Die folgende Arbeit wurde als Bestandteil eines Seminars mit dem Titel „Eliten und / oder Demokratie“ aus dem Bereich Politische Theorie geschrieben und soll sich allgemein mit dem Thema Eliten und mit dem konkreten Fall der Elitentransformation in Ostdeutschland sowie damit verbundenen aktuellen Bezügen beschäftigen.
Zunächst werde ich einen Einblick in die Elitenforschung geben. Nach diesem Überblick werde ich mich den Themen Elitentransformation und Elitenkonsens widmen. Als Beispiel dient der politische Transformationsprozess in Ostdeutschland, wobei ich hierunter nicht nur den eigentlichen Austausch der Eliten zwischen 1989 und 1990 verstehe, sondern auch den politisch-kulturellen Integrationsprozess der Eliten (und Gesellschaften) in den darauf folgenden Jahren. Ich werde also weniger den Schwerpunkt auf die konkreten, historischen Transformationsvorgänge und -abläufe legen und stattdessen vielmehr auf die nach wie vor schwierige Lage der ostdeutschen Eliten und den gegenwärtigen Stand der Elitenintegration verweisen. Dabei meine ich mit Eliten die politische Elite, was sich in meiner Analyse nur auf die Bundesebene bezieht. Mit meinen 10 Thesen zur ostdeutschen Mentalität und politischen Kultur am Ende der Ausführungen bezwecke ich das Ziel der Provokation und Aufklärung des Lesers aus meiner subjektiven Sicht der Dinge. Sie stellen, wie alle sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse, keine abschließenden Wahrheiten dar, sondern sollen vielmehr zum selbst- und zukunftskritischen Nachdenken anregen. Zudem möchte ich an dieser Stelle auch die Verbindungen zwischen Bevölkerung und Elite deutlichen machen. Ein Hauptgrund für die Entstehung dieser Arbeit ist meine persönliche Besorgnis über die sich fundamentierenden Nachlässe zweier vergangener politischer Kulturen: den überholten politisch-kulturellen Paradigmen der Bonner Republik ebenso wie den überholten politisch-kulturellen Segmenten der DDR. Die Vision eines integrativen politischen Neuanfangs mit der Berliner Republik halte ich für illusorisch und gescheitert in dem Sinne, dass kein Mut zu strukturellen Veränderungen gefunden wurde und die Repräsentation ostdeutscher Anliegen auch heute noch zu schwach ausgeprägt ist. Mit dieser Arbeit möchte ich eine pessimistische Perspektive eröffnen, diese prüfen und durch aktuelle Zahlen hoffentlich widerlegen. Wie die meisten Menschen wünsche ich mir, dass aus der Vereinigung zweier politischer Kulturen ein stabiler Staat ebenso wie eine bereicherte Gesellschaft erwächst. Es sollen die Chancen zur Verbesserung gesehen und genutzt werden, auch für zukünftige Generationen. Inwieweit dies im Vereinigungsprozess der deutschen Eliten gelungen ist bzw. Aussichten hat sich in der Zukunft zu beweisen, möchte ich mit dieser Arbeit kritisch erkunden.
Inhaltsverzeichnis
1. EINLEITUNG
2. WAS IST DIE POLITISCHE ELITE?
3. DIE BEDEUTUNG VON ELITEN AM BEISPIEL OSTDEUTSCHLAND
3.1 FOLGEN DER OSTDEUTSCHEN ELITENTRANSFORMATION UND ANHALTENDE INTEGRATIONSPROZESSE
3.2 OSTDEUTSCHE ELITEN UND DER ELITENKONSENS
4. AKTUELLE REPRÄSENTANZ OSTDEUTSCHER IM BUNDESTAG
4.1 INTEGRATION IN DEN BUNDESTAG TEIL 1: TRANSFORMATION UND POLITISCHE WIRKUNGEN
4.3 INTEGRATION IN DEN BUNDESTAG TEIL 2: VERGLEICH DER 13. UND 15. WAHLPERIODE
5. RESÜMEE: 10 THESEN
6. QUELLEN
1. Einleitung
Die folgende Arbeit wurde als Bestandteil eines Seminars mit dem Titel „Eliten und / oder Demokratie“ aus dem Bereich Politische Theorie geschrieben und soll sich allgemein mit dem Thema Eliten und mit dem konkreten Fall der Elitentransformation in Ostdeutschland sowie damit verbundenen aktuellen Bezügen beschäftigen.
Zunächst werde ich einen Einblick in die Elitenforschung geben. Nach diesem Überblick werde ich mich den Themen Elitentransformation und Elitenkonsens widmen. Als Beispiel dient der politische Transformationsprozess in Ostdeutschland, wobei ich hierunter nicht nur den eigentlichen Austausch der Eliten zwischen 1989 und 1990 verstehe, sondern auch den politisch-kulturellen Integrationsprozess der Eliten (und Gesellschaften) in den darauf folgenden Jahren. Ich werde also weniger den Schwerpunkt auf die konkreten, historischen Transformationsvorgänge und -abläufe legen und stattdessen vielmehr auf die nach wie vor schwierige Lage der ostdeutschen Eliten und den gegenwärtigen Stand der Elitenintegration verweisen. Dabei meine ich mit Eliten die politische Elite, was sich in meiner Analyse nur auf die Bundesebene bezieht. Mit meinen 10 Thesen zur ostdeutschen Mentalität und politischen Kultur am Ende der Ausführungen bezwecke ich das Ziel der Provokation und Aufklärung des Lesers aus meiner subjektiven Sicht der Dinge. Sie stellen, wie alle sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse, keine abschließenden Wahrheiten dar, sondern sollen vielmehr zum selbst- und zukunftskritischen Nachdenken anregen. Zudem möchte ich an dieser Stelle auch die Verbindungen zwischen Bevölkerung und Elite deutlichen machen. Ein Hauptgrund für die Entstehung dieser Arbeit ist meine persönliche Besorgnis über die sich fundamentierenden Nachlässe zweier vergangener politischer Kulturen: den überholten politisch-kulturellen Paradigmen der Bonner Republik ebenso wie den überholten politisch- kulturellen Segmenten der DDR. Die Vision eines integrativen politischen Neuanfangs mit der Berliner Republik halte ich für illusorisch und gescheitert in dem Sinne, dass kein Mut zu strukturellen Veränderungen gefunden wurde und die Repräsentation ostdeutscher Anliegen auch heute noch zu schwach ausgeprägt ist. Mit dieser Arbeit möchte ich eine pessimistische Perspektive eröffnen, diese prüfen und durch aktuelle Zahlen hoffentlich widerlegen. Wie die meisten Menschen wünsche ich mir, dass aus der Vereinigung zweier politischer Kulturen ein stabiler Staat ebenso wie eine bereicherte Gesellschaft erwächst. Es sollen die Chancen zur Verbesserung gesehen und genutzt werden, auch für zukünftige Generationen. Inwieweit dies im Vereinigungsprozess der deutschen Eliten gelungen ist bzw. Aussichten hat sich in der Zukunft zu beweisen, möchte ich mit dieser Arbeit kritisch erkunden.
2. Was ist die politische Elite?
Zu Beginn dieser Arbeit über politische Eliten ist es natürlich notwendig zunächst den Begriff der Elite zu klären. Nach Ursula Hoffmann-Lange versteht man unter politischen Eliten „die kleine Gruppe derjenigen Personen, die aktiv an politischen Willensbildungsprozessen beteiligt sind und über großen politischen Einfluss verfügen“(Hoffmann-Lange 2003: 203). Das schließt die Masse der Bevölkerung, deren Einflussnahme sich auf die Teilnahme an Wahlen beschränkt, aus dem Elitenbegriff aus.
Themenkomplexe der Elitenforschung sind die Elitenrekrutierung, die Konsens- und Konfliktpotenziale zwischen Eliten, die Elitennetzwerke und letztlich der Elitenwandel. Besonders der Elitenwandel, auch Elitentransformation genannt, ist seit der Auflösung des sowjetisch dominierten Ostblocks stärker in den Vordergrund gerückt. Für diese Arbeit soll jedoch auch ein Blick auf Konsens- und Konfliktpotenziale der neu entstandenen Elitenkonstellation Deutschlands geworfen werden, um dies in Verbindung zu setzen.
„Die Grundidee der liberalen Demokratie besteht in der Verbindung der Anerkennung der Unvermeidlichkeit von Interessenkonflikten und des Prinzips der offenen Austragung solcher Konflikte einerseits mit der Existenz eines Grundkonsens` über die Regeln des Konfliktaustrags andererseits“(Hoffmann-Lange 2003: 204). Das bedeutet insbesondere auf die politische Elite bezogen: Die Eliten sind pluralistisch und dürfen sich, wenn das demokratische System stabil bleiben soll, zwar über alles Mögliche streiten, aber die Regeln über die Art des Streitens müssen klar sein, ebenso wie Übereinstimmung in fundamentalen (System-)Fragen herrschen muss. Diese fundamentalen Fragen sind beispielsweise die Grundwerte der Gesellschaft und die Anerkennung politischer Institutionen, welche diese tragen.
Der Bereich der Forschung zum Elitenwandel beschäftigt sich mit den beträchtlichen personellen und strukturellen Elitentransformationen in Folge tief greifender politischer und gesellschaftlicher Reformen. Das Ausmaß des Austausches der Eliten kann als bedeutender Indikator für die Tragweite solcher Systemwechsel dienen. Mit der Elitentransformation gehen jedoch zusätzlich zum Austausch des Spitzenpersonals auch Veränderungen in den Rekrutierungsmustern, die Schaffung neuer Institutionen und Organisationen, sowie veränderte Machtverhältnisse einher (Hoffmann-Lange 2003: 205).
Betreffend der zur Elitenforschung gehörenden Fragestellungen muss konstatiert werden: „Wichtiger als die Zugehörigkeit zu den beiden sozialwissenschaftlichen Disziplinen ist letztlich jedoch das theoretische Paradigma, dem der jeweilige Forscher verpflichtet ist“(Hoffmann-Lange 2003: 208). Es wird unterschieden zwischen der Annahme einer einheitlichen Elite und der Annahme eines Elitenpluralismus.1 Ich schließe mich der letzteren an, auf der auch die weiteren Aussagen meiner Arbeit basieren. Das Paradigma des Elitenpluralismus geht nicht nur von Unterschieden und Konflikten auf vertikaler Ebene, also der Elite und dem Rest der Bevölkerung, sondern auch von Konflikten zwischen den einzelnen Eliten auf horizontaler Ebene aus. Daraus ergibt sich, dass demokratische Eliten sowohl auf vertikaler als auch auf horizontaler Ebene Integrationsleistungen zu erbringen haben, um das System stabil zu halten. Interessendivergenzen werden auf beiden Ebenen angenommen, wobei deren Ausgleich horizontal besonders von der permanenten Kooperationsfähigkeit zwischen den Elitegruppen abhängt (Hoffmann-Lange 2003: 209).
Bei der Identifikation von Eliten wird zwischen drei empirischen Auswahlverfahren unterschieden: der Positionsmethode, der Reputationsmethode und der Entscheidungsmethode. Am häufigsten wird die Positionsmethode angewandt, welche davon ausgeht, dass der Zugang zu politischen Willensbildungsprozessen in aller Regel auf die führenden Repräsentanten etablierter Institutionen und Organisationen beschränkt ist (Hoffmann-Lange 2003: 209). Nach Robert Putnams Gesetz der zunehmenden Disproportionalität nimmt mit zunehmender Positionshöhe der Anteil von Personen aus Gruppen mit hohem sozialem Status zu. Demnach hat sich zwar die Chancengleichheit bezüglich des Zugangs zu Spitzenpositionen in der Bundesrepublik vergrößert, jedoch ist ein abgeschlossenes Universitätsstudium fast universelle Voraussetzung für den Aufstieg in die Elite. Die Durchlässigkeit und soziale Rekrutierung von Eliten gibt somit die allgemeinen Mobilitätsbedingungen einer Gesellschaft wieder (Hoffmann-Lange 2003: 212). Eine hohe Mobilität und somit offene Rekrutierungsmechanismen sind meiner Ansicht nach wünschenswert. Die Zugehörigkeit zu den politischen Eliten in Deutschland fast ausschließlich mit der Zugehörigkeit zu einer der etablierten Parteien verbunden. Die Parteien sind somit stark in öffentliche Sektoren eingedrungen. Einstellungen zu politischen Fragen sind dabei teilweise stärker an die Parteimitgliedschaft als an die Sektor- und Organisationszugehörigkeit gebunden (Hoffmann-Lange 2003: 216). Die Rekrutierungsmuster und Wertorientierungen der Eliten gelten als guter Indikator für gesellschaftliche Bedingungen und Konfliktlinien, wie auch die Beispiele von den Parteien Bündnis 90 / Die Grünen und PDS zeigen.2 Ein Kreislauf der Eliten bleibt durch die Chance institutionalisierter Machtwechsel erhalten (Hoffmann-Lange 2003: 228).
3. Die Bedeutung von Eliten am Beispiel Ostdeutschland
Meiner Ansicht nach wird die Bedeutung von Eliten besonders im Zuge von Transformationsprozessen und den damit einhergehenden, zu erbringenden Integrationsleistungen deutlich. Diese sind einerseits auf gesamtgesellschaftlicher Ebene zu erbringen, aber auch auf der Ebene der politischen Eliten selbst. Die genauen Abläufe der Elitentransformation möchte ich in dieser Arbeit allerdings nicht wiedergeben, obgleich es dazu sehr ausführliche und interessante historische Darlegungen gibt.3
Bei Demokratisierungsprozessen spielen Eliten eine besonders wichtige Rolle. Eine Reihe gesellschaftlicher Voraussetzungen können die Einleitung eines Demokratisierungsprozesses begünstigen z.B. die wirtschaftliche Schwäche des vorangegangenen autokratischen Regimes, eine Pattsituation zwischen annähernd gleich starken politischen Lagern, die Gefahr eines Ausbruchs gewalttätiger Auseinandersetzungen und / oder eine günstige außenpolitische Situation. Eliten sind als Schöpfer der Institutionen besonders wichtig und sie müssen bereit sein, die damit verbundenen demokratischen Spielregeln zu befolgen. Sie müssen einen „elite settlement“, eine Elitenübereinkunft, treffen und eine demokratische Verfassung erschaffen und ihr folgen. Die Transformation der Eliten ist ein bedeutender Teil der Demokratisierung und man unterscheidet vier Muster: Elitenkontinuität, horizontale Reproduktion, vertikale Reproduktion, Elitentransformation4. Beim Elitenwandel kann zeitweise eine gewisse personelle Kontinuität dem Transformationsprozess förderlich sein. Wie Hoffmann-Lange betont „setzt ein erfolgreicher Demokratisierungsprozess jedoch voraus, dass die alten Elitennetzwerke aufgebrochen werden und sich neue Netzwerke herausbilden, in denen die Durchsetzungschancen für die verschiedenen Organisationen primär von deren gesellschaftlicher Unterstützung unter den neuen Bedingungen abhängen und nicht durch die unter dem vorangegangenen Regime aufgebauten Machtbeziehungen (Seilschaften) dominiert werden“(Hoffmann-Lange 2003: 224).
Ostdeutschland stellt unter den Transitionsländern des ehemaligen Ostblocks einen Sonderfall dar, da hier die Möglichkeit zu Institutionen- und Elitentransfers bestand. Dies wurde dann auch in großem Umfang genutzt. In der Potsdamer Elitenstudie von 1995 wurden erstmals die Auswirkungen der Elitentransformation untersucht. Hoffmann-Lange findet dazu Umbruch. Wertewandel in der westlichen Welt, Frankfurt/ New York) ebenso wie sich die Existenz der PDS auf die neu entstandenen Konfliktlinien innerhalb der Bevölkerungsteile Ost- und Westdeutschlands gründet. kein abschließendes Urteil, wenngleich sie einen großen Anteil der Ostdeutschen in den Führungsetagen der Politik ausmacht, im Gegensatz zu deren Anteilen in Wirtschaft und Ministerialbürokratie.
Lediglich in den politischen Führungspositionen waren Ostdeutsche (…) entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil vertreten (…), in den anderen Sektoren spielten sie dagegen mit einem Anteil von lediglich sechs Prozent nur eine marginale Rolle. Ihre starke Konzentration in den Sektoren Politik, Medien und Kultur sowie ihre mangelnde Repräsentation in den Führungsetagen der Wirtschaft und der Ministerialbürokratie verbieten es, sie als Gruppe gesondert zu analysieren und daraus auf die Ähnlichkeiten bzw. Unterschiede zwischen ost- und westdeutschen Eliten zu schließen. Insofern ist bislang wenig über die neuen ostdeutschen Eliten bekannt. (Hoffmann-Lange 2003: 226)
Nach einer Untersuchung von Robert Rohrschneider finden sich zudem bei Berliner Parlamentariern deutliche Unterschiede in den Wertorientierungen von Personen mit Ost- und Westherkunft. Diese wurden von 1992 und 1995 befragt, wobei ostdeutschen Parlamentarier ein geringeres Maß an Toleranz gegenüber politischem Extremismus, eine negativere Sicht pluralistischer Interessenkonflikte und ein geringeres Vertrauen in die politischen Institutionen aufwiesen. Andererseits befürworteten sie egalitäre Werte und staatliche Interventionen in den Markt stärker als ihre parlamentarischen Kollegen (Rohrschneider 1999 in Hoffmann-Lange 2003: 227). Im Folgenden möchte ich in den beiden Abschnitten zur Elitentransformation und zum Elitenkonsens die Besonderheiten des deutschen Transformationsprozesses näher beleuchten.
3. 1 Folgen der ostdeutschen Elitentransformation und anhaltende Integrationsprozesse
Hoffmann-Lange vergleicht die Elitentransformation in Ostdeutschland mit dem Elitenaustausch nach dem zweiten Weltkrieg und fasst ihre Ansichten zu den Folgen für die gesamtdeutsche Elitenstruktur zusammen. Der 1990 erfolgte Beitritt hätte nur geringfügige Auswirkungen auf die Elitestruktur Deutschlands gehabt, was einerseits auf die geringere Bevölkerungszahl der neuen Bundesländer und andererseits auf die wirtschaftliche Schwäche Ostdeutschlands zurückzuführen sei. Zudem wurde die alte DDR-Elite entmachtet und fast vollständig ausgetauscht. „Dieses Elitenvakuum in den neuen Bundesländern wurde teilweise durch Elitentransfer aus dem Westen und teilweise durch die Rekrutierung neuer Eliten aufgefüllt, was eine schnelle Angleichung der neuen ostdeutschen Eliten an die in der alten Bundesrepublik existierenden Muster bewirkte“ (Hoffmann-Lange 2003: 230).
Alexander Thumfart sieht die Transition Ostdeutschlands unter einer anderen Perspektive, nämlich „als das Aufeinandertreffen und Ineinanderschieben zweier historischer Gesellschaftswelten“ (Thumfart 2002: 4). Dabei sind auch die beiden dazu gehörigen Eliten aufeinander geprallt. Thumfart stellt fest, was für viele nicht selbstverständlich ist und scheinbar in vielen Köpfen nie ankam. Seiner Meinung nach kann nicht „davon ausgegangen werden, dass die Gestalt der Ankunftsgesellschaft bereits feststeht und Integration lediglich Adaptation oder Adjustierung der einen Gesellschaftsformation an die andere bedeutet“ (Thumfart 2002: 4). Eben dies wurde aber unter dem verfassungsrechtlichen „Beitritt“ des ehemaligen DDR-Gebietes verstanden. Die Integration der Teilgesellschaften hängt wesentlich von der Integration der Eliten ab. Der bisher nicht repräsentierte Bevölkerungsteil muss Gelegenheit haben seine Repräsentanten in der Elite zu verankern, gleichzeitig müssen diese aber auch die in der Führungsschicht geltenden Werte und Normen akzeptieren, um eine Kooperation zu ermöglichen. Welche graduellen Ausmaße die Repräsentation einerseits und die Übernahme bestehender Werte andererseits annehmen, ist in meinen Augen jedoch strittig. Thumfart appelliert an die Eliten und die jeweiligen Mitglieder der ost- und westdeutschen Gesellschaft gleichermaßen und drückt die Notwendigkeit von segmentspezifischer und politischer Verantwortung und Endogenität aus. Im Sinne von politischen Verhandlungsgeschäften und kommunikativen Prozessen sind Differenzen und eigene Vorstellungen oder Forderungen zu bearbeiten.
Streit impliziert politisch Selbstdistanz und die Bereitschaft zum Kompromiss. Das schließt Enttäuschungen mit ein und fördert die Einsicht, dass politische Prozesse nahezu ausschließlich bargaining- Prozesse sind, bei denen es keine beste, sondern immer nur eine vorläufige Lösung gibt, die aber gerade darum für weitere Diskurse offen ist. Integration ist eben auf Elite- wie Mitgliederebene kein Zustand, sondern ein permanenter, multidimensionaler und reziproker Prozess. (Thumfart 2002: 20)
Dieser Satz fehlt noch im Lexikon der politischen Kultur Ostdeutschlands. Hier wird vielfach vergessen, dass Streit und Diskurs nicht ausschließlich negativ zu bewerten sind. Allerdings könnte ein wenig mehr „konstruktive Harmonie“ in wichtigen politischen Sachfragen einigen (westdeutschen) Politikern auch nicht schaden.
3.2 ostdeutsche Eliten und der Elitenkonsens
Um vernünftig über aktuelle politische Sachfragen streiten zu können benötigen die politischen Eliten jedoch einen Grundkonsens als Basis ihrer Verhandlungen. Wertorientierungen und Einstellungen der Eliten geben letztlich auch Auskunft über die Unterstützung der demokratischen Spielregeln und die bedeutsamen horizontalen und vertikalen Konfliktlinien. Eine „gesunde“ Demokratie zeichnet sich demnach durch ein vernünftiges Spannungsverhältnis von Konsens und Konflikt aus.5
Ulrich Eith untersuchte die grundlegenden Einstellungsmuster in Ost und West und stellte fest, dass diese sich weitgehend in ihrer strukturellen Zusammensetzung entsprechen. Sie unterscheiden sich jedoch deutlich in der Höhe ihrer Ausprägung. So würde im Osten die wirtschaftliche Situation weitaus schlechter eingeschätzt als in Westdeutschland. Entsprechend höher ist auch das Ausmaß an Unzufriedenheit über die Gesellschaftsordnung und die Demokratie. Dies kann auch als Transformationsfolge betrachtet werden. „Die Wucht der Zerstörung bisheriger Strukturmuster und die Verwestlichung des Ostens jedenfalls haben viele der neuen Bundesbürger irritiert und verunsichert, so dass die Vorteile des marktwirtschaftlichen System noch nicht internalisiert sind“ (Waschkuhn 1999: 132).
In beiden Landesteilen fallen in struktureller Hinsicht eine pessimistische Beurteilung der wirtschaftlichen Situation mit der Wahrnehmung von gesellschaftlicher Ungerechtigkeit und einer verstärkten Unzufriedenheit mit der Demokratie zusammen. Die prinzipielle Wertschätzung sozialistischer Ideen und der Ruf nach Verstaatlichung seien hiervon weitgehend unabhängig. Eith sieht diese Einstellungen im Westen stärker als im Osten sozialstrukturell verankert. Vor allem Personen mit niedrigerem Berufsstatus zeigten eine ausgeprägte Unzufriedenheit und eine größere Aufgeschlossenheit für sozialistische Ideen, wogegen in den ostdeutschen Bundesländern der berufliche Status bislang nur geringe Rückschlüsse auf die politische Grundausrichtung erlauben würde. Für westliche Verhältnisse erstaunlich ist, dass sich hier ein beachtlicher Anteil von Befürwortern sozialistischer Ideale in nahezu allen, insbesondere auch in den statushöheren Berufsgruppen findet (Eith 2005: 17). Bei den Eliten lassen sich ähnliche Einstellungsmuster vermuten.
Die negativste Beurteilung des politischen Systems ließe sich derzeit bei Politikern der PDS finden: „Diese skeptische Haltung der PDS ist zwar nicht umstandslos mit einer antidemokratischen Grundhaltung gleichzusetzen, sie sprengt jedoch den Elitenkonsens, der sich in den fünfzig Jahren erfolgreicher Demokratie in den alten Bundesländern entwickelt hatte und von den aus den neuen Bundesländern stammenden Eliten überwiegend übernommen worden ist“ (Hoffmann-Lange 2003: 215).
[...]
1 Paradigma der herrschenden Klasse vs. Paradigma des Elitenpluralismus.
2 Die Entstehung der Partei Bündnis 90 / Die Grünen zeugte vom neuen Umweltbewusstsein und den postmaterialistischen Werten in Teilen der Gesellschaft (vgl. hierzu Inglehart, Ronald (1989) Kultureller 5
3 Vgl. hierzu Die politische Integration Ostdeutschlands, Alexander Thumfart 2002, S. 146ff.
4 Unter horizontaler Reproduktion versteht man, dass die Machthaber im neuen System Elitepositionen in anderen Sektoren ein einnehmen. Vertikale Reproduktion meint, dass Eliten der „zweiten und dritten Reihe“ Elitepositionen im neuen System einnehmen. Elitentransformation schließlich bildet den Gegensatz zur Elitenkontinuität, da die Eliten größtenteils ausgetauscht werden.
5 Vgl. dazu jede funktionierende Ehe.
- Arbeit zitieren
- Melanie Siebelist (Autor:in), 2005, Politische Eliten , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93524
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