Das Thema dieser Arbeit lautet Anthropologische Themen im Geschichtsunterricht – Ein Längsschnitt am Beispiel des alltagsgeschichtlichen Themas Kindheit. Auf Grund der Stofffülle und der Forderung nach didaktischer Reduktion wird in diesem theoretisch geplanten Längsschnitt der Unterrichtsgegenstand auf Kinderarbeit eingeschränkt. Zuerst wird der Ansatz der Historischen Kulturanthropologie näher erläutert. Daraufhin folgt eine kurze Beschreibung der Methode des Längsschnitts. Sodann folgt der Längsschnitt am Beispiel Kindheit - Kinderarbeit. In diesem Abschnitt wird als erstes die Themenfindung beschrieben, dann die Relevanz für die Schüler dargelegt und es folgt die Einordnung in den Lehrplan. Es schließt sich die Aufstellung einer Hauptleitfrage und eines Hauptleitziels an. An diesen orientiert sich der Stundenaufbau des Längsschnittes. Nach der Sachanalyse, in der die Unterthemen kurz wissenschaftlich dargestellt werden, setzt sich die Verfasserin mit der didaktischen und methodischen Analyse des Themas auseinander. Es werden bestimmte Aspekte der einzelnen Unterrichtsstunden ohne Anspruch auf Vollständigkeit überblicksartig vorgeschlagen. Am Ende der Arbeit wird eine Bilanz gezogen, welche u. a. beinhalten soll, welche Schwierigkeiten sich mit der Entwicklung dieses Längsschnittes ergaben und worin Vor- und Nachteile einer solchen Unterrichtsgestaltung in der Praxis bestehen könnten.
Inhalt
I. Einleitung
II. Ansatz der Historischen Anthropologie
III. Längsschnitt - Methode und Ziel
IV. Längsschnitt am Beispiel Kindheit - Kinderarbeit
(1) Thema der Unterrichtssequenz/ Didaktische Überlegungen (Relevanz für die Schüler)
(2) Klassenstufe und Lehrplanbezug
(3) Hauptleitfrage und Hauptlernziel
(4) Sachanalyse
(5) Didaktische und methodische Analyse - Aspekte der einzelnen Unterrichtsstunden/ Unterrichtsverlauf
V. Schlussteil
VI. Literaturverzeichnis
VII. Anhang
Anhang A: Chronologische Übersicht über die Quellen
Anhang B: Quellen
Quelle 1: Bauernkinder
Quelle 2: Kinderarbeit in der Buntpapierfabrik Dessauer Aschaffenburg, 1858 – Holzstich
Quelle 3: Kinderarbeit in einer Baumwollspinnerei
Quelle 4: Gesetz zur Einschränkung der Arbeit von Kindern und Jugendlichen in Preußen
Quelle 5: Verteidigung der Kinderarbeit durch einen schleswig-holsteinischen Unternehmer (1867)
Quelle 6: Schwabenkinder
Quelle 7: Zeitzeugenbericht
Material : Der Film: „Die Schwabenkinder“ – Filmausschnitte
Quelle 8: Kinderarbeit um 1900
Quelle 9: Verbot der Kinderarbeit - RGBl. 1903 - Auszug
Quelle 10: Gesetz zum Schutz der arbeitenden Jugend (1976)
Quelle 11: Statistik Kinderarbeit in Entwicklungsländern
Anhang C: tabellarischer geplanter Unterrichtsverlauf
I. Einleitung
Das Thema dieser Arbeit lautet Anthropologische Themen im Geschichtsunterricht – Ein Längsschnitt am Beispiel des alltagsgeschichtlichen Themas Kindheit. Auf Grund der Stofffülle und der Forderung nach didaktischer Reduktion wird in diesem theoretisch geplanten Längsschnitt der Unterrichtsgegenstand auf Kinderarbeit eingeschränkt. Zuerst wird der Ansatz der Historischen Kulturanthropologie näher erläutert. Daraufhin folgt eine kurze Beschreibung der Methode des Längsschnitts. Sodann folgt der Längsschnitt am Beispiel Kindheit - Kinderarbeit. In diesem Abschnitt wird als erstes die Themenfindung beschrieben, dann die Relevanz für die Schüler dargelegt und es folgt die Einordnung in den Lehrplan. Es schließt sich die Aufstellung einer Hauptleitfrage und eines Hauptleitziels an. An diesen orientiert sich der Stundenaufbau des Längsschnittes. Nach der Sachanalyse, in der die Unterthemen kurz wissenschaftlich dargestellt werden, setzt sich die Verfasserin mit der didaktischen und methodischen Analyse des Themas auseinander. Es werden bestimmte Aspekte der einzelnen Unterrichtsstunden ohne Anspruch auf Vollständigkeit überblicksartig vorgeschlagen. Am Ende der Arbeit wird eine Bilanz gezogen, welche u. a. beinhalten soll, welche Schwierigkeiten sich mit der Entwicklung dieses Längsschnittes ergaben und worin Vor- und Nachteile einer solchen Unterrichtsgestaltung in der Praxis bestehen könnten.
II. Ansatz der Historischen Anthropologie
Anthropologie ist im Allgemeinen die „Wissenschaft vom Menschen“[1]. Teilgebiete der Anthropologie sind z. B. die Historische, Biologische und die Philosophische Anthropologie (Herausarbeitung menschlicher Grundbefindlichkeiten) sowie die Kultur- und Sozialanthropologie. Die Kultur- und Sozialanthropologie kann man als Wissenschaft bezeichnen, die sich mit dem Menschen und dessen Entwicklung beschäftigt - synonymisch kann man die Bezeichnungen Ethnologie und Völkerkunde verwenden. Historische Anthropologie beschäftigt sich als Teilgebiet der Historiographie - vereinfacht ausgedrückt - mit dem Wesen des Menschen und dessen Schicksal. Eine allgemeingültige Definition gibt es bisher noch nicht (s. u.). In einer anderen, der zweiten Bedeutung ist der Begriff Historische Anthropologie mit dem der Biologischen Anthropologie gleichzusetzen.[2]
Die Historische Anthropologie begann als Forschungsrichtung feste Gestalt anzunehmen, als in den 1960er Jahren angefangen wurde, über die Beziehung von Historie und Anthropologie systematisch nachzudenken. 1968 bzw. 1973 wurde die erste Formulierung eines Programms der Historischen Anthropologie mit dem Aufsatz Anthropologische Dimension der Geschichtswissenschaft von Thomas Nipperdey publiziert. Hier wurde das Ziel formuliert, dass im Gegensatz zur Sozialwissenschaft die Vergangenheit dahingehend untersucht werden sollte, in welchem wechselseitigen Verhältnis objektive Strukturen und subjektive Erfahrungen der Menschen stehen. Aufgabe der Historischen Anthropologie sei es, „die allgemeine Interpendenz zwischen gesellschaftlichen, kulturellen und personalen Strukturen historisch aufzuhellen.“[3] Seit den 1970er Jahren bildeten sich zur Institutionalisierung der Forschungsrichtung drei Zentren. Als erstes ist hier das Stuttgarter Institut für Sozialforschung, in welchem 1970 eine Abteilung für Historische Verhaltensforschung eingerichtet worden war, zu nennen. Des Weiteren entstand 1975 das Freiburger Institut für historische Anthropologie. Es ist von Oskar Köhler gegründet worden und die Interessen des Instituts überschneiden sich zwar mit denen der Alltagsgeschichte, der Volkskunde und Sozialgeschichte – doch deren Themen und Methoden sind dennoch unzureichend, um das Ziel, den Menschen „in all seinen Äußerungen“[4] zu erkunden zu erreichen. Es geht also vornehmlich um das Menschliche in der Geschichte. Die Stärke des Freiburger Instituts ist der „universalhistorisch-vergleichende Zugriff“[5]. Als kritisch zu betrachten gilt es nach Richard van Dülmen, dass hier der soziale Hintergrund hinter der vergleichenden Methode zurücksteht. Als dritte Einrichtung ist das Max-Planck-Institut in Göttingen aufzuzählen. Dort bildete sich 1978 ein Historiker-Kollektiv - dem u. a. Hans Medick und Alf Lüdtke angehörten - welches nicht nur auf der vergleichenden Ebene zu forschen ersuchte, sondern sich zum Ziel setzte, auch sozialanthropologische Ansätze in die anthropologische Historiographie mit einzubeziehen.[6]
Hans Medick bezeichnet die Historische Anthropologie als interdisziplinäres und als ein „ein offenes Forschungsfeld“[7], welches sich zudem noch entwickelt. „Historische Anthropologie rückt die Menschen in der Vielfalt ihrer kulturell geprägten Lebensformen, Lebenserfahrungen und Lebensäußerungen ins Zentrum des historischen Interesses.“[8] Es geht dabei um die Erforschung der Kulturen und gesellschaftlichen Bedingungen.[9] Lücken, die in der Sozialgeschichte, welche Struktur- und Prozessorientierung prägt, bestanden, sollen mit der anthropologischen Erforschung der Geschichte geschlossen werden. Denn so sei es möglich, mikrohistorische Strukturen zu analysieren. So sei es auch möglich, u. a. die Frauen- und Familiengeschichte zu erforschen.[10] Die Interessen an einer historischen Anthropologie fächerten sich seit dem Beginn der 1970er Jahre in verschiedenste Forschungsrichtungen auf. So nennt Richard van Dülmen die historische Demographie und die damit eng zusammenhängende Familienforschung, die Erforschung der Geschichte der Arbeiterschaft und Arbeiterbewegung, die Alltagsgeschichte, welche ein sehr starker Antrieb für die Entstehung einer Historischen Anthropologie war und etwa gleichzeitig entstand sowie die eng mit der Historischen Anthropologie verknüpfte Erforschung der Volkskultur und die Erforschung der Frauengeschichte.[11]
Ansätze der Alltagsgeschichte und der Historischen Anthropologie greifen die Bereiche des historischen Lebens auf. Menschen werden hinsichtlich ihrer Existenzformen, ihres Glaubens und ihrer Meinungen, die deren Leben bestimmten, erforscht.[12] Es besteht in der anthropologischen Geschichtsforschung deshalb auch eine unheimliche Themenvielfalt. So werden beispielsweise die Geschichte des Gebärens, der Sexualität, des Todes sowie die Geschichte der Volkskultur oder der Wandel von Familienbeziehungen gegenständlich gemacht. Es besteht weiterhin eine große Methodenvielfalt. Neben den interpretierenden Zugängen gibt es ebenso die quantifizierenden.[13] Eine Methode ist beispielsweise der Zugang zu Vergangenem über dezentrierende und vergleichende Perspektiven.[14] Im Bereich der Zeitgeschichte sind Zugänge über die Methoden der Oral-History – als ein Beispiel für einen interpretierenden Zugang - möglich. Über Erinnerungen und zwangsweise auch Eigen- und Uminterpretationen der Erfahrungen von Zeitzeugen entsteht eine (folglich subjektive) Erfahrungs- und Alltagsgeschichte hinsichtlich einer bestimmten Problematik.[15]
Es gibt wohl keine allgemeine Definition von Historischer Anthropologie, was auch damit zusammenhängt, dass diese Richtung in ihrer Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Man kann sie aber folgendermaßen umschreiben: Historische Anthropologie „stellt sich I…I als eine ethnologisch inspirierte Fragestellung dar, die das Verhalten gewöhnlicher Menschen untersucht und daraus zunächst einmal auf Verhaltensmuster der betreffenden Kultur zu schließen versucht, um die latenten Regeln des dortigen Alltags zu entdecken.“[16] Im Mittelpunkt des Interesses steht also der Mensch und dessen unmittelbares Umfeld sowie seine Erfahrungen und Interessen.[17]
Die Historische Anthropologie und vor allem auch die Alltaggeschichte zeichnen sich bzgl. des Geschichtsunterrichts dadurch aus, dass sie ein natürliches Interesse in Menschen wecken, nämlich das, erfahren zu wollen, was in ihrer unmittelbaren Umgebung mit einfachen Menschen in der Vergangenheit passiert ist und warum sich diese oder jene Entwicklung vollzog. Dieses Interesse besitzen ebenso Schüler und folglich ist es m. E. nach als positiv zu bewerten, dass Ansätze der Historischen Anthropologie vermehrt in den Geschichtsunterricht aufgenommen werden.
III. Längsschnitt - Methode und Ziel
Der Längsschnitt ist im Gegensatz zum Querschnitt ein diachrones Verfahren, welches immer häufiger in die neueren Lehrpläne aufgenommen wird. Die Methode beinhaltet, dass ein Untersuchungsgegenstand über einen längeren historischen Zeitraum analysiert wird. Ein historisches Phänomen wird diachron verglichen. Das Verfahren bewirkt, dass die Schüler ein Bewusstsein für zeitliche Veränderungen entwickeln bzw. ausbauen. Zudem ist diese Methode aus Schülersicht u. a. durch den herstellbaren Gegenwartsbezug sicher ebenso die interessantere, wenn auch oft unheimlich viel Vorwissen notwendig ist. Heutige Phänomene werden durch die vergleichende Erarbeitung transparent. Geradezu ideal für den Längsschnitt sind alltagsgeschichtliche Themen wie Ernährung, Kindheit, Jugend, Alter, Tod etc. Diese Themen müssen natürlich für den Geschichtsunterricht eingegrenzt werden, man sollte als Lehrer jene Zeiten auswählen, „in denen sich besonders einschneidende Wandlungen vollzogen haben oder das gewählte Thema einen besonderen Stellenwert hatte“[18]. Der Lehrer muss sich dennoch dessen bewusst sein, dass die Erarbeitung eines Themas mittels eines Längsschnittes auch Gefahren birgt. Immerhin werden die Ereignisse aus den verschiedenen Zeiträumen - punktuell und aus dem Gesamtzusammenhang herausgerissen - betrachtet und dies könnte dazu führen, dass spezifisch wichtige Bedingungen und Kausalitäten bei der Betrachtung vernachlässigt werden.[19] Deshalb sollte die Methode des Längsschnittes auch nur dann im Geschichtsunterricht eingesetzt werden, wenn das übergeordnete Lernziel adäquat ist.
IV. Längsschnitt am Beispiel Kindheit - Kinderarbeit
(1) Thema der Unterrichtssequenz/ Didaktische Überlegungen (Relevanz für die Schüler)
Das Thema dieser theoretisch geplanten Unterrichtssequenz lautet Kinderarbeit als Teilgebiet des historisch-anthropologischen Forschungsthemas Kindheit. Andere Teilgebiete sind beispielsweise auch Kleidung, Erziehung, Rechtstellung oder Gesundheit. Im Sinne der Historischen Anthropologie lässt sich das Thema Kindheit nach der Einteilung Reinhards in drei große anthropologische Gebiete - nämlich Körper, Mitmenschen und Umwelten -, die in sich jeweils wiederum untergliedert sind, in den Bereich Mitmenschen – Kindheit und Jugend einordnen.[20]
In der Sekundarstufe I bieten sich drei Themengebiete für Längsschnitte an. Dies ist zum einen das Gebiet Ursituationen, welche nahe an der Lebenswelt der Schüler gelegen sind, zum anderen ist es der Bereich, in dem aktuelle Gegenwartsthemen auf ihren geschichtlichen Ursprung hin untersucht werden und zum dritten kann man das Gebiet behandeln, in dem die Geschichte(n) von einzelnen Kulturen und Völkern untersucht wird.[21] Des Weiteren gibt es verschiedene Kriterien, nach denen man Unterrichtsgegenstände aussuchen kann. Diese sind beispielsweise Kindgemäßheit und Schülerorientierung sowie der Gegenwartsbezug und die Lebensnähe.[22] Das Thema Kinderarbeit als Teilgebiet der Kindheit fällt unter den Bereich Ursituationen und tangiert die Lebenswelt der Schüler insoweit, als dass sie noch nicht lange aus dem Bereich der Kindheit „herausgewachsen“ sind und es Regelungen gibt, nach denen auch sie in der Gegenwart arbeiten dürfen, so z. B. gilt das Zeitungsaustragen oder das Rasenmähen als legitime Beschäftigung.[23] Außerdem ist zwar Kinderarbeit in allgemeiner Sicht verboten, doch in Ländern der Dritten Welt und auch in Russland ist diese Problematik aktuell.[24] Deshalb ist das Thema kindgemäß bzw. schülerorientiert und der Gegenwartsbezug ist gegeben.
(2) Klassenstufe und Lehrplanbezug
Die Sequenz ist angelegt für die achte Klasse eines Gymnasiums. Im Lehrplan des Landes Sachsen findet sich der Bezug im Lernbereich drei der Klassenstufe acht.[25]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der Längsschnitt ist nach dem Lehrplan auf den Zeitraum von sechs Unterrichtsstunden angelegt.
(3) Hauptleitfrage und Hauptlernziel
Die Hauptleitfrage, welche sich durch die sechs Stunden der Unterrichtssequenz zieht, lautet Kinderarbeit – Wie verläuft die Entwicklung von der Selbstverständlichkeit für die Menschen und von der gesellschaftlichen Akzeptanz bis hin zur Unselbstverständlichkeit und zum Verbot?
Das Hauptlernziel Wissen um den Wandel des Umgangs mit dem Thema Kinderarbeit sollte am Ende der Einheit erfüllt sein.
Untergeordnete Lernziele sind beispielsweise Wissen über Ansichten der Gesellschaft zum Thema Kinderarbeit zu verschieden Zeiten und das Erkennen des Wandels in der Geschichte. Die Schüler sollen weiterhin dazu befähigt werden, Ursprünge und Konsequenzen von Kinderarbeit nachvollziehen zu können. Auch soll der Umgang mit Medien (Bilder, Textquellen, Film) weiter ausgebaut werden.
(4) Sachanalyse
Das Thema wird wegen der begrenzten Stundenanzahl noch mal eingegrenzt. So werden beispielsweise im Mittelalter nur Bauernkinder näher betrachtet oder in der Industrialisierung lediglich die Arbeiterkinder (siehe auch Punkt III – Methode und Ziel des Längsschnitts).
a) Mittealter
aa) Kindheit im Mittelalter
Die Kindheit wurde im Mittelalter ebenso wie in der Gegenwart in verschiedene Phasen eingeteilt. Die infantia, also die erste Phase in der Entwicklung eines Menschen, umfasste wohl den Zeitraum von der Geburt bis zum 2. bzw. bis zum 5. /7. Lebensjahr und ist nach mittelalterlicher Auffassung geprägt durch Hilflosigkeit des Wesens sowie auch dadurch, dass es auf Pflege angewiesen sei. Die zweite Phase in der Entwicklung eines Menschen, die pueritia, beginnt aber nach allgemeiner mittelalterlicher Auffassung mit dem 7. Lebensjahr. Das Kind könne nun sprechen und begänne, moralische sowie sachliche Entscheidungen zu fällen.[26] Neil Postman zufolge endet die Kindheit im Mittelalter mit sieben Jahren. Derselben Meinung ist auch Philippe Ariés.[27] Mit dem Beginn des 7. Lebensjahres setzte auch die schulische bzw. berufliche Ausbildung ein. Die adolescentia, die dritte Entwicklungsstufe, beginnt mit 14 Jahren bei Jungen und bei Mädchen mit dem 12. Lebensjahr. Im Mittelalter glaubte man im Allgemeinen, dass in diesem Alter die Kinder stärker zur Sündhaftigkeit neigen würden, leicht zu beeinflussen seien und die Nähe Gleichaltriger suchen. Weiterhin baue sich in dieser Phase das Urteilsvermögen aus, der Verstand entwickle sich weiter. Im bäuerlichen Milieu begann mit dem 7. Lebensjahr das Arbeitsleben. Folglich verschieben sich hier die Übergänge der Phasen. Ein Bauernjunge befand sich bereits dann in der Phase der adolescentia, wenn er selbstständige Arbeit leistete – er galt ab diesem Zeitpunkt schon oft als Erwachsener, der sich nur noch in Größe und ein wenig im Aussehen von den älteren Erwachsenen unterschied. Das Ende der Phase der adolescentia ist nach mittelalterlicher Auffassung fraglich, es gab kein bestimmtes Merkmal für Volljährigkeit. Es gibt Auffassungen mittelalterlicher Autoren, die das Ende der adolescentia im Alter von 19 Jahren sehen, andere bestimmen das 25., 28. bis hin zum 35. Lebensjahr.[28]
bb) Arbeit von Bauernkindern
Bauernjungen erlangten, wenn überhaupt, etwas Bildung durch Unterricht beim Dorfpfarrer oder in der Grundschule eines nahe gelegenen Klosters. Bauernmädchen hingegen wurden gar nicht erst unterrichtet. Die Bauernkinder wurden durch die Eltern, durch den Pfarrer und die Gemeinschaft des Dorfes erzogen. Moral und Verhaltensregeln lernten sie durch mündliche Vermittlung und durch Abschauen und Nachahmung – ebenso halfen sie häufig schon sehr zeitig bei der Arbeit der Erwachsenen mit. Kinder kamen mit anderen Kindern meist nur beim Spielen zusammen. Ab dem siebten Lebensjahr halfen die Kinder der Bauern tatkräftig bei der Arbeit mit. Sie waren u. a. als Boten tätig, hüteten die Gänse, Schafe, Schweine oder Kühe. Nach jeweiligem Können, welches die Kinder unter Anleitung der Eltern erworben haben, fütterten sie sodann die Pferde, halfen bei der Ernte mit. Häufig verletzten sich die Bauernkinder bei solchen Arbeiten. Beispielsweise fielen sie von einer Leiter. Nachdem Jungen und Mädchen in der ersten Zeit ihrer Kindheit wohl die gleichen Aufgaben hatten, trennen sich die Bereiche später – Jungen halfen beim Pflügen, bei der Ernte und beim Mauern, wohingegen Mädchen das Kochen, Weben und Spinnen erlernten. Eine strikte Teilung der Aufgaben gab es jedoch nicht. Wenn es nicht genug Arbeiten auf dem Bauernhof für alle gab, verdingten sich Kinder auch häufig – z. B. beim Gutsherrn. Mit 14 Jahren haben Bauernkinder bereits ausgelernt.[29]
[...]
[1] Dudenredaktion (Hg.): Duden. Das Fremdwörterbuch, S. 73.
[2] Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Anthropologie, Stand: 15.02.2006.
[3] Dülmen, Richard van: Historische Anthropologie in der deutschen Geschichtsschreibung, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Jg. 42, 11/ 1991, S. 693.
[4] Dülmen, Richard van: Historische Anthropologie in der deutschen Geschichtsschreibung, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Jg. 42, 11/ 1991, S. 695.
[5] Ebenda, S. 695.
[6] Vgl. ebenda, S. 693-696.
[7] Medick, Hans: Historische Anthropologie. Eine interdisziplinäre Perspektive, in: Handbuch der Geschichtsdidaktik, hrsg. von Klaus Bergmann u. a., Seelze-Veber 1997, S. 213.
[8] ebenda, S. 213.
[9] Vgl. ebenda, S. 213f.
[10] Vgl. Daniel, Ute: Kompendium Kulturgeschichte, S. 299.
[11] Vgl. Dülmen, Richard van: Historische Anthropologie in der deutschen Geschichtsschreibung, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Jg. 42, 11/ 1991, S. 696ff.
[12] Vgl. Daniel, Ute: Kompendium Kulturgeschichte, S. 303f.
[13] Vgl. ebenda, S. 306.
[14] Vgl. Medick, Hans: Historische Anthropologie. Eine interdisziplinäre Perspektive, in: Handbuch der Geschichtsdidaktik, hrsg. von Klaus Bergmann u. a., Seelze-Velber 1997, S.213.
[15] Vgl. Dülmen, Richard van: Historische Anthropologie in der deutschen Geschichtsschreibung, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Jg. 42, 11/ 1991, S. 699.
[16] Reinhard, Wolfgang: Lebensformen Europas, S. 13.
[17] Vgl. Reinhard, Wolfgang: Lebensformen Europas, S. 9ff.
[18] Sauer, Michael: Geschichte unterrichten, S. 47.
[19] Vgl. ebenda, S. 47f.; vgl. auch Günther-Arndt, Hilke (Hg.): Geschichtsdidaktik, S.160.
[20] Vgl. Reinhard, Wolfgang: Lebensformen Europas, S. 5ff.
[21] Vgl. Günther-Arndt, Hilke (Hg.): Geschichtsdidaktik, S. 160.
[22] Gies, Horst: Geschichtsunterricht, S. 118ff.
[23] Vgl. Jugendarbeitsschutzgesetz, http://www.juris.de, Stand: 14.01.2006 (siehe auch: Anhang B, Quelle 10).
[24] Siehe Sachanalyse.
[25] Lehrplan Sachsen, Geschichte (2004), S. 21; vgl. http://www.sn.schule.de/~ci/1024/lp_abs_landesliste_gy.html#Ggy, Stand: 24.01.2006 (Sächsisches Staatsinstitut für Bildung und Schulentwicklung).
[26] Vgl. Shahar, Shulamith: Kindheit im Mittelalter, S. 31ff.
[27] Vgl. Postman, Neil: Das Verschwinden der Kindheit, S. 24; Ariés, Philippe: Geschichte der Kindheit, S. 46.
[28] Vgl. Shahar, Shulamith: Kindheit im Mittelalter, S. 3ff.
[29] Vgl. Shahar, Shulamith: Kindheit im Mittelalter, S. 275ff.
- Arbeit zitieren
- Cora Wenzel (Autor:in), 2006, Längsschnitt am Beispiel des alltagsgeschichtlichen Themas „Kindheit“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93818
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