Wie lebten und überlebten deutsche Soldaten an der Front während des Ersten Weltkrieges? Wie hat sich ihre Einstellung zum Krieg und wie haben sie sich selbst verändert? Diese Arbeit soll zeigen, dass die ursprüngliche Abenteuerlust und Hoffnung auf Ehre schnell der brutalen Realität an der Front weichen musste. Die Männlichkeit, die vor dem Krieg als Ideal galt, konnte währenddessen nicht aufrecht erhalten werden. Dies soll am Roman „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque geschehen. Obwohl ein fiktionaler Text, ist der Roman ein wahrheitsabbildendes Zeugnis für die Situation der deutschen Frontsoldaten. Das Problem, einen fiktionalen Text als historische Quelle zu benutzen, soll als Grundlage der Arbeit als erstes erläutert und gelöst werden. An verschiedenen Punkten wird dargelegt, weshalb dem Roman, der auch heute noch zum Kanon der Weltliteratur zählt, ein derartiger Wahrheitsgehalt zugeschrieben wird.
Als weitere Grundlage wird der Begriff der hegemonialen Männlichkeit eingeführt und diskutiert. Die Thesen Connells und weitere Forschungsliteratur zeigen, wie Männlichkeitsideale entstehen, sich entwickeln und verändern. Außerdem wird ein kurzer Überblick über die Darstellung der Männlichkeit in anderen Kriegsromanen gegeben.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Im Westen nichts Neues - eine historische Quelle?
2.1. Der Roman als historische Quelle
2.2. Erich Maria Remarque
2.3. Rezeption
3. Idealtypus des Mannes? Männlichkeiten im Wandel
4. Neue Männer nach der Front? Der Roman „Im Westen nichts Neues“
4.1. Inhalt und Aufbau
4.2. Kriegsvorstellungen von Heimat und Front
4.3. Darstellung des Feindes
4.4. Darstellung des verwundeten und sterbenden Mannes
4.5. Entwicklung des Charakters Himmelstoß
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Quellen
2. Darstellungen
7. Anhang
1. Einleitung
„Der Morgen ist grau, es war noch Sommer, als wir hinausgingen und wir waren hundertfünfzig Mann. Jetzt friert uns, es ist Herbst, die Blätter rascheln, die Stimmen flattern müde auf: ‚Eins – zwei – drei – vier – ’, und bei zweiunddreißig schweigen sie. Und es schweigt lange, ehe die Stimme fragt: ‚Noch jemand?’ – und wartet und dann leise sagt: (...) ‚Zweite Kompanie – ’, mühselig: ‚Zweite Kompanie – ohne Tritt marsch!’ Eine Reihe, eine kurze Reihe tappt in den Morgen hinaus. Zweiunddreißig Mann.[1]
Dieses Zitat zeigt auf eindringliche Weise die Grausamkeit des Ersten Weltkrieges und seine vielen Opfer. Während 1914, kurz vor Kriegsbeginn, die Patrioten zuversichtlich von dem Aufstieg Deutschlands zur Weltmacht und auf die lang ersehnte Gleichberechtigung unter den Großmächten hofften, begeisterten sich besonders viele junge Männer für die Idee, als Vaterlandsheld in den Krieg zu ziehen – und nach einem Blitzkrieg zurückzukehren.
Wie lebten und überlebten deutsche Soldaten an der Front während des Ersten Weltkrieges? Wie hat sich ihre Einstellung zum Krieg und wie haben sie sich selbst verändert? Diese Arbeit soll zeigen, dass die ursprüngliche Abenteuerlust und Hoffnung auf Ehre schnell der brutalen Realität an der Front weichen musste. Die Männlichkeit, die vor dem Krieg als Ideal galt, konnte währenddessen nicht aufrecht erhalten werden. Dies soll am Roman „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque geschehen. Obwohl ein fiktionaler Text, ist der Roman ein wahrheitsabbildendes Zeugnis für die Situation der deutschen Frontsoldaten. Das Problem, einen fiktionalen Text als historische Quelle zu benutzen, soll als Grundlage der Arbeit als erstes erläutert und gelöst werden. An verschiedenen Punkten wird dargelegt, weshalb dem Roman, der auch heute noch zum Kanon der Weltliteratur zählt, ein derartiger Wahrheitsgehalt zugeschrieben wird.
Als weitere Grundlage wird der Begriff der hegemonialen Männlichkeit eingeführt und diskutiert. Die Thesen Connells und weitere Forschungsliteratur zeigen, wie Männlichkeitsideale entstehen, sich entwickeln und verändern. Außerdem wird ein kurzer Überblick über die Darstellung der Männlichkeit in anderen Kriegsromanen gegeben.
Um eine Verknüpfung zwischen den Forschungstheorien und dem Roman herzustellen, sollen in Kapitel vier schließlich die Männlichkeitsbilder untersucht werden, die im Roman eine Rolle spielen. Um diese Analyse sinnvoll einzuschränken, geschieht dies an vier Oberthemen. An ihnen zeigt sich, dass das Ideal der heldenhaften Männlichkeit unter den Bedingungen des Krieges nicht bestehen kann.
Denn ganz wie Remarque es in seinem Vorwort des Romans formulierte, zerstörte der Krieg eine ganze Generation, auch wenn einige den Granaten und damit dem Tod entkamen.[2]
2. Im Westen nichts Neues - eine historische Quelle?
2.1. Der Roman als historische Quelle
Historische Quellen werden in Tradition und Überrest unterteilt. Während eine Überrestquelle uns zufällig erhalten und überliefert wurde, ist eine Traditionsquelle absichtlich der Nachwelt hinterlassen worden. Bei einem literarischen Roman – wie „Im Westen nichts Neues“ – handelt es sich demnach um letztere. In diesem Kapitel soll dargestellt werden, inwiefern der Roman als Quelle geschichtlicher Ereignisse dienen kann.
Ingmar Reither greift in seiner Dissertation das Problem literarischer Texte als historische Quelle auf. Er beginnt mit einem Beispiel des Historikers Theodor Mommsens, der 1902 als Historiker den Literatur-Nobelpreis für seine Darstellungen bekam. Reither beschreibt: „Literarisches Interesse an der Geschichte und die Darstellung historischer Zusammenhänge verschmolzen zu einem Erkenntnisinteresse, das darauf zielte, den Faktor Imagination in darstellungsästhetischer Weise effektiv einzubinden.“[3]
Besonders im Blick auf Vermittlung von Geschichte scheint in der Forschung die Literatur als geeignetes Mittel. Alexander Demandt stellt fest, dass Literatur einem „Vereinfachungseffekt“ gleichkomme und eine größere „Lebensnähe“ garantiere.[4] Reither stellt jedoch heraus, dass fiktionale Literatur sich trotz ihrer Anschaulichkeit an der „zugrundeliegenden historischen Faktizität messen lassen“[5] muss. Nur wenn die Darstellung von Fiktion (res fictae) und Geschichte (res factae) stimmig seien, könne eine solche Geschichtsdarstellung sowohl den Unterhaltungswert als auch den historischen Wahrheitsgehalt vereinen.[6] Jurij Striedter weist in seinem Aufsatz zu fiktionalen Texten, die Geschichte wiedergeben, darauf hin, dass das Nebeneinander von anekdotischem Erzählen und faktischem Auflisten legitime Möglichkeiten darstelle, historische Erfahrungen sprachlich-erzählerisch zu verarbeiten.[7]
In dem Roman „Im Westen nicht Neues“ nimmt die Faktizität sehr wenig Platz ein. Es werden kaum konkrete Daten (Jahreszahlen, Opferzahlen, Ortsangaben) genannt, sondern der Roman lebt von der erzählerischen Gestaltung, deren historischen Wert Strietdter jedoch anerkennt. „Statt der zeitlichen Abfolge haben wir also die Wiederkehr, die Wiederholung, die Häufung des Gleichen und Gleichartigen – eben der schrecklichen Grausamkeit(...). Und dafür ist nicht so sehr das Zeitmaß wichtig als vielmehr das Ausmaß.“[8]
2.2. Erich Maria Remarque
Um einen Roman als historische Quelle deklarieren zu können, ist es sinnvoll, den Autor näher zu analysieren. Die folgenden Ausführungen sollen jedoch keinen kompletten Überblick über das Leben Remarques geben, sondern nur die - für diese Arbeit - relevanten Aspekte seines Lebens behandeln. Erich Paul Remark, erst ab 1921 nannte er sich Erich Maria Remarque[9], wurde 1898 Osnabrück geboren. Als 18-Jähriger erhielt er am 21. November 1916 seine Einberufung zur Armee und wurde in der Caprivi-Kaserne in Osnabrück und Celle militärisch geschult. Zum ersten Einsatz als Soldat kam er im Juni 1917 als Schanzsoldat an der Westfront in Belgien. Am 31. Juli 1917, nur wenige Wochen nach dem Beginn seines Kriegseinsatzes, wurde Remarque von Granatsplittern am linken Bein und rechten Arm getroffen und erlitt außerdem einen Halsschuss. Nach einem Aufenthalt im Feldlazarett in Geite-St. Josef und Torhout, überführte man ihn im August 1917 in ein Krankenhaus nach Duisburg, in dem er nach seiner Genesung in der Schreibstube tätig war.[10]
Als Entstehungsgrund für den Roman gab der Schriftsteller einen inneren Zwang an. Nach eigenen Angaben litt er „unter ziemlich heftigen Anfällen von Verzweifelung“ oder fühlte sich unter anderem „unruhig, ziellos“. Als Ursache sah er die nachwirkenden „Schatten des Krieges“.[11] Die These dieser inneren Motivation wird gestützt, indem andere Gründe ausgeschlossen werden können. So kann in „Im Westen nichts Neues“ weder dem Autor noch dem Protagonisten ein eindeutiger politischer Standort zugewiesen werden.[12] Eine belehrende oder einflussnehmende Motivation ist also höchstens zweitrangig, auch wenn der Roman später eine brisante politische Funktion einnahm (s. Kapitel 2.3.).[13] Fraglich bleibt jedoch, ob das Kriegsgeschehen wahrheitsgemäß geschildert werden kann, von jemandem, der selbst nur wenige Wochen daran partizipierte. Obwohl Remarque immer wieder betonte, das Geschilderte „fast alles erlebt zu haben“[14], konnte er viele Situationen, wie den Kriegswinter, nur fiktional oder im besten Fall nach Aussagen anderer Frontsoldaten verfassen. Die Vossische Zeitung jedoch – hier erschien der Roman im Vorabdruck – vermittelte als werbetechnisches Instrument eine Übereinstimmung von Autor und Protagonist. In einem Artikel heißt es:
„Erich Maria Remarque, kein Schriftsteller von Beruf, ein junger Mensch in den ersten Dreißigern, (...) hat plötzlich vor einigen Monaten den Drang und Zwang empfunden, das in Worte zu fassen (...), was ihm und seinen Schulkameraden (...) geschehen war. Es ist kein Kriegsroman, auch kein Tagebuch. Es ist erlebtes Leben und doch abgerückt durch eine Gestaltungskraft, die das persönliche Erleben (...) in eine Sphäre der Allgemeingültigkeit hebt.“[15]
[...]
[1] Remarque, Erich Maria, Im Westen nichts Neues, Mit einem Nachwort von Tilmann Westphalen, Köln 1999, S. 98. Im Folgenden zitiert als: EMR, IWnN.
[2] Vgl. EMR, IWnN, Vorwort, S. 9.
[3] Reither, Ingmar, Geschichte zwischen den Zeilen, Die Nutzung fiktionaler Texte als geschichtliche Quellen, in: Veröffentlichungen der CPH-Jugendakademie, Bd 4, Schwalbach 2005, S. 49. Im Folgenden zitiert als: Reither, Geschichte zwischen den Zeilen.
[4] Demandt, Alexander, Metaphern für Geschichte, Sprachbilder und Gleichnisse im historisch-politischen Denken, München 1978, S.12.
[5] Reither, Geschichte zwischen den Zeilen, S. 55.
[6] Vgl. Ebd.
[7] Striedter, Jurij, Erzählformen als Antwort auf den Schrecken in der Geschichte, Oder: Wie Drakula überlebte, in: Geschichte als Literatur, Formen und Grenzen der Repräsentation von Vergangenheit, Stuttgart 1990, S. 108.
[8] Ebd., S. 108.
[9] Die ersten Belege für die Verwendung des Namens Erich Maria Remarque findet man 1922 in dem Herrenmagazin „Der Junggeselle“, in dem Remarques „Freimädel“ publiziert wird (siehe Anhang, Abb. 1). Sein Vorfahren sind französischer Herkunft, sodass die Umwandelung in Remarque wieder der ursprünglichen Form entspricht. Seinen Namen ergänzte Remarque vermutlich um den Zweitnamen seiner Mutter: Maria. Vgl: EMR, IwnN, Nachwort, S. 201.
[10] Vgl., www.remarque.uos.de/fragen.htm, Wann und wo war Remarque im Krieg, 20.02.2007, 12.53 Uhr.
[11] Vgl. Eggebrecht, Axel, Gespräche mit Remarque (1929), in: Remarque, Erich Maria, Ein militanter Pazifist, Texte und Interviews 1929-1966, Köln 1994, S. 47f
[12] Vgl. Rüter, Remarque, Modellanalysen Literatur, S. 46
[13] Dafür spricht auch das Vorwort des Romans: „Dieses Buch soll weder eine Anklage noch ein Bekenntnis sein. Es soll nur den Versuch machen, über eine Generation zu berichten, die vom Kriege zerstört wurde – auch wenn sie seinen Granaten entkam.“ Vgl. EMR, IwnN, Vorwort.
[14] Vogler, Karl, Begegnung mit Erich Maria Remarque, in: Deutsches Volksblatt vom 9. 4.1929, Stuttgart.
[15] Vossische Zeitung vom 8. November 1928.
- Arbeit zitieren
- Rebekka Grupe (Autor:in), 2007, Der Wandel von Männlichkeit im Ersten Weltkrieg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93917
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