In der Studie „Behandlungserfolg der Jugenddrogenentzugsstation clean.kick unter den Aspekten Substanzkonsum und soziale Adaption“ ergibt der Vorher-Nachher-Vergleich, dass es bei den mit dem Telefoninterview befragten Patienten, ein Jahr nach Entlassung, zu einer signifikanten Reduktion des Alkoholkonsums und einer hochsignifikanten Abnahme des Konsums illegaler Drogen kam. Darüber hinaus gingen die Patienten hochsignifikant häufiger zur Schule oder Arbeit. Es besteht eine hochsignifikante Abnahme der Inanspruchnahme institutioneller Einrichtungen in Bezug auf psychische Probleme und an stationären Entgiftungen. Darüber hinaus wurden auch geschlechtsspezifische Aspekte, die Behandlungsart, Comorbidität und das familiäre Umfeld betrachtet.
Der qualitative Teil der Arbeit befasst sich mit den subjektiven Angaben der Patienten. Demzufolge haben die Bezugspersonen während der Behandlung in clean.kick einen hohen Stellenwert. Die Patienten sehen den strukturierten Alltag als Teil des Behandlungskonzeptes als schwierig an, erkennen darin aber auch die Unterstützung und stufen ihn trotzdem als hilfreich ein. Freizeitaktivitäten, die in der Behandlung mehr Struktur und Regeln aufweisen als normalerweise, werden von den Patienten ausschließlich als positiv bewertet. Zuletzt konnten aus den Angaben der Jugendlichen wichtige Hinweise hinsichtlich der Prävention entnommen werden. Als wichtige Merkmale wurden hier genannt: die Zukunftsperspektive und ein geregelter Tagesablauf, eingeschränktes Drogenangebot und Aufklärung, auch für das soziale Umfeld über Risikofaktoren und protektive Faktoren in Bezug auf den Drogenkonsum, sowie ein Helfersystem und Präventionsangebote für Risikogruppen.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
2. Forschungsstand
2.1 Begrifflichkeit
2.2 Faktoren und Auswirkungen der Entwicklung einer Substanzabhängigkeit
2.2.1 Biologische Faktoren
2.2.2 Entwicklungspsychologische und psychosoziale Faktoren
2.2.3 Familiäre Faktoren
2.3 Sucht als jugendpsychiatrische Störung
2.3.1 Geschlechtsspezifische Unterschiede
2.3.2 Co- und Multimorbidität
2.4 Versorgungssituation in Deutschland
2.5 Evaluationsstudien
2.5.1 Konzeption von clean.kick
2.5.2 Ergebnisse der 4-Monats-Katamnese von clean.kick
3. Fragestellung
3.1 Quantitative Ergebnisse
3.2 Qualitative Aspekte
4. Methodik
4.1 Untersuchungsinstrumente
4.2 Quantitative Erhebung
4.3 Qualitative Erhebung
4.4 Untersuchungsdesign
4.5 Untersuchungszeitraum
4.6 Vorgehen bei dem Telefoninterview
4.7 Operationalisierung
4.7.1 Operationalisierung der Quantitativen Aspekte
4.7.2 Methodisches Vorgehen der Inhaltsanalyse
5. Darstellung der Untersuchungsgruppen
6. Darstellung der Ergebnisse – quantitativer Teil
6.1 Drogenkonsum vs. soziale Adaption
6.2 Mädchen vs. Jungen
6.3 Comorbidität externalisierende Verhaltensstörung vs. Comorbidität keine externalisierende Verhaltensstörung
6.4 Intervallbehandlung vs. Einmalbehandlung
6.5 Aus Familien vs. nicht aus Familien
6.6 Zusammenschau der Ergebnisse
7. Darstellung der Ergebnisse – Inhaltsanalyse
7.1 Prozessindikatoren hinsichtlich der Behandlung
7.2 Subjektive Risiko- oder Protektivfaktoren für eine Drogenabstinenz nach der Behandlung in clean.kick
7.3 Faktoren für eine Wiederaufnahme
7.4 Subjektive Erklärungsmodelle der eigenen aktuellen Situation
8. Diskussion
8.1 Quantitativer Teil
8.1.1 Drogenkonsum versus soziale Adaption – Hypothese 1
8.1.2 Mädchen versus Jungen – Hypothese 2
8.1.3 Externalisierende Verhaltensstörungen versus nicht externalisierende Verhaltensstörungen – Hypothese 3
8.1.4 Intervallbehandlung versus Einmalbehandlung – Hypothese 4
8.1.5 Aufnahme aus einem familiären Kontext – Hypothese 5
8.1.6 Kritische Reflektion
8.2 Qualitativer Teil
8.2.1 Jugendtypische Prozessindikatoren hinsichtlich der Behandlung – Hypothese 6
8.2.2 Jugendtypische Risiko- und protektive Faktoren für eine Drogenabstinenz – Hypothese 7
8.2.3 Jugendtypische Faktoren für eine Wiederaufnahme – Hypothese 8
8.2.4 Subjektive Erklärungsmodelle der aktuellen Situation – Hypothese 9
8.2.5 Hinweise für primäre und sekundäre Prävention – Hypothese 10
8.3 Schlussfolgerungen
9. Zusammenfassung
10. Literaturliste
11. Danksagung
12. Anhang
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Gebrauch an illegalen Drogen, 4-Monatskatamnese
Abbildung 2: Schulbesuch/Erwerbstätigkeit, 4-Monatskatamnese
Abbildung 3: Psychosoziale Konsumfolgen, 4-Monatskatamnese
Abbildung 4: Studienplan
Abbildung 5: Verteilung der Hauptdiagnosen
Abbildung 6: Altersverteilung
Abbildung 7:Geschlechterverteilung
Abbildung 8:Alkoholkonsum vorher-nachher
Abbildung 9:Konsum illegaler Drogen vorher-nachher
Abbildung 10:Schul-/Arbeitsbesuch vorher-nachher
Abbildung 11: Inanspruchnahme institutioneller Hilfen in Bezug auf psychische Probleme, vorher-nachher
Abbildung 12: Inanspruchnahme institutioneller Hilfen im Bezug auf Drogenprobleme vorher-nachher
Abbildung 13: Inanspruchnahme institutioneller Hilfen in Bezug auf Drogenprobleme, Jungen vs. Mädchen
Abbildung 14: Konsum illegaler Drogen, ext. vs. keine ext. Verhaltensstörung
Abbildung 15: Inanspruchnahme institutioneller Hilfen in Bezug auf Drogenprobleme bei Patienten mit und ohne externalisierenden Verhaltensstörungen
Abbildung 16: Inanspruchnahme von institutionellen Hilfen in Bezug auf psychische Probleme, Intervallbehandlung vs. Einmalbehandlung
Abbildung 17: Inanspruchnahme von institutioneller Hilfen in Bezug auf
Drogenprobleme, Intervallbehandlung vs. Einmalbehandlung
Abbildung 18: Primäre Geldquelle, Intervallbehandlung vs. Einmalbehandlung
Abbildung 19: Inanspruchnahme institutioneller Hilfen in Bezug auf psychische Probleme, bei Patienten aus Familien und aus außerfamiliären Kontexten
Abbildung 20: Inanspruchnahme institutioneller Einrichtung in Bezug auf Drogenprobleme bei Patienten aus Familien und aus außerfamiliären Kontexten
Abbildung 21: Primäre Geldquelle für den Lebensunterhalt bei Patienten aus
Familien und aus außerfamiliären Kontexten
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Risikofaktoren für den Beginn und negativen Verlauf von Substanzkonsum und Substanzmissbrauch
Tabelle 2: Häufigkeit comorbider Störungen
Tabelle 3: Stichprobenvergleich 45/
Tabelle 4. Drogeninduzierte Probleme
Tabelle 5. Drogeninduzierte Probleme, Mädchen vs. Jungen
Tabelle 6. Drogeninduzierte Probleme, ext. Verh. vs. keine ext. Verh
Tabelle 7: Intervallbehandlung vs. Einmalbehandlung
Tabelle 8: Psychosoziale Konsumfolgen, Intervallbehandlung vs. Einmalbehandlung
Tabelle 9: Unterschiede aus Familien vs. nicht aus Familien bei Alkohol-, Drogenkonsum, Schul-/Arbeitsbesuch
Tabelle 10: Psychosoziale Konsumfolgen bei Patienten aus Familien und aus außerfamiliären Kontexten
Tabelle 11. Interrater-Reliabilität
Tabelle 12: Subjektiv als hilfreich erlebt in der Behandlung
Tabelle 13: Subjektiv als schwierig erlebt in der Behandlung
Tabelle 14: Protektive Faktoren zur Drogenabstinenz
Tabelle 15: Risikofaktoren hinsichtlich Drogenabstinenz
Tabelle 16: Gründe für eine Wiederaufnahme
Tabelle 17: Erklärung der aktuellen Situation
Tabelle 18: Rat für andere Drogenkonsumenten
Tabelle 19: Vorstellungen über Veränderung
1. Einleitung
Psychoaktive Substanzen haben seit je her eine wesentliche Bedeutung in unserer Gesellschaft. Es wird davon ausgegangen, „dass der Mensch ein natürliches Rauschbedürfnis besitzt.“ (Täschner 2002, Hurrelmann 2001) In der Geschichte finden sich viele Darstellungen und Beschreibungen von Rauschmitteln. Psylocybinhaltige Pilze wurden bereits 2000 v. Chr. als Rauschmittel eingesetzt, die Reisgärung in China fand bereits 800 v. Chr. statt (Jung 2004). Bewusstseinsverändernde Substanzen sind fest in traditionelle gesellschaftliche Abläufe eingebunden und werden je nach kulturellem Hintergrund befürwortet, toleriert oder verboten. Findet der Konsum außerhalb der soziokulturellen Normen statt, kommt es gegebenenfalls zu schwerwiegenden psychosozialen Schädigungen, als Beispiel steht hier der Alkoholimport zu den Indianern in Nordamerika und die dadurch verheerenden Folgen im Missbrauch. (Täschner 2002)[1]
Der Nikotin- und der Alkoholkonsum haben in Deutschland einen bedeutsamen gesellschaftlichen Stellenwert und finden sich z.B. in der Werbung, diese beiden Substanzen werden als legale Drogen bezeichnet. Ihr Konsum ist gesellschaftlich und juristisch akzeptiert. Dies bezieht sich aber nur auf Jugendliche die bereits 16 bzw. 18 Jahre alt sind. Schon im Alter von ca. 6 Jahren entwickeln Kinder eine Vorstellung über spezifische Eigenschaften und Wirkungen von legalen Drogen und über deren sozialen Stellenwert. (Hurrelmann 2001) Zum Erwachsenenleben in unserer Alkohol- permissiven Gesellschaft gehört der souveräne Umgang mit Alkoholika. Dieser muss zumindest ab dem Alter von 16 Jahren in Deutschland, oder ab anderen Altersstufen – z.B. in manchen Staaten in den USA wesentlich später - hinsichtlich der eigenen Toleranz eingeübt werden.
Der Gebrauch anderer psychotroper Substanzen und von verschreibungspflichtigen, insbesondere der BtM unterstehenden Medikamenten außerhalb medizinischer Kontexte ist hingegen gesetzlich verboten.
Der Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung 2007 macht deutlich, dass die Thematik des Suchtmittelkonsums gesellschaftlich und politisch weiterhin aktuell ist, denn „für viele Bereiche der Drogen- und Suchtpolitik besteht in Deutschland weiterhin ein großer Regelungsbedarf“.
Er gibt einen Überblick über die aktuelle Situation und zeigt, dass der regelmäßige Konsum von Tabak, Alkohol und illegalen Drogen unter Kindern und Jugendlichen weit verbreitet ist. (Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung 2007) Das durchschnittliche Einstiegsalter beim Tabakkonsum liegt bei 13 Jahren. 20% der 12-25 Jährigen trinken regelmäßig Alkohol und 19% der Jugendlichen gaben 2005 an im letzten Monat „binge drinking“ betrieben zu haben (d.h. mehr als 5 alkoholische Getränke nacheinander konsumiert). ¼ der Jugendlichen haben bereits Cannabis konsumiert und ungefähr 2 Millionen Menschen, vor allem junge Menschen, konsumieren in Deutschland regelmäßig Cannabis. Andere Drogen sind nicht so weit verbreitet, allerdings ist der Probierkonsum in den letzten Jahren in der Altersgruppe der 18-39-jährigen angestiegen. Das Ausmaß des Alkohol- und Drogenkonsums im Erwachsenenalter ist ebenso bedeutend, da 2,5 Millionen Kinder unter 18 Jahren in Deutschland mit mindestens einem suchtkranken Elternteil aufwachsen. (Drogen- und Suchtbericht 2007)
In der europäischen Schülerstudie zu Alkohol und anderen Drogen (ESPAD 2003) wurden Schülerinnen und Schülern der 9. und 10. Klasse in verschiedenen Bundesländern über ihren Alkohol- und Drogenkonsum befragt. Erfasst wurden Umfang, Einstellungen und Risiken des Alkohol- und Drogenkonsums. Bereits ¾ der Befragten hatten mindestens einmal in ihrem Leben geraucht, die Hälfte in den letzten 30 Tagen. Für diesen Zeitraum gaben ca. 1/3 an, täglich zu rauchen.
Bezüglich des Alkoholkonsums war festzustellen, dass innerhalb der letzten 30 Tage die Abstinenzquote bei den Mädchen 16% und bei den Jungen 15% betrug. Am häufigsten konsumiert wurden Alkopops. Bei den Jungen folgten danach Bier und Spirituosen und bei den Mädchen Wein und Sekt. Es zeigte sich, dass bis zu einem Alter von 14 Jahren die Hälfte der Schülerinnen und Schüler schon einmal betrunken waren, bis zum Alter von 16 Jahren stieg der Prozentsatz auf 80%.
In Bezug auf illegale Drogen zeigte sich, dass bereits 33% schon einmal in ihrem Leben eine illegale Droge ausprobiert hatten, dabei stellt Cannabis mit 31% die am häufigsten konsumierte Droge dar. In den letzten 30 Tagen vor der Erhebung hatten 15% illegale Drogen konsumiert, wobei sich 14% auf den Cannabiskonsum und 1% auf andere illegale Drogen verteilen. Der häufige Gebrauch von illegalen Drogen ist eher selten. 5% der Jugendlichen gaben an, Cannabis mehr als einmal in der Woche zu konsumieren. (Kraus et al. 2004)
In der „Early Developmental Stages of Substance Problems Study“ (EDSP) wurden 3021 Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 14-24 Jahren in München und der Umgebung, einschließlich einer unabhängigen Elternbefragung, prospektiv hinsichtlich Konsum, Missbrauch und Abhängigkeit legaler und illegaler psychotroper Substanzen untersucht. Ergebnisse zeigten, dass der Konsum legaler (über 90%) und illegaler Drogen (35%) in der betrachteten Altersklasse weit verbreitet ist, der Konsum in den jüngeren Altersgruppen weiter ansteigt und eine weitgehende Anzahl bereits früh Missbrauchs- und Abhängigkeitssyndrome entwickelt. (Lieb et al. 2000) So zeigt sich bei vielen Jugendlichen ein regelmäßiger Konsum psychoaktiver Substanzen, wobei legale Drogen im Vordergrund stehen. Dabei ist der Konsum von legalen Drogen wie Tabak und Alkohol für den Einstieg in den Gebrauch illegaler Drogen bedeutsam. (BZgA 2007)
Auf politischer Ebene diskutiert werden außerdem die so genannten flatrate parties. Hier wird durch die Möglichkeit des uneingeschränkten Alkoholkonsums bei einmaligem Preis das Rauschtrinken bzw. „Komasaufen“ gefördert. Durch eine Pressemitteilung des Bundesministeriums für Gesundheit (Juni 2007) wurden die Länder aufgefordert, ihre rechtlichen Möglichkeiten wahrzunehmen und so dagegen vorzugehen.
Bei einigen Jugendlichen geht der Substanzkonsum nicht über das Ausprobieren und Experimentieren hinaus, andere Jugendlichen in der Altersgruppe von 14-24 Jahren können zeitweilig, nach dem Klassifikationsschema DSM-IV, in die Kategorie Missbrauch oder Abhängigkeit eingeordnet werden. (Lieb et al. 2000)
Mehr noch als bei Erwachsenen steht ein häufiger Konsum psychoaktiver Substanzen bei Kindern und Jugendlichen oft in engem Zusammenhang mit Entwicklungsproblemen und/oder psychischen Problemen und Störungen. Der Substanzkonsum wird hier u.a. als Lösungsmöglichkeit für bestehende Spannungen oder wahrgenommene Defizite eingesetzt. Ein weiteres Motiv für Konsum ist, dass die Jugendlichen einen eigenen Lebensstil für sich finden möchten, der sie bei der Ablösung von den Eltern unterstützt und Autonomie signalisiert. (Reese et al. 2001) Da das Jugendalter aber eine kritische Entwicklungsphase darstellt, kann der Drogenkonsum, der über den Probierkonsum hinausgeht, die gesunde Entwicklung gefährden. „Der fortgesetzte Substanzmissbrauch wirkt sich negativ auf eventuelle Entwicklungsstörungen, intrapsychische und interpersonale Konflikte sowie soziale Problemlagen aus.“ (Thomasius et al. 2008) „Ein Großteil stellt den Drogenkonsum nach einer Phase des Probierens und Experimentierens wieder ein.“ (Tossmann und Pilgrim 2001) Ca. 10% dieser Jugendlichen entwickeln ein manifestes Drogenproblem. (Möller 2005) Durch den Drogenkonsum treten bei den Jugendlichen Probleme in psychosozialen Funktionsbereichen und auch im gesundheitlichen Bereich auf. Johnston (1998) erfragte bei Schülern der 12. Klasse Probleme, die in Zusammenhang mit Alkoholkonsum stehen. Im Vordergrund stand hier Verhalten, welches die Jugendlichen bereuten, wie z.B. riskantes oder peinliches Verhalten, sowie Beeinträchtigungen im kognitiven Bereich, aber auch soziale Probleme mit Freunden, Eltern, Partnern, Polizei, Lehrern und emotionales Probleme wurden von den Schülern beschrieben.
Für Jugendliche, deren Konsumverhalten über den Probierkonsum hinausgeht und die bereits ernsthafte Schädigungen und Beeinträchtigungen des psychosozialen Funktionsniveaus haben, ist eine stationäre Behandlung indiziert, in der die Behandlung der Suchtstörung sowie die psychischen Schwierigkeiten der Jugendlichen im Fokus stehen.
In der gesamten Bundesrepublik Deutschland gibt es aktuell 17 Suchtstationen, deren Konzept speziell auf Kinder und Jugendliche zugeschnitten ist und die an eine kinder- und jugendpsychiatrische Abteilung angegliedert sind (Gemeinsame Kommission Sucht der BAG KJPP, DGKJP, BKJPP 2007). Dies deckt nicht den aktuellen Behandlungsbedarf. Bundesweit schwankt der Versorgungsgrad mit auf Jugendliche spezialisierten Suchtstationen stark. Dies wird u.a. mit der schlechten Erkenntnislage bezogen auf Jugendliche begründet (GMK 2007).
Da das „Thema - Jugend und Sucht - nach wie vor zu den wissenschaftlich kaum bearbeiteten Feldern zählt“ (Thomasius et al. 2008), sind für einen weiteren Ausbau im Versorgungsbereich Forschungsergebnisse hinsichtlich des Behandlungserfolgs absolut notwendig. Es bestehen wenige wissenschaftliche Erkenntnisse über Effektivität der Strategien in der Suchtbehandlung von Jugendlichen.
Somit stellen sich die übergeordneten Fragen:
Ist ein Behandlungserfolg der Jugenddrogenentzugsstation allgemein nachweisbar?
Welche Aspekte der Behandlung sind für den Behandlungserfolg bedeutsam?
2. Forschungsstand
2.1 Begrifflichkeit
In den verschiedenen Studien werden unterschiedliche Begrifflichkeiten verwendet, wie Drogenkonsum, Substanzkonsum, Konsum psychotroper Substanzen, illegale Drogen, legale Drogen usw. Die WHO definiert eine „Droge“ als „jede Substanz, die eine oder mehrere Körperfunktionen verändert“. Psychotrope Substanzen sind Stoffe die die Psyche des Menschen beeinflussen, wobei hier begrifflich ein Übergang zu den als Genussmittel definierten Stoffen wie Alkohol und Tabak bzw. seltener deren Includierung besteht. Werden die Titel von Studien, wie z.B. der ESPAD Studie betrachtet, so zeigt sich, dass der Alkohol zusätzlich zu dem Begriff Drogen verwendet wird. Als Drogen werden in der Literatur oftmals illegale Drogen tituliert und Alkohol und Tabak extra benannt. Diese Begrifflichkeit liegt auch dieser Arbeit zugrunde. Eine Nikotinabhängigkeit stellt im Behandlungssetting von clean.kick keine Aufnahmeindikation dar und Alkohol wird als eigene Substanz neben den illegalen Drogen betrachtet, wobei zu diesen zudem Medikamente und Schnüffelstoffe, d.h. alle weiteren psychotropen Substanzen zählen.
2.2 Faktoren und Auswirkungen der Entwicklung einer Substanzabhängigkeit
Das Experimentieren mit psychotropen Substanzen beginnt üblicherweise im Jugendalter. Jugendliche sind empfänglicher für soziale Einflüsse, haben eine geringere Toleranz und werden bei geringeren Konsummengen abhängig als Erwachsene. (Fowler et al. 2007)
Es gibt verschiedene Ausgangsfaktoren, die bei der Entstehung einer Sucht eine Rolle spielen (Täschner 2002), d.h. es wird heute davon ausgegangen, dass die Ätiologie von Substanzstörungen nach bislang vorliegenden Forschungsbefunden multikausal bedingt ist. (Lachner und Wittchen 1997, Thomasius 2005b)
Mulitfaktorielle Modelle umfassen biologische, psychosoziale, entwicklungspsychologische und familiäre Faktoren, die sich gegenseitig bedingen oder verstärken können.
Darüber hinaus bestehen individuelle Indikatoren für eine Suchtgefährdung bei Jugendlichen, die in Längsschnittstudien generiert wurden. Diese sind ein früher Einstieg in den Zigarettenkonsum, häufigen Drogenkonsum, misslungene Abstinenzversuche, den Aufenthalt in Freundeskreisen, in denen Drogen konsumiert werden, Schwänzen der Schule, häufige Nicht-Versetzung, schlechte berufliche Zukunftschancen, Depression, geringe Anerkennung im Freundeskreis, wenig Selbstvertrauen und eine negative Einstellung zum Körper (Farke/Graß/Hurrelmann 2003, Laucht und Schmid 2007)
Nur leicht abweichend gibt Küpfner als Faktoren im Kindesalter für eine spätere Suchtentwicklung einen geringen Familienzusammenhalt, die delinquente peer-group, den frühen Konsum von legalen Rauschmitteln wie Nikotin und Alkohol, ein Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätssyndrom und bei Mädchen eine körperliche Vernachlässigung an. (Küpfner et al. 2000)
Thomasius et al. (2005) bieten eine Literaturübersicht der Risikofaktoren aus unterschiedlichen Bereichen und fassen diese wie folgt tabellarisch zusammen:
Tabelle 1: Risikofaktoren für den Beginn und negativen Verlauf von Substanzkonsum und Substanzmissbrauch (Thomasius et al. 2005 S. 81)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.2.1 Biologische Faktoren
Biologische Untersuchungen zeigen, dass der Konsum psychotroper Substanzen im Jugendalter kritischer betrachtet werden muss als bei Erwachsenen: Das Jugendalter stellt eine kritische Phase hinsichtlich der aktivitätsabhängigen Anpassung des präfrontalen Kortex dar, in der die Reifungsprozesse durch toxische Einflüsse irritierbar sind (Teuchert, Noodt und Dawirs 1999). Auffälligkeiten in der makroskopischen Gehirnstruktur wie ein geringeres Volumen des Hippocampus (Nagel et al. 2005) sowie präfrontaler Hirnregionen (De Bellis et al. 2005) konnten bei starkem Alkoholkonsum festgestellt werden.
Die Entwicklung von frontalen, hippocampalen und parietalen Gehirnabschnitten ist bei Jugendlichen mit ausgeprägtem Cannabiskonsum beeinträchtigt. (Tapert 2007) Bei Erwachsenen, die vor dem 17. Lebensjahr Cannabis konsumierten, zeigte sich ein geringeres Volumen an weißer und grauer Substanz im Gehirn, was auf eine gestörte neuronale Reifung zurück geführt wurde. (Wilson et al. 2000)
Funktionell zeigten kernspintomographische Studien bei Jugendlichen mit starkem Alkoholkonsum Hinweise auf abnorme Aktivierungsmuster bei Aufgaben zum räumlichen Vorstellungsvermögen (Tapert et al. 2004). Eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit fand sich aber erst im jungen Erwachsenenalter. (Tapert et al. 2001).
Bei langfristigem Cannabiskonsum wiesen Erwachsene veränderte elektrophysiologische Parameter der Gehirnfunktion auf (Solowij et al. 2005), eine geringere Kleinhirnaktivität und geringeren frontalen Blutfluss (Loeber und Yurgelun-Todd 1999) sowie eine verschlechterte Gedächtnisneubildung (Block et al. 2002).
Werden die einzelnen kognitiven Leistungen genauer betrachtet, so zeigt sich, dass von Jugendlichen mit ausgeprägtem Alkoholkonsum schlechtere Leistungen in den Bereichen Gedächtnisabruf (Brown et al. 2000), Aufmerksamkeit und räumliches Vorstellungsvermögen (Tapert et al. 2002) erzielt werden. Weiterführend scheinen bei Jugendlichen im Vergleich zu Erwachsenen (Mann et al. 1999) die Beeinträchtigungen der Gehirnfunktion durch übermäßigen Alkoholkonsum nach dessen Verringerung oder Abstinenz weiter anzudauern. (Tapert et al. 2002).
Darüber hinaus zeigten sich Defizite in den Bereichen Lernen, Gedächtnis, Aufmerksamkeit und räumliches Vorstellungsvermögen. (Bolla et al. 2002; Solowij et al. 2002) Aus einer Längsschnittuntersuchung geht hervor (Aytaclar et al. 1999), dass manche Störungen der exekutiven Funktionen auch dem Gebrauch von Cannabis vorangegangen sein könnten (Tapert 2007). In einem Vergleich hinsichtlich des Einstiegalters von Cannabiskonsum wurde bei Jugendlichem mit früherem Einstiegsalter (unter 17 Jahre) ein schlechteres Ergebnis bei visuellen Leistungstests festgestellt. (Ehrenreich et al. 1999)
Werden die Ergebnisse der außer Tabak am häufigsten konsumierten Substanzen zusammengefasst, so zeigt sich, dass Alkohol und Cannabis auf das jugendliche Gehirn deutliche Auswirkungen in makroskopisch, funktioneller und neuropsychologischer Hinsicht haben, wenn der Konsum übermäßig ist.
2.2.2 Entwicklungspsychologische und psychosoziale Faktoren
Bereits in der Kindheit erfolgen die ersten Erfahrungen mit Alkohol- und Drogengebrauch. Kinder kennen schon Normen und Motive, welche z.B. den Alkoholgebrauch sozial bestimmen. Im Jugendalter werden dann die ersten eigenen Erfahrungen mit Alkohol und ggf. auch Drogen gemacht. (Casswell 1988)
Der Probierkonsum wird von vielen Jugendlichen mit der Übernahme von Erwachsenenrollen beendet (Thomasius 2005b). Bei Jugendlichen, die diesen Schritt nicht schaffen, ist oftmals „der Alkohol- und Drogengebrauch mit anderem Problemverhalten assoziiert“ (Thomasius 2005b). Zum Beispiel zeigt sich, dass bei Jungen, die bereits im 3. Lebensjahr eine geringe Verhaltenskontrolle haben, wie impulsives, ruheloses und ablenkendes Verhalten, im frühen Erwachsenenalter ein um das zweifache erhöhtes Risiko haben alkoholabhängig zu werden. (Caspi 1998) Außerdem kann eine hohe soziale Gehemmtheit ein Risikofaktor für eine Alkoholerkrankung sein. (Caspi 1998) Kinder, deren Verhalten im 6. Lebensjahr stark durch Sensationssucht und Intoleranz gegenüber Langeweile geprägt war, wird nach der Studie von Masse und Tremblay (1997) der frühe Konsum von Alkohol und Drogen prognostiziert.
Anhand der Daten der Mannheimer Risikokinderstudie ließ sich zeigen, dass der „Kontakt zu sozial auffälligen Peers zu einem der Hauptrisikofaktoren“ gehört. (Hinckers et al. 2005)
Es „werden sowohl die legalen als auch die illegalen Substanzen von Jugendlichen hauptsächlich als Hilfsmittel für die Lebensgestaltung und die Lebensbewältigung eingesetzt“ (Hurrelmann 2000). Motive der Jugendlichen, psychotrope Substanzen zu konsumieren, können neben der Integration in eine peer group und der damit einhergehenden Abgrenzung von den Eltern das Erlebnis von Grenzerfahrungen und die veränderte Leistungs- und Erlebensfähigkeit sein. Darüber hinaus werden psychotrope Substanzen wegen ihrer psychoregulativen Funktion konsumiert, z.B. können Streß- und Spannungszustände reduziert werden (Havighurst 1982, Wieland 1995). Die verschiedenen Substanzen wirken unterschiedlich auf das Zentralnervensystem: eine euphorisierende und danach überwiegend sedierende (Alkohol, Opiate, Sedativa), eine stimulierende Wirkung (Koffein, Nikotin, Amphetamin, Kokain, Inhalanzien) und eine halluzinogene Wirkung (Meskalin, Psylocybin, synthetische Halluzinogene). Cannabis kann sedierend, stimulierend und halluzinogen wirken. (Thomasius et al. 2008)
Epidemiologische Studien zeigen, dass das Einstiegsalter von Nikotin und Drogen auf unter 14 Jahre gesunken ist. (Ihle 2002) Für Tabak und Alkoholkonsum liegt das Einstiegsalter bei den meisten Jugendlichen zwischen 12 und 16 Jahren. (Nelson und Wittchen 1998)
Bahnende Wirkungen auf den späteren Konsum psychotroper Substanzen durch frühen Konsum von Alkohol wurden in Tierversuchen nachgewiesen. Mäuse mit früher Alkoholingestion neigten zu einem höheren (freiwilligen) Konsum in der späteren Adoleszenz, hingegen war ein erstmaliger Konsum im Erwachsenenalter mit aversiven Reaktionen verbunden. (Philpot et al. 2003)
Ist der Beginn des Alkoholkonsums bei Jugendlichen in einem frühen Alter, d.h. zwischen dem elften und vierzehnten Lebensjahr, so steigt das Risiko einer späteren Alkoholstörung. (DeWit et al. 2000) Unter dem Gesichtspunkt, dass gerade im Jugendalter Auswirkungen des Substanzgebrauchs auf das Gehirn für den weiteren Entwicklungsverlauf ungünstig sind, ist der frühe Einstieg Besorgnis erregend.
2.2.3 Familiäre Faktoren
Oftmals bestehen in der Familie des substanzkonsumierenden Jugendlichen Probleme hinsichtlich einer Abhängigkeit von psychotropen Substanzen, zumindest ist häufig ein Familienmitglied davon betroffen. (Klein 1996) „Bislang vorgelegte Forschungsbefunde lassen annehmen, dass das Vorliegen von familiären Substanzproblemen als einer der wichtigsten Prädiktoren für die Entwicklung von Substanzproblemen angesehen werden kann“ (Lieb 2005), darüber hinaus sind sie aber auch von „vielfältigen psychischen und körperlichen Störungen in Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter überzufällig stark betroffen“ (Klein 2005). Kinder alkoholbelasteter Eltern neigen zu höheren Raten an Alkoholmissbrauch (OR=1.8) sowie Alkoholabhängigkeit (OR=2.0). Weiterhin zeigt sich ein erhöhter Konsum an illegalen Drogen und Nikotin. (Lieb 2005)
Bei der Entwicklung von Alkoholstörungen deuten Familienstudien darauf hin, dass „Familienmitglieder von Personen mit Alkoholstörungen im Vergleich zu Familienmitgliedern von Kontrollpersonen im Durchschnitt ein bis zu 7fach höheres Risiko zeigen, selbst eine Alkoholstörung zu entwickeln. (Merikangas und Swendsen 1997)
Hierbei ist zum einen die genetische Disposition, zum anderen auch der familiäre Kontext zu betrachten, d.h. die Suchtstörung des Jugendlichen wird unter anderem durch die innerfamiliären Interaktionserfahrungen gebahnt. (Klein 2005)
Allerdings gibt es nur wenige Zwillings- und Adoptionsstudien zum Thema und neben genetischen spielen ebenso nicht genetische Faktoren für die Genexpression eine bedeutsame Rolle. Die Konkordanzrate für monozygote Zwillinge liegt nicht bei 100%. (Lieb 2005) Kinder aus suchtbelasteten Familien sind darüber hinaus weiteren Risikofaktoren ausgesetzt. In einer Zwillingsstudie in Finnland (Rose et al. 2001) ließen sich 76% der Gesamtvarianz von Abstinenz und Alkoholkonsum durch umweltbedingte Effekte erklären Klein und Zobel (2001) fanden bei Kindern aus alkoholbelasteten Familien signifikant schlechtere Werte in Bezug auf das Familienklima hinsichtlich Instabilität, Kälte, Unberechenbarkeit, Stresshaftigkeit, Verlogenheit und Disharmonie. Darüber hinaus lernen diese Kinder, dass Rigidität, Gefühlskontrolle, Schweigen, Verleugnung und Isolation zur Problembewältigung dienen. (Wegscheider 1988)
Das elterliche Erziehungsverhalten hat in nicht suchtbelasteten Familien vor allem für unter 16-jährigen eine wichtige Bedeutung hinsichtlich des Einstiegs in den Substanzkonsum. (Hinckers et al. 2005)
Übereinstimmend wird eine inkonsistente Erziehung im Hinblick auf normative Anforderungen und vernachlässigendes Verhalten, oftmals aufgrund einer Überforderung der Eltern, mit einer späteren Entwicklung von Alkohol- und Drogengebrauch in Zusammenhang gebracht. (Stattin und Klackenberg-Larsson 1990, Klein 2005)
Der sozioökonomische Status hingegen hat nach einer Studie der WHO nur einen geringen Einfluss auf das Konsumverhalten. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass Jugendliche aus mittleren und oberen sozialen Gruppen weniger konsumieren, es zeichnet sich eher ab, dass Jugendliche mit besseren ökonomischen Ressourcen mehr Alkohol konsumieren. (Hurrelmann 2003)
Kinder und Jugendliche aus der stationären Jugendhilfe, die bereits aufgrund des Selektionsprozesses vielfältige Risikofaktoren für eine ungünstige Entwicklung kumulieren sind besonders suchtgefährdet. Schmid et al. (2006) untersuchten 689 Jugendliche aus 20 stationären Jugendhilfeeinrichtungen mit einem Durchschnittsalter von 14,4 Jahren und stellten in den Bereichen Sozialverhaltensstörung, Aufmerksamkeitsdefizitstörung, Depression, Angst, Enuresis und Substanzkonsum eine höhere Prävalenz fest als in einer vergleichbaren normalen Population.
Kommen die Kinder hingegen aus intakten und funktionalen Familiensystemen, so ist davon auszugehen, dass Interesse und Teilhaben der Eltern an den Aktivitäten der Kinder (Kloep et al. 2001) und die erzieherische Kontrolle (Beck et al. 2003) einen protektiven Faktor hinsichtlich der Entwicklung einer Substanzabhängigkeit darstellt.
2.3 Sucht als jugendpsychiatrische Störung
Oftmals wird in der Literatur undifferenziert von drogenkonsumierenden und drogenabhängigen Jugendlichen gleichermaßen gesprochen. (Bathen 2002) Aber erst, wenn der Drogengebrauch unverantwortlich wird und eine Schädigung droht, wird von einem missbräuchlichen Konsum im Jugendalter gesprochen. (Remschmidt et al. 2001 ICD-10) Als Klassifikationssysteme für psychiatrische Störungen stehen das „Multiaxiale Klassifikationsschema für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters nach ICD-10 der WHO (MAS)“ (Remschmidt et al. 2001) und das DSM-IV „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ der APA (DSM-IV-TR, Deutsche Ausgabe 2000) zur Verfügung. In Deutschland wird zur Klassifikation das MAS bzw. für die psychiatrischen Störungen dessen 1. Achse herangezogen. Das DSM-IV-TR wird dagegen eher zu Forschungszwecken verwendet.
In der ICD-10 ist für die Suchtstörungen eine eigene Kategorie vorhanden, die Kategorie F1. Die verschiedenen konsumierten Substanzgruppen werden an zweiter Stelle codiert F1x, von F10 „Störung durch Alkohol“ bis zu F19 „Störung durch multiplen Substanzgebrauch“. Das Ausmaß der Störung wird an 3. Stelle codiert. Zu unterscheiden ist eine akute Intoxikation, das Bestehen eines Entzugssyndroms, die psychotische Störung aufgrund einer Intoxikation, der schädliche Substanzgebrauch, das Abhängigkeitssyndrom, usw. Für die einzelnen Störungsbilder gibt es einen dezidierten Kriterienkatalog, wobei spezifischere Unterformen hinsichtlich der konsumierten Substanzart codiert werden können. Häufig diagnostizierte Ausmaße der Störung sind der schädliche Gebrauch F1x.1 und die Abhängigkeit F1x.2.
Ein schädlicher Gebrauch zeichnet sich durch ein Konsummuster psychotroper Substanzen aus, das zu einer Gesundheitsschädigung, z.B. entweder einer körperlichen Störung wie z.B. Hepatitis oder einer psychischen Störung wie z.B. einer depressiven Episode führt. (Remschmidt et al. 2001)
Die diagnostischen Kriterien zusammengefasst nach MAS für den schädlichen Gebrauch sind ein deutlicher Nachweis, dass der Substanzgebrauch verantwortlich ist für die körperlichen oder psychischen Probleme, die Art der Schädigung sollte klar bezeichnet werden können, das Gebrauchsmuster besteht mind. seit einem Monat oder trat wiederholt in den letzten 12 Monaten auf. Außerdem treffen auf die Störung die Kriterien einer anderen psychischen oder Verhaltensstörung bedingt durch dieselbe Substanz zum gleichen Zeitpunkt nicht zu.
Bei einem Abhängigkeitssyndrom in Abgrenzung zum schädlichen Gebrauch handelt es sich „um eine Gruppe körperlicher, Verhaltens- und kognitiver Phänomene, bei denen der Konsum einer Substanz […] für die betroffene Person Vorrang hat gegenüber anderen Verhaltensweisen die von ihr früher höher bewertet wurden“ (Remschmidt et al. 2001). Diagnostisch müssen im Vergleich zum schädlichen Gebrauch mind. 3 Kriterien mind. 1 Monat lang oder innerhalb 12 Monate bestanden haben: ein starkes Verlangen oder einen Zwang die Substanz zu konsumieren, verminderte Kontrolle über den Substanzgebrauch, körperliches Entzugssyndrom, Toleranzentwicklung gegenüber den Substanzeffekten, Einengung auf den Substanzgebrauch und ein anhaltender Substanzgebrauch trotz eindeutiger schädlicher Folgen. Die Kategorie F1 wird gleichermaßen zur Diagnostizierung von Erwachsenen wie von Jugendlichen verwendet. Für Jugendliche ist die Unterscheidung zwischen schädlichem Gebrauch und Abhängigkeit allerdings schwierig, da bei Kindern und Jugendlichen eine Abhängigkeitserkrankung selten zu beobachten ist. „Toleranzentwicklung und Entzugssymptomatik können fehlen, obwohl bereits ernsthafte Schädigungen und Beeinträchtigungen des psychosozialen Funktionsniveaus existieren.“ (Stolle et al. 2007) Nach Stolle et al. (2007) ist es hilfreicher von substanzbezogenen Störungen zu sprechen, wie dies im angelsächsischen Raum gängig ist. In der Praxis muss allerdings unter dieser Berücksichtigung mit den vorhandenen Kriterien klassifiziert und diagnostiziert werden. Ein eigenes Klassifikationsschema für Jugendliche existiert für die Suchtstörungen im Rahmen der ICD-10 und des DSM-IV-TR nicht.
Nach Thomasius et al. (2008) gehört die Suchtstörung zu einer der wichtigsten entwicklungsbezogenen Störungen des Kindes- und Jugendalters.
„Schwierig und psychiatrisch relevant wird es dann, wenn Jugendliche Spannungen und Probleme mit Substanzen als Selbstheilungsversuch zu lösen versuchen und ihre Stimmungen und Befindlichkeiten nicht selbst regulieren können, sondern sie künstlich erzeugen.“ (Schepker 2003)
Schwierig ist oft die Zuordnung, ob die psychiatrische Erkrankung aufgrund des Drogenkonsums manifest wurde, sich verschlimmerte oder bereits vorher bestand. Es zeigt sich, dass aufgrund comorbider psychiatrischer Störungen über die Suchtbehandlung hinaus eine kinder- und jugendpsychiatrische Abklärung und Behandlung erforderlich ist. Es wird bei Jugendlichen davon ausgegangen, dass vor der Entwicklung einer jeweiligen Alkohol- oder Drogenproblematik Anpassungsprobleme in der Form psychiatrisch relevanter Störungen stehen. (Thomasius et al. 2008, Moffitt 1993, Stolle et al. 2007)
2.3.1 Geschlechtsspezifische Unterschiede
Hinsichtlich des Gebrauchs einzelner Substanzen lassen sich Geschlechtsunterschiede festhalten Aus der Studie der WHO und der ESPAD-Studie geht hervor, dass Jungen häufiger regelmäßig Alkohol trinken und häufiger von Rauscherfahrungen berichten. Das Einstiegsalter hinsichtlich des Tabakkonsums ist bei Jungen niedriger als bei Mädchen. (Hurrelmann 2003, Kraus et al. 2004) Allerdings rauchen Jungen nicht so häufig wie Mädchen, wenn sie rauchen haben sie aber eine höhere Konsumfrequenz und größeren Konsumumfang. (Kraus 2004) Es hat sich in der Mannheimer Risikokinderstudie gezeigt, dass bei Mädchen mehr als bei Jungen ein signifikant negativer Zusammenhang zwischen dem Alter des Rauchens der ersten Zigarette und der Anzahl der Zigaretten pro Tag besteht. Je früher mit dem Rauchen begonnen wird, desto eher entwickelt sich eine Abhängigkeit. Der Zusammenhang war auch für den Alkoholkonsum nachzuweisen. (Laucht et al. 2007) Mädchen konsumieren in einem geringen Ausmaß mehr illegale Drogen als Jungen. Wird nach häufigem Cannabiskonsum gefragt, ist der Jungenanteil nahezu doppelt so hoch. Ebenso werden Pilze eher von Jungen als von Mädchen konsumiert. Amphetamine und Ecstasy sollen wiederum von Mädchen relativ häufiger konsumiert werden. (Kraus et al. 2004)
Insgesamt ist aus der Literatur bekannt, dass weniger Mädchen in suchtspezifischen Angeboten behandelt werden, und dass die erreichten Mädchen häufiger schwierigere Behandlungsverläufe haben als Jungen. (Schepker 2002, Krausz et al. 2000, Byquist 1999, Dakof 2000) Dies kann zum einen daran liegen, dass das Verhältnis Jungen zu Mädchen hinsichtlich substanzbedingter Störungen 3:1 ist (Essau et al. 1998b) und dadurch weniger Mädchen eine stationäre Jugenddrogenentzugsbehandlung in Anspruch nehmen. Zum anderen hat der Substanzmissbrauch bei Mädchen stärkere psychische Schädigungen zur Folge, sie haben häufiger comorbide Störungen und werden unter Substanzmissbrauch schneller suizidal. (Fergusson et al. 2002)
2.3.2 Co- und Multimorbidität
Die wissenschaftliche Literatur belegt vielfach, dass bei einer bestehenden Suchterkrankung häufig eine comorbide Störung der Jugendlichen besteht. (Essau et al. 1998a, Linzen et al. 1994) Dieses Phänomen lässt sich vor allem in klinischen Stichproben nachweisen. (Thomasius et al. 2008)
In einer Expertise für das „European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction“ (EMCDDA), bei der die Autorin Co-Autorin ist, findet sich eine Zusammenstellung der deutschen, englischen und amerikanischen Leitlinien zu Definition, Diagnostik, Behandlung, Evaluation und Comorbidität. Insbesondere bestehen deutliche Hinweise für einen Zusammenhang mit Suchtstörungen für die Störungsbilder Angststörung, Depressionen, Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen und Störung des Sozialverhaltens. Es kann als erwiesen betrachtet werden, dass alle diese Störungsbilder jeweils ein Risiko für eine Suchterkrankung darstellen. (Fegert et al. 2007)
Als comorbide Störung wird am häufigsten die Störung des Sozialverhaltens (SSV) angegeben. (Thomasius et al. 2008) Unter Ausschluss der Störung des Sozialverhaltens und oppositioneller Störungen fanden sich bei einer Untersuchung von Milin (1991) 39% Zweitdiagnosen. Unter Einbezug der SSV steigt die Comorbiditätsrate an. Bei 53% aller Jugendlichen in der Studie von Essau et al. (1998a) mit einer manifesten Suchterkrankung bestand zumindest eine weitere psychische Störung mit Krankheitswert. Bei alkoholbedingten Problemen werden Cormorbiditätsraten von bis zu 80% in der Literatur angegeben. (Rhode et al. 1996) Dies bezieht sich sowohl auf externalisierende Verhaltensstörungen (Laukanen et al. 2001, Hinckers et al. 2005) wie auf internalisierende Verhaltensstörungen. (Stewart et al. 2002)
„Besteht als Comorbidität eine externalisierende Verhaltensstörung, so ist die Prognose hinsichtlich der Veränderung im Drogenkonsum nicht günstig“. (Schepker 2002, Latimer et al. 2000) Es wird angenommen, dass eine Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung den Substanzmissbrauch begünstigt, da in klinischen Stichproben Substanzabhängige häufiger hyperkinetische Störungen aufweisen als der altersgleiche Bevölkerungsdurchschnitt. (Caroll und Roundsaville 1993; DeMilio 1989) Depressive Störungen werden bei 16-61% der substanzmissbrauchenden Jugendlichen als comorbide Störung angegeben. Erhöhte Prävalenzraten bestehen bei substanzmissbrauchenden Jugendlichen für Angststörungen, sozialphobische Störungen, Essstörungen, Borderline-Persönlichkeitsstörungen, drogeninduzierte Psychosen und schizophrene Psychosen. (Thomasius et al. 2008) „Von einer Comorbidität mit folgenden Störungen ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auszugehen: Störungen des Sozialverhaltens, aggressives Verhalten, Impulsivität inkl. Hyperkinetisches Syndrom, Suizidalität oder parasuizidale Verhaltensweisen, affektive und Angststörungen, Essstörungen, paranoid-psychotische Symptomatik, antisoziale und emotional instabile Persönlichkeitsentwicklung.“ (DGKJPP et al. 2003) In der 4-Monats-Katamnese von clean.kick zeigt sich, dass 62,9% begleitend eine nicht substanzbezogene psychiatrische Störung hatten. (Bernhardt et al. 2004)
Diese hohe Comorbiditätsrate lässt zwei Erklärungsmodelle zu. Zum einen kann „der Drogenkonsum […] subjektiv dem Bestreben eines Menschen, mit der eigenen Lebenssituation umzugehen“ dienen (Hurrelmann und Bründel 1997), wobei unter dieser Voraussetzung zu vermuten ist, wie in Kapitel 2.2 ausgeführt, eine psychische Störung bereits vorlag. Es wird davon ausgegangen, dass Jugendliche im Sinne der Selbstmedikation bei psychischen Problemen Alkohol konsumieren. (Comeau et al. 2001). Zum anderen können sich aufgrund des Substanzkonsums psychische Störungen manifestieren. In wenigen aussagekräftigen Studien ergeben sich Hinweise auf erhebliche psychische Folgeschäden durch regelmäßigen Substanzkonsum. Es ist davon auszugehen, dass „schwerwiegende psychische Krankheitsbilder wie etwa psychotische Erkrankungen durch die Einnahme von Cannabinoiden ausgelöst oder in ihrem Wiedereintreten begünstigt werden.“ (Linzen et al. 1994; Bilke 2005; Häfner 2005, Andreasson et al. 1989) Insgesamt sind die vielfältigen Zusammenhänge von Substanzkonsum und psychischer Störung relativ unerforscht. (Thomasius et al. 2008) „Familien-, Adoptions- und Zwillingsstudien sowie andere Untersuchungen, die Aufschluss über den Einfluss genetischer und umweltbedingter Belastungen geben, sind bei Jugendlichen mit einem Substanzmissbrauch nur sehr selten durchgeführt worden.“ (Thomasius 2005) Es ergeben sich aber vereinzelt Hinweise, dass die Häufigkeit einer schweren psychischen Begleitstörung bei jungen Substanzabhängigen zugenommen hat. (Übersicht bei Jung 2000)
2.4 Versorgungssituation in Deutschland
Für Kinder und Jugendliche, die bereits Substanzen konsumieren und suchtgefährdet sind, bestehen große Lücken in der Versorgung. Die meisten Institutionen der Jugendhilfe und der Kinder- und Jugendpsychiatrie sind nicht speziell auf drogengefährdete Jugendliche ausgerichtet. (Hurrelmann 2000) „Auch auf vielen kinder- und jugendpsychiatrischen Stationen führt Drogenkonsum zum Ausschluss, da er Mitpatienten gefährden oder verleiten kann. (Thoms und Köhler 2001) Häufig stellt der Drogenkonsum ein Ausschlusskriterium für die stationäre Jugendhilfe dar. (Schoor und Möller 2005; Thoms und Köhler 2001) Seit dem Suchtbericht 1994/95 sind bundesweit mehrere spezialisierte jugendpsychiatrische Behandlungsangebote entstanden, Umfragen zufolge sind dies in Deutschland aktuell 17 eigenständige Behandlungsbereiche (Gemeinsame Kommission Sucht der BAG KJPP, DGKJP, BKJPP 2007) Bei dieser gemeinsamen Kommission Sucht (2007) verzeichnen sich 17 kinder- und jugendpsychiatrische Abteilungen mit einem spezifischen Angebot für abhängige Kinder und Jugendliche. Im Vergleich zur Suchtbehandlung bei Erwachsenen kennt die Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) für Jugendliche keine eigene Suchtbehandlungskategorie, so dass diese Abteilungen, im Gegensatz zu Abteilungen für Erwachsene mit einem relativ höheren Personalansatz, mit dem ansonsten für die Jugendpsychiatrie üblichen Personalschlüssel arbeiten. (Kunze und Kaltenbach 2003) Die meisten Angebote sind durch einen höherschwelligen Zugang gekennzeichnet. Dabei wäre es unbedingt erforderlich sich auf frühe Erscheinungsformen des problematischen Substanzkonsums einzustellen. (Thomasius et al. 2008)
Ebenfalls mangelt es in der ambulanten Versorgung an Therapeuten, die auf die besondere Klientel suchterkrankter Jugendlicher ausgerichtet sind. (Thomasius et al. 2000)
Resümierend kann festgestellt werden, dass die Versorgungssituation für suchtgefährdete oder abhängige Jugendliche in Deutschland defizitär ist. „Drogenabhängige Jugendliche drohen durch das Netzwerk des psychosozialen Betreuungsangebots zu fallen“ (Schoor und Möller 2005) Informationen und Evaluationen verschiedener Behandlungsformen und Interventionen sind innerhalb der Suchtforschung daher unerlässlich.
2.5 Evaluationsstudien
Evaluationsstudien über stationäre Suchtbehandlungen im Kindes- und Jugendalter sind im europäischen Raum kaum vorhanden. „Die Datenlage zur klinischen Signifikanz der Interventionen bei Kindern und Jugendlichen ist sehr viel schlechter als bei Erwachsenen“ (Thomasius et al. 2008). Mögliche Bewertungskriterien zur Bestimmung des Behandlungserfolgs bei Kindern und Jugendlichen umfassen die Faktoren: Schulerfolg, soziale Integration, Drogenkonsummuster, Behandlungsdauer und die reguläre Beendigung. (Newcomb und Bendler 1989)
Zu der Behandlung der Cannabisabhängigkeit bei Jugendlichen fanden sich sechs kontrollierte Studien aus den USA und zwei weitere aus nicht europäischen Ländern, wobei es sich hier um meist ambulante Behandlungen handelte. (Bonnet und Scherbaum 2005)
Werden die vorliegenden familientherapeutischen Studien in Bezug auf Substanzstörungen betrachtet, so zeigt sich, dass der Drogengebrauch durch ambulantes familientherapeutisches Vorgehen nicht oder nur wenig verbessert wird. (Liddle et al. 2004, Rowe et al. 2004) In der Studie von Liddle et al. (2004) zeigt sich aber eine Verbesserung in den Variablen Externalisierung, Schulverhalten und selbstberichtetem Konsum. In einer Studie (Winters et al. 2000) über die Effektivität des Minnesota Models (USA), das den Behandlungserfolg von substanzkonsumierenden Jugendlichen (12-18 Jahre; n=179) mit einem follow-up nach 6 und 12 Monaten und einer Kontrollgruppe (n=66) untersucht, zeigt sich, dass Patienten, die die Behandlung regulär beendeten weitaus bessere Ergebnisse hinsichtlich des Substanzkonsums hatten als Patienten die die Behandlung abbrachen oder die auf der Warteliste standen. Während der follow-up Periode zeigte sich, dass Alkohol die am meisten gebrauchte Substanz war.
Im deutschsprachigen Raum sind speziell über Jugenddrogenentzugsbehandlungen im stationären Rahmen kaum veröffentlichte Studien erhältlich. Schepker (2002) untersuchte zwei vollständige Jahrgänge von zwei Stationen. Eine Station für den qualifizierten Entzug und die jugendpsychiatrische Behandlung von Jugendlichen mit Drogenproblemen, bei der anderen Station handelt es sich um eine Rehabilitationsbehandlung. Diese beiden Stationen wurden hinsichtlich soziodemografischer sowie Comorbiditäts- und Therapieverlaufsvariablen verglichen. Es zeigte sich, dass deutlich mehr Jungen als Mädchen behandelt wurden, eine hohe Abbruchquote (71%) bestand, mehrere Wiederaufnahmen stattfanden und Patienten aus dem Strafvollzug die Rehabilitationsbehandlung seltener erfolgreich beendeten. Eine Nachuntersuchung über den Behandlungserfolg nach Entlassung und ohne eine Wiederaufnahme wurde nicht vorgenommen.
Insgesamt kann festgestellt werden, dass im Gegensatz zu einer umfangreichen Psychotherapie-Forschung im Erwachsenenbereich Untersuchungen zur Effektivität der psychotherapeutischen Behandlung von Jugendlichen mit Substanzstörungen selten durchgeführt worden sind. (Thomasius et al. 2008)
2.5.1 Konzeption von clean.kick
Die Jugenddrogenentzugsstation clean.kick bietet seit März 2002 ein spezifisches Angebot für Kinder- und Jugendliche im Alter von 14-18 Jahren (+/-2) mit Drogenproblemen. Clean.kick ist eine niederschwellige und offen geführte Station. Dies soll eine möglichst frühe Erreichbarkeit von Jugendlichen mit Suchtproblemen gewährleisten. Sie bietet die Möglichkeit zu einer qualifizierten Entzugsbehandlung und weiterführend einer kinder- und jugendpsychiatrischen und –psychotherapeutischen Behandlung.
Das Angebot ist speziell auf Jugendliche ausgerichtet, bei denen entweder ein schädlicher Gebrauch von psychoaktiven Substanzen oder bereits eine Abhängigkeit vorliegt. Es wendet sich gezielt an Jugendliche mit einer psychiatrischen Erkrankung oder Entwicklungsproblemen in Zusammenhang mit einer Drogengefährdung.
Durch den niederschwelligen Zugang sind die Ziele von clean.kick das Erreichen der Bereitschaft zu weiteren Veränderungsschritten und Einsicht in die Sucht, mit dem Motto „jeder drogenfreie Tag zählt, um mit klarem Kopf die eigene Situation und Perspektive zu überdenken“.
Die Drogenentzugsstation clean.kick bietet 15 Behandlungsplätze, die in zwei Bereiche aufgeteilt sind. Für die Krisenintervention und Entgiftung stehen fünf Plätze, für die qualifizierte Entzugsbehandlung und weiterführende kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung stehen 10 Plätze zur Verfügung. Die Konzeption ist auf 9 Wochen angelegt mit einem gestuften Behandlungssetting. Die Eingangsstufe dauert ungefähr eine Woche, Entgiftung und ggf. unterstützter körperlicher Entzug, psychischer Entzug, Anamneseerhebung, Diagnostik, Aufstellung von Behandlungszielen, Belastungsproben und die erste Teilnahme an therapeutischen Programmen stehen im Vordergrund. In der Behandlungsstufe I (ca. 3 Wochen) werden durch die Erstellung eines individuellen Behandlungsplanes die verschiedenen therapeutischen Programme strukturiert angeboten. Die Teilnahme an der Klinikschule und milieutherapeutischen Interventionen, sowie der kinder- und jugendpsychiatrischen Behandlung sind im Behandlungsfokus. Behandlungsstufe II (ca. 4 Wochen) bereitet auf die nachstationäre Versorgung in Bezug auf Wohnen, Arbeiten, Ausbildung/Schule und eine Anbindung an ambulante Hilfen vor. Durch externe Realitätsprüfungen werden gestellte Ziele schon vorab auf die Umsetzbarkeit hin überprüft.
Auf der Station ist ein duales Leitungssystem etabliert, bestehend aus einer therapeutischen und einer pflegerisch-pädagogischen Leitung. Auf pflegerischer Ebene besteht das Bezugspersonensystem, d.h. bei Aufnahme wird jedem Patienten ein Bezugsbetreuer zugeteilt, der primär für ihn zuständig ist.
Das Einzugsgebiet von clean.kick umfasst ganz Baden-Württemberg,
Nach Entlassung wird durch eine Jugend-Drogenfachambulanz eine individuelle Nachsorge vorbehalten.
2.5.2 Ergebnisse der 4-Monats-Katamnese von clean.kick
Im Zeitraum von März 2002 bis März 2004 wurde zur Überprüfung der Konzeption von clean.kick bereits eine Evaluation der Modellphase durchgeführt. (Bernhardt et al. 2004)
Die Ergebnisse der 4-Monats-Katamnese haben erste Anhaltspunkte ergeben, dass eine spezialisierte Drogenentzugsstation, in Angliederung an die Kinder- und Jugendpsychiatrie unerlässlich ist. Werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst, zeigen sich im Outcome sowohl eine positive Veränderung im Drogengebrauch, als auch in psychosozialer Hinsicht.
Es ergab sich eine signifikant positive Veränderung (t-Test) in der Häufigkeit des Konsums illegaler Drogen und es bestand eine signifikante Zunahme (t-Test) von Schulbesuch bzw. der Teilnahme an Erwerbstätigkeit im Vorher-Nachher-Vergleich.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Gebrauch an illegalen Drogen, 4-Monatskatamnese[2] //Abb. 2: Schulbesuch/Erwerbstätigkeit, 4-Monatskatamnese[3]
Eine signifikante Abnahme psychosozialer Konsumfolgen war ebenfalls festzustellen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Psychosoziale Konsumfolgen, 4-Monatskatamnese[4]
Diese Hauptergebnisse weisen darauf hin, dass die Behandlung in clean.kick erfolgreich ist. Eine Differenzierung nach verschiedenen Patientengruppen liegt bisher nicht vor. Ebenso ist kein qualitativer Teil in dieser Untersuchung erfolgt. (Bernhardt et al. 2004)
3. Fragestellung
3.1 Quantitative Ergebnisse
Aufgrund des derzeitigen Forschungsstands und der theoretischen Vorüberlegungen ergeben sich in Bezug auf eine erfolgreiche Behandlung folgende Annahmen, die es zu überprüfen gilt. Die Bewertungskriterien einer erfolgreichen Behandlung nach Newcomb und Bendtler 1989 dienen hierzu als Grundlage, wurden aber erweitert und die unterschiedlichen Ebenen differenzierter betrachtet: Zum einen übergeordnete Gruppen hinsichtlich Geschlecht, Umfeld, Comorbidität, Behandlungsart und –beendigung und dem persönlichen Umfeld; die anderen Kriterien werden getrennt nach Substanzkonsum und sozialer Adaption betrachtet.[5]
1. Hypothese: Es wird erwartet, dass die Ergebnisse im Katamnesezeitraum in Bezug auf den Konsum illegaler Drogen schlechter ausfallen als in Bezug auf die soziale Adaption.
In der 4-Monats-Katamnese hatte sich die Tendenz zu einem günstigeren Outcome hinsichtlich der sozialen Adaption dargestellt. Dies ergibt sich u.a. daraus, dass einige Patienten an den Wochenenden Drogen konsumierten, aber ihre alltäglichen Aufgaben wie ihre Arbeit und Schule nicht vernachlässigten.
2. Hypothese: Es wird erwartet, dass Mädchen hinsichtlich der sozialen Adaption schlechtere Ergebnisse im Katamnesezeitraum aufweisen als Jungen, in Bezug auf den Drogenkonsum aber bessere Ergebnisse.
Aus der Literatur geht hervor, dass Mädchen aufgrund der häufigen Comorbidität eine schlechtere Prognose haben. Demgegenüber steht, dass Mädchen eher den Drogenkonsum reduzieren sollen als Jungen. Als Outcome einer Behandlung würden die theoretischen Überlegungen für einen positiven Effekt bei den Mädchen in Bezug auf eine Veränderung hinsichtlich des Substanzkonsums führen, in Bezug auf die soziale Adaption ist die Prognose bei den Mädchen als eher ungünstiger zu vermuten.
3. Hypothese: Besteht als Comorbidität eine externalisierende Verhaltensstörung bei Aufnahme, wird ein schlechteres Ergebnis im Katamnesezeitraum erwartet.
Da die Prognose bei externalisierenden Verhaltensstörungen (ADHS, SSV, etc.[6] ) in Bezug auf den Drogenkonsum nicht günstig ist, wird anzunehmen sein, dass Jugendliche mit externalisierenden Verhaltensstörungen wegen fehlender Impulskontrolle oder devianter Impulsssteuerung sowie mangelnder Regelakzeptanz größere Probleme bei der sozialen Adaption haben.
4. Hypothese: Es wird erwartet, dass Patienten, die eine Intervallbehandlung hatten, bessere Ergebnisse im Katamnesezeitraum aufweisen als Patienten mit einer Einmalbehandlung.
Es ist davon auszugehen, dass intervallbehandelte Patienten durch die höhere Anzahl der Aufenthalte quantitativ gesehen eine „höhere Therapiedosis“ erhalten als Patienten, die nur einmal behandelt wurden.
5. Hypothese: Es wird erwartet, dass Patienten mit Aufnahme aus einem familiären Kontext bessere Ergebnisse im Katamnesezeitraum aufweisen als bereits außerfamiliär untergebrachte.
Laut Literaturlage hat sich gezeigt, dass ein strukturiertes soziales Umfeld und der familiäre Rahmen eine wichtige Rolle bei der Verhinderung von fortgesetztem Drogenkonsum und im Bereich der sozialen Adaption bei Jugendlichen spielen, d.h. eine existierende familiäre Unterstützung vor Aufnahme dürfte den Erfolg nach Behandlung positiv beeinflussen.
3.2 Qualitative Aspekte
Hier sind die subjektiven Einschätzungen der Patienten und ihre persönlichen Erklärungsmodelle der Wirkfaktoren in Bezug auf eine erfolgreiche Behandlung bedeutsam.
6. a Hypothese: Es werden spezifische jugendtypische Prozessindikatoren hinsichtlich der Behandlung erwartet, die von den Patienten subjektiv als hilfreich beschrieben werden.
6. b Hypothese: Es werden spezifische jugendtypische Faktoren hinsichtlich der Behandlung erwartet, die von den Patienten subjektiv als schwierig beschrieben werden.
7. a Hypothese: Es gibt subjektiv protektive Faktoren für eine Drogenabstinenz nach Entlassung.
7. b Hypothese: Es gibt subjektive Risikofaktoren für eine mangelhafte Drogenabstinenz nach Entlassung.
8. Hypothese: Es gibt spezifische jugendtypische Faktoren für eine Wiederaufnahme.
9. Hypothese: Nach einer Behandlung in clean.kick sind die Patienten in der Lage Erklärungsmodelle über ihre aktuelle Situation darzulegen.
10. Hypothese: In clean.kick behandelte Patienten können bedeutsame Hinweise für Präventionskonzepte geben.
4. Methodik
In der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine Überprüfung einer komplexen Behandlungsmaßnahme. „Die Evaluationsforschung befasst sich als ein Teilbereich der empirischen Forschung mit der Bewertung von Maßnahmen oder Interventionen.“ (Bortz und Döring 2003)
4.1 Untersuchungsinstrumente
Zur allgemeinen Qualitätssicherung der Station clean.kick bildet seit deren Gründung die Basisdokumentation der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie (Englert et al. 1998) erweitert durch das Modul Sucht (Englert et al. 2000) und Teile aus dem Addiction severity index (Gsellhofer et al. 1998) die Grundlage.
In der Basisdokumentation sind alle wichtigen soziodemographischen, anamnestischen, psychopathologischen, diagnostischen sowie therapeutischen Informationen enthalten. Zusätzlich wurde die Datenerhebung erweitert um die Bereiche Sprache/Sprachkenntnisse, Berufsausbildung, Lebensunterhalt, soziale Unterstützung, Schulden, Arbeit/Schulbesuch in den letzten 30 Tagen vor Aufnahme, Ausgaben für Alkohol/Drogen, Rauschtrinken, berufliche/schulische und Wohnsituation nach Entlassung. Ergänzend wurden entsprechende Items aus der deutschen Version des Addiction Severity index herangezogen.
Die Informationen für die BADO mit den erweiterten Modulen werden routinemäßig von den fallführenden Therapeuten zum Aufnahmezeitpunkt sowie zum Entlasszeitpunkt erhoben, durch den Oberarzt inhaltlich und durch die Mitarbeiter in der Forschung nochmals auf Vollständigkeit und Plausibilität kontrolliert. Diese Daten liegen somit als prospektive Erhebung von allen Patienten der Station vor, das Einverständnis zur Verwendung der Daten zu Forschungszwecken wird mit dem Behandlungsvertrag von Patienten und Eltern eingeholt. Regelmäßige interne Bado-Schulungen der Therapeuten sichern zusätzlich die Datenqualität.
Um die längerdauernden Effekte der Behandlung nach Entlassung zu untersuchen, bedarf es einer katamnestischen Untersuchung. Hierfür stehen, zusammengefasst nach Mattejat (2003), verschiedene Untersuchungsmethoden zur Verfügung: die persönliche Befragung, das Telefoninterview und die schriftliche Befragung anhand eines Fragebogens. Untersuchungen in Bezug auf die Teilnahmequote bei den einzelnen Methoden sind insgesamt sehr widersprüchlich. Fasst man die Ergebnisse mehrerer Untersuchungen zusammen, zeigt sich, dass die Teilnahmequote bei der persönlichen Befragung am besten ist, das Telefoninterview hat eine geringere und die schriftliche Befragung die schwächste Teilnehmerrate. Andere Arbeiten kommen zu dem Schluss, dass bei Telefoninterviews die Teilnahme oftmals besser ausfällt, da für die Patienten ein geringerer Aufwand als bei persönlichem Kontakt besteht. Auch wird ein höheres Maß an Anonymität als positiver Faktor bei Telefoninterviews vermerkt (Mattejat et al. 2003) In der vorliegenden Untersuchung sind die Patienten nicht mehr in Behandlung der Institution, müssten daher nach einem längeren Zeitraum für die Befragung eigens anreisen oder in ganz Baden-Württemberg und darüber hinaus aufgesucht werden. Unter diesen Bedingungen wäre bei einer persönlichen Befragung von einer niedrigen Teilnehmerrate bei hohem Aufwand auszugehen. Da bei einer schriftlichen Befragung, die Rücklaufquote v.a. bei Suchtpatienten schwach ist, ist in diesem Fall das Telefoninterview näher zu betrachten. Hinsichtlich der Datenqualität sind die Untersuchungsergebnisse uneinheitlich. Studien, die sich mit der Überprüfung von Telefoninterviews befassen, fanden hohe Korrelationswerte zwischen Telefoninterviews und persönlicher Befragung, was für die Zuverlässigkeit der telefonischen Befragung spricht. (Mattejat et al. 2003) Die bekannte Evaluationsstudie zur ambulanten kinderpsychiatrischen Versorgung (Mattejat et al. 2003) setzte daher Telefoninterviews ein.
[...]
[1] Anmerkung: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit die maskuline Form verwendet. Es wird aber ausdrücklich auf beide Geschlechter Bezug genommen.
[2] Grafiken aus Bernhardt et al. 2004
[3] Grafiken aus Bernhardt et al. 2004
[4] Grafik aus Bernhardt et al. 2004
[5] siehe Operationalisierung Kapitel 4.7
[6] Definition in Kapitel 4.7.1 Operationalisierung
- Citation du texte
- Anette E. Fetzer (Auteur), 2008, Behandlungserfolg der Jugenddrogenentzugsstation clean.kick unter den Aspekten Substanzkonsum und soziale Adaption, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93139
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