänge dennoch lediglich auf der Basis der Geschwisterreihe in Bezug zur Angst herausstellen (vgl. Krohne, 1996, S. 306): So fanden Berg, Butler und McGuire (1972) heraus, „daß es sich bei extrem schulängstlichen (schulphobischen) Kindern, verglichen mit diesbezüglich unauffälligen Schülern, um durchweg in der Geschwisterreihe Spätgeborene handelte“ (Krohne, 1975a, S. 37). „Auch Barret und Smith (1966) konnten nachweisen, daß spät geborene [sic] Jungen mehr Prüfungsängstlichkeit zeigten als ihre älteren Geschwister.“ (Krohne, 1996, S. 307) „Die Autoren führen diese, der Tendenz nach von Karabenick (1971) bestätigte, Beobachtung auf das höhere Alter insbesondere der Mutter bei der Geburt dieser Kinder zurück.“ (Krohne, 1975a, S. 38) Des Weiteren wird vermutet, dass die Stellung in der Geschwisterreihe und der elterliche Erziehungsstil bei der Angstentwicklung interagieren (vgl. Krohne, 1975a, S. 38). So fanden Herrmann, Stampf und Krohne (1971) … heraus, daß Erstgeborene mehr elterliche, speziell mütterliche, Strenge erfahren als Spätgeborene. Wenn man nun das bereits berichtete Ergebnis hinzufügt, daß Strenge der Eltern mit erhöhter Angst ihrer Kinder assoziiert ist, so ergibt sich zu dem Befund von Berg et al. ein Widerspruch. (Krohne, 1975a, S. 38)
Krohne (1975a, S. 38) nennt hierfür folgenden Zusammenhang: „Wenn Eltern generell zum Erziehungsstil der Strenge neigen, dann manifestieren ihre erstgeborenen Kinder ein erhöhtes Angstniveau, neigen Eltern jedoch generell zum Erziehungsstil der Unterstützung, dann sind es eher die Spätgeborenen, die verstärkt Angst zeigen.“ Dabei stellte sich bei allen genannten Untersuchungen heraus, dass die Größe der Familie, keinen Einfluss auf die Beziehung zwischen Angst und Geschwisterreihe hatte (vgl. Krohne, 1996, S. 307). Dennoch vermutet Krohne (1996, S. 306), dass „etwa der Faktor Größe in einer (räumlich vermutlich eher beengt wohnenden) Familie der Unterschicht viel kritischer“ sein dürfte, „als in einer wohlhabenden Familie“. „Ob sich die Stellung in der Geschwisterreihe oder die Art der Geschwisterreihe (zum Beispiel große Schwester zu kleiner Schwester, großer Bruder zu kleiner Schwester etc.) stärker auswirkt auf die Entwicklung sportbezogener Ängste, wurde bisher noch nicht untersucht.“
[...]
[1] Zur einfacheren Lesbarkeit wurden im Text lediglich männliche Formen in nicht diskriminierender Weise verwendet.
- Citation du texte
- Andreas Kranz (Auteur), 2007, Angst und Angstbewältigung im Sportunterricht der Grundschule, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94175
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