Diese Arbeit wirft einen Blick in die brasilianische Sozialpolitik und beschreibt, wie die Sozialpolitik, die Sozialhilfe und die Soziale Arbeit gemeinsam durch ein systematisches Handlungssystem Armut bekämpfen und mehr soziale Inklusion armer Bevölkerungsgruppen fördern.
Die Sozialhilfe ist Teil des umfassenden Sozialschutzsystems, genannt soziale Sicherung. Zuerst ist es notwendig, sich mit der Begrifflichkeit relative Armut und extreme Armut zu befassen, um das Profil der Adressaten erstellen zu können. Diese Arbeit enthält eine Einführung in die Funktionalität des einheitlichen Systems der Sozialhilfe (SUAS) sowie in die grundlegenden und speziellen Schutzsysteme und beschreibt die Bedeutsamkeit der Einbeziehung von Familien in das Zentralregister, um den Zugang zu Dienstleistungen zu ermöglichen.
Dabei wird die Bedeutung der Sozialen Arbeit erläutert v.a. durch die Dienste der Referenzzentren der Sozialhilfe (CRAS, CREAS), um die Zielgruppe zu erreichen. Das einheitliche Hilfssystem basiert auf der Verwaltung von Maßnahmen im Bereich der organisierten Sozialhilfe, bei denen die Leistungen einen dezentralisierten und partizipativen Charakter haben.
Neben der Vorstellung sozialpolitischer Maßnahmen findet eine intensive Auseinandersetzung mit einem der angebotenen Programme der Sozialhilfe statt: Bolsa Família. Man versucht dabei herauszufinden, welche Auswirkungen das Transferleistungsprogramm auf das Leben der Bevölkerung hat und wie es möglich ist, dadurch Armut und extreme Armut zu bekämpfen. Im Grunde handelt es sich um die Frage nach der Förderung der Armutsreduktion und der sozialen Inklusion durch Sozialarbeit, Sozialhilfe und das Programm Bolsa Família.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Abstract
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einführung
1.1 Literatururteil
1.2 Arbeitsziel
1.3 Aufbau der Arbeit
2 Armut, Ungleichheit und Armutsbekämpfung
2.1 Begriffsklärung
2.2 Entstehung von Sozialsicherung und Wohlfahrtsstaatmodelle in Europa
2.3 Was ist sozial an der Sozialpolitik
2.3.1 Gemeinsamkeiten zwischen Sozialpolitik und Soziale Arbeit
2.3.2 Mandate der Sozialen Arbeit
3 Historische Entwicklung der sozialen Sicherung in Brasilien
3.1 Das brasilianische Sozialschutzmodell: Von der Militärdiktatur bis zur Gegenwart
3.2 Instrumente der brasilianischen staatlichen Grundsicherungen
3.3 Historische Betrachtung der Armutsentstehung in Brasilien
3.4 Die Sozialhilfe als Hilfsmittel zur Armutsbekämpfung
3.5 Zentralisierung und Dezentralisierung der Sozialhilfe
4 Das Programm „Bolsa Família“ als gegenwärtiges sozialpolitisches Bestreben
4.1 Zentralregister als Zutrittsgarantie in die sozialpolitischen Maßnahmen des Programms „Bolsa Família“
4.2 Das Programm „Bolsa Família“: Definition der Hilfeleistung
4.2.1 Die Finanzierung des Programms „Bolsa Família“
4.2.2 Voraussetzungen für die Aufnahme
4.2.3 „Bolsa Família“ als Rettungsschirm und Sozialsicherung
4.2.4 Das Profil der Begünstigten des Programms „Bolsa Família“
4.3 Ergebnisse und Wirkung des Programms „Bolsa Família“ auf verschiedene Lebensbereiche
4.3.1 Gesundheit / Ernährung
4.3.2 Bildung
4.3.3 Erwerbstätigkeit / Kinderarbeit
4.3.4 Soziale Arbeit / Soziale Inklusion und Exklusion
4.3.5 Armutslinderung
4.3.6 Einkommensungleichheit
5 Eigene Forschung, Datenerhebung, Ergebnisteil
5.1 Methoden der wissenschaftlichen Arbeit
5.2 Darstellung des Geltungsbereichs und der Zielgruppe
5.3 Datenvalidierung: Erkenntnisse aus der Befragung
5.4 Reflexion über die Forschungsmethode bzw. -ergebnisse
6 Fazit
7 Literaturverzeichnis
Anhang
Anhang 1: Fragebogen – Frage 1 bis 30
Anhang 2: Dimensionen des Wohlbefindens und Indikatoren der sozialen Benachteiligung
Anhang 3: Bolsa Família - Auszahlung 2016-2019 nach Bundesland
Abstract
Diese Arbeit sollte einen Einblick in die brasilianische Sozialpolitik liefern und beschreiben, wie die Sozialpolitik, die Sozialhilfe und die Soziale Arbeit gemeinsam durch ein systematisches Handlungssystem Armut bekämpfen und mehr soziale Inklusion armer Bevölkerungsgruppen fördern sollten. Die Sozialhilfe ist Teil des umfassenden Sozialschutzsystems, genannt soziale Sicherung. Zuerst ist es notwendig, sich mit der Begrifflichkeit relative Armut und extreme Armut zu befassen, um das Profil der Adressaten erstellen zu können. Diese Arbeit enthält eine Einführung in die Funktionalität des einheitlichen Systems der Sozialhilfe (SUAS) sowie in die grundlegenden und speziellen Schutzsysteme und beschreibt die Bedeutsamkeit der Einbeziehung von Familien in das Zentralregister, um den Zugang zu Dienstleistungen zu ermöglichen. Dabei wird die Bedeutung der Sozialen Arbeit erläutert v.a. durch die Dienste der Referenzzentren der Sozialhilfe (CRAS, CREAS), um die Zielgruppe zu erreichen. Das einheitliche Hilfssystem basiert auf der Verwaltung von Maßnahmen im Bereich der organisierten Sozialhilfe, bei denen die Leistungen einen dezentralisierten und partizipativen Charakter haben. Neben der Vorstellung sozialpolitischer Maßnahmen findet eine intensive Auseinandersetzung mit einem der angebotenen Programme der Sozialhilfe statt: „Bolsa Família“. Man versucht dabei herauszufinden, welche Auswirkungen das Transferleistungsprogramm auf das Leben der Bevölkerung hat und wie es möglich ist, dadurch Armut und extreme Armut zu bekämpfen. Im Grunde handelt es sich um die Frage nach der Förderung der Armutsreduktion und der sozialen Inklusion durch Sozialarbeit, Sozialhilfe und das Programm „Bolsa Família“.
Schlüsselwörter: Sozialpolitik, Sozialarbeit, Sozialhilfe, soziale Sicherung, einheitliches System SUAS, Programm „Bolsa Família, Armut, Armut Reduktion, soziale Inklusion
This study is intended to provide an insight into Brazilian social policy. It describes how the combination of social policy and social work should combat poverty through a systematic system of action and also promote more social inclusion of poorer sections of the population. Social assistance is part of the comprehensive system of social protection called social security. At the outset it is necessary to deal with the terms, “poverty” and “extreme poverty” in order to be able to create the profile of the addressees. This study entails an introduction into the functionality of the Unified Social Assistance System (SUAS) as well as the basic and specific systems of protection and describes the significance of including families in the central register so that they might be able to access services. The importance of welfare work is explained mainly through the services of the reference centres of social assistance (CRAS, CREAS) employed to reach the target group. The uniform support system is based on the management of measures within organised social assistance, in which the benefits have a decentralised and participatory character. In addition to the presentation of social policy measures there is a close examination of one of the social assistance programs on offer: “Bolsa Família”, in order to find out what effects the transfer benefit program has on the life of the population and, by doing so, how it is possible to combat poverty and extreme poverty. Basically, it is about the reduction of poverty and social inclusion through the means of social work, social assistance and the “Bolsa Família” program.
Keywords: social policy, social work, social assistance, social security, uniform system SUAS, program “Bolsa Família, poverty, poverty reduction, social inclusion
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Extreme Armutsrate nach Ländern im Jahr 2015
Abbildung 2: Anzahl der BPC-Begünstigten und Zahlungstransfer 2016-2018
Abbildung 3: Anzahl der begünstigten Familien des PBF
Abbildung 4: Voraussetzungen zum Verbleib im Programm Bolsa Família
Abbildung 5: Prozessbeschreibung des Programms Bolsa Família
Abbildung 6: Auszahlungsentwicklung des PBF 2004-2019 in Mio €
Abbildung 7: Anzahl der bedürftigen Familien 2016-2019 nach Region
Abbildung 8: Auszahlung aus dem PBF in Euro pro Familie 2004-2017
Abbildung 9: Entwicklung des GINI-Koeffizienten in Brasilien 2004-2018
Abbildung 10: Metropolregion Belo Horizonte in IBGE (2019d)
Abbildung 11: Ziele des speziellen Schutzes von hoher Komplexität
Abbildung 12: NOB-SUAS 2012
Abbildung 13: Aufgaben des Zentralregisters
Abbildung 14: Referenzzentrum CREAS – Dienstleistungsangebote
Abbildung 15: PBF als Instrument der soziopolitischen Verbesserung
Abbildung 16: Gründe zum Leistungsabbruch beim Programm Bolsa Família
Abbildung 17: Vorteile des Programms „Bolsa Família“
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einführung
Eine ungerechte Verteilung von Reichtum, Einkommensungleichheit und Armut stellen bekannte Merkmale des südamerikanischen Kontinentes dar. Der Forschungsraum dieser wissenschaftlichen Arbeit ist das flächenmäßig größte und bevölkerungsreichste Land Südamerikas: Brasilien. Dieses Land belegt mit Platz 9 einen traurigen Spitzplatz bei sozialer Ungleichheit im Vergleich zu anderen Ländern (Vgl. Gonçalves de Assis, Araújo da Fonseca, & de Souza Ferro, 2018, S. 58 i. V. m. Vgl. Diniz, 2018. S. 1). Das schwere Erbe aus der Kolonialzeit prägt das Leben der Brasilianer noch bis heute in Bezug auf Einkommen, Bildung, Lebenserwartung und Arbeitsplatzsicherheit. Angesichts dieser Tatsachen sowie der regionalen Unterschiede sollten übergreifende sozialpolitische Maßnahmen und Programme zur Armutsbekämpfung und sozialen Inklusionsförderung benachteiligter Gruppen geschaffen werden.
Die vorliegende Arbeit präsentiert sozialpolitische Maßnahmen und zeigt, dass die Soziale Arbeit eine wichtige Rolle zur Armutsbekämpfung und zur sozialen Inklusion spielt. Es wird ausführlich auf das Programm „Bolsa Família“ eingegangen, da die Einbeziehung darin zugleich den Zugang zur Sozialen Arbeit verschafft, beide Sphären sind miteinander verbunden und ergänzen sich gegenseitig. Denn die Nutzer des Sozialprogramms sind auch die Adressaten der Sozialen Arbeit. Die Verbreitung dieses Programms trug erheblich zur Professionalisierung der Sozialen Arbeit in Brasilien bei.
1.1 Literatururteil
In seinem Buch fragt sich Lepenies (2017, S. 119 ff), warum Armut auch Armut genannt werden soll. Um diese Thematik zu bearbeiten, ging er von der vorhandenen bibliografischen Forschung aus. Er stellt in seiner Arbeit aber dar, dass der Begriff Armut in absoluten und relativen Dimensionen zu unterteilen ist. Daraus ist zu erkennen, dass Armut als gesellschaftliche Ausgrenzung zu verstehen sei. Seine Arbeit stellt aber klar, dass andere Forschungsvorhaben Armut nicht nur aus sozioökonomischer Sicht betrachten sollten, sondern auch den Faktor „Glück“ mit einbeziehen sollten.
Dietz, Frevel, & Toens (2015, S. 10 ff) präsentierten durch ihre wissenschaftliche Untersuchung, dass Sozialpolitik viel mehr ist als eine Politik für Menschen, die nur auf die Verbesserung der Lebensbedingungen zielt. In der Arbeit wird die Frage gestellt, was also Sozialpolitik ausmacht und welche Motivation und Gegenstände diese verfolgt. Auf der Suche nach Antworten für ihre Forschungsfrage nutzten sie eine Revision der existierenden Literatur als Arbeitsmethode. Die Autoren kamen zum Ergebnis, dass ein staatlicher Apparat den Menschen beschützen muss, auch gegen Armut. Ansonsten entstehen früh gesellschaftliche Missstände, darunter auch Bürgerkriege. Mit anderen Worten erklärten sie, dass die Individuen niemals sich selbst überlassen werden dürfen. Um diese Hypothese zu prüfen, sollen weitere Forschungsarbeiten die Kennzeichnung und Überprüfung von Sozialpolitik unter einem modernen und dauerhaften Solidaritätsbegriff veranlasst werden.
Soziale Arbeit wurde als Basispolitik von Thesis von Fehmel (2019, S. 11 ff) durch eine experimentelle Untersuchung durchleuchtet. Er untersuchte, was Wohlfahrt in Wirklichkeit bedeutet und in welchen gesellschaftlichen Sphären Wohlfahrt produziert werden kann. Es versteht sich als Aufgabe der sozialen Arbeit, Abweichungen vom „normalen Leben“ zu definieren und praktische Interventionen festzulegen. Hierzu sagt Fehmel (2019, S. 200), dass die Auswirkungen aus den sozialpolitischen Mandaten der Sozialen Arbeit zu erforschen sind.
Gegenstand der Forschung von Ratmann Arruda Colin, Fernandes Pereira, & de Massarani Gonelli (2013, S. 47-64) war der Zugang zum Sozialschutz angesichts der sozialpolitischen Maßnahmen. Sie gingen der Frage nach, wie Bedürftigkeit durch sozialpolitische Maßnahmen reduziert werden kann. Mit Hilfe einer experimentellen Untersuchung stellten sie fest, dass sich der Sozialschutz in Brasilien durch die Einführung des Zentralregisters und des PBF verbesserte. Aus ihrer wissenschaftlichen Arbeit konnten sie noch nicht beantworten, wie sich der Zugang zu den sozialpolitischen Maßnahmen effizienter gestalten lässt, wie noch mehr Menschen an den Maßnahmen teilhaben können.
Campello (2013, S. 15) bezweckt in ihrem Werk, mit der Gesellschaft eine intensive Reflexion über das PBF, seine Erfolge und Herausforderungen anzuregen. Sie definiert das PBF und die sozialpolitischen Maßnahmen als wichtige Instrumente zur sozialen Entwicklung in Brasilien. Diese begünstigen nach ihrer Meinung die Aufwertung des Mindestlohnes, die produktive Inklusion, den Schutz der formellen Beschäftigung sowie die Ausweitung der Sozialversicherung und fördern somit die Armutsreduktion. Ihre Hypothesen werden von unterschiedlichen Autoren weiter erforscht und überprüft.
Die Arbeit von Gonçalves de Assis, Araújo da Fonseca, & de Souza Ferro (2018, S. 141) untersuchte, wie soziale Verwundbarkeit, persönliches und soziales Risiko, Menschrechts- verletzungen und Gewalt sowie ihre Schnittstellen zu den Ebenen des grundlegenden und besonderen Sozialschutz durch greifbare sozialpolitische Maßnahmen zu überwinden seien. In ihrem Fallmanagement fragten sie sich¸ welche Einflüsse die soziologischen bzw. biologischen Merkmale bei der Erhebung der Bedürftigkeit haben können. Aus dem Fallmanagement ist deutlich geworden, dass die Anzahl der Begünstigten durch die Kombinationen von mehreren Faktoren bei der Bedürftigkeitsbetrachtung, darunter Alter, Geschlecht, Hautfarbe, Sozialraum etc., nicht nur bei dem PBF, sondern auch bei anderen Programmen steigt. Sie gaben an, dass die positiven Effekte aus der verbesserten Ausbildung der Sozialarbeiter bei der Erkennung von Bedürftigkeit und bei der Durchsetzung von Sozialschutz noch erforscht werden sollten.
1.2 Arbeitsziel
Das Thema dieser Forschungsarbeit lautet „Sozialpolitische Maßnahmen und Soziale Arbeit als Instrument zur Armutsbekämpfung und zur sozialen Inklusion in Brasilien: Was verbirgt sich hinter dem Programm „Bolsa Família“?“ Von diesem Titel ausgehend lässt sich folgende Hauptforschungsfrage ableiten:
„Wie ist es möglich, Armutsreduktion und soziale Inklusion durch die Sozialarbeit, die Sozialhilfe und das Programm „Bolsa Família“ in Brasilien zu fördern?“
Die Methoden und Vorgehensweisen zur Beantwortung dieser Fragestellung werden durch empirische Untersuchungen unterstützt und bestehen sowohl aus bibliografischer Forschung als auch aus einer Umfrage zur quantitativen und qualitativen Datenerhebung und statistischen Auswertungen. Demgemäß wird die Forschungsfrage im Laufe des Hauptteiles erörtert und bearbeitet.
1.3 Aufbau der Arbeit
Für die Bearbeitung dieser Bachelorarbeit wurde zunächst ein theoretischer Abschnitt gesetzt, auf den das Ergebnis des eigenen Forschungsrahmens folgt. Die Gesamtarbeit setzt sich aus sechs Hauptkapitel zusammen. Das zweite Kapitel beginnt mit einer Definition des Begriffs Armut im Allgemeinen, wobei die Begriffe extreme Armut und relative Armut voneinander unterschieden werden. Als nächstes findet eine Einführung in die Wohlfahrts- und Sozialmodelle in Europa statt. Der letzte Abschnitt befasst sich mit der Thematik Sozialpolitik, mit den Gemeinsamkeiten zwischen Sozialpolitik und Sozialer Arbeit und reflektiert die Bedeutung der Mandate der Sozialen Arbeit.
Die historische Entwicklung der sozialen Sicherung in Brasilien wird im dritten Kapitel behandelt. Um dessen Prozess besser verstehen zu können, wird zuerst das brasilianische Sozialschutzmodell vorgestellt. Darüber hinaus sollte die Entstehung von Armut und Ungleichheit in Brasilien erläutert werden. Anschließend wird auf die Sozialhilfe als ein Instrument zur Armutsbekämpfung eingegangen und deren Struktur, Funktionalität und Dezentralisierung, als Strategien präsentiert. Im Kapitel 4 wird auf die Frage eingegangen, was sich tatsächlich hinter dem PBF verbirgt. Der Einführungsteil handelt von den Definitionen, der Finanzierung, Vorstellung und Konditionalitäten des Programms. Als nächstes wird das PBF als Rettungsschirm für Sozialsicherung definiert, sowie das Profil der begünstigen Familien vorgestellt. Abschließend werden die Ergebnisse und Wirkungen des PBF auf die verschiedenen Lebensbereiche analysiert und präsentiert. Die Datenerhebung und der Ergebnisteil werden im fünften Abschnitt behandelt. Das Ergebnis der eigenen Forschung mittels eines Fragebogens, der von Sozialarbeiterinnen aus dem Referenzzentrum (CRAS/CREAS) und dem psychologischen Dienst) aus drei Städten der Metropolregion Belo Horizonte / MG beantwortet wurde, wird präsentiert und zielt darauf ab, diese Forschungsarbeit zu validieren. Die eigene wissenschaftliche Frage wird im sechsten Kapitel beantwortet und bildet den Abschlussteil dieser Forschungsarbeit. Es beinhaltet ein Fazit, befasst sich mit der Zukunft der Sozialhilfe, der Sozialen Arbeit sowie des Transferleistungsprogramms und präsentiert verschiedene Sichtweisen in Bezug auf das PBF.
2 Armut, Ungleichheit und Armutsbekämpfung
Dieses Kapitel beginnt mit einer Definition des Begriffs Armut im Allgemeinen und einer kurzen Übersicht über die Armutsrate weltweit. Dabei sollte ein Einblick in die Wohlfahrts- und Sozialmodelle in Europa ermöglicht werden. Der letzte Abschnitt beschäftigt sich mit den Gemeinsamkeiten zwischen Sozialpolitik und Sozialer Arbeit und reflektiert die Bedeutung der Mandate der Sozialen Arbeit.
Im Jahr 1973 hielt Robert McNamara, damaliger Präsident der Weltbank eine Ansprache, in der er zwei Ausprägungen der Armut unterschied: die absolute und die relative Armut (Vgl. Lepenies, 2017, S. 93). Die absolute Armut ist ein Phänomen der Drittweltländer, die Leben zerstört, die Lebenserwartung senkt und Opfer fordert. Die Tatsache, dass dieses Phänomen in den Industriestaaten kaum noch vorhanden sei, galt als moralische Begründung für die Entwicklungshilfe, mit dem Ziel die absolute Armut bis zum Jahr 2000 zu eliminieren (Vgl. Lepenies, 2017, S. 94). Dieses Ziel konnte bis heute nicht erreicht werden.
2.1 Begriffsklärung
Armut kann definiert werden als eine prekäre Lebenslage bestimmter Personengruppen, die zur Einschränkung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, zur sozialen Ungleichheit und letztendlich zur Ausgrenzung führt. (Vgl. Butterwegge, 2016, S. 8). Die absolute oder extreme Armut hingegen ist „ein Leben, so durch Krankheit, Analphabetismus, Unterernährung und Elend degradiert, dass es seinen Opfern die menschlichen Grundbedürfnisse vorenthält“ (Lepenies, 2017, S. 94). Von absoluter Armut ist betroffen, wer seine Grundbedürfnisse nicht zu befriedigen vermag, also die für das Überleben notwendigen Nahrungsmittel, sauberes Trinkwasser, eine der klimatischen Bedingungen angemessene Kleidung sowie fehlender Zugang zu medizinischer Versorgung (Vgl. Butterwegge, 2016, S10). „Heute beginnt die absolute Armut laut Angaben der Weltbank bei einer Kaufkraft von 1,90 US-Dollar pro Tag“ (Butterwege, 2016, S.10). Die relative Armut ist v.a. in Wohlstandgesellschaften zu finden. Es werden Personen dazu gezählt, deren Einkommen weniger als die Hälfe des Durchschnittseinkommens beträgt (Vgl. Armut de., 2018).
Tatsache ist, dass ein Leben in Armut oder in extremer Armut schwere Folgen für die Menschheit, für Familien, Kinder sowie für das Land und für die Welt mit sich ziehen kann. Denn ein Leben unter dem Existenzminimum fördert die Entstehung von Krankheiten, soziale Ausgrenzung, Gewalt und Kriminalität.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Extreme Armutsrate nach Ländern im Jahr 2015 1
Aus der Abbildung „Extreme Armutsrate nach Ländern im Jahr 2015“ ist zu erkennen, dass sich die höchsten Armutsraten in Afrika, Asien und Zentralamerika befinden. Für Brasilien liegt der Wert bei 3-9% der Bevölkerung, damit im mittleren Bereich.
2.2 Entstehung von Sozialsicherung und Wohlfahrtsstaatmodelle in Europa
Die sogenannten Wohlfahrts- oder Sozialstaaten2 stellten ein einzigartiges Phänomen des 20. Jahrhunderts dar, dessen Herkunft keinen wesentlichen Bezug zur Sozialpolitik des späteren 19. Jahrhunderts hatte. Der Wohlfahrtsstaat wird von einem administrativ organisierten, politischen System gebildet, welches darauf abzielt, andere Marktkräfte einzuschränken, um der Bevölkerung eine Mindestgrundsicherung anzubieten (Vgl. Dietz, Frevel, & Toens, 2015, S. 208). Hierbei orientiert er sich an den Prinzipien der Marktwirtschaft, garantiert die Rechte der Bürger, verfügt über ein Sozialsicherungssystem und sichert zugleich die soziale und politische Partizipation seiner Bevölkerung (Vgl. Dietz, Frevel, & Toens, 2015, S. 209).
Die soziale Sicherheit beruht auf Sozialleistungen wie der Versicherungs-, Gesundheitsversorgung sowie den Fürsorgeprinzipien. Man unterscheidet das Bismarck‘sche von dem Beveridge‘schen Modell. Unter dem deutschen Modell nach Bismarck im späten 19. Jahrhundert wurde die soziale vertreten die Auffassung, dass dem Gedanken des Wohlfahrtsstaates auf den Staatzweck in der Sicherung des Glücks und Wohls möglichst vieler Bürger sah. Somit ist die Aufgabe des modernen Staates, gewisse Maßnahmen zu treffen, um die Existenz und die Entfaltung der Menschen zu gewährleisten.
Sicherung, wie zum Beispiel Renten-, Unfall-, Invaliden- und Arbeitslosenversicherung, Familienhilfe sowie Witwerente eingeführt (Vgl. Dietz, Frevel, & Toens, 2015, S. 210). Dieses Versicherungsmodell orientierte sich vor allem an dem erwerbstätigen Teil der Bevölkerung. Im Gegensatz dazu orientierte sich das britische Modell des Jahres 1942 an der Universalisierung der Hilfe und beabsichtigte dabei, die Gesamtbevölkerung durch die sozialen Leistungen zu erreichen. Es wurden staatliche Maßnahmen zur Regulierung der Wirtschaft und zur Erbringung öffentlicher Dienstleistungen (Gesundheit, Wohnraum, soziale Dienste) eingeführt, die durch das Staatsbudget (Steuern) finanziert wurden (Vgl. Dietz, Frevel, & Toens, 2015, S. 211). Durch die Einführung von Unfallversicherung, Gehaltszulagen oder Familienzulagen etc. wurde das Fürsorgesystem des Beveridge-Modells später erweitert. Grundsätzlich stehen beide Sozialstaatsmodelle als Inspiration für Entwicklungs- und Übergangsländer.
2.3 Was ist sozial an der Sozialpolitik
Für Ganßmann (2010, S. 331) bedeutet das Adjektiv sozial „dass es bei der Herstellung/ Gewährung von Sicherheit um den Erwerb von Ansprüchen an anderen gehen muss, die für den Fall einlösbar sind, dass man sich nicht durch eigene Leistung versorgen kann“ „Sozial“ steht für die gegenseitige Beziehung3 von „Helfenden und Hilfebeziehern“ (Fehmel, 2019, S. 29). Das lässt Rechte und Pflichten entstehen, die zueinander in Anspruchsbeziehungen stehen.
Bei den Redistributionsbeziehungen handelt es sich immer um die Anerkennung von Bedürftigkeit und um die Umverteilung von Ressourcen (Vgl. Fehmel, 2019, S. 30). Diese Umverteilung zwischen verschiedenen Akteuren repräsentiert eine Maßnahme zur Herstellung von Sicherheit in einer Gesellschaft. Es ist die Aufgabe der Gesellschaft zu definieren, welche Leistungen, in welchem Umfang und in welchem Umverteilungsfeld angeboten werden können. Soziale Sicherheit wird über die Schwerpunkte und Prioritäten bei den Umverteilungsarenen definiert. In den modernen Wohlfahrtenstaaten werden die Familie, der Markt und der Staat als die Umverteilungsarenen verstanden (Vgl. Fehmel, 2019, S. 42).
2.3.1 Gemeinsamkeiten zwischen Sozialpolitik und Soziale Arbeit
Das Verhältnis von Sozialpolitik und Sozialarbeit wird nach der Meinung von Fehmel (2019, S.199) so dargestellt, „dass Soziale Arbeit integraler Bestandteil von Sozialpolitik als dem öffentlich organisierten System sozialer Sicherung – eine spezifische Erscheinungsform von Sozialpolitik ist“, denn die durch die Soziale Arbeit angebotenen sozialen Maßnahmen sind neben Geldleistungen eine Art der sozialpolitischen gestalteten Dienste zur Regulierung der sozialen Rechte (§ 11 SGB I). Soziale Arbeit dient der praktischen Umsetzung der Sozialpolitik. So bestimmen politische Veränderungen die Richtung und die Entwicklung der Sozialen Arbeit. Die Gemeinsamkeiten zwischen Sozialpolitik und Soziale Arbeit wurden von Kaufmann (1975, S. 90) wie folgt beschrieben: „im Gesichtspunkt der Hilfe zur Existenzsicherung im Ausnahmefalle, wobei implizit vorausgesetzt ist, dass der Mensch im Normalfalle sich selbst zu versorgen imstande sei“.
Sozialpolitik und Soziale Arbeit befassen sich mit Gesellschaftsabweichungen und Problemen, die Individuen hindern, normal zu leben. Diese beiden Sphären müssen die Bedingungen für Normalisierung genauer definieren, um Abweichungen und Abnormen feststellen zu können, worauf mit sozialpolitischen Maßnahmen und sozialen Interventionen zu reagieren ist (Vgl. Fehmel, 2019, S. 199). Zu der Hauptfunktion der Sozialpolitik gehört die Beseitigung sozialer Risiken und Notlagen durch ein sozialpolitisches, integriertes Programm von Unterstützungsangeboten unter Berücksichtigung des Einzelfalls. Die Soziale Arbeit hingegen soll „menschliche Hilfe leisten, Hilfe zur Selbsthilfe sein, d.h. die Gesamtsituation des in eine Notlage Geratenen betrachten und sie mit geeignetem Mittel zu beheben suchen“ (Kaufmann, 1975, S. 97). Im Grunde genommen, unterstützt die Soziale Arbeit den Staat bei der Umsetzung der Sozialpolitik. Schließlich ist das „Funktionssystem der Sicherheit zunehmend auf die Leistungen und die Professionalität der Sozialen Arbeit angewiesen“ (Fehmel, 2019, S. 201).
2.3.2 Mandate der Sozialen Arbeit
Als Handlungssystem der Sozialpolitik zur Normalitätsförderung, zur Ordnungsherstellung und Gerechtigkeitserzeugung durch angepasste Maßnahmen und Leistungen versteht sich die Soziale Arbeit als Brücke zur Befähigung und sozialer Kontrolle. In Zeiten knapper Ressourcen müssen Sozialarbeitenden stets Rechenschaft über geleistete Arbeit ablegen, was dazu führt, dass Kontrollaufgaben zunehmend in den Vordergrund rücken. So bieten sozialpädagogische Dienste Bedürftigen Hilfe in Form von Dienstleistungen, um Selbständigkeit, Selbsthilfe und Befähigung wiederherzustellen.
Die Soziale Arbeit als Profession soll benachteiligten Menschen Hilfestellung anbieten, den Alltag individuell und entsprechend gesellschaftlicher Normen zu bewältigen. Sie soll Adressaten zur selbständigen Lebensführung, zur Teilhabe und Mitgestaltung der Gesellschaft befähigen (Vgl. Fehmel, 2019, S. 205). Somit fordert die Soziale Arbeit Normalisierung und bietet Interventionen gegen gesellschaftliche Abweichungen an. Deshalb bewegt sich die Soziale Arbeit stets im Spannungsfeld zwischen Hilfsangebote/Unterstützung versus Kontrolle der Zielgruppe (Vgl. Fehmel, 2019, S. 205). Dieses Doppelmandat stellt eine ernsthafte Herausforderung für Sozialarbeitenden dar und erfordert gleichzeitig Handlungskompetenzen und Professionalität. Nach Löcherbach (2009, S. 229) sind Sozial-, Methoden-, Selbst- und Fachkompetenzen erforderlich für die Bewerkstelligung der Berufsanforderungen und der Aufgabenstellungen. Die Erfüllung der Mandate der Sozialen Arbeit hängt stark mit dem beruflichen Selbstverständnis zusammen. Demzufolge müssen die Rollen, die Funktionen und die Zuständigkeiten klar definiert werden. Zum beruflichen Selbstverständnis zählt auch eine positive Haltung, Wertschätzung gegenüber allen Beteiligten, die sich auf ethischen Grundlagen bzw. auf klientenorientierte Arbeit berufen. Dazu gehören auch Nachvollziehbarkeit, Transparenz sowie die Bestrebung von Effizienz und Effektivität von Angeboten (Vgl. Löcherbach, 2009, S. 229). Im Rahmen der Doppelmandate nehmen Sozialarbeitenden klassische Rollen und Funktionen ein. „Sie übernehmen die Steuerungsfunktion, sind Anwälte (Advocacy-Funktion), Vermittler und Makler (Broker-Funktion) und Unterstützer (Support-Funktion)“ (Löcherbach, 2003, S. 201).
Der gesellschaftliche Normalisierungsauftrag der Sozialen Arbeit fokussiert sich auf die Förderung von Teilhabe, Aufhebung von Ungleichheiten, sowie Gleichheitsprinzipien, Menschenrechte und dem Wohlbefinden der Bevölkerung und begründet zugleich das sozialpolitische Mandat der Sozialen Arbeit (Vgl. Fehmel, 2019, S. 206).
3 Historische Entwicklung der sozialen Sicherung in Brasilien
Um die Entwicklung der sozialen Sicherung in Brasilien besser verstehen zu können, wird zuerst ein Einblick in das brasilianische Sozialschutzmodell und in die Grundsicherungen gegeben. Darüber hinaus wird sich mit der Entstehung von Armut und Ungleichheit in Brasilien befasst. Die Sozialhilfe kristallisierte sich als ein Instrument der Armutsbekämpfung heraus und galt als Anstoß für die Entstehung weiterer sozialpolitischen Maßnahmen, welche ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen dienen sollten. Diese Einsicht wird durch den Einblick in das folgende Unterkapitel gewährt.
3.1 Das brasilianische Sozialschutzmodell: Von der Militärdiktatur bis zur Gegenwart
In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts herrschte in Brasilien nicht nur das Militärregime, sondern auch der Kampf um die Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung. Dies erfolgte durch Assoziationspakte mit dem Staat. Der Mangel an sozialer Unterstützung für das Volk führte zur Schaffung von bisher nichtexistierenden sozialen Diensten, wie Wohnungsprogrammen, Berufsbildung und Heimeinrichtung (Vgl. da Silva & Ramos Silveira, 2017, S. 185). Solche Dienstleistungen wurden vom Staat mit Unterstützung von Geschäftsleuten geschaffen, aber von Zivilgesellschaf ausgeführt (Vgl. Mestriner, 2001, S. 45-46).4
Zwischen 1964 bis 1985 wurden die Bestrebungen in diesem Bereich durch eine Stagnation beeinträchtigt. Erst gegen Ende der Militärdiktatur fand die „Wiedereinführung des demokratischen Rechtstaates und eine Reform der Sozialpolitik statt“ (Menezes & Brait-Poplawski, 2012, S. 21). Soziale Bewegungen, neue Gewerkschaften, Studentenbewegungen und öffentliche Proteste im Gesundheits- und Sozialwesen galten in der Zeitspanne zwischen 1985-1988 als Auslöser für die Verabschiedung der brasilianischen Verfassung im Jahr 19884 (Vgl. Mestriner, 2001, S. 45-46). Die Erlassung der Magna Carta trieb den Fortschritt im sozialpolitischen Entwicklungsfeld maßgebend an. Erst ab diesem Zeitpunkt wird die Sozialhilfe in der öffentlichen Politik legitimiert. Über die Errungenschaften der Bundesverfassung hinaus bildeten sich die drei Säulen der sozialen Sicherheit, nämlich das Gesundheitswesen, die Sozialhilfe und die Sozialversicherung. Dadurch wurde ein Raum für die Beteiligung der Zivilgesellschaft sowie Sozialkontrolle eröffnet (Vgl. Paiva, Falcão, & Bartholo, 2013, S. 28).
Das brasilianische Schutzmodell wurde sowohl durch das „Bismarck’sche als auch durch das Beveridge‘sche Modelle beeinflusst. Das bedeutet, dass die Sozialversicherung abhängig ist von der Ausführung einer formellen Beschäftigung und der damit geleisteten Pflichtbeiträge.5
Die Gesundheitsvorsorge und -versorgung hingegen ist universell und beitragsunabhängig. Die Sozialhilfe wird als eine Pflicht des Staates an einem spezifischen hilfsbedürftigen Personenkreis und ohne einen Pflichtbeitrag beschrieben. Das brasilianische Schutzmodell gilt nach Meinung von Rolim Guimarães, Nagamine Costanzi, & Ansiliero (2013, S. 83) als konservativ und zeigt eine geringe umverteilende Wirkung und keine Fähigkeit, soziale Ungleichheit abzubauen.
3.2 Instrumente der brasilianischen staatlichen Grundsicherungen
Als Basis für die Berechnung der staatlichen Grundsicherung dient der Mindestlohn. Pochmann (2010, S. 140) vertritt die Ansicht, dass der Mindestlohn ein bedeutendes Element des Sozialschutzsystems gegen extreme Armut darstellt. Die staatlichen Grundsicherungen lassen sich in vier Gruppierungen zusammenfassen, nämlich beitragsfreie Grundrente, fortlaufende Leistungen, familienbezogene Sozialhilfe und die Hilfe zur Versorgung mit Grundbedarfsgütern (Sachleistung). Abhängig von einer definierten Bemessungsgrundlage kann ein Bedürftiger Entgelte aus mehreren Instrumenten erhalten. Die Bestandsaufnahme und die Bedürftigkeit werden in der Regel von einem Sozialarbeiter/in ermittelt.
Senioren ab dem 65. Lebensjahr, die aufgrund einer informellen Beschäftigung, Langzeitarbeitslosigkeit bzw. einer Nichtbeschäftigung unzureichende Beiträge in die Rentenversicherung einzahlten, haben Anspruch auf eine Grundrente. (Vgl. Pochmann, 2010, S. 134). Diese entspricht derzeit einem monatlichen Mindestlohn von circa 221,87€5 (R$ 1.045,00). Begünstigt von dieser Grundsicherungsart werden häufig einfache Arbeiter in der Landwirtschaft.
Die fortlaufenden Leistungen (BPC – Benefício de prestação continuada) dagegen sind staatliche finanzielle Leistungen für die Absicherung sowohl von sozialschwachen Senioren ab dem Erreichen des 65. Lebensjahres, die nie in die Rentenkasse eingezahlt haben, als auch von Menschen in anderer Altersgruppen, die eine geistig-körperliche Beeinträchtigung aufweisen (Vgl. Ratmann Arruda Colin & Jaccoud, 2013, S. 51). Einkommensschwache Familien können eine familienbezogene Leistung nach Bedürftigkeitsgrad beantragen. Diese Leistungen weisen regionale Unterschiede auf.
Die folgenden Grafiken stellen die Anzahl der Begünstigten und die Höhe der Auszahlungen von 2016-2018 dar. Im Jahr 2018 bekamen 4,3 Mio. Menschen finanzielle Hilfe aus dieser staatlichen Leistung. Hierbei beträgt die Anzahl der Senioren über 65. Jahren 44% aller Zahlungsempfänger. Die durchschnittliche Jahresleistung betrug 2.573,34€ pro Leistungsempfänger im Jahr 2018. Aufgrund der negativen wirtschaftlichen Entwicklung Brasiliens in den letzten Jahren sanken die gesamten Auszahlungen in Euro wegen des Währungsverlustes um 10,74 Prozent trotz eines Anstiegs in Real.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Anzahl der BPC-Begünstigten und Zahlungstransfer 2016-2018 6
Das PBF ist das nennenswerte Beispiel zu der Transferleistung der familienbezogenen Sozialhilfe. Außerdem gibt es auch Sachleistungen. Diese sind als Hilfe zur Versorgung von Grundbedarfsgütern zu verstehen und dienen als Zugang zur Ernährungssicherheit oder für notwendige Subventionierung. Diese beitragsfreien Leistungen tragen dazu bei, dass Armut und soziale Ungleichheit reduziert werden können. Sie bieten den benachteiligten Gruppen Schutz und eine Mindestsicherung an (Vgl. Ratmann Arruda Colin & Jaccoud, 2013, S. 62).
3.3 Historische Betrachtung der Armutsentstehung in Brasilien
Die Bevölkerungsbildung und der Entwicklungsprozess der brasilianischen Gesellschaft waren nicht nur von Sklaverei, sondern auch von struktureller Gewalt geprägt. Die Ankunft der Europäer, insbesondere der Portugiesen, im späten 15. Jahrhundert markierte den Beginn der Kolonialzeit auf brasilianischem Gebiet. In diesem Zusammenhang stand Brasilien als Leistungserbringer, v.a. durch den Kolonialpakt im Dienst Portugals (Vgl. Gonçalves de Assis, Araújo da Fonseca, & de Souza Ferro, 2018, S. 51). Die Kolonisationsprozesse zielten auf die Entwicklung des Handels und der Industrie in Europa. Geigant, Haslinger, Sobotka, & Westphal (2000, S. 634) schrieben, dass diese merkantilistische Phase vom „Wunsch nach einem größeren Geldumlauf geprägt war, der einerseits Handel und Industrie anregen sollte und andererseits als Garant für die (staatliche) Liquidität im Kriegsfall gesehen wurde. Da Geld i. d. R. Metallgeld war, folgte daraus die Forderung nach einem positiven Handelsbilanzsaldo.
Der Edelmetallzufluss wurde oft als ein Index der wirtschaftlichen Wohlfahrt angesehen. Die Beherrschung neuer Gebiete, ihrer Ressourcen und Bevölkerung7 hatte die Akkumulation von Kapital für europäische Länder und die Entstehung neuer Märkte ermöglicht. Aus solchen Ländern konnten Rohstoffe und Primärgüter für die spezialisierte Produktion beschaffen werden. In diesem Zusammenhang spielte der Sklavenhandel als bedeutende Handelstätigkeit eine grundlegende Rolle für den Erfolg des Kapitalismus in Europa.
Während der brasilianischen Kolonisierung war alles Gegenstand des Handels, einschließlich des einzelnen Individuums (Vgl. Gonçalves de Assis, Araújo da Fonseca, & de Souza Ferro, 2018, S. 51). In einer nicht selbstbestimmten Wirtschaft und Produktion, in der der lokale Wohlstand weder produktions- noch bevölkerungsbedingt geplant war, blieb das Land abhängig von externen Herrschaften. Es entstand ein extremes Beispiel von sozialer Exklusion.
Während der Kolonialzeit bis 1889 wurden permanent dunkelhäutige Afrikaner mit dem Schiff nach Brasilien transportiert, um als Sklaven auf Plantagen oder Farmen zu arbeiten. Am 13. Mai 1888 wurde die Sklaverei offiziell abgeschafft. Die Sklaverei wurde beendigt und dadurch entstand nun ein unzureichendes Arbeitskräfteangebot, das sowohl wirtschaftliche als auch soziale Verluste verursachte. Demzufolge erhielten ehemalige Sklaven zwar das bürgerliche Recht auf Eingliederung, aber leider war dieses Recht mehr formal als real. Die Freigelassenen hatten keine Chance auf Schulbildung, Ausbildung oder einen Arbeitsplatz (Vgl. Carvalho, 2003, S. 53). Von Land zum Bewirtschaften ganz zu schweigen (Vgl. Carvalho, 203, S.53). Nach der Euphorie der Befreiung kehrten viele der ursprünglichen Sklaven zu ihren Farmherren oder zu benachbarten Farmern zurück, um die Wiederaufnahme der Arbeit unter niedrigem Lohn und schlechten Arbeitsbedingungen aufzunehmen (Vgl. Carvalho, 2003, S. 52). Für die ehemaligen Sklaven gab es seitens des Staates keinerlei Entschädigung, Unterstützung und diese lebten fortan in extremer Armut. Diese Bevölkerungsgruppe wurde marginalisiert, aus dem sozialen Leben ausgeschlossen und genoss nicht denselben Status wie die „weiße“ Elite.7
Armut als soziales Problem lässt sich in Brasilien definitiv auf die sozialen Bedingungen aus der Kolonialzeit, sowohl Sklaverei von Schwarzen Afrikaner und Indianer als auch durch die prekäre Lebenslage von mittellosen Portugiesen, die ihr Glück im neuen Land suchen wollten, zurückführen. Verschärft wurde die Situation allerdings nach da Silva & Ramos Silveira (2017) durch die Abschaffung der Sklaverei (Vgl. S. 190).
In diesem sozioökonomischen Kontext sind die ersten Brennpunkte in Brasilien entstanden. Die erste Phase der jungen brasilianischen Republik (1889-1930) ist durch die von ehemaligen Sklaven besetzten Landstrichen -nicht selten an Hügeln großer Städte- gekennzeichnet. Die schweren Lebensbedingungen in diesen Orten führten zur Verschärfung der sozialen Probleme. Die ersten und indigene Frauen gehörte zur Tagesordnung (Vgl. Gonçalves de Assis, Araújo da Fonseca, & de Souza Ferro, 2018, S. 52-53).
„Favelas,8 “ also slumartige Siedlungen, an der Copacabana9 entstanden bereits im Jahr 1912 (Vgl. da Silva & Ramos Silveira, 2017, S. 191).
Der aktuelle Stand von Armut in Brasilien ist geprägt durch Schutzlosigkeit und v.a. Exklusion aus der Sozialversicherung wegen Analphabetismus, Dauerarbeitslosigkeit, Bildungsschwierigkeiten und aufgrund des fehlenden Zugangs zum formellen Arbeitsmarkt. Die Einschränkung der Wirtschaft durch hohe Teilnehmerzahl im informellen Sektor hat verheerende Folgen für die Gesellschaft. Der Anteil der Individuen im informalen Sektor in Brasilien wird auf 43,4 % geschätzt (Vgl. IBGE, 2019).
3.4 Die Sozialhilfe als Hilfsmittel zur Armutsbekämpfung
Der Weg, auf dem sich die Sozialhilfe10 als öffentliche Politik der sozialen Sicherheit durchgesetzt hat, fordert einen neuen Ansatz in Bezug auf das Thema Armut. Zu diesem gehörten die Überwindung der Wohlfahrtspraktiken in Verbindung mit der Armutsbekämpfung und dessen Professionalisierung der sozialen Angebote. Das SUAS ist beitragsfrei, dezentralisiert, partizipativ und hat die Funktion, den spezifischen Inhalt der Sozialhilfe im Bereich des sozialen Schutzes zu verwalten (Vgl. Ratmann Arruda Colin & Jaccoud, 2013, S. 56). Seine Hauptaufgabe besteht darin, den Inhalt des Sozialhilfegesetzes (LOAS) zu verwirklichen, die die Rechte der Bürger und die soziale Inklusion verankern sollen. Um das Programm zu steuern, wurde es in zwei Schutzniveaus unterteilt. Hierzu wird einerseits der grundlegende Sozialschutz vom Referenzzentrum-CRAS dem Betroffenen zur Verfügung gestellt. Andererseits gewährt das Referenzzentrum-CREAS den Bedürftigen den spezielle Sozialschutz (Vgl. Ratmann Arruda Colin & Jaccoud, 2013, S. 54), wobei der Schutz in Form einer stationären Unterbringung nur durch eine behördliche Anordnung zu gewähren ist. Dabei wird der Fokus der Maßnahmen vorrangig auf die Aufmerksamkeit von Familien, ihren Mitgliedern, Individuen und territoriale Gebiete gelegt (Vgl. Ratmann Arruda Colin & Jaccoud, 2013, S. 53). Als Basis der Organisation gilt die Rolle, die jedes Mitglied ausübt, durch die Anzahl der Menschen, die Hilfe benötigen und ihre Komplexität. In der Tat ist die Armut sowohl als Vulnerabilität als auch als Schutzanspruch im Feld der Sozialen Arbeit zu verstehen. Um der Armut entgegenzuwirken, handelt die Sozialhilfe in integrierter Weise mit sektoralen Politiken, die eine Mindestsicherung und die Bereitstellung von Bedingungen und Leistungen gewährleisten, sowie die Universalisierung der sozialen Rechte fördern. Klar ist, dass die Armutssituation die Ausweitung und Verschärfung sozialer Gefährdung beeinflusst (Vgl. Ratmann Arruda Colin & Jaccoud, 2013, S. 69).
Die vorrangige Ausweitung der Ausstattung mit Referenzzentren11 - CRAS und CREAS - in den am stärksten gefährdeten Gebieten förderte die Sozialhilfe für Familien mit erhöhtem Gefährdungsrisiko, dies ist für Städte mit mehr als 20 Tausend Einwohnern vorgesehen (Vgl. Ratmann Arruda Colin & Jaccoud, 2013, S. 70). Diese Schutzeinheiten der Sozialhilfe führen verschiedene Funktionen aus, wie Schutz und Betreuung der Bevölkerung aber auch Überwachung und Intervention bei Risikogruppen. Sie sind auch dafür verantwortlich, dass ihre Dienstleistungen die betroffenen Menschen erreichen. In diesem Zusammenhang bieten diese Referenzzentren den gefährdeten Personen, die nötige Hilfeleistung, um ihre Lebenslage zu verbessern. Die Angebote zielen primär auf die Umgestaltung der Struktur des sozialen Raums sowie der sozialen Netzwerke und nicht zuletzt auch auf Selbstorganisation und Selbstaktivität (Vgl. Galuske, 2011, S.101)
Schutzzentren-CRAS12 bieten u. a. grundlegenden Schutz an, wie umfassenden Familienhilfsdienst und Hausbesuche durch Sozialarbeiter. Die Referenzzentren - CREAS sind gemeindliche öffentliche Einheiten, mit lokaler oder regionaler Referenz. Ihre Angebote bestehen v. a. darin, den Einzelpersonen und Familien durch bestimmte Dienste eine Stärkung der Gemeinschaft und die Einbindung in soziale Netzwerke zu generieren.
Die Schutzzentren spielen eine bedeutende Rolle bei der Identifizierung von Armut, Risikosituationen und sozialer Gefährdung im Zusammenhang mit Gemeinwesenarbeit und Sozialraumorientierung, da sie als Felddienste direkt mit den Menschen arbeiten und deren Lebenswelten kennen. So wenden Mitarbeiter der Schutzeinheiten die Methode Fallmanagement an, indem sie „zusammen mit Adressaten eine Leistungskette gestalten und für eine effektive Koordination, Kooperation und Vernetzung sorgen“ (Löcherbach, 2009, S. 28). In diesem Fall werden die Leistungen passgenauer den Bedürfnissen angepasst.
3.5 Zentralisierung und Dezentralisierung der Sozialhilfe
Das Sozialhilfegesetz-LOAS, das die Artikel 203 und 204 der Bundesverfassung von 1988 regelt und die Organisation der Sozialhilfe vorsieht, empfiehlt, dass das Politikmanagement und die Organisation der Maßnahmen in einem dezentralen und partizipativen System formuliert werden sollten, das auf den drei Ebenen (Bund, Staaten und Kommunen) der Regierungsverwaltung organisiert ist. Der Art.1 LOAS befasst sich mit den Zielen der Sozialhilfe: Bürgerrecht und Staatspflicht, ist eine Politik der beitragsunabhängigen sozialen Sicherheit, die soziale Mindestleistungen bereitstellt, um die Befolgung der Grundbedürfnisse zu garantieren (Câmara dos Deputados,1993, S. 07). Der Prozess der Dezentralisierung bzw. der Kommunalisierung der Sozialhilfe erfolgte durch die Übertragung von Bundesmittel in der Praxis auf Landesregierungen, die nicht mehr über Ausführungskompetenzen verfügten und diese an die Gemeinden13 und die angeschlossenen Einrichtungen übertragen würden. Die institutionelle Neuordnung des Gebietes fand jedoch aus einer Reformperspektive statt, die die Ziele der Ausgabenkürzungen und des Abbaus des öffentlichen Defizits begünstigte und die Fähigkeit des Staates, Dienstleistungen zu erbringen, dank der Säuberung der Staatsmaschinerie (Vgl. Dayrell de Lima, 2003, S. 26).
Der Prozess der Dezentralisierung garantiert der Bevölkerung das Recht, Politiken zu formulieren und zu kontrollieren, was zu einer Umlenkung in den traditionellen Beziehungen zw. Staat und Gesellschaft führt (Vgl. Jovchelovitch,1998, S. 38). Sie stellt einen grundlegenden Annahmewechsel durch Machtverhältnisse, Autonomie der lokalen Sphären, Partizipation, soziale Kontrollen und Übertragung von Finanzmittel in den kommunalen Bereich dar. Die Dezentralisierung besteht aus einer effektiven Machtteilung zw. Staat und der lokalen Kollektivität verbunden mit einer Staatsreform, d.h. neuen Formen der Beziehung zw. Staat und Zivilgesellschaft, die eine Neudefinition der Machtstruktur im Regierungssystem beinhalten (Vgl. Jovchelovitch,1995, S. 9). Im Fall der Sozialhilfe handelt es sich von der Übertragung von Dienstleistungen, die traditionell vom Staat durchgeführt werden, auf die Zivilgesellschaft. Der Prozess der Dezentralisierung setzt die Existenz von Demokratie, Autonomie und Partizipation voraus. Dezentralisierung unterstützt die Organisation der herausfordernden Arbeit des Staates. Damit entsteht mehr Agilität und mehr Effizienz (Vgl. Jovchelovitch,1995, S. 9).
Die Dezentralisierung / Kommunalisierung ist, sofern sie nicht nur als Übertragung von Dienstleistungen und Gebühren, sondern auch über ausreichende Mittel und die Möglichkeit der Mittelzuweisung verfügt, eine Alternative zur Verbesserung des Lebens der Bevölkerung. Die Registrierung der Familien, die Verwaltung sowie die Durchführung der sozialen Programme des PBF erfolgt dezentral, in der Gemeindeebene, aber die Selektion und der Geldtransfer an die Empfänger hingegen wird zentral und direkt durch das Ministerium für soziale Entwicklung veranlasst. Die Optimierung der Dienstleistungen der Sozialhilfe hängt sowohl von zentralen als auch von dezentralen Maßnahmen ab. Es ist noch zu erwähnen, dass während der Festlegung der zwei Schutzniveaus durch die entsprechenden Gesetze ein Zentralisierungsfaktor der Sozialhilfe darstellt, bedeutet die Erbringung der Schutzzentren- CRAS und CREAS landesweit, wie im Kapitel 3.4 beschrieben wurde, die praktische Umsetzung der Dezentralisierung bzw. Kommunalisierung.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
4 Das Programm „Bolsa Família“ als gegenwärtiges sozialpolitisches Bestreben
Das in Brasilien eingeführte Sozialschutzmodell versuchte, Einkommen und Leistungen zu integrieren. Der Zugang zu Einkommen wird als ein Sozialrecht anerkannt, das die Grundbedingungen für das untrennbare Überleben der Sozialen Arbeit sicherstellen soll, um soziale Risiken zu beseitigen. Neben dem Einkommen wurde mit diesem Modell versucht, die Integrität der Anforderungen von Familien, Leistungsempfängern und Sozialhilfeleistungen als Strategie zur Überwindung der Armut und zur Verbesserung der Lebensbedingungen zu ermitteln und zu berücksichtigen. Mit diesem Konzept soll das Armutsrisiko im Bereich der sozialen Sicherheit insofern behandelt werden, dass der Staat sozialen Schutz und Integrität zu fördern hat (Vgl. Ratmann Arruda Colin, Fernandes Pereira, & de Massarani Gonelli, 2013, S. 59). Der Staat verfügt über ein Dienstleistungsnetzwerk, mit dem familiäre und soziale Bindungen gestärkt sowie der Zugang zu Dienstleistungen, Rechten und Entwicklungsmöglichkeiten erweitert werden soll. Die Strukturierung des integrierten Systems trug maßgeblich zur Sicherstellung einer dezentralen Verwaltung des Zentralregisters und des PBF für die Betreuung von Risikogruppen bei. Im Folgenden soll das Sozialprogramm „Bolsa Família“ vorgestellt und dessen Auswirkungen analysiert werden.
Im Kapitel 4 wird auf die Frage eingegangen, was sich tatsächlich hinter dem PBF verbirgt. Es wird in zwei Abschnitte unterteilt: Der Erste handelt von Definitionen, Finanzierungsarten, Vorstellung und Konditionalitäten des Programms. Um das PBF als Rettungsschirm für Sozialsicherung verstehen zu können, wird in diesem Zusammenhang das Profil der begünstigen Familien vorgestellt. Im zweiten Abschnitt werden die Ergebnisse und Wirkungen des PBF auf die verschiedenen Lebensbereiche analysiert und präsentiert. Zuerst muss auf die Bedeutung des Zentralregisters eingegangen werden, da die Einbeziehung in das PBF die Eintragung darin voraussetzt.
4.1 Zentralregister als Zutrittsgarantie in die sozialpolitischen Maßnahmen des Programms „Bolsa Família“
Für die Einbeziehung an sozialen Programmen, in diesem Fall das PBF, ist es von Bedeutung, die entscheidende Rolle des Zentralregisters zu betonen. Dabei handelt es sich um ein Management- und Verwaltungssystem. Das Zentralregister sammelt eine Reihe von Informationen, die für die Planung der Sozialhilfepolitik von wesentlicher Bedeutung sind, da es die Abbildung der Realität von Familien und die Ermittlung der sozialen Fähigkeit und persönlichen Risiken ermöglicht (Vgl. Ratmann Arruda Colin, Fernandes Pereira, & de Massarani Gonelli, 2013, S. 59).
Das Zentralregister ist ein Instrument, wodurch sozialschwache Familien identifiziert werden und es ermöglicht einen Einblick in die sozioökonomische Realität des Nutzers. In diesem System werden persönliche Daten der Familien registriert und es gilt deswegen als das wichtigste Werkzeug des Staates für die Auswahl und Aufnahme einkommensschwacher Familien in Bundesprogrammen. Aufgrund dieser Daten ist es dann möglich, Diagnosen zum Sozialraum zu erstellen, die die Verbesserung der Verhältnisse zwischen Anforderungen und Angeboten sowie den Finanzierungsausgleich unterstützt (Vgl. Ratmann Arruda Colin, Fernandes Pereira, & de Massarani Gonelli, 2013, S. 59).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
4.2 Das Programm „Bolsa Família“: Definition der Hilfeleistung
Bei „Bolsa Família“ handelt es sich um ein Geldtransferprogramm, Cash-Transfer-Programm, um Einkommenstransferleistungen, Familienzuschüsse, kleine Sozialhilfen oder einfach um einen Hilfszuschuss für Familien. Dieses sozialpolitische Programm wurde im Jahr 2003 unter dem damaligen Präsident Luiz Inácio da Silva aus der linken Partei eingeführt, um den Unterschied zwischen Arm und Reich zu verkleinern, vor allem aber, um gegen extreme Armut zu wirken. Als Auslöser für die Entstehung des PBF 14 “ gilt das nicht mehr existierende Programm „Null Hunger“ zur Hungerbekämpfung aus dem Jahr 2003. Diese sozialpolitische Maßnahme vereinigt alle bisher bestehenden Programme von konditionierten Sozialtransfers wie Schul- und Essensgeld, Lebensmittelhilfe aber auch Subventionen für den Kauf von Gas zum Kochen (Vgl. Cruse, 2017, S. 121). Die Zuständigkeit für die Verwaltung des Programms fällt in den Bereich des Ministeriums für soziale Entwicklung (MDS – Ministério de Desenvolvimento Social). Es basiert auf einer kooperativen und koordinierten Strategie zwischen einzelnen Stellen der Bundesregierung bzw. zuständigen Behörden auf den drei Regierungsebenen, nämlich des Bundesbezirks, der Bundesstaaten und der Kommunen (Vgl. Campello, 2013, S. 22).
In der Abbildung 3 „Anzahl der begünstigten Familien des PBF“ wird die Anzahl der begünstigten Familien des PBF ab seiner Entstehung im Jahr 2003 bis 2019 aufgezeichnet. Im Jahr 2003 bezogen etwas 3,6 Mio. Familien die Hilfe des PBF, im Jahre 2019 bereits knapp 13,9 Mio. Familien. Der Höchststand war bisher 2013 mit fast 14,1 Mio. betreuten Familien.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Anzahl der begünstigten Familien des PBF
Die durch das Gesetz „Lei Nr.10836/04“ geschaffene sozialpolitische Maßnahme ist ein Programm zu direkten Einkommensübertragungen, das Familien in Armut oder extremer Armut im ganzen Land zugutekommt (Vgl. SEDES, 2018, S. 1). Eine Einkommensgrenze definiert dabei die beiden Situationen Armut und extreme Armut, damit gerade Familien einen festen Teil des Programms sein können. So zählen Familien mit einem Pro-Kopf-Einkommen bis zu 89 Reais monatlich zu den Familien in extremer Armut. Zu Familien in Armut zählen Familien mit einem Pro-Kopf-Einkommen zwischen 89,01 und 178 Reis monatlich, solange Kinder oder Jugendliche im Alter von 0 bis 17 in der Familie leben (Vgl. Ministério da Cidadânia, 2020). Der Grundbetrag entspricht 89 Reais, dazu können Familien die variable Leistung von 41 Reais pro Kind ansammeln (bis maximal 5 Kinder) sowie 43 Reais jugendliche Pauschale bei maximal zwei Leistungen (Vgl. Ministério da Cidadânia, 2020). „Bolsa Família“ ist als Zuschuss für die Grundnahrungsmittelversorgung der Familien gedacht. Der Erhalt dieser Leistung ist mit Konditionen, wie dem regelmäßigen Schulbesuch der minderjährigen Kinder, der Durchführung von Impfungen und pränatalen Untersuchungen verbunden. Für bedürftige kinderlose Erwachsene ist die Teilnahme am Programm mit beruflichen Förderungsmaßnahmen verbunden.
4.2.1 Die Finanzierung des Programms „Bolsa Família“
Der Artikel 204 der Verfassung/88 definiert die Finanzierung der sozialen Sicherung (Gesundheit, Sozialhilfe / Soziale Arbeit und Sozialversicherung) und somit der staatlichen Sozialhilfe- Maßnahmen, wie z.B. das PBF. Im Artikel 195 hingegen werden auch andere Finanzierungsquellen genannt, denn die Mittel unterschiedlicher Herkunft werden von der gesamten Gesellschaft erbracht. Die Sozialhilfe und das PBF werden über Haushaltsmittel des Bundes, der Bundesstaaten und des Bundesdistrikts sowie der Kommunen finanziert. Zu den weiteren Finanzierungsquellen gehören die Sozialversicherungsbeiträge (Sozialabgaben von Unternehmen, von Arbeitnehmern), Abgaben auf Arbeitserträge sowie Lotterieeinnahmen und Einfuhrabgaben (Menezes & Brait-Poplawski, 2012, S. 90).
[...]
1 The Word Bank Group, 2018, S. 27
2 Geigant, Haslinger, Sobotka, & Westphal (2000, S. 1110)
3 Soziale Sicherung in modernen Gesellschaften stellt eine zentrale Form der Beziehung zwischen ihren Mitgliedern dar. Lessenich (2008, S. 23) legte diese Wechselwirkung als eine Ausdrucksform von Vergesellschaftung und Gesellschaft dar. Fehmel (2019, S. 29) fügte noch dazu, dass die soziale Sicherung die Handlungsaktionen von Akteuren umfasst, mit dem Ziel, den Bürgern mit Ressourcen auszustatten, über die diese selbst nicht verfügen, um bestimmte Lebenssituationen bewältigen zu können. Diese Definition beinhaltet einerseits die Anerkennung von Bedürftigkeit, anderseits die Bereitschaft der Umverteilung von Leistungen.
4 Die soziale Sicherheit ist in dem Artikel 194 der brasilianischen Verfassung 1988 „als ein integriertes Bündel von Initiativen der öffentlichen Handlungen und der Gesellschaft, die darauf abzielen, die gesundheitsbezogenen Rechte, soziale Mindestsicherheit und soziale Arbeit zu gewährleisten“, definiert (eigene Übersetzung).
5 Währungsumrechnung per 07.02.2020 1€ = R$ 4,71
6 Die Abbildungen wurden aufgrund von monatlichen Informationen erstellt, die aus der Internetseite des Ministeriums für Soziales (Ministério da Cidadânia) entnommen wurden. Die Werte können auch nach Bundesland und Gemeinde abgefragt werden. (Vgl. Ministério da Cidadânia, 2019a)
7 Indigene Bevölkerungen mussten als Sklaven für weiße Herren arbeiten und dabei die eigene Kultur, Sprache, Religion und Tradition aufgeben. Das führte mit zur Ausrottung der meisten indigenen Völker. Von 6 Millionen Indigenen, gibt es heute nicht einmal eine Million. Sexuelle Gewalt gegen afrikanische
8 Heute spricht man aus der soziologischen Sicht von “Agglomeration”.
9 In dieser Phase war Rio die Janeiro die Hauptstadt Brasiliens. Damit lässt sich erklären, warum die Stadt stark von der Bildung von Agglomerationen betroffen war.
10 Soziale Assistenz ist die brasilianische Bezeichnung für Sozialhilfe, wird aber auch für Soziale Arbeit verwendet, da alle Maßnahmen der Sozialhilfe durch die Soziale Arbeit geführt, umgesetzt und betreut werden, z.B. in den Schutzeinheiten CRAS und CREAS. In diesem Fall werden die Begriffe Sozialhilfe und Soziale Arbeit häufig als Synonyme angewendet.
11 Bei den Referenzzentren der Sozialhilfe handelt sich um Schutzeinheiten für soziale Dienste. Sie leisten Soziale Arbeit für die Bevölkerung. Inzwischen gibt es mehr als 7.400 CRAS und 2.200 CREAS in Brasilien. Sie sind in fast allen brasilianischen Gemeinden zu finden. Die Verbesserung der Infrastruktur war notwendig, damit die Hilfsmaßnahmen die Menschen erreichen können (Vgl. Campello, 2013, S. 20).
12 Hier haben Sozialarbeitende beratende und vermittelnde Funktionen gegenüber ihren Klienten. Ihre Dienste zielen darauf ab, zur Verbesserung der Lebensqualität, in Zusammenhang mit Familien, frühe Hilfen, Kindheit, Jugend, Altwerden und Behinderung, beizutragen. Auch die Betreuung von den begünstigten Familien im Rahmen des PBF, die Eintragungen in das Zentralregister, das Programm zur Beseitigung der Kinderarbeit (PETI) sowie die Verwaltung der fortlaufenden Leistung BPC fallen in den Zuständigkeitsbereichen des Referenzzentrums (CRAS).
13 Jovchelovith (1995) zeichnet die Herausforderungen bzw. Schwierigkeiten auf, auf denen die Gemeinde bei der Umsetzung der Kommunalisierung stoßen. Dazu zählt die Nichtvorbereitung der Gemeinden, um die Verwaltung lokaler Maßnahmen zu betreiben; Das Fehlen von Klarheit und Vorbereitung der neuen Aufgaben der Bundes- und Landesebene; mangelnde Sichtbarkeit der öffentlichen Sozialpolitik sowie das Fehlen qualifizierten Personals in kleineren Gemeinden, das u.a. für die Durchführung und Überwachung lokaler Maßnahmen ausgebildet ist (Vgl. S. 11).
14 Das Programm „Bolsa Família” begann in der Stadt Guaribas im Nordosten. „Das kleine Dorf im Hinterland des Bundesstaates Piauí war offiziell der ärmste Ort Brasiliens bis 2003 und wurde deshalb ausgewählt, das staatliche Programm zu testen” (Cruse, 2017, S.154).
- Quote paper
- Maria Izabel de Oliveira Baldoino (Author), 2020, Armutsbekämpfung und soziale Inklusion in Brasilien. Sozialpolitische Maßnahmen sowie Methoden der Sozialen Arbeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/932283
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