Die vorliegende Arbeit betrachtet die Einführung eines neuen EDV-Systems in einer Werft aus einer organisationssoziologischen Perspektive. Grundlage ist eine Fallstudienbeschreibung von Günther Ortmann. Es erfolgt eine Darstellung der Ereignisse des Betrachtungszeitraumes, deren ausgewählte Aspekte mithilfe der verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorie sowie der Mikropolitik analysiert werden. Die unterschiedlichen Theorieanwendungen rücken dabei entsprechend ihrer Schwerpunkte Entscheidungsprozesse sowie akteurszentrierte und
handlungsbezogene Spiele in den Blickpunkt der Beobachtung. Es folgen eine analytische
Anwendung der theoretischen Ansätze auf das Fallbeispiel sowie ein Vergleich der Theorien in der Schlussbetrachtung. Produktionssysteme industrialisierter Nationalstaaten unterlagen durch die Einführung
computerunterstützter Tätigkeiten innerhalb der letzten 30 Jahre einem enormen Prozesswandel.
"Der Systemeinsatz und der Möglichkeit, mit den informationsverarbeitenden Techniken
Informationsbearbeitung und Maschinensteuerung direkt zu koppeln, (läßt) Aufgabenfelder
entfallen. Gleichzeitig wächst die Bedeutung (derjenigen Gruppe) [...], die dieses System einführt
und beherrscht."1
In dieser Arbeit soll die Einführung eines EDV-Systems auf einer Werft Ende der 80er Jahre nach
einer Untersuchung von Günther Ortmann aus den mikropolitischen Analysen mit dem Titel
"Computer und Macht in Organisationen" betrachtet werden. Das konkret beleuchtete Fallbeispiel
trägt den Titel: "Expertenmacht von unten - CAD/CAM auf der Werft". Darin wird die Einführung
einer rechnerunterstützten Software für den Fertigungsbereich zweier Abteilungen und die damit
zusammenhängenden innerbetrieblichen Veränderungsprozesse für die Organisation und deren
Akteure in den Mittelpunkt gerückt. Ende der 90er Jahre beschreiben Knoblauch und Heath2
diesen Forschungsansatz als 'Workplace Studies', die sich in detaillierten Untersuchungen mit
Arbeit, Technologie und Interaktion von komplexen Organisationen beschäftigen. Die 'Workplace
Studies' beschäftigen sich dabei mit den Beziehungen zwischen 'Sozialem' und 'Technischen'
und "zwar weniger mit dem alleinigen Ziel der Schaffung theoretischer Aussagen, sondern eher im
Sinne der detaillierten empirischen Untersuchung des Gebrauchs komplexer technischer Systeme
als einer praktischer Handlungsleistung."
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Fallstudie: Expertenmacht von unten - EDV-Einführung für eine Werft
3. Theorieanwendungen
3.1 Verhaltenswissenschaftliche Entscheidungstheorie
3.1.1 Grundlagen
3.1.2 Anwendung der verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorie
3.2 Mikropolitik
3.2.1 Grundlagen
3.2.2 Mikropolitische Analyse
4. Schlussbetrachtung
5. Literatur
Abstrakt
Die vorliegende Arbeit betrachtet die Einführung eines neuen EDV-Systems in einer Werft aus einer organisationssoziologischen Perspektive. Grundlage ist eine Fallstudienbeschreibung von Günther Ortmann. Es erfolgt eine Darstellung der Ereignisse des Betrachtungszeitraumes, deren ausgewählte Aspekte mithilfe der verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorie sowie der Mikropolitik analysiert werden. Die unterschiedlichen Theorieanwendungen rücken dabei entsprechend ihrer Schwerpunkte Entscheidungsprozesse sowie akteurszentrierte und handlungsbezogene Spiele in den Blickpunkt der Beobachtung. Es folgen eine analytische Anwendung der theoretischen Ansätze auf das Fallbeispiel sowie ein Vergleich der Theorien in der Schlussbetrachtung.
Abstract
This paper analyzes the introduction of a new EDP-System for a dockyard company from a organization-sociological perspective. This study is based on a description by Günther Ortmann. I will describe the order of events and analyse chosen aspects according to the 'decision theory' as well as the 'theory of micropolitics'. The different applications of theories are putting special emphasis on aspects such as the decision making processes and participant centered and action-referred plays into the focus of the observation. After that the practical use will be analysed and finally the theories will be compared.
1. Einleitung
Produktionssysteme industrialisierter Nationalstaaten unterlagen durch die Einführung computerunterstützter Tätigkeiten innerhalb der letzten 30 Jahre einem enormen Prozesswandel. "Der Systemeinsatz und der Möglichkeit, mit den informationsverarbeitenden Techniken Informationsbearbeitung und Maschinensteuerung direkt zu koppeln, (läßt) Aufgabenfelder entfallen. Gleichzeitig wächst die Bedeutung (derjenigen Gruppe) [...], die dieses System einführt und beherrscht."1
In dieser Arbeit soll die Einführung eines EDV-Systems auf einer Werft Ende der 80er Jahre nach einer Untersuchung von Günther Ortmann aus den mikropolitischen Analysen mit dem Titel "Computer und Macht in Organisationen" betrachtet werden. Das konkret beleuchtete Fallbeispiel trägt den Titel: "Expertenmacht von unten - CAD/CAM auf der Werft". Darin wird die Einführung einer rechnerunterstützten Software für den Fertigungsbereich zweier Abteilungen und die damit zusammenhängenden innerbetrieblichen Veränderungsprozesse für die Organisation und deren Akteure in den Mittelpunkt gerückt. Ende der 90er Jahre beschreiben Knoblauch und Heath2 diesen Forschungsansatz als 'Workplace Studies', die sich in detaillierten Untersuchungen mit Arbeit, Technologie und Interaktion von komplexen Organisationen beschäftigen. Die 'Workplace Studies' beschäftigen sich dabei mit den Beziehungen zwischen 'Sozialem' und 'Technischen' und "zwar weniger mit dem alleinigen Ziel der Schaffung theoretischer Aussagen, sondern eher im Sinne der detaillierten empirischen Untersuchung des Gebrauchs komplexer technischer Systeme als einer praktischer Handlungsleistung."3 Daher büßt das hier herangezogene Beispiel nicht an Aktualität ein, wenn die derzeitige Innovations- und Investitionspolitik in der Ökonomie betrachtet wird. Die Fallstudie bietet dahingehend ein gutes praxisorientiertes Anschauungsbeispiel, wie die geplante Einführung von technologischen Neuerungen ohne Beachtung der mikropolitischen Entscheidungsprozesse verlaufen kann.
Die Forschungsaspekte sollen dabei theoretisch mit Hilfe der verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorie und der Mikropolitik erläutert werden. Bevor die Theorien auf das Fallbeispiel angewandt werden, werden sie in ihren Grundzügen vorgestellt. In der Analyse finden ausschließlich relevant erscheinende Aspekte ihre Anwendung, die anschließend auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede der zugeordneten Theorien untersucht werden.
2. Fallstudie: Expertenmacht von unten - EDV-Einführung für eine Werft
Die herangezogene Fallstudie4 beschreibt die Einführung eines EDV-Systems, das die rechnerunterstützte Fertigung im Bereich der Optik und Konstruktion für den Schiffbau abbildet. Computer Aided Manufacturing (computerunterstützte Herstellung, kurz: CAM) bezeichnet die direkte Steuerung von Produktionsanlagen sowie der unterstützenden Transport- und Lagersysteme. Computer Aided Design (computerunterstüzte Konstruktion, kurz: CAD) macht es dabei möglich, Computerdaten auf klassischem Weg in Form von Zeichnungen und Fertigungsanweisungen zu erstellen und an die Produktion zu übergeben. Die gewählte Studie betrachtet die Einführung eines solchen Systems im Jahre 1988 "vor dem Hintergrund der lang andauernden Krise in der Werftindustrie."5 Die ungewissen Zukunftsperspektiven für den damaligen Stand der Branche "steht das Management Innovationen, die mit Kosten verbunden sind, eher reserviert gegenüber."6 Die Vorstellung über Innovationen erfolgte in der betrachteten Studie "fast ausschließlich im Kontakt mit Externen" - werftspezifischen Forschungseinrichtungen, Softwarehäusern und Konkurrenzunternehmen - und wird lange Zeit zuerst beobachtet, bevor es zu Entscheidungen kommt.
Zum Beobachtungszeitpunkt gehört die Werft mit 2000 Beschäftigten zu den größten Vertretern der deutschen Branche7, die jedoch unter einem Rückgang der Fertigung von Produktionsserien leiden. Die Tendenz neigt sich "zu Einzelfertigungen qualitativ sehr hoch einzustufender Schiffe"8 ; steigende Konstruktionskosten stehen im Verhältnis zu fallenden Produktionskosten. Die Zeitspanne für die Fertigstellung von Schiffen nimmt an Bedeutung zu und veranlasst personelle Schwankungen im Betrieb.9 "Während auf ersten Werften zu Beginn der 80er Jahre [...] CAD- und CAM-Pakete eingesetzt werden, um die Rationalisierung unter anderem auch im Konstruktionsbüro beim Übergang von der Serienfertigung hin zur Einzelfertigung im Schiffsbau voranzutreiben, wird auf dieser Werft lediglich kritisch beobachtet [...]."10 Die Managementleitung möchte nicht eine Vorreiterrolle einnehmen und erst die Erfahrungen von anderen Werften abwarten. Diese "Vorgehensweise bildet die Leitorientierung des Managements"11 ab, die streng an den hierarchischen Aufbau des Unternehmens gekoppelt ist. "Die Vorstands- und Leitungsebene informiert sich außerhalb des Unternehmens [...], ohne dies mit den vorhandenen Experten im Betrieb und deren Erfahrungswissen auf der Werft, rückzukoppeln. Mitarbeitern aus Fachabteilungen wiederum gelingt es nicht, gegen die Interessen von Vorgesetzten ihr Wissen nach oben zu tragen."12 So kommt es zu einer ersten "Entscheidung von oben"13, die das Management an einem festgeschriebenen Anforderungskatalog ausrichtet. Die Auswahl- entscheidung bezieht sich dabei lediglich auf die Aktualität, die Deutschsprachigkeit und den Preis des Software-Produktes und findet keinen kritischen Abgleich mit den erforderlichen Bedürfnissen im Betrieb. Die Nachteile umfassen dabei neben konstruktionstechnischen Aspekten auch Probleme in der "Angebotsannahme für Aufträge"14 und beinhalten somit gleichzeitig für Mitarbeiter und Betriebsleitung Nachteile. Die Abteilungen verweigern sich daraufhin der Einführung des Systems, welches zu "Irritationen im Management"15 führt.
Offene Ablehnung und eine gelungene Argumentation befördern den technischen Leiter der Gruppe Konstruktion in das Blickfeld des Vorstandes. Dieser wird daraufhin zusammen mit dem Leiter der EDV beauftragt, ein neues System auszusuchen und einen zugehörigen Investitionsplan zu betreuen. "Natürlich ist dies nicht ohne Relevanz für seine eigene Position"16 und die Stellung seiner Abteilung gegenüber des Vorstandes. Im weiteren Vorgehen erweisen sich sowohl der Leiter der Gruppe Konstruktion als auch der Leiter der EDV-Abteilung "nicht nur als Fach-, sonder auch als mikropolitische Experten"17, die ihr Konzept mit dem vom Management aufgestellten Anforderungskatalog legitimieren. Die vorgeschlagene Systemkombination stellt sich stufenweise auf, indem zuerst mit einem erprobten CAM-Paket schnell zu erwartende Erfolg prognostiziert werden können und später ein unerprobte CAD-Software dazugefügt werden soll. Die Systemkombination wird beschlossen und durch erste Schulungen Expertenwissen und 'Masterfunktionen' ausgebildet. Diese behalten sich der technische Leiter der Konstruktion, seine Stellvertreter sowie Mitarbeiter der EDV-Abteilung vor. "Sie erreichen damit die Qualifikation zum Systemmanager"18, eine höhere innerbetriebliche Position und durch häufige Produkt- und Arbeitsdemonstrationen in enger Zusammenarbeit mit dem Vorstand einen veränderten innerbetrieblichen Stellenwert.
Die Abteilung Optik ist von diesen Entwicklungen ausgegrenzt und beherrscht das neu eingeführte System nur unzureichend. Es ist ein zunehmender Verlust von Einflussnahme zu beobachten:
"Man kann erkennen, daß mit dem Systemeinsatz und der Möglichkeit, mit den informationsverarbeitenden Techniken Informationsbearbeitung und Maschinensteuerung direkt zu koppeln, Aufgabenfelder im Bereich der Optik entfallen, eine Abteilung an Bedeutung verliert."19 Der Beobachtungszeitpunkt endet mit der Einführung eines der Experten ausgewählten CAM- Systems. Das darauf aufbauende CAD-System steckt weiter in der Diskussionsphase.
3. Theorieanwendungen
3.1 Verhaltenswissenschaftliche Entscheidungstheorie
3.1.1 Grundlagen
Die verhaltenswissenschaftliche Entscheidungstheorie steht vor der Ausgangsfrage, wie "Organisationen ihren Bestand durch Anpassung an eine komplexe und veränderliche Umwelt sichern."20 Als Ansatzpunkt zur Beantwortung wählt die Theorie eine Analyse der Entscheidungsprozesse. Es wird davon ausgegangen, dass der Akteur nur über eine begrenzte Informationsverarbeitungskapazität verfügt. Der Entscheider als Einzelperson folgt dabei dem Konzept der begrenzten Rationalität. Seine Handlungskonsequenzen werden mit unvollständigem Wissen abgeschätzt, die Auswahl der Entscheidungsalternativen ist begrenzt und die Bewertung zukünftiger Ereignisse schwierig, "daher basiert die Entscheidung des Individuums in der Organisation auf der nicht optimalen, sondern befriedigenden Lösung, sich oft wiederholendem - habituellen - Verhalten sowie einer selektiven Wahrnehmung der Ereignisse."21 Entscheidungen unterlaufen Regeln, die nach March und Simon22 dem Konzept des 'satisficing' unterliegen. Es wird vom Individuum die - am meisten befriedigende - Entscheidung gesucht, die der Zielvorgabe am nächsten kommt. Ziel der Organisation ist ihr Fortbestand, der durch die Handlungen der Mitglieder vollzogen werden muss.
Die Überlebensfähigkeit der Organisation wird nach der verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorie nur durch eine Balance von Befriedigung und Belastung erzeugt. Mit einem System aus Anreizen und Beiträgen muss die Organisation die Individuen für die zu leistenden Beiträge motivieren.
[...]
1 Ortmann, G., 1990, S. 342
2 siehe Knoblauch/Heath, 1999, S. 163
3 Knoblauch/Heath, 1999, S. 164
4 Ortmann, G., Computer und Macht in Organisationen. Mikropolitische Analysen. Fallstudie 6: "Expertenmacht von unten - CAD/CAM auf der Werft", 1990, S.325
5 vgl. Ortmann, G., 1990, S.325
6 vgl. Ortmann, G., 1990, S.325
7 Die Werft wird als Aktiengesellschaft und Teil einer Unternehmensgruppe geführt, die sich im Untersuchungsjahr zu etwa 85 Prozent mit Schiffsneu- und Umbauten, zu zirka 15 Prozent mit Schiffsreperaturen beschäftigt.
8 vgl. Ortmann, G., 1990, S.325
9 Die termingerechte Abarbeitung der unregelmäßig eintreffenden Aufträge führt zeitweilig zu Voll- bzw. Unterauslastung.
10 vgl. Ortmann, G., 1990, S.325
11 vgl. Ebd., S.327
12 Ebd., 1990, S.329
13 vgl. Ebd., S.329
14 vgl. Ebd., S. 330. Das verabschiedete System erfüllt weder die Anforderungen in der Produktion noch ermöglicht es eine die Abgabe von individuellen Angebotsabgaben für Aufträge oder eine Senkung der Konstruktionskosten, dessen Bedeutung eigentlich vom Management von Interesse sein sollte.
15 Ebd., S. 331
16 Ebd., S. 332
17 Ebd., S. 333
18 Ebd., S. 336
19 Ebd., S. 342
20 vgl. Kieser, A., 2001, S. 133
21 vgl. Ebd. S. 141
22 vgl. March/Simon, 1958, S. 30
- Quote paper
- Alexander Olma (Author), 2007, Organisationssoziologische Betrachtung einer Software-Implementierung im betrieblichen Arbeitsprozess, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93298
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