Obwohl es der vorherrschenden Sichtweise von Organisationen widerspricht, gibt kein Arbeitnehmer seine Emotionen an der Eingangstür seiner Arbeitsstätte ab. Diese Emotionen wechseln mit subtilen Mechanismen von einem Individuum zum anderen und wirken sozialisierend, indem sie es Menschen ermöglichen, in Interaktion eine geteilte Wirklichkeit zu erzeugen.
Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem wechselseitigen Phänomen der emotionalen Ansteckung (emotional contagion). Es beschreibt die Tendenz, den eigenen Gesichtsausdruck, die Bewegung, die Körperhaltung und die Stimmlage, an die eines Interaktionspartners anzupassen, bzw. den Interaktionspartner zu imitieren. Eine wesentliche Folge dieser Imitation ist die emotionale Verschmelzung der Interaktionspartner.
Emotionale Ansteckung ist ein Produkt fast jeder zwischenmenschlichen Interaktion. Es ist ein ganz alltägliches Phänomen und beruht zumeist auf unbewussten physiologischen Vorgängen. Daher ist für Organisationen zunächst nicht die emotionale Ansteckung als solche relevant, sondern die Folgen, die aus ihr erwachsen. Denn in Organisationen wirken nicht nur Emotionen, die dem Organisationszweck dienen. Emotionen erzeugen mitunter eine Dynamik, die schnell außer Kontrolle gerät. Ihre subtile Wirkung und die Latenz ihrer Anwesenheit machen sie als Instrumente der betriebswirtschaftlichen Lenkung anscheinend inakzeptabel. Paradoxerweise ist es zeitgleich die Aufgabe von Heerscharen von Emotionsarbeitern die Emotion als institutionalisiertes Hilfsmittel für den Unternehmenserfolg einzusetzen und in Form von „emotionaler Darbietung“ in den Dienst ihrer Organisation zu stellen.
Nach einer Darstellung der psychologisch-soziologischen Wurzeln und Wirkungsweisen der emotionalen Ansteckung, werden zentrale Zusammenhänge beleuchtet, in denen sie in Organisationen eine Rolle spielt und ihre positiven und negativen Folgen aufgezeigt. Auf Basis der aktuellen wissenschaftlichen Forschungsergebnisse werden schwerpunktmäßig die Bereiche mit direktem Kundenkontakt betrachtet – im wesentlichen Service- und Verkäufertätigkeiten und die sozialen Tätigkeiten von Krankenschwestern, Sozialpädagogen, usw.
Einen weiteren Schwerpunkt der Betrachtung bildet die Wirkung emotionaler Ansteckung in Gruppen und Teams, also dort, wo Menschen nicht als Individuen, sondern als Gruppe Ergebnisse erzielen und erfolgreich sein sollen.
Abschließend werden Implikationen für die Praxis aus den betrachteten Forschungsergebnissen entwickelt.
INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG
1 URSACHEN, ARTEN UND WIRKUNG DER EMOTIONALEN ANSTECKUNG
1.1 DER BEGRIFF DER EMOTION ALS BASIS ZWISCHENMENSCHLICHER PROZESSE
1.1.1 Klärung und Unterscheidung der Begriffe Emotion, Gefühl, Affekt, Leidenschaft
1.1.2 Die soziale Bedeutung der Emotion
1.2 BEGRIFF, ENTWICKLUNG UND ERSCHEINUNGSFORMEN DER EMOTIONALEN ANSTECKUNG
1.2.1 Begriff und Entwicklung der emotionalen Ansteckung
1.2.2 Primitive emotional contagion
1.2.3 Conscious emotional contagion: Emotionale Ansteckung als Folge bewusster sozialer Vergleichsprozesse
2 DIE WIRKUNG DER EMOTIONALEN ANSTECKUNG IN DER ORGANISATIONSPRAXIS
2.1 WIRKUNGEN EMOTIONALER ANSTECKUNG AUF EMOTIONSARBEITER
2.1.1 „Lend a hand“: Emotionale Ansteckung in der „klassischen Emotionsarbeit“
2.1.2 „Service with a smile“: Wirkungsweisen „instrumentalisierter“ emotionaler Ansteckung
2.1.3 „Service with a fake smile“: negative Folgen “instrumentalisierter” emotionaler Ansteckung
2.2 DIE WIRKUNG EMOTIONALER ANSTECKUNG AUF DIE ARBEIT IN GRUPPEN
2.2.1 Teamgeist
2.2.2 Teamneurose
3 PRAKTISCHE IMPLIKATIONEN UND ANWENDUNGSBEZUG
3.1 DIE BEDEUTUNG DER EMOTIONALEN ANSTECKUNG AUS SICHT DER ORGANISATION
3.1.1 Umgang mit Emotionen in Organisationen
3.1.2 Organisationskultur und emotionale Ansteckung
3.1.3 Führungskultur und emotionale Ansteckung
3.2 DIE BEDEUTUNG DER EMOTIONALEN ANSTECKUNG AUS DER SICHT DES INDIVIDUUMS UND DER GRUPPE IN ORGANISATIONEN
3.2.1 Individuelle Strategien zum Umgang mit emotionaler Ansteckung..
3.2.2 Gruppenstrategien zum Umgang mit emotionaler Ansteckung
FAZIT
LITERATURVERZEICHNIS
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
ABB. 1: Soziale Funktionsprozesse des Emotionalen im gesellschaftlichen Kontext (vgl. Küpers/ Weibler 2005, S. 65)
ABB. 2: Revised Model of Communication, Empathy, and Burnout with Path Co- effcients (vgl. Miller et al. 1988, S. 261)
ABB. 3: Modell der Emotionen von Angestellten und Kunden in Service- Interaktion (nach Hennig-Thurau et al. 2006, S. 61)
Einleitung
Wenn Organisationen versuchen, Veränderungen in ihrer Leistungsfähigkeit zu erklären, begegnet man mitunter einem Paradox: Hat sich die Leistung verbessert, werden oft so emotional belegte Ursachen wie eine starke Un- ternehmenskultur, Teamgeist und begeisterungsfähige Mitarbeiter identifi- ziert. Tritt das Gegenteil ein, werden alle zur Verfügung stehenden Kennzah- len bemüht, Diagramme erstellt und Auswertungen gewälzt, um die Schief- lage zu erklären und zu beseitigen. Dieses Missverhältnis im Umgang mit Verstand und Emotion, als immer noch vorherrschendes Paradigma in Or- ganisationen, ist ein Thema, dem sich die Wissenschaft mittlerweile auf brei- ter Basis angenommen hat.
Wer also, diesem Paradigma folgend, immer noch glaubt, Emotion sei das direkte Gegenteil von Verstand, muss sich von der Neuropsychologie eines Besseren belehren lassen. Heute weiß man, dass Emotion und Verstand zwei Seiten derselben Medaille sind. Sie sind vielmehr untrennbar miteinan- der verbunden (vgl. Damasio 2003, S. 75). Emotionen verursachen körperli- che Zustände, die, mitunter als Bauchgefühl abgetan, Bestandteil jeder menschlichen Entscheidung sind. Diesem Zusammenspiel aus Empfindung und körperlicher Reaktion steht ein gewaltiges Arsenal an Erfahrungen zur Seite, die das Gehirn wie eine Entscheidungsdatenbank im Laufe eines Le- bens abspeichert. Der Emotion steht somit ein viel größeres Potential an Entscheidungsgrundlagen zur Verfügung als der Vernunft, da sie ohne vor- herige Selektion oder Beeinflussung von anderen auf diese Datenbank zu- greift und aus allen bisherig erlebten Entscheidungsmustern, jenes mit der größten Erfolgswahrscheinlichkeit herausgreift (vgl. Scherer 1986, S. 187f). Man würde es wohl kaum als vernünftig bezeichnen, im Angesicht eines angreifenden Bären erst mal das für und wider der Flucht abzuwägen, son- dern sollte sich der Emotion Furcht ganz und gar ausliefern und zulassen, dass sie einem das Leben rettet (vgl. Scherer 1986, S. 184f). Dieses sicher- lich überspitzte Beispiel lässt sich kaum auf den Alltag in Organisationen übertragen, dennoch illustriert es, dass Emotion und Verstand nicht Gegen- spieler, sondern Partner sind.
Obwohl es der vorherrschenden Sichtweise - dem zweckrationalen Kalkül - widerspricht, gibt kein Arbeitnehmer seine Emotionen an der Eingangstür seiner Arbeitsstätte ab (vgl. Nerdinger 2003, S. 112). Und diese Emotionen wirken: sie sind nicht Eigentum ihres Besitzers und gehorchen nicht auf Kommando. Sie wechseln mit subtilen Mechanismen von einem Individuum zum anderen. Auf diese Weise wirken sie sozialisierend und ermöglichen es Menschen, in Interaktion eine geteilte Wirklichkeit zu erzeugen, die nicht nur rational für alle Beteiligten ähnlich ist, sondern sich auch so „anfühlt“ und deshalb allen Beteiligten eine geteilte Einschätzung der Lage erlaubt. „Emotion then, is not simply an adjunct to work; rather, it is the process through which members constitute their work environment by negotiating a shared reality” (Putnam/ Mumby 1993, S. 36).
Diese Arbeit beschäftigt sich mit einem dieser wechselseitigen Phänomene, welches als emotionale Ansteckung bezeichnet wird. Es beschreibt die Tendenz, den eigenen Gesichtsausdruck, die eigene Bewegung, die Körperhaltung und die Stimmlage, an die eines Interaktionspartners anzupassen und zu synchronisieren, bzw. den Interaktionspartner zu imitieren. Eine wesentliche Folge dieser Imitation ist die Angleichung der Emotionen, bzw. emotionale Verschmelzung der Interaktionspartner.
Emotionen werden ständig zwischen Menschen übertragen und emotionale Ansteckung ist ein Produkt fast jeder zwischenmenschlichen Interaktion. Es ist ein ganz alltägliches Phänomen und beruht zumeist auf unbewussten Reaktionen und physiologischen Vorgängen. Daher ist für Organisationen zunächst nicht die emotionale Ansteckung als solche relevant, sondern die Folgen, die aus ihr erwachsen. Es gibt einerseits organisationale Zusammenhänge, in denen die emotionale Ansteckung stärker zu Tage tritt und andererseits Fälle, in denen das Phänomen, bedingt durch eine sich verändernde Arbeitswirklichkeit, neue Probleme aufwirft.
In Organisationen wirken nicht nur Emotionen, die „sozial akzeptabel“ sind oder dem Organisationszweck dienen. Emotionen erzeugen mitunter eine Dynamik, die schnell außer Kontrolle gerät. Ihre subtile Wirkung und die La- tenz ihrer Anwesenheit machen Sie denjenigen, die dafür verantwortlich sind „die Dinge im Griff zu behalten“ suspekt und als Instrumente der betriebs- wirtschaftlichen Lenkung somit inakzeptabel. Damit ist die eingangs getrof- fene Feststellung, dass Emotionen hilfreiche Begleiter des Erfolges sind, bei Misserfolgen aber sehr schnell in den Hintergrund gedrängt werden, längst nicht hinreichend erklärt, aber allgemein gilt die Annahme, dass Emotionen zwar hilfreich sind, um ein produktives, befriedigendes Arbeitsklima zu er- zeugen, jedoch nicht taugen, instrumentalisiert einen vordefinierten Zweck zu erfüllen oder gar logisch-analytisches Handeln zu unterstützen (vgl. Wunderer/ Küpers 2003, S. 135). Wieder begegnen wir einem Paradox, denn die Emotion als institutionalisiertes Hilfsmittel für den Unternehmenser- folg einzusetzen ist die Aufgabe von Heerscharen von Emotionsarbeitern,
1. Ursachen, Arten und Wirkung der emotionalen Ansteckung
die in Form von „emotionaler Darbietung“ ihre Emotionen in den Dienst einer Organisation stellen. „Trough recruitment, selection, socialization and per- formance evaluations, organizations develop a social reality in which feel- ings become a commodity for achieving instrumental goals” (Putnam/ Mumby 1993, S. 37).
Häufig ist man nur dort, wo dieses Zusammenspiel aus Emotion und Orga- nisationszweck nicht zu übersehende negative Folgen hat, bereit, sich mit der Thematik ernsthaft auseinanderzusetzen. Bereits 1988 bezeichneten die Autoren Miller et al. den „Burnout“ - u. A. die Folge emotionaler Anste- ckungsprozesse -, als eines der ernsthaftesten Probleme, denen sich „hu- man service“ Organisationen ausgesetzt sehen - bis heute kann man diese Problematik auf fast alle anderen (profit wie non-profit) Organisationen aus- weiten.
Dies ist jedoch nur ein Aspekt der emotionalen Ansteckung, der in dieser Arbeit beleuchtet werden soll. Nach einer allgemeinen Erklärung des Phä- nomens und Darstellung seiner psychologisch-soziologischen Wurzeln und Wirkungsweisen, werden zentrale organisationale Zusammenhänge be- leuchtet, in denen emotionale Ansteckung eine Rolle spielt und aufgezeigt, welche positiven und negativen Folgen sie haben kann. Als relevante Ar- beitsbereiche werden auf Basis der aktuellen wissenschaftlichen For- schungsergebnisse schwerpunktmäßig diejenigen mit direktem Kundenkon- takt betrachtet - im wesentlichen Service- und Verkäufertätigkeiten - und die, ebenfalls naturgemäß in engem Kundenkontakt stehenden sozialen Tä- tigkeiten von Krankenschwestern, Sozialpädagogen, usw.
Emotionale Ansteckung ist als Folge menschlicher Interaktion in Organisati- onen auch da besonders von Interesse, wo Menschen nicht als Individuen, sondern als Gruppe Ergebnisse erzielen und erfolgreich sein sollen. Die emotionale Ansteckung und ihre Wirkung in Gruppen und Teams bildet deswegen einen weiteren relevanten Schwerpunkt der wissenschaftlichen Betrachtung.
Den Abschluss der Arbeit bilden die sich aus den Forschungsergebnissen ergebenden Implikationen für die Praxis.
1 Ursachen, Arten und Wirkung der emotionalen Ansteckung
1.1 Der Begriff der Emotion als Basis zwischenmenschlicher Pro- zesse
In diesem Kapitel werden die, im Folgenden verwendeten Begriffe zunächst unterschieden und näher erläutert. Zwar kommt der Emotion themenspezi- fisch eine Schlüsselrolle zu, jedoch werden sowohl im alltäglichen Sprachgebrauch, als auch in den in dieser Arbeit zitierten wissenschaftlichen Aufsätzen andere Begrifflichkeiten verwendet, die mit der Emotion verwandt oder Teil von ihr sind.
Emotion ist ein Phänomen mit vielen Gesichtern. Um an dieser Stelle schon die Vielschichtigkeit der emotionalen Ansteckung darzustellen, dient ein kurzer Überblick über die Theorien zur Wirkweise von Emotionen. Um das Bild der Emotion zu vervollständigen, wird als überindividuelle Ebene die soziale Komponente der Emotionen betrachtet.
1.1.1 Klärung und Unterscheidung der Begriffe Emotion, Gefühl, Af- fekt, Leidenschaft
In der Literatur wird häufig eine Zweiteilung in Affekt und Stimmung einer- seits und Gefühl und Emotion auf der anderen Seite vorgenommen. Allen diesen Begriffen ist gemein, dass sie eine Veränderung im subjektiven Emp- finden beschreiben, die einhergeht mit körperlichen Veränderungen. Ge- meinsam ist ihnen ebenfalls, dass sie vom empfindenden Individuum entwe- der als eher negativ oder positiv wahrgenommen werden. Dass heißt, sie werden nicht wertfrei erlebt, sondern unterliegen einer subjektiven Wertung. Der Affekt ist ein Zustand starker emotionaler Erregung, der das Verhalten leitet. Das Wort Affekt stammt vom lateinischen „afficere“ (=anregen, in eine Stimmung versetzen) und verweist, ebenso wie die meist hintergründig er- lebten Stimmungen, auf eine passiv erfahrene, körperlich oder psychische Gestimmtheit. Beispiele für Affekte sind Aggression, Wut oder Eifersucht. Diese Auswahl zeigt, dass es sich bei Affekten um kurze, intensive Empfin- dungen handelt, die dazu dienen, eine soziale Distanz zu bewahren. Da af- fektives Agieren differenziertes Verhalten und eine reflexive Distanzierung häufig vermissen lässt, ist in vielen Gemeinschaften die Affektkontrolle ein gewollter Mechanismus, um ungewollte Handlungen zu verhindern und so- ziale Verträglichkeit zu gewährleisten (vgl. Küpers/ Weibler 2005, S. 37f).
Stimmungen unterscheiden sich von Affekten darin, dass sie weniger inten- siv, dafür zeitlich ausgedehnter erlebt werden. Sie werden wie eine Art Hin- tergrundrauschen empfunden, deren Ursache nicht bewusst wahrgenom- men wird, d.h. es fehlt ein Bezug zu ihrem Auslöser. Sie färben die gesamte Wahrnehmung in einer vorherrschend positiven oder negativen Weise ein. Der Begriff Emotion stammt vom lateinischen „e movere“ ( = hinaus bewe- gen). Emotionen sind demnach Energien, die wir aus unserem Selbst in die Welt hinaus bewegen. Dies unterscheidet sie von den Gefühlen, welche Empfindungen und Wahrnehmungen auf ganz individueller Ebene sind. Ge- fühle und Emotionen werden im Gegensatz zur Stimmung eher kurz und intensiv, dafür nicht mit der, der Stimmung innewohnenden Passivität wahr- genommen. Häufig werden die Begriffe Gefühl und Emotion synonym ge- braucht. Das Gefühl ist jedoch ein Teil, sozusagen die Basis der Emotion. Goleman (1998, S. 12) beschreibt das Gefühl als die Grundlage, die sich über einen Impuls Ausdruck in Form einer Emotion verschafft. Während Ge- fühle wie Freude, Angst, Trauer, usw. rein subjektives Erleben widerspie- geln, unterscheidet sie von der Emotion, dass diese einen kognitiven Aspekt beinhaltet, d.h. einer gedanklichen Verarbeitung unterliegt. Gefühle entste- hen auf ganz individueller Ebene, während Emotionen zwischen Menschen weiter getragen und geteilt werden können. Emotionen sind ein Schlüssel zu sozialer Interaktion. Sie machen diese interaktiven Situationen für den Erle- benden interpretierbar und werden von diesem gleichzeitig zur Steuerung der Interaktion benötigt. Im alltäglichen Geschehen sind dies unterbewusste Vorgänge, die nicht rational ablaufen, sondern sich im Laufe der Sozialisati- on einüben. Allerdings - und dies unterscheidet die Emotion deutlich vom Gefühl - dient der kognitive Aspekt der Emotion dazu, Situationen zu deeskalieren oder andere Menschen emotional zu beeinflussen.
Emotionen sind in ihren Mischungen, Nuancen und Variationen derart viel- fältig, dass es unmöglich scheint, sie alle zu benennen. Trotzdem versuchte die Wissenschaft zunächst, Basisemotionen zu definieren, aus denen alle Übrigen entstehen. Diesen Versuch unternahm z.B. Ekman (2007, S. 82) indem er sieben Basisemotionen benennt: Trauer, Zorn, Überraschung, Angst, Ekel, Verachtung und Freude. Diese Basisemotionen stehen für eine Familie von verwandten Emotionen, die sich aus den Basisemotionen in unterschiedlicher Kombination und Intensität zusammensetzen. Viele Wis- senschaftler schließen sich dieser Auffassung an, korrigieren bisweilen je- doch die Anzahl der Basisemotionen.
Der Neurologe Damsio (2003, S. 67f) verbindet diese Theorien, indem er Freude, Trauer, Furcht, Ärger, Überraschung und Ekel als primäre oder uni- verselle Emotionen bezeichnet, denen er sekundäre oder soziale Emotionen wie Verlegenheit, Eifersucht, Schuld, Stolz und ähnliche hinzufügt. Nach seiner Auffassung erlebt der Mensch zwar beständig Emotionen, selten je- doch ausgerechnet die primären oder sekundären Emotionen in Reinkultur, sondern häufiger eine unterschwelligere Art. Damasio bezeichnet die Arten von Emotionen, die sowohl als schwache, gleichwohl auch als heftige allge- meine körperliche Zustände unseres Seins empfunden werden, als „Hintergrundemotionen“ (Damasio 2003, S. 343).
1.1.2 Die soziale Bedeutung der Emotion
Evolutionsgeschichtlich betrachtet, haben Emotionen eine regulierende Funktion und dienen der Entstehung von Umständen, die vorteilhaft für den Organismus sind, der sie erfährt. Sie dienen damit dem Überleben des Indi- viduums. Sie sind biologisch determinierte Prozesse, die von angeborenen Hirnstrukturen abhängen. Lernen und Kultur verändern jedoch den Ausdruck der Emotion und die Ausformung der Auslöser von Emotionen (vgl. Damasio 2003, S. 68ff), so dass sie jenseits ihrer evolutionsbedingten, rein physiolo- gischen Prozesse, sozio-kulturellen Einflüssen unterliegen. So schließt sich die Frage an, wie Emotionen im und auf das menschliche Miteinander wir- ken.
Im Gegensatz zum oben geschilderten Disput über die Dimension von Emo- tionen, herrscht ein breiter Konsens darüber, dass der Körper der Emotion als Bühne dient (vgl. Damasio 2003, S. 69), über die sie wie ein ständig ein- geschaltetes Signalsystem an die Außenwelt kommuniziert wird (vgl. Ekman 2007, S.79). Diese Kommunikation kann durch neurologische Schäden oder Erkrankungen gestört sein und die körperliche Fähigkeit zum Darstellen oder Lesen von Emotionen ausfallen. Das erschwert den Betroffenen den sozia- len Kontakt, da sich andere Menschen in ihrer Gegenwart unbehaglich füh- len. Häufig können weder die Betroffenen, noch deren Angehörige genau erklären, was die Ursache für dieses Unbehagen ist und was ihnen fehlt. Das Zusammenleben ist jedoch erheblich beeinträchtigt und der Mangel an emotionaler Ausdrucksfähigkeit ist für beide Seiten schwer zu ertragen (vgl. Goleman 1998 S. 72ff, 135). Den Betroffenen wird von ihren Interaktions- partnern häufig eine wichtige Fähigkeit abgesprochen: soziale Kompetenz. Goleman (1998, S. 147) bezeichnet auf diese Weise die Fähigkeit zur adä- quaten Äußerung und zum sozial akzeptablen Umgang mit Gefühlen in menschlicher Interaktion.
Der Einsatz von Emotionen als eine Art sozialer Interaktionsmuster ge- schieht demnach auf Basis einer gesellschaftlichen Übereinkunft darüber, in welchen Kontexten welche Emotionen akzeptabel sind, um eine Situation nicht eskalieren zu lassen, sondern zu stabilisieren. Diese „Darbietungsre- geln“ (Ekman 2007, S.5) oder „Vorzeigeregeln“ (Goleman 1998, S. 148) werden im Rahmen der Sozialisation durch Erziehung erworben und im Lau- fe des Lebens weiterentwickelt. Diese Regeln legen nicht nur fest, welche Emotionen gesellschaftlich akzeptabel sind, sondern auch, wie diese Emoti- onen auf alle anderen wirken. Situationen werden auf Basis dieses erlernten Erfahrungshintergrundes wahrgenommen und im Hinblick auf die Bedürfnis- se und Werte der emotional Agierenden von diesen eingeordnet. Jeder Ak- teur legt dabei den Ausdruck seiner Emotion im sozialen Kontext, innerhalb eines breiten Spektrums zwischen sozialer Improvisation und strikten sozio- kulturellen Vorschriften selber fest (Küpers/ Weibler 2005, S. 62). Goffmann (1986, S. 186) bezeichnet dieses Verhalten aller Anwesenden auch als Auf- rechterhaltung einer zeremoniellen Ordnung und verdeutlicht dies am Bei- spiel der Verlegenheit: Durch irgendeinen Zwischenfall in Verlegenheit gera- ten, wird derjenige, dem dies innerhalb einer sozialen Situation geschieht, seine Verlegenheit so gut wie möglich unterdrücken und nicht das Gefühl von Scham mit Tränen oder Verzweiflung ausagieren. Den übrigen Interakti- onspartnern wiederum bleibt die Verlegenheit - sei es durch gerötete Wan- gen, Stottern, Händezittern, usw. - nicht verborgen. Dennoch wird die Situa- tion häufig überspielt, abgebrochen und abgelenkt und so dem Verlegenen die Gelegenheit gegeben sein „Gesicht zu wahren“ (Goffmann 1986, S. 106ff).
Abbildung 1 verdeutlicht die Transformation von Gefühlen in sozialer Interak- tion. Die Sozialisation der Individuen ist die Grundlage, auf der kulturelle Codes und Emotionsregeln einen gemeinsamen sozialen Kontext bilden.
Abb. 1: Soziale Funktionsprozesse des Emotionalen im gesellschaftlichen Kontext
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Küpers/ Weibler 2005, S. 65
Emotionen tragen demnach zur Entstehung stabiler sozialer Strukturen bei(vgl. Küpers/Weibler 2005, S. 65). Dass dieses vor allem in Organisatio- nen Bedeutung hat, ergibt sich aus der Erkenntnis, dass vor allem in Situati- onen, die kontrolliert und „kultiviert“ bleiben sollen, das störende Durchsi- ckern von Emotionen gezügelt werden muss, um Begegnungen nicht entgleisen zu lassen.
Trotz des eben geschilderten sozialen Einflusses, ist selbst in einer kontrol- lierten Situation kein Mensch in der Lage, seine Emotionen vollständig zu unterdrücken und selbst das Dämpfen emotionaler Signale funktioniert nicht immer. Und da Emotionen zwischen Menschen in jeder Situation gezeigt und von einem auf den anderen übertragen werden, kommt den Folgen die- ser emotionalen Ansteckung - wie sie im Folgenden näher dargestellt wird - eine wichtige Rolle in Organisationen zu. Denn genauso wie die ihr zugrun- de liegende Emotion ist die „…emotional contagion … a type of social in- fluence“ (Schachter 1959, S. 15, zitiert nach Barsade 2002, S. 646).
1.2 Begriff, Entwicklung und Erscheinungsformen der emotionalen Ansteckung
Wie bereits geschildert, lässt sich das Senden emotionaler Botschaften nicht abstellen. „People are ‘walking mood inductors’, continously influencing the moods and then the judgements and behaviors of others“ (Barsade 2002, S. 667). D.h. Menschen senden permanent Signale aus. Wie diese Signale bei anderen ankommen und warum andere diese als eigene Emotion überneh- men, ist Thema dieses Kapitels, in dem zunächst die Definitionen der emoti- onalen Ansteckung und ihre Erscheinungsformen dargestellt und themati- siert werden. Es wurde bereits im Vorfeld zu den oben zitierten Studien, vor allem im Rahmen der Psychologie viel über die Emotion und die Frage, wann genau diese entsteht und ob und mit welchen Folgen sich diese von einem Menschen zum nächsten überträgt, geforscht. Jedoch erst mit der Analyse, ob es situative Prädispositionen gibt, die dies begünstigen oder verhindern, bekam das Phänomen emotionale Ansteckung eine neue Ge- wichtung, die es in den Fokus der Organisationslehre rückte. Im Rahmen dieser Forschung bildeten sich analog der Emotionsforschung zwei wesent- liche Forschungsrichtungen heraus. Die eine befasst sich mit den unbe- wussten und rein physiologischen Vorgängen, die der emotionalen Anste- ckung zugrunde liegen, und wird im Weiteren im Rahmen des Kapitels pri- mitve emotional contagion behandelt. Die andere Sichtweise ist eher sozial- kognitivistischen Ursprungs und bezieht emotionale Ansteckung im Wesent- lichen auf soziale Vergleichsprozesse, die während der Interaktion wirken. Dass beide Sichtweisen letztlich Gültigkeit haben und emotionale Anste- ckung sowohl durch unbewusste wie auch soziale Vergleichsprozesse ent- steht und wirkt, wird durch die Experimente von Barsade (siehe Abschnitt 2.2.1) deutlich. Daher wird im Folgenden dieser Arbeit, wenn nötig, unter- schieden zwischen primitive emotional contagion und conscious emotional contagion, bzw. der emotionalen Ansteckung als Gesamtphänomen. Die Begriffe Sender und Empfänger werden zur Vereinfachung benutzt, wohl wissend, dass emotionale Ansteckung kein „one-way“-Phänomen ist, son- dern häufig wechselseitige Wirkungen entfaltet, bei denen Auslöser und Re- aktion schwer voneinander zu trennen sind (vgl. Verbeke 1997, S. 622, Ra- faeli/ Sutton 1987, S. 28).
1.2.1 Begriff und Entwicklung der emotionalen Ansteckung
„In der zweiten Minute steigerte sich der Haß zur Raserei. (…) Das scheußliche an dem Zwei-Minuten-Haß war nicht, dass man verpflichtet war mitzumachen, son- dern im Gegenteil, dass man sich ihm nicht entziehen konnte. Nach dreißig Se- kunden brauchte man sich einfach nicht mehr zu verstellen. Ein grässlicher, aus Angst und Rachsucht gemischter Taumel, (...)schien wie ein elektrischer Strom durch die ganze Menschengruppe zu fließen (…)“ (Orwell 1988, S.19f, englisch 1949).
Bereits 1899 stellte Gustave Le Bon in seinem Werk über die Psychologie der Massen fest, dass es etwas geben muss, was sich innerhalb von Men- schenmassen, einem Virus gleich ausbreitet und Phänomene und Entwick- lungen hervorruft, die so niemand vorhersagen oder erwarten kann. Er nennt das Phänomen „geistige Übertragung“ und sieht dessen Ursprung, mangels einer Erklärung, in „Erscheinungen hypnotischer Art“ (Le Bon 1982, S. 15, französisch 1899).
Der Begriff „emotionale Ansteckung“ taucht erstmals in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts in Verbindung mit der Forschung der Übertragung und Angleichung von Ausdruck und Emotion zwischen Mutter und Kleinkind auf und findet zunächst Einzug in die Verhaltenspsychologie und Soziologie. 1974 prägt der Psychologe Herbert Freudenberger in einem Aufsatz den Begriff „Burnout“ für ein Phänomen, welches sich als außerordentlich relevant für die Organisationsforschung herausstellt und an dem die emotionale Ansteckung nicht unerheblich beteiligt ist.
Der Psychoanalytiker Gerald Schoenewolf erklärt das Phänomen „emotiona- le Ansteckung“ aus dem Blickwinkel des praktizierenden Psychologen und legt Fällen emotionaler Ansteckung eine Mischung aus drei Komponenten zugrunde: „emotional flooding, suggestion and behavioral induction“ (Schoenewolf 1990, S. 50). Er beschreibt im Folgenden, was allen von ihm beobachteten Fällen von emotionaler Ansteckung gemein ist: „…a process in which one object, upon coming into contact with one or more other ob- jects, induces a state of overwhelming arousal (emotionality) which, when combined with an implied or actual suggestion, leads to a change in thought, behavior, mood, attitude, or character“ (Schoenewolf 1990, S. 59f). Dieser Ansatz von Schoenewolf erklärt zwar die Voraussetzungen, die emotionale Ansteckung ermöglichen, gibt jedoch keinen Hinweis auf die impliziten Vor- gänge, die zur emotionalen Überflutung und letztlich zur Verhaltensbeein- flussung führen.
Die „Arbeitsdefinition“ von Elaine Hatfield und ihren Kollegen geht mehr auf den individuellen Vorgang der emotionalen Ansteckung ein und definiert sie als: „…the tendency to ‚catch’ (experience/express) another person´s emoti- ons (his or her emotional appraisals, subjective feelings, expressions, pat- terned physiological processes, action tendencies, and instrumental behavi- ors)“ (Hatfield et al. 1992, S. 153). Worin die Ursache des Wechsels der Emotion von einer Person zur anderen, oder woher die Tendenz zum Ein- fangen einer Emotion stammt, bleibt diese Arbeitsdefinition schuldig. Die Definition von Hsee et al.: „…the tendency to mimic the verbal, physiological, and/or behavioural aspects of another person´s emotional experi- ence/expression, and thus to experience/express the same emotions one- self” (Hsee et al. 1990, S. 328) begründet die Übertragung der Emotion auf das Nachahmen der diversen emotionalen Ausdrucksformen, wie Mimik, Haltung, Stimmfärbung, usw.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass emotionale Ansteckung die Tendenz ist, den eigenen Gesichtsausdruck, die eigene Bewegung, die Kör- perhaltung und die Stimmlage, an die eines Interaktionspartners anzupas- sen und zu synchronisieren, bzw. den Interaktionspartner zu imitieren. Als wesentliche Folge dieser Imitation findet die Angleichung der Emotionen, bzw. eine emotionale Verschmelzung unter den Interaktionspartnern statt. Die daraus entstehende Synchronität in Emotion, Verhalten und Aufmerk- samkeit entwickelt den gleichen anpassenden Nutzen von dem das Indivi- duum profitiert, auch in Dyaden oder größeren Gruppen (vgl. Hatfield et al. 1992, S. 153). D.h. emotionale Ansteckung ist als Phänomen keineswegs dem Individuum oder der Interaktion zwischen zwei Individuen vorbehalten. Vielmehr findet es sich in jeder Art von Gruppengröße und auch als Mas- senphänomen wieder. Le Bon ist der Meinung, dass der Mensch „allein durch die Tatsache, Glied einer Masse zu sein, … mehrere Stufen von der Leiter der Kultur hinab[steigt]“ (Le Bon 1982, S. 17) und sieht darin die Grundlage der geistigen Übertragung, die „…sich durch Übertragung au- genblicklich allen Gehirnen mit[teilt] und … sogleich die Gefühlsrichtung an[gibt]“ (Le Bon 1982, S. 22).
Hatfield et al. berichten von einem außergewöhnlichen Fall emotionaler Massenansteckung: Ein Betrieb der Montana Mills in Strongsville musste geschlossen werden, weil innerhalb eines Tages zehn Frauen und ein Mann an einer schweren Übelkeit erkrankten, die im Krankenhaus behandelt wer- den musste. Als Auslöser wurde ein Insekt identifiziert, welches angeblich in einer Ladung Stoff, die am selben Tag aus England eingeschifft wurde, ent- halten war. Im Laufe der nächsten Wochen erkrankten weitere 59 Frauen und drei Männer. Die gesamte Textilfabrik wurde von Fachleuten nach In- sekten abgesucht. Der Fang bestand aus einer Ameise, einer Hausfliege, einigen Stechmücken, einem kleinen Käfer und einem Sandfloh - allesamt ungeeignet, eine derartige Erkrankung auszulösen (Hatfield et al. 1994, S. 108f).
Interessant an diesem Beispiel ist, dass überwiegend Frauen von der „Epi- demie“ betroffen waren. Stellt sich also die Frage, ob es individuelle Unter- schiede gibt, die eine emotionale Ansteckung begünstigen. Zwar lässt sich kein geschlechtliches Stereotyp mit Sicherheit bedienen, doch scheint es so zu sein, dass Menschen, die selber starke Emotionen fühlen und diese auch expressiv kommunizieren, jedoch gleichzeitig selber eher unempfindlich ge- genüber den Gefühlsäußerungen anderer sind, eher in der Lage sind, ande- re mit ihren Emotionen anzustecken (vgl. Hatfield et al. 1994, S. 142). Dieser Effekt ist aber auch umgekehrt nachzuweisen. So sind es Menschen, deren Emotionen eher unterschwellig wirken und weniger nach Außen getragen werden, die anfällig auf die emotionale Ansteckung durch andere reagieren (vgl. Friedman/ Riggio 1981, S. 102). Die Ausprägung der emotionalen Ex- pressivität kann unter anderem mit Hilfe des Affective Communication Test (ACT) gemessen werden. Dieser Test ermittelt die individuelle Ausdrucks- stärke und die Streuungsmenge von Emotionen. Mit Hilfe von 13 Fragen, die der Proband in eine Skala zwischen ganz zutreffend oder gar nicht zutref- fend einteilt, wird das Ausmaß der nonverbalen Ausdrucksfähigkeit be- stimmt. Dies erlaubt z.B. eine Einteilung in hoch- und niedrig expressive Pro- banden in Experimentalsituationen (vgl. Friedman et al. 1980, S. 333ff).
Zusätzlich erwähnenswert ist die Tatsache, dass Emotionen besonders leicht zwischen Menschen übertragen werden, die sich mögen. In diesem Fall ist nämlich das Maß an physischer Synchronität - also gleichen Bewe- gungen und mimischen Ausdrucksweisen - besonders hoch und damit die Übertragung von Emotionen besonders wahrscheinlich (vgl. Hatfield et al. 1992, S. 160). Zudem tendieren Menschen dazu, andere positiver zu bewerten, ihnen unvoreingenommener zu begegnen und sich vor allem stärker beeinflussen zu lassen, bezüglich derer sie Attraktion empfinden (Sader 2002, S. 99). Das dieses zusätzlich durch den Ausdruck glücklicher Emotionen durch den „Emotionssender“ forciert wird, wird durch eine Studie von Howard und Gengler (2001, S. 189) gestützt.
Die Tatsache, dass Emotionen eher den „Besitzer wechseln“, wenn die In- teragierenden sich mögen, ließe einen interessanten Umkehrschluss zu. Dies würde nämlich bedeuten, dass emotionale Ansteckung zwischen Men- schen, die sich nicht mögen, eher schlecht funktioniert. Die Ausführungen von Hatfield et al. (1994, S.172) stützen zwar diese Hypothese, andererseits erschließt es sich intuitiv, dass die Ansteckung von Wut und Ärger zwischen Menschen, die sich nicht mögen, sehr leicht funktioniert, zudem sich negati- ve Emotionen genauso leicht übertragen können wie positive (vgl. Barsade 2002, S.667).
Andere Annahmen, die man aus dem Alltagsgeschehen beobachten zu glaubt, lassen sich im Experiment nicht immer stützen. So könnte man an- nehmen, dass Emotionen besonders leicht von machtvollen Personen auf deren Untergebene übertragen werden. Der Mechanismus, den man hier vermuten könnte ist der, dass jemand, der auf das Wohlwollen eines ande- ren angewiesen ist, eher auf dessen emotionale Ausdruckweise achtet und deswegen auch leichter der emotionalen Ansteckung anheim fällt. Zugleich nimmt man allgemein an, dass jemand, der Macht über andere hat, wenig Grund hat, sich über die Emotionen der anderen Gedanken zu machen und deswegen auch weniger auf diese achtet. Frühere Untersuchungen stützen die These, dass Macht und emotionale Sensibilität negativ korrelieren. Auch aus dem Grund, dass jemand, der sich wenig Sorgen um seine Wirkung auf andere machen muss, seine Emotionen sehr direkt und ungefiltert äußert und deshalb einen eher starken Emotionsausdruck überträgt, während ab- hängige Personen hingegen ihre Emotionen sehr kontrolliert halten und deswegen weniger starke Sender darstellen (vgl. Hatfield et al. 1994, S. 175). Der Effekt zwischen machtvollen und weniger machtvollen Personen kann aber auch genauso anders herum ausfallen. Wie Hsee et al. im Expe- riment zeigten, waren es die machtvollen Teilnehmer, die besonders sensi- bel auf die Emotionen der anderen reagierten. Hsee et al. vermuteten jedoch die Beteiligung eines weiteren relevanten Faktors neben der Macht: dem Verantwortungsbewusstsein. Dieses sorgt nämlich, entgegen der ursprüngli- chen Annahme dafür, dass der Machtvolle sich dem Machlosen zuwendet, dessen Emotionen wahrnimmt und mitunter auch übernimmt, weil er Verantwortung für dessen Wohlergehen empfindet. Dieser Effekt ließ sich im Experiment allerdings nur in hoch stressbelasteten Situationen nachweisen (Hsee et al. 1990, S. 337f).
Zum Ende dieses Abschnittes ist der Hinweis wichtig, dass eben nicht in allen Situationen jede Emotion übertragen wird. Sonst wäre ein Phänomen undenkbar, welches Hatfield und ihre Kollegen wie folgt benennen: „The Germans even have a name for the pleasure we take in the suffering of our friends: Schadenfreude.“ (1994, S.172).
1.2.2 Primitive emotional contagion
Nicht auf bewussten, sondern auf automatischen Prozessen und psycholo- gischen Reaktionen beruht die von Hatfield et al. beschriebene primitive emotional contagion. Diese Form der emotionalen Ansteckung hängt von ganz basalen emotionalen Vorgängen im Menschen ab und beruht auf zwei Teilprozessen. Zuerst auf der Tendenz eines Individuums, den Ge- sichtsausdruck, die Stimmlage und die Körperhaltung eines anderen Indivi- duums zu imitieren. Aus dieser Imitation erfolgt im zweiten Schritt die Über- tragung der Emotion. Da diese Vorgänge völlig unbeeinflusst und ohne Be- wusstsein ihres Daseins ablaufen, verstehen Hatfield et al. (1992, S. 156) primitive emotional contagion als das Ergebnis des emotionalen Informati- onsaustausches jenseits der bewussten Wahrnehmung der Beteiligten. Ge- stützt wird dies durch die Tatsache, dass der weitaus größte Teil der Pro- zesse im menschlichen Gehirn unbemerkt abläuft und nie in das direkte Be- wusstsein dringt (vgl. Hatfield, 1992, S. 155).
Definiert wird primitive emotional contagion als: „the tendency to automatically mimic and synchronize facial expressions, vocalizations, postures, and movements with those of another person and, consequently, to converge emotionally“ (Hatfield et al. 1992, S.153-154).
Dass es Unterschiede zwischen den Formen emotionaler Ansteckung gibt, erklären Hatfield et al. an einigen Beispielen. Primitive emotional contagion unterscheidet sich im Wesentlichen dadurch, dass sie ohne die Intention abläuft, sich positiv auf soziale Interaktion auszuwirken. Der soziale Vorteil, den andere Formen der emotionalen Ansteckung mit sich bringen, nämlich die Interaktion zu regulieren, ist nicht ihr Entstehungsgrund.
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- Quote paper
- Nicole Braun (Author), 2007, Bedeutung, Entwicklung und Wirkungen "emotionaler Ansteckung" in Organisationen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93507
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