Macht Religion oder Religiosität krank oder verläuft die Wirkung umgekehrt und neigen psychisch kranke oder auffällige Menschen zu Religiosität? Auf der einen Seite, so Godwin
Lämmermann (1) finden sich Belege für einen positiven Effekt von Religiosität auf die psychische Gesundheit - andererseits gibt es Hinweise, dass Religiosität mit psychischen Erkrankungen zusammenhängt. Lämmermann führt dabei Henning (Henning u.a., 2003, 147)
an, dass „insgesamt mehr Studien eine positive als eine negative Korrelation nachweisen.“ Allerdings zeigten sich hier „only slightly positive correlates of religion“ (Bergin 1983, 170) und diese Effekte sind auch nur geringfügig (O`Conolly u.a.2002,56;Bergin 1983, 176).
Es sei, glaube man Murken (1994, 141), „innerhalb der Religionspsychologie die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Religiosität und seelischer Gesundheit eine der am meisten diskutierten“. Die Frage, wie Religion und Gesundheit zusammenhingen, sei nicht einfach zu beantworten. Der Grund sei, dass die meisten empirischen Untersuchungen dazu auf Korrelationen beruhten, über die kausalen Wirkungsverhältnisse jedoch wenig aussagten und somit kein wirklich treffendes Bild über dieses Problem abgeben würden. Dabei könne man nie völlig ausschließen, dass Korrelationen von anderen intervenierenden Variablen beeinflusst würden. Wenn extrem religiöse Menschen weniger suchtgefährdet seien, so könne dies nicht nur auf die prophylaktische Wirkung starker Religiosität, sondern genauso auf rigider sozialer Kontrolle oder Selbstbeschränkung oder aber auch auf religiös bewirkten Angst- und Schuldgefühlen beruhen.
Glaube man den vielen amerikanischen Studien zu diesem Thema, dann sind religiöse Menschen gesünder, angstfreier und zuversichtlicher als Atheisten. „Die große Mehrzahl der Studien erweist, dass Religion heilsame Wirkungen auf die Gesundheit ausübt“ (Utsch 2005, 159) . Viele andere Untersuchung ergäben, dass suchtkrank und sexgierig werde, wer sein spirituelles Potenzial nicht ausschöpfe (Utsch 2005, 189) und dass der „Verlauf einer schweren Krebserkrankung ... von der Religiosität und Spiritualität des Patienten mitgesteuert“ werde. Dieser Euphorie stehe jedoch entgegen, dass viele dieser Studien, so Lämmermann, von evangelikalen Forschern stamme. Satura (1981, 6) stellt die Frage, ob „es in der religiösen Erfahrung Momente gibt, die zur seelischen Gesundheit beitragen“ und vermutet diesbezüglich vier Zusammenhänge, in denen Religiosität positiv wirken könne:
Inhaltsverzeichnis
I. Die Bedeutung der Religiosität für die Gesundheit
1. Religionspsychologie und Gesundheitsforschung:
2. Religiosität und Wohlbefinden:
3. Religion und Angst:
4. Religiosität und Depression:
5. Religiosität und Neurose:
6. Religiöse Wahnvorstellungen:
II. Mitgliedschaft in einer extremen religiösen Gruppe
1. Destruktive Gruppen:
2. Anwerben und Erzeugen von Abhängigkeit:
3. Die Führungsinstanz:
4. Die Indoktrination:
III. Zeugen Jehovas und psychische Gesundheit
1. Die Zeugen Jehovas unter dem Aspekt der Sozialpsychologie:
a) Kognitive Dissonanz und Zeugen Jehovas:
b) Psychologische Reaktanz bei den Zeugen Jehovas:
c) Soziale Vergleichsprozesse bei den Zeugen Jehovas
d) Selbstwerterhaltung und Selbstwerterhöhung bei den Zeugen Jehovas
2. Die Untersuchung der seelischen Gesundheit der Zeugen Jehovas von Jerry Bergman:
a) Zeugen Jehovas und das Problem der psychischen Erkrankungen
b) Zu Erkrankungen beitragende Faktoren
3. Stellungnahme der Zeugen Jehovas Deutschland und persönliches Fazit:
Literatur:
I. Die Bedeutung der Religiosität für die Gesundheit
1. Religionspsychologie und Gesundheitsforschung:
Macht Religion oder Religiosität krank oder verläuft die Wirkung umgekehrt und neigen psychisch kranke oder auffällige Menschen zu Religiosität? Auf der einen Seite, so Godwin Lämmermann (1) finden sich Belege für einen positiven Effekt von Religiosität auf die psychische Gesundheit - andererseits gibt es Hinweise, dass Religiosität mit psychischen Erkrankungen zusammenhängt. Lämmermann führt dabei Henning (Henning u.a., 2003, 147)
an, dass „insgesamt mehr Studien eine positive als eine negative Korrelation nachweisen.“ Allerdings zeigten sich hier „only slightly positive correlates of religion“ (Bergin 1983, 170) und diese Effekte sind auch nur geringfügig (O`Conolly u.a.2002,56;Bergin 1983, 176).
Es sei, glaube man Murken (1994, 141), „innerhalb der Religionspsychologie die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Religiosität und seelischer Gesundheit eine der am meisten diskutierten“. Die Frage, wie Religion und Gesundheit zusammenhingen, sei nicht einfach zu beantworten. Der Grund sei, dass die meisten empirischen Untersuchungen dazu auf Korrelationen beruhten, über die kausalen Wirkungsverhältnisse jedoch wenig aussagten und somit kein wirklich treffendes Bild über dieses Problem abgeben würden. Dabei könne man nie völlig ausschließen, dass Korrelationen von anderen intervenierenden Variablen beeinflusst würden. Wenn extrem religiöse Menschen weniger suchtgefährdet seien, so könne dies nicht nur auf die prophylaktische Wirkung starker Religiosität, sondern genauso auf rigider sozialer Kontrolle oder Selbstbeschränkung oder aber auch auf religiös bewirkten Angst- und Schuldgefühlen beruhen.
Glaube man den vielen amerikanischen Studien zu diesem Thema, dann sind religiöse Menschen gesünder, angstfreier und zuversichtlicher als Atheisten. „Die große Mehrzahl der Studien erweist, dass Religion heilsame Wirkungen auf die Gesundheit ausübt“ (Utsch 2005, 159) . Viele andere Untersuchung ergäben, dass suchtkrank und sexgierig werde, wer sein spirituelles Potenzial nicht ausschöpfe (Utsch 2005, 189) und dass der „Verlauf einer schweren Krebserkrankung ... von der Religiosität und Spiritualität des Patienten mitgesteuert“ werde. Dieser Euphorie stehe jedoch entgegen, dass viele dieser Studien, so Lämmermann, von evangelikalen Forschern stamme. Satura (1981, 6) stellt die Frage, ob „es in der religiösen Erfahrung Momente gibt, die zur seelischen Gesundheit beitragen“ und vermutet diesbezüglich vier Zusammenhänge, in denen Religiosität positiv wirken könne: „Bei leichten Formen der Neurosen, in den ersten Stadien der Erkrankung, bei psychischer Prophylaxe und Psychohygiene, also bei der Vorbeugung und Erhaltung seelischer Gesundheit und darüber hinaus bei jenen Formen, die in der Medizin als Selbstheilungsfälle bekannt sind“ (Satura 1981, 19). Im Gegensatz dazu komme Schmitz bei seiner Metaanalyse bisheriger Studien zum Thema zu einem gegensätzlichen Urteil. Religiosität könne durchaus auch „für die seelische Gesundheit des einzelnen Menschen einen Komplex von Risikofaktoren darstellen“ (Schmitz 1992, 148).
Es scheint, so Lämmermanns Fazit, wie auch immer im Einzelnen die Zusammenhänge aussehen mögen, dass Religiosität eher zu den Gesundheits- als zu den Erkrankungsfaktoren gehöre. Andererseits betont er, dass übersteigerte Religiosität schon lange als Krankheitsbild der Psychiatrie gelte. Auch sprächen Ergebnisse der Depressionsforschung nicht gerade für eine positive Wechselwirkung von Gesundheit und Religiosität. Hole (1977) habe dabei eine enge Beziehung von Depression und religiösen Wahnvorstellungen nachgewiesen.
2. Religiosität und Wohlbefinden:
Die Religionspsychologie tut sich schwer, seelisches Wohlbefinden zu definieren, zumal viele psychische Störungen durchaus mit subjektivem Wohlbefinden (etwa die narzistische Persönlichkeitsstörung) einhergehen. Dennoch hat, so Lämmermann, das Konzept >Wohlbefinden< Eingang in die Religionspsychologie gefunden und wurde in Deutschland vor allem von Grom aufgegriffen, der sich die Frage stellt: Beeinträchtigt Religiosität das subjektive Wohlbefinden negativ? Fördert Religiosität das subjektive Wohlbefinden ? Beeinflusst das subjektive Wohlbefinden oder dessen Abwesenheit die eigenen Religiosität? Für Grom wirkt der Faktor Religiosität je nach persönlicher Konstitution, schwankt dabei zwischen positiven und negativen Effekten und hängt von eigenen Erfahrungen ab, wobei sich negative Erfahrungen negativ potenzieren und positive Erfahrungen positiv.
Murken (1998, 74ff) untersuchte an 465 Patienten einer psychosomatischen Klinik eine vermutete Beziehung zwischen Religiosität, dem soziale Netzwerk der Patienten, ihrem Selbstwertgefühl und ihrer Gesundung und gelangte dabei zu folgender Feststellung: „Entgegen der Hypothese gelang es jedoch nicht, zu zeigen, dass Religiosität eine Ressource bei der Verarbeitung äußerer und innerer Anforderungen sein könnte... Es fanden sich keinerlei korrelative Zusammenhänge zwischen Dimensionen einer als positiv erlebten Religiosität oder Gottesbeziehung und verschiedenen Maßen psychischer Gesundheit“ (Murken 1998, 158). Eine negative Gottesbeziehung erwies sich allerdings nicht als gesundheitsförderlich. Für Schmitz (1992,143) bleibt „die Beziehung zwischen bestimmten Formen der Religiosität und psychischer Gesundheit oder psychischer Störung ... offenbar viel zu kompliziert.“. Murken weise, wie Lämmermann meint, zu Recht darauf hin, dass die Integration des Themas Religion in die Behandlungen von psychischen und psychosomatischen Erkrankungen nur konsequent wäre, zumal man in der neueren Psychotherapie davon ausgehe, dass 12 – 15 Prozent der Patientenprobleme religiöser Natur seien (Jordahl 1990,251).
So wie ein positives Selbstwertgefühl und ein entsprechendes Selbstkonzept, so das Fazit Lämmermanns, Gesundheit fördern könne, habe auch eine Religiosität, die diese beiden Dispositionen stütze, eine indirekt positive Wirkung auf die seelische Gesundheit: Eine unmittelbare Wirkung von Religiosität auf Gesundheit und Wohlbefinden sehe er jedoch nicht. Andererseits mache Religiosität krank, besonders wenn sie sich kontraproduktiv auf Selbstwertgefühl und Selbstkonzept auswirke und sich am Geschäft mit der Angst beteilige. Eine als positiv empfundene Religiosität steigert, über einen präventiven und Lebens- zufriedenheit erhaltenden Einfluss hinaus, sogar das subjektive Wohlbefinden, so Grom(2).
Von 100 englischsprachigen Untersuchungen, die König et. al. (2002) sichteten, berichteten Vertreter christlichen, jüdischen und muslimischen Glaubens zu 80% von positiven, 13% von nicht vorhandenen und 7% von gemischten Korrelationen zwischen Religiosität und den Indikatoren Lebenszufriedenheit, Glücklichsein, und Sinnorientierung. Emnid ermittelte 1992, dass sich in Westdeutschland regelmäßige Gottesdienstbesucher – je nach Konfession – um 16% bzw 10% häufiger als Nichtkirchgänger als mit dem Leben zufrieden bezeichneten. Dabei, so Grom, hänge der Mehrwert an Lebensqualität davon ab, wie stark relevante Glaubensüberzeugungen konkret verinnerlicht würden und nicht nur eine Bekenntnisformel für Sonn- und Feiertage seien.
3. Religion und Angst:
Zahlreiche Religionen weisen laut Lämmermann angsterzeugenden Inhalte wie ewiger Tod, Teufel, böse Geister und Hölle auf. Der klinische Psychologe Buggle weise auf inhumane Tendenzen in der christlichen und jüdischen Bibel hin, wo besonders negative Effekte wie Angst, Grauen, Strafe und Vergeltung thematisiert würden. Diese negativen Wirkungen zentraler religiöser Aussagen gefährdeten – so Buggle – Wohlbefinden und psychische Gesundheit: „ Es ist a priori von allen Kenntnissen her, die wir über die Entstehung psychischer Störungen und psychischer Leiden haben, mehr als plausibel und durch zahlreiche Einzelschicksale zu belegen, wie zentrale Inhalte biblischer Religiosität ... sich als erdrückende Last auf ...gläubige Menschen legen könne“ (Buggle 1992,9). Dieser Aussage steht das Selbstverständnis im Grunde aller Weltreligionen als Religionen der Liebe und des Friedens entgegen. Und man muss sich an dieser Stelle fragen : Gehört die Erzeugung von Angst zum Wesen der Religion oder ist die Religion eine angsthemmende Macht?
Eine plausible Erklärung findet Lämmermann beim Pastoralpsychologen Pfister: „Die religiösen Ängste können vorwiegend rückwärts blicken: Man ängstigt sich, weil man gegen Gott gesündigt hat, wobei meist hinter der bewussten Schuld eine oder mehrere unbewusste Übertretungen stecken“ (Pfister 195,30). Pfister sehe letztendlich hinter der religiösen Angst ein falsches Gottesbild, nämlich das vom strafenden Rachegott. Dem setze er das Prinzip der Seelsorge gegenüber, in welchem das Vertrauen auf Gott die Angst ausschalte. Angst werde schließlich in einem Lernprozess erworben, habe also exogene Ursachen. Ähnlich argumentiere auch die Konditionierungstheorie: Angst sei als erlernte Reaktion auf bedingte Reize zu verstehen, wenn dem Menschen Schmerz und Verletzungen drohten. Dieser lerne, Angstsituationen zu antizipieren und reagiere oftmals bei objektiv geringeren Gefahren übermäßig ängstlich. Die Angst verselbständige sich also, so dass sie auch ohne einen verursachenden Auslöser auftrete.
Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Angst und Religiosität wurde in letzterer Zeit vor allem von Grom (2, s.o.) aufgegriffen und die Frage gestellt, inwieweit Religiosität den Menschen für Angst prädisponiere oder immunisiere Ersteres gelte besonders , wenn die Gottesbeziehungen, der Vollzug religiöser Handlungen sowie die Beachtung von Normen überwiegend als Zwangsunterwerfung unter eine Autorität erlebt würden, die Ungehorsam mit körperlichen und seelischen Strafen bedrohe und den Verzicht auf die Befriedigung legitimer Bedürfnisse verlange. Religiosität immunisiere hingegen als erfüllungsmotivierte positive Religiosität, wenn sie auf Gefühlen von Hoffnung, Sinn und Geborgenheit sowie
einem positiven Selbstwert beruhe. Für Grom spielt Angst besonders in religiös dogmatischen Überzeugungssystemen eine große Rolle. Doch der Zusammenhang sei hier nicht linear, sondern kurvilinear: Personen mit den niedrigsten Dogmatismuswerten zeigten auch die niedrigsten Angstwerte. Doch hatten keineswegs die Personen mit den höchsten Dogmatismuswerte auch die höchsten Angstwerte, sondern zeigten sich diese besonders bei mittleren Dogmatismuswerten. Guntern (1978) interpretiere dies so, dass zunehmende Angst zunächst stärkeren Dogmatismus bewirke, dass dann die Angst aber wieder abnehme, da es einem dogmatischen (d.h. stark geschlossenen) Überzeugungssystem meist gelinge, Angst und Verunsicherung zu überwinden.
4. Religiosität und Depression:
Murken führt, wie Lämmermann erwähnt, 101 Studien an, „von denen etwa zwei Drittel eine geringe Anzahl und Intensität von depressiven Symptomen bei religiösen Personen berichten (Henning/Murken/Nestler 2003,147), so dass man daraus schließen könne, dass Religiosität eine gute Depressionsprophylaxe wäre. Schmitz wiederum sieht zahlreiche Studien einen Zusammenhang zwischen endogenen (d.h. ohne äußere Ursachen) Depressionen und Religiosität zu belegen (Schmitz 1992, 159ff). Nicht die Kirche mache depressiv, sondern depressive Menschen flüchteten gerne in die Kirche, wie Spring glaubt, der meint, belegt zu haben, dass kirchlich sehr engagierte Katholiken bezüglich „Depressivität ...deutlich höhere Ausprägungen als die Durchschnittsbevölkerung aufweisen“ (Spring/ Moosbrugger/ Zwingmann/Frank 1992,2). Dies spräche sehr für eine hohe Attraktivität religiöser Gemeinschaften für depressive Charaktere und wird auch von Hole unterstützt. So gäben Depressive an, „signifikant häufiger als alle anderen untersuchten Gruppen an, intensive religiöse Kontakte zu haben“ (Dörr 1987,19). Dies alles weise für Lämmermann, darauf hin, dass depressive Religiosität erlernt sei.
„Bei vorwiegend endogenen Depressionen“ sei, so Schmitz (1992,161) „ der Glaube durch extreme Schuld- und Versündigungsideen geprägt“. Dörr (1987,109) sieht Zusammenhänge in umgekehrter u-förmiger-Beziehung und schreibt: „Wer besonders religiös ist, der ist ebenso wenig unglücklich wie ein areligiöser Mensch. Wer aber gering religiös ist ... , der ist auch unglücklicher und depressionsanfälliger. Unter gesundheitspsychologischen Gesichtspunkten könne man ebenso überspitzt formulieren: Ein anständiger Atheismus schützt ebenso vor Depression wie eine gediegenen Religiosität.“ Allerdings attestiere, wie Schmitz (1992,169) meint, eine entsprechende Untersuchung den religiösen Menschen zugleich eine hohen Grad an Krankheitsverleugnung, so dass unklar sei, ob religiöse Menschen eher weniger depressiv seine oder stärker als andere ihre Erkrankung verdrängten oder verleugneten. Unterscheide man die Religiosität der Depressiven nach intrinsischer und extrinsischer Religiosität, zeige sich, dass die positiven Wirkungen auf Seiten der intrinsichen Religiosität lägen (Dörr 1987,996ff).
So sind Befunde zum Zusammenhang von Religiosität und Depression systematisch widersprüchlich oder, mit Lämmermann, gesagt: Depressive haben Religion, aber ohne Religiosität. Diese werde unterstützt durch die Berichte Stählbergs, demnach depressive Patienten von ausgeprägtem Religiositätsverlust während ihrer depressiven Hochphase
berichteten (Gryzmala-Moszczynska/Beit-Hallahami 1994,271) , welche jedoch durch die Reorganisation ihrer Religiosität starke Impulse zur Überwindung ihrer Depression erfahren hätten.
5. Religiosität und Neurose:
Moosbrugger/Zwingmann/Frank (1996,77) sehen in der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Religiosität und Neurosen ein „zentrales Thema religionspsychologischer Untersuchungen“, was Lämmermann zu der konträren Schlussfolgerung brachte: Einmal soll Religiosität vor Neurosen schützen, während Atheismus dazu prädestiniere. Ein andermal stelle sie selbst eine Neurose dar und mache „den Bedarf nach anderen pathologischen Symptomen überflüssig“ (Schmitz 1992,139).
Neurosen (z.B. Hemmungen, Zwangsstörungen, Furchtanfälle, Unsicherheit, Depressionen) sind stabil gewordene Verhaltensweisen oder Einstellungen und haben – im Gegensatz zu Psychosen (Wahnvorstellungen , Schizophrenie, Demenz) keine organischen Ursachen, sondern werden meist auf unbewusste Konflikte in der Kindheit zurückgehend erklärt. Neurotiker sind sich ihrer Störung meist, zumindest teilweise, bewusst. Bereits Freud sah einen Zusammenhang zwischen Religiosität und Neurosen und fragte sich, ob Religiosität neurotische Entgleisungen fördere oder im Gegenteil Religiosität vor Neurosen schützen könne.
Laut Schmitz lebe der religiöse Mensch oft in einer zwiegespaltenen Welt, in der Anspruch und Wirklichkeit, Können und Sollen, Gegenwart und Zukunft u.s.w. weit auseinander lägen. Dies führe zu einem „double-bind“- Verhalten, in dem zum einen in einer religiösen Gemeinschaft sehr enge persönliche Bindungen vorlägen, andererseits, bedingt durch den Gruppendruck an den Einzelnen hohe, oft paradoxe und unerfüllbare religiöse Anforderungen gestellt würden (z.B. Forderung der sexuellen Abstinenz contra natürlicher Sexualtrieb). Wenn dazu noch entsprechende persönlichkeitsbedingte Dispositionen kämen, führe dies zu Neurosen.
Grom (2; s.o.) sieht Zwangsstörungen und Perfektionismus unter bestimmten Bedingungen in rigorosen Milieus durch religiöse Einflüsse gefördert (Greenberg, 1984) . In diesem Fall sei jedoch die Religiosität nur eine Mitursache von mehreren, was auch durch die Beobachtung bestätigt werde, dass die Klärung belastender religiöser Überzeugungen (z.B. Bibelauslegungen) Psychotherapien nicht ersetzen, sondern nur unterstützen könne (Nielsen, Johnson & Ellis, 2002). So konnte sich der von Schätzing (1955) und Thomas (1964) verwendete Begriff der „ekklesiogene“ Neurose, der eine Monokausalität der Störungen postuliert, nie richtig durchsetzen und wurde in keiner der Störungsklassifikationen aufgenommen.
[...]
(1) Godwin Lämmermann (2006), Einführung in die Religionspsychologie, Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn
(2) Bernhard Grom (3.Aufl. 2007), Religionspsychologie, Kösel Verlag, München
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- Alfred Seif (Autor:in), 2008, Psychische Gesundheit und Religiosität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93320
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