"Miles gloriosus", vermutlich im Jahr 206 v. Chr. entstanden, ist eine der bekanntesten von 21 Komödien, die dem römischen Dramatiker T. Maccius Plautus (ca. 250-184 v. Chr.) zugeschrieben werden. Wie viele andere Komödien dieser Zeit ist auch "Miles gloriosus" einem griechischen Vorbild nachempfunden, nämlich der Komödie "Alazón", deren Verfasser nicht bekannt ist (vgl. MG 174). Dies wird von Plautus auch keineswegs verschleiert, sondern er lässt, im Gegenteil, seine Figur Palaestrio sogar explizit darauf hinweisen. Die fiktiven Figuren tragen außerdem griechische Namen. Es handelt sich hier um eine "fabula palliata" (lat. "pallium" = Griechenmantel), die römische Version einer griechischen Komödie mit griechischen Kostümen.
In "Miles gloriosus" lässt sich ein Spannungsverhältnis zwischen diesen beiden Grundpfeilern, der militärischen Tatkraft und den sozialen Tugenden, erkennen. Die Vertreter dieser unterschiedlichen Werte sind zweifellos der titelgebende Soldat Pyrgopolynices ("miles") und dessen Nachbar Periplectomenus ("senex"). Im Folgenden werde ich auf das Verhältnis dieser beiden Figuren zueinander eingehen und damit gleichsam die militärische der sozialen Tugendhaftigkeit gegenüberstellen.
Miles gloriosus, vermutlich im Jahr 206 v. Chr. entstanden1, ist eine der bekanntesten von 21 Komödien, die dem römischen Dramatiker T. Maccius Plautus (ca. 250-184 v. Chr.) zugeschrieben werden.2 Wie viele andere Komödien dieser Zeit ist auch Miles gloriosus einem griechischen Vorbild nachempfunden, nämlich der Komödie Alazón (ἀλαζών) , deren Verfasser nicht bekannt ist (vgl. MG 174). Dies wird von Plautus auch keineswegs verschleiert, sondern er lässt, im Gegenteil, seine Figur Palaestrio sogar explizit darauf hinweisen: „Alazon Graece huic nomen est comoediae,/id nos Latine gloriosum dicimus“ (MG 14 II,1 V 86-87). Die fiktiven Figuren tragen außerdem griechische Namen. Es handelt sich hier um eine ‚fabula palliata‘ (lat. ‚pallium‘ = Griechenmantel), die römische Version einer griechischen Komödie mit griechischen Kostümen.3
Plautus‘ Miles gloriosus ist eines von zahlreichen Theaterstücken aus der kulturellen Blütezeit der römischen Republik. Diese konnte nach dem Sieg über Karthago im zweiten punischen Krieg (218-201 v. Chr.)4 endgültig ihre Vormachtstellung im Mittelmeerraum etablieren. Militärische Stärke stellte also eine der Grundlagen der römischen Macht dar. Eine weitere war sicherlich eine gut funktionierende Gemeinschaft. In Miles gloriosus lässt sich ein Spannungsverhältnis zwischen diesen beiden Grundpfeilern, der militärischen Tatkraft und den sozialen Tugenden, erkennen. Die Vertreter dieser unterschiedlichen Werte sind zweifellos der titelgebende Soldat Pyrgopolynices (‚miles‘) und dessen Nachbar Periplectomenus (‚senex‘). Im Folgenden werde ich auf das Verhältnis dieser beiden Figuren zueinander eingehen und damit gleichsam die militärische der sozialen Tugendhaftigkeit gegenüberstellen.
Zunächst sei noch erwähnt, dass auch die anderen Figuren des Stücks teilweise stereotyp gewisse Charaktereigenschaften vertreten. Die ‚mulier‘ Philocomasium, eine athenische Hetäre, die von dem Söldnerhauptmann Pyrgoploynices entführt worden war, ebenso wie die anderen Frauen, betonen immer wieder ihre eigene Gerissenheit und Boshaftigkeit (vgl. MG 92 III,3 V 887-888). Dies zeigt eine zutiefst misogyne Haltung des Autors, wenn nicht sogar der römischen Gesellschaft. Der ‚servus‘ Palaestrio hebt seine Klugheit (vgl. MG 22 II,2 V 196-199) und Treue (vgl. MG 26 II,2 V 230) hervor, während der ‚adulescens‘ Pleusicles, ein vor Liebe närrischer Jüngling und Schmeichler, es nicht erwarten kann, endlich seine Liebste zu küssen (vgl. MG 70 III,1 V 633-634).
Bei der Betrachtung der römischen Werte sind Pyrgopolynices und Periplectomenus vorrangig von Interesse, da an ihnen jene am deutlichsten dargestellt werden. Diese beiden Repräsentanten der militärischen und der gesellschaftlichen Tugenden lassen sich als Spiegelungsfiguren verstehen. Sie sind Nachbarn, verfügen beide über ein Haus sowie weiteren beachtlichen materiellen Besitz. Zudem wohnt je eine der beiden Zwillingsschwestern bei ihnen: Philocomasium lebt bei Pyrgopolynices und Dicea bei Periplectomenus. Dass die Schwestern von einer einzigen Person verkörpert werden, verstärkt die Nähe der Nachbarn. Spiegelungsfigur bedeutet hier nicht, dass sich die zwei Charaktere jeweils in allem gleichen. In den entscheidenden Punkten verhalten sie sich nämlich konträr zueinander: Während der ‚miles‘ der Liebe zwischen Philocomasium und Pleusicles im Weg steht, fungiert Periplectomenus vielmehr als Helfer. Pyrgopolynices ist ein Frauenheld im schlechtesten Sinn, Periplectomenus hingegen hält sich, wie er selbst angibt, in Liebesdingen zurück (vgl. MG 70 III,1 V 652 und MG 74 III,1 V 685 bis MG 76 V 700).
Akt III,1, ebenso wie I,1, in denen die deutlichste Charakterisierung der Figuren vorgenommen wird, haben wenig Bedeutung in Bezug auf die Handlung. I,1 dient lediglich dazu, die Abwesenheit des Hauptmanns während der nächsten Szenen zu erklären. III,1 ist vor allem am Anfang interessant, als das weitere Vorgehen in Palaestrios Plan dargestellt wird (MG 66). Die folgenden langen Reden von Periplectomenus über seine eigene ausgeprägte Tugendhaftigkeit tragen hierzu recht wenig bei. Der Sinn der beiden Szenen liegt vielmehr darin, das Ende des Stücks vorzubereiten. Hier bekommt nämlich der prahlerische Pyrgopolynices, der in I,1 und weiteren kleinen Auftritten als wankelmütiger Aufschneider dargestellt wird, von seinem gastfreundlichen Nachbarn Periplectomenus und dessen Sklaven eine Strafe. Ihm droht sogar die Kastration. Ein Sklave sagt: „Quin iamdudum gestit moecho hóc abdomen adimere“ (MG 154). Dass der Ehebruch als Grund für die Strafe eigentlich nicht stattgefunden hat, da Periplectomenus nicht verheiratet ist, spielt hierbei keine Rolle mehr. Wichtig ist nur noch, dass die gesellschaftliche Tugend über die militärische triumphiert.
Allerdings wird letztere nicht durch den ‚miles‘ verkörpert. Schließlich ist er nicht der Bruder des schönen, mutigen, fast unverwundbaren homerischen Helden Achill aus der griechischen Ilias – auch wenn Pyrgopolynices dies vom ‚parasitus‘ Artotrogus bestätigt bekommt (MG 12 I,1 V 61-62). Diese Tatsache allein, nämlich die Prahlerei mit nicht vorhandener militärischer Stärke, stellt den entscheidenden Unterschied zwischen beiden Tugenden dar, der sich damit in Miles gloriosus paradoxerweise auflöst. Er rechtfertigt auch das vermeintlich schlimme Ende des Hauptmanns. Nicht in der Prahlerei selbst liegt also die Verfehlung von Pyrgopolynices, denn auch seine Spiegelungsfigur, sein Nachbar Periplectomenus, kann als Angeber gesehen werden. Wie schon erwähnt, strotzen dessen lange Reden in III,1 nur so vor Selbstdarstellung. Im Gegensatz zu den Reden des Hauptmanns sind diese jedoch nicht unberechtigt: Periplectomenus ist nämlich tatsächlich ein guter Gastfreund. Er will Pleusicles hervorragend bewirten (vgl. MG 78 III,1 V 738-739) und erwähnt in diesem Zusammenhang die ‚virtus‘ („ex virtute“) als Tugend, die in I,1 eher den militärischen Taten zugeordnet ist (vgl. MG 8 V 12 und MG 10 V 32).
Damit wird klar, dass Plautus nicht, wie es auf den ersten Blick scheint, militärische und soziale Tugend einander gegenüberstellt,. Auch die Bescheidenheit nach heutigem Verständnis ist nicht sein Antrieb. Vielmehr parodiert er mit dem prahlerischen ‚miles‘ und dem gesamten Stück diejenigen aus dem Publikum, welche solcherlei römische Tugenden nicht erfüllen. Die Prahlerei an sich scheint für den Autor kein Problem darzustellen, solange sie auf tatsächlichen Charaktereigenschaften fußt. Werden hingegen Taten erfunden, um sich selbst zu überhöhen, ist dies zu bestrafen.
Hinzu kommt noch eine religiöse Komponente: Der Hauptmann frevelt offensichtlich und wohl auch wiederholt. Er lässt sich von dem professionellen Schmarotzer Artotrogus bescheinigen, ein besserer Kämpfer zu sein als der Kriegsgott Mars (MG 8 I,1 V 11). Sein Nachbar Periplectomenus dagegen ist gottesfürchtig und gibt an: „et quod in divinis rebus sumptumst, sapienti lucrost.“ (MG 72 III,1 V 675). Zudem habe er dank der Götter die Mittel, Pleusicles als Gast zu empfangen (vgl. V 676). Auch hier wird wieder von ‚virtus‘ („deum virtute est“) gesprochen, der Tatkraft im militärischen Sinn.
Zu alldem gesellt sich der bereits erwähnte Ehebruch, die stückinterne Rechtfertigung für die drohende Kastration. Dieser stellt das ultimative Verbrechen des ‚miles‘ Pyrgopolynices dar. Damit bringt Plautus eine weitere Tugend in den Diskurs: Die Heiligkeit der Ehe. Dass es gar keinen Ehebruch geben konnte, da die Ehe zwischen dem ‚senex‘ Periplectomenus und der ‚meretrix‘ Acroteleutium nur Teil der Verschwörung gegen den Hauptmann ist, entpuppt sich als bedeutungslos. Auch die Tatsache, dass der Hauptmann noch weiter getäuscht wird, indem man ihm erzählt, Acroteleutium sei geschieden und Herrin über das Haus, bleibt folgenlos. Der nicht begangene Ehebruch stellt aber dennoch den Grund dar, um den ‚miles‘ hart bestrafen zu dürfen. Dessen Reaktion darauf ist erstaunlich, passt aber zu seinem durch und durch unsicheren Wesen: Er erkennt die Strafe ohne Widerrede an, fleht allerdings um Gnade und gibt sogar noch den moralischen Anstoß dafür, dass alle Ehebrecher so einsichtig sein mögen wie er (vgl. MG 154-158, insbesondere V 1435-1437).
Schließlich stellt sich die Frage, weshalb Plautus für seine moralischen Lehren über ‚Gottesfürchtigkeit‘, ‚Niedertracht des Ehebruchs‘ und ‚keine Prahlerei ohne herausragende Taten‘ gerade die Komödie als Darstellungsform gewählt hat. Der Grund ist meiner Meinung nach folgender: Die Tragödie bietet eher die Möglichkeit der Katharsis, der Reinigung von negativen Erregungszuständen und schlechten Gefühlen im Menschen5, aber nicht der Verstärkung von guten Empfindungen. Freilich hat auch die Tragödie belehrende Möglichkeiten, man denke nur an das Inzestverbot, das aus Sophokles‘ König Ödipus hervorgeht. Hier wird der Zuschauer jedoch abgeschreckt, obwohl Ödipus an sich keine Figur mit schlechtem Charakter ist. Wahrscheinlich empfindet das Publikum sogar Mitleid mit seinem Los.
Der Hauptmann im Miles gloriosus dagegen bleibt für die Zuschauer unsympathisch. Sein Schicksal ist nicht tragisch, er verdient es vielmehr, wie er selbst eingesteht. Dadurch und auch aufgrund des heiteren Tons sind die Theaterbesucher offener für eine Belehrung, eine Vermittlung von Werten durch subtile Botschaften, die eine ungerechtfertigte Prahlerei sowie Untreue maßregeln.
Eine Komödie schafft durch ihre karnevaleske Aufführungspraxis außerdem mehr Nähe zwischen Publikum und Handlungsfiguren. Auch in Plautus‘ Stück lassen sich karnevaleske Züge erkennen. Die eigentlichen Hierarchien der Figuren, z. B. das Verhältnis zwischen dem Herrn und seinem Sklaven, werden durch den ‚Puppenspie-ler‘ Palaestrio gekippt, ja sogar umgedreht. Die alltägliche Welt gerät aus den Fugen, nicht zuletzt durch die verschiedenen Maskierungen und die doppelte Identität.
Die römischen Komödien fanden im Rahmen religiöser Feste statt. Es gab noch keine Theaterbauten, die Schauspieler agierten und parlierten auf provisorischen Holzbühnen nah am Publikum (vgl. MG 172). Während das – meist adelige – Figurenpersonal bei Tragödien eine natürliche Distanz zu den Zuschauern aufbaute, könnten die Figuren von Komödien wie Milies gloriosus auch unter den Theaterbesuchern gelebt haben. Dadurch war diese Form des Schauspiels wirkungsvoller, um der römischen Gesellschaft Werte zu vermitteln. Durch den heiteren Ton und die klare Trennung in Gut und Böse wurden sie besser im Zuschauer verfestigt als durch die Ambivalenz der Tragödie.
[...]
1 Vgl. Plautus, T. Maccius: Miles gloriosus. Der glorreiche Hauptmann. Übers. und hrsg. von Peter Rau. Reclam, Stuttgart 1984. Nachwort von Peter Rau, S. 174. Weitere Zitate und Textverweise aus diesem Werk werden mit dem Sigel MG, gefolgt von der Seitenzahl und, falls nötig, der römischen Zahl des Akts, der arabischen Zahl der Szene und schließlich noch des Verses (V) angegeben.
2 Vgl. Manuwald, Gesine: Römisches Theater. Von den Anfängen bis zur frühen Kaiserzeit. UTB, Tübingen 2016. S. 170-171.
3 Vgl. von Wilpert, Gero: Sachwörterbuch der Literatur. Sonderausgabe der 8. Auflage, Kröner, Stuttgart 2013. S. 584.
4 Vgl. Manuwald: Römisches Theater. S. 170.
5 Vgl. Aristoteles: Die Poetik. Übers. und hrsg. von Manfred Fuhrmann. Reclam, Stuttgart 1982. S. 19.
- Arbeit zitieren
- Birgit Kaltenthaler (Autor:in), 2020, Militärische und gesellschaftliche "virtus" in "Miles gloriosus" von Plautus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/934957
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.