Verändern sich die gesellschaftspolitischen Wertorientierungen, so ändert sich auch die politische Kultur eines Landes, insofern man der in der Kongruenzhypothese1 von Almond und Verba inhärenten Definition von politischer Kultur folgt, die diese als Verteilung der individuellen politischen Orientierungen und politischen Werte (vgl. Gabriel/ Neller 2000) gegenüber den politischen Objekten expliziert (vgl. Almond/Verba 1963). Mehr noch sind davon aber die "specific roles or structures" (Almond/Verba 1963, 14) eines Landes betroffen, welche in Abgrenzung zu den Eliten und Policies nach diesem Ansatz die relevanten Komponenten eines politischen Systems darstellen2 (vgl. Arzheimer/Klein 2000). Ohne an dieser Stelle den gesamten analytischen Bezugsrahmen des Konzeptes der politischen Kultur vom "Mikro– zum Makropol"3 (Reichel 1981, 329) detailliert aufzugreifen, soll zuerst festgehalten werden, dass sich mit den Vorgängen, die im Zeitraum von 1989 bis 1990 auf dem Hoheitsgebiet der Deutschen Demokratischen Republik abspielten – unabhängig von einem anzuwendenden theoretischen Analyserahmen – ein Veränderungsprozess nicht nur wirksam auf die politische Kultur, sondern auf die gesamte staatliche Verfasstheit, Existenz und das politische Regime an sich vollzog: Dieser Veränderungsprozess mündete letztendlich in der staatlichen Einheit.Die vorliegende Arbeit soll aber nicht die Konzeptualität des politischen Kulturansatzes als Erklärungsvollzug für die Ursachen der Transformation, in anderer Lesart: des Beitritts, der Vereinigung oder der "Inkorporation der neuen Bundesländer" (Reißig 2000, 22) behandeln, sondern ich möchte hiermit eine Vergleichsannäherung der politischen Orientierungsmuster und Verhaltensweisen Ost- und Westdeutscher anhand eines Ausschnitts vorhandenen empirischen Materials leisten, insofern gemäß Rolf Reißig die Folgen sozialen Wandels (deren Zeugen wir im 11. Einheitsjahr in ihrer Unterschiedlichkeit sind) sich in ihrem existenten Output gesellschaftlichen Handelns sozialwissenschaftlich auf akteursbezogener Ebene neu denken lassen sollten. Die gängigen Thesen sozialen Wandels – hier im Kontext der Transformation/ Transition4 – sind durch die weiterhin bestehenden Realitäten zweier Teilgesellschaften in Ost und West5 zu korrigieren, da das Wissen über "die Gestaltbarkeit von Gesellschaften, über Struktur und Krisensymptome der kapitalistischen Industriegesellschaften, und über alternative Entwicklungspfade" (Reißig 2000, 13) bereichert wurde.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung und retrospektive Spezifizierung der Fragestellung
- Transformationstheoretische Ansätze und ihre Erklärungsleistung für politische Orientierungen und Verhaltensweisen
- Die modernisierungstheoretische Ausprägung der Systemtheorie
- Der akteurstheoretische Ansatz
- Der erste akteurstheoretische Strang: Der deskriptiv-empirische Ansatz
- Der zweite Strang des akteurstheoretischen Ansatzes: Rational Choice
- Die Ost/West Dichotomie: Bestandaufnahme und Prägemomente der Differenzen auf Makroebene
- Sozioökonomische Differenzen
- Die Ost/West Dichotomie: Wahmehmung und Handlungsinterpretation spezifischer Situationen durch die Akteure
- Ost- und westdeutsche Orientierungsdimensionen im mikrosoziologischen/mikropolitischen Vergleich: Individuelle Milieuzuordnungen
- Ostdeutsche Orientierungsdimensionen im mikrosoziologischen/mikropolitschen Vergleich: Haltungsausprägungen und Identitätem
- Politische Orientierungen und Verhaltensweisen der Ost- und Westdeutschen: Das Links-Rechts Kontinuum — Sozialismus oder Kapitalismus und der persönliche Weftekanon in der Frage von Krieg und Frieden
- Das kollektive Explanandum: Ostdeutsches aggregiertes Individualverhalten auf der Makroebene
- Abschlussdiskussion
- Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
- Literatur und Quellen
- Anhang
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der vergleichenden Analyse der politischen Orientierungen und Verhaltensweisen von Ost- und Westdeutschen im Kontext des Systemumbruchs und der Transformation in der DDR 1989/1990 und in Ostdeutschland. Sie untersucht, ob und inwiefern sich das Akteurshandeln in den beiden Teilen der Republik, speziell im östlichen Teil, über sozio-politische Prägungsmomente und Internalisierungseffekte erklären und vermitteln lässt. Dabei werden die Situationshypothese und die Sozialisationshypothese in ihrer Bedeutung für die Gestaltung der politischen Orientierungen und Verhaltensweisen im Vergleich betrachtet.
- Die Rolle von Transformationstheorien in der Erklärung politischer Orientierungen und Verhaltensweisen
- Die sozioökonomischen Differenzen zwischen Ost- und Westdeutschland
- Die Wahrnehmung und Interpretation spezifischer Situationen durch Akteure in Ost- und Westdeutschland
- Die Prägung von politischen Orientierungen durch Milieuzuordnungen und Haltungsausprägungen
- Die Bedeutung des Links-Rechts-Kontinuums, der Sozialismus/Kapitalismus-Debatte und der Frage von Krieg und Frieden für die politischen Orientierungen und Verhaltensweisen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Fragestellung der Arbeit vor und erläutert den theoretischen Rahmen, der für die Analyse verwendet wird. Dabei wird die Kongruenzhypothese von Almond und Verba als Ausgangspunkt für die Betrachtung der politischen Kultur und der individuellen politischen Orientierungen herangezogen. Die Arbeit konzentriert sich auf die Vergleichsannäherung der politischen Orientierungsmuster und Verhaltensweisen Ost- und Westdeutscher im Kontext der Transformationsprozesse in der DDR und in Ostdeutschland.
Kapitel 2 beschäftigt sich mit den transformationstheoretischen Ansätzen und ihrer Erklärungsleistung für politische Orientierungen und Verhaltensweisen. Es werden die modernisierungstheoretische Ausprägung der Systemtheorie sowie der akteurstheoretische Ansatz in seinen beiden Hauptsträngen, dem deskriptiv-empirischen Ansatz und dem Rational Choice-Ansatz, vorgestellt und kritisch beleuchtet. Das Kapitel stellt auch das Grundmodell soziologischer/politikwissenschaftlicher Erklärungen vor, das für die Analyse der politischen Orientierungen und Verhaltensweisen verwendet wird.
Kapitel 2.3 zeichnet ein Bild der sozioökonomischen Differenzen zwischen Ost- und Westdeutschland im Kontext des Systemwechsels und der wirtschaftlichen Vereinigung. Es werden die Auswirkungen der Transferleistungen, der Arbeitslosigkeit und der prekären Beschäftigungsverhältnisse auf die soziale Situation in Ostdeutschland beleuchtet.
Kapitel 2.4 analysiert die Wahrnehmung und Interpretation spezifischer Situationen durch Akteure in Ost- und Westdeutschland. Es werden die individuellen Milieuzuordnungen, Haltungsausprägungen und Identitäten sowie die politischen Orientierungen und Verhaltensweisen im Kontext des Links-Rechts-Kontinuums, der Sozialismus/Kapitalismus-Debatte und der Frage von Krieg und Frieden betrachtet.
Kapitel 2.5 fasst die Ergebnisse der Analyse zusammen und untersucht das kollektive Explanandum, d.h. das aggregierte Individualverhalten auf der Makroebene. Es werden die spezifischen Merkmale der ostdeutschen Teilgesellschaft und ihre Deutungs- und Wertegemeinschaften im Vergleich zu Westdeutschland dargestellt.
Die Abschlussdiskussion geht auf die Herausforderungen ein, die sich bei der Bearbeitung des Themenfeldes Politische Orientierungen und Verhaltensweisen in einem politikwissenschaftlichen Projektseminar stellen. Es werden die Möglichkeiten und Grenzen der verwendeten Methoden und Theorien sowie die Bedeutung der Sozialisation für die Gestaltung der politischen Orientierungen und Verhaltensweisen in Ost- und Westdeutschland reflektiert.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen den Systemumbruch, die Transformation, die politische Kultur, die politischen Orientierungen und Verhaltensweisen, die Ost/West Dichotomie, die Sozialisation, die Situationshypothese, die Sozialisationshypothese, die Modernisierungstheorie, die Systemtheorie, die Akteurstheorie, der Rational Choice-Ansatz, die sozioökonomischen Differenzen, die Milieuzuordnungen, die Haltungsausprägungen, die Identität, das Links-Rechts-Kontinuum, der Sozialismus, der Kapitalismus, der Krieg, der Frieden, die Deutungs- und Wertegemeinschaften und die ostdeutsche Teilgesellschaft.
- Quote paper
- Max Eifler (Author), 2001, Politische Orientierungen und Verhaltensweisen der Ost- und Westdeutschen im Vergleich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/9307
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