Donald Trump, der amtierende Präsident der USA kündigte Anfang Juli 2020 den offiziellen Austritt der USA aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum 6. Juli 2021 an. Er beschuldigt die WHO ihre Mitgliedstaaten zu spät über das neuartige Covid-19-Virus und seine Gefahren informiert zu haben und wirft dieser sogar vor, von der chinesischen Regierung kontrolliert zu werden. Ob die Konditionen für einen rechtmäßigen Austritt vorliegen, wird aktuell geprüft. Bereits im April kündigte Trump an, die finanzielle Unterstützung seines Landes an die WHO nicht weiter fortzuführen.
Die Frage, welche Beweggründe dieser Entscheidung zugrunde liegen, wird in dieser Arbeit zuerst aus der Sicht eines neorealistischen Ansatzes nach Kenneth Waltz und anschließend aus einer neo-institutionalistischen Perspektive nach Robert O. Keohane erarbeitet. Dafür werden zu Beginn die Grundlagen beider Theorien einzeln erklärt und im Anschluss zur Beantwortung der Fragestellung angewandt. Die Ergebnisse dieser Auseinandersetzung werden abschließend in einem Fazit knapp zusammengeführt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretische Ansätze
2.1. Der Neorealismus nach Kenneth Waltz
2.2. Der Neo-Institutionalismus nach Robert O. Keohane
3. Analyse der Austrittsentscheidung der USA aus der WHO
3.1. Untersuchung des Ereignisses aus neorealistischer Perspektive
3.2. Der WHO-Austritt aus Sicht des Neo-Institutionalismus
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Donald Trump, der amtierende Präsident der USA kündigte Anfang Juli 2020 den offiziellen Austritt der USA aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum 6. Juli 2021 an. Er beschuldigt die WHO ihre Mitgliedstaaten zu spät über das neuartige Covid-19-Virus und seine Gefahren informiert zu haben und wirft dieser sogar vor, von der chinesischen Regierung kontrolliert zu werden („Austritt der USA aus der WHO ist offiziell“, 2020).
Ob die Konditionen für einen rechtmäßigen Austritt vorliegen, wird aktuell geprüft. Das Recht auf einen Rückzug wurde bei dem Beitritt der USA 1948 vorbehalten, unter Einhaltung einer 12-monatigen Kündigungsfrist und der Zahlung aller ausstehenden Beiträge („Streit über Corona – USA machen Austritt aus WHO offiziell“, 2020).
Bereits im April kündigt Trump an, die finanzielle Unterstützung seines Landes an die WHO nicht weiter fortzuführen. Die WHO ist eine 1948 gegründete Sonderorganisation der Vereinten Nationen, die aus Vertretern ihrer Mitgliedsländer besteht. Diese sind als internationale Gemeinschaft unter anderem dafür verantwortlich, die Gesundheitsversorgung in allen Teilen der Welt zu unterstützen und zu verbessern. Des Weiteren arbeiten sie gemeinsam daran, Krankheiten zu bekämpfen und sind für die internationale und öffentliche Kommunikation im Gesundheitsbereich zuständig. Finanziert wird die WHO durch jährliche Beiträge ihrer Mitgliedsstaaten, die basierend auf deren Einwohnerzahl berechnet werden und zusätzlichen Spenden der Mitglieder auf freiwilliger Basis. Die Zahlungen der USA wurden für die Jahre 2020-2021 auf mehr als 4,8 Milliarden Dollar und den somit höchsten Beitrag geschätzt, wobei der Großteil als freiwilliger Spendenbetrag gilt (Mellen, 2020).
Die Frage danach, welche Beweggründe dieser Entscheidung zugrunde liegen, wird in dieser Arbeit zuerst aus der Sicht eines neorealistischen Ansatzes nach Kenneth Waltz und anschließend aus einer neo-institutionalistischen Perspektive nach Robert O. Keohane erarbeitet. Dafür werden zu Beginn die Grundlagen beider Theorien einzeln erklärt und im Anschluss zur Beantwortung der Fragestellung angewandt. Die Ergebnisse dieser Auseinandersetzung werden abschließend in einem Fazit knapp zusammengeführt.
2. Theoretische Ansätze
Die zwei Theorien, welche im Folgenden erarbeitet werden, eignen sich gut zur Gegenüberstellung, da sie sich im selben Zeitalter befinden, dem der Öffnung internationaler Interaktion in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
2.1. Der Neorealismus nach Kenneth Waltz
Bei seiner Theorie zu den internationalen Beziehungen beschränkte sich Waltz auf die Ebene des Systems, in dem Staaten als Akteure vorhanden sind. Handlungsgrundlagen werden durch den Rahmen der vorherrschenden Anarchie in diesem System gesetzt (vgl. Lemke 2008: 17).
Es lassen sich drei strukturelle Merkmale ausformulieren: Durch die vorherrschende Anarchie im internationalen System fehlt eine übergeordnete Macht, die das Gewaltmonopol besitzt. Als zentrale Akteure gelten die Staaten, die in diesem Selbsthilfesystem darauf angewiesen sind, ihre eigene Sicherheit zu maximieren. Die Interessen der Staaten werden im Neorealismus grundsätzlich nicht berücksichtigt. Zentral ist für die Staaten, ob sie über mehr oder weniger Macht als ihr Gegenüber verfügen (vgl. Marx 2006: 146).
Durch Abwesenheit von übergeordneter Herrschaft und Arbeitsteilung sind alle Staaten gleich und leben dauerhaft in existenzieller Unsicherheit um ihr Überleben und ihre Autonomie. Die Machtressourcen der Staaten werden als einzige Möglichkeit zur Sicherung dieser Bedrohung angesehen. Warum Kooperation im Neorealismus als äußerst unwahrscheinlich gilt, lässt sich in drei Argumente erklären. Für Waltz sind nur relative Gewinne, keine absoluten von Bedeutung. Staaten wären also nur zu einer Kooperation bereit, wenn die Gewinne auf beiden Seiten machtneutral verteilt werden. Wenn aber einer der beiden Partner einen - relativ gesehen - höheren Gewinn aus dem Zusammenschluss ziehen kann, wird der andere einen relativen Verlust erleiden und aus diesem Grund verweigern. Außerdem fürchten Staaten um ihre Unabhängigkeit beim Eingehen von wirtschaftlichen Bündnissen. Durch eine Arbeitsteilung laufen sie Gefahr, von dem Partnerstaat abhängig zu werden und einen Teil ihrer Autonomie einzubüßen. Als drittes Argument gilt, dass die Staaten fürchten von anderen betrogen zu werden, da an oberster Stelle eines jeden Staates seine eigene Macht und Sicherheit stehen (vgl. Schimmelfenning 2008: 66-84).
Das Verhalten der Staaten lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: „Aufgrund der anarchischen Struktur der internationalen Beziehungen bleibt den Staaten keine andere Möglichkeit, ihr Überleben zu sichern, als die Maximierung des Gutes Sicherheit zu betreiben“ (Marx 2006: 147).
2.2. Der Neo-Institutionalismus nach Robert O. Keohane
Der Neo-Institutionalismus teilt mit dem Neorealismus die Annahme, dass das internationale System anarchisch strukturiert ist, in dem Staaten nach einer Maximierung ihrer Gewinne streben. Jedoch werden nicht nur Staaten als Akteure berücksichtigt, sondern auch internationale Organisationen. Ebenfalls wird eine Vielschichtigkeit der Interessen angenommen. Die Sicherheit ist nicht zwingend das oberste Ziel, sondern auch wirtschaftliche Interessen können dominieren. Auch in dieser Theorie sind Staaten an ihrem Vorteil von Bündnissen interessiert, jedoch handelt es sich bei dieser Annahme um die absoluten Gewinne (vgl. Lemke 2008: 21-22).
Als eine weitere Systembedingung neben der Anarchie nennt Keohane die Interdependenz, eine wechselseitige Abhängigkeit der Akteure. Das Netz von Beziehungen zwischen Akteuren, die gemeinsame Interessen verfolgen, geht weit über nationale Grenzen hinaus. Macht dient laut Keohane nicht mehr der Selbsterhaltung einzelner Staaten, sondern wird von verbündeten Akteuren für ein gemeinsames Ziel innerhalb des internationalen Systems eingesetzt (vgl. Marx 2006: 24).
Um das Zustandekommen freiwilliger internationaler Kooperation zu erklären wird außerdem die Regimeforschung verwendet. Staaten, die an ihrem eigenen Nutzen interessiert sind, gehen auch bei dieser Theorie davon aus, sie könnten von ihrem Gegenüber betrogen werden. Laut des Gefangenendilemmas wird der größte Nutzen bei beidseitiger Kooperation erzielt. Wenn einer betrügt, ist dessen Nutzen größer, während der des anderen zu einem Verlust wird. Bei einheitlicher Nicht-Kooperation sind die Gewinne beider Seiten gering. Um dieser Dilemma-Situation zu entgehen, sind Regime von großer Bedeutung. Sie entstehen bei dem Zusammenschluss von Akteuren mit gemeinsamen Interessen und legen Verhaltensstandards und Methoden zu deren Überprüfung fest. Für die Akteure sind Regime also eine Absicherung, da bei Vertragsbrüchen sanktioniert werden kann und beim Eingehen von neuen Verträgen bereits Informationen zur Glaubwürdigkeit ihres Gegenüber vorhanden sind (vgl. Marx 2006: 176-183). Staaten sind folglich an Kooperationen interessiert, da sie ihre Gewinne durch transparente Informationen genauer kalkulieren können und auch ihre eigenen Kooperationsfähigkeiten beweisen können.
3. Analyse der Austrittsentscheidung der USA aus der WHO
In diesem Kapitel erfolgt die Anwendung der soeben erörterten Theorien nach Waltz und Keohane auf die Frage danach, was den US-amerikanischen Präsidenten zum Austritt aus der WHO bewegt hat.
3.1. Untersuchung des Ereignisses aus neorealistischer Perspektive
Da Kooperation im Neorealismus als sehr unwahrscheinlich angesehen wird, sind auch internationale Organisationen wie die WHO kaum berücksichtigt. Schimmelfenning schließt daraus, dass internationale Organisationen im Sinne des Neorealismus nur dem Zweck der Durchsetzung der Interessen des mächtigsten Staates dienen (vgl. Schimmelfenning 2008: 84).
Diese Denkweise zeigt sich in Donald Trumps Aussage, die USA würden der WHO mehr Geld zahlen als China. Nach seiner Annahme die WHO stünde unter der Kontrolle des chinesischen Staates, möchte er damit andeuten, dass sie dem falschen Akteur folge leisten würden, nämlich nicht dem mächtigsten.
Da das Streben nach Überleben und Sicherheit nach Waltz die obersten Ziele von Staaten sind, lässt sich auch annehmen, dass Trump eine Bedrohung dieser Ziele durch die WHO sieht. Durch den Vorwurf, es wurde zu spät über das neue Virus informiert, verdeutlicht er, die WHO habe zumindest eine Mitschuld am Ausmaß der Infektionszahlen in den USA. Durch die daraus resultierenden hohen Totenzahlen ist ein Angriff auf das Überleben der Bevölkerung des Staates gegeben. Die Mitschuld ist aber nicht direkt auf die WHO zurückzuführen, da diese im neorealistischen Sinne nur nach den Interessen des mächtigsten Staates handelt, welcher eigentlich erst nach den USA China wäre.
3.2. Der WHO-Austritt aus Sicht des Neo-Institutionalismus
Die Voraussetzungen, die internationale Kooperation im internationalen System nach Keohane ermöglichen, sind Interdependenz und Regime. Interdependenz meint dabei die Verflechtung der Staaten und ihre wechselseitige Abhängigkeit. Diese ist somit eine reine Beschreibung der vorherrschenden Situation im System und dient der Analyse unzureichend. Aus diesem Grund wird die Austrittsentscheidung im Hinblick auf die Funktionen von Regimen analysiert. Wie zuvor erläutert stellen Regime eine gewisse Sicherheit für Staaten dar, da sie Verträgen und deren Einhaltung kontrollieren und vertrauenswürdige Informationen offenlegen. Durch die seiner Meinung nach zu spät gelieferten Informationen der WHO über das Virus, wurde das Vertrauen der USA in die internationale Organisation gebrochen und die Variable der zuverlässigen Informationen fällt weg. Damit ist eine Abwägung über die Kosten der Mitgliedschaft und deren Nutzen neu zu berechnen. Der Nutzen hat sich durch den gegeben Umstand gesenkt und es wäre annehmbar, dass die hohen Kosten, welche für die USA als bevölkerungsreichsten Staat anfallen, in der Neukalkulation zu hoch sind. Folglich ist die Mitgliedschaft in der Weltgesundheitsorganisation nicht mehr profitabel und der Staat tritt zum Schutz davor, ausgebeutet und somit betrogen zu werden aus.
4. Fazit
Sowohl aus neorealistischer als auch aus neo-institutionalistischer Perspektive lässt sich eine Begründung für den Austritt der USA aus der WHO finden. In beiden Fällen handelt der Staat, um seine Sicherheit zu bewahren. Nach Waltz` Ansatz ist der Austritt auf eine Bedrohung der Sicherheit gegeben, da die WHO unter Kontrolle des - eigentlich zweitmächtigsten - Staates China stehe. Aus der Theorie nach Keohane lässt sich der Austritt durch eine schlichte Verschiebung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses erklären. Durch unzureichende Informationen ist die Glaubwürdigkeit infrage gestellt und zukünftigen Informationen kann nicht mehr vertraut werden, was den Nutzen erheblich senkt und die Mitgliedschaft somit unrentabel werden lässt.
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- Arbeit zitieren
- Christina Pöckl (Autor:in), 2020, Eine Analyse der Austrittsentscheidung der USA aus der Weltgesundheitsorganisation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/932063
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