In der vorliegenden Arbeit "Verbrechensaufklärung im 87th Precinct: Ed McBains Serie von Polizeiromanen" setze ich mich mit der 87th Precinct-Reihe des Autors Ed McBain auseinander. In dieser Kriminalromanserie steht eine Gruppe von Polizisten des 87. Reviers in der imaginären Stadt Isola im Mittelpunkt. Neben ihrer ermittlerischen Arbeit wird auch das Privatleben der Polizisten eingehend behandelt. Da es sich um ein Werk handelt, das der Kriminalliteratur zuzuordnen ist, erscheint es sinnvoll, die Geschichte und die typischen Strukturmerkmale dieses Genres in Kapitel 2 zu erläutern, da McBain auf diese in den Romanen immer wieder Bezug nimmt und zudem Mitbegründer des sogenannten 'police procedurals' ist, einer Form der Kriminalliteratur, die sich aus der Tradition der 'hard-boiled school' entwickelte. Die besonderen Merkmale des 'police procedurals' werden in Kapitel 3 ebenfalls dargelegt. Das Hauptgewicht dieser Arbeit liegt auf der anschließenden Analyse der 87th Precinct-Reihe in Kapitel 3. Hierbei liegt das besondere Augenmerk auf den Strukturen der Romane, der Konzeption und Entwicklung der Protagonisten, der Darstellung der imaginären Stadt und der besonderen Chronologie innerhalb der Reihe.
Ausschlaggebend und motivierend für diese Untersuchung waren Gefallen an der Serie, sowie das Interesse an der Form des 'police procedurals' und dessen Stellenwert innerhalb der Kriminalliteratur. Des weiteren weckten das enorme Ausmaß der Serie von einundfünfzig Romanen innerhalb einer Zeitspanne von sechsundvierzig Jahren das Interesse. Innerhalb dieser Arbeit werde ich untersuchen, wie es dem Autor gelingt, das Interesse seiner Leser über einen so langen Zeitraum hinweg zu binden und die Gefahr der Wiederholung zu umgehen. Schwierigkeiten bereitet die Informationslage zum Thema Ed McBain, da sich trotz des enormen Umfangs seines schriftstellerischen Werks kaum Literaturkritiker damit befasst haben. Ob dieses fehlende Interesse seitens der Literaturkritik mit dem schriftstellerischen Niveau der Reihe in Verbindung gebracht werden kann, muss geklärt werden, besonders, da Kriminalliteratur im Allgemeinen und Serien von Kriminalromanen im Speziellen, von der Literaturkritik schnell dem Bereich der Trivialliteratur zugeordnet werden. Eine abschließende Betrachtung der Ergebnisse rundet diese Untersuchung ab.
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
2. Der Detektivroman
2.1. Die Geschichte des Detektiv-Genres
2.1.1. Edgar Allan Poe
2.1.2. Der klassische englische Detektivroman
2.1.2.1. Sir Arthur Conan Doyle
2.1.2.2. Agatha Christie
2.1.3. Die amerikanische 'hard-boiled school'
2.1.3.1. Dashiell Hammett
2.1.3.2. Raymond Chandler
2.1.3.3. 'Private Eye' als urbanisierter Westernheld
2.2. Merkmale des Detektivromans
2.2.1. Handlungsstruktur
2.2.2. Figuren
2.2.2.1. Figuren im klassischen Detektivroman
2.2.2.2. Figuren im amerikanischen Detektivroman
2.3. Wirkung und Bewertung des Genres Detektivliteratur
3. 'The Police procedural': Ed McBains 87th Precinct
3.1. Leben und Werk des Autors Ed McBain
3.2. Strukturen in den 87th Precinct-Romanen
3.2.1. Analyse des Romans Romance
3.3. Figuren in den 87th Precinct-Romanen
3.3.1. Steven Louis Carella
3.3.2. Meyer Meyer, Cotton Hawes, Bert Kling
3.3.3. Oliver Wendell Weeks
3.3.4. Die Verbrecher und ihre Verbrechen
3.3.5. Frauenfiguren
3.3.6. Die Öffentlichkeit
3.4. Isola – Die Darstellung der Stadt
3.5. Die Chronologie der 87th Precinct-Romane
4. Abschließende Betrachtung
5. Anhang
6. Bibliographie
1. Einführung
In der vorliegenden Arbeit "Verbrechensaufklärung im 87th Precinct: Ed McBains Serie von Polizeiromanen" setze ich mich mit der 87th Precinct-Reihe des Autors Ed McBain auseinander. In dieser Kriminalromanserie steht eine Gruppe von Polizisten des 87. Reviers in der imaginären Stadt Isola im Mittelpunkt. Neben ihrer ermittlerischen Arbeit wird auch das Privatleben der Polizisten eingehend behandelt. Da es sich um ein Werk handelt, das der Kriminalliteratur zuzuordnen ist, erscheint es sinnvoll, die Geschichte und die typischen Strukturmerkmale dieses Genres in Kapitel 2 zu erläutern, da McBain auf diese in den Romanen immer wieder Bezug nimmt und zudem Mitbegründer des sogenannten 'police procedurals' ist, einer Form der Kriminalliteratur, die sich aus der Tradition der 'hard-boiled school' entwickelte. Die besonderen Merkmale des 'police procedurals' werden in Kapitel 3 ebenfalls dargelegt. Das Hauptgewicht dieser Arbeit liegt auf der anschließenden Analyse der 87th Precinct-Reihe in Kapitel 3. Hierbei liegt das besondere Augenmerk auf den Strukturen der Romane, der Konzeption und Entwicklung der Protagonisten, der Darstellung der imaginären Stadt und der besonderen Chronologie innerhalb der Reihe.
Ausschlaggebend und motivierend für diese Untersuchung waren Gefallen an der Serie, sowie das Interesse an der Form des 'police procedurals' und dessen Stellenwert innerhalb der Kriminalliteratur. Des weiteren weckten das enorme Ausmaß der Serie von einundfünfzig Romanen innerhalb einer Zeitspanne von sechsundvierzig Jahren das Interesse. Innerhalb dieser Arbeit werde ich untersuchen, wie es dem Autor elingt, das Interesse seiner Leser über einen so langen Zeitraum hinweg zu binden und die Gefahr der Wiederholung zu umgehen. Schwierigkeiten bereitet die Informationslage zum Thema Ed McBain, da sich trotz des enormen Umfangs seines schriftstellerischen Werks kaum Literaturkritiker damit befasst haben. Ob dieses fehlende Interesse seitens der Literaturkritik mit dem schriftstellerischen Niveau der Reihe in Verbindung gebracht werden kann, muss geklärt werden, besonders, da Kriminalliteratur im Allgemeinen und Serien von Kriminalromanen im Speziellen, von der Literaturkritik schnell dem Bereich der Trivialliteratur zugeordnet werden. Eine abschließende Betrachtung der Ergebnisse rundet diese Untersuchung ab.
Aus den einundfünfzig bisher erschienen Romanen der 87th Precinct-Reihe wurde eine Auswahl von achtzehn Romanen getroffen, die in dieser Arbeit näher behandelt werden und die Grundlage der Untersuchungen darstellen. Um einen umfassenden Überblick über das Werk McBains und die literarische Entwicklung innerhalb der Reihe zu erlangen, wurden aus allen Jahrzehnten seit Erscheinen des ersten Romans exemplarisch einige Romane ausgewählt, wobei das Hauptgewicht auf den Romanen der Neunziger Jahre liegt. Das ist begründet in der Tatsache, dass die Verfügbarkeit einzelner Romane beschränkt ist, da zahlreiche Romane der Reihe nicht mehr verlegt werden und vor allem im Deutschland schwer zu bekommen sind. Lediglich die neueren Romane sind problemlos zu bekommen.
Für die nachfolgende Arbeit sind einige grundsätzliche Begriffsklärungen unerlässlich. Im Verlauf der Analyse verwende ich die Begriffe 'Kriminalliteratur' und 'Detektivliteratur' ohne damit eine Wertung jeglicher Art zu verbinden. Die Schwierigkeiten einer genauen Definition und Abgrenzung dieser Begriffe würden den Rahmen dieser Arbeit sprengen[1]. Des weiteren werde ich angesprochene Romane in die Kategorien 'klassischer Detektivroman' und 'moderner Detektivroman' einordnen. Dabei handelt es sich nicht um eine zeitlich-historische Einordnung, sondern um eine Kategorisierung bezüglich der im Roman vorherrschenden Handlungsstruktur. Dabei versteht man unter dem 'klassischen Detektivroman', den Roman in englischer Tradition, der sich um einen Meisterdetektiv dreht, der durch deduktive Fähigkeiten in der Lage ist, das vorliegende Rätsel zu lösen, während im 'modernen Detektivroman' das Hauptaugenmerk auf der realistischen Gestaltung liegt.
2. Der Detektivroman
2.1. Die Geschichte des Detektiv-Genres
Es ist allgemein anerkannt, dass die Geschichte des Detektiv-Genres im wesentlichen mit Edgar Allan Poe Kurzgeschichte "The Murders in the Rue Morgue" aus dem Jahr 1841 beginnt. Aus den Werken Poes zahlreicher Nachahmer entwickelten sich zwei Hauptströmungen innerhalb des Genres: der klassische englische Detektivroman und die sogenannte amerikanische 'hard-boiled-school'. Im folgenden werden die Hauptcharakteristika des Genres und seine historische Entwicklung aufgezeigt.
2.1.1. Edgar Allan Poe
Edgar Allan Poe (1809-1849) veröffentlichte 1841 in Graham´s Magazine seine Kurzgeschichte "The Murders in the Rue Morgue", die bis heute als eine der ersten und sicherlich als die einflussreichste Detektivgeschichte angesehen wird, auch wenn Poe selbst den Ausdruck 'detective' nicht verwendete, sondern seine Geschichte stattdessen als 'tale of ratiocination' bezeichnete. "Murders in the Rue Morgue" vereinte die meisten für die Detektivliteratur typischen Motive und Elemente, die vorher lediglich verstreut in den literarischen Vorgängern aufgetaucht waren.
Es geht in der Kurzgeschichte vordergründig um einen Mord, der in einem verschlossenen Raum begangen worden ist. Die Polizei scheint unfähig, den Fall zu lösen. Ein verschrobener Amateurdetektiv namens C. Auguste Dupin nimmt sich gemeinsam mit einem Freund, dem Erzähler der Geschichte, aus Neugier des Falles an. Er untersucht die Aussagen der Ohrenzeugen, die, obwohl sie allesamt Angehörige verschiedenster Nationen sind, die Wortfetzen und Schreie aus dem verschlossenen Raum nicht verstehen konnten, und sie jeweils einer anderen Sprache zugeordnet haben. Der Tatort wird gewaltsam geöffnet und man entdeckt die grausam verstümmelten Leichen der beiden Mordopfer. Den Schaulustigen wie auch dem Leser kommen nun Gedanken an eine überirdische Macht. Doch Dupin arbeitet nach dem Motto: Wenn alles Unmögliche eliminiert ist, bleibt allein die richtige Lösung übrig. So kommt er zu dem Schluss, dass das Fenster nicht wirklich verriegelt gewesen sein kann, was durch seine weiteren Untersuchungen bestätigt wird. Aus der Tatsache, dass jeder der Anwesenden glaubt, eine andere Sprache gehört zu haben, zieht er die Schlussfolgerung, dass es sich schlicht und einfach nicht um eine menschliche Sprache gehandelt haben kann. Letztlich löst Dupin den Fall aufgrund seiner überlegenen geistigen Fähigkeiten, wobei er physisch fast völlig unbeweglich bleibt. Er klärt das scheinbar Unmögliche und Geheimnisvolle, den Mord in einem geschlossenen Raum, die mysteriösen Stimmen, durch rationale Überlegungen auf. Genau hier ist Poe der Innovator. Das Verbrechen wird als ein pures, kompliziertes Rätsel dargestellt und die Konstruktion des Mordes ist völlig unwahrscheinlich. Seelische oder gesellschaftliche Probleme seiner Zeit finden keine Berücksichtigung. Diese absolute Realitätsferne und Absurdität des Rätsels, der Täter ist ein Orang Utan, dient lediglich der Überhöhung der intellektuellen Fähigkeiten des Detektivs. Dupin ist ein weltfremder Einsiedler mit seltsamen Gewohnheiten, über dessen Privatleben so gut wie nichts bekannt ist und der durch sein methodisches Vorgehen bei der Lösung eines abstrakten Rätsels die realitätsnah arbeitende Polizei in den Schatten stellt. Dupin erscheint stellenweise als seelenlose Denkmaschine.
Dupin verheimlicht die Ergebnisse seiner Überlegungen und Nachforschungen im Laufe der Geschichte seinem Freund, dem Erzähler, und somit auch dem Leser. Der Erzähler hat bei dieser Form der Detektiverzählung zwei wichtige Funktionen: Erstens nimmt er durch seine erstaunten Reaktionen auf die Ausführungen des Detektivs die Reaktionen des Lesers vorweg und unterstreicht so die Bewunderung für die intellektuellen Fähigkeiten seines Freundes. Zweitens verringert der Ich-Erzähler den Abstand zwischen Detektiv und Leser. Dadurch, dass der Leser in der Regel kurz vor dem Erzähler die Lösung des Rätsels errät, wird er in seinem Selbstbewusstsein gestärkt, schlauer zu sein als Dupins Freund und Mitstreiter.
Geistesgeschichtlich betrachtet gehört "Murders in the Rue Morgue" dem Fortschrittsgedanken des 19. Jahrhunderts an, dem
religiös und wissenschaftlich begründeten Glauben an die Vervollkommnungsmöglichkeit des menschlichen Geistes. Nicht umsonst wählte Poe für die erste Erzählung ein Motto von Sir Thomas Browne, der im 17. Jahrhundert ein Vertreter der 'via media' zwischen Glauben und Wissen war[2].
Dieses Motto und die anschließende einführende, essayhafte Passage über die Kraft des Geistes, sind wesentliche Merkmale der Geschichte. Das Zitat Brownes "What song the Syrens sang, or what name Achilles assumed when he hid himself among women, although puzzling questions, are not beyond all conjecture"[3] sagt aus, dass der menschliche Geist durchaus fähig ist, alle Rätsel zu lösen, die der menschliche Geist selbst geschaffen hat. Die Frage nach Schuld, Sühne und gesellschaftlicher Normenverletzung wird in den Dupin-Erzählungen nicht gestellt. Der Detektiv handelt außerhalb der gesellschaftlichen Moral und lebt am Rande der Gesellschaft.
Auf das Motto folgt ein pseudowissenschaftlicher Essay, in dem Poe seine Thesen von der Kraft des Geistes ausführt. Erst danach beginnt die eigentliche Handlung der Geschichte, die jedoch nur dazu dient, die aufgestellten Thesen durch die dargestellten Fähigkeiten des Detektivs zu beweisen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Poe mit "Murders in the Rue Morgue" einen Grundstein für alle folgenden Detektiverzählungen legte, und sich bereits in dieser Geschichte alle wesentlichen Merkmale des Genres wiederfinden: Ein suggestiver Titel, Mord als zentrales Thema, das Geheimnisvolle wird rational erklärt, die Polizei ist der zu lösenden Aufgabe nicht gewachsen, das Geheimnis des verschlossenen Raumes ('locked room puzzle'[4]), Suggestion durch sprechende Namen, falsche Fährten ('red herrings'[5]), der am meisten Verdächtige ist vollkommen unschuldig, scheinbar nicht zusammengehörende Personen sind am Tatort vereint, die Benutzung von Dokumenten und die abschließende Aufklärungssszene unterteilt in Enthüllung und Erklärung. Das Muster des Genres für die Zukunft war hiermit gegeben.
Genau dieses Muster griff Poe selbst in den beiden nachfolgenden Dupin-Geschichten "The Mystery of Marie Rogêt" (1842/43) und "The Purloined Letter" (1844) wieder auf, welche er ausdrücklich als Fortsetzung seiner Erzählung "Murders in the Rue Morgue" ansah und Dupin somit zum ersten einer langen Reihe von Serienhelden in der Detektivliteratur machte. Besonders letztere ist zu beachten. In "The Purloined Letter" weicht Poe vom Schema des Mordes als zentrales Thema ab. Das Verbrechen, der Diebstahl eines prekären Briefes, und der Täter sind von Anfang an bekannt. Trotzdem gelingt es Poe, den Leser zu fesseln. Eher langweilige, aber für den Verlauf der Handlung notwendige Passagen werden gekonnt in unterhaltsame Dialoge verpackt, wie zum Beispiel die ausführliche Schilderung der Untersuchungsmethoden der Polizei. Die lange Konversation bezüglich der angewandten Untersuchungsmethoden der Polizei auf der Suche nach dem entwendeten Brief findet fast ausschließlich zwischen dem Polizeipräfekten und dem Ich-Erzähler statt, Dupin meldet sich kaum zu Wort und der Leser bekommt beinahe den Eindruck, Dupin höre den beiden gar nicht zu. So erfüllt die Unterhaltung einen doppelten Zweck: Sie teilt dem Leser mit, was bereits vergeblich unternommen wurde, um das Rätsel zu lösen, und spiegelt gleichzeitig Dupins Überlegenheit wieder, da er offensichtlich bereits zu diesem Zeitpunkt eine Spur zur Lösung des Rätsels zu haben scheint, denn sonst würde er den Ausführungen des Präfekten mehr Aufmerksamkeit schenken.
Dupin liefert sich stattdessen ein deduktives Katz-und-Maus-Spiel mit seinem Gegenspieler Minister D., in dem Dupin am Ende triumphiert und der Leser die Genugtuung empfinden darf, dass der unsympathische Minister D. am Ende besiegt wird. In dieser Geschichte finden sich zudem weitere Merkmale des Genres, die in den beiden vorangegangenen Dupin-Erzählungen noch fehlten. Erstens hat sich der Außenseiter Dupin zu einem Mitglied der feinen Gesellschaft gewandelt, Buchloh und Becker bezeichnen ihn gar als "Salonlöwen"[6]. Er hilft nun den oberen Zehntausend ihr vornehmes, ungestörtes Zusammenleben zu erhalten. Das Verbrechen ist nicht mehr brutal und dunkel, sondern verwandelt sich in ein Intrigenspiel der besseren Gesellschaft. Zweitens behandelt "The Purloined Letter" das in der Kriminalliteratur gern benutzte Prinzip des 'obvious hiding place', des offenen Versteckens, das besagt, dass man einen Gegenstand am besten in aller Öffentlichkeit verbergen kann. Des weiteren deutet Poe in dieser Geschichte bereits an, was in der Nachfolgeliteratur zur Gesetzmäßigkeit wurde: Der Detektiv und sein großer Gegenspieler müssen sich ähnlich sein und müssen über beinahe die selben Fähigkeiten verfügen, ansonsten würde das Spiel der beiden an Spannung verlieren. Dupin und Minister D. sind sich sehr ähnlich und haben eine gemeinsame Vergangenheit, "D., at Vienna once, did me an evil turn, which I told him, quite good-humoredly, that I should remember"[7], die ihrer Interaktion einen besonderen Reiz verleiht. Buchloh und Becker sehen in "The Purloined Letter" den "Prototyp für die humorvolle und spannende Detektivgeschichte als Gesellschaftskomödie"[8], wie sie später von Autoren wie Sir Arthur Conan Doyle, Agatha Christie und Dorothy Sayers perfektioniert wurde.
2.1.2. Der klassische englische Detektivroman
Der klassische, reine Detektivroman, den Dorothy Sayers als 'the crossword puzzle type' bezeichnete, entwickelte sich als direkter Nachfolger der Detektivgeschichten von Edgar Allan Poe, dessen bekanntester Vertreter Sir Arthur Conan Doyles (1859-1930) Sherlock Holmes sein dürfte. Dieser Typ von Detektivroman, ironischerweise in der Regel von britischen Autoren verfasst und in Großbritannien angesiedelt, obwohl Poe als Begründer Amerikaner war, entwickelte schnell ein festes Schema: Zu Beginn ist grundsätzlich ein Mord geschehen und der Detektiv nimmt innerhalb eines kleinen Kreises von Verdächtigen seine Ermittlungen auf. Die sehr sorgfältig ausgewählten Verdächtigen repräsentieren eine typisierte Gesellschaft und befinden sich an einem von der realen Welt isolierten Ort, wie zum Beispiel einem einsamen Landhaus, einem elitären College oder einem exklusiven Londoner Club. Die reale Welt wird auf einen stereotypen Ort reduziert. Agatha Christie (1890-1976) isolierte ihre Gruppe der Verdächtigen oft ebenfalls völlig von der Außenwelt, in dem sie ihre Romane in Flugzeugen (Death in the Air) oder Zügen (Murder on the Orient Express) ansiedelte. Die dargestellte heile Welt wird durch den geschehenen Mord verfremdet. Des weiteren haben alle Verdächtigen Alibis für die Tatzeit und die Aufgabe des Detektivs besteht in der Hauptsache darin, diese Alibis zu überprüfen. Letztendlich ist der Detektiv dem Mörder überlegen, da es ihm gelingt, dessen vom Autor kunstvoll arrangiertes Alibi aufgrund seiner überlegenen intellektuellen Fähigkeiten als falsch zu entlarven. Für den Leser wird die Geschichte durch zahlreiche falsche Fährten, 'red herrings', spannender. Durch die Verwendung von Skizzen, Fahrplänen und Dokumenten wird Realität suggeriert, obwohl der Mord an sich vollkommen realitätsfern ist. Im klassischen Detektivroman ist der Mord ein kunstvoll inszenierter Akt, der nicht moralisch hinterfragt, sondern ästhetisch betrachtet wird.
Es entwickelten sich schnell schablonenhafte Konventionen für die handwerkliche Fertigung von Detektivromanen, wie zum Beispiel S.S. Van Dines Essay "Twenty Rules For Writing Detective Fiction", die es dem Schriftsteller ermöglichen sollten, das perfekte Verbrechen literarisch zu verwirklichen. Van Dines Regeln besagen zum Beispiel, dass Leser und Detektiv gleichwertige Möglichkeiten haben müssen, das Rätsel zu lösen, dass es keine Liebesgeschichte geben darf, dass der Detektiv selbst nicht der Täter sein darf und dass der Täter durch logische Schlussfolgerungen und nicht durch Zufälligkeiten oder unmotivierte Geständnisse entlarvt wird. Diese Regeln verdeutlichen klar den Rätselcharakter jener Romane, die den Leser vor allem durch die Auflösung des Geheimnisses durch den Detektiv, aber auch durch eigene Überlegungen bezüglich des Rätsels unterhalten sollten.
Seine Blütezeit, von Kritikern häufig als 'Golden Age of Detective Fiction' bezeichnet, hatte das Genre etwa zwischen 1914 und 1939, als die Zahl der verfügbaren Titel an Detektivliteratur erheblich anschwoll. Ein Grund hierfür war sicherlich, dass sich eine kleine Gruppe von Intellektuellen des bisher als trivial erachteten Genres annahmen und in ihren Werken einen neuen, festumrissenen Typ des Romans erschufen, der in seiner Form den bereits erwähnten Regeln und Konventionen folgte. Die meisten dieser Romane bieten Variationen des 'Great Detective'[9], der innerhalb des Werkes des Schriftstellers meist ein Serienheld ist. Der Detektiv hat stets gute Beziehungen zur Polizei und löst seine Fälle durch logisches Denken, Intuition oder wie Agatha Christies Miss Marple durch ihre Lebenserfahrung. Im Laufe der Zeit entwickelte sich der Held dieser Romane vom 'Great Detective' zum eher unauffälligen Durchschnittsmenschen mit nichts desto trotz brillantem Intellekt. Die bekanntesten Vertreter dieser Art der Detektiverzählung waren neben Ronald A. Knox, R. Austin Freeman, Gilbert Keith Chesterton und Jon Dickson Carr vor allem Sir Arthur Conan Doyle und Agatha Christie, auf die im Folgenden näher eingegangen wird.
2.1.2.1. Sir Arthur Conan Doyle (1859-1930)
Die Amerikaner weisen oft nicht ganz ohne Stolz darauf hin, dass Edgar Allan Poe mit seiner Figur des C. Auguste Dupin den Grundstein legte für die britische Tradition des klassischen Detektivs, des sogenannten 'armchair detective', der seine Fälle nur durch reine Detektion löst, ohne sich aus seiner Wohnung zu bewegen, von seinem Lehnstuhl aus also. Sherlock Holmes ist der bekannteste Vertreter der 'armchair detectives' und der wohl bekannteste Detektiv der Weltliteratur. Zudem ist er eine deutliche Imitation von Poes Dupin. Die Detektive arbeiten beide nach dem Prinzip, das bei Sherlock Holmes 'science of deduction' genannt wird: Wenn alle Denkunmöglichkeiten ausgeschlossen sind und eine einzige Denkmöglichkeit übrigbleibt, ist diese Möglichkeit auch die einzig faktenrichtige und wahre. Beide Figuren haben aristokratische Züge, beide besitzen eine überragende Intelligenz, beide sind Exzentriker und beide sind, wie Buchloh und Becker es ausdrücken, "Projektionen der geheimen Wünsche des Durchschnittslesers ihrer Epoche, sie bieten gewisse Möglichkeiten zur Identifikation und dadurch zu einer Ersatzbefriedigung"[10]. Auch der bewährte Erzähler als Distanzgeber zwischen Detektiv und Leser sowie die Verwendung von Zeitungsausschnitten tauchen sowohl bei Poe als auch bei Doyle auf.
Doch bei Doyle werden die von Poe geschaffenen Merkmale der Detektiverzählung in seinen vier Romanen und sechsundfünfzig Geschichten, geschrieben im Zeitraum von 1887 beginnend mit A Study in Scarlett bis 1927, derartig übersteigert, dass die Holmes-Geschichten dem Leser von heute beinahe schon wie eine Karikatur erscheinen, während die zeitgenössische Leserschaft tatsächlich des öfteren Fiktion und Wirklichkeit verwechselte. In seinen Romanen und Geschichten verfestigte Doyle die gerade etablierten Formeln und Regel der Detektivgeschichte, besonders das Element der dominierenden Figur des 'Great Detective' und seines treuen Helfers. Äußerliche und charakterliche Eigenheiten Holmes wurden durch ihre Überzeichnung zu charakteristischen Merkmalen des Stereotyps 'Meisterdetektiv' und wurden in der Nachfolgeliteratur oft zitiert und variiert. Ein typisches Merkmal Holmes ist seine scheinbare Gefühlskälte und Unfähigkeit zu näheren sozialen Kontakten, die schon bei Poes Dupin vorzufinden war und die sein Freund Watson kritisiert:
He was, I take it, the most perfect reasoning and observing machine that the world has seen, but as a lover he would have placed himself in a false position. He never spoke of the softer passions, save with a gibe and a sneer. [...] But for the trained reasoner to admit such intrusions into his own delicate and finely adjusted temperament was to introduce a distracting factor which might throw a doubt upon all his mental results[11].
Holmes ist nie an Gerechtigkeit oder menschlichen Schicksalen interessiert, sondern allein an der Natur des Falles. Er betreibt die Detektion als Kunst, die er um ihrer selbst Willen betreibt, ganz nach dem Motto des Ästhetizismus: 'art for art´s sake'. Deswegen nimmt er sich auch grundsätzlich nur Fällen an, die ihm etwas besonderes versprechen: "[...] for, working as he did rather for the love of his art than for acquirement of wealth, he refused to associate himself with any investigation which did not tend towards the unusual, and even the fantastic"[12] oder ihn vor der gefürchteten Langeweile bewahren: "'It saved me from ennui', he answered, yawning. 'Alas! I already feel it closing up to me. My life is spent in one long effort to escape from the commonplaces of existence. These little problems help me to do so.'"[13] Das Problem der Langeweile und Tatenlosigkeit versucht Holmes zu lösen, in dem er sich Kokain spritzt oder Opium raucht. Überhaupt ist Holmes nicht ohne Fehler, die ihn für den Leser etwas menschlicher und greifbarer machen. Er löst nicht alle seine Fälle, obwohl Watson über die ungelösten nicht berichtet, da diese auch niemand anders lösen konnte. Er zieht manchmal falsche Schlüsse, die ihn und Watson sogar in Lebensgefahr bringen, was den positiven Nebeneffekt hat, dass die Erzählungen spannender werden, und Holmes seine Fälle nicht grundsätzlich von seinem Wohnzimmer aus löst.
2.1.2.2. Agatha Christie (1891-1976)
1920 veröffentlichte die später als Agatha Christie berühmt gewordene Agatha Miller ihren ersten Roman The Mysterious Affair at Styles, deren Hauptfiguren Detektiv Hercule Poirot und Captain Hastings als Hommage an Sherlock Holmes gedacht waren. Doch anders als bei Doyle präsentierte Christie nicht mehr ein durchkonstruiertes Rätsel, dessen Elemente aus logischen Verknüpfungen bestehen, sondern viel mehr aus Intrigen, falschen Fährten und individuellem Fehlverhalten. Christies Romane beschäftigen sich schon etwas mehr als ihre Vorgänger mit der gesellschaftlichen Dimension des Verbrechens, ohne dass man sie als Gesellschaftsromane bezeichnen könnte. Die gesellschaftliche Dimension äußert sich viel mehr darin, dass das dargestellte Verbrechen und die notwendigen Ermittlungen sich auf eine geschlossene Gruppe konzentrieren, die als Abbild einer bestimmten sozialen Schicht fungiert. Der gesellschaftliche Hintergrund trägt jedoch Züge einer Kulisse und reflektiert nicht die Ideale eben jener sozialen Schicht.
Doch auch Hercule Poirot unterscheidet sich von seinen literarischen Vorbildern. Im Gegensatz zum großen, hager beschriebenen Holmes ist er eher klein, dicklich und wirkt gewöhnlich. Durch seine Gestelztheit und Eitelkeit wirkt er zudem eher komisch als seriös und intellektuell. Jedoch besitzt auch er den für das Genre typischen deduktiven Scharfsinn. Auch bei ihm begründet sich seine Motivation, sich der Lösung von Fällen anzunehmen, wie schon bei Holmes auf intellektuelle Langeweile.
Christies zweite berühmte Detektivfigur, Miss Jane Marple, tauchte erstmals 1930 in dem Roman Murder at the Vicarage auf. Auch sie, zumal sie eine Frau ist und allein schon dadurch dem Typ des 'Great Detective' widerspricht, erscheint wie Hercule Poirot eher durchschnittlich und gewöhnlich. Sie zeichnet sich nicht durch besondere deduktive Fähigkeiten aus, sondern vielmehr durch ihre beharrliche Neugier, ihre weibliche Intuition und einen gesunden Menschenverstand. Diese Talente ersetzen scheinbar mühelos die intellektuellen Talente von Auguste Dupin und Sherlock Holmes. Deduktion ist ihr zwar nicht vollkommen fremd, doch sie klärt ihre Fälle hauptsächlich mit Hilfe des Analogieverfahrens auf. Diesem Verfahren zufolge hat nichts, was in der Welt geschieht, nicht auch seine Entsprechung in Miss Marples kleinem Heimatort St. Mary Mead, hinter dessen biederer Fassade sich Betrügereien und Gewaltakte verbergen, deren Kenntnis Miss Marple die Möglichkeit des Vergleichs bietet.
In Christies Romanen spielt die Frage nach Schuld und Sühne bereits ein weitaus gewichtigere Rolle als bei ihren Vorgängern. Der Schuldige wird nicht eher notgedrungen der Gerechtigkeit zugeführt, sondern ausdrücklich. Auch zeigen Christies Romane bereits die Entwicklung vom in sich geschlossenen zum offenen
Weltbild, die parallel zum gesellschaftlichen Wandel und der Auflösung überkommener Werte nach dem ersten Weltkrieg läuft. Literarisch zeichnet sich diese Entwicklung schließlich im sogenannten 'hard-boiled'-Krimi ab, in dem aus dem unabhängigen Detektiv ein angestellter Fahnder wird, dessen Lebensumstände die neue gesellschaftliche Realität widerspiegeln und den Helden als amoralischen
Bestandteil einer amoralischen Umwelt darstellen. Hier wird aus dem reflektierenden Detektiv ein agierender, der statt mit deduktiver Logik die Fälle mit Gewalt löst.
2.1.3. Die amerikanische 'hard-boiled school'
Die Romane der sogenannten 'hard-boiled school' entstanden unter dem Einfluss der amerikanischen Prohibitionszeit der 20er und 30er Jahre, in der Gangsterbanden die Städte regierten und die Korruption sich durch Polizei und Politik zog. Dem Leser war die alltägliche Gewalt in den Städten bekannt, die er entweder am eigenen Leib erlebte oder über die er tagtäglich in den Zeitungen las. Namen von Verbrechern wie Al Capone oder John Dillinger waren allgemein geläufig und ihre blutrünstigen Gewalttaten ließen die Verbrechen in den Romanen der 'hard-boiled school' beinahe harmlos wirken. Dieser gesellschaftsgeschichtliche Hintergrund bildete die Grundlage für den Wunsch nach einem moralisch einwandfreien Helden in der Literatur, sprich, einem ehrlichen Helden in einer korrupten Gesellschaft.
'Hard-boiled' bedeutet ins Deutsche übersetzt soviel wie 'abgebrüht', 'hartgesotten', 'gerissen' und 'von hartem Realismus'. Genau diese Eigenschaften zeichneten die Romane und deren Helden der 'hard-boiled school' aus. Im Mittelpunkt der Erzählungen stand nun nicht mehr das Rätsel, sondern vielmehr die realistische Gestaltung der Gesellschaftsdarstellung. Diese Neuorientierung von der Rätselzentrierung zur realistischen Gestaltung brachte auch eine Abnahme der Produktion von Serien um einen 'Great Detective' mit sich, denn der übermenschliche Detektiv hatte nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Die realistischere Darstellung individualisierte den Detektiv zugleich und erschwerte somit die Serienproduktion, wie sie noch Doyle oder Christie betrieben hatten.
Die bekanntesten und angesehensten Vertreter dieser literarischen Strömung waren Dashiell Hammett und Raymond Chandler, die ihre Karriere zum großen Teil dem Black Mask Magazine verdanken: Ende des 18. Jahrhunderts waren die sogenannten 'dime novels', zweiunddreißigseitige Hefte über jeweils einen unbezwingbaren Serienhelden wie etwa Buffalo Bill, die Lieblingslektüre der Massen. Als sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Geschmack der Leserschaft änderte, reagierten die Verleger mit den sogenannten 'pulps', Hefte mit kleinerem Format, dafür größerem Umfang von bis zu zweihundertvierzig Seiten und einem neuen Konzept, das sich nicht mehr nur auf einen einzigen Serienhelden konzentrierte, sondern eine breitere, literarische Genre-Palette anbot, wie zum Beispiel auch den Krimi. Da die Herausgeber schriftstellerische Talente förderten, stieg auch das literarische Niveau gegenüber den 'dime novels' an. Zu den prominentesten 'pulp'-Autoren zählten Erle Stanely Gardner, Raymond Chandler und Dashiell Hammett, deren erste Kurzgeschichten und teilweise auch ihre später weltberühmten Romane zuerst im Black Mask Magazine erschienen, das 1919 von G. J. Nathan und H. L. Mencken gegründet wurde. Von 1926 bis 1936 übernahm Joseph T. Shaw das Magazin, der eine besondere Gabe zur Entdeckung und Förderung von Talenten besaß, und das Magazin berühmt und erfolgreich machte. Der große Erfolg beim Publikum ermöglichte Autoren wie Hammett und Chandler den Start zu ihrer schriftstellerischen Karriere.
2.1.3.1. Dashiell Hammett (1894-1961)
Dashiell Hammett war der einzige Autor von 'hard-boiled'-Detektivliteratur, der auf wirkliche Berufserfahrung als Privatdetektiv zurückblicken konnte, da er acht Jahre für die renommierte Pinkerton Agentur gearbeitet hatte, ehe ihn gesundheitliche Probleme zwangen, den Beruf aufzugeben und er sich dem Schreiben widmete. Hammetts literarisches Werk ist nicht sehr umfangreich und beschränkt sich auf zwischen 1924 und 1929 erschiene Kurzgeschichten und die Romane Red Harvest (1929), The Dain Curse (1929), The Maltese Falcon (1930), The Glass Key (1931) und The Thin Man (1934). Der von ihm entworfene 'tough guy', zunächst ein angestellter, namenloser Ermittler, ist kein Übermensch wie die 'Great Detectives' des klassischen englischen Detektivromans. Er wird beschrieben als ein Mann mittleren Alters mit eher dicklicher Statur, in seiner Tätigkeit als Detektiv jedoch ein eiskalter Profi, dem kaum Fehler unterlaufen. Er bleibt in allen Kurzgeschichten anonym und durchläuft keine Charakterentwicklung. In der Reihe der Kurzgeschichten wird er in verschiedene Milieus versetzt, in denen er sich bewähren muss. So muss er beispielsweise in „Corkscrew“ die Ordnung unter einer Gruppe von Cowboys wiederherstellen. Besonders hier wird die literarische Verwandtschaft des Detektivromanhelden amerikanischer Prägung mit dem Westernhelden deutlich, auf die im Folgenden noch näher eingegangen werden wird.
Der Roman Red Harvest (1929), in dem der namenlose Held in der Stadt Poisonville zwischen die Fronten rivalisierender Banden gerät, bedient sich der sogenannten 'violence-is-fun'-Technik und beinhaltet über 25 Tote. Der Roman kritisiert mit einem übersteigerten Maß an Gewalt die korrupten Zustände in den Städten der USA zur Zeit der Prohibition. Die Stadt mit dem suggestiven Namen Poisonville ist ein "Symbol für das zugrundegerichtete Amerika, für den Zusammenbruch des 'American Dream', den Zerfall des Kapitalismus"[14].
Der bekannteste Roman Hammetts ist ohne Zweifel The Maltese Falcon (1930), in dem er seinen berühmt gewordenen Detektiv Sam Spade zum Leben erweckt. In einer Sprache, die an seinen Zeitgenossen Hemingway erinnert, erteilt Hammett in diesem Roman dem klassischen englischen Detektivroman im Stil von Agatha Christie eine deutliche Absage. Die Suche nach dem Mörder von Spades Partner Miles Archer, welche im klassischen Detektivroman noch die zentrale Frage der ganzen Erzählung gewesen wäre, ist in The Maltese Falcon kaum noch von Bedeutung. Die Moral vom guten Detektiv und bösen Verbrecher lässt sich im amerikanischen Krimi nicht mehr anwenden. Sam Spade ist ein Mann ohne jegliche ritterliche Qualitäten, sondern zeichnet sich vielmehr durch den Nihilismus eines zynischen Großstadtmenschen aus. Er wird von Hammett als 'blonder Satan' beschrieben, der keine Waffe trägt und nie für Geld töten würde. Seinen Lohn macht er von der Zahlungsfähigkeit seiner Klienten abhängig und, obwohl er Frauen im Grunde misstraut, lässt er sich trotzdem immer wieder mit ihnen ein. Der Fokus des Romans richtet sich nicht mehr auf die geistige Stärke des Detektivs, sondern auf seinen Umgang mit den Verbrechern, deren Verbrechen kein abgeschlossener Akt ist, sondern ein dynamischer Prozess, der im Verlauf der Erzählung weitergeführt wird. Die Arbeit des Detektivs findet zum großen Teil auf der Straße statt, anstatt in einem Arbeitszimmer oder Labor, und besteht im wesentlichen aus dem Sammeln von Fakten und der Überwachung und Befragung von Verdächtigen. Er ist vertraut mit Verbrechen aller Art und hat breitgefächerte Kontakte bis in die Unterwelt, die ihm bei seiner Arbeit helfen. Die Stärke des Detektivs liegt vor allem darin, dass er die Wichtigkeit der einzelnen gesammelten Informationen richtig einzuschätzen weiß und in der Lage ist, die Fehler und Schwächen seiner Gegner für sich und seine Zwecke auszunutzen. Dabei bleibt dem Leser die Motivation des Detektivs und auch der Verdächtigen oft völlig verborgen, da alle Figuren fast ausnahmslos wortkarge Stoiker oder Lügner sind. In The Maltese Falcon sorgt zudem die Methode der Charakterzeichnung durch irreführende Bilder und Assoziationen beim Leser für Verwirrung. Hammett gibt allen Figuren ein Äußeres, das nicht zu ihrer eigentlichen Natur passt. So zeichnet sich der als verweichlicht und weibisch beschriebene Joel Cairo im Verlauf der Geschichte besonders durch seine Zähigkeit aus. Der junge Wilmer mit dem Babygesicht entpuppt sich als sadistischer Revolverheld und der harmlos und liebenswürdig auftretende Casper Gutman ist eigentlich der scharfsinnige, kaltblütige Kopf, der hinter dem ganzen Rätsel steckt. Besonders deutlich wird diese Methode bei der Figur der Brigid O´Shaunessy: sie wird scheu und weltfremd beschrieben und errötet bei jeder sich bietenden Gelegenheit verschüchtert, doch am Ende des Romans stellt es sich heraus, dass sie die durchtriebenste und böseste aller auftretenden Figuren ist. Sie lügt, betrügt und verrät alles und jeden, um ihr Ziel zu erreichen. Während der gesamten Erzählung bleibt der Leser im Unklaren darüber, was Sam Spade in dieser verworrenen Geschichte antreibt, doch letztendlich wird deutlich, dass er die einzig integere und moralisch handelnde Figur ist.
2.1.3.2. Raymond Chandler (1888-1959)
Raymond Chandler ist neben Dashiell Hammett der bekannteste Vertreter der amerikanischen 'hard-boiled'-Kriminalliteratur und begann seines schriftstellerische Karriere wie Hammett auch bei dem Black Mask Magazine, nachdem er jahrelang erfolgreich in der Ölbranche tätig gewesen war. Seine erste Erzählung "Blackmailers Don´t Shoot" erschien 1933 im Black Mask Magazine, der noch etwa zwanzig weitere Erzählung folgten, ehe er 1939 seinen ersten Roman The Big Sleep veröffentlichte. Es folgten noch sechs weitere Romane, von denen Farewell My Lovely (1940), The Lady in the Lake (1943) und The Long Good-Bye (1953) zu den bekanntesten zählen dürften. Chandler lebte 40 Jahre seines Lebens in Los Angeles, das durch die ausführlichen Schilderungen in seinen Romanen untrennbar mit dem amerikanischen Detektivroman verbunden zu sein scheint. Wie bei Hammett, den er sehr bewunderte, sind auch seine Romane und Erzählungen in wesentlichen Punkten von der Detektivliteratur seiner Zeit verschieden. Chandler empfand die klassische, englische Detektivliteratur seiner Zeit als langweilig und unrealistisch und grenzt sich, und vor allem Dashiell Hammett, von dieser Gruppe von Kriminalautoren ab:
Hammett gab den Mord den Leuten zurück, die Grund haben zu morden, und nicht nur da sind, um eine Leiche zu beschaffen, Leuten, die die Mittel zum Mord in der Hand haben und nicht mit handgeschmiedeten Duellpistolen, mit Curare und tropischen Fischen morden. Er brachte diese Leute so zu Papier, wie sie waren, und ließ sie in einer Sprache reden und denken, die sie kannten[15].
Chandlers Detektivromane zeigen ebenfalls bereits eine deutliche Entwicklung zum Realismus hin, obwohl Chandler seinen Detektiv noch sehr integer und ritterlich erscheinen lässt. Es handelt sich allerdings auch bei ihm nicht mehr um formale 'crossword puzzle'-Romane mit unnatürlich scharfsinnig anmutenden Ermittlern, sondern sie handeln von 'realen' Detektiven in einer 'realen' Welt. Während im klassischen englischen Detektivroman die Gesellschaft als 'heile Welt' dargestellt wird, von der sich das Verbrechen als Ausnahme abhebt, ist das Verbrechen in Chandlers Romanen als Spiegel der Gesellschaft zu verstehen. Somit ändert sich das Verhältnis zwischen Mördern und Ermordeten, die nun nicht mehr klar in Schuldige und Unschuldige einzuteilen sind, sondern vielmehr als Sieger und Verlierer im Konkurrenzkampf der Gesellschaft erscheinen. Dementsprechend ist der Detektiv kein distanziert reflektierender Ermittler, sondern aktiv nach der Lösung suchend in das Verbrechen verwickelt. Die Bemühungen von Chandlers Detektiv sind dabei im gezeigten gesellschaftlichen Rahmen vergeblich. Er hat keine Chance gegenüber dem organisierten Verbrechen und den von Verbrechern geleiteten staatlichen und kommerziellen Institutionen. Das Verbrechen erscheint in Ansätzen bereits als Symptom des sittlichen Verfalls der Gesellschaft.
Chandlers Held ist meist unbewaffnet, Chandler stilisierte vielmehr die Sprache zur Waffe und lässt seinen Detektiv kurze, scharfe Rededuelle und exakte Dialoge führen, die den Leser mindestens genauso adäquat unterhalten, wie Schießereien. In seinem Essay "The Simple Art of Murder" (1950) beschreibt und charakterisiert Chandler seinen Detektiv sehr genau:
Der Detektiv in Geschichten dieser Art muss solch ein Mann sein. Er muss, um eine recht abgegriffene Phrase zu gebrauchen, ein Mann von Ehre, ein Mann mit Instinkt, ein Mann des Unvermeidlichen sein, ohne daran zu denken und ganz gewiss, ohne darüber zu sprechen. Er muss der beste Mann dieser Welt und ein guter Mann für jede Welt sein. Sein privates Leben interessiert mich wenig. Er ist weder Eunuche noch ein Satyr. Ich glaube, dass er eine Herzogin verführen würde, aber ich bin völlig überzeugt, dass er keinem unschuldigen Mädchen zu nahe tritt. Wenn er ein Ehrenmann in einer Sache ist, ist er es in allem.[16]
Das beschriebene Ideal-Bild des Detektivs kontrastiert scharf mit der dargestellten Gesellschaft, in der er sich bewegt, und die von Korruption und Verrat bestimmt ist. Chandler zufolge ist sein Detektiv eine Art letzte moralische Instanz, dessen Motivation im Grunde die Suche nach der Wahrheit ist. Chandler selbst beschreibt es wie folgt:
Die Geschichte schildert die Abenteuer dieses Mannes auf der Suche nach der verborgenen Wahrheit, und es wäre kein Abenteuer, wenn Sie nicht einem Mann begegneten, der für Abenteuer geschaffen ist. Er hat eine Reichweite des Bewusstseins, die überrascht, aber sie steht ihm rechtmäßig zu, weil sie zu der Welt gehört, in der er lebt. Wenn es seinesgleichen genügend gäbe, wäre diese Welt meiner Ansicht nach ein Ort, an dem man sicher leben könnte, und sie wäre trotzdem nicht so langweilig, dass es sich nicht darin zu leben lohnte.[17]
Dass es in seinen Romanen nicht langweilig wird, erzielt Chandler vor allem dadurch, dass der Leser die Aktionen und Überlegungen des Detektivs nachvollziehen kann. Seine Romane werden entweder von dem Detektiv als Ich-Erzähler oder aus der Perspektive des Detektivs erzählt. Auf diese Weise fällt die Distanz zwischen Leser und Detektiv, die im klassischen Detektivroman noch notwendig war, um einen Unterhaltungseffekt zu erzielen, nun aus eben jenem Grund, der Unterhaltung, weg. Der Leser weiß immer genauso viel wie der Detektiv und sucht gemeinsam mit ihm nach der Lösung des Rätsels. Des weiteren zeichnet eine unterhaltsame Selbstironie die Werke Chandlers aus. Sein Held, Philip Marlowe, hat melodramatische, romantische Untertöne und erscheint ganz und gar als edler Ritter in korrupter Zeit, was eine Identifikation des Lesers mit dem Helden vereinfachte.
In Diskussionen über die Literatur dieser Zeit wurde oft die Frage gestellt, ob die Kriminalromane der 'hard-boiled school' überhaupt im Zusammenhang mit Detektiverzählungen betrachtet werden können, da zur gleichen Zeit Schriftsteller wie Ernest Hemingway, William Faulkner oder John Steinbeck die Thematik der Behandlung des Außenseiters durch die Gesellschaft in ihren Romanen behandelten und diese sich kaum von den Romanen von Hammett und Chandler unterscheiden, einzig vielleicht in dem Beruf der Hauptfigur, die bei Hammett und Chandler eben zufällig Detektiv ist. Auch wenn diese Diskussion berechtigt scheint, zeigt sich doch, dass Hammett und Chandler mit ihren Romanen nachfolgende Autoren von Kriminalliteratur deutlich beeinflusst haben und deswegen sehr wohl zur Kriminalliteratur zu zählen sind. Hammett und Chandler beeinflussten vor allem zwei Gruppen von Autoren: erstens die Autoren, die sich der 'violence-is-fun'-Technik bedienten und meistens nur auf grobe Unterhaltungseffekte durch die Darstellung von exzessiver Gewalt zielten, wie zum Beispiel Mickey Spillane, Carter Brown oder James Hadley Chase, zweitens die Gruppe von Autoren, die an die gesellschaftskritischen Intentionen ihrer Vorbilder anknüpften und wie diese versuchten, Unterhaltungseffekte mit Gesellschaftskritik zu verbinden. Zu dieser Gruppe zählt neben Ross MacDonald und Chester Himes sicher auch Ed McBain, auf den in Kapitel 3 ausführlich eingegangen wird.
2.1.3.3. 'Private Eye' als urbanisierter Westernheld
Mit dem Wunsch, eine wirklich amerikanische Form des Detektivromans zu erschaffen, erfanden die Anhänger der 'hard-boiled school' die Figur des 'Private Eye', dem professionellen Privatdetektiv. Oberflächlich betrachtet entstand so eine völlig neue literarische Figur, die jedoch im Grunde nichts anderes als eine Variation des archetypischen, amerikanischen Volkshelden, dem Westernhelden, ist.
Tatsächlich hat der amerikanische Detektiv in Form des 'Private Eye' mit der Wirklichkeit eines echten Privatdetektivs wenig gemeinsam. Die Arbeit eines realen Privatdetektivs beschränkt sich zumeist auf das Beschatten untreuer Ehepartner oder die Aufklärung unspektakulärer Diebstähle und bietet so kaum genügend Stoff für spannende Erzählungen. So ist der amerikanische 'Private Eye' keine Glorifizierung eines eher unspektakulären Berufstandes; vielmehr "verdankt der amerikanische Privatdetektiv seine literarische Existenz einem gewissen Misstrauen gegenüber der Polizei; er ist gewissermaßen das korrigierte, 'freiere' Bild eines Polizisten"[18]. Die Figur des 'Privat Eye' ist eine Weiterführung des amerikanischen Mythos von Lederstrumpf, Coopers edlem Waldläufer, der romantischen Verklärung zwielichtiger historischer Gestalten wie beispielsweise Wyatt Earp oder der Glorifizierung der Cowboys. Schon Leslie Fiedler stellte fest:
But the private eye is not the dandy turned sleuth; he is the cowboy adapted to life on the city streets, the embodiment of innocence moving untouched through universal guilt. As created by Dashiell Hammett, the blameless shamus is also the honest proletarian, illuminating by contrast the decadent society of the rich[19].
Henry Bambord Parkes sieht besonders in Coopers Lederstrumpf den Vorvater aller 'Private Eyes' und spricht ihm die Qualitäten eines Detektivs zu:
Technical skill, along with physical courage and endurance; simplicity of character, with a distrust of intellectualism; an innate sense of justice; freedom from all social or family ties except those of loyalty to male comrades; [...] and by a generally critical attitude toward all established institutions[20].
Der klassische Westernheld entflieht der Zivilisation, ist zugleich jedoch ihr Wegbereiter, da er der Zivilisation in Richtung 'frontier'[21] vorauseilt. Er ist moralisch, akzeptiert jedoch trotzdem Gewalt als legitimes Mittel um seine Ziele durchzusetzen, oder, was oft der Fall ist, sein Leben zu verteidigen. Sein Konzept von Gerechtigkeit verlangt nach Gewalteinsatz. Deswegen ist der Westernheld auch auf beiden Seiten des Gesetzes zu finden. Mal vertritt er das Gesetz und trägt gar einen Sheriffstern, mal ist er ein Gesetzloser. Ebenso wie der Privatdetektiv bricht der Westernheld jedoch nur das Gesetz, wenn es nötig ist, um das moralisch Richtige durchzusetzen, und nicht, um sich in irgendeiner Form zu bereichern. Privatdetektiv und Westernheld verhalten sich nicht immer sympathisch und haben oft Alkoholprobleme. Sie kämpfen aber beide gegen ein feindliches System, um diejenigen zu schützen, die oft den Umgang mit ihren Beschützern scheuen, da diese sich nicht mehr innerhalb ihrer Lebensvorstellungen bewegen. Beide leben außerhalb der vom Durchschnittsbürger akzeptierten Welt. Beide verlassen sich nicht auf die deduktiven Methoden eines Dupin oder Holmes, um ein Problem oder Rätsel zu lösen, sondern auf ihre Erfahrung mit ihrer Umwelt und auf ihre eigene körperliche Stärke. So wie Lederstrumpf körperlichen Schmerz ignorieren kann, verbirgt der 'Private Eye' Schmerz, Angst und Enttäuschung hinter einer stoischen Fassade oder einer zynischen Bemerkung.
Als die 'frontier', die Grenze zur Wildnis, im Westen der USA erobert war, verlagerte sie sich in die Städte, auch wenn sie hier nicht mehr die Bedrohung durch eine unzivilisierte Natur darstellte, sondern eher eine Bedrohung durch Kriminalität, Gewalt, Korruption und Verfall moralischer Werte. Während der Westernheld in der Prärie oder in kleinen Grenzstädten für Gerechtigkeit und um sein Leben kämpft, muss der Privatdetektiv den Kampf im berüchtigten Großstadtdschungel bestehen, der geprägt ist von Zusammenbruch, Politik, Geldgier und sozialen Missständen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Foto 1: Bogart als Marlowe[22] Foto 2: Grant in Zwölf Uhr mittags[23]
Statt Cowboyhut trägt er einen Filzhut und einen Trenchcoat, geht aber wie der Westernheld selten ohne Waffe aus dem Haus. Die äußeren Erkennungsmerkmale ähneln sich stark (siehe Fotos1 und 2). Der 'Privat Eye' ist die urbanisierte Form des klassischen Westernhelden. Das ist vielleicht eine Erklärung dafür, dass sich die 'hard-boiled school' und ihre Detektivfiguren fast ausschließlich auf die USA beschränkten und sie sich so zur amerikanischsten aller Gattungen der Kriminalliteratur entwickelte.
2.2. Merkmale des Detektivromans
Wie schon das Kapitel 2.1. gezeigt hat, entwickelte sich die Gattung des Detektivromans in zwei unterschiedliche Richtungen. Während sich der klassische Detektivroman auf die rationalistische Aufklärung eines Rätsels konzentriert, liegt das Hauptgewicht des modernen amerikanischen Detektivromans eher auf der aktionistischen Aufklärung. Dementsprechend unterscheiden sich auch Handlungsstrukturen und Figurenkonstellationen dieser beiden Richtungen des Detektivromans.
2.2.1. Handlungsstruktur
Inhaltlich konzentriert sich die Handlung des klassischen Detektivromans auf drei Elemente: das rätselhafte Verbrechen, die Fahndung nach dem Täter und die damit verbundene Rekonstruktion des Tathergangs sowie die Überführung des Täters. Dabei kann die Gewichtung dieser Elemente von Roman zu Roman variieren, die zentralen Fragen bleiben jedoch immer die nach dem Wer, Wie und Warum.
Das rätselhafte Verbrechen ist in der Regel ein Mord, der durch seine Endgültigkeit und Unwiderruflichkeit eine besondere Faszination auf den Leser ausübt. S. S. Van Dine formulierte diese Notwendigkeit in seinen "Zwanzig Regeln für das Schreiben von Detektivgeschichten" besonders deutlich:
Im Detektivroman muss es ganz einfach eine Leiche geben, und je toter sie ist, desto besser. Ein kleineres Verbrechen als Mord reicht einfach nicht aus. Dreihundert Seiten sind zuviel Aufhebens für etwas Geringeres. Schließlich müssen des Lesers Mühe und Energieaufwand belohnt werden.[24]
Der Mord ist im klassischen Detektivroman als Rätsel dargestellt und ist zwar das zentrale Ereignis der gesamten Erzählung, hat jedoch nur eine auslösende Funktion. Der Mord wird als Anlass für die Tätigkeit des Detektivs genutzt, die den Leser unterhalten soll und den eigentlichen Bedeutungsschwerpunkt darstellt, und ist dementsprechend hochgradig konstruiert. Die Außergewöhnlichkeit seiner Umstände wird zum Thema, nicht die Inhumanität und Tragik der Tat.
Die Fahndung nach dem Täter setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen. Am Anfang der Ermittlungsarbeit des Detektivs steht die Beobachtung des Tatorts ebenso wie der Verhaltensweisen der beteiligten Personen. Diese werden vom Detektiv verhört. Diese Verhöre bieten oft ideale Gelegenheiten, falsche Fährten, ‚red herrings’ zu legen, die den Leser zu fehlerhaften Einschätzungen und Verdächtigungen verleiten sollen. Aufgrund der durch die Beobachtungen gewonnenen Informationen stellt der Detektiv nun eine Arbeitshypothese auf. Darauf folgt die Verfolgung des Täters, entweder aktionistisch oder aufgrund rationaler Schlussfolgerungen, die dem Leser durch Beratungen mit seinen Mitarbeitern mitgeteilt werden. Im Zuge dieser Beratungen werden die Ergebnisse der bisherigen Ermittlungen zusammengefasst und ausgewertet. Diese Beratungen dienen hautsächlich dazu, die intellektuelle Überlegenheit des Detektivs hervorzuheben. Der Detektiv ist bei diesen Beratungen oft zurückhaltend, und gibt so seinen Mitarbeitern die Gelegenheit, vorschnelle Urteile und falsche Schlussfolgerungen zu äußern, die der Detektiv im Laufe des Roman widerlegt und somit seine Überlegenheit demonstriert. Abschließend erfolgt die inszenierte Überführung, in der alle Verdächtigen zusammengeführt werden, um wie der Leser auch mit der Aufklärung des Falles konfrontiert zu werden. Der Detektiv liefert in dieser Situation eine zusammenfassende Rekonstruktion des Tathergangs und eine Rekapitulation seiner Ermittlungen. Fehlt ihm zu diesem Zeitpunkt noch der endgültige Beweis, um den Täter zu überführen, baut er in der Überführungsszene oft noch eine Falle ein, um den Täter zur Selbstentlarvung zu zwingen. Die Überführungsszene symbolisiert den Triumph des Detektivs nicht nur über den Täter, sondern auch über die an ihn gestellte Aufgabe und den Leser, der während der gesamten Erzählung zum Mitdenken stimuliert wurde, und nun die Vergeblichkeit seiner Bemühungen eingestehen muss.
Diese inhaltlichen Elemente des Detektivromans können wiederum in drei Gruppen eingeteilt werden: Aktion, Analyse, Rätselhaftigkeit. Die Aktion beinhaltet die eigentlichen narrativen Handlungselemente wie zum Beispiel die Darstellung der Tat, Verfolgungsjagden oder Zusammenkünfte von Verdächtigen. Unter dem Oberbegriff Analyse kann man die gesamte intellektuelle Tätigkeit des Detektivs und seiner Mitarbeiter zusammenfassen, etwa ihre Beobachtungen und die Versuche einer Hypothesenbildung. Das wichtigste Element des klassischen Detektivromans ist jedoch die Rätselhaftigkeit, unter der man die planmäßige Verdunkelung des Rätsels versteht, dessen Lösung immer völlig unvorhergesehen sein muss. Das Wechselspiel von planmäßiger Verdunkelung und ebenso planmäßiger Erhellung des Rätsels ist das wesentliche Konstruktionsprinzip des klassischen Detektivromans. Wie bereits oben angedeutet unterscheidet sich der moderne amerikanische Detektivroman, etwa die Romane der 'hard-boiled school', genau in diesem Punkt wesentlich vom klassischen Detektivroman. In den Romanen der 'hard-boiled school' überwiegen deutlich die Aktionselemente gegenüber den Analyseelementen. Hier wird die an den Detektiv gestellte Aufgabe nicht intellektuell, sondern aktiv handelnd bewältigt. Auch die Aufgabe selbst, die Aufklärung eines Verbrechens, ist kein abstraktes Rätsel, sondern vielmehr ein noch nicht abgeschlossenes Ereignis, dessen Konsequenzen und Auswirkungen nicht selten das Leben des Detektivs selbst bedrohen. Das Verbrechen in diesen Romanen zieht zumeist weitere Gewalttaten nach sich, ist in Verschwörungen eingebunden oder ist von Korruption durchzogen, so dass der Detektiv allein durch seine Ermittlungsarbeit in das Verbrechen und seine Auswirkungen hineingezogen wird. Dementsprechend wird der Leser von Romanen dieser Art nicht durch die Deduktionsarbeit des Detektivs unterhalten, sondern vielmehr durch die Darstellung seines Überlebenskampfes. Das Verbrechen erscheint hier nicht mehr außergewöhnlich und rätselhaft, sondern sinnlos, was manchen Romanen einen sozialkritischen Ansatz verleiht.
Auch unter dem Aspekt des Handlungsablaufs gibt es Unterschiede zwischen klassischen und modernen amerikanischen Detektivromanen. Jeder Detektivroman beinhaltet das Grundprinzip, dass auf den Mord die Fahndung und auf die Fahndung die Aufklärung folgt. Im klassischen Detektivroman erfolgt jedoch meist eine zeitliche Umstellung der Ereignisse, da das bereits Geschehene durch rückwärts gerichtete Denkprozesse des Detektivs analysiert und so die Tat rekonstruiert wird. Der Detektiv dringt immer tiefer in die Vergangenheit ein, erzählt wird, was der Detektiv im Zuge seiner Ermittlungen erfährt, so dass Früheres im Roman später erzählt wird. Der Mord als Ausgangspunkt liegt der Gegenwart am nächsten. Somit ist die Spannung auf das bereits Geschehene, Rätselhafte und Unbekannte gerichtet. Im modernen, amerikanischen Detektivroman dagegen verläuft die Handlung chronologisch. Die Ereignisse gehen auseinander hervor und sind kausal miteinander verkettet. Hier ist die Spannung auf den Ausgang der laufenden Ereigniskette gerichtet.
[...]
[1] Gero von Wilpert betrachtet die 'Detektivliteratur' als eine "analytische Abart" der Kriminalliteratur und betrachtet sie gegenüber der Kriminalliteratur als minderwertig, während in der angelsächsischen Literaturkritik die 'crime novel' als Ableger der 'detective novel' betrachtet wird, ohne eine Wertung damit zu verbinden. Vgl. Von Wilpert, Gero. Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart: Kröner, 1989. und Cuddon, J.A.. Dictionary of Literary Terms and Literary Theory, London: Penguin Books Ltd., 1991.
[2] Buchloh, Paul G. und Jens P. Becker. Der Detektivroman, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1973, S. 35.
[3] Price, Vincent (Hrsg.). 18 Best Stories by Edgar Allan Poe, New York: Bantam Doubleday Dell Publishing Group, 1965, S. 101.
[4] Locked-room puzzle: Sonderform der planmäßigen Verrätselung eines Falles in extremster Ausprägung, da der Mord in einem von innen verschlossenen Raum begangen wurde, also an einem Ort, an den der Mörder eigentlich nicht gelangen konnte, wo aber trotzdem eine Leiche aufgefunden wurde.
[5] Red herrings: ursprünglich benannt nach einem frischen, an einer Schnur gezogenen Hering, mit dem falsche Jagdfährten gelegt wurden. In der Detektivliteratur haben die sogenannten 'red herrings' viele Funktionen: Sie sind retardierendes Moment innerhalb der Erzählung, verdeutlichen die Schwierigkeiten detektivischer Arbeit und vermitteln Realität, da sie die zahlreichen Spuren darstellen, die schließlich im Sande verlaufen, denen aber trotzdem nachgegangen werden muss. Zudem zeigen sie die Genauigkeit der literarischen Konstruktion, denn nach vielen Irrwegen bleibt letztendlich nur eine Lösung übrig.
[6] Buchloh. Der Detektivroman, S. 43.
[7] Price (Hrsg.). 18 Best Stories by Edgar Allan Poe, S. 263.
[8] Buchloh. Der Detektivroman, S. 45.
[9] Great Detective: Ermittler mit überragenden intelektuellen Fähigkeiten, zu dem der Leser unerreichbar aufschaut und der als übermenschliche Denkmaschine erscheint. Geistesgeschichtlich ist er in die Heldenverehrung als Beispiel für die Perfektion der Fähigkeiten des Geistes einzuordnen. Er ist nicht an der Wiederherstellung von Recht und Ordnung, sondern an der intelektuellen Herausforderung eines Problems interessiert und erscheint so oft als monomane Figur, die sich über gesellschaftliche Zusammenhäng erhaben fühlt.
[10] Buchloh. Der Detektivroman, S. 40.
[11] Estleman, Loren (Hrsg). Sherlock Holmes: The Complete Novels and Stories by Sir Arthur Conan Doyle, New York: Bantam Books, 1986: Volume I., A Scandal in Bohemia, S. 209.
[12] (ebd.), The Adventure of the Speckled Band, S. 346.
[13] (ebd.), The Red-headed League, S. 251.
[14] Buchloh. Der Detektivroman, S. 100.
[15] Chandler in: Vogt, Jochen. Der Kriminalroman, München: Wilhelm Fink Verlag, 1971, S. 180.
[16] Chandler in: Vogt. Der Kriminalroman, S. 184.
[17] Chandler in: Vogt. Der Kriminalroman, S. 184f.
[18] Seesslen, Georg. Detektive – Mord im Kino, Marburg: Schüren Presseverlag, 1998, S. 46.
[19] Fiedler, Leslie. Love and Death in the American Novel, zitiert in Buchloh. Der Detektivroman, S. 99.
[20] Parkes, Henry Bambord, zitiert in Grella, George. „The Hard-Boiled Detective Novel“, in: Winks, Robin W. (Hrsg.). Detective Fiction, A Collection of Critical Essays, New Jersey: Prentice Hall, 1980, S. 106.
[21] Frontier: basiert auf dem Essay von Frederick Jackson Turner, "The Significance of the Frontier in American History" (1893), demzufolge die 'frontier' als, im Zuge fortschreitender Eroberung der Wildnis als Lebensraum, immer weiter westwärts wandernder Treffpunkt von Zivilisation und Wildnis im amerikanischen Westen zu verstehen ist, der große Herausforderungen und Gefahren für den Menschen birgt. Im Zuge der 'hard-boiled school' wurde die 'frontier' von der bereits vollständig eroberten Wildnis des amerikanischen Westens in die großen Städte verlegt, wo sie den Treffpunkt von gesellschaftlichen Normen und moralisch verwerflicher Gesetzlosigkeit markiert.
[22] Thomson, David. Tote schlafen fest – Mythos und Geschichte eines Filmklassikers, Hamburg: Europa Verlag, 1997, S.42.
[23] Hahn, Ronald D. und Volker Jansen: Die 100 besten Kultfilme von "Metropolis" bis "Fargo", München, Wilhelm Heyne Verlag, 1998, S. 637.
[24] Van Dine, S.S.. "Zwanzig Regeln für das Schreiben von Detektivgeschichten", in: Finckh, Eckhard (Hrsg.). Arbeitstexte für den Unterricht - Theorie des Kriminalromans, Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co., 1998, S. 33.
- Citar trabajo
- Magister Kerstin Behrens (Autor), 2003, Verbrechensaufklärung im 87th Precinct - Ed McBains Serie von Polizeiromanen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94058
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