Mit Entsetzen beschrieb ein deutscher Journalist in der Frankfurter Zeitung vom 7. August 1913 seine im 2. Balkankrieg gewonnenen Erfahrungen: „Alle Minarets bis Adrianopel sind niedergelegt oder halb abgebrannt, alle Moscheen verwüstet und meist als Ställe benutzt worden.“ Als Urheber dieser „Schandtaten“ gegenüber der wehrlosen, türkischen Zivilbevölkerung benannte er die „bulgarische Soldateska und ihre viehischen Offiziere“, deren Verhalten er nur als das „bulgarischer Hunnen“ charakterisieren könne.1 Lediglich zwei Jahre später schien das Bild der bulgarischen Soldaten in der deutschen Presse ein ganz anderes zu sein, wie ein Journalist im Dresdner Anzeiger vom 23. September 1915 feststellte. Er schrieb, „[…] daß der Bulgare ein außerordentlich guter Soldat ist. Er ist tapfer, bedürfnislos, zäh und ordnet sich leicht der militärischen Disziplin unter. Infolgedessen ist der Geist und die Disziplin sowohl der Offiziere wie der Truppe außerordentlich gut.“2 Aber auch dieses positive Zeugnis war nur von kurzer Dauer. Bereits weitere drei Jahre danach schrieb der Journalist Karl Stein in der Rheinisch-Westfälischen Zeitung vom 8. Oktober 1918 über die bulgarische Armee in einem ähnlichen Tenor wie das eingangs erwähnte Zitat: „Die
demoralisierte bulgarische Soldateska brach in Makedonien und Altbulgarien ein, verbreitete hier eine starke Panik und verübte schwere Ausschreitungen.“3
Diese drei Zitate verdeutlichen schlaglichtartig die gravierenden Umschläge in der deutschen Berichterstattung über Bulgarien, seine Bewohner und sein Militär innerhalb von nur fünf Jahren – von den „bulgarischen Hunnen“ im August 1913 über die „außerordentlich guten Soldaten“ im September 1915 wieder zurück zur „bulgarischen Soldateska“ im Oktober1918. Nichtsdestotrotz stellt die Untersuchung dieses äußerst interessanten Wandels in der deutschen Bulgarienperzeption im Vorfeld und während des Ersten Weltkrieges bisher ein weitgehendes Forschungsdesiderat dar. Eine Tatsache, die schon insofern verwundert, als dass die deutsch-bulgarischen Beziehungen in dieser Zeit nicht nur massiven Veränderungen unterlagen, sondern auch, da im Laufe der Jahre 1915 – 1918 erstmals hunderttausende deutsche Soldaten in engeren Kontakt mit dieser Region und ihren Bewohnern kamen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Strukturelle Rahmenbedingungen
- Die Presse im Deutschen Kaiserreich im Vorfeld und während des Weltkrieges
- Die Presselandschaft im Kaiserreich
- Pressekontrolle und Zensur
- Kriegsberichterstatter
- Die Beziehungen zwischen Bulgarien und Deutschland in den Jahren 1912 – 1918
- Die erste Phase: 1912-1914
- Die zweite Phase: 1914-1918
- Bulgarien in der deutschen Presse
- Die kritische Phase 1912-1914
- Statistik
- Seltsame Mischung aus Barbarentum und dem schon von Europa Übernommenen
- Russische und bulgarische Flinten schießen nicht aufeinander
- Die bulgarische Soldateska und ihre viehischen Offiziere
- Die positive Phase 1914-1918
- Statistik
- Eine Umwertung des landläufigen Bulgarienbildes ist notwendig
- Hier drängt eine Art Verwandtschaft zur Brüderschaft auf den Schlachtfeldern
- Soldaten in deutschem Sinne
- Rückkehr zum alten Muster? – Der bulgarische Zusammenbruch
- Resümee
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht das Bild Bulgariens in der deutschen Presse zwischen 1912 und 1918. Ziel ist es, die Veränderungen in der Berichterstattung im Kontext der sich wandelnden deutsch-bulgarischen Beziehungen zu analysieren und die Gründe für diese Veränderungen zu ergründen. Dabei wird sowohl auf Gemeinsamkeiten als auch auf Unterschiede in der Berichterstattung eingegangen.
- Entwicklung des Bulgarienbildes in der deutschen Presse von 1912 bis 1918
- Einfluss der deutsch-bulgarischen Beziehungen auf die Berichterstattung
- Analyse der verwendeten Sprachbilder und deren Bedeutung
- Vergleich der Berichterstattung über Bulgarien mit der Berichterstattung über andere Balkanstaaten
- Eigen- und Fremdwahrnehmung der deutschen Pressevertreter
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung präsentiert anhand von drei Zitaten aus der deutschen Presse den starken Wandel in der Darstellung Bulgariens zwischen 1913 und 1918 – von "bulgarischen Hunnen" zu "außerordentlich guten Soldaten" und zurück zur "bulgarischen Soldateska". Sie hebt die Forschungslücke bezüglich der deutschen Bulgarien-Perzeption während des Ersten Weltkriegs hervor und begründet die Notwendigkeit der vorliegenden Arbeit, die einen ersten Zugang zu dieser Thematik liefern soll. Die Fragestellung wird formuliert, die sich auf den Vergleich der Berichterstattung in den Phasen 1912-1914 und 1914-1918 konzentriert.
Strukturelle Rahmenbedingungen: Dieses Kapitel analysiert den Kontext der Berichterstattung. Es beleuchtet die Struktur der deutschen Presse im Kaiserreich, die Rolle der Pressekontrolle und Zensur sowie die Arbeit der Kriegsberichterstatter. Darüber hinaus wird ein Überblick über die deutsch-bulgarischen Beziehungen in den Jahren 1912-1918 gegeben, unterteilt in die Phasen vor und während des Ersten Weltkriegs, wobei die politischen und militärischen Entwicklungen zwischen beiden Ländern im Detail dargestellt werden. Die jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Umstände werden als grundlegende Einflussfaktoren für die Berichterstattung hervorgehoben.
Bulgarien in der deutschen Presse: Dieses Kapitel bildet den Kern der Arbeit. Es untersucht die Darstellung Bulgariens in der deutschen Presse, getrennt in die Phasen 1912-1914 (kritische Phase) und 1914-1918 (positive Phase). Es analysiert die statistischen Daten zur Berichterstattung, interpretiert die verwendeten Sprachbilder und untersucht die zentralen Themen der Berichterstattung, wie z.B. die Darstellung bulgarischer Soldaten und die Beurteilung ihres Verhaltens. Der Vergleich der beiden Phasen verdeutlicht den starken Wandel im Bild Bulgariens in der deutschen Öffentlichkeit, der eng mit den sich verändernden politischen und militärischen Verhältnissen verbunden war. Die Analyse umfasst auch die Untersuchung der Rolle parteipolitischer Ausrichtungen auf die Berichterstattung.
Schlüsselwörter
Bulgarienbild, Deutsche Presse, Erster Weltkrieg, Deutsch-bulgarische Beziehungen, Kriegsberichterstattung, Pressekontrolle, Propaganda, Nationalismus, Balkan, Imaginationen von Orient und Balkan, Sprachbilder, Soldatenbild.
Häufig gestellte Fragen zur Analyse des Bulgarienbildes in der deutschen Presse (1912-1918)
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert die Darstellung Bulgariens in der deutschen Presse zwischen 1912 und 1918. Sie untersucht, wie sich das Bild Bulgariens in der Berichterstattung verändert hat und welche Faktoren diese Veränderungen beeinflusst haben.
Welche Zeiträume werden untersucht?
Die Analyse konzentriert sich auf zwei Phasen: die kritische Phase von 1912 bis 1914 und die positive Phase von 1914 bis 1918. Der Vergleich dieser beiden Phasen soll den Wandel im Bulgarienbild verdeutlichen.
Welche Quellen werden verwendet?
Die Arbeit basiert auf der Analyse der deutschen Presseberichterstattung über Bulgarien aus den Jahren 1912 bis 1918. Die genaue Auswahl der Quellen wird im Text detailliert beschrieben.
Welche Aspekte der Berichterstattung werden analysiert?
Die Analyse umfasst die statistische Erfassung der Berichterstattung, die Interpretation der verwendeten Sprachbilder, die zentralen Themen der Berichterstattung (z.B. die Darstellung bulgarischer Soldaten), und den Einfluss parteipolitischer Ausrichtungen.
Wie wird der Kontext der Berichterstattung berücksichtigt?
Der Kontext wird durch die Untersuchung der strukturellen Rahmenbedingungen, wie der Organisation der deutschen Presse im Kaiserreich, der Pressekontrolle und Zensur, der Arbeit der Kriegsberichterstatter und der deutsch-bulgarischen Beziehungen in den untersuchten Jahren, beleuchtet.
Welche Schlussfolgerungen werden gezogen?
Die Arbeit zeigt einen starken Wandel im Bild Bulgariens in der deutschen Öffentlichkeit auf, der eng mit den sich verändernden politischen und militärischen Verhältnissen zwischen Deutschland und Bulgarien verbunden war. Die genauen Schlussfolgerungen sind im Resümee der Arbeit zusammengefasst.
Welche Schlüsselwörter beschreiben die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Bulgarienbild, Deutsche Presse, Erster Weltkrieg, Deutsch-bulgarische Beziehungen, Kriegsberichterstattung, Pressekontrolle, Propaganda, Nationalismus, Balkan, Imaginationen von Orient und Balkan, Sprachbilder, Soldatenbild.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit?
Die Arbeit gliedert sich in eine Einleitung, ein Kapitel zu den strukturellen Rahmenbedingungen, ein zentrales Kapitel zur Analyse des Bulgarienbildes in der deutschen Presse, und ein Resümee. Zusätzlich werden Zielsetzung und Themenschwerpunkte sowie Kapitelzusammenfassungen vorgestellt.
Welche Forschungslücke schließt die Arbeit?
Die Arbeit untersucht die deutsche Perzeption Bulgariens während des Ersten Weltkriegs, ein Thema, zu dem es bisher nur wenige Forschungsbeiträge gibt. Sie liefert somit einen ersten Zugang zu dieser Thematik.
Für wen ist diese Arbeit gedacht?
Diese Arbeit richtet sich an Wissenschaftler, Studenten und alle Interessierten, die sich mit der Geschichte des Ersten Weltkriegs, den deutsch-bulgarischen Beziehungen und der Rolle der Medien in der Geschichtskonstruktion auseinandersetzen.
- Quote paper
- Patrick Schweitzer (Author), 2007, Das Bulgarienbild im Spiegel der deutschen Presse der Jahre 1912 - 1918, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93375