Elias Canettis Roman ‚Die Blendung’ erschien 1935 vier Jahre, nachdem er fertig gestellt war. Canetti schrieb ein Jahr in grösster Disziplin an diesem Buch. Er verarbeitete darin, was er im Leben beobachtete: „Ich empfand das Erbarmungslose dieses Lebens: dass alles aneinander vorbeilief, dass nicht sich wirklich mit dem anderen auseinandersetzte. Es war in die Augen springend, nicht nur, dass niemand den anderen verstand, sondern dass niemand den anderen verstehen wollte.“ Die Figuren im Roman missverstehen sich dann auch konsequent, so dass das Lesen zum Teil zur reinsten Qual wird. Canetti treibt in seinem Werk die Unmöglichkeit des Menschen, sinnvolle Gespräche zu führen und den anderen zu verstehen, auf die Spitze. Die Protagonisten sprechen grundsätzlich aneinander vorbei. Es gibt keine Freundschaft, keine Achtung zwischen ihnen. Im ganzen Roman wird am Menschen kein einziges gutes Haar gelassen.
In der vorliegenden Arbeit werden drei Dialoge zwischen den Hauptfiguren, Professor Peter Kien und seiner Haushälterin Therese Krumbholz, näher analysiert. Dabei werden auf kommunkationstheoretische Ansätze, Grundvoraussetzungen für eine Kommunikation, ebenso auf sprachwissenschaftliche Theorien wie die Soziolinguistik, die Konversationsanalyse und die sprachlichen Formen von Monolog und Dialog eingegangen.
Die Eigenheiten der Figuren sowie deren Unvermögen über die Grenzen ihrer eigenen Welt hinaus zu kommunizieren, verweisen immer wieder auf Canettis Menschenbild und auf sein Hauptwerk ‚Masse und Macht’. Die in der Arbeit zitierter Seitenangaben entsprechen der im Literaturverzeichnis aufgeführten Taschenbuchausgabe des Romans.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Kommunikationswissenschaftlicher Ansatz
1.2. Sprachwissenschaftlicher Ansatz: Konversationsanalyse und Soziolinguistik
1.3. Der Dialog: Illokutionswissen
1.4. Dialog und Monolog
2. Sprachwelten
2.1. Professor Kien
2.2. Therese Krumbholz
3. Die Dialoge zwischen Kien und Therese
3.1. Dialog 1: Seite 42 ff
3.2. Dialog 2: Seite 124 ff
3.3. Dialog 3: Seite 147 ff
4. Canettis Kommunikationsverständnis
4.1. Kommunikation in der Blendung
5. Entstehungskontext des Romans und Schlussinterpretation
Literaturverzeichnis:
1. Einleitung
Elias Canettis Roman ‚Die Blendung’ erschien 1935 vier Jahre, nachdem er fertig gestellt war. Canetti schrieb ein Jahr in grösster Disziplin an diesem Buch. Er verarbeitete darin, was er im Leben beobachtete: „Ich empfand das Erbarmungslose dieses Lebens: dass alles aneinander vorbeilief, dass nicht sich wirklich mit dem anderen auseinandersetzte. Es war in die Augen springend, nicht nur, dass niemand den anderen verstand, sondern dass niemand den anderen verstehen wollte.“[1] Die Figuren im Roman missverstehen sich dann auch konsequent, so dass das Lesen zum Teil zur reinsten Qual wird. Canetti treibt in seinem Werk die Unmöglichkeit des Menschen, sinnvolle Gespräche zu führen und den anderen zu verstehen, auf die Spitze. Die Protagonisten sprechen grundsätzlich aneinander vorbei. Es gibt keine Freundschaft, keine Achtung zwischen ihnen. Im ganzen Roman wird am Menschen kein einziges gutes Haar gelassen.
In der vorliegenden Arbeit werden drei Dialoge zwischen den Hauptfiguren, Professor Peter Kien und seiner Haushälterin Therese Krumbholz, näher analysiert. Dabei werden auf kommunkationstheoretische Ansätze, Grundvoraussetzungen für eine Kommunikation, ebenso auf sprachwissenschaftliche Theorien wie die Soziolinguistik, die Konversationsanalyse und die sprachlichen Formen von Monolog und Dialog eingegangen.
Die Eigenheiten der Figuren sowie deren Unvermögen über die Grenzen ihrer eigenen Welt hinaus zu kommunizieren, verweisen immer wieder auf Canettis Menschenbild und auf sein Hauptwerk ‚Masse und Macht’. Die in der Arbeit zitierter Seitenangaben entsprechen der im Literaturverzeichnis aufgeführten Taschenbuchausgabe des Romans.
1.1. Kommunikationswissenschaftlicher Ansatz
Wenn Menschen kommunizieren, tauschen sie Gedanken aus. Damit dies möglich ist, muss ein gemeinsames Wirklichkeitsverständnis zwischen den Kommunikationspartnern bestehen. Dieses ist die Voraussetzung dafür, dass mit Worten die gleichen Dinge, Handlungen oder Ideen gemeint sind und ein Austausch überhaupt stattfinden kann. Was von einem Menschen selbstverständlich als Realität wahrgenommen wird, ist stark von Kultur, Sozialisation und Persönlichkeit geprägt und kann sich grundlegend von der Wirklichkeit seines Gegenübers unterscheiden. Was Adam Smith als Empathie bezeichnete, die Fähigkeit des Menschen sich in andere hineinzudenken und sich mittels der eigenen Vorstellungskraft mit ihnen zu fühlen; ist also die eigentliche Basis von (gegenseitigem) Verstehen.
Kommunikation ist eine grundlegende Handlung des Menschen. Als Wesen, das in ein soziales Umfeld hineingeboren wird, kommuniziert er seit der Geburt über verschiedenste Kanäle mit seinem Umfeld. Kommunikation ist nicht gleich Sprechen, und sie kann bewusst; in einer bestimmten Absicht; unbewusst oder ungewollt erfolgen. Beispiel:
„Das beste Staubtuch, bitte!“
Kurz darauf klopfte die Wirtschafterin an die bloss angelehnte Tür. Er antwortete nicht. Sie steckte den Kopf diskret in die Spalte und fragte: „Ist was passiert?“
„Nein, geben Sie nur her!“
Aus seiner Antwort hörte sie, gegen seinen Willen eine Klage.[2]
Es gibt aus diesem Grund verschiedene Definitonsversuche für den Begriff Kommunikation. Die fünf grundlegenden Elemente lassen sich in der 1948 von Harold D. Laswell genannten Formel zusammenfassen: Who says what to whom in which channel with what effect?[3] Darin enthalten sind der Kommunikator, der Rezipient, die Botschaft, der Kanal und die Wirkung. Diese Formel impliziert zwar die Beteiligten, schliesst jedoch deren Interaktion aus. Direkte, unmittelbare Kommunikation zwischen zwei Menschen ist eine soziale Handlung und läuft parallel über verschiedene Kanäle: Mimik, Gestik, räumliche Distanz, gesprochene Worte. Sie schliesst eine Konfrontation ein, und es ist schwierig, sich ihr zum Beispiel durch Schweigen oder Ignorieren zu entziehen.
Vermittelte Kommunikation z.B. über Schrift, Bild oder Radio ist über Raum und Zeit distanziert und bietet dem Adressaten viel bessere Möglichkeiten, sich zu entziehen als die unmittelbare Kommunikation. (Kien z.B. schreibt lieber Briefe.)
Die gesprochene Sprache ist in dem Sinn ebenso wie Gesten oder Zeichen eine Primärtechnik, um den Gedankenaustausch zu ermöglichen. Die Schrift, mit welcher der Kommunikator sowohl Zeit als auch Raum überwinden kann, gilt als Sekundärtechnik, und die elektronischen Mittel gelten als Tertiärtechniken. Die Sprache in der Kommunikation ist ein Mittel zum Zweck der Verständigung.[4]
1.2. Sprachwissenschaftlicher Ansatz: Konversationsanalyse und Soziolinguistik
Sprechhandlungen erzeugen eine soziale Ordnung. Sie organisieren eine gemeinsame Aktivität, welche unter spezifischen, situativen und kontextuellen Bedingungen entsteht. Äusserungen von Sprechenden zeichnen sich auf der sprachlichen Ebene durch deiktische Elemente aus. (sprachliche Einheiten, die auf Ereignisse hinweisen, beispielsweise Demonstrativpronomen). Dies hat zur Folge, dass vieles, was vom Sprecher implizit zum Wirklichkeitsverständnis zählt, unausgesprochen bleibt und nur als Verweisungshorizont präsent ist. Der Sprecher geht also davon aus, dass sein Gegenüber seine Aussage nach demselben Kontext decodiert, auf welchen er sich selbst bezieht.[5]
Das Endziel bei Dialogen und Gesprächen, wie auch bei weiter gefasster Kommunikation besteht darin, ein gegenseitig nachvollziehbares Verständnis zu erreichen. Die Verständigung ist aber nicht allein von Worten getragen. Vielmehr spielt ein breiter Kontext von soziolinguistischen Parametern, beispielsweise gesellschaftlicher Status und Rolle der Gesprächspartner, Sprachcodes, Kommunikationsgewohnheiten, emotionale Ablehnung oder Verweigerung eine entscheidende Rolle für die Verständigung. Diese Eigenschaften fungieren zwischen den Gesprächspartnern als Symbole, nach welchen Klassierungen und Urteile zugeordnet werden.[6] Eine Gesprächs- oder Dialoganalyse nach soziolinguistischem Vorgehen beinhaltet unter anderem:
- Die Frage nach den gesellschaftlichen Kategorien und ihren Konsequenzen, zum Beispiel Gruppe, Status, Rolle der Gesprächspartner.
- Die Beziehungsebene, also die handlungstheoretischen Kategorien, beispielsweise die Konsens-, Dissens- oder Emanzipationsstrategien, Solidarisierungshandlungen oder das Beziehungsverhalten.
- Linguistische Kategorien, d.h. sozial, funktional oder areal definierte Codes. Codewahl, Codewechsel, Soziothemen und metasprachliches Verhalten.
- Psycholinguistische Kategorien: Spracheinschätzungen, Stereotypen und ihre Konsequenzen.[7]
Die soziolinguistische Analyse geht über eine rein linguistische Analyse hinaus und bringt Erkenntnisse über die sprechenden Akteure, deren Hintergrund und Sprachwelten.
1.3. Der Dialog: Illokutionswissen
Die fundamentale Voraussetzung für einen Dialog sind zwei oder mehr Akteure, welche durch sprachliche Texte oder bestimmte aussersprachliche Mittel z.B. Gesten oder Bilder, eine Koordination ihres Verhaltens anstreben. Der Sprechakt oder die Sprechhandlung wird Illokution genannt. Dialogische Kommunikation oder Verständigung sind aber erst aufgrund einer gemeinsamen Regelkenntnis möglich. Es ist dieses von beiden Seiten akzeptierte Ordnungsprinzip, auch Illokutionsstruktur genannt, welches determiniert, wie sich der Sprecher- resp. Hörerwechsel vollzieht. Der Sprecherwechsel muss im Dialogtext nicht explizit erwähnt, sondern kann logisch in der Struktur impliziert sein. Beispielsweise bei einer Frage – Antwort – Situation, in welcher die Antwort direkt ohne Zwischentext erfolgt. Ein Dialog kann von verschiedenen Illokutionstypen geprägt sein. Dies zeichnet sich durch ein bestimmtes Verhaltensmuster aus, welches die Partner aufeinander abstimmen. So kann der Sprecher schon durch die Wahl eines Illokutionstyps versuchen, auf die Reaktionsweise/-möglichkeit seines Gegenübers Einfluss zu nehmen. Solche Illokutionsmuster sind beispielsweise Versprechen, Warnungen, Fragen, Aufforderungen und Beschuldigungen. Bei all diesen Formen erfolgt die Reaktion normalerweise innerhalb einer konventionell definierten Form. (Frage – Antwort, Warnung – Dank, Beschuldigung – Rechtfertigung etc.)[8]
Bsp. Frage – Antwort:
„Was tust du hier mein Junge?“
„Nichts. “[9]
Aus der linguistischen Sicht stellt sich die Frage, inwiefern Illokutionstypen mit sprachlichen Strukturen verflochten sind. Es hat sich gezeigt, dass die Grundtypen der Illokution (Mitteilung, Frage, Aufforderung) im Regelfall mit den Elementen des Satzmodus (Deklarativ, Interrogativ und Imperativ) übereinstimmen. Illokutionsfolgen entstehen aus generellen Verknüpfungen von Handlungen. (z.B. Frage – Antwort) oder teilweise auch aus semantischen Relationen (z.B. Gedankensprünge Frage auf Frage o.ä.). Damit aus einer Illokutionsstruktur Kommunikation werden kann, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
- Das Verstehen der beabsichtigten Sprechhandlung.
- Das Akzeptieren des Sprechakts vom Hörer.
- Die Fähigkeit des Hörers, die von ihm gewünschte Reaktion auszuführen.
Dies sind Grundbedingungen dafür, dass der Partner sowohl auf semantischer als auch auf der Handlungsebene eine vom Sprecher gewünschte Reaktion einleitet.[10]
Als Beispiel einer Verständigung, in welcher alle drei Voraussetzungen erfüllt sind, kann die Szene, in der Kien und Therese die Zimmeraufteilung und die schweigenden Mahlzeiten vereinbaren gelten.[11]
Die Begebenheit ganz zu Beginn des Romans, bei der Kien auf der Strasse nach dem Weg gefragt wird und den Fragenden ignoriert, illustriert die Situation, in welcher das Verstehen zwar gewährleistet ist, der Sprechakt als solcher jedoch nicht akzeptiert wird.[12]
Kien auf dem Polizeiposten, wo er während des Verhörs zu begreifen versucht, weshalb die tote Therese vor ihm steht, wird von den anwesenden Personen ebensowenig verstanden, wie er die Situation erfassen kann.[13]
Eine vom Sprecher gewünschte Reaktion kommt nur zustande, wenn der Hörer die Voraussetzungen erfüllen kann/will. Der Hörer kann sich auch grundsätzlich verweigern.[14] Sprechertexte lassen sich als Illokutionsstrukturen verstehen. Die Konsequenz jedes Illokutionstypus ist, im Idealfall, eine erwartete Hörerreaktion. Die Illokutionsmuster sind also immer auch Interaktionsmuster, welche sich nicht zwingend in Sprecherrollen ausdrücken müssen. Es kann beispielsweise auf eine Frage anstelle einer verbalen Antwort auch ein Schulterzucken erfolgen.
[...]
[1] Canetti 1980, Die Fackel, S. 300.
[2] Canetti 1965, Blendung, S. 22 – 23.
[3] Kunzcik / Zipfel 2001, S. 17.
[4] Silbermann 1982, S. 227 – 230.
[5] Fritz / Hundsnurscher 1994, S. 6.
[6] ebd. S. 38ff.
[7] ebd. S. 28 – 40.
[8] Moilanen 1994, S. 9 – 15.
[9] Canetti 1965, Blendung, S. 7.
[10] Moilanen 1994, S. 16 ff.
[11] Canetti 1965, Blendung, S. 61 – 62.
[12] ebd. S. 14.
[13] ebd. S. 330.
[14] ebd. S. 14.
- Arbeit zitieren
- Corinne Leuenberger (Autor:in), 2007, Dialog und Missverständnis im Roman 'Die Blendung' am Beispiel von Therese und Kien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93058
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