Die Arbeit gibt zuerst einen Überblick über die Praxissemesterschule und die geleisteten Praktikumsaktivitäten im Fach Deutsch, bevor sie im Anschluss das Planen, Durchführen und Reflektieren einer während des Praxissemesters durchgeführten Unterrichtsstunde zum Thema "Das Reziproke Lesen als Lesestrategie" behandelt. In einem Fazit wird die Arbeit zum einen mit einer Reflexion über das Schreiben des Unterrichtsentwurfes und zum anderen mit einem abschließenden Resümee über das Praxissemester enden.
Inhaltsverzeichnis
I. Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Beschreibung der Schulsituation und der Praktikumsaktivitäten
2.1 Die Schulsituation
2.2 Die Praktikumsaktivitäten
3. Bedingungsanalyse
3.1 Anthropogene Bedingungen
3.2 Rahmenbedingungen
4. Darstellung der Unterrichtsreihe
5. Darstellung der Unterrichtsstunde
5.1 Sachanalyse
5.1.1 Vorüberlegungen zum Unterrichtsgegenstand
5.1.2 Der Unterrichtsgegenstand
5.2 Die didaktisch-methodische Analyse
5.2.1 Curriculare Begründung
5.2.2 Allgemeine/fachdidaktische Begründung
5.3 Differenzierung der Lernziele der Unterrichtsstunde
5.3.1 Schwerpunkt der Kompetenzerweiterung
5.3.2 Stundenziel
5.3.3 Konkretisierung der Stundenziele mit Indikatoren
5.4 Die Stundenverlaufsplanung
5.5 Reflexion der Stunde und methodische Entscheidung
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
8. Anhang
I. Abkürzungsverzeichnis
BF1G192 Berufsfachschule einjährig, Beginn 2019 (zweizügig)
DJP Didaktische Jahresplanung
HS 9/10 Hauptschulabschluss Klasse 9/10
G/ES Gesundheit/Erziehung und Soziales
GS Gesundheit und Soziales
PISA Programme for International Student Assessment (deutsch: Programm für international Schülerbeurteilung)
1. Einleitung
„Lehren bedeutet, ein Leben für immer zu berühren.“ (Seneca)
Wie plane ich eine Stunde? Worauf muss ich bei der Durchführung und worauf in Bezug auf die Heterogenität der Schülerschaft achten? Was genau bedeutet Binnendifferenzierung? Und wieso ist es wichtig, fachwissenschaftliche Theorien für die zu unterrichtenden Inhalte zu kennen?
Im Rahmen des universitären Studiums Master of Education werden diese und weitere Fragen umfassend behandelt. Durch das im Master integrierte Praxissemester bietet sich den Studierenden schließlich die Möglichkeit, die Inhalte der Fachwissenschaft und Fachdidaktik der Unterrichtsfächer zu verzahnen, in der Praxis zu erproben und zu reflektieren.
Die folgende Arbeit gibt zuerst einen groben Überblick über die Praxissemesterschule und die geleisteten Praktikumsaktivitäten, bevor sie im Anschluss das Planen, Durchführen und Reflektieren einer während des Praxissemesters durchgeführten Unterrichtsstunde zum Thema ‚Das Reziproke Lesen als Lesestrategie‘ behandelt.
In einem Fazit wird die Hausarbeit zum einen mit einer Reflexion über das Schreiben des Unterrichtsentwurfes und zum anderen mit einem abschließenden Resümee über das Praxissemester enden.
2. Beschreibung der Schulsituation und der Praktikumsaktivitäten
2.1 Die Schulsituation
Das während des Praxissemesters besuchte Berufskolleg befindet sich in zentraler Nähe zur Innenstadt und Universität einer im Ruhrgebiet liegenden Großstadt und verfügt somit über gute Anbindungsmöglichkeiten, weshalb die Lernenden aus einem relativ großen Einzugsgebiet kommen.
Das Berufskolleg mit 1601 Lernenden und 101 Lehrer*innen ist ein eher kleines Berufskolleg und zeichnet sich durch seine vielfältigen Bildungsangebote in den Berufsfeldern Ernährung und Hauswirtschaft sowie Sozial- und Gesundheitswesen aus. Ob zuerst ein Schulabschluss im Mittelpunkt steht, eine berufliche Orientierung (in Voll- und Teilzeit angeboten) oder eine Weiterbildung, den Lernenden wird ein breites Spektrum an Möglichkeiten für den beruflichen Weg geboten. Es besteht zudem die Möglichkeit, sein Abitur in Kombination mit einer Erzieherausbildung zu absolvieren.
Nicht nur die berufliche Bildung, sondern vor allem auch die Persönlichkeitsbildung und die Selbstverantwortung der Lernenden in den Mittelpunkt des pädagogischen Handelns zu stellen, ist Hauptanliegen der Schule. Die Zeit im Berufskolleg soll zu einer positiven Lern- und Lebenserfahrung werden.1
Eine Besonderheit des Fachbereichs Deutsch, der mit 31 Kollegen der größte an der Schule ist, ist beispielsweise ein Material- und Medienraum, zu dem jeder Deutschlehrer Zugang hat. Dort befinden sich Lehrwerke verschiedener Schulbuchverlage, da es weder für das Fach Deutsch noch für das Fach Deutsch/Kommunikation ein spezifisches Lehrwerk gibt. Des Weiteren finden sich CDs und DVDs mit Inhalten zu unterschiedlichen Themenbereichen, Fotomaterial etc. in dem Raum. Eine weitere (allgemeine) Besonderheit des Berufskollegs ist die oben erwähnte Unterscheidung in die Fächer Deutsch und Deutsch/Kommunikation. So ist das Fach Deutsch nur im beruflichen Gymnasium verortet, Deutsch/Kommunikation hingegen in allen anderen Bildungsgängen.
Für leistungsschwächere Lernende werden zudem Zusatzkurse in den Fächern Deutsch/Kommunikation, Englisch und Mathematik angeboten. Der Deutschzusatz, an der Schule ‚Deutsch als Zweitsprache‘ genannt, wird vor allem von Lernenden mit Migrationshintergrund wahrgenommen.
Seit 2019 nimmt das Berufskolleg an dem Erasmus+ Projekt „Mein Deutsch ist gut – ich spreche mit Mut“ teil. Dabei besuchen Lernende, deren Zweitsprache Deutsch ist, aus verschiedenen Ländern beteiligte Partnerschulen anderer Länder. Das gesamte Projekt findet daher in deutscher Sprache statt. Die gegenseitige Unterstützung zum Deutschlernen und der interkulturelle Austausch stehen dabei im Vordergrund. Begleitet wird der Austausch von Deutschlehrkräften. Das Projekt hat eine Dauer von zwei Jahren und endet 2021.
2.2 Die Praktikumsaktivitäten
Während des Praxissemesters hatte ich im Fachbereich Deutsch die Möglichkeit, die vielfältigen Aufgaben einer Lehrkraft in den verschiedenen Anlagen und Bildungsgängen kennenzulernen. Dazu zählten neben der Mitwirkung bei der Erstellung von Klausuren auch die Klausuraufsichten und die Korrekturen einzelner Klausuren mit anschließender Reflexion sowie die Planung zweier Unterrichtsreihen und einzelner Unterrichtsstunden.
Ein ‚Pädagogischer Planungstag‘ ermöglichte es mir, bei der Erstellung der didaktischen Jahresplanung für die Bildungsgänge der Anlage B im Fach Deutsch/Kommunikation mitzuwirken und Einblick in die Prozesse zu bekommen. Im Zuge der Lernfelddidaktik wurden Lernsituationen erarbeitet und für die DJP verschriftlicht. Zudem bot sich mir die Möglichkeit, an einer Lehrerkonferenz, zwei Bildungsgangkonferenzen und einem (Eltern-)Sprechtag teilzunehmen.
Während des Praxissemesters konnte ich den Deutschunterricht von drei Lehrkräften begleiten und hatte die Möglichkeit, durch eigene geplante Stunden und die zwei Unterrichtsreihen einen Einblick und ein Gefühl dafür zu bekommen, was alles bei der Planung und Durchführung einer Stunde zu berücksichtigen ist. Zudem bot sich mir die Möglichkeit, an dem DaZ-Unterricht teilzunehmen und auch dort eigene Sequenzen zu übernehmen. Insgesamt konnte ich in den Bildungsgängen der Ausbildungsvorbereitung im Fachbereich G/ES (Ziel: HS 9), der einjährigen Berufsfachschule sowohl im Fachbereich G/ES als auch im Fachbereich Ernährungs- und Versorgungsmanagement (Ziel: HS 10), der zweijährigen Berufsfachschule Sozialassistenten (Ziel: Berufsabschluss nach Landesrecht und HS 10), der Fachoberschule im Fachbereich GS (Ziel: FHR) und des beruflichen Gymnasiums im Fachbereich GS (Ziel: Berufsabschluss nach Landesrecht und AHR) hospitieren und eigene Unterrichtsstunden durchführen. Jede Lehrkraft hat mich während meines Unterrichts beobachtet, mit mir im Anschluss die Stunde reflektiert und mir ein Feedback gegeben, was ich persönlich sehr hilfreich fand und dankend angenommen habe.
Die Themen der Deutschstunden waren vielfältig, boten mir dadurch jedoch einen großen Einblick. In der AHR Unterstufe behandelte eine Reihe das Thema Kommunikatives Handeln in berufsbezogenen und gesellschaftlichen Situationen. Hier wurde sich mit der Untersuchung und Nutzung der vielfältigen Formen und Funktionen sprachlichen Handelns in berufsbezogenen/alltäglichen Situationen befasst, um im Anschluss eine Auseinandersetzung mit mündlicher und schriftlicher Kommunikation in unterschiedlichen Kommunikationszusammenhängen anzuregen. In der FOG stellte eine Reihe die Kurzgeschichtenanalyse in den Fokus und eine weitere die dialektische und textgebundene Erörterung. In der 90-minütigen DaZ-Stunde wurde in der Regel 45 Minuten Grammatik besprochen und geübt und 45 Minuten wurden sich Leseübungen gewidmet. Dies wünschten sich die Lernenden, da sie ihre Lesekompetenz verbessern wollten.
In der einjährigen Berufsfachschule G/ES entschied ich mich, eine Reihe zur Anforderungssituation 2 Lesen – Der Umgang mit Texten zu planen.
3. Bedingungsanalyse
Die BF1G ist eine einjährige Berufsfachschule (APO-BK Anlage B1) im Bereich Gesundheitswesen, mit dem Ziel, den Hauptschulabschluss nach Klasse 10 zu erlangen und qualifizierte Grundlagen im Bereich Gesundheit zu erwerben. Der Bildungsgang bereitet die Lernenden somit auf eine Aufnahme einer Berufsausbildung vor.2 Ein Hauptschulabschluss nach Klasse 9 gilt als Zugangsvoraussetzung. Der Unterricht findet vollzeitschulisch statt.
Ich hospitierte seit Oktober in der Klasse und übernahm ab November eigenständige Unterrichtssequenzen und ganze Unterrichtsstunden. Das Fach Deutsch/Kommunikation wird wöchentlich dreistündig unterrichtet.3
3.1 Anthropogene Bedingungen
Die Lernenden besuchen erst seit diesem Schuljahr einen gemeinsamen Klassenverbund. Von den insgesamt 25 Lernenden sind 16 weiblichen Geschlechts und neun männlichen Geschlechts. Die Altersdifferenz beträgt vier Jahre, wobei acht der 25 Lernenden minderjährig sind. Zudem haben mehr als zwei Drittel der Lernenden einen Migrationshintergrund und leben weniger als vier Jahre in Deutschland.
Die Lerngruppe weist insgesamt eine heterogene Struktur auf, die sich in quantitativen Leistungsunterschieden sowohl im mündlichen als auch im schriftlichen Bereich feststellen lässt. Neben Lernenden, die sich sehr aktiv am Unterrichtsgeschehen beteiligen, gibt es einige, die sich eher passiv verhalten. Die Passivität ist durch die Unsicherheit in der deutschen Sprache zu begründen, in ihrer Aussprache und Bildung grammatikalisch korrekter Sätze. Die Lernmotivation ist dennoch bei 90% der Lernenden überdurchschnittlich hoch. Um die Lernenden in das Unterrichtsgeschehen zu integrieren, wird versucht, sie durch Phasen selbstständiger Erarbeitung zu einer aktiven Auseinandersetzung mit den Unterrichtsinhalten anzuregen.
Darstellung des Ist-Zustandes der Kompetenzentwicklung Die Lerngruppe besitzt entsprechend ihres unterschiedlich langen Aufenthalts in Deutschland differenzierte Sprachkenntnisse und weist ein heterogenes Sprachverständnis auf (Wissen).
Auch im Bereich der Fertigkeiten erweist sich die Lerngruppe als sehr heterogen. Einige der Lernenden verfügen über die Fertigkeit, einfache Aufgaben nach vorgegebenen Regeln auszuführen. Sie können aus vorstrukturierten Lernmaterialien unter Vorgabe von Strukturierungsstützen gezielt wesentliche Informationen herausarbeiten. Unter Anleitung können sie ihr Vorwissen zielführend zur Bearbeitung der Aufgaben nutzen und dieses mit den neuen Inhalten verbinden. Vielen Lernenden gelingt dies jedoch noch kaum. Sie benötigen deutlich umfangreichere Unterstützung durch die Lehrkraft oder durch Mitschüler.
Die Lerngruppe benötigt viel Raum, um sich in kooperativen Arbeitsphasen auszutauschen, entwickelt in ihnen jedoch eine produktive Eigendynamik.
Die Lerngruppe zeigte in ersten kooperativen Arbeitsphasen die Fähigkeit, sich unter Anleitung mit den Unterrichtsinhalten auseinanderzusetzen und mit Unterstützung den Lern- und Arbeitsprozess zu gestalten. In Diskussionsrunden werden allgemeine Gesprächsregeln nur bedingt eingehalten. Das Lernklima ist in diesen Phasen jedoch stets angenehm und produktiv. In ihrem Sozialverhalten zeigen sich die Lernenden kompetent und pflegen ein lernförderliches Arbeitsklima in ihrer Lerngruppe (Sozialkompetenz).
In den kooperativen Arbeitsphasen gestalten die Lernenden unter Anleitung ihre Lernprozesse. Grundlegende Strukturen erleichtern eine zielführend Erarbeitung der Inhalte und sollen die Lernenden dazu befähigen, zunehmend selbstverantwortlich zu arbeiten. Darüber hinaus entscheiden die Lernenden eigenverantwortlich, in welchem Maß sie weiterführende Unterstützung von der Lehrkraft benötigen (Selbstständigkeit).
3.2 Rahmenbedingungen
Der Deutschunterricht fand mittwochs in der fünften und sechsten Stunde (11:15-12:45 Uhr) und freitags in der fünften Stunde (11:15-12:00 Uhr) statt. Die Tageszeit wirkte sich in Bezug auf die Lernmotivation dieser Lerngruppe lernförderlich aus.
Da für die Unterrichtsstunde ein bestimmtes Lernumfeld (Gruppentische) sinnvoll ist, wurde der Klassenraum im Voraus von der Lehrperson entsprechend umgebaut, damit den Lernenden keine aktive Lernzeit verloren geht.4 Im Klassenraum befindet sich neben einer Tafel und einem Whiteboard auch ein Overheadprojektor.
4. Darstellung der Unterrichtsreihe
Die Planung der einzelnen Unterrichtsstunden orientiert sich an dem aus der schweizerischen Unterrichtsforschung stammenden AVIVA-Modell, ein Fünfphasen-Modell, welches auf Ergebnissen der Lernpsychologie basiert und einen kompetenzorientierten Unterricht erleichtert.5
Die Anforderung der heutigen Wissens- und Mediengesellschaft an das Verstehen von Texten jeglicher Art ist in den vergangenen Jahrzehnten gestiegen.
Bei der Auseinandersetzung mit dem Thema der Unterrichtsreihe wurden sich Gedanken zum Leseverstehen gemacht. Was bedeutet es, lesen zu können? Was ist beim Lesen wichtig? Wann kann man gut lesen und wie können Schüler dies lernen? Lesen bedeutet Sinnerfassen und Sinnverstehen und nimmt einen großen Teil unseres Alltags in Anspruch6. Aus den Überlegungen ergab sich, dass je nach Leseabsicht und Textart, eine andere Lesestrategie notwendig ist. Daher ist es wichtig, den Lernenden Lesestrategien an die Hand zu geben, damit sie ein gewisses Repertoire zur Verfügung haben.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
5. Darstellung der Unterrichtsstunde
5.1 Sachanalyse
Da die Lesestrategie des reziproken Lesens den Kern der Unterrichtsstunde darstellt, wird sich die folgende Sachanalyse in fachwissenschaftlicher Hinsicht dieser Strategie widmen.
5.1.1 Vorüberlegungen zum Unterrichtsgegenstand
Nach einem Blick in die DJP der einjährigen Berufsfachschule, entschied ich mich, eine Unterrichtsreihe zur Anforderungssituation 2 ‚Lesen – mit Texten umgehen‘ zu planen. Da die Zielformulierung laut geltendem Bildungsplan „Die Schülerinnen und Schüler verfügen über Lesetechniken, kennen und wenden Strategien zum Leseverstehen an […]“7 lautet, entschied ich mich in Übereinkunft mit meiner Ausbildungslehrerin, mit den Schülern einige ausgewählte Techniken und Strategien zum besseren Textverständnis zu erarbeiten.
Den Lernenden soll daher die Möglichkeit geboten werden, am Ende der Unterrichtsreihe über ein Repertoire an Strategien und Techniken zu verfügen. Abschließend sei erwähnt, dass die Lernenden kooperative Lernformen wie bspw. „think-pair-share“ bereits kennen.
5.1.2 Der Unterrichtsgegenstand
Bei der Sichtung der Lehrwerke fällt auf, dass den Lesestrategien nur wenige Seiten gewidmet werden. Speziell dem reziproken Lesen noch weniger, denn „kooperatives Arbeiten ist in der Regel nicht vorgesehen.“8 Dabei ist ein Repertoire an Lesestrategien und das Anwenden dieser als Fähigkeit des selbstgesteuerten Lernens essenziell.9
Auch bekannt unter dem Begriff ‚Reziprokes Lehren und Lernen‘ wurde diese Methode 1984 von Palincsar und Brown konzipiert.10 Das reziproke Lesen beschreibt das gemeinsame strategische Lesen und Erarbeiten eines Textes zur Verbesserung des sinnverstehenden Lesens und damit des Textverständnisses und ist eine Methode des kooperativen Lernens. Es beinhaltet die vier Strategien des Fragens, Zusammenfassens, Klärens und Vorhersagens. Die Strategie des Fragens meint, dass der jeweilige Schüler, dem diese Strategie zugeordnet wurde, sich Fragen überlegt, die evtl. der Lehrer im Unterricht zu diesem Abschnitt gestellt hätte. Die Fragen stellt er dann seinen Mitschülern, die darauf antworten. Bei der Strategie des Zusammenfassens kommt es darauf an, sich kurz und knapp zu halten und nur die Kernaussage des Abschnitts herauszufiltern. Bei der Strategie des Klärens geht es darum, unbekannte, nicht verständliche Begriffe zu klären, die das Textverständnis hindern. Durch die Strategie des Vorhersagens, in der Überlegungen des Fortgangs des Textes angestellt werden, können sowohl das Textverständnis als auch die Erwartungshaltung überprüft werden.11
Zudem muss jeder Gruppenteilnehmer bei der Einzelbearbeitung für seine Rolle und sein Lernergebnisse die Verantwortung übernehmen und somit auch für das Ergebnis innerhalb der Gruppe.
Einsetzbar ist die Methode des reziproken Lesens ab der dritten Klasse. Hier ist entscheidend, einen altersgemäßen, dem Wortschatz entsprechenden Text auszuwählen, der sich in vier sinnvolle Abschnitte unterteilen lässt. Im Hinblick auf das Textverständnis sollte der Text für den Leistungsstärksten der Gruppe verständlich sein. Der Gedanke dahinter ist, dass die Gruppe zusammen mehr schafft als der Einzelne.12
Befunde zu Konzepten der Leseförderung und ihrer Effekte, bei denen über 200 Studien herangezogen und 16 Lesestrategien auf ihre Effektivität überprüften wurden, zeigten auf, dass sich das Fragen stellen, das Fragen beantworten, das Überprüfen des Verstehens im Prozess, das Zusammenfassen und das kooperative Lesen als wirksame Strategien erwiesen.13 Gerade in Bezug auf die gewählte Methode des reziproken Lehrens und Lernens, hier das reziproke Lesen, zeigt die Studie von Palincsar/Brown, dass eine erhebliche Verbesserung der Leseleistung durch das reziproke Lesen stattfinden kann, die noch sechs Monate später stabil vorhanden ist.14
5.2 Die didaktisch-methodische Analyse
5.2.1 Curriculare Begründung
Das gewählte Thema lässt sich im geltenden Bildungsplan für die Bildungsgänge der Berufsfachschule, die zu beruflichen Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten und einem Abschluss der Sekundarstufe I15 führen (Bildungsgänge der Anlage B1 APO-BK), in dem Anforderungsbereich „ Lesen – mit Texten umgehen “ verorten und ist eine wichtige Basis für die Anforderungssituationen 5 ‚Fiktionale Texte verstehen und nutzen‘ und 6 ‚Medien verstehen und nutzen‘.16
Die Lernenden stellen zu Beginn des Lernarrangements ein Problem fest und ermitteln die benötigten Fertigkeiten und Fähigkeiten, die sie zur Bewältigung benötigen. Diese werden im Verlauf des Arrangements erschlossen und anschließend erprobt und ausgewertet.
Da Lernen unter einer beruflichen Perspektive erfolgt, setzen sich die Lernenden mit beruflichen Handlungszusammenhängen auseinander, weshalb praxisrelevante Aufgabenstellungen möglichst häufig Ausgangspunkte einer Lernsituation beziehungsweise eines Lehr-/Lernarrangements sind.17
5.2.2 Allgemeine/fachdidaktische Begründung
„Kaum ein Bildungssystem einer vergleichbaren Industrienation produziert so viele schwache und sehr schwache Leser wie Deutschland, und kaum irgendwo ist der Zusammenhang zwischen Leseleistung, Schichtzugehörigkeit und formaler Schullaufbahn so eng wie hier.“18
Da die Lesekompetenz durch Begegnung und Auseinandersetzung mit Vertrautem und Neuem zur Persönlichkeitsentwicklung beiträgt und somit wichtig für die Entwicklung der Sozialkompetenz und eines Selbstkonzepts ist, müssen die Lernenden über Strategien verfügen, die ihnen ermöglichen, Texte zu erarbeiten. Im weiteren Verlauf sollte die selbstgesteuerte Erarbeitung von Texten das Ziel sein. Lesestrategien sind eine Variante der Lernstrategien, die ein Lernender während eines Lernprozesses aktiviert und nutzt, um sich neues Wissen anzueignen, es zu organisieren oder dieses mit bereits vorhandenem Wissen zu verknüpfen.19 Kindern und Jugendlichen mit geringen Lesekompetenzen fehlen diese Strategien, weshalb sie negative Erfahrungen mit dem Lesen sammeln, „die sich zu Selbstkonzepten als Nichtleser verfestigen.“20
Lesen zu können heißt nicht automatisch, das Gelesene auch verstanden zu haben und den Inhalt des Textes wiedergeben zu können, was für das schulische Lernen sehr problematisch ist. In den meisten Fächern wird gelesen, vor Ort in der Schule oder für die Hausaufgaben zuhause. Hauptsächlich handelt es sich um fachsprachliche Texte. An einem Berufskolleg für Gesundheit/Erziehung und Soziales bspw. aus den Bereichen Biologie, Pädagogik, Erziehungswissenschaft, Soziologie, Religionslehre, um nur einige zu nennen. Aber auch einfachere Texte können schon, je nach Länge, zu Problemen im Verständnis führen. Fachsprachliche Texte sind deshalb aus verschiedenen Gründen problematisch, da kein handelndes Ich existiert, sie fordern einen hohen Abstraktionsgrad, die Unterscheidung von Wichtigem und weniger Wichtigem ist schwierig, wodurch die Reduktion auf das Wesentliche fast unmöglich ist, aber vor allem handelt es sich nicht um alltagssprachliche Begriffe.21
Wie auch die PISA-Studien ergeben haben, verfügt ⅙ der Lernenden am Ende ihrer Schulpflichtzeit nicht über ausreichend Lesekompetenz.22 Die Ergebnisse haben sich in den Folgejahren nicht signifikant verbessert.23 Lesekompetenz nach PISA wird definiert als das Verstehen, Nutzen und Reflektieren geschriebener Texte zwecks eigener Zielerreichung, zum Wissenserwerb und zur Weiterentwicklung des eigenen Potenzials mit dem Ziel am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.24 Hier wird deutlich, dass der Fokus auf der Informationsentnahme und ihrer Verarbeitung liegt. Die Deutschdidaktik sieht darüber hinaus jedoch zwei weitere wichtige Aspekte, zum einen den sozialen und zum anderen den subjektbezogenen Aspekt.25 In dem daraufhin vorgestellten Mehrebenenmodell von Rosebrock/Nix werden die drei Ebenen, beginnend von unten nach oben, wie folgt beschrieben.
Die soziale Ebene ist für den Erwerb der Lesekompetenz von großer Bedeutung. Sie beschreibt die Wichtigkeit der sozialen Interaktion in Verbindung mit dem Lesen, in der Familie, der Schule, als Anschlusskommunikation. Die soziale Ebene stellt auch die Ebene der Weiterentwicklung literaler Kompetenzen dar.26
Zur Subjektebene gehören die Aspekte des Wissens, der Beteiligung, der Motivation und der Reflexion. Wer viel weiß, versteht beim Lesen mehr. Wer große Wissenslücken hat, dem fehlen Informationen und Zusammenhänge werden nicht klar. Aber auch die subjektive Beteiligung beim Lesen, also das Sich-Gedanken-Machen beim Lesen über die Handlungen von Personen, die Motivation beim Lesen und die anschließende Reflektion des Gelesenen fördern den Aufbau der Lesekompetenz.27
[...]
1 Homepage der Schule.
2 Vgl. Bildungsplan Berufsfachschule der Anlage B APO-BK, Fachbereich Gesundheit/Erziehung und Soziales. Deutsch/Kommunikation, S. 8.
3 Vgl. Bildungsplan Berufsfachschule der Anlage B APO-BK, Fachbereich Gesundheit/Erziehung und Soziales. Deutsch/Kommunikation, S. 20.
4 Vgl. Hilbert Meyer: Zehn Merkmale guten Unterrichts. Empirische Befunde und didaktische Ratschläge . Pädagogik (Weinheim), (10), S. 36-43.
5 Vgl. Christoph Städeli u.a.: Kompetenzorientiert unterrichten – Das AVIVA-Modell. Fünf Phasen guten Unterrichts. Bern: 2013.
6 Vgl. Maik Philipp: Lesestrategien. Bedeutung, Formen und Vermittlung. Weinheim und Basel: 2015.
7 Bildungsplan Berufsfachschule der Anlage B APO-BK, Fachbereich Gesundheit/Erziehung und Soziales. Deutsch/Kommunikation, S. 34.
8 Daria Ferencik-Lehmkuhl/Sandra Schwinning, Albert Bremerich-Vos. Schreiben und Lesen fördern: Vorschläge zur Praxis des Deutschunterrichts. Münster: 2015. S. 74.
9 Vgl. Ferencik-Lehmkuhl; Schwinning; Bremerich-Vos, Schreiben.
10 Vgl. Ferencik-Lehmkuhl; Schwinning; Bremerich-Vos, Schreiben.
11 Hans Wocken. Reziprokes Lesen. Texte verstehen durch strategisches Lesen und kooperatives Lernen. In: Magdalena Gercke/Saskia Opalinski/Tim Thonagel (Hrsg.): Inklusive Bildung und gesellschaftliche Exklusion. Zusammenhänge-Widersprüche-Konsequenzen. Springer 2017. S.154f.
12 Vgl. Ferencik-Lehmkuhl; Schwinning; Bremerich-Vos, Schreiben.
13 Vgl. Ferencik-Lehmkuhl; Schwinning; Bremerich-Vos, Schreiben.
14 Vgl. Jürgen Baurmann: Sachtexte lesen und verstehen. Grundlagen-Ergebnisse-Vorschläge für einen kompetenzfördernden Unterricht. Seelze 2009. S. 69.
15 Ein dem Hauptschulabschluss nach Klasse 10 gleichwertiger Abschluss.
16 Bildungsplan Berufsfachschule der Anlage B APO-BK, Fachbereich Gesundheit/Erziehung und Soziales. Deutsch/Kommunikation, S. 34.
17 Vgl. Bildungsplan APO-BK B, S. 12.
18 Rosebrock, Cornelia: Lesesozialisation und Leseförderung; literarisches Leben in der Schule. In: Michael Kämper-van den Boogaart (Hrsg.): Deutschdidaktik. Leitfaden für die Sekundarstufe I und II. Berlin: 2008, S. 175.
19 Vgl. Philipp, Lesestrategien.
20 Maik Philipp: Besser lesen und schreiben. Wie Schüler effektiver mit Sachtexten umgehen lernen. Stuttgart: 2012.
21 Vgl. Wolfgang Mattes. Methoden für den Unterricht. 75 kompakte Übersichten für Lehrende und Lernende. Paderborn: 2002.
22 Vgl. Wocken. Reziprokes Lesen.
23 Vgl. Christiane Hochstadt; Andreas Krafft; Ralph Olsen: Deutschdidaktik. Konzeption für die Praxis. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. Tübingen 2015.
24 Vgl. Christine Garbe; Karl Holle; Tatjana Jesch: Texte lesen. Lesekompetenz – Textverstehen – Lesedidaktik - Lesesozialisation. 2. durchgesehene Auflage, Paderborn: 2010.
25 Vgl. Hochstadt; Krafft; Olsen: Deutschdidaktik.
26 Vgl. Garbe; Holle; Jesch: Texte lesen.
27 Vgl. Garbe; Holle; Jesch: Texte lesen.
- Arbeit zitieren
- Nora Kobiak (Autor:in), 2020, Das Praxissemester einer Lehrkraft im Fach Deutsch. Eine Unterrichtsstunde zum Thema "Das reziproke Lesen als Lesestrategie", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/936382
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