Die schon im Altertum allgegenwärtige Judenfeindschaft, prägte sich im Mittelalter weiter aus und fand ihre Vollendung mit dem Genozid im Zweiten Weltkrieg. Aber der Wandel, der dazu geführt hatte, muss im ausgehenden 19. Jahrhundert angesiedelt werden. In dieser Zeit kam es zu einem Wechsel von der „klassischen Judenfeindschaft“ zum „rassistischen Antisemitismus“ in Europa. Der Jude, der losgelöst von Religion betrachtet und diskutiert wurde, fungierte nun, kontrastiert vom „arischen“ Europa, als ein Mensch zweiter Klasse – als „Untermensch“. Dieser Propaganda musste er sich später im Dritten Reich unterwerfen. Doch nicht nur der jüdische Mensch wurde auf diese Weise deklassiert und herabgewürdigt, es waren auch z.B. Sinti und Roma, sowie Schwarze, die nun ein Leben als „Untermenschen“ führen sollten. Der „Hauptfeind der Arier“ aber blieb das „Weltjudentum“, das angeblich sowohl die weltweiten Finanzmärkte in seinen Händen hielt, als auch als Förderer der Kommunisten, ja sogar selbst als Bolschewist, agierte. Dieser Ideologie unterlagen viele Menschen zahlreicher Länder Europas. Selbst in den Ländern der späteren Siegermächte bildeten sich hier keine Ausnahmen. Den Grundstein legten die Antisemitenkongresse am Ende des 19. Jahrhunderts in Europa. Der größte Streitpunkt bei diesen Treffen war die „Lösung der Judenfrage“, wobei die Deportation als eine Variante diskutiert wurde. Ein möglicher „Lösungsansatz“ war die Insel Madagaskar, die nach den Vorstellungen der Kongressteilnehmer, für alle Juden ein „Nationalheim“ werden sollte. In meiner Arbeit werde ich mich mit diesem Plan beschäftigen. Zunächst widme ich mich der Quellenlage und der Grundlage des Madagaskargedankens im 19. Jahrhundert. Desweiteren beleuchte ich die Planungsphase in Nazideutschland, wobei ich auf die Entwicklung des Krieges, die maßgeblich am Verlauf der Planung beteiligt war, eingehen werde. Ziel meiner Arbeit ist es, mich kritisch mit den Ursachen des Scheiterns dieses Projektes auseinanderzusetzen, sowie zu prüfen, ob es je eine reelle Chance zur Umsetzung gegeben hat.
Inhalt
1. Einleitung
2. Zur Quellenlage
3. Der Madagaskarplan als Ergebnis antisemitischer Propaganda im ausgehenden 19. Jahrhundert
3.1 Der Grundstein – die Antisemitenkongresse und die ersten Versuche einer Umsetzung in die Praxis
3.2 Der Gedanke des „Vollzionismus“
4. Die Umsetzung durch die Nazis
4.1 Die Pläne des Auswärtigen Amtes (AA) und des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA)
4.2 Die Endfassung und das Scheitern mit dem Beginn der Operation „Barbarossa“
5. Fazit
6. Literatur- und Quellenverzeichnis
1. Einleitung
Die schon im Altertum allgegenwärtige Judenfeindschaft, prägte sich im Mittelalter weiter aus und fand ihre Vollendung mit dem Genozid im Zweiten Weltkrieg. Aber der Wandel, der dazu geführt hatte, muss im ausgehenden 19. Jahrhundert angesiedelt werden. In dieser Zeit kam es zu einem Wechsel von der „klassischen Judenfeindschaft“ zum „rassistischen Antisemitismus“ in Europa. Der Jude, der losgelöst von Religion betrachtet und diskutiert wurde, fungierte nun, kontrastiert vom „arischen“ Europa, als ein Mensch zweiter Klasse – als „Untermensch“. Dieser Propaganda musste er sich später im Dritten Reich unterwerfen. Doch nicht nur der jüdische Mensch wurde auf diese Weise deklassiert und herabgewürdigt, es waren auch z.B. Sinti und Roma, sowie Schwarze, die nun ein Leben als „Untermenschen“ führen sollten. Der „Hauptfeind der Arier“ aber blieb das „Weltjudentum“, das angeblich sowohl die weltweiten Finanzmärkte in seinen Händen hielt, als auch als Förderer der Kommunisten, ja sogar selbst als Bolschewist, agierte. Dieser Ideologie unterlagen viele Menschen zahlreicher Länder Europas. Selbst in den Ländern der späteren Siegermächte bildeten sich hier keine Ausnahmen. Den Grundstein legten die Antisemitenkongresse am Ende des 19. Jahrhunderts in Europa. Der größte Streitpunkt bei diesen Treffen war die „Lösung der Judenfrage“, wobei die Deportation als eine Variante diskutiert wurde. Ein möglicher „Lösungsansatz“ war die Insel Madagaskar, die nach den Vorstellungen der Kongressteilnehmer, für alle Juden ein „Nationalheim“ werden sollte. In meiner Arbeit werde ich mich mit diesem Plan beschäftigen. Zunächst widme ich mich der Quellenlage und der Grundlage des Madagaskargedankens im 19. Jahrhundert. Desweiteren beleuchte ich die Planungsphase in Nazideutschland, wobei ich auf die Entwicklung des Krieges, die maßgeblich am Verlauf der Planung beteiligt war, eingehen werde. Ziel meiner Arbeit ist es, mich kritisch mit den Ursachen des Scheiterns dieses Projektes auseinanderzusetzen, sowie zu prüfen, ob es je eine reelle Chance zur Umsetzung gegeben hat.
2. Zur Quellenlage
Der Genozid an den Juden ist ein wesentlicher Bestandteil der Zeitgeschichte, dennoch kann man bis heute nicht das gesamte Spektrum der Ereignisse im Zweiten Weltkrieg abdecken, gibt es doch noch immer zahlreiche unveröffentlichte Quellen und unbeantwortete Fragen. Zu diesen lückenhaften Feldern gehören unter anderem auch das Nisko-Projekt, ein jüngeres Reservatsprojekt auf dem osteuropäischen Festland, wie auch der Madagaskarplan. Im Jahre 1997 erschienen zum letzteren Thema zwei Bücher unabhängig voneinander. Hierbei handelt es sich um zwei umfangreiche Forschungsarbeiten von Hans Jansen und von Magnus Brechtken, welche bis heute die bedeutendsten Studien hierzu darstellen.
Meine Arbeit wird zum größten Teil auf diesen beiden Büchern aufbauen, da sie unter anderem viele unveröffentlichte Quellen genutzt haben. Aufgrund dieser Vielzahl beziehe ich mich in meiner Hausarbeit auf einige ausgewählte, welche für das Thema sehr prägnant sind.
3. Der Madagaskarplan als Ergebnis antisemitischer Propaganda im ausgehenden 19. Jahrhundert
Der Orientalist, Kulturphilosoph, Theologe und Antisemit Paul de Lagarde erwähnte 1885 in seinem Artikel „Über die nächsten Pflichten deutscher Politik“ zum ersten Mal die Forderung, wenn auch ganz beiläufig, dass die Juden nach Madagaskar umgesiedelt werden müssten. Zwar bietet de Lagardes Wortwahl „Abschaffung“[1] der Juden Raum für Spekulationen, aber man kann davon ausgehen, dass damit die Umsiedlung gemeint war, zumal Madagaskar als fruchtbar, aber unbewohnbar für Europäer galt. So bot es sich an, die Juden, die als überaus anpassungsfähig propagiert wurden, dorthin umzusiedeln. Ein anderer Faktor war die paranoide Vorstellung de Lagardes das jüdische Volk auf einer Insel von anderen Rassen isolieren zu müssen.[2] Aus diesem Grund lehnte er auch die Abschiebung der Juden nach Palästina ab, welches genau wie der Kaukasus im Gespräch war. Schon vier Jahre zuvor forderte auch Eugen Düring, ein Philosoph, Antisemit und Nationalökonom, die Abschiebung der Juden. Er sah die Rasse mit der Religion als untrennbar verbunden, daher formulierte er „eine gesellschaftliche und politische Lösung der Judenfrage“[3]. Hier lässt sich eine starke Radikalisierung erkennen. Theodor Fritsch[4] lancierte ebenso ein „judenfreies“ Europa, welches durch den Erwerb jüdischen Staatsgebietes außerhalb des Kontinents forciert werden sollte. Dieser Forderung wollte er mit seiner 1889 gegründeten „Antisemitischen Deutsch-sozialen Partei“ mehr politischen Nachdruck verleihen.[5] Zentrale Inhalte seines Parteiprogramms waren die Forderungen nach:
„`Aufhebung der Gleichberechtigung und die Stellung der Juden unter Fremdenrecht in Deutschland´, die `Ausweisung der nicht naturalistierten Juden´ und das `Verbot der Judeneinwanderung von Osten, [ die ] Beschränkung der Juden in der Zulassung zu obrigkeitlichen Stellen usw.´.“[6]
Diese klare politische und gesellschaftliche Ausgrenzung der Juden zeigt deutlich den versuchten Prozess von einer antisemitischen Idee zur politischen Praxis zu gelangen. Hermann Ahlwardt, ehemaliger Rektor einer Berliner Schule, die er wegen veruntreuter Schulgelder verlassen musste, wurde mit Hilfe seiner antijüdischen Hetze – dem Buch „Der Verzweiflungskampf der arischen Völker mit dem Judentum“ - 1892 in den Reichstag gewählt. Die „Ausrottung“ der als „Cholerabazillen“ bezeichneten Juden, welche er im Reichstag forderte, lässt seine radikale Haltung und seine Bereitschaft zur Gewalt klar werden.[7] Derartige Forderungen wurden auch auf internationaler Ebene diskutiert – bei den Antisemitenkongressen.
3.1 Der Grundstein – die Antisemitenkongresse und die ersten Versuche einer Umsetzung in die Praxis
Die ursprüngliche Idee einer antisemitischen internationalen Vereinigung stammt aus dem Jahre 1886, als der Journalist und Antisemit Édouard Drumont eine solche Möglichkeit anstrebte. Der erste Antisemitenkongress realisierte sich allerdings erst viel später.
Nach den Ereignissen des Ersten Weltkrieges und dem damit verbundenen Zwang, die Verantwortung für den Kriegsverlauf den Juden zu unterstellen, initiierten im März 1921 europäische Antisemiten einen dreitägigen Antisemitenkongress in Wien. Begleitet wurde die Veranstaltung von massiven antijüdischen Exzessen.[8] Weitere vier Jahre darauf wurde das von de Lagarde angeregte Thema „Madagaskar“ auf die ständige Tagesordnung gesetzt. Einen wesentlichen Beitrag dazu leistete Henry Hamilton Beamish, der als Soldat im Ersten Weltkrieg gedient hatte und nach seiner Rückkehr die antisemitische Organisation „The Britons“ gründete. Fasziniert vom Gedanken, dass der Umsiedlungsplan zu realisieren sei, suchte er 1923 das französische Kolonialministerium auf, um die Möglichkeiten konkretisieren zu können.[9]
Doch nicht nur das spätere Nazideutschland fand Gehör für den Madagaskargedanken, sondern auch Polen und Frankreich. Das an den Folgen des Ersten Weltkrieges leidende Polen versuchte mit der Währungsreform 1924 eine Kehrtwende in der Innenpolitik zu vollziehen. Mit 3 Millionen Juden, 5 Millionen Ukrainern und 1 Millionen in Polen lebenden Deutschen umfasste die nichtpolnische Gemeinschaft fast 10 Millionen Menschen. Dem Madagaskarplan befürwortend sollten zunächst die Juden das Land verlassen, um es damit zu entlasten. So schnell wie der Gedanke an Madagaskar gekommen war, wurde er auch wieder verworfen, da das Klima zu tropisch und unwirtlich war.[10] Hingegen entstand der französische Madagaskarplan aus der Reaktion heraus, dass zahlreiche Vertreibungen deutscher Juden eine Einwanderungswelle in Frankreich auslöste, der die Regierung nicht Herr werden konnte. Nach langer Prüfung und Ausschließung möglicher Alternativen, wie Französisch-Guinea oder Neukaledonien kam für sie nur Madagaskar in Frage. Eine Lösung, die weder finanzierbar, noch menschenwürdig für solch eine Masse an Flüchtlingen geeignet gewesen wäre. Stürme und schwere Regenfälle bestimmen das warme tropische Klima. Krankheiten, wie die Syphilis oder Malaria, stellten ein ernst zunehmendes Problem dar. Da die Insel bewohnt war, hätten zahlreiche Einwohner umgesiedelt werden müssen.[11]
Trotz der gescheiterten Madagaskarpläne, wurden später weitere initiiert. Sowohl Polen arbeitete an der Umsetzung eines zweiten Plans, als auch Deutschland, welches zunächst nur die deutschen Juden deportieren wollte. Trotz der Erfahrungen mit gescheiterten Plänen in der antisemitischen Internationalen, wurde in bestimmten Intervallen immer wieder Madagaskar diskutiert. Es ist ein Umstand, der überrascht, waren die Ergebnisse doch immer dieselben.
3.2 Der Gedanke des „Vollzionismus“
Auf de Lagardes Agitation aufbauend profilierte sich Beamish auch in Deutschland. Ein geeignetes Mittel Propaganda zu verbreiten bot ihn das rassistisch-antisemitische Blatt „Völkischer Beobachter“. Sein 1926 veröffentlichter Artikel erörterte im ironischen Stil die „Lösung der Judenfrage“. Im Ergebnis konnte man zwischen drei Optionen wählen. Die erste Möglichkeit war die Ausrottung, die er aber als zu „unchristlich“ abwies, die zweite war die Assimilation, die aber gar nicht möglich sei, da „der Jude“ über Jahrtausende hinweg die „Rassentreue“ gehalten habe. Die dritte Variante, und diese erwog er als die Beste, war die Umsiedlung von bis zu 50 Millionen Juden! Ferner besprach er Alaska als Deportationsziel, das jedoch zu kalt sei und setzte damit die Argumentationslinie der Befürworter des Madagaskarplans fort, indem er dem Gedanken beipflichtete.[12] Allerdings hatte er einen entscheidenden Faktor dabei nicht gekannt – die missglückten Pläne der Polen und Japaner, die wenig später erfolglos blieben.[13]
Ende April erschien ein Artikel in der „Griechischen Post“ über einen Antisemitenkongress in der Schweiz im Vormonat, auch dort wurde, nun schon nach zahlreichen gescheiterten Versuchen, erneut Madagaskar als vermeintlich jüdischer Staat propagiert:
„Das ist, was die Panarier als „Vollzionismus“ bezeichnen, gegenüber dem Scheinzionismus, den die Juden mit der Ansiedlung in Palästina vormachen wollen. Der jüdische Staat soll auf der Insel Madagaskar errichtet werden, die dem Gesamtjudentum einen reichlich groß bemessenen Lebensraum bietet.“[14]
Der „Vollzionismus“ war für die antisemitische Bewegung eine entscheidende Rechtfertigung zur Deportation von Juden. Der von Egon van Winghene[15] geprägte Begriff täuschte über die wahren Ziele hinweg – Isolation, Ausgrenzung, Abschiebung. So ist es kein Wunder, dass Bestrebungen seitens der Juden, einen eigenen Staat zu gründen, sogleich ausgehöhlt wurden. Als „Scheinzionismus“ verurteilte er jegliche Bemühungen, Palästina zum jüdischen Staat zu machen. Die angebliche Bedrohung von einer möglichen Schaltzentrale des „Weltjudentums“ in Palästina, genügte ihm als Begründung.[16] Julius Streicher, Herausgeber der Zeitschrift „Der Stürmer“, führte die Gedanken van Winghenes weiter. Nach seinen Vorstellungen sollten Polizeischiffe nach der Deportation ständig um Madagaskar kreisen, damit kein inhaftierter Jude entkomme.[17] Trotz aller Fehleinschätzungen und gescheiterter Pläne, fingen auch die Deutschen an, sich mit dem Madagaskarplan zu beschäftigen.
[...]
[1] De Lagarde, Paul: „Über die nächsten Pflichten deutscher Politik“ , in: Ders.: Deutsche Schriften,
S. 390 - 391, 1885, zitiert nach Brechtken S. 16.
[2] Vgl. Brechtken, Magnus: „Madagaskar für die Juden“. Antisemitische Idee und politische Praxis
1885- 1945, München 1997, S. 16 – 17.
[3] Dühring, Eugen: „Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage, 1881, S. 94, zitiert nach
Brechtken S. 19.
[4] Bekannter Antisemit aus dem Berliner Antisemitismusstreit.
[5] Vgl. Brechtken, Madagaskar (wie Anm. 2), S.23.
[6] Grundsätze und Forderungen der Antisemitischen Deutsch-sozialen Partei, 1889, in: Mommsen,
Deutsche Parteiprogramme, S. 74 – 75, zitiert nach Brechtken.
[7] Vgl. Brechtken, Madagaskar (wie Anm. 2), S.23.
[8] Vgl. Brechtken, Madagaskar (wie Anm. 2), S. 31.
[9] Vgl. Ebd., S. 34.
[10] Vgl. Jansen, Hans: Der Madagaskarplan. Die beabsichtigte Deportation der europäischen Juden
nach Madagaskar, München 1997, S. 111 – 113.
[11] Vgl. Ebd., S. 114 – 141.
[12] Vgl. Brechtken, Madagaskar (wie Anm. 2), S. 34.
[13] Vgl. Jansen, Madagaskarplan (wie Anm. 10), S. 111 – 113.
[14] Griechische Post, 26.4.1934: Madagaskar den Juden?, in: BA Potsdam 62 Di 1, zitiert nach
Brechtken, S. 51.
[15] Verfasser der Schrift: „Arische Rasse, Christliche Kultur und das Judenproblem“, Erfurt 1931.
[16] Vgl. Brechtken, Madagaskar (wie Anm. 2), S. 40.
[17] Vgl. Ebd., S. 62.
- Quote paper
- Stefan Behm (Author), 2008, Auf dem Weg zur "Endlösung": Der deutsche Madagaskarplan, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93909
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