Im Rahmen eines Journal Clubs wurde eine Studie der chinesischen Universität von Hongkong zu blended learning einer kriteriengeleitetet Review unterzogen. Dabei kam die Checkliste zu Interventionsstudien der Uni Halle zum Einsatz. In der besprochenen Stude überprüften Forscher/innen aus Hongkong, ob eine Lehrmethode, die konventionelle Anteile mit digitalen Elementen verbindet („blended learning“), wirklich den herkömmlichen Lehrpraktiken überlegen ist, so wie es in einem Teil der Fachliteratur behauptet wird. Zu diesem Zweck kam bei Pharmakologiestudierenden des 2. Studienjahres einer Universität in einem Anatomie-Kurs zu Aufbau, Funktionsweise und Krankheiten des Herzens zusätzlich zu den konventionellen Lehrmethoden ein webbasiertes Programm zum Einsatz. In der Review wird kritisch folgendes angemerkt:
1. Ein Convenience Sample einer vor Ort befindlichen und daher leicht zu rekutierenden Gruppe führt dazu, dass das Sample keinen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung von Hongkong darstellt. 2. Erstaunlich ist, dass alle Studienteilnehmer/innen, auch wenn sie sich mit der Lernsoftware gar nicht befasst haben, an der Abschlussbefragung der Studie beteiligt haben. 3. Bei dieser Studie zur Lehr-Lern-Forschung mangelte es an einer Kontrollgruppe und der Zusammenhang von Intervention und Effekt wurde lediglich nach dem Verfahren der "multiplen linearen Regression" mathematisch errechnet. 4. In Frage steht, dass die in der Studie zu Einsatz gekommene Software wirklich innovativ ist, da bereits schon seit Jahzehnten Software zur Erlernung anatomischer Strukturen vorliegt. 5. Das sogenannte "Quiz", das das Lernprogramm beinhaltet, ist in Wirklichkeit ein Verfahren zum Einprägen, nicht unähnlich dem Karteikastensystem (Lernen durch Wiederholung). 6. Ungeklärte Kostenfrage. 7. Nicht aussagekräftige Zugriffsdaten zur Lernsoftware, die nichts über die Qualität der Auseinandersetzung mit der Lernsoftware aussagen. Allerdings ist hervorzuheben, dass die Zeitschrift "Health Professions Education" auch solche Studien veröffentlicht, deren Hypothesen sich nicht bewahrheiten konnten. Denn auch bei dieser Studie konnte ein Lerneffekt bei der Verwendung der Software nicht nachgewiesen werden. Während des Lockdowns anlässlich der Corona-Pandemie mussten die Lehrenden in sehr kurzer Zeit den Unterricht von analog auf digital umstellen. Sie griffen dabei auf wenig erprobte Methoden zurück. Hier ist also Forschungsbedarf, aber auch mehr als bisher die Möglichkeit dazu.
Leistungsnachweis wurde vorgelegt von:
Nachname, Vorname: Hieber, Markus Semester: 4. Semester (Teilzeit) des Masterstudienstudiums Master Health Professions Education, Charité (SoSe 2020)
Peer Review zum wissenschaftlichen Artikel:
Ngan O M Y et al. (2018): „Blended Learning in Anatomy Teaching for Non-Medical Student: An Innovative Approach to the Health Professions Education“. In: Health Professions Education 4, S. 149 - 158
Inhaltliche und Methodische Zusammenfassung des Textes
Forscher/innen aus Hongkong überprüften, ob eine Lehrmethode, die konventionelle Anteile mit digitalen Elementen verbindet („blended learning“), wirklich den herkömmlichen Lehrpraktiken überlegen ist, so wie es in einem Teil der Fachliteratur behauptet wird. Zu diesem Zweck kam bei Pharmakologiestudierenden des 2. Studienjahres einer Universität in einem Anatomie-Kurs zu Aufbau, Funktionsweise und Krankheiten des Herzens zusätzlich zu den konventionellen Lehrmethoden ein webbasiertes Programm zum Einsatz. Der elektronische Kurs bestand aus einer „erzählerischen Animation“ (tricktechnisch bebilderte Science-Fiction-Geschichte einer Patientin, deren Risiko für Herzerkrankungen mit Hilfe eines Kleinstroboters untersucht wird), einer 360°-Simulation eines plastinierten Herzens, histologischen Mikroskop-Aufnahmen von Blutgefäßen und einem sogenannten „Quiz“; es wurden die Notendurchschnitte und Ergebnisse von Kurztests der Studierenden erfasst und deren Nutzungsfrequenz der Online-Angebote ermittelt; am Ende des Anatomiekurses fand eine quantitative Befragung der 53 Studierenden mittels eines elektronischen Fragebogens statt. Die Arzneimittelkundler in spe nahmen das Web-Programm positiv auf. Effektiv beim Lernen geholfen hat die Software nicht.
Einordnung der Arbeit
Alles weist auf die chinesische Universität von Hongkong (CUHK) als Ort der Studie hin, obwohl dies nicht explizit erwähnt wird und nur aus dem Kontext ermittelt werden kann: Vier der fünf Forscher/innen sind an der CUHK beschäftigt; in der Danksagung wird dem „Dissecting Laboratory“ der CUHK Lob gespendet und Financier der Studie ist ebenfalls die CUHK.1 Die Studie über den Einsatz elektronischer Ressourcen in der Ausbildung von Pharmakologen zusätzlich zu konventionellen Angeboten wurde 2016 durchgeführt; der Bericht darüber ist seit dem 8. November 2017 online abrufbar und erschien in der Printausgabe der Zeitschrift des Elsevier-Verlages „Health Professions Education“ 2018.2 Diese Studie ist ein Beitrag zur Bildungsforschung, weil eine Lehrmethode im Rahmen des Pharmakologiestudiums, also im tertiären Bildungsbereich, empirisch untersucht wurde, d. h. im Feld systematisch getestet wurde. Die Pharmakologen gehören zu den Gesundheitsprofessionen und die Autoren der Studie ziehen in Erwägung, ob auch für andere Gesundheitsprofessionen wie Pflegeschüler/innen das Konzept des blended learning interessant sein könnte3.
Die empirische Bildungsforschung hat eine ganze Reihe von Untergebieten; da bei dieser Studie das unterrichts-methodische Vorgehen in einem Studiengang ausprobiert wurde, so ist sie am ehesten der Lehr-Lern-Forschung zuzuordnen, bei der klassischerweise die medial-methodische Art der Unterrichtsgestaltung einer kritischen Prüfung unterzogen wird. Cornelia Gräsel und Burkhard Gniewosz definieren die Lehr-Lernforschung folgendermaßen: „Die Lehr-Lern-Forschung ist jener Teil der Bildungsforschung, der sich mit der empirischen Untersuchung von Lernprozessen und der Wirkung von Lernumgebungen befasst. (…) Unter welchen Bedingungen haben bestimmte Merkmale von Lernumgebungen – beispielsweise die Berücksichtigung von neuen Medien oder von Möglichkeiten des selbstgesteuerten Lernens – Einfluss auf die Maße des Lernerfolgs oder auf die Motivation?“4
Die Berufsbildungsforschung ist nicht betroffen, obwohl die Studie im Bereich der Berufsausbildung vorgenommen wurde, da der Umstand, dass es sich um eine Studie im tertiären Bildungsbereich handelt, von den Autoren wenig thematisiert wird und für die eigentliche Intervention unerheblich ist. Über die Hälfte der Studierenden haben in ihrer Bildungsbiografie noch keine Erfahrung mit blended learning gesammelt5 und man hätte die Studie genauso gut im sekundären Bildungsbereich durchführen können.
Kriteriengestützte Analyse und Bewertung
Grundlage der kriteriengestützten Analyse ist die übersichtliche, leicht verständliche und bewährte Checkliste „Kritische Beurteilung einer Interventionsstudie“ der Universität Halle6, da der Einsatz des blended learning eine Intervention darstellt. Auf den folgenden Zeilen soll sich auf die wichtigsten Punkte, die bei der Anwendung der Checkliste herausgestellt wurden, beschränkt werden:
Hier wird ein Anatomie-Kurs von Pharmaziestudierenden im 2. Ausbildungsjahr7 als Studienpopulation ausgewählt; eine solche Auswahl einer vorhandenen Gruppe als Studienpopulation wird als Cluster- oder Klumpenauswahl bezeichnet. Es handelt sich um ein Convenience Sample, also eine willkürliche Rekrutierung gemäß der bequemen Verfügbarkeit, die das Risiko des Bias in sich trägt, weil ein Kurs dieserart nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung ist, sondern eher sozialökonomische Schieflagen der freien Marktwirtschaft Hongkongs widerspiegelt, in der einige soziale Milieus vermutlich eher Studierende als andere Milieus hervorbringen. Allerdings erhält der Leser keinerlei statistische Angaben zu den Merkmalen der Probanden, was Geschlecht, Alter, Bildungsbiografie und bisher ausgeübte Berufe betrifft und so bleibt das Ausmaß des Verzerrungseffektes im Dunkeln. Allerdings räumen die fünf Studienverantwortlichen selbstkritisch ein, dass die Stichprobe sehr klein ist8. Hervorzuheben ist allerdings, dass der gesamte Kurs den elektronischen Fragebogen ausgefüllt hat. Eine derartig hohe Beteiligung von 100 %9 bei einer sozialwissenschaftlichen Befragung ist höchst ungewöhnlich; Hongkong hat einen Sonderstatus, verfügt über ein annähernd demokratisches System und ist längst nicht so repressiv wie China. Vielleicht hat die hundertprozentige Beteiligung soziokulturelle Gründe. Eine hundertprozentige Beteiligung bei dem e-questionnaire ist auch deswegen so erstaunlich, weil sich 7,5 % der Studierenden gar nicht mit der Lernsoftware, auf die in der Befragung Bezug genommen wird, befasst haben10.
Der entscheidende Punkt ist aber, dass bei dieser Studie gar keine Kontrollgruppe gebildet wurde, in der keine Intervention stattfindet, um überhaupt eine Vergleichsgröße zu haben. Anstatt dessen wurde auf das statistische Verfahren der multiplen linearen Regression zurückgegriffen11, um einen Zusammenhang zwischen der Intervention und dem Ergebnis zu errechnen. Durch das mathematische Verfahren bleibt aber die gleich im ersten Satz des Abstracts aufgeworfenen These12 unbewiesen, dass die analog-digitale Misch-Lehr-Methode der konventionellen, lehrerzentrierten Lehre überlegen sei, weil das gleiche mathematische Verfahren nicht auch bei der herkömmlichen Lehre bei einem anderen, vergleichbaren Kurs angewendet wurde.
Skeptisch stimmt aber auch das Wort „innovativ“ im Titel des Studienberichts. Schon lange liegt Software mit anatomischen Lernprogrammen oder anatomischen Anschauungsmaterial vor, so dass „electronical Professional Study“ (ePS) grundsätzlich keine neue Idee ist13. Auch bieten anatomische Kunststoffmodelle des Torsos oder einzelner Organe einen guten Einblick in den menschlichen Körper. Denken wir aber auch an das medizinisch-historische Museum und die pathologisch-anatomischen Sammlungen von Organpräparaten der Charité. Die Forscherinnen aus Hongkong haben also weder die Möglichkeiten konventioneller Lehrmittel adäquat reflektiert, noch im ausreichenden Maße bisherige, ähnlich gelagerte Studien zur digitalen Lehre aufgebarbeitet und zitieren sehr allgemein aus schon durchgeführten Studien14. Allein der folgende Satz ist nicht nur ein Allgemeinplatz, sondern fast eine Binsenweisheit: „It has been shown that knowledge obtained through passive learning style might not be sustained all over the time.“15
[...]
1 Dr. Florence Tang, eines der Forscherinnen, die diese Studie durchgeführt haben, bestätigte mir in einer Email vom 26. Juli 2020, dass diese Studie an der Chinese University of Hong Kong durchgeführt wurde.
2 vgl. Ngan et al. 2018: 149. Der Autor der vorliegenden Arbeit ist der chinesischen Sprache nicht mächtig und kein Kenner der chinesischen Kultur; so ist es schwierig, bei Namen, die aus drei oder vier Bestandteilen bestehen, den Nachnamen zu identifizieren; Dank gebührt Altenpflegeschülerin Xiaowen C., die aus China stammt, für die Mithilfe bei dieser Identifikation.
3 vgl. Ngan et al. 2018: 151
4 Gräsel C, Gniewosz B (2011) „Überblick“. In: Reinders H et al. (Hrsg.): Empirische Bildungsforschung. Gegenstandsbereiche. Wiesbaden: VS Verlag/Springer Fachmedien. S. 18.
5 vgl. Ngan et al. 2018: 156
6 Universität Halle (Hrsg.) (2010): Kritische Beurteilung einer Interventionsstudie, vorgefunden auf http://www.medizin.uni-halle.de/index.php?id=572, letzter Zugriff am 26.07.2020; hierzu sozusagen als Leitfaden zur Anwendung: Behrens, Johann; Langer, Gero (2016/2020): Evidence based Nursing and Caring. Methoden und Ethik der Pflegepraxis und Versorgungsforschung – Vertrauensbildende Entzauberung der „Wissenschaft“. 4., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Bern: Hogrefe.
7 vgl. Ngan et al. 2018: 151
8 vgl. Ngan et al. 2018: 157
9 vgl. Ngan et al. 2018: 154
10 vgl. Ngan et al. 2018: 154
11 vgl. Ngan et al. 2018: 154
12 vgl. Ngan et al. 2018: 149
13 Folgende Software liegt (unter anderem) bereits auf CD-ROM vor (die älteste schon seit 25 Jahren): 1. Trebsdorf M (2005): Biologie Anatomie Physiologie (CD-ROM-Beilage zum gleichnamigen Anatomie-Atlas). Reinbek: Lau Verlag. 2. 3D Medizin Atlas: Entdecken Sie die Faszination des menschlichen Körpers. 3. Projektgruppe Autodidakt (1995): Das Herz. Ein interaktives, multimediales Computerlernprogramm. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag. 4. Faller A, Schünke M, Schünke G (2008): Der Körper des Menschen. Stuttgart: Thieme Verlag. 5. P. M. (2003): Der Mensch – Einsichten in Organismus und Körper. Hamburg: Gruner + Jahr. 6. Sobotta (2002): Atlas der Anatomie des Menschen. 21. Auflage, Version 2.0. München, Jena: Urban & Fischer.
14 vgl. Ngan et al. 2018: 150
15 Ngan et al. 2018: 150
- Citar trabajo
- Magister Artium Markus Hieber (Autor), 2020, Review einer Studie zu Blended Learning zur Mikroanatomie des Herzens, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/935227
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