In dieser Hausarbeit möchte ich sehr gern den Versuch unternehmen, das
Gedankenkonstrukt parnassischen Dichtens, wie es THÉOPHILE GAUTIER in den
o.g. zwei traktatähnlichen Prosatexten aufzeigt sive postuliert, nachzuzeichnen
und dabei einzelne Aussagen anhand des Programmgedichtes der
Parnassbewegung „L’art“ desselben Dichters zu verdeutlichen und zu
verifizieren. Hierbei möchte ich zudem der Frage nachgehen, ob diese Vorsätze
des Dichters wirklich erreicht worden sind, d.h. auch im Speziellen die Frage zu
beantworten versuchen, ob Parnasslyrik wirklich nur zweckentbundene &
sinnentleerte Dichtung ist, oder ob sie nicht vielleicht doch mehr kann, als
einfach nur nutzlos schön zu sein. Ich möchte mit meiner Arbeit aber auch
verdeutlichen, dass es sich bei der Parnasslyrik um Dichtung der höchsten und
am sorgfältigsten konzipierten Kunstfertigkeitsstufe handelt, welche die
etymologische Ableitung unseres heutigen Wortes Poesie vom altgriechischen
̟οίησις, was ‚Schöpfung’ bedeutet, allemal rechtfertigt. Ich möchte zeigen, wie
sehr der Dichter in den Augen der Vertreter des Parnasse contemporain doch ein
δημιουργός (Handwerker, Meister & Künstler) gewesen ist‚ der durch seine
Arbeit und sein Tun etwas besonderes, bleibendes zu erschaffen, bzw.
verfertigen134 vermochte. Ist die Dichtung des Parnass lediglich ein sich selbst
genügendes, kunstvolles Handwerk ohne praktischen Sinn, Nutzen und
eigentliche Daseinsberechtigung, oder steckt doch mehr dahinter?
Inhalt
Einleitung
1. THÉOPHILE GAUTIER und der Parnasse contemporain
2. Die Kunst: « À quoi cela sert-il ? » - Das préface zu « Albertus » (1832)
3. Aufruf zur „Wider-vertu“ im préface zu « Mademoiselle de Maupin » (1834/35)
4. Wie viel Selbstbezüglichkeit braucht die Kunst? Prinzipien der Dichtung des Parnass
4.1 Die Kunst um der Kunst Willen (Ars gratia artis)
4.2 Der Poet als Schöpfer, Meister und Handwerker
5. Das Programmgedicht « L’Art » (1857) im Hinblick auf die poetologischen Postulate GAUTIERs
Schlussbetrachtung: Zur Daseinsberechtigung der Kunst und der (Parnass-) Lyrik im Speziellen
Zusammenfassung (in französischer Sprache)
Bibliographie
Anhang
Einleitung
Aufgabe der hier vorliegenden Hausarbeit soll es sein, dem Leser den französischen Dichter THÉOPHILE GAUTIER und seine Lehre von der Selbstbezüglichkeit der Kunst darzustellen und näher zu bringen. GAUTIER gilt als Grundsteinleger einer Dichterschule, deren Verortung im Gefüge der Literaturgeschichte immer wieder kontrovers diskutiert worden ist: Die Lyrik der Parnassiens. „Surtout, la doctrine de l'art pour l'art aboutit à la création du mouvement parnassien, avec la publication en 1866 d'un recueil collectif intitulé Le Parnasse contemporain. ‘L'art’ de Gautier devient l'art poétique des parnassiens, (…).“2 Die intensive Auseinandersetzung mit Lyrik oder den sie behandelnden Texten ist, da sie eine Sonderstellung3 innerhalb der Literatur einnimmt, zweifellos eine äußerst anspruchsvolle, aber letztlich doch lohnende Aufgabe. Die Parnasslyrik ist von gesondertem Interesse, markiert sie doch einen bedeutenden Übergang:
Als Wendepunkt fixiert (man, d. Verf.) das Jahr 1832. (…) Poetologisch kippt die Kontamination des noch dominanten romantischen (…) Diskurses nicht erst, wie gemeinhin angenommen, im Vorwort zu Mademoiselle de Maupin (1834), sondern schon in der ,Préface’ zu Albertus (…). Dort bestimmt Gautier im Sinne des l’art pour l’art als Gegenstand jedweder Kunst explizit die Kunst selbst: nicht durch den sie vermittelten Inhalt, sondern die Medialität ihrer Vermittlung. (…) (durch, d. Verf.) mimesisüberwindende Vertextungs- verfahren zur wirklichkeitsbefreiten Herstellung von Kunst. (…) Die Künstlichkeit der Kunst wird also nicht mehr, wie in der Mimesisästhetik üblich, verborgen, sondern ausgestellt; (…). Die mimesisbefragende Sprachrevolution des 19. Jahrhunderts (…) in Frankreich (…) ist begründet und belegbar im Parnasse. Seine Texte sind Vexiertexte4. Sie sind sichtbare Produkte performativer Arbeit an der Sprache mit noch mimetischem Effekt. Als solche weisen sie den Weg, den europäisch geprägtes Dichten (…) künftig nimmt. (…) von den Objekten zu den Verfahren; weg von der Wirklichkeitsverpflichtung hin zur (inter/auto-)textuellen Spracharbeit. Dies ist der Wandel der Literatur vom Primat der Wahrheit zum Primat der Sprache, (…) die (…) Rückkehr der Wörter hinter den Dingen.5
Im Folgenden möchte ich diesen Weg und das Paradoxon des l’art pour l’art anhand einer Trias von Referenztexten nachzuzeichnen versuchen: die Vorworte zu GAUTIERS Albertus und Mademoiselle de Maupin und sein Gedicht L’Art. Diese Arbeit soll einen Einblick in die Gedanken- und Schaffenswelt GAUTIERs vermitteln.
Ses Nouvelles sont en prose, mais pleines de poésie. Bien qu’elles se déroulent dans le royaume de l’Impossible, elles ont un certain air de vérité parce qu’elles ont été intellectuellement vécues. Le sujet est simple, mais enveloppé d’une forme élégante et touffue. Le public ne goûte pas ce genre ; il préfère les péripéties dramatiques aux raretés de l’expression ; mais les délicats le savourent avec délices (Hervorhebung d. Verf.).6
1. THÉOPHILE GAUTIER und der Parnasse contemporain
Der Erzähler, Dichter, Kritiker und Romanautor PIERRE JULES THÉOPHILE GAUTIER wird am 31. August 1811 in Tarbes (im südwestlichen Frankreich in den Pyrenäen gelegen) geboren. Bereits mit drei Jahren kommt er durch seine Eltern nach Paris, aber dennoch betonte er immer wieder die Verbundenheit zu seinem Geburtsort7. Mit elf Jahren besucht er die Pariser Eliteschule Louis le Grand. Er leidet jedoch unter der dortigen Strenge und Disziplin, so dass er bald darauf wieder zu seinem Vater zurückkehrt, in dessen Haus er fortan wohnen kann. Zugleich wird ihm aber der Unterricht am Internat Lycée Charlemagne erteilt. Sein Vater war ein gebildeter Mann, weshalb ihm ein permanenter Zugang zu Büchern zur Verfügung stand. So entdeckt er früh seine Vorliebe für das Lesen, auch die Malerei interessiert ihn zeitlebens sehr, aber „il n’entendait rien à la musique. Cet art lui fut toujours indifférent.“8. Schon sehr zeitig widmet er sich dieser Neigung, will zunächst Maler werden, lernt bei LOUIS-ÉDOUARD RIOULT9. Doch bereits 1830, mit nur neunzehn Jahren, gibt er sich in Gänze der Schriftstellerei hin: Er verfasst einen ersten Band romantischer poésies. Die Zeit aber ist denkbar ungünstig für sein literarisches Debüt, denn aller Welt Augenmerk liegt auf der Julirevolution. Dennoch findet er in Paris schnell Gleichgesinnte innerhalb der Bohème10 und so bildet sich der Cénacle, ein Kreis von Literaten um VICTOR HUGO11 (dessen Bewunderer GAUTIER bis zu seinem Tode bleibt), in dem sich junge Literaten wie GAUTIER über neue Ideen austauschen und der von einer dauerhaften ideologischen Vereinigung von Dichtung und Malerei träumt12. In der Bataille d’Hernani13 war GAUTIER neben seinem ehemaligen Mitschüler vom Charlemagne, GÉRARD DE NERVAL14, einer der Anführer. Alle sympathisieren sie seinerzeit mit den Aufständischen, aber sie werden auch alle schnell enttäuscht, denn das Ergebnis der Revolution ist letztendlich doch die Herrschaft des Finanzbürgertums. Im Jahre 1833 veröffentlicht er neben den Erzählungen Les Jeunes-France, in welchen er das turbulente Leben der ihn umgebenden Cénacle-Künstler beschreibt, auch die theologische Legende Albertus ou l’âme ou le péché, ein Prosagedicht, in dessen Vorwort er bereits Grundzüge seiner Vorstellung von Kunst offen legt (s.u.). Es bildet somit einen Prätext des l’art pour l’art. 1835 folgt dann der Briefroman Mademoiselle de Maupin. Im Vorwort zu diesem Werk stellt er seine Doktrin ausführlicher dar (s.u.). Dieser äußerst talentierte und produktive „poête [sic !] de décadence“15 hat sich in allen Gattungen der Literatur betätigt, aber „Gautier est moins un romancier qu’un conteur“16. Er arbeitet bei jeder Gelegenheit an seinen Schriften. Das zweite Buch von Mademoiselle de Maupin schreibt er beispielsweise in nur sechs Wochen. Ab dem Jahre 1836 bis in das Jahr 1855 hinein schreibt er Feuilletons über Kunst, Reisen und Kultur für das Journal La Presse (Hierfür bereist er Spanien, Italien, Russland, Griechenland, Ägypten, Algerien und die Türkei.). Als anfangs leidenschaftlicher Verteidiger der Romantik agitiert er stets, besonders aber ist dies ab 1837 belegbar, in seinen Artikeln gegen die art bourgeois und deren Bigotterie. Seine beißenden Kommentare waren weithin bekannt.
L’Ecole romantique n’avait jamais eu la prétention de renverser tout un passé littéraire, de fouler aux pieds les œuvres des grands maîtres mais seulement de détruire une littérature anémique qui, sous prétexte de tradition, copiait d’une façon tout à fait maladroite, ce que les temps passés avaient produit de beau, de vrai et de sublime.17
Aber schon 1838 ist eine erste vorsichtige Distanzierung vom Cénacle zu erkennen18. Doch diese journalistische Arbeit allein genügt ihm nicht und er widmet sich weiterhin der privaten Schriftstellerei19. Er spaltet seine Produktion in journalistische Tagesarbeit und poetisch-artistisches Kunsthandwerk (s.u.). 1852 veröffentlicht er erstmals die Gedichtsammlung Émaux et Camées (s.u.). Ein weiterer berühmter Roman des Autors erscheint 1857 mit dem Titel Le Roman de la momie. Im Vorfeld der Pariser Weltausstellung im Jahre 1867 wird er ministeriell damit beauftragt, einen Bericht über die Entwicklung der französischen Kunst, hier speziell der Poesie, innerhalb der letzten Jahre anzufertigen. GAUTIER nutzt die Gelegenheit, befreundete zeitgenössische Schriftsteller, wie SULLY PRUDHOMME20, ALPHONSE DE LAMARTINE21, und allen voran VICTOR HUGO in den höchsten Tönen zu loben. Oftmals gerät er wegen seiner Schriften mit den Verlegern in Streit, aber letzten Endes muss er doch immer nachgeben, denn schließlich hat er vom bescheidenen Lohn, den er bekommt, seine Familie zu ernähren. Verheiratet ist er mit Ernesta Grisi, mit der er zwei Töchter hat: Judith und Estelle. Aus diesem Grunde entwickelt er eine Abneigung gegen das Journal, die er nicht verbirgt, was ihm dann stets erneut Ärger einbrachte. Zeitweilig werden ihm schlechter Stil22, Verderbung der Muttersprache etc. vorgeworfen. 1847 schreibt er in einem Artikel, dies sei ein „siècle d’airain“23, in dem die Poesie nichts gelte und der Dichter nur überleben könne, wenn er sich der massentauglichen Tagesprosa hingebe. Eine zunehmende Kommerziali- sierung zwingt auch die Pariser Bohème zu Anpassungsstrategien, die sie selbst aber innerlich tief verachten. Um überleben zu können, müssen sie „Frondienste“ leisten, Zugeständnisse an den Geschmack des Massenpublikums machen und ein Stück weit „angepasste Autoren“ werden. Dies steht natürlich im Widerspruch zu ihrem Selbstverständnis als poètes maudits. Ihr nicht berufliches Schreiben wird von ihnen als Gegenreaktion und Refugium aufgefasst und so zu einer epikureistisch24 anmutenden, gesellschaftsabgewandten poésie pure (s.u.). Für ihr Selbstverständnis wird dieses Gefühl der Marginalisierung, also die Überzeugung, gesellschaftlich ausgeschlossene Außenseiter zu sein (ob gezwungenermaßen oder z.T. sogar freiwillig, sei an dieser Stelle einmal dahingestellt), konstitutiv. Dies stellen sie dann wiederum auch ganz offen durch Nihilismus, Melancholie, Zynismus und Drogenkonsum zur Schau (Ästhetik des Scheiterns). Die Dichter begründen sozusagen ihre eigene ars heterotopica25. Oftmals wird GAUTIER später dann auch Verhöhnung des Monarchen NAPOLÉON III26 vorgeworfen, doch die Prozesse gehen für ihn stets glimpflich aus27. „Il était né rêveur et cette nonchalance que tous ses contemporains ont remarquée en lui n’eût pas d’autre cause.“28 Er ist ein enger Freund von GUSTAVE FLAUBERT29 und CHARLES BAUDELAIRE30, mit denen er regelmäßig zusammentrifft. Letzterer widmet ihm sogar seine berühmten fleurs du mal. Wirkliche Anerkennung findet GAUTIER erst an seinem Lebensabend. 1862 wird er zum Präsident der Société nationale des Beaux-Arts gewählt. Man offeriert ihm u.a. Stellen als Bibliothekar, sogar ein Sitz im Senat ist ihm noch angeboten worden. Am Ende seines Lebens erhält er vom ministre de l’Instruction publique ein Jahresgehalt von 3000
Franc, mit dem er seine letzten Tage frei von finanziellen Sorgen verleben kann.31 Ihm wurde jedoch niemals das Privileg zuteil, in die Académie française aufgenommen zu werden. „Son existence a été faite de déceptions. La plus amère fut peut-être de savoir qu’il devait sa célébrité plus à ses feuilletons qu’à ses vers. “32 Im Jahre 1866 veröffentlicht THÉOPHILE GAUTIER in Anlehnung an seine Konzeptionen des Kunstbegriffs erstmals die gemeinsame Gedichtanthologie Le parnasse contemporain (Sie enthält Werke u.a. von PRUDHOMME, LÉON DIERX33, JOSÉ- MARIA DE HEREDIA34 ). Zum zweiten Mal erscheint sie überarbeitet 1871, ein drittes Mal 1876. Hiernach benennt sich im Folgenden eine Dichtergruppe, die École35 parnassienne mit u.a. GAUTIER selbst, THÉODORE DE BANVILLE36 und LECONTE DE LISLE37, wobei das Schaffen des Letzteren eindeutig den Höhepunkt des Prinzips ars gratia artis innerhalb des Parnasse verkörpert. Dieser Dichterkreis bezieht sich somit hinsichtlich seiner Namensgebung direkt auf den Berg Parnaß38, in der antiken griechischen Mythologie Heimat der neun Musen und Sitz Apolls. Die Neuartigkeit ihrer Dichtung liegt vor allem in den der Romantik entgegen gestellten antisub- jektivistischen Elementen (s.u.) und der Analogie zwischen Dichtung und Bildhauerei (vgl. Cénacle: Kunst & Malerei!). Die Dichter um GAUTIER wollen mit ihrer Poesie im metaphorischen Sinne „den Parnaß erneut erklimmen“, ganz so, wie es bereits die großen Literaten der griechisch-römischen Antike vor ihnen getan haben. THÉOPHILE GAUTIER stirbt am 23. Oktober 1872 in Neuilly-sur-Seine nahe Paris.
2. Die Kunst: « À quoi cela sert-il ? » - Das préface zu « Albertus» (1832)
In dieser 24 Gedichte umfassenden Gespenstergeschichte39 geht es um eine Hexe, die, als schöne Frau maskiert, Unheil verbreitet. Zur Mitternacht verwandelt sie sich in eine blendende Schönheit und betört alle Männer, darunter auch den Maler Albertus. Dieser ist ein frommer, reiner und unbescholtener Mensch. Kurz darauf verwandelt sie sich wieder in die hässliche Alte und gewaltsam entführt sie Albertus zum Hexensabbat. Am nächsten Morgen findet man dessen Leiche mit umgedrehtem Hals auf der Via Appia nahe Roms.
Ce récit fantastique qui fit pas mal de bruit à son apparition est plein d’excentricités. C’est naturel ; le poête [sic !] avait vingt ans ! (…) Ce poême [sic !] baroque emprunté à un conte du moyen âge n’a guère moins de quinze cents vers. (…) Néanmoins ces excentricités, quelquefois grotesques, ces plaisanteries bizarres dévoilèrent au public un des grands écrivains de l’avenir.40
Nun zur Sprechsituation, d.h. dem situativen Rahmen im Vorwort des Werks: In diesem kurzen Text von immenser poetologischer Brisanz zeichnet GAUTIER das Bild des (fiktiven) Autors nach, der hinsichtlich seines Wesens und seiner Charakterzüge den Auffassungen GAUTIERS selbst entspricht: Ein Schriftsteller, der sich in sein eigenes kleines Refugium zurückzieht: „Un espace de quelques pieds où il fait moins froid qu'ailleurs, c'est pour lui l'univers. (…) Il n'a vu le monde que ce que l'on en voit par la fenêtre41, et il n'a pas eu envie d'en voir davantage.“42 Dort interessiert er sich nur für seine Kunst und sein Schreiben. Das Leben außerhalb, die Politik43 oder gar die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben lehnt er ab und negiert er44. Das Leben außerhalb seines mundus in nuce langweilt ihn und er straft die Außenwelt und ihre verlogenen Kritiker mit Nichtbeachtung und Desinteresse (i.e. la dépolitisation de la littérature & la dissociation de l'art et de la politique45 ): „Il s'est imaginé (…) quelques bonnes gens comme lui qui s'ennuyaient mortellement de toute cette politique hargneuse des grands journaux, et dont le cœur se levait à cette polémique indécente et furibonde de maintenant.“46. Allen, die am Sinn seines Schaffens zweifeln, und ihn fragen, wozu es denn nützlich sei, antwortet er:
Cela sert à être beau. - N'est-ce pas assez ? Comme les fleurs, comme les parfums, comme les oiseaux, comme tout ce que l'homme n'a pu détourner et dépraver à son usage. En général, dès qu'une chose devient utile, elle cesse d'être belle. (…) L'art, c'est la liberté, le luxe, l'efflorescence, c'est l'épanouissement de l'âme dans l'oisiveté. - La peinture, la sculpture, la musique ne servent absolument à rien. (…) et les objets dont on a le moins besoin sont ceux qui charment le plus.47
Er weiß sehr wohl darum, dass in der modernen, industrialisierten Welt der Massenproduktion und der Leistungs- und Nutzenorientierung dem Kleinod Poesie kein Gewicht mehr zufällt, und „dass die Poesie in der utilitaristisch gesonnenen und profitorientierten bürgerlichen Gesellschaft keinen Platz hat, dass der Dichter letztlich nur ein Paria48 in dieser Ordnung ist.“49 Ihm ist es somit auch gleichgültig,
ob sein Schaffen Beachtung findet, oder nicht, denn er dichtet um des Dichtens willen, und nicht, damit seine Dichtung zwangsläufig auch rezipiert wird (vgl. letzter Absatz, s.u.). Deshalb widmet er sich - einem Eremiten gleich - nur noch sich selbst und seiner Kunst, für die er nun in Stille die Muße hat, um sie bis hin zur Perfektion zu bearbeiten, ganz wie es auch ein Bildhauer mit der Skulptur macht. Schön kann nur das gesellschaftlich Nutzlose sein. Mit all diesen Aussagen des Albertus-Autors50
- der ein Konstrukt des realen Autors GAUTIER ist - nimmt er bereits wesentliche Prinzipien des ars gratia artis und der École parnassienne vorweg und läuft somit den bisher etablierten Vorstellungen von Kunst frech zuwider. Untertitelt ist das Werk zudem mit dem Shakespearevers: „You shall see anon, ’tis a knavish Piece of work“51
3. Aufruf zur „Wider-vertu“ im préface zu « Mademoiselle de Maupin» (1834/35) LUGETE VETERES!
Dieses Werk handelt von einer jungen52 Frau, Madeleine de Maupin,53 die sich immer wieder in alternierender Reihenfolge als Mann ‚Théodore’ verkleidet und somit im wilden Nachtleben durch einen Geschlechterslalom freizügige bisexuelle Abenteuer erlebt. Im Vorwort zu diesem berühmten Briefroman konkretisiert GAUTIER seine Ideen weiter und ausführlicher. Wie bereits im Albertus proklamiert er auch hier, dass die Kunst völlig zweckfrei zu sein habe, jedes gesellschaftliche und politische Engagement meiden müsse und den Sinn allein in der Perfektion ihrer Produkte habe. Dies stellt eine Reaktion auf die kollektive Frustration einer ganzen Generation von Künstlern und Intellektuellen dar, die nach der Revolution 1830 durch politische Repressionen enttäuscht worden war. Diese konkreten Aussagen blieben natürlich nicht ohne Reaktionen: „À l’apparition de cet ouvrage, (…) on cria à l’immoralité.“54 Überhaupt gelangt der Roman erst zehn Jahre später nach einer Neuauflage zu Ruhm und Anerkennung. In den Jahren davor wuchs die Bedeutung der Kunst und Literaturkritik vor allem in den Feuilletons der Tageszeitungen und Zeitschriften. Dieser zunehmende Einfluss der Presse machte das Feuilleton zu einem bedeutenden Diskussionsforum künstlerisch-literarischer Probleme in der Öffentlichkeit.
[...]
2 http://www.unil.ch/fra/page43780.html.
3 „Lyrisches Sprechen ist (…) dadurch gekennzeichnet, daß es sowohl narrative als auch dramatische als auch nicht-narrative und nicht-dramatische Strukturen ausbilden kann (…).“ (Weich, S. 43)
4 Texte, die man - in Analogie zum Vexierbild (= Suchbild) - aufgrund seiner eigenen Ideen, vorgefertigten Meinungen und Vorstellungen auf jeweils unterschiedliche Weise auslegen und interpretieren kann.
5 Mahler, S. 39-42.
6 Richet, S. 36.
7 „’Quoique j’aie passé toute ma vie à Paris, j’ai gardé un fond méridional.’“ (Richet, S. 8)
8 Richet, S. 60.
9 1790-1855, französischer Maler.
10 Von mittelateinisch: bohemus = der Böhme, der Zigeuner. Dieser Begriff bezeichnet „wilde“ & „schillernde“ Lebensart, z.T. sogar gegenläufig zu den jeweils herrschenden gesellschaftlichen Konventionen. Diese ungebundene und freie Lebensweise jenseits jeglicher Norm und sozialer Absicherung wurde seinerzeit dem fahrenden Volk unterstellt. Künstler u.a. adaptierten dies.
11 28.02.1802-22.05.1885, franz. Schriftsteller der Romantik & später auch des Realismus.
12 „’L’un est l’idée, l’autre est la matière.’“ (Richet, S. 38)
13 Bei der Uraufführung von HUGOs Hernani am 25.02.1830 kam es zum Eklat: Das Publikum, gespalten in Vertreter des klassischen Theaters (Anhänger des Ancien Régime) und in die Unterstützer modernerer Theaterformen (i.e. die Romantiker), gab sich einer handfesten Prügelei hin.
14 22.05.1808-26.01.1855, eigentlich GÉRARD LABRUNIE, französischer Vertreter der Romantik.
15 Richet, S. 22.
16 ebenda S. 35.
17 ebd. S. 25.
18 „Comme la jeunesse de son temps, il avait été séduit par les réformes romantiques (…) Mais l’âge venu, il s’était corrigé. “ (Richet, S. 58)
19 „’Le feuilleton est un arbuste qui perd ses feuilles tous les soirs et qui ne porte jamais de fruits.’“ (Richet, S. 16) „Il était né poète ; la nécessité seule, fit de lui un critique ; métier, honorable, il est vrai, mais qui ne convenait nullement à sa nature. “ (ebd. S. 26)
20 07.03.1839-07.09.1907, französischer Schriftsteller und 1901 erster Nobelpreisträger für Literatur.
21 21.10.1790-28.02.1869, französischer Schriftsteller, Dichter und Politiker.
22 „On lui a souvent reproché d’avoir trop sacrifié à la forme“. (Richet, S. 44)
23 ebenda S. 24.
24 Eine der Maximen des griechischen Philosophen EPIKURs (~341-270 v. Chr.) und seiner Schule war: Lebe im Verborgenen (und gib dich den Genüssen hin)!
25 i.e. die Kunst (der Kreation) eines anderen Ortes. In ihrem Zustand des Ausgegrenztseins erschaffen sie sich selbst Rückzugs- und Zufluchtsorte in der Kunst.
26 20.04.1808-09.01.1873, eigentlich CHARLES-LOUIS-NAPOLÉON BONAPARTE, 1849-1852 fran- zösischer Präsident und 1852-1870 Kaiser der Franzosen.
27 vgl. Richet, S. 36.
28 Richet, S. 35.
29 12.12.1821-08.05.1880, franz. Schriftsteller. Auch in der Narrativik wurde der Versuch der sich selbst genügsamen Kunst unternommen: „Flaubert et son idéal d'un ‘livre sur rien’, d'un livre ‘qui se tiendrait lui-même par la force interne de son style’. (http://www.unil.ch/fra/page43780.html.)
30 09.04.1821-31.08.1867, französischer Schriftsteller, hier vor allem aber Lyriker.
31 Die Regierung versuchte mit einer Mischung aus Repression und Verführung die Künstler zu neutralisieren und zu integrieren. Durch offiziöse Mechanismen wie die Vergabe von Preisen und/oder Pensionen oder durch Anstellung und Beschäftigung.
32 Richet, S. 62.
33 31.03.1838-12.06.1912, französischer Maler und Dichter.
34 22.11.1842-02.10.1905, kubanisch-französischer Dichter.
35 „Le Parnasse n’est pas une école, mais plutôt une génération poétique“ (Didier, S. 2717)
36 14.03.1823-13.03.1891, französischer Dichter.
37 22.10.1818-14.07.1894, eigentl. CHARLES MARIE RENÉ LECONTE DE LISLE, franz. Dichter.
38 altgriech.: Παρνασ(σ)ός = Parnaß, 2460m hoher Berg in Phokis (Region in Zentralgriechenland).
39 Textgrundlage: poésies complètes I, S. 81-84. (Im Folgenden mit Albertus bezeichnet)
40 Richet, S. 38f.
41 Man nennt dieses Werk in der Fachliteratur z.T. auch poème-vitre de l'art pour l'art. Das Bild des fenêtre versinnbildlicht die Trennung der Kunst („Drinnen“) von der Politik („Draußen“).
42 Albertus, S. 81.
43 „Quelles ont été ses opinions politiques? Il est probable qu’il n’en a jamais eu, qu’il est resté neutre par indifférence et surtout par dédain. Il a considéré les gouvernements dans leurs rapports avec les arts. “ (Richet, S. 60)
44 „Il n'a aucune couleur politique ; il n'est ni rouge, ni blanc, ni même tricolore ; il n'est rien, il ne s'aperçoit des révolutions que lorsque les balles cassent les vitres. (…) il fait des vers pour avoir un prétexte de ne rien faire, et ne fait rien sous prétexte qu'il fait des vers.“ (Albertus, S. 81)
45 http://www.unil.ch/fra/page43780.html.
46 Albertus, S. 82.
47 ebenda S. 82f.
48 Parias sind die Unterdrückten und Ausgestoßenen im indischen Kastensystem.
49 Grimm, S. 279.
50 Dieses „être de papier“ (vgl. Weich, S. 40f.) kann bis zu einem gewissen Grade hier natürlich mit GAUTIER gleichgesetzt werden.
51 Ihr werdet (bald) schon sehen, ’s ist ein bübisch’ Stückchen Arbeit, dies Werk! (Hamlet, III/2)
52 Textgrundlage: Éditions Garnier, S. 1-39. (Im Folgenden mit Maupin bezeichnet)
53 Betrauert (i.S.v. seid beunruhigt über) diese Entwicklung, ihr Alten! (Richet, S. 30) ; phonetisch abgewandelt nach CATULL (1. Jhd. v. Chr.), c.iii : „Lugete, o Veneres Cupidinesque“ (Hervorhebung d. Verf.) = Trauert, oh ihr Liebesgötter!.
54 ebenda S.30.
- Citar trabajo
- Hendrik Keilhauer (Autor), 2008, ARS GRATIA ARTIS - l’art pour l’art, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93839
-
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X.