Was ist „kluges Entscheiden“? Bedeutet es im Zusammenhang mit politischen Reformen, dass diese rational nachvollziehbar sein müssen, dass sie allgemein als (moralisch?) „richtig“ bewertet werden? Bedeutet es etwa, dass die Reformen den jeweils gesetzten Zielen nahe kommen, Wirtschaftswachstum schaffen und Arbeitslosigkeit beseitigen? Oder sind politische Reformen in einem größeren, langfristigeren Kontext zu betrachten? Soll eine Reform ein Gesamtkunstwerk darstellen, den Weg zu einem neuen Gesellschaftsideal weisen?
Diesen Fragen will ich mich nähern, indem ich zunächst das Problem „klugen Entscheidens“ auf der Basis der Ergebnisse der ersten staatswissenschaftlichen Tagung zu diesem Komplex heranziehe und mich des Weiteren mit dem Entscheiden zu bestimmten politischen Reformen auf ein Feld klugen Entscheidens konzentriere. Dabei werde ich einige im Seminar behandelte Texte auswerten, die sich mit den Mechanismen einer Reform, den sechs Reformfaktoren und schließlich der Rolle von Kreativität im Reformprozess beschäftigen. Dies soll dann zu einem intensiveren Verständnis von der Problematik der Durchsetzung einer Reform in Deutschland führen und Wege zu „klügerem Reformentscheiden“ andeuten.
Als Abschluss der Arbeit widme ich mich einer konkreten politischen Reform, nämlich der Agenda 2010.
Inhaltsverzeichnis
1. Vorwort
2. Einleitung
3. Ergebnisse der ersten staatswissenschaftlichen Tagung der Universität Erfurt zum Thema „Kluges Entscheiden“
4. Reformmechanismen
5. Die sechs Reformfaktoren
6. Überlegungen zum kreativen Handeln von Eliten und Bewegungen am Beispiel des Reformstaus in der Bundesrepublik
7. Die Agenda 2010 - Beispiel einer klugen Reform?
8. Resümee
9. Literaturverzeichnis
1. Vorwort
„Kluges Entscheiden und politische Reformen“ war der Titel eines Seminars, auf Grund dessen ich veranlasst bin, diese Arbeit zu schreiben. Es war auch der Grund mich überhaupt einmal mit diesem Thema zu beschäftigen, denn „kluges Entscheiden“ und „politische Reformen“ scheinen nicht unbedingt in Korrelation zueinander zu stehen. Vielmehr muss herausgefunden werden, was man überhaupt unter „klugem Entscheiden“ verstehen soll. Politische Reformen sind zunächst ein Faktum, sie werden in einem, meist langwierigem, Prozess beschlossen und haben dann Geltungskraft. Ob sie jedoch als „kluge Entscheidung“ zu bewerten sind, hängt von zahlreichen Faktoren ab.
Die Professoren der Universität Erfurt haben sich erstmals mit dieser Thematik beschäftigt und während der ersten staatswissenschaftlichen Tagung einen Versuch gestartet, diesen abstrakten Gegenstand inhaltlich zu füllen. Da dieser Gegenstand auf den ersten Blick kaum fassbar erscheint und aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten ist, halte ich es für sinnvoll dieses aus verschiedenen Disziplinen heraus - interdisziplinär - anzugehen. In diesem Sinne handelt es sich bei dieser Hausarbeit auch um keine gewöhnliche Hausarbeit. Sie soll die verschiedenen Ansätze widerspiegeln, mit denen wissenschaftliche Autoren sich dem Thema genähert haben und sie soll unter diesem Aspekt politische Reformen beurteilen. Zudem ist diese Arbeit hochaktuell, indem sie den noch nicht abgeschlossenen Diskussions- und Forschungsprozess mit den Ergebnissen der staatswissenschaftlichen Tagung zur Frage „klugen Entscheidens“ einbezieht.
Letztlich stellt sie den Versuch der Darstellung eines sehr abstrakten und komplizierten Sachverhalts dar, welcher gleichwohl durch ein lebensnahes Beispiel, die Reformagenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung, etwas anschaulicher gestaltet werden soll.
2. Einleitung
Was ist „kluges Entscheiden“? Bedeutet es im Zusammenhang mit politischen Reformen, dass diese rational nachvollziehbar sein müssen, dass sie allgemein als (moralisch?) „richtig“ bewertet werden? Bedeutet es etwa, dass die Reformen den jeweils gesetzten Zielen nahe kommen, Wirtschaftswachstum schaffen und Arbeitslosigkeit beseitigen? Oder sind politische Reformen in einem größeren, langfristigeren Kontext zu betrachten? Soll eine Reform ein Gesamtkunstwerk darstellen, den Weg zu einem neuen Gesellschaftsideal weisen?
Diesen Fragen will ich mich nähern, indem ich zunächst das Problem „klugen Entscheidens“ auf der Basis der Ergebnisse der ersten staatswissenschaftlichen Tagung zu diesem Komplex heranziehe und mich des Weiteren mit dem Entscheiden zu bestimmten politischen Reformen auf ein Feld klugen Entscheidens konzentriere. Dabei werde ich einige im Seminar behandelte Texte auswerten, die sich mit den Mechanismen einer Reform, den sechs Reformfaktoren und schließlich der Rolle von Kreativität im Reformprozess beschäftigen. Dies soll dann zu einem intensiveren Verständnis von der Problematik der Durchsetzung einer Reform in Deutschland führen und Wege zu „klügerem Reformentscheiden“ andeuten.
Als Abschluss der Arbeit widme ich mich einer konkreten politischen Reform, nämlich der Agenda 2010.
3. Ergebnisse der ersten staatswissenschaftlichen Tagung der Universität Erfurt zum
Thema „Kluges Entscheiden“
War es eine „kluge Entscheidung“ an dieser Tagung teilzunehmen? Ich denke schon. Vorher hielt ich es für klug, weil diese Tagung sich noch einmal explizit mit dieser Thematik auseinander setzen und mir somit Anregungen für meine Arbeit geben würde. Während der drei Tage hielt ich es für klug dabei zu bleiben, denn der erste Abend war mit dem Vortrag von Herrn Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann-Riem, einem Richter am Bundesverfassungsgericht, ein gelungener Einstieg, der zweite Tag bot ebenso zahlreiche interessante Vorträge und der dritte Tag lieferte eine Fusion aller drei Workshops und zeichnete ein die Mikro-, Meso- und Makroebene umfassendes Bild des Forschungsgegenstandes. Natürlich kann man ein Ereignis ex tunc beurteilen, wobei ich in diesem Fall zu dem Ergebnis komme, dass es sich um eine insgesamt gelungene Veranstaltung handelte, die mich geistig gefordert und gefördert hat.
Auf diese Art ist bereits der prozessuale Aspekt des Entscheidens ersichtlich. Dies wirft die Frage auf zu welchem Zeitpunkt „kluges Entscheiden“ wirklich als solches zu bezeichnen ist. In der Abschlussdiskussion wurde dieses Problem folgendermaßen behandelt: Kluges Entscheiden findet statt, wenn man zum Zeitpunkt der Entscheidung eine Option wählt, die es wahrscheinlich werden lässt, dass man sich zusätzlich zur Zielerreichung noch weitere Vorteile zu eigen werden lässt. Betrachtet man diesen Aspekt nur aus der Perspektive des Nachhinein kann man nicht mehr von einer klugen Entscheidung sprechen, da die Person die zusätzlichen Vorteile zum Entscheidungszeitpunkt nicht in Betracht gezogen hat, sondern diese erst später als glückliche Umstände angesehen und bemerkt wurden. Auch finde ich den Gedanken interessant, dass man lediglich spekuliert, was letztlich eine kluge Entscheidung war, da man die Alternativen, die man nicht gewählt hat schließlich nicht vollends beurteilen kann, eben weil man sie nicht gewählt und gelebt hat.
Diesen Diskussionsprozessen in der Auswertung gingen zahlreiche Diskurse in den einzelnen Workshops voraus. Nun möchte ich in einem kurzen Abriss die vielfältigen Perspektiven darstellen, welche im Workshop „politisches Entscheiden“ zur Sprache kamen. Als ein Resultat dieser Diskurse konnte festgestellt werden, dass politisch kluges Entscheiden nicht intendiert werden kann, da absolute Wahrheiten nicht als gegeben angesehen werden können.1 Gleichwohl bieten sich bei der Auswahl der Art des Entscheidungsverfahrens viele Optionen die Chance auf eine kluge Entscheidung zu erhöhen. Das politische Geschehen findet in zahlreichen Arenen statt, sei es im Parlament oder im Bundesrat. Auch die mediale Öffentlichkeit stellt sich als eine Arena dar. Diese überlappen sich und folgen jeweils eigenen Funktionslogiken, was bei Entscheidungsprozessen zu beachten ist.2 Weiterhin sind das institutionelle Framing, also die Rahmenbedingungen und die Entscheidungsorte zu beachten, welche unterschiedliche situative Optionen des Handelns eröffnen. Entscheidungen sollten im Rahmen eines „overlapping consensus“ stattfinden, der responsiven Wertbindungen folgt, wobei die Begrenzungen des Handelns erkannt werden müssen. Hergestellt werden sollte dieser Konsens in einem diskursiven Verfahren, dessen Voraussetzung vorhandene Durchsetzungschancen sind.
Kluges Entscheiden kann auch intelligente Selbstbindung3 bedeuten, beispielsweise im rechtstaatlichen Prinzip der Verhältnismäßigkeit4 oder in sozialstaatlichen Zielsetzungen5. Entscheidungen, also auch Reformen, können ihre „Klugheit“ ebenso in kontrollierten Experimenten beweisen und innovative Nebenprodukte hervorbringen. Innovation ist ein wichtiger Bestandteil von Reformprozessen, manche bezeichnen diese sogar nur als solche, wenn sie wirkliche politisch Neuerungen vorweisen können, die später nicht mehr revidiert werden.6 Eine Austarierung von Diffusion und Innovation wurde in diesem Zusammenhang genauso wie die Aufgabe des Mythos politischer Planbarkeit gefordert7.
Bezüglich Herrn Priddats Vortrag ist es ratsam Konzeptualisierungen von Kommunikation einzubeziehen und einzelne Bereiche auf diese auszurichten, sowie die Wirkungen einer Mediendemokratie zu erörtern8.
Die Theorie des intellektuellen Umfeldes verwies die Zuhörer darauf, dass Entscheidungen auf den eigenen Erfahrungen beruhen sollten, um deren „Klugheitspotenzial“ zu erhöhen.9 Aus alteuropäischer Perspektive wurde zudem Aristoteles geltend gemacht, welcher Entscheidungen immer nach dem Ideal des rechten Maßes beurteilte und ein vernunftgemäßes Leben, sowie das Streben nach sittlicher Tugend und Klugheit pries. Ziel sollte das Auffinden einer idealen Mitte zwischen Zuviel und Zuwenig sein, also auf die Gegenwart bezogen das Aufspüren einer idealen Mitte zwischen staatlichem und gesellschaftlichem Bereich.10
Angesichts der Themenbreite konnte dieser Workshop zum „politischen Entscheiden“ wahrhaft als interdisziplinär im staatswissenschaftlichen Sinne angesehen werden, da er wirtschaftlichs-, rechts- und sozialwissenschaftliche Aspekte einbezog. Abschließend wurden mögliche Forschungsaufträge erörtert. Als ein „roter Faden“ wurde die Kommunikationsperspektive von Prof. Priddat angesehen, da dieses übergreifend in allen Bereichen klugen Entscheidens wieder gefunden werden konnte. Kommunikation11 stellte sich somit als wesentlicher Bestandteil von Entscheidungsprozessen dar, durch welche Präferenzen geändert, bestimmte Alternativen in den Vordergrund gerückt werden und die Semantik einzelner Entscheidungsobjekte geklärt wird. Auch ist nach der Qualifizierung von Entscheidungen zu fragen, nach der damit verbundenen und notwendigen Entscheidungskultur. Ungeklärt blieb auch die nähere Bedeutung institutioneller Voraussetzungen, was eine stärkere Berücksichtigung der Institutionalisierungsebene erfordert. „Klugheit“ blieb leider im Laufe der Tagung ein schwammiger Begriff, der letztlich aus eigener Wertung heraus diagnostiziert wird und weitestgehend als Synonym für Rationalität und Richtigkeit einer Entscheidung gehandelt wurde.
4. Reformmechanismen
Zunächst halte ich es für angebracht, den Begriff „Reform“ einmal zu definieren. Der Begriff stammt ab vom lateinischen Wort „reformatio“, was Erneuerung bedeutet. Dies umfasst die schrittweise Veränderung und Verbesserung ökonomischer, sozialer und politischer Verhältnisse. Interessant finde ich auch folgende Definition: Reform, von lat. reformare bedeutet umgestalten, neu gestalten, also der Prozess oder das Ergebnis von als Verbesserung gedeuteten Bestrebungen, die darauf gerichtet sind, einen Teil oder die Gesamtheit der politischen Institutionen, Verfahren und Staatstätigkeiten innerhalb der bestehenden Herrschafts- und Rechtsordnung und mit gesetzlich und verfassungsrechtlich legalen Mittel neu zu gestalten. Reform kann man aber auch verstehen als bewusst und planvoll herbeigeführte Veränderung hergebrachter, als defizitär begriffener Verhältnisse in Teilbereichen der Staatstätigkeit oder auch in Bezug auf die institutionellen Rahmenbedingungen politischer Prozesse.12
[...]
1 Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann-Riem, Richter am Bundesverfassungsgericht, „Die Klugheit der Entscheidung ruht in ihrer Herstellung“; in Anlehnung an den Abschlussvortrag von Herrn Prof. Dr. Arno Waschkuhn
2 Prof. Dr. Gunnar Folke Schuppert, „Politisches Entscheiden - eine governance-theoretische Perspektive“
3 Dr. Michael Wohlgemuth, „Die Klugheit politischer Selbstbindung“; kann individuell, organisational usw. sein
4 „Klugheit“/Vernünftigkeit der Entscheidungen wird danach beurteilt, ob diese geeignet, erforderlich und angemessen sind
5 Sozialstaatsprinzip: Auftrag in Art. 20 Art. 1 GG „sozialer Bundestaat“
6 Birger P. Priddat, „Politikinnovation: Institutionen und Semantik“, S. 243
7 PD Dr. Georg Krücken, „Politik der Innovation: Eine Analyse gegenwärtiger Mythen“
8 Prof. Dr. Birger P. Priddat, „Kommunikative Entscheider: Sprache und Ökonomie“
9 Prof. Dr. Walter Reese-Schäfer, „Voraussicht und Fehlurteil. Die intellektuelle Basis von Fehlentscheidungen“, Abstracts; darin heißt es: „Die Bedingungen des Erfolgs und der Niederlage liegen darin, dass das Urteilsvermögen auf eigener Erfahrung, nicht auf angelernter oder durch Autorität vermittelter, beruht, dass die verwendeten theoretischen Konzeptionen heuristisch hinlänglich offen und flexibel sind und ein Gesamtbild wahrzunehmen ermöglichen, vor dem dann Detailinformationen beurteilt werden können sowie zwischen Wichtigem und Unwichtigem unterschieden werden kann.“
10 Prof. Dr. H.-J. Blanke, Abschlussvortrag zum Workshop „politisches Entscheiden“ 6
11 meiner Ansicht nach vorrangig über Wissen und Werturteile
12 Bergsdorf, Wolfgang (Hrsg.) u.a., „Reformen in Deutschland“ 7
- Citation du texte
- Melanie Siebelist (Auteur), 2004, Die Agenda 2010 – Beispiel für eine kluge Reform?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93526
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